Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Die sieben Leben der Margarethenhütte Eine ostdeutsche Industriegeschichte Autor: Holger Siemann Regie: Claudia Kattanek Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2020 Erstsendung: Dienstag, 22.09.2020, 19.15 Uhr Wiederholung: Dienstag, 07.12.2021, 19.15 Uhr Es sprachen Kathrin Baumhöfer, Gregor Höppner und Jodokus Krämer Ton und Technik: Christoph Bette Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - 085 Mhuette_2018 03:10:32:627, Führung mit Herrn Jünger, Atmo Halle Wir haben also draußen von der Vakuumpresse, das ist wie so ein Fleischwolf, können Sie sich vorstellen, dort wird aber Luft raus, also plastische Masse reingeworfen, da wird die Luft rausgesogen, dann entsteht so ein Zylinder, das nennt sich Hubel, und hieraus wird dann der Isolator gedreht. Erzähler Leo Jüngers Beschreibungen und die schwarz-weißen Fotos an den Wänden lassen den Besucher ahnen, wie heiß und laut und anstrengend die Arbeit hier war. Viele der Ofen- und Produktionshallen sind inzwischen abgerissen, aber es gibt noch das alte Verwaltungsgebäude, das Hochspannungslabor, einen Außenbereich mit Hunderten verschiedenster Isolatoren und ein paar Maschinen. In den Räumen riecht es noch immer nach Schmieröl und Strom. 086_1 Mhuette_2018 03:11:16:337 Führung mit Herrn Jünger Der Hubel, oder dieses Stück in diese Maschine vertikal wird reingestellt, das wird hier nach unten geleiert, und dann wird eh nach einer Schablone... Moment, ich muss mal hier rüberfahrn... (mit Bediengeräuschen) nach einer Schablone kann man dann nach unten und oben fahren, sie können das rausfahren, sehnse und nach unten fahren, können das rausnehmen, Sie können das umstellen, hier Messer umstellen, so und da könnense also nach dieser Schablone, das ist das Negativ dieser Schirme, die Schirme rausarbeiten. 086_2 Mhuette_2018 03:12:27:628 Führung mit Herrn Jünger Und das ist hier eine Maschine, da haben wir solche Isolatoren draus gemacht, das sind Bahnstabisolatoren, die sind in die Sowjetunion geliefert worden. Sprecherin "Die sieben Leben der Margarethenhütte - eine ostdeutsche Industriegeschichte" Ein Feature von Holger Siemann 001 Gesprächsrunde in der Margarethenhütte (i.F. abgek. "Mhuette") 02:21:57:110 R1 Pass mal auf, da will ich ja nur mal meine steile These hier veröffentlichen, für die ich ja bisher immer nur ausgelacht worden bin wenn ich das Wessis erzählt habe. Ich habe das angefangen so zu denken, weil ich gedacht habe, damit kann der Wessi was anfangen. Kann er aber nicht. Wenn das, dieser dritte Weltkrieg jetzt wirklich mit Bomben und Kanonen gewesen wäre und die Margarethenhütte in Schutt und Asche gelegt würde, dann hätten wir alle das verwunden. J2 Dann wären wir nicht mehr da. R Nee, wir wären nicht da J Der dritte Weltkrieg wäre mit Atomwaffen geführt worden. R sei mal so nett, und geh mal meinen Gedanken mit zu Ende. Wenn das also ein Krieg gewesen wäre, wo Bomben, nicht atomare, wenn d as hier alles zerstört wäre, Leo, das ist der Kern... Dann hätten wir eine ganz andere Ausgangsbasis gehabt. Erzähler November 2018. Draußen weht ein kalter Wind, im alten Verwaltungstrakt der Margarethenhütte in Großdubrau knarren die Dielen, der Kanonenofen bollert. 002 Mhuette_2018 02:23:35:091 Aber hier ist doch irgend so ein Naseweis gekommen, der die Macht hatte und hat gesagt das taugt nicht mehr , wir brauchen es nicht mehr, weg. Das ist der Schmerz, oder das ist diese Arroganz, oder was weiß ich. Ich habe damals nicht für möglich gehalten, dass wirklich Politiker so ...verantwortungslos sein können und sagen können: Ganze Landstriche werden entindustrialisiert. Das ist eine Verantwortungslosigkeit hoch drei. Das war mir... Also irgendwann habe ich mal begriffen, dass das tatsächlich mal Menschen ... J Du hast Recht, aber da stand oder steht ja heutzutage auch noch, wenn sowas passiert... was steht dahinter? Das Kapital. Das steht dahinter. R ich meine jetzt meine Gefühle. Ich wollte dem Wessi, dem ich das erzählt habe, ein Gefühl erklären. Er hat das natürlich nicht begriffen. Erzähler Im einstigen VEB Elektroporzellan wurden bis zur Wende Hochspannungsisolatoren für den Weltmarkt produziert. International konkurrenzfähig, nach der Wende trotzdem verscherbelt und dichtgemacht - die Geschichte der Margarethenhütte wurde zum Symbol für die willkürliche Deindustrialisierung des Ostens und das Versagen der Treuhand. Aber die Wirklichkeit ist selten symbolisch und gute Geschichten sind selten so schlicht. 003 Bernstein 01:11:19:040 Das Leben bis 1989 war mein Leben und das Leben nach 1989 ist mein Leben. Und natürlich leide ich, auch wenn man diese pauschalen Dinge liest, hört, was alles so schrecklich in der DDR war. Natürlich war vieles schrecklich aber vieles war auch schön.... (endet oben) Erzähler Im ehemaligen Verwaltungsbüro steht ein Sessel. Darin nehmen diejenigen Platz, die ihre Lebensgeschichte erzählen sollen, im jüngsten Projekt des Museums Margarethenhütte. Heute sitzt die Projektleiterin selbst darin. 007 Bernstein 00:03:56:357 Also ich bin Regina Bernstein... Ich bin in Leipzig sozialisiert worden, habe dann aber in Hermsdorf in Thüringen studiert und bin dann durch die Liebe nach Bautzen gekommen. Mein Mann ist Orgelbauer bei der Firma Eule in Bautzen gewesen, und da ich gerne auch dort sein wollte, bin ich dann von Hermsdorf mit meinen Kindern nach Bautzen gezogen. Das hat sich gut gefügt, weil in der Nähe von Bautzen ein Elektroporzellan-Werk war. Und dort bin ich als Keramik-Ingenieurin angestellt worden und konnte dort alles, was ich an beruflicher Qualifikation hatte, einbringen. 