Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Der verlorene Frieden Deutschlands Einsatz in Afghanistan 6-teilige Serie - Folge eins: (1/6) Nation Building Autor: Marc Thörner Regie: Matthias Kapohl Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2021 Erstsendung: Dienstag, 16.02.2021 Wiederholung: Dienstag, 21.12.2021 Es sprach: Marc Thörner Ton und Technik: Wolfgang Rixius, Gunter Rose und Oliver Dannert Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Autor: Militärflughafen Köln-Wahn, Herbst 2006. Die Abflughalle füllt sich mit immer mehr Bundeswehrsoldaten. Sie alle tragen das zu dieser Zeit noch recht exotische Wüstentarnfleck gemischt aus Gelb- und Khakitönen. In wenigen Minuten wird die Luftwaffe sie nach Nordafghanistan bringen, ins deutsche Lager Mazar-e-Sharif. Atmo: Sprecherstimme Bundeswehr-TV: "In der afghanischen Provinz Helmand sprengte sich gestern ein Selbstmordattentäter in die Luft. Er riss einen britischen Soldaten und zwei Kinder mit in den Tod. Ein Soldat und sieben weitere Zivilisten wurden verletzt. Autor Auf einem Bildschirm in der Abflughalle berichtet ‚Bundeswehr TV' darüber, wie es in den anderen Landesteilen zugeht; dort, wo nicht Deutsche, sondern Briten oder Amerikaner die Kontrolle haben. Atmo: Sprecherstimme Bundeswehr-TV: Der Attentäter fuhr an einer Patrouille britischer Soldaten vorbei und zündete dabei einen Sprengsatz. In diesem Jahr sind bisher mindestens 18 britische Soldaten in Afghanistan getötet worden." O-Ton Militärpfarrer: Bisher ist das noch nicht so konkret an uns herangekommen, dass ein Anschlag gewesen wäre, das war alles doch relativ weit weg, im Süden von Afghanistan... Autor: Was sich bei Briten und Amerikanern abspielt, sieht nach Krieg aus, sagt ein Militärpfarrer, auch er im Bundeswehrtarnfleck. O-Ton Militärpfarrer: Gott sei Dank haben wir hier noch, zumindest in Mazar-e-Sharif ein relativ friedliches Dasein O-Ton Jung: Ich hab ja bewusst nicht von Krieg gesprochen. Autor: Franz Josef Jung, CDU, damals Bundesminister der Verteidigung O-Ton Jung: Im Krieg mach ich keine Schulen beim Gegner baue ich auf. Oder Krankenhäuser. Oder Verkehrsinfrastruktur, was wir alles gemacht haben. Und das hat sich ja auch bewährt. Wissen, Sie, wenn die Leute unsere Flagge gesehen haben auf dem Hubschrauber, haben die auf dem Feld die Arbeit eingestellt und die haben uns zugewunken. Sprecherin Der verlorene Frieden - Deutschlands Einsatz in Afghanistan Feature-Serie von Marc Thörner Folge 1: Nation Building Atmo: Filmausschnitt: Seit 2001 hat sich die Lage für die Menschen spürbar verbessert. Die Erfolge sind messbar. Sieben Millionen Kinder gehen zur Schule. 2001 durfte kein Mädchen die Grundschule besuchen, Heute liegt ihr Anteil bei mehr als einem Drittel... Die Frauen stellen im afghanischen Parlament mehr als ein Viertel der Abgeordneten." Autor: Informationsvideos der Bundesregierung verbreiten Optimismus. Afghanistan - ein Land im Aufbruch. Tatsächlich haben viele die Ärmel aufgekrempelt. All jene, denen die Herrschaft der Taliban wie ein Albtraum vorgekommen war, und die nach deren Ende auf einen neuen, modernen Staat hoffen, Menschen wie Ahmed Hashemi und seine Frau Mahsa Taee. Ich treffe sie im Herbst 2020 in Hamburg, wo sie als Geflüchtete leben. O-Ton Ahmed Hashemi: Damals gab es gar nichts in Afghanistan, das war alles neu. Ich hatte eine private Stiftung: Kultur und Bildung. Ich habe auch im Bildungsministerium gearbeitet. Ich war der Berater