Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Der verlorene Frieden Deutschlands Einsatz in Afghanistan 6-teilige Serie - Folge fünf: (5/6) Die falschen Freunde vom Petersberg Autor: Marc Thörner Regie: Matthias Kapohl Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2021 Erstsendung: Dienstag, 02.03.2021 Wiederholung: Dienstag, 04.01.2022 Es sprachen: Jean Paul Baeck, Martin Bross, Jochen Langner, Marion Mainka, Volker Risch und der Autor Ton und Technik: Gunther Rose und Oliver Dannert Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Kabul, Oktober 2009. Ich sitze im Auto mit einem Anführer der Taliban aus der Region von Kundus. Er hat mich, den deutschen Reporter, kontaktiert, weil er über diese Schiene den Deutschen ein Angebot zu unterbreiten hat. Er will überlaufen. Und eine Reihe wichtiger Kommandeure mitbringen. O-Ton Talib: Übersetzer Ich habe einige Bedingungen dafür. Alles, was ich Ihnen gesagt habe bleibt unter uns. Wir wollen es ausschließlich den Deutschen mitteilen. Wir trauen nur den Deutschen, weil sie in der Gegend das Kommando haben. Ich möchte nicht, dass andere ISAF-Partner davon etwas mitbekommen. Zweitens: Wenn wir unsere Arbeit für euch beginnen, müsst ihr uns unterstützen und die Kosten für unsere Sicherheit tragen. Autor: Ich bin Beobachter, habe mit Geheimdienstaktivitäten nichts zu tun. Dennoch beschließe ich, bei einer Kontaktaufnahme zwischen Taliban und Bundeswehr zu helfen. Und, so weit das möglich und verantwortbar ist, die Aktion zu dokumentieren. Nur: kann ich dem Überläufer trauen; kann ich sicher sein, dass er sich nicht nur mit falschen Versprechen viel Geld und ein Visum für Deutschland erschleichen will? Der Einwand trifft den Mann offenbar nicht unvorbereitet. Atmo: Stimme Dolmetscher: Do you have like notebook? Stimme Autor: Yes, sure... Reißen, Blättern, Schreiben, Stimmen, Verkehr...Stimme Dolmetscher: He says, I will write it down and I will give you. Stimme Überläufer Dari, Stimme Dolmetscher: He says, it's not the work of one day, we need a lot of days and times.... He is your own guy, the guy you can trust... an able guy Autor: Als Morgengabe für die bevorstehende Zusammenarbeit, notiert er mir auf einem Ringbuchblatt die Strukturen des gesamten Taliban-Netzwerkes in der Region. O-Ton Talib: Übersetzer: Einige haben Verbindungen zu Pakistan, aber viele zum Iran. Der Iran hilft den Taliban jetzt mehr als Pakistan. Sie sind gut vorbereitet. Der Kommandant, der die Angriffe im Norden organisiert heißt Hadschi Mullah Khairmamat. Er lebt versteckt in Jawjzan im Darsa-Distrikt. Er verfügt über ein Funkgerät und ein Satellitentelefon. Wenn er den Befehl gibt, geht es los. Die Leute sind fertig und warten nur darauf. Der neue Taliban-Gouverneur von Badris ist Mullah Abdelmanan. (/) Der Taliban-Gouverneur von Kundus ist Mullah Nurullah. (/) Mullah Abdeljabbar ist der Gouverneur von Baghlan (/) Mullah Abdelmussa ist Gouverneur von Samangan (/) Der Befehl zur Ernennung dieser neuen Gouverneure stammt von Mullah Omar im pakistanischen Quetta. Alle auch die Usbeken, die Tschetschenen und so weiter unterstehen seinem Kommando Autor: Trotz Kontakten zum Iran und nach Pakistan sind es vor allem viele Ortsansässige, die gegen die Regierung und die Bundeswehr Widerstand leisten - warum? Sprecherin Der verlorene Frieden - Deutschlands Einsatz in Afghanistan Feature-Serie von Marc Thörner Folge 5: Die falschen Freunde vom Petersberg O-Ton Talib: Übersetzer: Viele von uns hatten sich Mitte der 90er Jahre den Taliban angeschlossen. Nach deren Sturz wollten wir ursprünglich zu kämpfen aufhören. Aber seitdem die