Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Der Gürtel des Kahimemua Eine deutsch-namibische Kolonialgeschichte Autorin: Christiane Habermalz Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Winfried Sträter, Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk Kultur/Deutschlandfunk 2020/2022 Erstsendung: Mittwoch, 05.02.2020, 19.05 Uhr Wiederholung: Dienstag, 07.06.2022, 19.15 Uhr Sprecher: Barbara Becker, Olaf Oelstrom, Ulrich Blöcher, Tonio Arango und die Autorin Ton: Herrmann Leppich und Alexander Brennecke Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Atmo 0/Gesang Zitator: Als Kahimemua den letzten Atemzug getan hatte, hörten alle ein dumpfes Donnergrollen, ohne dass eine Wolke am Himmel zu sehen war. Zugleich begannen alle Hühner, Ochsen und Kälber zu schreien und zu klagen. Alle wussten nun: Kahimemua ist tot. Nachdem dies alles geschehen war, kamen die Leute zu Samuel Maharero und fragten ihn: Warum hast du solch einen Mann töten lassen? Er war ein Prophet des Landes. Nun wird er Unglück über unser Land bringen. 1 O-Ton Mbaeva: (Mbanderu) In unserem Glauben ist es, als wäre unser ganzes Leben in diesem Gürtel gewesen. Er hat noch immer große spirituelle Macht. Wir beten für seine Rückkehr, damit er wieder für uns lebendig wird. Ansage/SvD: Der Gürtel des Kahimemua. Eine deutsch-namibische Kolonialgeschichte. Feature von Christiane Habermalz Atmo 1: Commemoration Day. Gesang, Reden. Darüber: Autorin: Epukiro, Ostnamibia. Januar 2020. Wir sitzen auf einer staubigen Tribüne mitten in der Omaheke-Region, 300 Kilometer von der namibischen Hauptstadt Windhoek entfernt. Um mich herum wird seit Stunden gefeiert und gesungen. Ich bin als Ehrengast geladen, während die Volksgruppe der Ovambanderu ihre traditionelle Gedenkzeremonie abhält zu Ehren ihres großen Chiefs, des 2008 verstorbenen Munjuku II. Nguvauva. Die Männer in Uniformen, grasgrüne Manschetten, grüne Abzeichen. Die Frauen in ihrer traditionellen Kleidung - lange, grüne wilhelminische Kleider mit preußisch korrekten vier Unterröcken und den typischen breiten Hüten der Herero-Frauen, die den Hörnern von Ochsen nachempfunden sein sollen. Auch sie in grasgrün, der Farbe der Ovambanderu. Sie werden den Herero zugerechnet, doch legen Wert auf ihre Eigenständigkeit. Die Herero tragen Rot, die Ovambanderu Grün. 2 Atmo: Rede auf Mbanderu. Autorin: Lost in translation. Es ist sehr heiß, ich schwitze in meinem grünen Kleid, das ich mir extra für diesen Anlass von meiner Berliner Nachbarin ausgeliehen habe. Neben mir sitzt, in Paradeuniform und dicker Fellmütze, der aktuelle Herrscher der Ovambanderu-Community: Honourable King Kilus Munjuku III. Nguvauva. 3 Atmo Speech Kilus Munjuku: Allow me first to welcome everyone once again in my capacity as a chief of all the Ovambanderu Community and express my heartful ... towards all my guests, but most of all to Madame Christine Habermalz in particular who travelled all the way from Berlin in Germany to be with us today. Autorin: Wie bin ich hierher gekommen? Das ist eine lange Geschichte. Eine, die für mich ganz profan anfing, in einer Berliner Kneipe im Jahr 2017. Für die Ovambanderu aber reicht sie viel weiter zurück, bis zu Ereignissen, die sich über 120 Jahre zuvor zugetragen haben. In Teilen genau hier, an diesem Ort, in den trockenen Buschlandsteppen entlang des Epukiroflusses. 