vom Minister, Autor: Eine der Bevölkerung verantwortliche Regierung. Eine unabhängige Justiz. Und eine freie Presse. Dass all das auch in einem Land wie Afghanistan funktionieren kann, davon will Hashemi möglichst viele seiner Landsleute überzeugen und gründet eine Zeitung. Sie soll den neuen Verantwortlichen im Land kritisch auf die Finger schauen. O-Ton Ahmed Hashemi: Ich hatte (/) eine private Zeitschrift. Eine Zeitung die täglich kommt.Und fast 50 Leute haben mit mir gearbeitet. Nur in der Zeitung. Autor: Hashemis Frau, Mahsa Taee, war schon seit ihrer Kindheit auf der Flucht gewesen. O-Ton Mahsa Taee: Als ich unter einem Jahr alt war, acht Monate, neun Monate, sind ich und meine Familie geflüchtet nach Iran wegen der Roten Armee. Als ich dreizehn Jahre alt war, sind wir wieder zurückgekehrt nach Afghanistan. Autor: Jetzt, nach dem Verschwinden der Taliban, erhofft sie sich nun endlich ein normales Leben. Eine akademische Laufbahn. Und dann ein Leben als Journalistin, Autorin oder Filmemacherin. O-Ton Mahsa Taee: Ich hatte so viele Träume. In Afghanistan leben und studieren, Ich habe immer geschrieben. Schriftsteller werden, das war mein großer Traum. Ich hatte so viele Ideen zu arbeiten in meinem Heimatland. Ich hatte so viele Hoffnungen. Ich hatte gedacht, für meine Menschen etwas zu arbeiten, etwas zu tun. Autor: Reinhard Erös, ein ehemaliger Oberstarzt der Bundeswehr, der sich seit seiner Pensionierung in der Entwicklungshilfe engagiert, hält die Zeit damals für reif, in Afghanistan ein flächendeckendes Bildungswesen aufzubauen. O-Ton Erös: Die Taliban sind jetzt weg von den Machtpositionen, jetzt müssen wir wieder arbeiten. Da bin ich runter Zwo-zwo, hab mir das da angeguckt. Krieg gab's keinen mehr. Die amerikanischen Truppen und die Nordallianz sind vom Norden durch das Land gezogen, haben die Taliban von politischen Machtpositionen entfernt und jetzt hab ich gesagt: Jetzt musst du schauen, dass du das Land mithilfst wieder aufzubauen. Autor: Erös sammelt deutsche und afghanische Unterstützer und kann schon wenige Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes eine beeindruckende Bilanz vorweisen. O-Ton Erös: 30 Schulen, die wir dort betreiben und Krankenstationen. Eine Uniklinik-Abteilung mit Neugeborernenmedizin. Eine Universität in der Provinz Lakhman, an der 1800 junge Afghanen und Afghaninnen studieren. Atmo: Flugzeug innen, Stimme Copilot:, "Good morning ladies and gentlemen. Aircraft-commander captain Auberter and his crew would like to welcome you on board our German Airforce Airbus 83-10 to Termez. The flight-time to Termez will be six hours... Autor: Dass es im deutsch kontrollierten Norden so ruhig zugeht, ist aus deutscher Sicht kein Zufall. Politiker verweisen immer wieder auf Deutschlands besondere Rolle: Anders als die USA, England und Frankreich werde man eben nicht als Kolonialmacht wahrgenommen, sondern als ehrlicher Makler. Deutschlands traumatische Erfahrung mit dem Krieg befähige das Land nun in besonderer Weise, Konflikte besser als andere friedlich zu lösen. Wenn überhaupt militärisch, werde "zivil-militärisch" agiert. "Zivil-militärisch" - Das eigens für den Einsatz neu geschaffene Wort drückt sich vor Ort auch darin aus, dass die Bundeswehr nicht von "Stützpunkten", "Militärbasen" oder "Kasernen" aus agiert - sondern in den so genannten "PRTs", den "Provincial Reconstruction Teams", zu Deutsch: den Provinzwiederaufbauzentren. O-Ton Niels Annen: Ich glaube, das