Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Die Jägerin Eine Frau gegen die brutalsten Menschenhändler der Welt Folge 4: Doch noch Gerechtigkeit? Autoren: Lucia Heisterkamp und Paul Hildebrandt Regie: Philippe Brühl Redaktion: Christiane Habermalz Produktion: Deutschlandfunk/NDR 2022 Erstsendung: Dienstag, 02.08.2022, 19.15 Uhr Es sprachen: Louis Ferdinand Thiele, Claudia Mischke, Lisa Bihl, Daniel Berger, Andreas Potulski, Hüseyin Michael Cirpici, David Vormweg und die Autoren Ton und Technik: Thomas Widdig Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Teil 4: Doch noch Gerechtigkeit? Musik 01 Atmo: Shopping Mall, leise Musik, Gespräch Autorin Eine Shopping Mall am Rande der Stockholmer Innenstadt im Januar dieses Jahres. Lichterketten hängen von der Decke, der Steinboden ist blank poliert. Über eine Rolltreppe kommt Meron Estefanos nach oben gefahren. Eben hat sie ihr tägliches Sportprogramm beendet: Warm-up, ein paar Kraftübungen, dann Gewichte stemmen, 60 Kilo. 02 Atmo Shoppingmall Lucia: "You don't carry your sports things?" Estefanos: "No, I put everything in my bag in the car, just dropped it off." Autorin Morgens fährt Estefanos von ihrer Wohnung in die Mall, mittags kehrt sie zurück. Jeden Tag macht sie es so, seit über einem Jahr. Das Fitnessstudio, sagt sie, sei ihre Rettung gewesen. Als es Kidane im Sommer 2021 gelang, aus dem Gerichtsgebäude in Äthiopien zu fliehen, stürzte Estefanos in eine tiefe Depression. Jahrelang hatte sie gekämpft, um die Männer, die in Libyen grausam foltern, vor Gericht zu bringen. Die Äthiopier haben den Gerichtsprozess vermasselt, die Europäer scheinen sich nicht dafür zu interessieren. Estefanos sagt, sie habe monatelang das Bett nicht verlassen. Doch jetzt scheint es ihr besser zu gehen. Sie sagt der Sport, die körperliche Auslastung, hätten ihr Kraft gegeben. Und außerdem war noch etwas passiert, etwas mit dem niemand mehr gerechnet hatte. 03 Atmo: Nachrichtensprecherin auf Niederländisch Autorin Am 19. Oktober 2021 strahlte das niederländische Fernsehen eine Sendung aus, das Video steht immer noch online. Die Moderatorin beginnt mit den Worten: Dieser Mann heißt Kidane Habtemariam Zekarias, er ist Eritreer und einer der berüchtigsten und brutalsten Menschenschmuggler der Welt. Hinter der Moderatorin erscheint groß das Bild von Kidane. Acht Minuten dauert die Sendung, zum Schluss erscheint eine Nummer: Wer Informationen über den Verbleib von Kidane hat, soll sich dort melden. Der Menschenhändler Kidane steht auf der internationalen Fahndungsliste der Niederlande! Interpol sucht nach ihm! Kommt jetzt doch noch der große Schlag, auf den Meron Estefanos so lange gewartet hat? Musik Die Jägerin Eine Frau gegen die brutalsten Menschenhändler der Welt Teil 4 - Doch noch Gerechtigkeit? Eine Feature-Serie von Paul Hildebrandt und Lucia Heisterkamp Autorin Der Fahndungsaufruf sorgt für viel Aufregung in der eritreischen Community. Jahrelang haben sich die Europäer scheinbar nicht für die Verbrechen in Libyen interessiert, haben gar Unschuldige festgenommen. Es ist eine Nachricht, die auch uns überrascht. Seit wann sind die Behörden Kidane auf der Spur? Um Antworten zu finden, fahren wir nach Zwolle, eine niederländische Kleinstadt etwa hundert Kilometer entfernt von Amsterdam. Im 3. Stock eines hohen Gebäudes mit großen Glasfenstern treffen wir eine Ermittlerin der niederländischen Staatsanwaltschaft und einen Vertreter der Bundespolizei. Aus dem Gespräch dürfen wir nicht zitieren, die Ermittlungen laufen noch. Aber wir erfahren: Die niederländischen Behörden ermitteln schon seit 2017 gegen Kidane und eine Reihe weiterer Menschenhändler. Brechtje van de Moosdijk, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, gibt uns im Anschluss ein Interview. Sie sagt, die Ermittlungen seien aufgenommen worden, weil sich immer mehr Eritreerinnen und Eritreer in den Niederlanden bei den Behörden meldeten und von Erpressungen berichteten. Die Ermittler beschlossen, den Geschichten nachzugehen und Zeugen zu befragen - zur gleichen Zeit, als Meron Estefanos ihre Jagd auf Kidane begann. 