Nordallianz gesiegt hat und die internationalen Truppen einmarschiert sind, gibt es für uns alle ein großes Problem, mit General Dostum und den Anhängern der Warlords im Norden. Diese Leute bringen unsere Brüder, Onkel und Väter um und sie nehmen ihnen ihre Häuser weg. Dostum will, dass keine Paschtunen mehr im Norden bleiben. Deshalb fühlen viele sich unter Druck weiterzukämpfen. Autor: General Dostum - zur Zeit dieses Treffens mit dem Taliban-Anführer war er afghanischer Vizepräsident. Als die US-Regierung nach dem 11. September beschloss, Bin Laden aufzuspüren und seine Gastgeber, die paschtunischen Taliban, zu vertreiben, engagierte sie vor allem Doustums Kämpfer: Usbeken aus dem Norden; ebenso wie andere Nord-Ethnien, die im Bürgerkrieg Erzfeinde der Paschtunen waren. General Dostum werden tausendfacher Mord an Taliban-Gefangenen und andere Delikte wie Vergewaltigungen vorgeworfen. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes erklärte die US-geführte Koalition auf der Bonner Petersberg-Konferenz diese Allianz der Nord-Ethnien zu Partnern. Paschtunen wie der jetzige Präsident Ashraf Ghani und vor ihm Karzai kamen zwar an die Staatsspitze, um die bedeutendste Bevölkerungsgruppe einzubinden und nicht zuletzt die Anhänger der Taliban dadurch anzusprechen. Doch die "Nordallianz" blieb de facto Staatselite. Mit Vizepräsidenten wie Dostum, Regierungschefs, Ministern und Gouverneuren rahmte sie den jeweiligen Paschtunen an der Spitze ein. Mit Politikern also, die weiter Warlords blieben; weiter Milizen und ihre alten Seilschaften unterhielten. O-Ton Talib: Übersetzer: Unseren Kämpfern geht es aber ausschließlich darum, ihre eigene Bevölkerung, ihre eigenen Familien gegen General Dostum und auch Gouverneur Atta zu beschützen, unter denen ihnen ihr Land weggenommen wird. In dieser Situation mussten wir bei den Taliban bleiben, wir hatten keine andere Wahl. Jetzt haben wir vom Kampf genug. Wir wollen unsere Waffen niederlegen. Aber vorher benötigen wir Garantien. In unserer Gegend sind jetzt Dostum und Atta die Machthaber. Wir brauchen eine Garantie, dass uns trotz Atta und Dostum unser Land zurückgegeben wird und alles, was sie uns gestohlen haben. Autor: Dostum und Atta - während der Usbekengeneral seine Hochburg in den Nordprovinzen Shibergan und Sar-e-Pol hat, zieht Mohammed Atta die Fäden in der Balkh-Provinz: Als langjähriger Gouverneur am Bundeswehrstandort Mazar-e-Sharif; Dort wurde ich 2008 auch einmal von ihm persönlich empfangen. O-Ton Gouverneur Atta: Übersetzer: Ich freue mich, Ihnen meinen Hintergrund schildern zu dürfen. Zuerst habe ich studiert. Dann bin ich in den heiligen Krieg, den Dschihad gegangen und habe gegen den Kommunismus gekämpft, Anschließend kämpfte ich gegen die Taliban. Jetzt ist die Welt befreit von Terrorismus und von Kommunismus. Ich bin glücklich darüber, dass die Menschen mich unterstützen die Balkh-Provinz aufzubauen und immer sicherer zu machen. Autor: Dass es zwischen Atta und der Bundeswehr ein informelles Stillhalteabkommen gibt, scheint für Bundeswehr-Insider wie Reinhard Erös und andere ein offenes Geheimnis. Ebenso wie Attas illegale Geschäfte O-Ton Erös: Der Gouverneur, also der Ministerpräsident dieser großen Provinz.