Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Den Unternehmern treu ergeben Das paternalistische Arbeitsrecht des Hans Carl Nipperdey Autor: Peter Kessen Regie: Thomas Wolfertz Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2021 Erstsendung: Dienstag, 14.12.2021, 19.15 Uhr Wiederholung: Dienstag, 25.04.2023, 19.15 Uhr Mitwirkende: Frauke Poolman, Wolfgang Rüter, Lisa Bihl und David Vormweg Ton und Technik: Michael Morawietz und Lukas Fehling Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Atmo 1 Streik Gorillaz Berlin O-Ton 1 Duygu Kaya, Gorillaz Streikende 5.40. We cherished the idea of wildcat strikes, because that's our only tool, to say no to the things that are affecting us.... Sprecherin 1: Im Sommer 2021 streiken Beschäftigte des Lieferdienstes Gorillas in Berlin. Sie sind unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen, kritisieren unter anderem befristete Verträge, die Ausrüstung der Fahrerinnen und Fahrer sowie die Dienstplanung. Das Unternehmen erklärt, die Kritik ernst zu nehmen und viele Punkte bereits verbessert zu haben. Sprecher: Es ist ein wilder Streik, keine Gewerkschaft hat dazu aufgerufen. Etwa 350 werden daraufhin nach Angaben von Verdi entlassen. Auch die 32jährige Duygu Kaya. Sie klagt vor dem Berliner Arbeitsgericht. O-Ton 2: Duygu Kaya, Gorillaz Streikende, 9.45 ?You learn that this understanding of wildcat Strikes being illegal is actually coming from outdated rulings that were done by non convicted Nazi Judges. And through their stamp of Expertise.....And when i was at my courthearing the judge himself was refering tot hat ruling. And he was just saying: This has been the situation for sixty years, why are you trying to Change it.... ....And i asked him if he had an idea....he knew who is behind this rulings and instead of giving me the name of that specifing person, Hans Carl Nipperdey, he said, Ja, it was done by a senate.....But again when you dig deeper, you see the ...signanture of an non convicted Nazi Judge is still affecting today workers struggle. Sprecherin 2: Man erfährt, dass diese Auffassung, wonach wilde Streiks illegal sind, tatsächlich auf veralteten Urteilen beruht, die von nicht verurteilten Nazi Richtern gefällt wurden. Bei meiner Verhandlung bezog sich der Richter auf diese Urteile. Er sagte: Das gilt so seit sechzig Jahren, warum versuchen sie das zu ändern.... Ich fragte ihn, ob er denn wüsste, wer hinter dieser Rechtsprechung steckt. Anstatt den Namen dieser Person, Hans Carl Nipperdey, zu nennen, sagte er, das sei ein Senat gewesen. Aber wenn man genau hinschaut, sieht man die Handschrift eines nicht verurteilten Nazi-Richters, die noch heute den Kampf von ArbeiterInnen beeinträchtigt. Zitator/Sprecherin 2 Den Unternehmern treu ergeben - das paternalistische Arbeitsrecht des Hans Carl Nipperdey Ein Feature von Peter Kessen Sprecher: Hans Carl Nipperdey wurde am 21. Januar 1895 im thüringischen Berka geboren und starb am 21. November 1968 in Köln. Nipperdey war Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Arbeitsrecht, zuerst in Jena, ab 1925 in Köln. Sein wichtigstes Amt: Von 1954 bis 1963 war er erster Präsident des Bundesarbeitsgerichts in Kassel. Sprecherin 1: Nipperdey erhielt das große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland Sprecher: Im dritten Reich arbeitete Nipperdey für die Akademie für deutsches Recht unter dem Präsidenten Hans Frank, der 1946 als Hauptkriegsverbrecher hingerichtet wurde. Nipperdey schrieb an einem nationalsozialistischen Volksgesetzbuch, welches das Bürgerliche Gesetzbuch ersetzen sollte. O-Ton 3: Professor Ulrich Preis 16.20 Nipperdey hat das deutsche Arbeitsrecht vor 1949 wie danach als Wissenschaftler, Funktionär und Richter durch außerordentliche juristische Kompetenz und geschickte Einflussnahme bis heute geprägt wie sonst wohl kein anderer Arbeitsrechtler. Sprecherin 1: Ulrich Preis, Professor für Rechtswissenschaft an der Universität zu Köln O-Ton 4 Rolf Geffken, Rechtsanwalt und 25.20 ?Da hat dann Albrecht Zeuner, das war einer unserer eher konservativen Arbeitsrechtslehrer, aber ein relativ unabhängiger Mensch, der hat dann gesagt, der wilde Streik verdankt seine Wildheit dem Bundesarbeitsgericht. Sprecher: Dr. Rolf Geffken, Rechtsanwalt für Arbeitsrecht, er kämpft seit 55 Jahren gegen den Einfluss Nipperdeys O-Ton 5: Rolf Geffken, Rechtsanwalt und 25.20 ... eigentlich ist das das chinesische Verständnis von Gewerkschaften. Gewerkschaften gibt es in China auch, aber die müssen die kollektiven Aktionen unter Kontrolle bringen. Und zu Ende führen. Das ist das Modell von Herrn Nipperdey gewesen. Sprecherin 1: Noch im Jahr 2021 sind sie in Deutschland spürbar, die Einflüsse des Juristen und Bundesarbeitsgerichtspräsidenten Hans Carl Nipperdey: Sprecher: - Wenn der Streik der Gorillas-Fahrer für illegal erklärt wird. Atmo 2: Kundgebung Gorillaz Aktivisten "Sprechchöre: Where ist he money? Where ist he Money?...Pay your Workers...Pay Your Workers!...