01 OT Pressesprecherin "Further in the investigation, it emerged that migrants that are already in the Netherlands..." OV Sprecherin 3 "Im Verlauf der Ermittlungen bestätigte sich, dass Migranten, die in den Niederlanden lebten, tatsächlich genötigt wurden, hohe Geldbeträge für Familienangehörige zu zahlen. Sie wurden in Camps in Libyen festgehalten und durften erst weiterreisen, sobald das Geld gezahlt wurde." Autorin Die Staatsanwaltschaft in den Niederlanden schloss sich mit Ermittlern in Italien und der europäischen Polizeibehörde Europol zusammen. Es begann eine breit angelegte Mission gegen die Menschenhändler in Libyen und deren Komplizen. Mittelsmänner wurden observiert, Häuser in ganz Europa durchsucht. Und irgendwann hatten auch die Ermittler Kidane als eine der zentralen Schlüsselfiguren im Visier. Doch es waren nicht die Hinweise der Niederländer, die zur Verhaftung von Kidane und anderer Täter führten, sondern die von Meron Estefanos. 02 OT Pressesprecherin "It's one of the difficulties in this investigation that there's a large Eritrean community in the Netherlands, but it's quite closed." OV Sprecherin 3 "Eine der Schwierigkeiten bei den Ermittlungen ist, dass es zwar eine große eritreische Community in den Niederlanden gibt, aber sie ist relativ geschlossen. Es ist schwierig, dass die Menschen einem vertrauen. Daran versuchen wir zu arbeiten." Autorin Es scheint, als wäre Meron Estefanos den Ermittlern immer etliche Schritte voraus gewesen. Die niederländischen Beamten erzählen uns, von der Verhaftung Kidanes in Addis Abeba hätten sie überhaupt erst über den Twitter-Account von Estefanos erfahren. Von seinen Reisen nach Dubai wussten sie nichts, von seiner Liebe zu Konzerten und zum Glücksspiel hatten sie nie gehört. Dennoch wurde Estefanos bis heute von den Europäern weder in die Ermittlungen eingebunden noch als Zeugin befragt. Wie kann das sein? Die Niederländer wollen sich öffentlich nicht zu Estefanos äußern. Zum Ende unseres Gespräches sagt die Pressesprecherin jedoch: Ihnen sei klar, wie wichtig Estefanos Kontakte und ihr Netzwerk in die eritreische Gemeinschaft sind. Gerade weil viele in der Community gegenüber Behörden grundsätzlich misstrauisch seien. Viele haben in ihrer Heimat schlechte Erfahrungen mit Polizei und Sicherheitskräften gemacht. Aber van de Moosdijk räumt ein, dass sie auf die Hilfe der eritreischen Community angewiesen sind. Daher habe man auch den Fahndungsaufruf im Fernsehen gesendet. 03 OT Pressesprecherin "We think that it was Eritreans residing in the Netherlands have lots of information possibly about their whereabouts from Kidane." OV Sprecherin 3 "Wir glauben, dass Eritreer, die in den Niederlanden leben, womöglich Informationen darüber haben, wo sich Kidane aufhält. Und wir halten es für sehr wichtig dass, wenn jemand etwas weiß, vielleicht weil er einen Familienangehörigen in Libyen hat, der Kidane gesehen hat oder mit ihm zu tun hat, dass er uns das weiterleitet." Autorin Im Herbst 2022 wolle man Kidane den Prozess machen, sagt van de Moosdijk, notfalls auch in Abwesenheit des Angeklagten. Mittelsmänner in den Niederlanden sollen in diesem Prozess angeklagt und Zeugen befragt werden. Opfer sollen endlich ihre Geschichte erzählen dürfen. Es wäre ein erster Schritt gegen die Schrecken in den libyschen Foltercamps. Aber das Gespräch mit den Behörden hinterlässt bei uns viele Fragen. Seit 2017 ermitteln die Niederländer. Wieso schafft eine große europäische Mission mit hunderten Ermittlern, viel Geld und Ressourcen nicht, was einer einzelnen Frau allein mit ihrem Telefon und ihrem Netzwerk gelingt? Und wieso arbeitet die Staatsanwaltschaft nicht wenigstens mit Estefanos zusammen? Denn, egal mit wem wir bei unserer Recherche sprechen: Wissenschaftlerinnen, Menschenrechtsorganisationen - alle verweisen auf die Expertise von Meron Estefanos, wenn es um den Folterhandel in Libyen geht. So zum Beispiel Marwa Mohamed von der Organisation Lawyers for Justice in Libya. 