- das war einer der großen Drogenanbauer - ‚Das ist meine Baustelle', da hältst du dich mal raus. Dafür sorge ich mich darum, dass die Taliban oder andere böse Buben deine Bundeswehrsoldaten in Ruhe lassen. Hat ja auch funktioniert. Wir haben die Mohnfelder in Ruhe gelassen, das waren ja riesige Felder, das muss man sich alles vor Augen halten. Und wenn ich dann mit Soldaten gesprochen habe, auch mit einfachen Soldaten, niederen Dienstgraden, die dann nach Deutschland zurückkamen, die haben gesagt: Das ist ja verrückt. Da unten musste ich mit meinem Jeep stundenlang an Mohnfeldern vorbeifahren. Und ich wusste ja, was daraus wird. Wir wissen alle, was Heroin ist. Wenn ich wieder zu Hause bin in meiner Kaserne in Deutschland nach sechs Monaten Afghanistan. Wenn ich dann beim Stubendurchgang in meinem Spind und der Kompaniefeldwebel, der fand bei mir im Spind drei Stück Zigaretten vom Typ Haschisch - dann bin ich bestraft worden disziplinar. In Afghanistan musste ich `ne Woche vorher noch in Mohnfelder rumfahren. Autor: Aber auch die internationalen Hilfsgelder weiß Atta geschickt in seine Taschen umzulenken. O-Ton Thomas Ruttig Das pfeifen die Spatzen auf dem Basar vor sich hin, dass es so läuft. Autor: Thomas Ruttig vom Afghan Analysts Network mit Sitz in Kabul und Berlin. O-Ton Thomas Ruttig: Zum Einen ist klar, dass gerade aus Mazar-e-Sharif oder der Provinz Balkh mit Gouverneur Mohammed Atta, dass Gouverneur Atta und seine Familienangehörigen - das ist da ja auch immer wichtig - immer einen bestimmten Prozentsatz von fast allen Projekten beanspruchen. Und wenn das alles formal richtig abläuft, mit Ausschreibung, kriegt man das ja auch nicht mit. Autor: Wer es wagt, diese Zustände zu kritisieren, wie etwa allzu eifrige Lokaljournalisten, der wird schnell aus dem Verkehr gezogen: Ermordet, erpresst, bedroht, oder man wirft ihm Gotteslästerung vor. Der junge Journalist Yaqub Ibrahimi. arbeitete für das in London ansässige Institute for War and Peace Reporting und deckte einige der Warlord-Seilschaften im Norden auf. Gouverneur Attas Provinzpolizei verhaftete nicht ihn, sondern seinen Bruder. Der Vorwurf: der habe an der Universität von Balkh blasphemische Ansichten publiziert. O-Ton Yaqub Ibrahimi: Übersetzer: Ich kenne alle ihre Namen. Es sind die alten Kämpfer, die ehemaligen Mudschaheddin der 80er Jahre. Inzwischen sind sie zur Drogenmafia von Nordafghanistan mutiert. Aber nennen kann ich Ihnen diese Namen nicht. Sobald mein Bruder freigelassen ist, werde ich alle Fakten, die ich habe, auf den Tisch legen. Autor: Ibrahimis Bruder Pervez wurde in zweiter Instanz freigesprochen und konnte schließlich das Land verlassen. Begleitet von Ibrahimi selbst, der seitdem ebenfalls im Exil lebt. Auch Ahmed Hashemi, Chefredakteur der von ihm gegründeten Zeitung ‚Payman Daily' geriet ins Fadenkreuz der Warlord-Elite. Nach dem Sturz der Taliban hatte er eine Tageszeitung aufgebaut, die 50 Mitarbeiter beschäftigte. Nachdem er kritisch berichtet hatte, wurde auch ihm Gotteslästerung vorgeworfen. . O-Ton Ahmed Hashemi: Am besten: Anti-Islam. Das ist einfach. Wenn man über so was redet, glauben das die Menschen einfach. (/) Am besten: den Namen des Islam zu benutzen immer . Autor: Nach einer von Warlords und Provinzgeistlichen gemeinsam lancierten Kampagne, kam es landesweit Demonstrationen gegen Ahmed Hashemi und seine Redaktion. Der Chefredakteur, der gerade auf einer Konferenz im Ausland weilte, konnte nicht mehr nach Afghanistan zurück. Seine Familie musste ebenfalls das Land verlassen, Nach einer jahrelangen Odyssee trafen sie sich schließlich in Deutschland wieder. Allesamt als anerkannte Geflüchtete. Verfolgt nicht von den Taliban, sondern von den Warlords, die auf der Bonner Petersberg-Konferenz an die Regierung gekommen waren - und die Deutschland seitdem mit Millionen Fördergeldern unterstützt. Hashemis Ehefrau Mahsa Taee, auch sie ehemals Redakteurin der nun verbotenen Tageszeitung: O-Ton Mahsa Taee Ich hatte so viele Ideen zu arbeiten in meinem