4 Kreuzblende: Atmo Commemoration Day / Atmo Berliner Kneipe Autorin Im September 2017 berichtete ich als Journalistin über die Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der Regierung von Namibia über den Völkermords an den Herero und Nama - und hatte mich verabredet mit einer Delegation von Herero-Vertretern, die sich gerade zu einer neuen Verhandlungsrunde in Berlin aufhielt. Atmo: Kneipenlärm hoch Autorin: Wir essen Gänsekeule mit Rotkohl und sprechen über die Forderungen nach Reparationen und einer offiziellen deutschen Entschuldigung für die begangenen Gräueltaten. Mit dabei: Freddy U. Nguvauva, Vertreter der Volksgruppe der Ovambanderu. Als ich ihn frage, ob sich ihre Entschädigungsforderungen an die Deutschen auch auf die Rückgabe von Kulturgütern bezögen, erzählt er mir eine erstaunliche Geschichte. Seine Familie, sein Volk, sagt er, suche noch immer nach dem Gürtel seines Ururgroßvaters, Kahimemua Nguvauva. 2 O-Ton Freddy From my family side, our chiefs and our people there, they are always asking for the belt. Well my great great grandfather was wearing that belt. It was a very historic belt... Sprecher OV Es war ein sehr historischer Gürtel. Ein heiliger Gürtel. Er wurde nur vom Herrscher an seinen jeweiligen Nachfolger weitergegeben. Mein Ururgroßvater Kahimemua trug diesen Gürtel, er wurde 1896 in Okahandja von den Deutschen hingerichtet. Und die Deutschen haben den Gürtel mitgenommmen. Autorin: Wo, frage ich ihn. Wo soll dieser Gürtel sein? In einem Museum? Und wie sah er genau aus? Das wisse er leider nicht, sagt Freddy. 3 O-Ton Freddy I would like to know where it is sometime. Because it's a very very important object that we think it can be used. And I know that even if we can get hold of it, it can restore some dignity within the community. Sprecher OV Ich würde sehr gerne irgendwann wissen, wo er ist. Weil, es ist ein sehr, sehr wichtiges Objekt. Es wird gebraucht. Wenn wir es zurückbekämen, bin ich sicher, könnte es die Würde in unserer Community wiederherstellen. Kneipenatmo (fading out) Autorin: Ein heiliger Gürtel, der vor über 120 Jahren geraubt wurde - und der die Würde der Ovambanderu wiederherstellen könnte? (auf Musik: Weiter-Motiv1) Ich googele. Und stelle fest: Freddys Ururgroßvater war nicht irgendwer. Kahimemua Nguvaua ist in Namibia eine legendäre historische Figur. Ein Nationalheld, dem auf dem Heldenacker bei Windhoek ein Gedenkstein errichtet wurde. Er bescherte den Deutschen ihren ersten Kolonialkrieg, noch 8 Jahre vor dem Aufstand der Herero und Nama, der zum Völkermord führte. 1896 zog er zusammen mit dem Herero-Führer Nikodemus Kavikunua und der Volksgruppe der Khauas-Namas in die Schlacht gegen die Deutschen. Was ist aus dem magischen Gürtel geworden? Sollte er tatsächlich noch irgendwo in Deutschland zu finden sein? 5 Musik: Musik (Weiter-Motiv2) Autorin: Ich lese in den Lebenserinnerungen von Theodor Leutwein "Elf Jahre Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika". Dem Aufstand von 1896 widmet er ein ganzes Kapitel. Wie ernst Leutwein die Gefahr durch Nikodemus und Kahimemua einschätzte, geht aus einem Bericht an seine vorgesetzte Behörde nach der Hinrichtung hervor. Zitator 1: In dem für uns ungünstigsten Momente losgebrochen, schien der Aufstand das Schutzgebiet an den Rand des Abgrundes zu bringen, zumal in den ersten Anfängen nicht zu übersehen war, welche Ausdehnung er gewinnen würde. Indes gelang die Lokalisierung und damit war die größte Gefahr beseitigt. Autorin: Meine ersten Recherchen sind wenig erfolgreich. Ich durchforste auf gut Glück Archive und Sammlungsbestände von Museen nach gürtelähnliche n Objekte. Es gibt viele Bekleidungsstücke der Herero in deutschen Depots, Hauben, Stirn- und Halsbänder, aber keine Gürtel. Und wer weiß, ob nicht irgendein einfacher Soldat den Gürtel als persönliche Erinnerung an den Krieg mitgenommen hat? Dann liegt er womöglich auf irgendeinem Dachboden in Hessen oder Niedersachsen. Oder ist längst verloren Wie findet man ein Objekt, von dem man nicht einmal mehr weiß, wie es ausssah? Das nur noch als vage Erinnerung existiert, als schmerzliche Leerstelle in einer afrikanischen Community, über fünf Generationen bewahrt? 