(Lachen) Sprecherin 1 - Wenn in Deutschland die Europäische Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern bis zum 17. Dezember 2021 - innerhalb der von der Europäischen Union gesetzten Frist - nicht umgesetzt wird. Sprecher: - Oder wenn die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer für ihr Streikrecht vor Gericht ziehen muss. Atmo 3 Werftarbeiterstreik Hamburg, Rundfunkreportage: 0.00 Um acht Uhr heute Morgen standen die Arbeiter der deutschen Werft in der großen Schiffbauhalle. Sie waren zusammengekommen, um in einer Betriebsversammlung einen Beschluss zu fällen, ob die Deutsche Werft sich dem Streik der Howaldswerft anschließen sollte oder nicht. Sprecherin 1: Im August 1955 streiken etwa 11.000 Hamburger Werftarbeitern bei den Howaldtswerken und der Stülckenwerft für mehr Lohn. Die Gewerkschaft lehnt den Streik ab, weil der Tarifvertrag noch gilt. Atmo 4 Werftarbeiterstreik Hamburg, Rundfunkreportage 10.15 : (Gewerkschafter) Dieser Arbeitskampf kann in keiner Weise von der Gewerkschaft anerkannt werden, wir sind uns bewusst, dass wir ...nicht vertragsbrüchig werden dürfen..... Aber die Kollegen sind sich nicht klar darüber, dass dieser Kampf nicht in dieser Form geführt werden kann, sondern dass das Sache der Tarifvertragsparteien ist, darüber zu entscheiden und zu beschließen. Sprecher Der Betriebsratsvorsitzende Hansen kann sich gegen ein Streikkomitee nicht durchsetzen. Der Streik findet trotzdem statt, die Beteiligten werden später entlassen. Zitator: "Streiks sind im Allgemeinen unerwünscht, weil sie volkswirtschaftliche Schäden hervorrufen." Sprecherin 1: Zitat aus einem Urteil des Bundes-Arbeitsgerichts vom 28. Januar 1955. Präsident des Gerichtes war Hans Carl Nipperdey: Atmo 5: Hans Carl Nipperdey, Rundfunk Interview 1.22: Hier hat der große Senat des Bundesarbeitsgerichtes in einer sehr bekannt gewordenen Entscheidung im Jahre 1955 ausgesprochen, dass der Streik um die Arbeitsbedingungen, der nach Beendigung eines Tarifvertrages stattfindet, von dem Makel einer Illegalität, von dem Makel der Rechtswidrigkeit befreit ist. Sprecher: Nipperdey in einem Radiointerview 1958. O-Ton 6 Christoph Schmitz-Scholemann, ehemaliger Richter am BAG, mono 2. 6.25 Ja, die Streikrechtsprechung des BAG unter Nipperdey , war hart gegenüber den Gewerkschaften. Sprecherin 1: Christoph Schmitz-Scholemann, ehemaliger Richter am Bundesarbeitsgericht in den Jahren von 2001 bis 2014. O-Ton 7 Man hat, wenn die Gewerkschaften die Regeln, die damals vom BAG aufgestellt waren, wenn die Gewerkschaften diese Regeln auch nur wenig verletzt haben, wurden sie vom BAG zur Erstattung von Schadensersatz verurteilt an die andere Seite, also an die Arbeitgeberseite. Sprecher: So zum Beispiel die IG Metall vom ersten Senat des Bundesarbeitsgerichtes unter Nipperdey am 1.Oktober1958 wegen eines Werftarbeiterstreiks. Der ehemalige Justiziar der Gewerkschaft, Professor Michael Kittner, schreibt dazu: Zitator: Die Verurteilung zum Schadensersatz hatte geradezu traumatische Wirkungen auf die IG Metall. Fortan stand die Sorge, ein Streik könne unzulässig sein, stets obenan bei allen ihren tarifpolitischen Diskussionen. Sprecherin 1: Zum entscheidenden Punkt erklärte Nipperdey die Frage nach der Sozialadäquanz eines Streiks. In seinen Worten 1953: Zitator: Handlungen, die sich im Rahmen der allgemeinen Ordnung des menschlichen Zusammenlebens halten und damit sozial adäquat sind, sind nicht tatbetandsmäßig und kommen als unerlaubte Handlungen nicht in Betracht. Sprecher: Professor Ulrich Preis, Rechtswissenschaftler an der Universität Köln: O-Ton 8 Professor Preis 43.45 Aus dieser Formel können sie alles und jedes herleiten. Das hat er dann auch gemacht. Er urteilte dann aus dem Grundsatz der Sozialadäquanz. Und Nipperdey entwickeltet daraus, das eine ist zulässig, das andere ist nicht zulässig. Der Sympathiestreik ist zulässig, aber der politische Streik nicht, weil der politische Streik passt nicht in das System, des kollektiven Arbeitsrechtes, das das Ziel hat Konditionen, gute Konditionen für die Arbeit der Arbeitnehmer auszuhandeln Sprecherin 1: Der Historiker Peter Birke hat das Buch "Wilde Streiks im Wirtschaftswunder" geschrieben. Und Arbeitsniederlegungen Anfang und Ende der 50er Jahre verglichen. Die Zahl der Streiks und der Streikenden hat sich in der Zeit mehr als halbiert. Zitator: Zwischen 1954 und 1959 erreicht die Zahl der Ausfalltage pro 1000 Beschäftigte nur in zwei Jahren, 1954 und 1956 annähernd das französische oder britische Niveau. Stets bleib die Zahl weit unter dem Level, der beispielsweise in Italien, den USA oder Belgien erreicht wurde. O-Ton 9: Hartmut Bäumer, Ex Arbeitsrichter 8.55 Wir haben in Deutschland im internationalen Vergleich eine sicherlich sehr eingeengte Streikrechtsprechung. Sprecher: Hartmut Bäumer, Vorsitzender von Transparency International und ehemaliger Richter am Arbeitsgericht. O-Ton 10: Hartmut Bäumer, Ex Arbeitsrichter 8.55 ...Und da ist die Verbindung von alleinigem Streikrecht für Tarifforderungen, das erst ganz einengende. Das zweite ist, wenn ein Tarifvertrag abgeschlossen wurde, mit einer bestimmten Laufzeit, dann gilt die Friedenspflicht. Dass gibt es in anderen Ländern so auch nicht. ..... Und das sind Dinge, die gehen sicherlich auf Nipperdey zurück - die Einengung des Streikrechtes nur auf Tarifauseinandersetzungen, da geht es gar nicht mal nur um politische Streiks, sondern auch und andere Fragen aus dem Arbeitsrecht. Atmo 6 Adolf Hitler 1.18.30 Weder hat der eine das Recht den anderen auszusperren, noch hat der das Recht die Arbeit zu verweigern. Wer ist denn der Leidtragende - die ganze Nation. ....bloß, weil zwei sich nicht einig sein können. ....und über beiden muss eine hohe Autorität stehen. Das ist die Autorität der Gemeinschaft, die Autorität des Staates. Sprecherin 1: (Schon im Jahr davor,) Am 2. Mai 1933 beginnt der Sturm auf die Häuser der freien Gewerkschaften. Diese werden verboten, alle Verbandsvorsitzenden in Schutzhaft genommen. Sprecher: Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit sorgt für die Gleichschaltung