PRT-Konzept ist vernünftig. Es gibt eine zivile und eine militärische Ebene, die miteinander gemeinsam auch Entscheidungen treffen. Autor: Der SPD-Politiker Niels Annen, späterer Staatsminister im Auswärtigen Amt, ist 2006 ein enger Mitarbeiter des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. O-Ton Niels Annen: Dort wird zusammengearbeitet mit den Regierungsinstitutionen, die beteiligt sind. Die vier Ministerien: Das Auswärtige Amt, das Verteidigungsministerium, Innenministerium und vor allem Entwicklungshilfeministerium koordinieren sich. Autor: Der Krieg, überwunden, durch diejenigen, die ihn eigentlich verkörpern: durch die Militärs. Soldaten nicht mehr als Zerstörer, sondern, im Gegenteil als diejenigen, die entweder selber aufbauen oder die den Aufbau sichern und beschützen. Vernetzte Sicherheit, so lautet dafür der Begriff. Ein Terminus, der in der öffentlichen Wahrnehmung die bisher gängige Vorstellung vom Krieg ersetzen soll: O-Ton Jung: Ohne Entwicklung keine Sicherheit. Und ohne Sicherheit keine Entwicklung. Das Konzept der vernetzten Sicherheit ist aus meiner Sicht das richtige. Und das ist nicht unmittelbar zu verantworten, wenn ich dann immer nur von Krieg spreche. O-Ton: Stimme durchs Walkie Talkie: "Belehrung wieder im Bus" Autor: Termes, Usbekistan, Oktober 2006: Nach kurzem Zwischenaufenthalt steigen die Soldaten hier um. Das deutsche Lager in Mazar-e-Sharif ist noch im Bau und verfügt über keine Landemöglichkeit für den Bundeswehrairbus. Stattdessen stehen Propellermaschinen vom Typ Transall bereit. Stimme Hauptfeldwebel: Also, das ist alles `büschn eng hier. Das geht, ich bin ja `n ranken schlanken Kerl. So: Mojn. Ich möchte mich mal kurz vorstellen. Ich bin der Hauptfeld' Altenburg. Wir fliegen Sie nach Mazar. Flugzeit dauert dreißig Minuten in etwa. Wenn Sie gleich einsteigen, achten Sie darauf, dass Sie nicht stolpern. Da sind schon einige Leute drinne und einige Ketten liegen dort. Gleich den Beckengurt umlegen und bitte nicht wieder abschnallen, nicht aufstehen, nicht spazieren gehen. Wenn Sie hinfallen und Sie haben von mir nicht die Erlaubnis gehabt, dass Sie sich abschnallen dürfen, zahlen Sie das selbst. Da- kommt- die- Bundeswehr- nicht- für- auf! Irgendwelche Fragen noch? (Leise Stimme: "Ach wo".) - Angenehmen Flug. Atmo "Morgen"... So, wir teilen Truppenausweise und Reisepässe aus... ..-- Truppenausweise hier, Reispässe dort. Autor: Nach dem Einsteigen richtet man sich im Frachtraum ein, auf langen Bänken, einander gegenüber sitzend. In der Mitte, sind in Netzen Gepäck, Verpflegung und Nachschub für das Bundeswehrlager festgezurrt. Autor: Am Boden zeigt sich gleichmäßig ockerfarbenes Gelände. Autor: Gesellschaftlich betrachtet ist die Gegend alles andere als homogen. Im Norden Tadschiken und Usbeken. Im Süden Paschtunen, deren Wohngebiete bis nach Pakistan reichen. Im 19. Jahrhundert Schauplatz des Great Game zwischen dem Zarenreich und dem britischen Empire. Im Kalten Krieg umstritten zwischen Ost und West. Als die Reagan-Administration die Dschihadisten unterstützte, ahnte noch niemand, dass den Mudschaheddin, den Siegern über die Rote Armee zuerst die Taliban folgen würden und dann die al Kaida. Und dass durch deren Attentat am 11. September 2001 das World Trade Center in Schutt und Asche sinken würde. Und jetzt: Afghanistan - Entwicklungsland der Demokratie. Und dabei die Bundeswehr als Lehrmeister vor Ort. Atmo: Aussteigen. Stimme: "Die die Schusswesten