Heimatland, ich hatte so viele Hoffnungen. Ich hatte gedacht, für meine Menschen etwas zu arbeiten, etwas zu tun. Hier in Deutschland finde ich mich nutzlos. Obwohl, ich schreibe immer noch. Für Medien in Afghanistan. Ich schreibe meine Romane, meine Bücher wie früher. Aber das ist immer mein großer Traum, dass ich nach Afghanistan zurückkehren kann. Aber zur Zeit finde ich, leider ist es weit weg. Autor: Ist den deutschen Entscheidungsträgern klar, dass ihre Ansprechpartner Warlords sind; dass ihnen vorgeworfen sind, unter den Augen der Bundeswehr schwerste Menschenrechtsverbrechen zu begehen? Und dass es gerade diese vermeintlichen Partner sind, die Afghanistans Zivilgesellschaft zerstören? - Franz Josef Jung, CDU, ehemals Verteidigungsminister im Kabinett Merkel: O-Ton Franz Josef Jung: Ich hab ja mit dem Verteidigungsminister sehr viel zu tun, mit dem Präsidenten Karzai viel zu tun. Da kann ich genau das nicht bestätigen. Sondern da hatte ich eher den Eindruck, dass man dort am gemeinsamen Ziel gearbeitet hat, das ich gerade formuliert habe. Natürlich waren in dem anderen Bereich natürlich dort auch entsprechende Warlords tätig, das ist wahr. Aber das waren nie sozusagen Kombattanten auf meiner Gesprächsebene. Autor: Auch nicht mit General Dostum, der Vizepräsident war? O-Ton Franz Josef Jung: Ja, ich weiß, mit dem hatte ich aber nichts zu tun. Autor: Fotos zeigen Angela Merkel und ihren Verteidigungsminister Franz Josef Jung in regem Austausch mit Gouverneur Atta. Was für einen Eindruck hatte Jung von Deutschlands wichtigstem Ansprechpartner im Norden? O-Ton Franz Josef Jung: Ich sag ja, mit denen hatte ich nichts zu tun. Nein, die Personen, die Sie gerade beschreiben, habe ich nicht getroffen und kann deshalb auch dazu keine Beurteilung abgeben. Autor: Eine unabwählbare Staatselite aus Haudegen. In Maßanzüge gekleidete Bürgerkriegskommandanten mit Zugriff auf Privatarmeen und auf Todesschwadronen. Peter Ptassek, ziviler Leiter des deutschen Provinzwiederaufbauzentrums, PRT, in Kundus: O-Ton Peter Ptassek: Wir haben ein Mandat, das sich darauf konzentriert, den Wiederaufbau voranzubringen, Stabilität und Sicherheit nach Afghanistan zu bringen. Wir haben kein Mandat, die Bevölkerung zu einem neuen Glauben zu bekehren, sie mit unseren Vorstellungen von Glück und Wohlstand zu impfen und wir haben auch kein Mandat, in konkreten Fällen, auch nur auf Provinzebene einen Regierungswechsel herbeizuführen. Autor: Sind ein Recht auf Leben, auf Unantastbarkeit der Wohnung und auf freie Meinungsäußerung spezifisch deutsche Vorstellungen von Glück; Dinge, wie sie andere Menschen so nicht brauchen? Und schon gar nicht die Afghanen? Der Taliban-Anführer, der mich im Oktober 2009 um einen Kontakt zur Bundeswehr ersucht, hat offensichtlich weder etwas gegen die Deutschen, noch schließt er eine Zusammenarbeit mit deren Regierung aus. O-Ton Talib: Übersetzer 3: Wenn die Deutschen Informationen über die al Kaida in jeder Provinz haben möchten, ist das möglich. Aber die Bedingung muss ganz klar sein: Ich brauche die besagten Garantien über unser Land und unsere Häuser. Vielleicht kann ich die Angriffe in Kundus, Samarghan, Baghlan und der Balkh-Provinz, wenn nicht um 100 Prozent, wahrscheinlich aber um 50 Prozent zurückfahren. Wenn ich es nicht schaffe, die Taliban und die al Kaida innerhalb von drei Monaten lahmzulegen, bin ich bereit, mich selber der Justiz zu stellen. Autor: Der Kontakt zwischen dem Taliban-Anführer und der Bundeswehr kommt zustande. Der zuständige Nachrichtenoffizier im Bundeswehrhauptquartier Mazar-e-Sharif zeigt sich nach einer ersten Bestandsaufnahme