4 O-Ton Freddy: From my family side, our chiefs and our people there, they are always asking for the belt. Autorin: Ich wende mich schließlich an einen Mann, der alles weiß über deutsch-namibische Geschichte: Er ist Experte für mündliche Überlieferungen der Herero und traditionelle afrikanische Kulturen. Wenn es jemanden gibt, der einen magischen Gegenstand aufspüren kann, dann er. Er sitzt in einem Archiv in Basel. Sein Name ist Dag Henrichsen. 5 O-Ton Dag Henrichsen: Du weißt, dass es ein Foto von Kahimemua gibt. Das haben wir lange auch nicht gewusst. Aber vor ein paar Jahren haben wir, ich meine über ein Berliner Auktionshaus, glaube ich, haben wir ein Foto ersteigert. In enger Zusammenarbeit mit dem Nationalarchiv in Windhoek. Weil wir wie vom Schlag getroffen waren, dass es ein Foto von Kahimemua gibt. Autorin: Wir sitzen in Dags kleinem Büro im BAB, den Basler Afrika Bibliographien. Dag ist selber Deutsch-Namibier, in Swakopmund geboren. Natürlich ist ihm Kahimemua und der Krieg von 1896 ein Begriff. Und das erste, was er mir zeigt, ist diese alte Schwarz-Weiß-Aufnahme. Sie ist gestochen scharf und zeigt Kahimemua und Nikodemus kurz nach ihrer Verhaftung in Okahandja. Beide tragen westliche Kleidung, alte, abgewetzte Anzüge mit Hüten. Nikodemus, der Jüngere, schaut fast betreten in die Kamera. Kahimemua, der Ältere, wirkt abgeklärt. Er ist in einen langen staubigen Mantel gehüllt, die Hände tief in den Taschen vergraben. 6 Einspielung Gespräch mit Dag: - (Dag) Während Nikodemus ja diese fast schon demütige Haltung, die gefalteten Hände zeigt... - Ja, der wirkt fast wie so ein ertappter Pennäler. - während Kahimemua ja weiterhin eine Souveränität ausstrahlt. Und ich finde, das drückt sich just darin aus, dass er die Hände in den Manteltaschen belässt. Und zugleich diese fast legere Haltung von dem Kahimemua. Sie hat auch was kolossal Abschätziges. Autorin: Unwillkürlich suche ich auf der Aufnahme nach einem Gürtel. Aber da ist keiner zu sehen. Neben den Verhafteten posieren stolz vier deutsche Soldaten, auch sie staubig, in voller Montur, Gewehr bei Fuß. Am rechten Bildrand liegt eine abgelegte Militärmütze. Des Fotografen? Ein Foto als Trophäe. Bis vor kurzem war Kahimemua Nguvauva noch eine Legende aus grauer Vorzeit. Aber jetzt gibt es da ein Gesicht. Es ist das Gesicht eines alten Mannes, der weiß, dass er am Ende seines Weges angekommen ist. Ein würdevolles Gesicht. Ein Gesicht, das mich nicht mehr loslassen wird. Wer war Kahimemua? Ein Aufrührer? Ein Politiker? Ein Visionär? Wie kam es überhaupt zu dem Krieg 1896, frage ich Dag. 7 O-Ton Dag: Die deutsche Kolonialverwaltung versuchte, im östlichen Namibia die Südgrenze durchzusetzen, also die dortige Mbanderu/Herero-Bevölkerung zu zwingen, gewisse Weidegrenzen zu respektieren. Und dagegen rebellierte Kahimemua. Hinzu kommt, dass Kahimemua gegenüber Samuel Mahahero, der auf die Legitimation durch die deutsche Kolonialverwaltung angewiesen war, eine kritische Position einnahm. Autorin: Getreu dem Motto Divide et impera - teile und herrsche - hatten die Deutschen Streitigkeiten zwischen den afrikanischen Volksgruppen ausgenutzt, um sich Verbündete zu schaffen und ihre Anführer in Abhängigkeit zu bringen. So auch den Herero-Führer Samuel Maharero, der mit deutschem Diktum zum Oberanführer der Herero ernannt wurde, zum "Paramount-Chief", ein Amt, das die deutsche Kolonialverwaltung erst schuf. Und Hendrik Witbooi, den Nama-Chief, den Leutwein nach langen Kämpfen in einen "Schutzvertrag" gezwungen hatte. Acht Jahre später würden beide, bedrängt durch die Rinderpest und die zunehmende Vertreibung von ihren angestammten Weidegebieten selber den Deutschen den Krieg erklären. Doch jetzt, 1896, standen sie mit ihren Leuten an der Seite Leutweins - gegen ihren alten Rivalen Kahimemua. 