haben, können rauchen und aufsitzen. Die, die keine haben... Autor: Ein Presseoffizier bittet auf die Ladefläche eines Mungo, eines geländegängigen Mannschaftstransporters der Bundeswehr. O-Ton Presseoffizier: Das Feldlager Mazar-e-Scharif ist das größte Feldlager, das die Bundeswehr betreibt. Alles im Werden. Wird eine Weile noch dauern, mindestens ein halbes Jahr. Die Bundeswehr ist ja für den Norden zuständig RC North, 2700-2800 Soldaten hier. Maximale Obergrenzen liegt bei 3000. Das Lager ist im Randbezirk. Nicht in der Stadt drin. Durch die Stadt zu gehen, ist nicht üblich. Wir bewegen uns hier nur mit nem Auftrag. Dass man durch die Stadt geht, wie in Sarajewo... das findet hier nicht statt. .. Das sind halt Sicherheitsvorkehrungen. Autor: Camp Marmal erstreckt sich auf den ersten Blick über eine riesige, kaum zu übersehende Fläche, die von den Felsen des Marmal-Gebirges eingefasst wird. Kiesbelegte Straßen, an denen Entwässerungsgräben entlang laufen. Dazwischen Viertel von rechteckigen einstöckigen Gebäuden aus Containern oder Fertigbauteilen, manchmal auch aus robust wirkenden Zelten, deren schlauchartige Vorbauten von Holztüren verschlossen werden. Einzelne markante Punkte fallen auf: Die Riesenhalle der Kantine etwa. Oder eine Art Marktplatz, um den herum sich Einkaufs- und Telekommunikationsbaracken reihen. Irgendein Spaßvogel hat vor seinem Eingang die rote Flagge von Media Markt aufgepflanzt. Sie flattert jetzt als einziger Farbtupfer über dem beigefarbenen Meer aus Zelten und Fertigbau-Elementen. O-Ton Hauptmann d. R. Fischer Mein Name ist Fischer. Hauptmann der Reserve. Diplomingenieur für Bauwesen und Sachverständiger in diesen Gebieten. Ich bin der Leiter des Planungsbüros, des Baubüros Mazar-i-Scharif. Autor: Hauptmann Fischer ist Derjenige, unter dem das Lager seine jetzige Form gewonnen hat. Der militärische Bauleiter ist gehalten, afghanische Kräfte anzustellen, denen die Aufbauarbeit gemäß dem zivil-militärischen Ansatz Lohn, Brot und Fachkenntnisse bringen soll. So jedenfalls die Theorie. O-Ton Hauptmann Fischer: Sie sagen: Pass auf. Du machst jetzt hier diese Ecke und malst das auf. Ich schwör's Ihnen: An dieser Ecke ist ganz bestimmt nicht die Ecke. Da ist vielleicht `ne Tür oder irgendwas drin. Weil: sie können das rational nicht umsetzten. Und ich habe, bild` ich mir jedenfalls ein, `ne gewisse Ausbilderbefähigung aus meiner Erfahrung heraus. Die strahlen Sie an. Lächeln und nicken mit dem Kopf. Dann drehen sie sich um. Und dann bauen sie statt `ne Wand `ne Bodenplatte. Das ist so. Autor: Den untersetzten weißhaarigen Norddeutschen ziert ein unmilitärisch langer weißer Bart. Der beigefarbene Tarnfleckanzug reicht fast bis zu den Kniekehlen herunter. Im gebückten Gang, mit rudernden Armen und schlafwandlerischer Sicherheit bewegt er sich durch parallel angelegte Lagerstraßen, die sich zum Verwechseln ähnlich sehen. Seit beinahe zwei Jahren arbeitet er hier schon. Fischer besucht eine Baustelle, auf der Afghanen unter der Aufsicht deutscher Pioniere eine Mauer hochziehen. Und das mitten im Ramadan. Den hat er hier schon zwei mal mitbekommen. Den sächsischen Pionieren, die die afghanischen Maurer beaufsichtigen, versucht er zu erklären, was für Auswirkungen der Fastenmonat mit sich bringt. Es gilt, die Körperfunktionen der Afghanen zu verstehen. O-Ton Fischer: Die haben sich schon vier Wochen ausgemergelt, die trinken nichts, rein vom Medizinischen müssen die ja umfallen. Die Nieren müssen ja vielleicht mal die Giftstoffe ausspülen, sonst geht das nicht. 