höchst interessiert und lädt den mutmaßlichen Überläufer zu einem Gespräch in der Bundeswehrbasis ein. Mein Fahrer bringt den Mann dorthin und erzählt anschließend von dem Aufgebot, das die beiden dort erwartete. Außer der Bundeswehr seien auch hohe Offiziere der US-Armee zum gemeinsamen Treffen erschienen. Etwa ein Jahr lang höre ich nichts mehr. Dann meldet sich, per Mail, ein Offizier der Bundeswehr aus Mazar-e-Sharif. Er habe durch meine Veröffentlichungen von dem Überläufer und den Verhandlungen mit ihm erfahren und interessiere sich dafür, was aus den Verhandlungen geworden sei... Übersetzer 1: "... da ich hier im Stab RC North eine beratende Funktion habe und mir niemand, wirklich niemand von denen, die ich fragen konnte, zu den (...)Verhandlungen etwas sagen konnte. Vielleicht liegt es am Kontingentgedächtnis oder Abbruch oder wie auch immer. Das kommt immer wieder vor, dass mit dem Wechsel alles neu anfängt. Deswegen meine Frage, wissen Sie, ob die Verhandlungen abgebrochen wurden oder einschliefen oder verlagert oder ähnliches? Und ob es weitere Intentionen gibt, wieder ins Gespräch zu kommen? Autor: Ich teile dem Bundeswehroffizier den Namen des damaligen Nachrichtenoffiziers mit. Der Offizier, ein Oberstleutnant, dankt, schreibt mir aber bald darauf: Übersetzer 1 : "Aufgrund der Wechsel ist es hier nicht mehr feststellbar, in welchem Bereich der Kamerad hier zu Gange war. Es gibt noch ein paar Möglichkeiten, ich muss mal ganz genau in die Tiefe gehen. Versprechen tue ich mir, ehrlich gesagt, nicht mehr viel. Es ist einfach unglaublich, wie viel an Wissen jedesmal verloren geht, und man irgendwo wieder bei null anfängt. Zwar gibt es ein, zwei Kameraden, die sich an den Namen (des zuständigen Nachrichtenoffiziers) noch erinnern können, jedoch konnte ihn niemand einer Abteilung oder gar einer der Zellen zuordnen." Autor: Der Kontakt zum Taliban-Anführer ist offenbar abgerissen. Was aus seinem Angebot geworden ist, entzieht sich der Kenntnis der Bundeswehr. Zu der versprochenen Überlaufbewegung oder gar Zerschlagung des Taliban-Netzwerkes ist es jedenfalls nicht gekommen. Trotzdem fühlt sich die Bundeswehr Ende 2010 in Kundus endlich sicher. Kurz zuvor haben sie die Taliban durch eine große Offensive noch einmal zurückgeschlagen. Wenn die deutschen Panzergrenadiere eine Patrouille abgeschlossen haben, fahren sie in ihrem Außenposten am Stadtrand ein - der Polizeistation von Schardareh./ Schardarah - und stellen sich neben dem Wachturm auf dem Hof zu einem Appell vor ihrem Kommandeur auf. Atmo: Stimme Oberstleutnant: "Woll'n wir mal hören, ob die alle wach sind. Kameraden: Stillgestanden! Ein dreifaches: Panzergrenadiere..." Mannschaft antwortet im Chor: "Dran! Drauf! Drüber!"Panzergrenadiere..." Mannschaft antwortet im Chor: "Dran! Drauf! Drüber!"Panzergrenadiere..." Mannschaft antwortet im Chor: "Dran! Drauf! Drüber!" Stimme Oberstleutnant: "Rührt euch." Autor: Oberst Jochen Schneider ist der letzte deutsche Kommandeur in Kundus. Am Vorabend des Abzugs im Oktober 2013 steht er vor den Toren des Feldlagers und überwacht die Verladung der letzten Ausrüstungsteile. Schneider übergibt, meint er, ein gut bestelltes Feld. O-Ton Oberst Schneider: Jetzt noch vor uns liegt die Herausforderung, das hier entsprechend abzuschließen, ein paar Dinge noch zu übergeben an die ANCOP-Kräfte und dann unsere letztendliche Schlussoperation: zurück nach Mazar-e-Sharif. Die persönliche Bilanz ist, dass ich im Moment tiefe Dankbarkeit empfinde, dafür dass wir keine Verluste hatten bisher und ich hoffe, dass es auch so bleibt. Autor: Weder sind die von der