in den Betrieben, es gibt keine Streiks und keine Rechte für die Arbeiterbewegung mehr. Sprecherin 1: Dieses Gesetz ist das Fundament der deutschen Produktionsmaschine, die Aufrüstung und Weltkrieg ermöglichte. Hans Karl Nipperdey hat die Anwendung des Gesetzes durch seinen Kommentar 1934, 1937 und 1943 mitgeprägt. Sprecher: In der Ausgabe von 1943 äußern sich Nipperdey und sein Co-Autor Alfred Hueck auch zum Arbeitsverhältnis von Ausländern: Polen und sogenannte Ostarbeiter, also sowjetische Kriegsgefangene und Deportierte, stehen für die Kommentatoren nicht in einem Arbeitsverhältnis, sondern lediglich in einem Beschäftigungsverhältnis, speziell Polen könnten keine "Gefolgschaftsangehörigen" sein, sie stünden unter sogenanntem "Sonderrecht". Sprecherin 1: Im Kommentar finden sich keine weiteren Ausführungen dazu. In der Praxis erleiden die Menschen Entrechtung, Diskriminierung, Ausbeutung, Hunger oder Tod. Hans Carl Nipperdey beginnt 1935 als Mitglied der Akademie für Deutsches Recht am sogenannten Volksgesetzbuch mitzuarbeiten, welches das Bürgerliche Gesetzbuch ersetzen soll. Sprecher: Nipperdey schreibt unterm Hakenkreuz von der "gewaltigen Stoßkraft" der neuen Weltanschauung und von der "Familie als Keimzelle des Volkes und der Im November 1959 erklärt Nipperdey: Zitator: dass ich den Nazismus zu jeder Zeit verabscheut und nach besten Kräften leidenschaftlich bekämpft habe. ... Wer in der Diktaturzeit hier im Lande für Recht und Gerechtigkeit, für rechtsstaatliches Denken, gegen die beabsichtigte Zerschlagung des BGB und seine Auflösung in nazistische Einzelgesetze, für ein soziales Tarifrecht ... wirken wollte, musste sich, wie jeder Kenner weiß, beim Kampfe tarnen... Sprecher: Nipperdey verliert nach der Niederlage des Nationalsozialismus zunächst seine Professorenstelle. Ein britisches Untersuchungsteam konstatiert, dass er die Philosophie und die Ziele des Nationalsozialismus unterstützt habe. Sprecherin 1: Tatsächlich hat Nipperdey auch bedrohten jüdischen Menschen geholfen. Er hatte eine jüdische Großmutter, galt als sogenannter Mischling 2. Grades, wurde aber aufgrund seiner Kriegsteilnahme im ersten Weltkrieg nicht verfolgt. Sprecher Nipperdey gelingt dank verschiedenster Unterstützer die Entnazifizierung und der berufliche Wiedereinstieg. Fünf Jahre lang vertritt er als Jurist gewerkschaftsnahe Positionen. Später verfasst er auch Gutachten für die Arbeitgeberseite. Im Jahr 1954 wird er Präsident des Bundesarbeitsgerichtes. Sprecherin 1 Seine Urteile zum Streikrecht und zur Tarifeinheit beschäftigen die Bundesrepublik auch noch im Herbst des Jahres 2021. Atmo 7: Reporterin, Hauptbahnhof Mannheim: ?Hauptbahnhof Mannheim, Heute um 7, ein Großteil der Züge fällt heute aus....In der Bahnhofshalle herrsch wenig Betrieb. Die meisten wissen, dass die Lokführer streiken.... Sprecher: Am 30. August 2021 kündigt die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, die GDL, einen weiteren Streik für bessere Arbeitsbedingungen und Gewerkschaftsrechte an. Atmo 8: Streikender Eisenbahner, 1.49: ?Die Bahn möchte uns kein Stück entgegenkommen. Und das Scheinangebot, das sie am Sonntag gebracht hat, das kann man auch zu den Akten legen. Da soll man was ordentliches kommen. Und ich denke, dann wird es auch? keine Streiks mehr geben. Sprecherin 1: Im November 2020 hat die GDL die selbst auferlegte Beschränkung auf das Zugpersonal beendet und sich für alle Bahnmitarbeiter geöffnet. Die GDL befürchtet seit dem Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes im Jahr 2015, von der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, EVG, verdrängt zu werden. Nur noch eine und zwar die jeweils größte Gewerkschaft soll in einem Betrieb Tarifverträge abschließen können. O-Ton 11: Schmitz-Scholemann, ehemaliger Richter Bundesarbeitsgericht., 23.10: Tarifeinheit, stand bis 2014 nicht im Gesetz, Sprecher: Christoph Schmitz-Scholemann, ehemaliger Richter am Bundesarbeitsgericht in den Jahren von 2001 bis 2014 O-Ton 12 das war, man könnte es, etwas übertrieben sagen, ein Überraschungscoup von Nipperdey von einer Entscheidung Ende der 50er Jahre, der das aus dem Hut gezaubert hat (...)Ja, der hat einfach gesagt es kann nicht sein, dass in einem Betrieb oder Unternehmen mehrere Tarifverträge gelten, von unterschiedlichen Gewerkschaften. Es kann in jedem Betrieb nur einen Tarifvertrag geben. Musik: Ton Steine Scherben: Wir streiken. O-Ton 13 Professor Kittner, Rechtwissenschaftler 24.40 Das ist die Frage wer darf streiken, wenn mehrere Gewerkschaften auf demselben Feld konkurrierend tätig sind. Sprecher: Professor Michael Kittner, Rechtswissenschaftler an der Universität Kassel und langjähriger Justiziar der Gewerkschaft IG Metall O-Ton 14 Und da ist in der Tat richtig, da hat der Nipperdey in dem Jahre 1955 dieses Urteil ziemlich drastisch auch beeinflusst. Und zwar, das ist inzwischen auch von Zeitzeugen, ist das auch beglaubigt, weil....die führenden DGB Gewerkschafter zu ihm kamen, mit der Sorge, dass es neue kommunistisch beeinflusste Kleingewerkschaften geben könnte. Sprecherin 1: Wenn die Tarifeinheit festlegt, dass nur der Tarif von einer Gewerkschaft gilt, dann kann auch nur diese Gewerkschaft zum Streik aufrufen. O-Ton 15 Schmitz-Scholemann, ehemaliger BAG Richter 25.55 Das heißt man hat nicht wie in Frankreich, England oder so eine kommunistische, eine christliche, eine sozialdemokratische, ein liberale...verschiedene Gewerkschaften, die alle auf demselben Markt tätig sind, nämlich Arbeitnehmerinteressen zu vertreten 27.15 Das heißt, unmittelbar begünstigt von der Tarifeinheit, waren der deutsche Gewerkschaftsbund und alle Arbeitgeber, die im deutschen Arbeitgeberverband, organisiert waren. Das heißt also, praktisch war das ein Kartell. Sprecher : Die Tarifeinheit ist bis Anfang 2010 aufgrund einer über Jahrzehnte andauernden ständigen Rechtsprechung geltendes Recht. Dann ändert das Bundesarbeitsgericht seine Meinung: O-Ton 16 Christoph Schmitz-Scholemann 35.00 Im Grunde genommen hat man sich gefragt, wo steht denn das eigentlich? Sprecherin: Der ehemalige Richter am Bundesarbeitsgericht, Christop Schmitz-Scholemann, rekapituliert die Gründe des Urteils: O-Ton 16 weiter Und dann hat man gesagt, das steht nirgendwo außer in einer Entscheidung des BAG...und hat dann damit Schluss gemacht. 