8 O-Ton Dag: Und damit ergaben sich zahlreiche Ereignisse und Dynamiken, die dazu führten, dass es zu dieser militärischen Auseinandersetzung kam, und damit zum ersten wesentlichen Widerstand durch einen wesentlichen Mbanderu/Herero-Führer gegenüber der deutschen Kolonialarmee. Autorin: Am 6. Mai 1896 kam es bei Otjunda - zu Deutsch: Sturmfeld - zum Gefecht. Die Ovambanderu kämpften tapfer. Viele wurden getötet, mehrere Söhne Kahimemuas fielen. Er selber wurde verwundet und flüchtete. Einige Wochen später stöberten ihn deutsche Truppen auf, und er ergab sich kampflos. Kahimemua und Nikodemus wurden vor ein Kriegsgericht gestellt und wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. 6 Musik: Monotones Trommelschlagen Zitator 1: Die gerichtliche Untersuchung über die Ursachen und Urheber des Aufstands wurde durch Assessor von Lindequist geführt. Nikodemus selbst leugnete alles. Kahimemua beschönigte nichts. (...) Angesichts dieses zweifellos mildernden Umstandes sowie seines offenen Geständnisses würde ich Kahimemua gerne begnadigt haben, jedoch sprach sich Samuel entschieden dagegen aus. Infolgedessen wurden in Vollziehung des gefällten Urteils die beiden Führer am 12. Juni erschossen. Kahimemua starb mutig, Nikodemus dagegen als Feigling, vor Angst schon halbtot, als er zum Richtplatz geführt wurde. (Theodor Leutwein: Elf Jahre Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika.) Autorin: Auf der Rückfahrt von Basel nach Berlin schicke ich Freddy Nguvauva in Windhoek eine SMS. Was wissen die Ovambanderu-Historiker noch über Kahimemuas Hinrichtung, frage ich. Und gibt es wirklich keine Überlieferungen darüber, wie der Gürtel aussah? Irgendetwas, was mir bei der Suche helfen könnte? Er werde die Ältesten danach fragen, verspricht er mir. Und dann erzählt er mir noch eine Geschichte. Sein afrikanischer Vorname, schreibt Freddy, sei Ueriurika. Der Name beziehe sich auf seinen Ururgroßvater. Er bedeutet "Der, der zeigte, wie er getötet werden sollte". Zitator 2: Auf Kahimemua, so heißt es in den Überlieferungen der Ovambanderu, waren vom Erschießungskommando der Deutschen elf Kugeln abgefeuert worden. Er war schwer verletzt, doch er konnte nicht sterben. Da riss er sich die Binde von den Augen und zeigte auf seine Stirn. Wisst ihr nicht, wie man einen Bullen tötet? Da müsst ihr hinschießen, wenn ihr mich töten wollt. Und er verlangte, dass es jemand von Rang tun müsse, denn er sei ein König. Da nahm einer der deutschen Offiziere sein Gewehr und schoss ihm in die Stirn. Endlich starb er. 12 Kugeln brauchte es, um ihn zu töten. Er fiel nach vorne in den Sand, und seine Hände krallten sich in die Erde seiner Vorfahren. 