1. Pionier: Dafür haben sie abends dann... 2. Pionier: Das reischt dann nicht so rischtisch. 1. Pionier: Ja, was übern Tag... das krischte abends nisch wieder rein, das ist klar Fischer: Dann machen sie die Wasserdruckbetankung. Und dann können sie wieder nicht richtig schlafen, weil... Kugelbauch und so weiter und sofort aber das ist deren Geschichte, da haben wir nichts mit zu tun. Aber interessant ist es schon, was die Jungs hier machen und hier leisten. Ich bin immer ganz begeistert von den Elchen. 1. Pionier: Rischtisch. Autor: Man muss sich aneinander gewöhnen. Unterschiedliche Erwartungshaltungen müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Auch in Punkto Arbeitsalltag. Welten prallen aufeinander. O-Ton Hauptmann Fischer: Die Ausbildung? Im Durchschnitt null. Es gibt den Beruf des Maurers hier nicht. Unsere Strukturen sind ganz anders. Die sind zielorientiert. Und zwar: Ich brauche Leute, wenn ich dieses Haus bauen will. Und zwar muss das in einer gewissen Zeit geschehen und einer Qualität. Diese Zielorientierung gibt es nicht. Die Zielorientierung ist: habe ich am Tage acht Dollar, dass ich meine Familie satt bekomme oder habe ich es nicht. Das ist die Zielorientierung. Autor: Gut, sagt Fischer, seien die Afghanen in allem, was mit ihren eigenen Traditionen zusammenhängt. O-Ton Hauptmann d. R.: Sie können eben diese Hock-Haltung, die sie bei der Arbeit praktizieren, wenn der Arbeitsplatz tief liegt, können die stundenlang durchsitzen. Die sitzen den ganzen Tag in der Hocke. Da würde jeder von uns langsam mal in die Knie sinken und am Ende würde er auf der Seite liegen, weil er das gar nicht mehr aushalten kann. Aber das liegt natürlich auch daran, dass die außerordentlich leicht sind. Die Knie werden nicht beansprucht. Also das können sie sehr gut. Auch kleine, feine Metalltreibarbeiten und so, das ist was sehr Schönes. Aber: Konstruktive Zusammenhänge selbst aus, sagen wir mal: isometrischer Darstellung eines Gegenstandes, können sie häufig nicht nachvollziehen. Weil sie nicht wissen, was das ist. Sie können nichts dafür. Sie haben es nicht gelernt. Autor: In der von Fischer beschriebenen Kauer-Haltung arbeitet eine Gruppe von Afghanen gerade an einem rätselhaften großen Stein, der etwas abseits der Behausungen im Nirgendwo steht. O-Ton Hauptmann Fischer: Das ist hier das Ehrenhain. Und zwar haben wir eine Stelle ausgewählt, an der jeder dann, wenn er das Camp betritt oder befährt, vorbei muss. In diesem Ehrenhain werden dann die in ganz Nordafghanistan zu Tode Gekommenen... Sie erinnern sich an das Busunglück in Kabul. Da kommen dann so Plaketten dran... Name und so weiter. Im Prinzip für die Gefallenen. Das muss man eben in einem...mit Anspruch auf einen Kulturstaat, Kulturnation, das muss man eben auch etwas pflegen. Autor: Das "Busunglück in Kabul". Was Bauleiter Hauptmann Fischer nicht weiter präzisiert, das geistert immer wieder durch die Gespräche. Doch auf konkrete Nachfrage wird gern abgeblockt. Oder das Thema gewechselt. Gegenüber den Afghanen verstehen sich die Bundeswehrsoldaten wie Bauleiter Fischer als die Botschafter der Moderne und des Rationalen. Doch plötzlich ist da etwas, bei dem der Schalter umgelegt wird. Etwas, das rational da ist, aber nicht da sein darf. Und wenn es nur angedeutet wird, bricht sofort das große Schweigen aus. O-Ton KSK'ler: Wir hatten Kontingentwechsel, waren auf dem Weg