008 Jünger 00:00:01:404 Ich bin geboren 1938 in Stadtilm, das ist ein Städtchen zwischen Ilmenau und Weimar. Goethe ist damals zu seiner Zeit durch Stadtilm gereist und hat auch ein kleines Gedicht dort gedichtet und zwar "ich ging im Wald so for (sic) mich hin und nichts zu suchen war mein Sinn..." und so weiter. Erzähler Leo Jünger war einst technischer Direktor in der Margarethenhütte. 009 Jünger 00:00:25:371 (Fortsetzung von oben) Meine Eltern sind Arbeiter gewesen, die Mutter Fabrikarbeiter, der Vater ist Schuhmacher. Mein Vater ist... im Krieg gefallen. 010 Fleischer 01:34:21:997 Also ich bin Karin Fleischer,... ich bin aufgewachsen in Probstzella und bin bis zu meinem 14. Lebensjahr in Probstzella in die Oberschule gegangen. Erzähler Karin Fleischer verwaltet Telefon, Email und Kasse, sie ist die Seele des Vereins Museum Margarethenhütte. 011 Fleischer 01:37:45:680 Mein Vater war Hufschmied und hat dann umgesattelt auf Lokführer. Als ich dann da war, war er Lokführer, hat und meine Mutter ist Schneiderin oder war Schneiderin. Erzähler Dreißig Jahre haben die drei am Aufbau des Museums gearbeitet, um die Geschichte der Margarethenhütte zu erzählen. Und natürlich ihre eigene Geschichte. 012 Bernstein 00:09:41:799 Also ich war verantwortlich für das Glasieren, das also, das alles, was mit der Glasur zusammenhängt. Weißkontrolle, also die wurden vorher alle angeguckt, ob alles in Ordnung ist, das Glasieren, das Setzen, dass die also so auch gesetzt werden in diese Wagen, dass alles in Ordnung gehen kann. Das Brennen selber nicht, da gabs andere Leute dafür, und das Abladen wieder. 013 Fleischer 01:41:43:857 Ich habe dann angefangen hier in der Margarethenhütte als Entwicklungsingenieur.... Und ich kam in ein Forschungsprojekt mit rein, da wurde ein neuer Isolator erprobt, und ich musste den technologischen Ablauf ... verfolgen und die ganzen Daten sammeln. Und so habe ich den ganzen Betrieb kennengelernt und habe gleichzeitig die Keramik...fertigung... gelernt. 014 Jünger 00:22:48:260 ... später bin ich als Entwicklungsingenieur in die Forschung und Entwicklung gekommen und habe dann also ... die Gruppe Werkstoffe übernommen und habe dann angefangen, das Tonerde-Porzellan zu entwickeln in der Margarethenhütte. Das ist also praktisch so der Weltstand, Weltspitze gewesen zu dieser Zeit. 016 Jünger 00:36:16:152 Vor allen Dingen Abnehmer waren: die... SU, Schweden, die BRD, Österreich... Tschechei, Rumänien, um die Wesentlichen zu nennen. m die Wende herum hatten wir so ungefähr 80, 90 Prozent Export und davon waren knappe... 50 Prozent NSW-Export. Erzähler NSW hieß "Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet". Der heimliche König der Devisenbeschaffer, Alexander Schalck-Golodkowski, selbst soll sich um die Investitionen in der Margarethenhütte gekümmert haben. 017 Jünger 01:26:30:490 Ja, und dann haben wir ein AbdrehKarussell von der Firma Zeidler gekriegt, das AbdrehKarussell hat automatisch Ventilableiterporzellane... produziert und... Dann... sind weitere Kopier-Maschinen für Stützer geliefert worden. Und dann kam noch eine Innen- und AußenkopierMaschine.... Und die ist voll mikroelektronisch gesteuert gewesen. Man konnte eine ... Konstruktionszeichnung an die Seite hängen, da hätte er abgefahren und kopiert oder eben über Diskette mikroelektronisch gesteuert. Erzähler Für ihre Betriebsangehörigen war die Margarethenhütte mehr als nur eine Produktionsstätte. 018 Mhuette_2018 00:29:45:780 Kindergarten und die Kinderkrippe, diese Kombination, wurde ungefähr in den 70iger Jahren gebaut. (Knarren) Meine Kinder sind dort gegangen in die Kindereinrichtung. F Dann hatten wir Bungalows, also Ferienunterkünfte, am Stausee. Zwei Bungalows. J Zwei Bungalows hatten wir da, ja. Und dann hatten wir, das Sportlerheim gehörte ja im Prinzip auch zu uns, denn das hatten wir gebaut. Auch die Kegelbahn, unter meiner... R Friseur J Genau, Friseur.... mit zwei Kollegen sogar. R Und Kosmetik. Konnte man sich einen Termin holen. J Am Betriebseingang. Beim Pförtner rein. R Und dann waren sie hinten. 019 Mhuette_2018 00:33:51:598 F Ja, also in den Ferien sind die Kinder entweder im Hort gewesen oder im Ferienlager, und wenn sie zu Hause waren sind sie zum Essen her gekommen. 021 Mhuette_2018 00:29:19:338 F Na, die Küche, also die Kantine war wie ein Kaufladen. J wie ein Geschäft F da konnte man alles kaufen. 022 Mhuette_2018 00:29:33:894 J Vor allem wenn es Bananen gab, da stand die ganze Schlange davor 023 Mhuette_2018 00:31:28:439 tt R Ich meine... Wir hatten mal die Zahl, wieviel direkt am keramischen Produkt beschäftigt waren, das war etwa bloß ein Drittel... Erzähler Die Margarethenhütte stiftete Gemeinschaft unter den Betriebsangehörigen und ihren Familien, mit Sportfesten und Brigadefeiern, Frauentag, Patenklassen in den Schulen der Umgebung, mit sozialistischem Wettbewerb und Planerfüllung, Neuererbewegung und Aktivistenauszeichnungen, mit dem gemeinsamen Demonstrieren am 1. Mai und der Bratwurst am Republikgeburtstag. Manchen war das zu viel Gemeinschaft, aber den meisten war es ein Stück Heimat. 