16a: 33.50 Es spielt eine sehr große Rolle: die Diversifizierung der Arbeitswelt, die Ausdifferenzierung der Arbeitnehmerinteressen, die eben nicht mehr an einem Strang zogen. Und ich glaube, dass das eine große Rolle gespielt hat. Musik: Ton Steine Scherben: Wir streiken. Sprecher: Statt Tarifeinheit herrscht vier Jahre lang erweiterte Tarifpluralität. Die große Koalition aus SPD und CDU/CSU beendet diese mit Tarifeinheitsgesetz vom Juli 2015. Seit dem bestimmt wieder die mitgliederstärkste Gewerkschaft im Betrieb. O-Ton 17 Professor Preis 28.45 An dieser Stelle, zu Nipperdey zurück. Ja, in der Tat. Jedenfalls will man den Grundsatz der Tarifeinheit an dieser Stelle mit dieser Normschöpfung, will man dieses sozusagen durchsetzen. Sprecherin 1 Professor Ullrich Preis von der Universität Köln. Sprecherin: in den vergangenen 15 Jahren haben die Gerichte in drei Prozesswellen bestätigt, dass die GDL auch als kleinere Gewerkschaft Tarifverträge abschließen darf. Sie scheiterte jedoch mehrmals mit Ihren Klagen gegen die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes bei der Deutschen Bahn. Das Gesetzt gilt weiterhin. In 71 Betrieben sind die Mehrheitsverhältnisse zwischen GDL und EVG im Herbst 2021 unklar. Sie sollen in einem notariellen Verfahren geklärt werden. Sprecher: Am 16. September 2021 geben Bahn und GDL eine gemeinsame Pressekonferenz. Der Streik ist beendet, man hat sich auf einen Tarifvertrag geeinigt. Neben Lohnfragen sei es, so der GDL Vorsitzende Claus Weselsky, vor allem um die Gewerkschaftsfreiheit gegangen: O-Ton 18 Claus Weselzky , 0.00 Ich möchte eins nicht unerwähnt lassen, und dass ist dass, was Sie zum wiederholten Male in den Auseinandersetzungen zwischen der Arbeitgeberseite und uns als Kern der Auseinandersetzung behalten sollten. Es ging um Freiheitsrechte und die sind weder schlichtbar, noch sind sie verhandelbar. Es ging um Grundgesetz Artikel 9 Absatz 3 und die Frage, ob wir Tarifverträge für alle unsere Mitglieder abschließen können oder nicht. Wir haben auch hier einen Kompromiss gemacht, wir schließen Tarifverträge für alle Beschäftigtengruppen in allen Eisenbahnverkehrsunternehmen des DB Konzerns ab, wir werden keinen Tarifvertrag abschließen für den Bereich der Infrastruktur, Fahrdienstleiter und Station und Service. Sprecherin 1: Nipperdeys Tarifeinheit steht dem weiter entgegen. Atmo 9: Köln: Vögel, Stimmen. Sprecher: Hier hat die Familie Nipperdey gelebt, in einer wuchtigen zweigeschossigen Villa aus den frühen 20er Jahren, gelegen in der sogenannten Professorensiedlung im Kölner Stadtteil Marienburg. Von 1925 bis zum Jahr 1968, fünf Kinder wuchsen hier auf. Sprecherin 1 Hier hat Hans Carl Nipperdey wohl auch im Jahr 1961 über seine Festrede zum 10jährigen Bestehen das Bundesverfassungsgerichts nachgedacht. O-Ton 19 Nippperdey,, Feierstunde 10 Jahre BVG /53.50 (danach unterlegen) Die deutschen Gerichte werden wiederum im Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht sich zu den Worten des zu früh dahingeschiedenen und neuerdings angegriffenen Günther Hollstein aus dem Jahre 1926 bekennen. ..."Seine letzte Tiefe erhält der Rechtsstaatsbegriff doch erst wenn er gefasst wird als der des Staates der aus der Gerechtigkeit... und für die Gerechtigkeit lebt. Und so die nationale Gemeinschaft zur letzten ethischen Höhe sozialen Seins führt. Sprecherin 1: Diese Neigung zu höheren Werten, sie findet man häufiger bei Nipperdey. Das bekannteste Foto zeigt ihn als resoluten, gefassten Herrn mit würdevollen Gesichtszügen, das schwarze Haar streng zurückgekämmt. Sprecher: Seine berühmte Tochter, die feministische Theologin Dorothe Sölle erinnert sich 1981 an die Jahre unterm Hakenkreuz. O-Ton 20 Dorothee Sölle 7.10 Meine Eltern waren so bürgerliche Anti Nazis und hatten sehr, sehr viel jüdische Freunde, die zum Teil rausgegangen waren....wir hörten immer den ausländischen Sender, ich bin eigentlich in zwei Sprachen aufgewachsen, die eine , die man Zuhause sprechen durfte, und die andere, die man draußen sprach...7.50 Als 8 oder 9jähriges Kind wusste ich ganz genau, was das Wort Konzentrationslager bedeutet, und wenn man Draußen die Sprache des Hauses spricht, kommen wir alle ins KZ...Halt den Mund ! Sprecher: Hildegard Nipperdey, die Ehefrau, ein paar Jahre später. O-Ton 21: Hildegard Nipperdey 4.44 ".... Er ging nicht aktiv in die Politik, aber er interessierte sich dafür, deshalb war er ja auch so geschockt, wie dann diese fürchterliche Entwicklung zum Nationalsozialismus begann. Er war nie Mitglied der Partei...er war auch .......Mitglied der etwas berüchtigten Akademie für deutsches Recht, aber das waren ja Bestrebungen, dass diese Männer wünschten dass größere Übel zu verhüten und das Positive in das neue deutsche Arbeitsrecht