4 OT Marwa Mohamed "I think that she does great, great work and since you're talking to her, you really don't need me." OV Sprecherin 4 "Sie macht wirklich wahnsinnig gute Arbeit. Wenn ihr mit Meron Estefanos sprecht, dann braucht ihr eigentlich gar nicht mehr mit mir zu reden. Sie hat ihr ganzes Leben dem gewidmet. Autorin Seit mehr als 15 Jahren werden in Nordafrika Flüchtlinge gefoltert und die Angehörigen um Lösegeld erpresst. Viele der Betroffenen leben in Europa, in Italien, in Schweden und auch in Deutschland. Jahrelang waren die Behörden untätig. Und die einzige europäische Mission gegen die Folterer scheint nur schleppend voranzukommen. 04 Atmo: Automusik Autorin Zurück in Stockholm bei Meron Estefanos. Wir sitzen im Auto, vor dem Fenster zieht die schwedische Vorstadt vorbei: Schneematsch und graue Reihenhäuser. 05 Atmo: Im Auto Paul: And so, what music we listen to? Estefanos: That was reggae. I only listen to music when I'm in the car. Autorin Wir wollen von Estefanos wissen, was sie von den Ermittlungen der Niederländer hält. Warum wurde sie wohl nicht einbezogen? 05 OT Estefanos "Because we Eritreans are not considered independent. Like, you have that always." OV Sprecherin 2 "Weil wir Eritreer nicht als unabhängig gelten. So ist das immer." Autorin Estefanos glaubt, Eritreer würden als befangen wahrgenommen, weil sie selbst Opfer sind. Auch wenn sie als Journalistin über die Verbrechen im Sinai und in Libyen berichten wollte, hätten die Redaktionen sie immer gefragt: Wo ist deine unabhängige Quelle? Wer kann belegen, was du erzählst? Als könne eine Schwarze Frau nicht zu Schwarzen Tätern recherchieren. Die jahrelange Untätigkeit der europäischen Gemeinschaft habe fatale Folgen gehabt, sagt sie. 06 OT Estefanos "Because it's about these traffickers. I mean, they've.." OV Sprecherin 2 "Diese Menschenhändler wurden ermutigt, weil niemand etwas gegen sie unternommen hat. Die hatten immer das Gefühl, sie sind unangreifbar. Dass der Westen dumm ist oder nichts über sie weiß, oder dass sie irgendwie smarter sind als die ganze Technologie im Westen. Das glauben sie, weil niemand gegen sie vorgegangen ist." Autorin Aber könnte es jetzt nicht den Niederländern gelingen, Kidane zu finden und nach Europa zu bringen? Estefanos zündet sich eine Zigarette an, während sie das Auto in Richtung Zuhause lenkt. 07 OT Estefanos "I don't have so much hope even now". OV Sprecherin 2 "Ich habe ehrlich gesagt nicht so viel Hoffnung." Und wie ist es bei uns ins Deutschland? Die niederländischen Ermittler hatten uns erzählt, dass nach niederländischem Recht nur Straftaten verfolgt werden dürfen, die einen Bezug zum eigenen Land haben. Also etwa, wenn Eritreer erpresst werden, die in den Niederlanden leben. Das mache es so schwer, Zeugen zu finden. In Deutschland ist das anders, hier gibt es das sogenannte Weltrechtsprinzip: Auch Verbrechen, die keinen spezifischen Bezug nach Deutschland haben, können geahndet werden. Im vergangenen Jahr wurden zum Beispiel Verbrechen aus dem syrischen Bürgerkrieg in Koblenz verhandelt, ein Täter wurde verurteilt. Doch auch ohne Weltrechtsprinzip: In Deutschland leben rund 70.000 Eritreerinnen und Eritreer. Hört man sich in der Community um, erfährt man: Es gibt kaum jemanden, dessen Familie nicht von Erpressungen aus Libyen betroffen ist. Und nicht nur das: Von Deutschland aus fließen mutmaßlich Hunderttausende Dollar an die Menschenhändler in Nordafrika. 