025 Bernstein 00:29:41:857 Dieser Fall der Mauer war ja für alle überraschend. Ich habe das ja auch verpennt. Ich habe das gar nicht mitgekriegt. Aber dass das Ganze auseinander diffundiert, das war ja zu spüren. Erzähler Im April und Juni 1990 wurde das Kombinat "VEB Keramische Werke Hermsdorf" - und damit als einer von insgesamt 19 Kombinatsbetrieben die Margarethenhütte - privatisiert und zur "Tridelta Aktiengesellschaft" umgewandelt, mit der Treuhand als einziger Aktionärin. 027 Mhuette_2018 01:11:43:971 J N nach der Währungsunion ist der ganze Ostmarkt weggebrochen... (01:12:10:161) aber wir hatten natürlich auch andere Abnehmer in der Bundesrepublik, in der alten, Österreich und in anderen Ländern, Schweden vor allem. Und das ist ja dann weitergelaufen. 029 Scheunert 01:56:05:879 Ja, sie hatten Arbeit, ja, sie hatten Aufträge, sie haben Exportaufträge gehabt. Aber nur unter den Bedingungen weil die DDR ein gnadenloser Dumping Teilnehmer war. Die haben alle Preise unterboten. Erzähler Detlef Scheunert war damals Direktor der Treuhand, der einzige übrigens aus dem Osten, in der Treuhandspitze zuständig für Keramik. Er kennt die Margarethenhütte gut, auch wenn die aus speziellen Gründen dem Bereich Elektro zugeordnet wurde. 030 Scheunert 00:36:27:419 ... Ja, ich bin äh am 1. September 90 zur Treuhand gekommen. 031 Scheunert 00:37:38:323 Ich hatte, ja wie sagt man so, das Glück gehabt, zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle zu sein... Ganz viele Ostdeutsche würden jetzt wahrscheinlich ...aufstöhnen, wie kann der sagen an der richtigen Stelle gewesen zu sein, Treuhand... Ja, aber ich, ich war 30. Was hatte ich? Ich hatte eine junge Familie, zwei kleine Kinder und meine Frau. Ich fühlte mich intelligent, stark, ich wollte Herausforderungen, so fühlte ich mich, ein junger Mann, Du willst die Welt einreißen. Erzähler Der von der Volkskammer und vom Bundestag beschlossene Auftrag der Treuhand lautete, die etwa 8500 volkseigenen Betriebe mit 4 Millionen Beschäftigten so schnell wie möglich zu privatisieren, wo möglich zu sanieren und wo nicht, stillzulegen. 032 Scheunert 01:58:19:256 (mit Vogel im Hintergrund) ... spätestens am 1. Juli 1990, mit der Einführung der D-Mark... haben sich die Kosten ...vervierfacht. Weil nämlich plötzlich DDR-Mark D-Mark war und das war ja eine faktische Aufwertung. Erzähler Die Tridelta AG reagierte im September 1990 auf die Verluste mit einem Sanierungskonzept, das die Ausgliederung unrentabler Betriebe und den Börsengang vorsah. Von den drei elektrokeramischen Betrieben in Hermsdorf, Sonneberg und Großdubrau sollte mindestens einer abgewickelt werden. 033 Bernstein 00:46:52:859 diese Mitteilung dann im am 5. Dezember 90, dass wir stillgelegt werden. Dieser Beschluß. Das habe ich echt nicht begriffen... Das muss ich sagen, da war ich völlig überfordert. 034 Jünger 01:41:44:607 Da wurde eine Versammlung einberufen....Und da hat der Generaldirektor vor der gesamten Belegschaft verkündet, dass Schluss gemacht wird... Kam angereist und hat verkündet, dass wir kein Elektroporzellan mehr produzieren dürfen. Erzähler Gerade noch hatten sich die Margarethenhüttler mit ihrem Knowhow und den modernen Maschinen auf der Siegerseite gewähnt. 004 Jünger 01:42:24:513 (haut mit der Hand auf den Tisch, leider auf allen Spuren gleich :-() Da kam eine Kommiss... eine Truppe von Sonneberg und wollte aus dem Betrieb die Maschinen rausnehmen, die hochproduktiven Maschinen. 005 Jünger 01:42:42:094 Wir hatten ja moderne Siebtechnik und alle mögliche drin (wummst) und da sind wir vors Tor gezogen und haben demonstriert. 006 Mhuette_2018 01:19:12:001 R Die haben uns bei der D-Mark Eröffnungsbilanz, das war nochmal der nächste.... die haben uns die wichtigsten Maschinen gestohlen. Sagen wir jetzt mal. Die sagen natürlich die gehören uns. (Papierrascheln) Die gehören ja nicht den Arbeitern in Großdubrau gehören die ja nicht, sondern der Tridelta AG. 035 Scheunert 01:31:32:270 Was ist der Begriff Volkseigentum eigentlich? Das war die Diskussion, hab ich ja in der Volkskammer auch mitgehört. Was ist das eigentlich, Volkseigentum? Das war ja ein Propaganda Begriff der DDR. Dem Volk zu suggerieren, dem Arbeiter und Bauern: Ihr seid Eigentümer, das sind nicht mehr die Kapitalisten... das gehört den Menschen, den Arbeitern, Bauern. Das war die naive Vision. 036 Scheunert 01:37:49:558 ... Es war das Eigentum der AG. Das war ein... rechtlich sauberer Griff, dass sie das geholt haben. Auch die Gelder abzuziehen, das war nach westdeutschen Maßstäben AG-Recht, Aktienrecht, sauber. Natürlich, moralisch, politisch, von den Menschen kaum zu ertragen und kaum zu verstehen. Erzähler Aufgewertet worden waren bei der Währungsumstellung nicht nur die Kosten der Arbeit, sondern auch die alten Schulden. 037 Mhuette_2018 01:19:29:627 Und... Wir warn außerdem (Papierrascheln und J dazwischen) Wir waren außerdem ein, ein, wie sagt man, so ein Betrieb mit einer negativen Bilanz, bilanziert war. J Hier diese kleine, die hab ich noch erarbeitet. Ich hab auch die Liste mit sogar. Wir haben also in diesen Jahren, das sind so ungefähr 130 -150 Millionen gewesen, in die Rekonstruktion gesteckt. Erzähler Die volkseigenen Betriebe hatten sämtliche Gewinne abzuführen. Investitionsmittel bekamen sie zugewiesen - meist als Kredite der Staatsbank. 