einzubringen...." Atmo 10: Lesung 1939, 5 Jahrestag des NS Arbeitsgesetzes: Im Betriebe arbeiten der Unternehmer als Führer des Betriebes und die Angestellten und Arbeiter als Gefolgschaft gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinsamen Nutzen von Volk und Staat. So heißt es in dem ersten Paragraphen des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit, das am 20. Januar 1934 von der Reichsregierung erlassen worden ist. Sprecherin 1: Eine Sendung aus dem Jahr 1939, zum 5. Jahrestag des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit. Hans Carl Nipperdey hat den maßgeblichen Kommentar dazu verfasst Atmo 11: Maschinenhalle, historischer Sound (Archiv!) Zitator: Gesetzgeber bei der Betriebsordnung ist der Führer des Betriebes, der die Autonomie für die Betriebsgemeinschaft ausübt, ausnahmsweise an seiner Stelle der Reichstreuhänder!" O-Ton 22: Rolf Geffken, Rechtsanwalt 16.53 Das war nichts ....anderes als das faschistische Arbeitsrecht, kodifiziert in einem Arbeitsgesetzbuch, indem nicht mehr Arbeitnehmer, Arbeitgeber existieren. Nur noch Führer und Gefolgschaft. Sprecher: Die Tageszeitung Taz hat Rolf Geffken einmal als sogenannten "Linksanwalt" bezeichnet. Atmo 12: Kanzlei Geffken 1, Ste 01. 00 ?Geffken: Wann ist der Termin? Sekretärin: Termin ist im November. Sprecherin 1: Geffken bezeichnet sich selbst als 68er. Während der Studentenrevolte in Hamburg hat sein Kampf gegen Nipperdey begonnen. Atmo 23: Proteste, 1968 Hamburg Uni: ?Eine ordentliche Vollversammlung nach den Streiks soll die Maßnahmen der Jur Fakultät beschließen....Wir haben gestern auf der Vollversammlung Revolution durchgebracht... Sprecher: Seine Immatrikulationsfeier findet am 9. November 1967 im Audi Max der Universität Hamburg statt. Plötzlich enthüllen zwei Studenten ein Transparent. Den Moment hat Geffken in seinem Buch "Einspruch im Namen der Arbeit" festgehalten: Weiße Buchstaben auf schwarzem Grund bilden die Parole. Zitator: Unter den Talaren - Muff von 1000 Jahren O-Ton 24: Rolf Geffken, 14.40 ?Und wir haben dann insbesondere bei den Juristen...uns konkret auseinandergesetzt ...mit den aus unserer Sicht reaktionären Lehrinhalten insbesondere beim Arbeitsrecht, natürlich mit der herrschenden Rechtsauffassung vom Arbeitsrecht und die war eben geprägt von Alfred Hueck und Hans Carl Nipperdey....Es gab außer Nipperdey fast gar nichts...alle möglichen Lehrbücher oder Kompendien oder Gesetzessammlungen trugen den Namen Nipperdey. Und wenn sie nicht den Namen Nipperdey trugen, dann den Namen von Schülern Nipperdeys. Sprecherin 1: Der junge Geffken arbeitet in der sogenannten "Kritischen Fachgruppe Arbeitsrecht" mit. Im Jahr 1972 veröffentlicht er eine Streitschrift, die sich besonders mit Nipperdey beschäftigt: O-Ton 25: Rolf Geffken 16.15 Dieses Papier...Arbeitsrecht im Kapitalismus setze sich eben vorwiegend mit der Ideologie des personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses auseinander, eben mit einer faschistischen Ideologie, die Herr Nipperdey aus der Zeit von 1933 in die Zeit nach 1945 hinübergerettet hatte. ......Nipperdey hat es Wort für Wort in die neue Zeit übertragen, er hat es ausgetauscht ...Gefolgsmann gegen den Arbeitnehmer 18.00 Im Inhalt hat sich nichts geändert, es war immer noch die Betriebsgemeinschaft ....... Nipperdey ...hat versucht immer wieder die Gemeinschaft von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu predigen. Sprecher: Geffken trifft im Jahr 1973 der sogenannte Radikalenerlass. Nicht zuletzt wegen der Streitschrift gegen Nipperdey soll er nicht verbeamtet werden. Die Causa interessiert auch das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Daraufhin verkündet der Hamburger Bürgermeister Peter Schultz im März 1973 auf einem Parteitag, dass Geffken trotzdem verbeamtet werden könne. Sprecherin 1: Bis heute kämpft Geffken gegen den Einfluss Nipperdeys, in Artikeln wie zum Beispiel für die Wochenzeitung "Freitag" und auf seiner Webseite. Im Februar 2021 veröffentlicht er sein Buch "Einspruch im Namen der Arbeit. Geschichten aus dem Anwaltsleben eines 68ers". Über die - Zitat - reaktionären Rechtsauffassungen von Nipperdey schreibt er: Zitator: Das Arbeitsrecht wurde beherrscht von Professor Hans Carl Nipperdey. Die von ihm geprägte Ideologie der "Sozialadäquanz" war gänzlich außerhalb jeder bürgerlichen Legalität angesiedelt und diente nur der Reproduktion reaktionärer Rechtsauffassungen. Darunter vor allem die Idee vom Arbeitsvertrag als einem personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis", das aus der Tiefe der faschistischen Volksgemeinschaft hervorgeholt - oder besser - wieder neu aufgelegt worden war. Atmo 12: Maschinenhalle, historischer Sound (Archiv !) Sprecherin 1: In der vierten Auflage von Nipperdeys Kommentar zum Gesetz der Ordnung der nationalen Arbeit aus dem Jahr 1943 heißt es: Zitator: Treu und Glauben unter besonderer Berücksichtigung der entscheidenden Gedanken des neuen Arbeitsrechts (Betriebsgemeinschaft, Arbeitsverhältnis und Treueverhältnis Paragraph 2, Arbeit als Dienst an Volk und Staat und die Fürsorgepflicht) müssen für die Auslegung maßgebend sein". Sprecherin 1: Die Treuepflicht stammt ursprünglich aus dem germanischen Recht, das im 19. Jahrhundert unter Rechtswissenschaftlern eine Renaissance erlebte und dann im Nationalsozialismus eine radikale Auslegung erfuhr. Diese "Treuepflicht" des Dritten Reiches wandelte die bisherigen sachlichen Rechtsansprüche zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in "personenrechtliche" Ansprüche