zu `nem Auftrag, haben die Leute zum Flughafen begleitet und waren zwei Fahrzeuge davor. Autor: Holger, der eigentlich anders heißt, war als Angehöriger des Deutschen Kommandos Spezialkräfte KSK von Anfang an in Afghanistan dabei. Und er kann sich sehr genau an dieses so genannte Busunglück erinnern, gleich zu Beginn des deutschen Afghanistan-Mandats, im Juni 2003. Der Bus, um den es geht, war vollbesetzt mit Bundeswehrsoldaten und auf dem Weg zum Flughafen Kabul. O-Ton KSK'ler: Ich kannte diese Strecke ja aus dem Jahr zuvor. Und an diesem Tag - es war ja ein Samstag. Es war ab einem bestimmten Punkt komplett leer. Die Straße war leer. Und ich weiß noch, ich hab zu meinen Kollegen gesagt, der war damals das erste Mal mit: ‚Das ist ungewöhnlich`. Also eigentlich, nach dem Freitag, war dann Samstag immer richtig was los. Die Trucks, die von Jalalabad kommen, die Parkplätze, die Tankstelle, das war alles sehr belebt und auch Handel und Wandel, was da getrieben wurde. Und da war es halt leer ab einem bestimmten Punkt. Man hat es registriert... und dann hat's ja auch schon geknallt. Bis dann die Umsetzung kam, was da eigentlich passiert sein könnte, ist es ja schon passiert. Wie wir uns erinnern konnten, hat ja auch ein Auto am Rand gestanden. Es hat dann diesen Knall gegeben und dann war der Bus nicht mehr auf der Straße. Wir hatten ja einen hinten im Fahrzeug sitzen und der sagte dann: ‚Der Bus ist weg'. Wir haben dann gemacht, was wir gelernt hatten: Sichern. Und dann haben wir den Bus gesehen, hinter dieser Tankstelle auf dem Feld. Und dann kamen schon die ersten rausgelaufen, die noch konnten. Dann haben wir angefangen mit der Erstversorgung. Ein Teil hat noch gesichert, ein Teil hat die Leute aufgenommen. Autor: Vier tote deutsch Soldaten. - Aus politischen Gründen, so Holger, sei der Anschlag auf den Bundeswehrbus öffentlich nie richtig dargestellt worden. O-Ton KSK'ler: Es wurde ja immer verkauft, dass ein Auto probiert hat, sich reinzudrängen in den Konvoi und dann gezündet hat. Aber so weit wir uns erinnern können, haben wir noch ein Auto am Wegesrand... das stand da... und sind vorbeigefahren und das war dann nicht mehr da Autor: Für Holger lässt das nur den Schluss zu, dass der Bundeswehrkonvoi kein Zufalls-Ziel irgendeines fanatischen Einzelgängers war, dass die deutsche Bundeswehr vielmehr bewusst ins Visier genommen wurde, also... O-Ton KSK'ler: ... dass das so geplant war. O-Ton Jung: Der Busunfall war vor meiner Zeit. Aber natürlich waren auch in meiner Zeit entsprechende Gefechte haben wir Gefallene zu bezeichnen gehabt. Ich habe ja bewusst von Gefallenen gesprochen. Ich habe auch von kriegsähnlichen Handlungen gesprochen. Autor: Das "Krieg" zu nennen, dem widerspricht das Konzept des geschützten Aufbaus - oder der "vernetzten Sicherheit, wie Ex-Verteidigungsminister Jung es formuliert. O-Ton Jung: Und von daher bleib ich bei meinem - ich sag's noch einmal: Kriegsähnliche Handlungen, jawoll. Gefallene: jawoll. Autor: Aber Krieg? O-Ton Jung: Nein, auf keinen Fall. Auch wenn ich noch so oft kritisiert werde. O-Ton KSK'ler: Genau das hab ich ja damals schon für gefährlich gehalten. Also dass den Leuten nicht die Wahrheit gesagt wird. Die ja unter völlig falschen Vorstellungen da hingegangen sind. Sie sind ja auch mit ihrer Taschenkarte in der Tasche, die ja nur defensives Handeln vorgegeben hat, heruntergegangen, als sozusagen Friedensbewahrer oder Aufbauhelfer, so haben sich ja viele gesehen, aber