038 Scheunert 01:39:23:538 Der Staat hat dem Betrieb einen Kredit geben. Er musste dafür die Planauflagen... Du musst Klodeckel herstellen. Dafür brauchst du so und so viel, also kriegst du hier einen Kredit, da kannste Maschinen kaufen und Material kaufen und so weiter. 039 Scheunert 01:40:01:654 Da waren also diese Finanzierungsinstrumente der Staatsbank plötzlich natürlich Verbindlichkeiten entstanden. Und da warens dann natürlich Schulden. 040 Mhuette_2018 01:19:56:918 (Fortsetzung von 006 Mhuette_2018 oben) Und natürlich immer mit den Hintergedanken, wir machen Export und Produktion und das wird im Laufe der nächsten halben oder Jahrzehnts abgearbeitet. Und dann wird es amortisiert. Aber... Dann kam die Wende und dann haben sie gesagt: Na, Ihr habt ja Schulden, raus mit den Maschinen, ihr müsst die Maschinen rausgeben, um eure Schulden zu begleichen, das kam noch dazu. 041 Scheunert 01:40:15:820 Es war eine lange Zeit ne Diskussion, ein Strich zu machen und zu sagen mit der DDR sind diese Schulden auch verschwunden. Und es wäre eine große große Erleichterung gewesen, gerade für die, für das Sich-Freischwimmen der Betriebe, dass sie ohne Schulden in die neue Zeit gegangen wären. Erzähler Diese Schulden in Milliardenhöhe wurden später von sechs Großbanken, unter anderem der Deutschen Bank, für ein paar Millionen aufgekauft und eingetrieben. Nein, so einfach war es natürlich nicht, denn manchmal waren Schuldner ja pleite, abgewickelt, aufgelöst. Dann sprangen Bund und Treuhand ein, was den Steuerzahler 98 Milliarden kostete3. 042 Betriebsvers (Betriebsversammlung Margarethenhütte), 00:12:20:7724 Vorneweg möchte ich erstmal meinen ganz herzlichen Dank an alle Arbeitnehmer ausdrücken, die unserem Aufruf gefolgt sind und hier vor dem Tor gestanden haben. Ich muss sagen, wirklich Hochachtung zollen. Erzähler Ein Kassettenmitschnitt der letzten Betriebsversammlung am 19. Juni 1991. Am Tag zuvor hatten die Margarethenhüttler versucht, mit der Blockade des Tores den Abtransport der Maschinen nach Sonneberg zu stoppen. Da war der Betriebsratsvorsitzende gerade in Berlin bei der Treuhand, um den Sozialplan zu verhandeln. Genützt hat es nicht viel, außer dass die Treuhand einen Zusatz auf die Abstandszahlungen gewährte. 043 Betriebsversammlung 01:01:24:432 (Peter: 001) (Betriebsratsvorsitzender) Denn, ich muss es so sagen, ab, ab den Montag oder ab heute oder ab Morgen, ist ja egal, haben wir als Betriebsrat keine Macht mehr die Maschinen hier im Betrieb zu lassen, das heißt ganz eindeutig, als Betriebsrat müssen wir die Hosen runterlassen, es wird hier, das hat die Tridelta beschlossen, das hat die Treuhand beschlossen, nie wieder Elektroporzellan gefertigt. Haben sie eindeutig zu uns gesagt. Es wird nie wieder Elektroporzellan gefertigt... Erzähler Gutachter von Tridelta und Treuhand waren zu dem Schluss gekommen, dass die Margarethenhütte die schlechtesten Voraussetzungen für eine Sanierung mitbringe. 044 Jünger 00:20:53:266 In Sonneberg hatte man 1962/63, das war noch während meiner Studienzeit, ein neues Porzellanwerk gebaut.... Und das waren so drei oder vier so große Hallen. Die war also der Fluss drin. ...Wenn man so will, das ging von der Masseaufbereitung bis zur Tunnelofen und Endfertigung, also das, was die Margarethenhütte nicht hatte. Die hatte alles son verbautes Werk insgesamt, äh, weil da immer wieder was dazugebaut worden ist und wo eine Lücke war wurde was eingebaut, ja. Erzähler Dazu kamen Umwelt- und Bergschäden mit unkalkulierbaren Folgekosten und die schon erwähnten Schulden in Höhe von 30 Millionen D-Mark. Mit einem Übertragungs- und Abtretungsvertrag verschob die Tridelta zum 1. Juli 1991 das alles an die Treuhandanstalt, Abteilung Abwicklung, also genau genommen an den Steuerzahler. 046a Betriebsvers 01:02:37:859/ 046b Betriebsvers Bearbeitung Picaro (Betriebsratsvorsitzender) Und deswegen sollt Ihr Verständnis haben, und diese Demontage, der einzelnen Maschinen, das heißt keine Volldemontage, das heißt die Presse geht weg, die siebenundfuffzjer Presse geht weg, der Automat, tja, ich weeß nicht was die mit den alten Köppel machen, der Automat, der AKB weg. . Das wars erstmal. 047 Bernstein 00:47:18:827 Für mich war die Konsequenz: Ich musste jetzt nicht mehr in Betrieb. Ich habe mein Geld auch so gekriegt, wir hatten ja Kurzarbeit Null bis Juni 91 und nu, nu, meine Ehe war sowieso grade so sehr am Kriseln... und es war alles so im Kriseln und da habe ich das als dankbar angenommen und bin zu Hause geblieben 048 Mhuette_2018 01:48:14:465 F wir sind ja 1990 in... J 91 F Nee 90. J Du bist vorher entlassen worden, ge? F Nein, nicht entlassen worden, na wasn nun, diese Arbeits (durcheinander) Kurzarbeit null Stunden... und das ging bis 1991, bis zum Juni. Ich wollte aber meine (lacht) Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern und habe schon im April angefangen den ersten Lehrgang, dann war der vorbei. Dann habe ich den nächsten Lehrgang bekommen. Das war Betriebswirtschaft. Dann war der vorbei. Was kam denn dann? als nächstes? War das Wasserbau und Stadtentwässerung? G ja, da war ich auch F Wasserbau und Stadtentwicklung. Das war ein Jahr und ein Jahr Praktikum.... 