um und? beherrschte das gesamte Arbeitsverhältnis. Sprecher So folgte zum Beispiel "aus der Treuepflicht, dass ein Beschäftigter auch andere als im ?Arbeitsvertrag vereinbarte Leistungen erbringen musste. Die Beschäftigten hatten bei Bedarf auch Mehrarbeit, selbst über die regelmäßige gesetzliche Höchstarbeitszeit hinaus, zu leisten. Sprecherin 1: Diese Treuepflicht ist auch Teil der Rechtsordnung der Bundesrepublik geworden. Und zwar im Bürgerlichen Gesetzbuch. Professor Dr. Michael Kittner, Rechtswissenschaftler an der Universität Kassel und ehemaliger Justiziar der Gewerkschaft IG Metall, O-Ton 26 Professor Kittner 39.10 Das ist ein sehr überkommener Begriff, der insbesondere aus der NS Zeit herrührt. Eine der wirklichen Kernangelegenheiten, wo das NS Recht, substanziell in die Bunderepublik noch hineintransportiert worden ist. In der Sache handelt es sich um die Frage, ob Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Vertragsleistung hinaus noch Pflichten gegeneinander haben. Und heute hat das, was früher unter dem Begriff Treuepflichten und Fürsorgepflichten subsumiert war, steht heute unter Nebenpflichten. Das steht ausdrücklich im BGB Paragraph 241 Absatz 2. Also auf die Pflicht auf die Gegenseite eines Vertrages Rücksicht zu nehmen. Sprecher: Zu den Nebenpflichten zählen: Die Anzeige- und Nachweispflicht im Krankheitsfall, Sorgfalts- und Schadensabwendungspflichten, das Wettbewerbsverbot, Verschwiegenheitspflicht, und das Schmiergeldverbot. Sprecherin 1 Zentral ist hier die Pflicht zur Verschwiegenheit, die bis zur Deckung von Straftaten reicht und auch das Privatleben betreffen kann. Sprecher: Entsprechend legte das sogenannte "Maulkorburteil" des Bundesarbeitsgerichtes vom 24. August 1972 fest, dass die Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht die Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigen dürfe. Am 4.Juli 1991 und am 3.Juli 2003 verkündet das BAG Urteile, die Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber nur eingeschränkt ermöglichen. O-Ton 27: Dr. Klengel, Arbeitsrechtler Hans Böckler Institut 45.10 Und dann kommen wir eben zum Thema der Meinungsfreiheit im Arbeitsverhältnis, ... Sprecherin 1: Dr. Augusto Klengel, Rechtswissenschaftler beim gewerkschaftsnahen Hugo-Sinzheimer-Institut. O-Ton 28 ... dass man eben die hergebrachte Meinung hatte...dass man gegenüber der Öffentlichkeit, keine Missstände aus dem Arbeitsverhältnis öffentlich macht. Heute würde man sagen Whistleblowing. Das ist sehr restriktiv gesehen worden. 47.40 Ja, das ist die traditionelle Auffassung im deutschen Recht und die Urteile der Gerichtbarkeiten sind so, dass man eben Missstände im Betrieb nicht aufzudecken hat, ...aufgrund der Loyalitätspflichten gegenüber dem Arbeitgeber. Und wenn das gemacht wird, und dann direkt an die Öffentlichkeit geht oder an eine Behörde, dann ist das eine Pflichtverletzung, die zur Kündigung führen kann. O-Ton 29 Arzthelferin, 5.50 Irgendwann hat man gemerkt, die Sachen, die abgelaufen waren, hab ich halt weggeschmissen, weil es sich so gehört. Und auf einmal waren sie wieder da. Sprecherin 1 Eine Hamburger Arzthelferin geht 2016 zum Gesundheitsamt und zeigt ihren Chef an. O-Ton 30 11.10 Wenn Sie mit benutzten Kanülen gestochen werden. Man weiß halt nicht, was derjenige vorher hatte. Kann sein, dass Sie dann dadurch HIV bekommen, Sie können Hepatitis bekommen, alle möglichen Krankheiten, die durch Körperflüssigkeiten oder Blut übertragen werden können Sprecherin 1: Gesundheitsbehörde und Staatsanwaltschaft ermitteln, es kommt zu einer Razzia in der Praxis. Und zur fristlosen Kündigung der Arzthelferin durch den Arzt. Sprecher Rechtsanwalt Rolf Geffken ficht die Kündigung an und beruft sich auf Artikel 10 der europäischen Konvention für Menschenrechte, die Meinungsfreiheit. Das Gericht teilt die Auffassung in einem Auflagenbeschluss vom 28. Feburar 2017. O-Ton 31 Rechtsanwalt Geffken 8.44 Und dann ist es zu einem Vergleich gekommen, bei dem eine relativ hohe Abfindung gezahlt wurde. Und sie ist dann ohne Schaden aus der ganzen Angelegenheit herausgekommen. Sprecherin 1: Rolf Geffken erzielt vor Gericht einen Sieg gegen die Nipperdeysche Rechtstraditionen. Gut 50 Jahre nachdem er an der Universität Hamburg im Oktober 1967 den Kampf begonnen hat. Die europäische Rechtsprechung habe das möglich gemacht: O-Ton 32 Rolf Geffken, 22.11. ?Auf jeden Fall , wenn wir diese ...Korrektur der Rechtsprechung, die ja da der europäische Gerichtshof für Menschenrechte vorgenommen hatten, nicht gehabt hätten, dann wären wir im Prinzip heute noch in der Vergangenheit, als seinerzeit Herr Nipperdey seine berühmtes personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis kredenzt hat ....aber er war es und nicht irgendwelche geheimnisvollen Mächte, er war es, der die Rechtsprechung auf diese Weise geprägt hat, und die war eben gekennzeichnet von einem Treueverhältnis des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, das letztlich auf Unterordnung gerichtet war. Unterordnung im Sinne von, das ist nicht ein Mensch der, der alle staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten hat, insbesondere Meinungsäußerungsfreiheit. Sondern es ist jemand, der in erster Linie den Interessen des Arbeitgebers gemäß zu handeln hat. 13.17 Das Interesse des Arbeitgebers als Maßstab, was der Arbeitnehmer machen darf. Wie absurd das ist, fällt erst manchen Leuten heute erst aus. O-Ton 33: Dr. Klengel, Arbeitsrechtler Hans Böckler Institut 48.10 Das haben wir ja in dem Fall Heinisch ja 2004 gesehen, wo eine Pflegerin, Missstände in ihrem Pflegeheim festgestellt hat, auch schon langjährig festgestellt hat. Und dann eine Strafanzeige gegenüber dem Arbeitgeber erstattet hat. Und dafür von dem Arbeitgeber gekündigt wurde. Und die deutsche Gerichtbarkeit hat diese Kündigung bis zum BAG akzeptiert und bestätigt. Sprecherin: Dann wurde die deutsche Rechtsprechung aber von einem europäischen Gericht korrigiert: O- Ton 33a Und es dann aber vom...Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dann aber kassiert worden. Dann wurde gesagt: Nein- das ist ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit Atmo 13: Ladenbüro Partei "Die Linke", Lüneburg: Gespräch Sprecher: Inge Hannemann sitzt im holzgetäfelten Ladenbüro der Partei "Die Linke" und unterhält sich mit dem Kreisvorsitzenden Thorben Peters. Bundesweit bekannt wurde Sie 2013 als die sogenannte "Hartz-4-Rebellin", sie galt als die erste Sachbearbeiterin eines Jobcenters, die öffentlich die Praxis der Behörde kritisierte. O-Ton 34 : Inge Hannemann, 17.14 Es hat sich über die Jahre kumuliert....wo ich gemerkt habe ich kann nicht mehr in mein Büro gehen , ich habe es nicht mehr geschafft aus ...meiner Wohnung herauszukommen, ich spürte, ich verliere den Respekt vor den Erwerbslosen, wenn ich jetzt in das Büro gehe, werde ich zynisch vor den Erwerbslosen und ich würde sie sehr ungerecht behandeln, ich würde sie sanktionieren.... Sprecherin 1: Inge Hannemann kritisierte unter anderem die mitunter vollständige Streichung der finanziellen Unterstützung, die kontraproduktive Orientierung an Quoten, nutzlose Arbeitsmaßnahmen und die Förderung prekärer Jobs. Veröffentlicht hat Sie alles zuerst in Ihrem Blog. O-Ton 35 Inge Hannemann 26.45 Also, die Bundeagentur für Arbeit, sagt inzwischen auch Sanktionen sind kontraproduktiv. ....Aber vorher war ja immer, Sanktionen müssen sein, sind Erziehungsmaßnahmen. Aber plötzlich sagt die Bundesagentur für Arbeit: Das bringt es ja auch nicht, wenn man 100 Prozent sanktioniert , das führt ja zu Obdachlosigkeit. Und vorher wurde ich für diese Aussage, da habe ich eine Abmahnung bekommen. Also es hat schon was bewirkt.. Sprecher Der Begriff der Treue hat auch in ihrem Prozess eine zentrale Rolle gespielt, sie hatte sogar ein Gelöbnis abgelegt O-Ton 36 Inge Hannemann 10.20 Und damit habe ich dann auch wieder argumentiert. Ich gelobe, meine Dienstobliegenheit gewissenhaft zu führen. Und das Grundgesetz für die Bundessrepublik Deutschland sowie die Gesetze zu wahren....10.45. Und so habe ich vor Gericht auch argumentiert, dass, wenn ich Erwerbslosen das Existenzminimum wirklich auf null kürze, wirklich das Geld wegnehme, ich gegen das Grundgesetz verstoße. Und deswegen habe ich ja, meinen Job verloren...und darum ging es nur noch in diesem Verfahren. Habe ich gegen das Grundgesetz verstoßen oder nicht und habe ich gegen das Gelöbnis verstoßen oder nicht, gegen die Treupflicht oder nicht... Sprecherin 1: Die Bundesagentur für Arbeit wollte Inge Hannemann nicht mehr beschäftigen, es kam letztlich zu einem Vergleich, Inge Hannemann wurde versetzt. Dann hörte Sie auf für das Jobcenter zu arbeiten, wurde Abgeordnete der Linkspartei in der Hamburger Bürgerschaft. Wegen einer Erkrankung musste sie zurücktreten. Im Herbst 2021 lebt die 52Jährige mit der Familie auf dem Land: O-Ton 37 Inge Hannemann, 38.10 Whistleblowing macht krank, physisch hat es mir definitiv geschadet. Ich glaube, diese dauerhafte Anstrengung war das....37a: 42.20 Jetzt bin ich in der Erwerbsminderungsrente ..und davon lebe ich jetzt. Sprecher: Seit dem Jahr 2001 haben sich das Bundesverfassungsgericht und das Bundesarbeitsgericht mit dem Hinweisgeberschutz auseinandergesetzt. Die Whistleblower können sich auf das Recht der freien Meinungsäußerung berufen, allerdings innerhalb deutlicher Grenzen. O-Ton 38: Dr. Ernesto Klengel 50.15 Ja, das BAG sieht das so, dass man zuerst mal an eine interne Stelle gehen muss. Sprecherin 1: Dr. Ernesto Klengel, Rechtswissenschaftler am gewerkschaftsnahen Hugo Sinzheimer Institut. O-Ton 39 weiter In extremen Fällen ist es dann nicht erforderlich. Aber wir haben dann mit der neuen Richtlinie die Reglung, dass das nicht mehr nötig ist. Da kann man auch sich direkt an Behörden wenden. Sprecher: Hartmut Bäumer, Vorsitzender von Transparency International: O-Ton 39a: 27.10 Hartmut Bäumer Wenn Sie denn umgesetzt würde ....dann ist es ein großer Fortschritt, weil sie Mechanismen vorsieht, wie Meldungen gemacht werden können , ohne dass die Person, die sie macht, sich gleich offenbart, publik wird und sich dadurch sehr gefährdet. Sprecher: Die Whistleblower Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 dient dem Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Die Bundesrepublik müsste diese Richtlinie eigentlich bis zum 17. Dezember 2021 in ein Gesetz umsetzen. Sprecherin 1: Doch schon im Frühjahr 2021 scheitert das Vorhaben in der großen Koalition am Widerstand von CDU und CSU. Diese bemängeln zu viel Bürokratie. Hartmut Bäumer, Vorsitzender von Transparency International: O-Ton 40 Hartmut Bäumer 21.00: Ja, wir sind schlechter aufgestellt als die meisten demokratischen Staaten... 