06 Atmo: Musik läuft, Menschen sprechen Autorin Ein kleines Cafè in einer Straße gleich hinterm Hauptbahnhof in Frankfurt am Main. Um einen Tisch sitzen Männer und essen Brot mit Bohnenpaste und Fleisch. Die meisten hier sind Eritreer. Immer wieder durchqueren neue Besucher den Raum und betreten ein Hinterzimmer: Ein kleiner Waschsalon. An einem schmalen Holztisch sitzt ein Mann, vor ihm liegen Zettel und Stift, hinter ihm Geldbündel. Wir schauen uns unauffällig um. Es war nicht schwer, diesen Ort zu finden. Ein paar Hinweise aus der Community genügten. Der Waschsalon im Hinterzimmer ist so etwas wie eine illegale Bank. Von hier aus kann man Geld ins Ausland schicken, etwa an die Familie in Eritrea. Oder an Menschenhändler in Libyen. Wie funktioniert das? Hawala, ein illegales Geldtransfersystem, das auf Vertrauen basiert - so erklärt es uns der Finanzexperte Matthias Casper von der Universität Münster. Jemand zahlt Geld an eine Person, die ihrerseits jemanden kennt, der die Summe an einen Dritten auszahlt. Aus kleinen Geschäften, wie dem Waschsalon am Frankfurter Hauptbahnhof, fließt so Geld über ein Netzwerk aus Zwischenhändlern nach Afrika. Mehrere Gesprächspartner aus der eritreischen Community berichten uns, dass sie so Lösegeld auf den Weg gebracht haben, um Angehörige aus libyschen Foltercamps freizukaufen. Für den Finanzexperten Capar ist das keine Überraschung. 08 OT Casper "So ein System, was im Grundsatz auf Vertrauen basiert, kann man natürlich auch wie immer missbrauchen. Hawala kann für gute wie für schlechte Zwecke benutzt werden. Und ja, so ein Hawala-System kann auch dazu dienen, kriminelle Aktivitäten wie Menschenhandel zu befördern." Autorin Über wie viele Vermittler das Geld fließt, bis es am Ende in den Händen von Männern wie Kidane landet, wissen wir nicht. Und auch nicht, ob den Händlern im Frankfurter Hawala-Shop klar ist, dass sie zum Teil Lösegeldüberweisungen durchführen. 09 OT Casper "Wenn ich natürlich weiß, dass diese Zahlungen, die ich da gerade abwickle, im Prinzip das Lösegeld für illegalen Menschenhandel ist, dann mache ich mich natürlich zumindest der Beihilfe für Freiheitsentziehung und Menschenhandel strafbar." Autorin Wir fragen bei der deutschen Finanzaufsicht BaFin nach, ob sie Hawala-Stuben wie die am Frankfurter Hauptbahnhof kontrollieren. Die Antwort erfolgt per Mail, sie ist ernüchternd. Sprecher 2 zitiert BaFin: "Seriöse Schätzungen zu der Anzahl von Hawala-Systemen und der jeweiligen "Standorte" sind aufgrund des äußerst konspirativen Charakters der Geschäfte nicht möglich. Diese Strukturen sind sehr stark abgeschottet und von Außenstehenden, insbesondere auch den Finanzmarktaufsichtsbehörden und den Strafverfolgungsbehörden, nur schwer zu durchdringen." Autorin Mitten in einer deutschen Großstadt fließen jährlich vermutlich Zigtausende Dollar Lösegeld in den Menschenhandel in Libyen. Und halten damit das brutale Foltergeschäft am Leben. Und die Behörden tun nichts, um die Geldflüsse zu stoppen? Wäre das auch so, wenn es weiße Europäer wären, die regelmäßig in Nordafrika entführt und gefoltert würden. Wir schreiben etliche Mails an Staatsanwaltschaften und Ermittlungsbehörden in Deutschland. Gibt es Ermittlungen zu Erpressungsanrufen aus Libyen? Wird gegen mutmaßliche Folterer aus Libyen vorgegangen? Die Antworten kommen per Mail. Sprecher 2 zitiert Antworten "In den für die angefragten Verfahren grundsätzlich zuständigen Abteilungen der Staatsanwaltschaft Hamburg sind entsprechende Fälle hier bislang nicht bekannt