049 Jünger 01:52:23:187 Ja, und da habe ich dann .... paar Monate oder paar Wochen Arbeitslosigkeit bezogen. Und dann habe ich... mir gesagt das geht nicht so weiter.... Und da hab ich einen Anpassungslehrgang für Bauingenieure gemacht...Der ging so ein und ein Vierteljahr.... Und wieder Arbeitslosigkeit hinterher. Erzähler Die Treuhand war mit der Aufgabe, Investoren und eine wie auch immer geartete Zukunft für die Margarethenhütte zu finden, restlos überfordert, angesichts Tausender ehemaliger VEB mit ähnlichen Schicksalen. Man war schon zufrieden, wenn irgendein Westunternehmer mit irgendeiner Idee kam. 050 Mhuette_2018 01:37:15:777 R ... Dann gab's zum Schluss einen Herrn Zimmermann, der dann sogar ankam mit technischen Zeichnungen von nem Isolator. Ob wir das machen können. Also ich hatte dort schon so eher das Gefühl, die sind eigentlich da um zu kontrollieren, was machen die Keramiker. Und am Ende war das... für mich, wie die sich benommen haben, also die haben abgeschöpft, was man abschöpfen kann. Also zum Beispiel einen transportablen Panzerschrank, wo unsere Vereinskasse drin war, das Versatzbuch vom Herrn Kogel, der hier der Werkstoffkopf war J und da war noch drinne... die Lizenzunterlagen, wo wir Unterschriften geben mussten dem Patentinhaber, dass das nur bei uns bleibt und nicht weiter gegeben wird, haben sie mit geklaut.... 111 Mhuette_2018 01:38:38:689 R Wir sind eben auch nicht Manns genug, wir hätten dem die Reifen zerstechen müssen, dass der nicht weiterfahren kann. Das macht man aber nicht. Wenn da jemand sitzt, der vielleicht mal der Chef werden könnte, aber das ist eben das absurde. 051 Scheunert 01:30:05:131 Ja und das Schlimmste war die Geschichte mit dem Tresor, wo unser ganzes Wissen drin war. Und da kamen die und haben das mitgenommen, und haben das gestohlen, unser Ganzes, die haben die weggenommen und so weiter. (01:32:07:301) Da hat die Frau im Inneren ganz klar heute noch das drin: "Das gehörte doch uns. Wir waren doch die Arbeiter und Bauern." Aber dass das eine Propaganda-Erfindung der Partei war... Wem gehörte denn das? Es gab ja die juristische Kategorie nicht, es gab zwar, es wurde dieses Kunstprodukt Volkseigentum geschaffen, aber was gab es?... Es gab einen Staat... und der Staat wurde dominiert durch eine Partei. Erzähler Dieser Staat war nun weg, und was von ihm zu berichten war, tropfte stinkend aus geöffneten Stasi-Akten. Das Problem für die Margarethenhüttler: Ihre Geschichte war das nicht. Und auch die bundesdeutsche Geschichte war nicht ihre. Sie hatten ihre Erinnerungen, aber die wollte keiner hören. 053 Mhuette_2018 01:58:09:496 R: ... Ich seh uns noch auf der Veranda sitzen, heißer Julitag, ham sie mir erzählt, was hier abgelaufen ist. Ich hatte schon abgeschlossen mit dem ganzen hier... Und da habe ich gesagt: da müssen wir einen Verein gründen. Das ist die einzige Möglichkeit. Dass wir überhaupt eine Stimme haben. Wir können nicht hier als Frau Bernstein oder Herr Kogel sagen: lass mal die Hütte stehen. Da haben wir beschlossen wir gründen einen Verein. Hammer das also gemacht und haben am Anfang den Leuten eben versprochen, dass es hier ja Arbeitsplätze geben wird. Das war unser Kampfziel. Wir haben was von 400, die Zahlen waren uns zuerst.... Wir waren ja über 800 Beschäftigte und... 055 Mhuette_2018 01:59:37:136 J: Nicht ganz. R: Doch natürlich... J: Im Statut haben wir drin, dass wir die Historie pflegen und dass wir uns mit bemühen um Arbeitsplätze... R: also im ersten Statut war drin ein Vereinszimmer oder Traditionszimmer stand bei uns in der Satzung... J: Und das Vereinszimmer, das stimmt auch... Erzähler Die Museumsgründung war für die Beteiligten mehr als Hobby oder Vereinsmeierei, sie war ein Rettungsring in schwerer See. Was niemand mehr haben wollte, wurde hier gesammelt und bekam einen Platz in der Geschichte, die von denen erzählt wurde, die selbst keinen Platz in der Geschichte mehr haben sollten. 105 Mhuette_2018 02:00:35:240 R: Hier war auch das Dach kaputt, das war ja alles durchgeregnet und verschimmelt. Und dann haben wir dann angefangen mit ABM, wir hatten fünf ABMs, und haben Stück für Stück angefangen zu sortieren, also sie, den Müll raus, zu reparieren, das nun auch schon 20 Jahre. 056_1 Mhuette_2018 01:23:49:423 Na ich bin dann ab August oder September in ABM beschäftigt worden, mit anderen auch und da kam dieser Werner Schulz, das ist für mich der Retter der Margarethenhütte, der Werner Schulz von Bündnis 90 die Grünen (Unruhe). Erzähler Werner Schulz stammt aus Zwickau und wurde am 2. Dezember 1990 in den Bundestag gewählt. Im September darauf kam er nach Großdubrau. 058_1 Werner Schulz 00:11:56:676 Ja und Margarethenhütte, das war auf einer Reise durch die Lausitz... haben mich Freunde darauf aufmerksam gemacht, dass da ne ganz schlimme Sache läuft. Also ein relativ moderner Betrieb mit Schweizer Maschinen und Anlagen... 058_2 Werner Schulz (Fortsetzung) Maschinen und Anlagen, die bisher überwiegend für den Export gearbeitet haben, also durchaus Weltniveau hatten, die Produkte, und konkurrenzfähig sind und trotzdem in arge Schwierigkeiten kommen, weil im Grunde genommen sie in so einer Warteschleife hängt. Und niemand so richtig weiß, was da abläuft. Also sie selbst waren nicht mehr bewegungsfähig, weil sie wurden von der Treuhand verwaltet, die Treuhand hat sie verschaukelt, es ging um Verkauf, Privatisierung, man kannte das. Dann sind praktisch die Interessenten durch diese Betriebe gelaufen, haben sich das angeguckt, haben die Kundenkartei mitgenommen, die Patente, oder das, was man als Werks-Spionage eigentlich bezeichnen müsste, ist dann abgelaufen. Und dann habe ich mit den Leuten in der Margarethenhütte Kontakt aufgenommen, hab die besucht, habe mit den geredet und versucht irgendwas zu machen, um ihnen zu helfen. Erzähler Unter all den bitteren Schicksalen, von denen Werner Schulz auf seiner Reise hörte, war die Margarethenhütte das typischste. 