Diskriminierung betroffenen paschtunischen Gemeinden besser gestellt, noch wurden die Aktivitäten der tadschikischen und usbekischen Warlords im Bundeswehrgebiet beendet oder gar nur eingeschränkt. Im Gegenteil: Seit der scheinbar erfolgreichen Offensive der Bundeswehr in der Region Kundus, beherrscht wenige Kilometer vom deutschen Feldlager Nawid, ein polizeilich gesuchter Auftragskiller, eine Kleinstadt - unantastbar, seitdem er mit seinen tadschikischen Truppen das deutsche Militär im Kampf gegen die paschtunischen Taliban unterstützte. O-Ton Oberst Schneider: Das sind aus meiner Sicht auch eher Gerüchte als Tatsachen. Wir haben dort nicht mehr ein klares Lagebild, weil das nicht mehr mein Verantwortungsbereich ist. Ich kann diese Informationen über unseren Strang Intel-mäßig nicht bestätigen Atmo: (DRWzFlK., http://www.liveleak.com/view?i=fa7_1435182783 Autor: Wenige Monate nach dem Gespräch mit Oberst Schneider betrachte ich ein Video, das die Taliban vom ehemals deutschen Außenposten Schahardareh ins Netz gestellt haben. Es ist das Viertel, das in der Bundeswehr-Operation Halmazag von Aufständischen gesäubert wurde und in dem das deutsche PRT seine Aufbaumaßnahmen durchführte. - Atmo aufziehen Man sieht dieselben Mauern, denselben Wachturm, denselben Innenhof, auf dem ich mit den deutschen Panzergrenadieren stand - jetzt aber aber voller Taliban in Shalvar Khamis-Gewändern, die Köpfe mit Tüchern umwickelt, Kalschnikows in den Händen. - Atmo Taliban-Video aufziehen Autor: Die Taliban machen Siegeszeichen und feuern triumphierend ihre Kalaschnikows in die Luft ab. Musste es so kommen? frage ich mich. Hätten nicht Verhandlungen zur rechten Zeit, ein bisschen mehr Kontakt und Eingehen auf die Lage der Bevölkerung ganz andere Resultate zeitigen können? Im Winter 2015, spreche ich mit Gemeindevertretern aus den Dörfern rund um Kundus. Wie blicken sie zurück auf die Zeit des von Deutschland koordinierten zivil-militärischen Aufbaus? Ajmal, ein Grundschullehrer, formuliert es so: O-Ton Ajmal, Lehrer: Übersetzer: Die Deutschen versprachen, aus Kundus ein kleines Europa zu machen: Asphaltierte Straßen in Schahardarah, Schulen, Krankenhäuser. Nichts davon ist eingetreten. Wenige solcher Projekt wurden umgesetzt, und dann manchmal von Nichtregierungsorganisationen, die keine deutschen sind. Offen gesagt, ich würde auch eine Talibanregierung für unsere Gegend besser finden. Autor: Sein Kollege Abdul Majid, auch er ein Lehrer, stimmt ihm zu. O-Ton Abdul Majid Pardez: Übersetzer: Die Menschen auf den Dörfern, die Bauern, wer immer arm ist, zieht die Taliban vor. Die Taliban entscheiden und handeln immer rasch und transparent. Sie stören niemanden, es gibt unter ihnen keine Kriminalität, alle Häuser können 24 Stunden lang unverschlossen bleiben. Auch ich ziehe die Taliban vor. Ich sehe ja, wie sie sich verhalten und wie sie mit den Menschen auf den Dörfern umgehen und das überzeugt mich. Sprecherin In der nächsten Folge O-Ton Guido Steinberg: Der militärische Sieg der Taliban, der zeichnet sich bereits ab. Es ist in der internationalen Diplomatie häufig die Rede davon, dass die Taliban in die jetzige Regierung integriert werden. Das sehe ich so nicht. Das werden sie nicht akzeptieren. Sprecherin Der verlorene Frieden - Deutschlands Einsatz in Afghanistan Feature-Serie von Marc Thörner Folge 5 - Die falschen Freunde vom Petersberg Es sprachen Jean Paul Baeck, Martin Bross, Jochen Langner, Marion Mainka, Volker Risch und der Autor Ton und Technik: Gunther Rose und Oliver Dannert Regie Matthias Kapohl Redaktion Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks 2021 1