7 Atmo Gesang Autorin: Nachtrag: Nikodemus hatte sehr große Angst, zu sterben. Deswegen bat Kahimemua darum, Nikodemus zuerst zu erschießen, damit er Kahimemuas Hinrichtung nicht mit ansehen müsse und noch mehr Angst bekäme. Und das taten die Deutschen. So schrieb es Freddy mir auf Whats App. Über 120 Jahre alte Überlieferungen per Kurznachricht. Musik: preußisches Motiv, darauf: Autorin: Theodor Leutwein, der Mann mit dem Kaiser-Wilhelm-Bart, Oberkommandierender der deutschen Schutztruppe, wurde in Anerkennung seiner Leistung bei der Niederschlagung des Aufstandes der Ovambanderu zum Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika befördert. Dag Henrichsen hat eine Theorie: Er glaubt, dass es sich bei dem vermissten magischen Gürtel möglicherweise um etwas ganz anderes gehandelt hat: Um "Omuvia Omurangere", sogenannte Ahnenschnüre. Er hatte in Berlin zu tun und ist bei mir vorbei gekommen, um mir ein altes Buch zu zeigen: "Die Herero", veröffentlicht im Jahr 1906 von Jakob Irle, einem Missionar der Rheinischen Missionsgesellschaft. Irle hat sich, wie viele Missionare, für den Schutz der Herero eingesetzt und sich auch für ihre Kultur und Religion interessiert. Die Ahnenschnüre, so beschreibt es Irle, gehörten - neben den Utensilien für das heilige Feuer und die Kalebassen und Milchgefäße der heiligen Kuh des Stammes - zu den sakralsten Objekten. Sie stellten die Verbindung zu den Ahnen dar. Dag blättert. 9 O-Ton Dag: ...bei Erbrecht, Erbteilung... hier, hier heißt es dann, das ist die Ahnenschnur. Also das ist, sozusagen, Geschlechter, Registerriemen, das ist also die Schnur, der Riemen, vielleicht der Gürtel, der sozusagen mittels Knoten die Familienmitglieder physisch repräsentiert. - Und der wurde um die Hüfte getragen? - Genau. Und ist Teil anderer Gegenstände, die von dem Familienoberhaupt gehütet, bewahrt, und genutzt wurden. Autorin: Dag hat noch etwas anderes mitgebracht. Die Geschichte der Ovambanderu wurde nur mündlich überliefert. Doch 1966 war der deutsche Theologe Theo Sundermeier von der Führung der Ovamb anderu gebeten worden, ihre Geschichte auf Tonband aufzuzeichnen, was er tat und in einem Buch veröffentlichte. Eine wichtige Quelle. 8 Atmo Blättern bei Sundermeier Autorin: In den Tagen vor dem Gefecht von Otjunda besuchte Kahimemua das Grab seines Vaters, heißt es dort. Zuvor hatte er alle, die ihm nicht folgen wollten, von ihren Treuepflichten entbunden und sie, wie auch die Frauen und Kinder, fortgeschickt. Er hatte die Heilige Kuh schlachten lassen und die sakralen Geräte seines Stammes verbrannt. Und dann heißt es: Zitator: Kahimemua hatte ein langes omuvia omurangere, einen sogenannten Familienriemen mit vielen Knoten. Als die Kinder die Nachricht brachten, die Feinde kämen - es war ein Tag vor dem Überfall - löste er alle Knoten des Riemens auf. Während er sie auflöste, nannte er alle Familien mit Namen, die auf diese Weise vernichtet wurden. Zum Schluss waren noch die Knoten seiner zwei Brüder und die seiner eigenen Söhne übrig. Bevor er sie losmachte, fragte er erst, ob er sie lösen solle. Auch seine drei Söhne, gaben ihre Zustimmung. Alle waren in diesem Augenblick zugegen. Aber als sein Sohn Nikodemus (eigentlich sein Neffe) an die Reihe kam und schon sein Ja gesprochen hatte, sagte Kahimemua: "Nein, deinen Knoten werde ich nicht lösen, denn du sollst nicht getötet, sondern nur verwundet werden. Du wirst in ein fremdes Land ziehen, doch wenn alles hier still geworden ist, wirst du in unser Land zurückkommen." Danach warf Kahimemua den Riemen ins Feuer, sodass er verbrannte. Autorin: Er verbrannte den Riemen! Ist damit unsere Suche nach dem Gürtel zu Ende? Nach diesem Narrativ ja, antwortet Dag. Ich bin irgendwie enttäuscht - und zugleich fasziniert von der Poesie und der Kraft, aber auch der Dramatik der Erzählung. 