063 Schulz 00:13:30:353 Wir haben am Beispiel der Margarethenhütte, oder unter anderem verschiedene andere Fragen noch mit untergebracht, klar. Das war nach dieser Reise einfach fällig, dass man die Eindrücke und die Erkenntnisse dann entsprechend parlamentarisch verarbeitet. Erzähler Im Oktober 1991. 35 Fragen insgesamt. Sprecher Frage: Wann und auf welcher Grundlage ist eine Entscheidung über die Liquidation der Elektroporzellan "Margarethenhütte" Großdubrau GmbH getroffen worden? Wann und auf welchem Wege wurde die Belegschaft über diese Entscheidung in Kenntnis gesetzt? Sprecherin Antwort: Die Stillegung wurde bereits im Dezember 1990 einvernehmlich mit den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat der Tridelta AG und dem Betriebsrat der "Margarethenhütte" beschlossen. Die Belegschaft war damit bereits zum frühestmöglichen Zeitpunkt über die Entscheidung informiert. 064 Mhuette_2018 01:25:13:783 Da sind wir zu dritt dort in Bonn im Wasserwerk gewesen, absurd für mich, dass ich dort im Wasserwerk sitze und mir eine Debatte des Bundestags anhöre, und es war wirklich ein... schrecklich als das Thema Margarethenhütte also diskutiert wurde. Es waren Entschließungsanträge, dass die ein Untersuchungsausschuss zur Arbeit der Treuhand gebildet wird, das ist natürlich abgeschmettert worden, ne, also 065 Schulz 00:13:48:185 Aber wir waren natürlich in einer schwachen Situation, in der Opposition, wir waren eine kleine Gruppe, acht Abgeordnete. Ich war in X Ausschüssen, das war eine totale Überforderung. Und wir sind natürlich weggewischt worden. Also die Bundesregierung hat sich im Grunde genommen eigentlich nicht um diese Treuhand gekümmert. Rohwedder und später Birgit Breuel hatten freie Hand, also von "Treuhand" war nicht zu reden, die hatten freie Hand da zu machen, was sie für richtig hielten. Es ging drunter und drüber. Und es ging vor allen Dingen nur darum, möglichst schnell den ganzen Bettel loszuwerden und zu verkaufen, egal wie und was es kostet und was es bringt, möglichst schnell weg. Erzähler Immerhin wurde nach der Debatte im Bundestag ein Liquidator eingesetzt, der einzelne Gebäude und Grundstücke der Margarethenhütte an interessierte Handwerker und Betriebe übertragen konnte. 055 Mhuette_2018 02:00:20:815 dieser Dr. Fuchs, der letzte Liquidator, hat also dann die Bedingung mit dran geknüpft, dass wir als Verein diesen Teil kriegen und das Museum bauen können. Erzähler Nach der Trennung von ihrem Mann erwog Regina Bernstein ernsthaft wegzugehen, alle Brücken hinter sich abzubrechen und ein neues Leben anzufangen. 068 Bernstein 00:38:53:269 Mich hat (lacht) mich hat dieses vereinigte Deutschland Nerven gekostet. Was ich wollte ging gar nicht und (00:43:07:913) dieses Venezuela da war für mich ein Anker erstmal. Wie man so sagt. Ich hab so gesagt: Wenn Du dort... Das hat mich schon immer gereizt, mal woanders hinzugehen. Habe ich zwar nie gemacht. Bis jetzt, aber.... (00:44:00:210)5 Und dann ist aber daraus nichts geworden . Erzähler Aber die Arbeitslosenrate in Großdubrau war hoch. Wer Glück hatte, bekam einen Lehrgang oder eine ABM; wer konnte, ging in den Westen. 071 Bernstein 00:39:29:109 Da hatte ich Glück. Da war also gerade in Bautzen dieser Start von diesem Pave, also ein Projekt, wo Frauen in die Selbstständigkeit geführt werden. Das war eine Frau aus Köln (oben) die dort so Unternehmensberatung machte... (00:41:47:051) Die hat mich nicht nach Hause gelassen. Ich habe dort am Tisch gesessen, mit Stift und Zettel, und musste aufschreiben, was ich alles gut kann... Da hab ich lange gegrübelt. Erzähler Die Starthilfe ermutigte Regina Bernstein, sich als Töpferin selbstständig zu machen. 073 Bernstein 00:42:24:130 Ich weiß nicht. Ich bin allein nicht auf die Idee gekommen, dass ich möglicherweise nicht bloß das kann, was jetzt keiner mehr braucht. 074 Mhuette_2018 01:57:15:052 Nun bin ich schon seit 25 Jahren selbst ständig, am 6. Dezember sind es schon 25 Jahre. J bist du schon ein kleiner Kapitalist R und wie (Gelächter) 075 Mhuette_2018 01:49:27:093 F Ja, und nach dem Praktikum hab ich... im Biosphärenreservat Oberlausitzer Seen- und Teichlandschaft gearbeitet als Büroleiterin in dem Förderverein. Dann haben die kein Geld mehr gekriegt... Und da war ich dann wieder weg. ...bin wieder aufs Arbeitsamt, musste ich den nächsten Lehrgang machen. Was war das gleich gewesen? Netzwerk und Controlling-Manager... Ich weiß nicht mehr wie lange das war. Aber jedenfalls war ein Praktikum dabei. 