40a: 18.30 Es geht um die formale gesetzliche Absicherung und um die Praxis....Deutschland und auch Österreich sind da her sehr schlecht aufgestellt. Frankreich, Kanada, USA, Großbritannien auch die osteuropäischen Länder haben Gesetze. Und formulierte Grundsätze, die bestimmte Verhaltensweisen von Hinweisgeber und Whistleblowern schützen. Das haben wir nicht, wir haben nur das allgemeine Arbeitsrecht. Da sind wir wieder bei der Treuepflicht. O-Ton 41: Inge Hannemann: 48.50 Aber ich würde es nochmal machen, weil es einfach zu wichtig ist, das Thema. Ich finde immer, wenn es um Ungerechtigkeiten geht, ich finde jedes Whistleblowing ist wichtig ...weil ich finde die Öffentlichkeit muss über Missstände informiert werden. Wahrscheinlich finde ich keinen Job mehr, aber brauche ich auch nicht mehr, ich bin jetzt Rentnerin. ... O-Ton 42: Arzthelferin 26.20 Allerdings denke ich, je ehrlicher man ist, desto besser ist es, desto besser kommt man durchs Leben : Und mir war halt einfach wichtig, dass ich mir weiter in den Spiegel kucken konnte. Atmo 14: Protestkundgebung Gorrillas 16. November 2021: (Applaus...The striking workers at Gorillas..... Sprecher: Am 16. November 2021 protestieren AktivistInnen, Gekündigte und Beschäftigte vor einem Lager des Unternehmens Gorillas in Berlin Kreuzberg. Sprecherin 1 Bei den Beschäftigten des Unternehmens Gorillas handelt es sich zu einem sehr großen Teil um Menschen mit Migrationshintergrund, viele auch mit begrenzten Deutschkenntnissen. Sprecher Das restriktive Streikrecht eines Hans Carl Nipperdey, der im Jahr 1943 auch Sondergesetze für sogenannte Ostarbeiter befürwortete, trifft heute bei den Gorillas prekär Beschäftigte mit Migrationshintergrund. Sprecherin 1 Die gekündigte Gorillas Mitarbeiterin Duygu Kaya, engagiert sich im Gorillas Workers Colletive, dem Kollektiv der Gorillas Arbeiterinnen: O-Ton 43: Duygu Kaya, 12.12: One oft he biggest elements of a workers life is fear. You are always working in fear if you are working in precarious conditions. And you are forced in precariosu conditiions, especially if you are a migrant. And the fear is such a dominant figure. You fear that your gonna loose your visa, you fear that your life will be turned abside down..... ....the fear of basically loosing the job and thats why people are sillenced. ....The laws are sillencing people because oft he elements of fear. ....I want to change that....I want the bosses to be the once to have fear, that the workers are given the right to strike, when the want, when they see an injustice at the workplace...Thats my whole fight at Gorillas actually. Sprecherin 2 Die Angst gehört zum Arbeitsleben, besonders für MigrantInnen, die ja häufiger in harten und schlecht bezahlten Jobs arbeiten. Diese Angst ist sehr groß. Die Angst die Aufenthaltsberechtigung zu verlieren, die Angst den Job zu verlieren. Und Gesetze, die einschüchtern, lassen die Menschen verstummen. Die Bosse sollten Angst haben, dass die ArbeiterInnen jetzt das Recht bekommen, zu streiken, wenn sie es wollen, wenn sie Ungerechtigkeiten spüren. Darum geht es bei meinem Kampf bei den Gorillas. Sprecherin 1 Es gehe darum einen Betriebsrat und ein liberaleres Streikrecht durchzusetzen. Der Anwalt Martin Bechert vertritt Gekündigte vor dem Arbeitsgericht: O-Ton 44: Martin Bechert, 20.28: Na, ich glaube, das deutsche Streikrecht muss zeitgemäß angepasst werden, das betrifft einmal europäische Vorgaben. Wir haben nach Artikel 6 Nummer 4 der europäischen Sozialcharta, haben wir bestimmte Vorgaben, die müssen wir umsetzen. Und danach ist ....der verbandsfreie Streik auf jeden Fall rechtmäßig....Die Verbindung von etablierten Gewerkschaften mit den Streikrecht, ich halte das für nicht haltbar.....21.10 Also, die Wurzel des Streikrechtes ist nicht die Koalition, sondern die Wurzel des Streikrechts ist das Menschenrecht. Der Einzelne hat das Recht sozusagen als letztes Mittel, die Arbeit zu verweigern, das ist die Wurzel. Die Wurzel des Streikrechtes ist der Rechtsbruch und nicht die Ordnung. Sprecher: Ich habe das Bundesarbeitsgericht um ein Interview gebeten. Darin sollte es um die konkreten Gerichtsurteile unter dem Vorsitz Nipperdeys aus den 50er Jahren gehen. Eine Frage bezog sich auch auf ein Forschungsprojekt des Bundesarbeitsgerichts zur Vergangenheit seiner Richter unterm Hakenkreuz und zu möglichen inhaltlichen und personellen Kontinuitäten. Sprecherin 1: Die Sprecherin des Bundesarbeitsgerichts antwortete am 15. September 2021: Zitator: Sehr geehrter Herr Kessen, wie mir unser Telefongespräch gestern und die von Ihnen nunmehr übersandten modifizierten Fragen zeigen, geht es Ihnen letztlich durchweg um die Beleuchtung von Aspekten zur NS-Vergangenheit von Richtern des Bundesarbeitsgerichts und möglichen inhaltlichen Kontinuitäten. Dazu kann ich jedoch derzeit nur darauf verweisen, dass das Bundesarbeitsgericht ein Forschungsvorhaben zu seiner Geschichte seit seiner Errichtung im Jahre 1954 unter dem Blickwinkel möglicher personeller und inhaltlicher Kontinuitäten aus der Zeit des Nationalsozialismus in Auftrag geben wird. Den für nächste Woche geplanten Termin muss ich daher absagen. Sprecher: Im Saal des Richtervereins des Bundesarbeitsgerichtes hängt auch heute noch das Porträt von Hans Carl Nipperdey. Vor der Tür der Ahnengalerie befindet sich aber jetzt auch ein Hinweis: Historiker würden nun die Vergangenheit der Richter unterm Hakenkreuz untersuchen. Der Hinweis endet mit der Zeile: Zitator: Nach Abschluss der Untersuchung wird über die Zukunft der Bildersammlung entschieden" Sprecherin 2 Den Unternehmern treu ergeben - Das paternalistische Arbeitsrecht des Hans Carl Nipperday Ein Feature von Peter Kessen Es sprachen Frauke Poolman, Wolfgang Rüter, Lisa Bihl und David Vormweg Ton und Technik Michael Morawietz und Lukas Fehling Regie Thomas Wolfertz Redaktion Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks 2021 1