10 O-Ton Dag: Aber auch kolossal hart und tragisch. Zugleich, das sagt natürlich auch etwas über Kahimemua aus. Als eine Figur, die in sich eine kolossal tragische Konsequenz im Umgang mit diesem deutschen Kolonialismus aufweist. Autorin: Anders als die anderen Stammesführer, die versuchten, mit den Deutschen Abkommen zu schließen, ihnen auch Land und Rinder verkauften, hatte Kahimemua das Wesen des deutschen Kolonialismus erkannt - mit seinem zutiefst rassistischen und absoluten Herrschafts- und Besitzanspruch, der schon wenige Jahre später das gesamte Land und seine Bewohner verschlingen würde. Musikakzent / evtl. Kreuzblende in Atmo 9 Atmo Zug Autorin: Ein paar Monate später sitze ich im ICE nach Braunschweig. Denn die Suche nach dem Gürtel des Kahimemua hat eine neue, überraschende Wendung genommen. Freddy Nguvauva hatte mich angerufen. Der frühere Leiter des namibischen Nationalarchivs in Windhoek, Werner Hillebrecht, ist auf eine neue Spur gestoßen. Ausgerechnet in dem Buch eines alten Nazis. Hans Grimm heißt der Autor. 1926 wurde er in der Weimarer Republik mit dem Roman "Volk ohne Raum" schlagartig berühmt, darin lieferte er den Nationalsozialisten die Formel und die Vorlage für ihre spätere Expansionspolitik. Grimm war Kolonialrevisionist, hatte selbst lange in Deutsch-Südwestafrika gelebt. 1929 schrieb er "Das Deutsche Südwester-Buch", das die Abenteuer und die Lebensgeschichte des Kaufmanns Gustav Voigts nacherzählt und das im Deutschen Reich sehr populär war. Die Voigts-Brüder waren früh nach Deutsch Süd-West ausgewandert und Gustav Voigts hatte 1892 in Windhoek ein Handelshaus gegründet, das mit den Herero regen Handel trieb: Vieh gegen westliche Kleidung, Töpfe, Spaten, Alkohol oder Gewehre. Er lernte ihre Sprache, interessierte sich für ihre Kultur. Das hinderte ihn nicht, 1896, als Reserveoffizier, ohne zu Zögern mit den deutschen Truppen gegen die aufständischen Ovambanderu zu ziehen. In einer Passage des Grimm-Buches erzählt Voigts von der Gefangennahme Kahimemuas: Zitator 1: Kahimemua wurde den Epukiro entlang verfolgt. Sobald Kahimemua Leutweins ansichtig wurde, murmelte er: "Hinao ondjo". Das heißt: Ich habe keine Schuld. Er sagte sonst nichts. Leutwein überwies ihn mir. Ich nahm ihm Gewehr und Patronengürtel ab. Beides hängt im Braunschweiger Museum." 9a.Atmo ICE Autorin Also doch keine Ahnenschnüre? Das heilige, sakrale Objekt ein schnöder Patronengürtel? Werner Hillebrecht hatte von Windhoek aus schon vor Jahren versucht, wegen dieser Passage in Grimms Buch mit dem Museum in Braunschweig Kontakt aufzunehmen - doch zurück war nur eine dürre Mail gekommen, man sehe sich aus Zeitmangel gerade nicht in der Lage, dem nachzugehen. Die Kolonialzeit stand noch nicht sehr im Fokus der Öffentlichkeit. Doch die Zeiten haben sich geändert. Als ich jetzt als Journalistin noch mal offiziell nachfrage, ruft mich der neue Direktor Peter Joch sofort zurück und lädt mich nach Braunschweig ein. Hat das Museum den Patronengürtel gefunden? 11 O-Ton Joch: Leider nicht. Wir haben immer wieder nachgeforscht, und wenn wir der Geschichte nachgehen, sehen wir, dass im Bestandskatalog, der 1968 erstellt wurde, der afrikanischen Sammlung im Städtischen Museum Braunschweig dieser Gürtel nicht erwähnt ist. Alle anderen Objekte, die mit Gustav Voigts zusammenhängen, sind aufgelistet, aber nicht dieser Patronengurt. Leider! Autorin: Auch vom Gewehr keine Spur. Enttäuschend. Doch was man gefunden habe, sagt Joch, sei die Original-Karteikarte, die belegt, dass der Gürtel einmal hier gewesen ist. Er hat mir Kopien gemacht. Unter der Objektnummer A III c. 172 steht: "Lederner Patronengürtel, dem aufständischen Häuptlinge der Ovambandyeru, Kahimemua, von Herrn Gustav Voigts 1896 abgenommen." Und dann, doppelt unterstrichen: "Eigentum