077 Mhuette_2018 01:52:42:629 Und so ging das ja weiter, mein Geld wurde immer weniger. Und da habe ich mir was gesucht... Und da gabs eine von der ESF geförderte Maßnahme ... Und zwar bekam man für jeden Tag, den man bei diesem Lehrgang war, fünf Euro. Als Aufwandsentschädigung... Ich bin mit meinem Fahrrad nach Bautzen geradelt und habe das Geld gespart. Und so. Also ich habe einen richtigen Abschluss ...Also ich bin Steuerfachfrau, Fachgehilfin. R Hm. 076 Jünger 01:53:35:406 Also ungefähr 30 bis 35 Anfragen. Alles nichts genutzt. Und da habe ich mir gedacht, wenn das nicht geht. Machste nochmal einen Lehrgang. Da habe ich einen Lehrgang, Anpassungslehrgang für Immobilienwirtschaft gemacht. 078 Fleischer 01:56:45:177 Wir haben auch nach der Wende nie wieder Urlaub gemacht? Das war alles. Ich war ja dann arbeitslos. Du bist immer abhängig vom Arbeitsamt. Du wusstest nicht: Kannst Du jetzt fahren, kannst du nicht fahren? Das war alles.... Das schwebte alles so in der Luft. 079 Jünger 01:53:52:773 Und da war ich dann aber in so einem Alter... nicht weit von der 60 weg. Und da hab ich dann zwischendurch noch zum Liquidator... gesagt ich brauche da nochmal paar Monate Arbeit. Habt Ihr nicht noch irgendwie im Liquidationsteam? Ja, Sie können dort, sind ein Haufen Literatur und Zeug aus der Technologie. Sortieren Sie das, schmeißen Sie weg, was doppelt ist. Und da hab ich mich also nochmal, ich glaub vier oder fünf Monate dort beschäftigt und habe sie in Kisten gepackt. Die Kisten stehen jetzt im Museum. Die können also dann mal unsere Nachfolger mal sichten, was sie alles so rauskriegen noch. 082 Fleischer 02:19:43:369 Ich sitze nicht gerne zu Hause... ? Ich kann den Leuten zeigen, was hier aufgebaut wurde. Ich tu gern forschen, also historische Sachen. Wo wir ja hier die Schränke voll haben von Unterlagen. Erzähler Je mehr ich über das Museum erfahre, desto deutlicher wird, dass die ehemaligen Mitarbeiter sich ihre Margarethenhütte angeeignet haben wie das zu ihren Betriebszeiten nie möglich gewesen wäre - weil damals andere, Mächtigere über die Deutung der Geschichte entschieden. 087 Fleischer 02:23:06:444 Ich bin nicht so kommunikativ, aber wenn ich jemanden treffe, den ich kenne, sag ich auch: Du kannst du auch mal ins Museum kommen. Die sagen dann "Da geh ich nie wieder hin" oder sagen Ja, ich komme auch mal, aber hm... Erzähler Es gibt sie, die ehemaligen Margarethenhüttler, die um die Ecke wohnen und noch nie im Museum waren. Sie haben das Erzählen nicht gelernt und bleiben stumm in ihrem Schmerz, nicht gebraucht zu werden und nicht dazuzugehören in dieser immer noch sehr westdeutschen Bundesrepublik. 088 Mhuette_2018 02:37:46:576 R Das ist eine Konsequenz aus der Politik von vor 25 Jahren. Dass man diese Unzufriedenheit, die... Also die haben alle Arbeit, die haben alle ein Häuschen oder, die sind materiell abgesichert. Das geht aber um diese Verletzungen... Und deswegen hab ich auch damals, als diese Anfrage war, haben wir gesagt: jawohl die Frau Köpping soll herkommen. Wir wollen das anfangen und deswegen bin ich auch heute hier obwohl ich eigentlich was anderes machen müsste, ne? 089 Koepping (Stereo-Aufnahme) 00:04:38:532 Wer redet denn gerne drüber, dass irgendwo was nicht gelungen ist, dass man vielleicht zwei Jahre arbeitslos war oder sowas. Das ist ja nun nicht eine Erfolgsgeschichte für einen selber. Insofern redet man natürlich in Familie nicht so gerne drüber, aber wenn man merkt wir sind doch viele und uns betrifft das und ich bin auch nicht schuld daran, dass das so gewesen ist. Wenn eine Firma zugemacht hat wenn ein Betrieb zugemacht hat, war ich nicht schuld. Erzähler Um das Reden ging es Petra Köpping, SPD-Ministerin in der Landesregierung Sachsen, auf ihren zahlreichen Reisen und Veranstaltungen vor den Bundestagswahlen 2017, bei denen Frauen sich den Frust von der Seele schimpften und Männer vor laufenden Kameras weinten. Vielleicht auch ein bisschen um politische Profilierung. 090 Koepping 00:00:22:806 Naja, das erste, was mich dazu getrieben hat, war eigentlich, dass ich sehr viel als Integrationsministerin in Sachsen unterwegs war zum Thema Flüchtlinge Integration, was ja für Sachsen ein relativ neues Thema war 2015. ... Und immer wenn ich über die Integration gesprochen habe, haben die Leute mich so schräg angeguckt, wie man so schön sagt, und haben gesagt: also Frau Köpping, sie mit ihren Flüchtlingen, integrieren Sie gefälligst erst mal uns. Erzähler Am 18. Juni 2017 war Petra Köpping auch in der Margarethenhütte, am 26. Jahrestag der Demonstration vor dem Werkstor, als der Abtransport der Maschinen verhindert werden sollte. Leider gibt es von der Veranstaltung keinen Mitschnitt, aber Petra Köpping berichtet von diesem Abend in ihrem Buch "Integriert doch erstmal uns": Sprecherin Die ehemaligen Ingenieure erzählten mir, wie nachts die wichtigsten Betriebsunterlagen und Porzellan-Rezepturen sowie die letzten Mitarbeiterlöhne samt Tresor weggeschleppt und auch die wichtigsten Maschinen ausgebaut wurden. Ich kann nur wie die ganze Belegschaft vermuten: das geschah zugunsten der Konkurrenz. Erzähler Das Presseecho auf die Geschichte von den nachts geklauten Maschinen und dem Panzerschrank war enorm. Die FAZ brachte eine ganze Seite, das ZDF drehte in Großdubrau für einen Film über die Treuhand. So ist das, wenn ein Profi wie die Ministerin Geschichten erzählt und die Presse sie ungeprüft kolportiert. 091 Bernstein 01:25:23:869 Bei Frau Köpping sind da sogar die Lohnlisten reingeraten, dieses Lohngeld da reingeraten, die waren da nie drinne... Die Kollegen, die weiter gearbeitet haben, dann ab März. Die haben ja nun eingebüßt. Ja, aber nicht durch den Panzerschrank. Unsere Vereinskasse war drin, Bargeld lag da drin vom Verein, also haben sich Dinge verselbständigt und sind Dinge zusammen geraten, die überhaupt nicht zusammengehören. 