eigentlich in eine Situation gestellt worden, die jederzeit kippen konnte. Was ja dann auch passiert ist. Autor: Auf der Baustelle am Lager-Ausgang geht Hauptmann Fischer auf den rätselhaften großen Stein zu, auf den die Afghanen in Kauerhaltung etwas eingravieren, das sie als Ausdruck vor sich liegen haben. Gefallene, aber ohne Krieg. Nach dem das politische Fingerspitzengefühl die Formulierung vorgegeben hat, sind jetzt die Fingerfertigkeiten der einheimischen Kunsthandwerker gefragt. O-Ton Hauptmann Fischer: Die Überschrift ist: Zum Gedenken an unsere gefallenen Kameraden, die wir ja leider schon zu beklagen haben . Der zweite Teil ist der christliche Bezug, biblisch: In deine Hände befehle ich meinen Geist. Das Gleiche übersetzt in Englisch, dann wieder übersetzt bin Dari und dann übersetzt in Paschtu. Und das ist mein Freund, der Steinmetzmeister, den muss ich jetzt mal eben begrüßen. Er ist einer der wenigen, er darf an der Blauen Moschee in Mazar Reparaturarbeiten machen. Er wird mir jetzt vieles erzählen, ich ihm auch. Wir beide sprechen nur unsere Sprache, aber das geht über die einfache Seele. O-Ton Fischer/Stimme Steinmetzmeister. So, jetzt nimmt er mich an die Hand und jetzt gehen wir durch. Klöppeln. Stimme Steinmetzmeister. Wind. Ja, ich sehe das, du hast das schön sauber gemacht. Ja, die Fugen hat er schön ausgekratzt... Und er ist der große Meister der Steinmetze. Alle, die hier arbeiten, arbeiten unter seiner Führung, und er ist hier der alte Mann. In Afghanistan ist es so: Wenn Sie ein alter Mann sind, dann werden Sie natürlich akzeptiert. Bei uns ist das manchmal andersrum. ‚Wird Zeit, dass der verschwindet' und so. Und hier ist es so: Die haben die Weisheit des Lebens. Sie sagen zum Beispiel: Wir können jeden Tag tausende von Afghanen machen. Aber einen alten Mann, das bedarf mehrerer zehn Jahre. Und so werden die Leute auch respektiert. Und das hat auch den Hintergrund, dass also auch mein Bart nicht so ganz kurz geschnitten ist. Weil das die Brücke mit darstellt. Nicht allein darstellt, aber mit darstellt. Und er ist `ne Persönlichkeit, absolut. Autor: Deutschland, Hort der Effizienz, des Modernismus in einem statischen Afghanistan, einem Hort der Vergangenheit und der Tradition. Besser also, jeder bleibt wo und was er ist. O-Ton Hauptmann Fischer: Unsere Struktur ist einfach nicht durchsetzbar. Und es ist auch die Frage... wissen Sie, die haben hier 5000 Jahre Kultur. Kann man ja verstehen darunter, was man will. Wir vielleicht zwei. Was haben wir denen denn Besseres zu bieten? Denn: Wenn etwas Besseres ist, müsste ja ihre Zufriedenheit steigen. Und wenn das nicht ist, dann muss ich sagen: dann lodt die man so wie dat is, nä? Sagt der Norddeutsche. Sprecherin In der der nächsten Folge O-Ton Major Frontier Corps: Übersetzer : ich sage Ihnen ganz offen: Wenn Sie eines Tages meinen Sohn oder meine Tochter verletzen sollten, ist mir mein eigenes Leben egal. Ich besorge mir eine Waffe. Für Sie mag das dann Terrorismus sein. Aber wenn ich mir dann einen Bombengürtel umbinde und als Selbstmordattentäter sterbe, dann ist das für mich ein Kampf für die Befreiung meines Landes. Absage Sprecherin Der verlorene Frieden - Deutschlands Einsatz in Afghanistan Feature-Serie von Marc Thörner Folge 1 - Nation Building Es sprach Marc Thörner Ton und Technik Wolfgang Rixius, Gunter Rose und Oliver Dannert Regie Matthias Kapohl Redaktion Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks 2021 1