geworden." "Entsprechende Ermittlungsverfahren sind bei der Staatsanwaltschaft Köln nicht bekannt." "Ich bitte um Verständnis, dass wir zu etwaigen Ermittlungen und Ermittlungserkenntnissen grundsätzlich öffentlich keine Auskünfte erteilen" - das Bundeskriminalamt. Autorin Zu einem Hintergrundgespräch wie mit den niederländischen Ermittlern ist in Deutschland niemand bereit. Egal, wo wir nachfragen, es scheint von behördlicher Seite kein Interesse zu geben, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Opfer, die sich wegen der Erpressung an die Polizei gewandt haben, berichten uns, sie wären wieder nach Hause geschickt worden, in Deutschland könne man nichts gegen Verbrechen in Libyen unternehmen. 10 OT Rut Bahta "Das geht schon seit vielen, vielen, vielen Jahren. Und deswegen sind die Menschen auch schon so, so müde dessen. Also am Ende ihrer Kräfte kann man eigentlich sagen, sie kämpfen zwar immer noch weiter, aber schwerst traumatisiert und mit dem letzten ihrer Kraft, was sie haben." 07 Atmo: Eritreische Gesänge in der Kirche (wird lauter) Autorin Wir treffen noch einmal Rut Bahta vom Verein United For Eritrea in Frankfurt. Sie nimmt uns mit zu einer kleinen katholischen Kirche in einem ruhigen Frankfurter Stadtteil nahe der Innenstadt. Die eritreische Gemeinde darf die Räume nutzen. Draußen scheint die Sonne, im Saal ist es dunkel und kühl. Ein Priester in einem gelben Gewand steht vorne am Altar, er spricht Tigrinya. 08 Amto Priester Autorin Die Kirche ist gut besucht. Einige Frauen tragen traditionelle weiße Gewänder. Etwa 63 Prozent der eritreischen Bevölkerung sind Christen, für sie ist die Kirche ein wichtiger Treffpunkt. 11 Atmo Gottesdienst 11 OT Rut Bahta "Neben dem Gottesdienst, wo man jeden Sonntag dann kommt - oder auch an anderen Tagen werden hier auch noch Gottesdienste angeboten - ist es dieses Zusammenkommen, zusammen Diskutieren: Was gibt es für Dinge in der Community, die gerade passieren? Wo können wir uns helfen und unterstützen?" Autorin Unterstützung gibt es auch, wenn wieder einmal jemand aus der Gemeinde am Telefon erpresst wird und Geld zahlen soll, weil ein Angehöriger in Libyen entführt wurde. 12 OT Rut Bahta "Es ist so, dass sozusagen die, die in einem gemeinsamen Dorf leben, dass man sozusagen den Aufruf startet. Dass man sagt, so wie hier: Ich bin Frankfurt, also wenn wir jetzt irgendwo anders wären, und dann wären da die Frankfurter, dann würden die sagen, Mensch da ist einer in Not aus unserer Stadt, aus unserem Dorf, lasst uns dem helfen." 09 Atmo: Eritreische Gesänge (Kirche) Autorin Der starke Zusammenhalt, die gegenseitige Hilfe - das ist die Antwort der Betroffenen aus der eritreischen Community auf die Verbrechen in Libyen und auf die Untätigkeit Europas. Und perfiderweise ist es genau das, was das System am Leben hält: Nur durch die Solidarität gelingt es den Betroffenen, die hohen Lösegelder aufzutreiben. Männer wie Kidane werden dadurch reich. Warum lässt Europa das zu? 13 OT Tubiana "I think the European Union, they know..." OV Sprecher 6 "Ich denke, die europäische Union weiß, was passiert und sie ist sogar ganz zufrieden mit der Gewalt in Libyen, weil sie glaubt, dass das Menschen davon abhält, nach Libyen zu kommen." Autorin Es ist ein ungeheuerlicher Vorwurf, den Jerome Tubiana von Ärzte ohne Grenzen formuliert. Aber er ist nicht der einzige Menschenrechtsaktivist, der sagt: Europa nutze den Schrecken in Libyen als Instrument der Abschottung. So sieht es heute auch Meron Estefanos. Ihre Bilanz ist bitter. 14 OT Estefanos "If the victims were white people, yes, then things can happen." OV Sprecherin 2 "Wenn die Opfer weiße Menschen wären, dann würde bestimmt etwas passieren. Aber niemand kümmert sich wirklich um Flüchtlingsthemen. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass die meisten Behörden insgeheim glücklich sind über die Menschenhändler, weil sie die Leute davon abhalten, zu kommen." Musik Autorin Wir treffen Meron Estefanos ein letztes Mal in Stockholm. In ihrem Wohnzimmer sind die Vorhänge zugezogen, an der Decke baumelt eine nackte Glühbirne. Ihr jüngerer Sohn schläft im Nebenzimmer, der andere ist in der Stadt unterwegs. Die beiden haben keine Lust mehr auf Journalisten. Auf dem Wohnzimmertisch liegt ein weißes Smartphone. 15 OT Estefanos "I just don't make it. And I don't call anyone that makes a missed call anymore." OV Sprecherin 2 "Wenn ich einen verpassten Anruf habe, dann rufe ich nicht mehr zurück. Die Information, die ich bekomme, wenn ich zurückrufe, die wird mich nur noch ärmer machen als ich eh schon bin. Also mache ich das nicht mehr." Musik Autorin Die Geschichte von Meron Estefanos erzählt vom Scheitern europäischer Behörden. Sie erzählt von Straflosigkeit in Libyen und von fehlender Rechtsstaatlichkeit in Äthiopien. Es ist die Geschichte einer tragischen Heldin.. Von einer Frau in Schweden, die es nicht hinnehmen wollte, an was andere sich längst gewöhnt haben. Und die das Unmögliche geschafft hat. Sie hat einige der gefährlichsten Menschenhändler der Welt vor Gericht gebracht. Sie hat sich niemals einschüchtern lassen. Sie ist selbst für die Täter zu einer Referenz geworden, die sie sogar in ihrer Radiosendung anriefen, von ihr interviewt werden wollten. Sie hat Jahre ihres Lebens damit verbracht, der Untätigkeit und dem Wegschauen der Behörden etwas entgegenzusetzen. Und die am Ende doch an all dem Leid und an der Gleichgültigkeit zerbrochen ist. Doch am ganz am Ende unseres Gesprächs sagt Estefanos, sie habe die Hoffnung auf Gerechtigkeit noch nicht endgültig verloren. 16 OT Estefanos "My dream is that one day, the only place where these people face justice is like when we go back to Eritrea, you know, an Eritrea that has justice and a democratic Eritrea. That's when I feel these people will receive the true justice." OV Sprecherin 2 "Mein Traum ist, dass sich diese Leute eines Tages in Eritrea verantworten müssen. Also, in einem gerechten und demokratischen Eritrea. Dann hätte ist das Gefühl, dass es wirklich Gerechtigkeit gibt." Autorin Unter ihrem Couchtisch hat sie eine Speicherplatte verstaut. Ein schwarzer Plastikblock mit den aufgenommenen Telefongesprächen aus dem Sinai der ersten Jahre. Fast hundert Gigabyte Leid. Die Geschichten der Menschen, mit denen sie gesprochen hat, sagt Estefanos, seien der Grund, weshalb sie immer weiter gemacht hat. Die Stimmen der Opfer haben sie nie losgelassen. Sollte es doch noch zum großen Prozess kommen - sie ist bereit. Sprecher 3 Absage OnAIR: Die Jägerin. Eine Frau gegen die brutalsten Menschenhändler der Welt. Eine Feature-Serie in vier Teilen von Lucia Heisterkamp und Paul Hildebrandt. Es sprachen: xxx Regie: Philippe Brühl. Redaktion: Christiane Habermalz. Produktion: Deutschlandfunk 2022. (Trocken/schneidbar) Die ganze Serie können Sie auch als Podcast hören auf hörspiel und feature.de und in der ARD-Audiothek. Absage Podcast: Die Jägerin. Eine Frau gegen die brutalsten Menschenhändler der Welt. Eine Feature-Serie in vier Teilen von Lucia Heisterkamp und Paul Hildebrandt. Folge 4: Doch noch Gerechtigkeit? Es sprachen: Louis Ferdinand Thiele, Claudia Mischke, Lisa Bihl, Daniel Berger, Andreas Potulski, Hüseyin Michael Cirpici, David Vormweg und die Autoren. Ton und Technik: Thomas Widdig. Regie: Philippe Brühl. Redaktion: Christiane Habermalz Eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Norddeutschen Rundfunk 2022. (Trocken/schneidbar): Die ganze Serie gibt es auf Hörspiel und Feature.de, in der ARD-Mediathek und überall da, wo es Podcasts gibt. 18