094 Bernstein 00:55:29:778 Ich habe dann den Herrn Kogel gefragt... Bernd, ich erzähl Dir mal, wie was ich in Erinnerung habe und Du sagst mal wie es war. Also. Der Herr Kogel, was war unser Werkstoff-Mensch, der hat einen kleinen Panzerschrank in seinem Büro...Und dann hat wohl der Herr Kogel den einen Morgen gesehen, dass sein Panzerschrank weg ist. So ist es jetzt gewesen, sagt der Herr Kogel. Und da hat ihn- wir hatten damals noch einen Wachdienst - ein Pförtner hat ihm gesagt, dass der Herr Zimmermann mit dem Panzerschrank im Auto rausgefahren ist. Wir haben das weder gesehen noch die Polizei geholt, noch war irgendwas. Wenn der Pförtner das nicht uns gesagt hätte, wüssten mans gar nicht. Erzähler Noch zwei Jahre später kochte die Geschichte von den geklauten Maschinen wieder hoch. Der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats zur Aufarbeitung der Treuhandgeschichte Richard Schröder in einem DLF-Interview: 095 DLF_Adler 00:09:10:004 (Richard Schröder) Die Maschinen sind nicht nach Westen transportiert worden, sondern nach Sonneberg in Thüringen, wo sie weiterhin Elektro-Porzellan produzieren. Das heißt, der Westdeutsche, der die Leute angeblich um ihren Arbeitsplatz, und wie sie behauptet, um ihre Lebensleistung betrogen hat, den gab's überhaupt nicht. Erzähler Genau genommen hatte das auch niemand behauptet, aber es gab diese Geschichte natürlich hundertfach und man konnte die Erzählungen über die Margarethenhütte so verstehen wie Petra Köpping sie verstanden haben wollte. Es passte einfach gut in den Diskurs. 096 Mhuette_2018 02:40:33:272 Wir haben jetzt diese tolle Ausstellung gehabt im Wasserturm: 675 Jahre Großdubrau wurde gefeiert. Frau Fleischer hatte die Idee und hat das realisiert, dass die Geschichte vom Ort Großdubrau dort in der Ausstellung zu sehen war. Da sind Schulklassen durchgekommen. Also es ist... da ist unsere Arbeit auch in dieser Richtung, denke ich, fruchtbar. Erzähler Regina Bernstein, Leo Jünger und Karin Fleischer erzählen vielleicht nicht sehr laut, aber ihr Erzählen ist selbst eine Geschichte von Ausdauer, Neugier und ein bisschen Trotz. 098 Bernstein 01:05:25:529 Es hält mich in Bewegung. Es, na, diese Aufgabe jetzt, die ich übernommen habe Interviews zu machen mit den Kollegen. 100 Fleischer 02:22:05:139 Ich habe bloß den Eindruck, ja, so langsam tauen die Menschen in Großdubrau auch auf. Es kommt jetzt öfter mal jemand, der hier gearbeitet hat, kommt mal nachgucken. Wahrscheinlich auch über die Schüler in der Schule, also über die Enkelkinder. Denn in jeder fünften Klasse wird am Anfang hier ein Rundgang im Museum gemacht. Und wir machen Ferien-Angebote, wo die Kinder dann auch mit ihren Omas, Opas oder Eltern kommen. Es ist schon...ja... besser geworden. 101 Bernstein 01:09:06:979 Na, 2017, als diese Podiumsdiskussion mit Frau Köpping war. Da hab ich ja gemerkt, wie schlecht es mir eigentlich geht, dass ich im Grunde noch gar nicht fertig bin mit diesem ganzen Thema. Und das hat sich für mich jetzt sehr geklärt. Ich bin bei weitem nicht mehr so erregt und nicht mehr so... hat sich alles schön gesetzt, und ich glaube, das geht anderen auch so... Erzähler Das erste Leben der Margarethenhütte dauerte nur 11 Jahre, dann war sie 1863 schon wieder pleite. Mit der aufkommenden Elektroindustrie begann ihr zweites Leben und sie entwickelte sich zu einem der weltweit führenden Produzenten für Elektrokeramik. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Maschinen demontiert und wieder nur noch Teller hergestellt. Das dritte Leben der Margarethenhütte begann mit dem Wiederaufbau 1947, ein viertes Leben mit der Modernisierung nach der Erdölkrise, als die DDR ihre Energieversorgung auf Braunkohle umstellte. Mit der Wende wuchs die Hoffung auf ein ganz neues Leben, aber dieses fünfte nach meiner Zählung, war zu Ende bevor es richtig begann. Im sechsten Leben schrumpfte die Margarethenhütte. Im siebten Leben geben 10 Firmen 70 Menschen Arbeit und Regina, Karin und Leo schreiben weiter an der Geschichte für ihre Kinder und Enkel. 103 Mhuette_2018 02:03:14:389 R Hier abhauen. Ja klar. Jetzt habe ich erst wieder in meinem Töpferblatt gelesen: es werden dringend Töpfer gesucht in Afrika in einer Werkstatt, wo Menschen, die blind sind, töpfern. Ich hätte schon Lust mal ein Jahr lang nach Afrika zu gehen. Ich werde es aber nicht tun. Absage: Die sieben Leben der Margarethenhütte - eine ostdeutsche Industriegeschichte. Ein Feature von Holger Siemann Es sprachen Kathrin Baumhöfer, Gregor Höppner und Jodokus Krämer Ton und Technik Christoph Bette Regie Claudia Kattanek Redaktion Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks 2020 1 R in Mhuette_2018 = Regina Bernstein 2 J in Mhuette_2018 = Leo Jünger 3http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/13/050/1305064.asc, als PDF: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/13/050/1305064.pdf oder zusammengefasst: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9223499.html 4 das Original ist eine Kassettenaufnahme von 1991 mit sehr historischer Anmutung --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 3