von Gustav Voigts in Windhoek." Dazu wurde sogar eine persönliche Erklärung von Gustav Voigts zu den Akten genommen: 10 Atmo: Papierrascheln oder assoziative Musik 12 O-Ton Joch: (liest) Und gesagt ist hier: Der im Mai 1896 dem aufständischen Häuptling der Ost-Herero/ der Banderu, Kahimemua, in Omukuvaru am Epukirofluss gefangen genommen wurde, wurde ich beauftragt, diesen Häuptling zu entwaffnen, wobei ich ihm diesen Patronengurt abnahm. Dieser Gürtel ist von Eingeborenen angefertigt. Autorin: Das ist die erste konkrete Spur! Der Gürtel des Kahimemua - ein Gürtel des Kahimemua war hier. Aber - wo ist er jetzt? Der Eigentumsvorbehalt, der Gustav Voigts so wichtig war, könnte darauf hinweisen, dass er das Objekt möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt wieder an sich genommen hat, vermutet der Braunschweiger Museumsleiter Peter Joch. 13 O-Ton Joch: Das war wohl augenscheinlich eine besondere Geschichte für Voigts, dass er den Häuptling überwältigte und ihm den Patronengurt abnahm. Das war so ne Triumphatorgeste natürlich. Der hat den entwaffnet! Das kann also gut sein, dass der mal zurückgegeben wurde, das ist leider nicht dokumentiert auf den Karteikarten. Jedenfalls haben wir das Depot auf den Kopf gestellt. Wir haben geguckt, wo es aus Versehen noch hätte hingeräumt werden können irgendwann, aber da war leider nichts zu machen. Autorin: Im Stadtarchiv findet sich zudem ein Artikel aus der Braunschweiger Landeszeitung, vom 5. Juni 1898, der froh verkündet: Zitator 1: Herr Gustav Voigts aus Meerdorf, jetzt in Windhoek in Deutsch-Südwestafrika ansässig, schenkte hochinteressante Waffen, Bekleidungs-, Schmuck- und Gebrauchsgegenstände der Hereros und der Hottentotten. Darunter befindet sich auch der Patronengürtel Kahimemuas, des Häuptlings der Ovabandyeru, die sich 1896 gegen die deutsche Herrschaft auflehnten, aber nach hartem Kampfe niedergerungen wurden. Herrn Voigts, der an jenen Kämpfen mit Auszeichnung teilnahm, gelang es, den erwähnten Häuptling gefangen zu nehmen. Und jener Patronengürtel ist uns daher ein schönes Andenken an die tapfere Tat eines Braunschweigers in den fernen Gegenden des schwarzen Erdteils. Autorin: So schnell entstehen Heldenlegenden, denke ich. Bald wird der Braunschweiger Kaufmann Gustav Voigts den wilden Häuptling ganz allein mit seinen nackten Händen niedergerungen haben. Musikakzent Autorin: Freddy ist begeistert von den neuen Nachrichten. Das ist der Beweis, dass die Erinnerungen seines Volkes nicht trügen. Der Gürtel hat existiert, und er war einmal in Deutschland. Aber ist das wirklich der heilige Gürtel, nachdem ihr sucht, frage ich ihn. Ein schnöder Patronengürtel? Freddy ist sich sicher. Und auch Werner Hillebrecht erklärt: 14 O-Ton Hillebrecht: Waffen, alles, was mit Waffen zusammenhing , hatte ne große Bedeutung und hat es bis heute. Ja. Bis heute sind die Uniformen ein wichtiger Bestandteil des Zeremoniells. Und der Patronengürtel ist ja nach Angaben von Gustav Voigts im Lande hergestellt, also kein importiertes Utensil. Und dass das dann auch eine rituelle Bedeutung gehabt haben kann, dass also der Vater seinem Sohn diesen Gürtel übergibt als Zeichen seiner Würde, das ist sehr gut vorstellbar. Autorin: Für die Ovambanderu bedeutete der verlorene Krieg gegen die deutschen Kolonialherren und der Tod ihres Häuptlings vor 120 Jahren, der ja auch spiritueller Führer seines Volkes war, eine Katastrophe. Sie verloren ihre Identität, ihr Land, und - für sie am verheerendsten - ihre Rinderherden, einzige Einkommensquelle und Grundlage ihrer Kultur und Religion. Kahimemua besiegelte den Untergang, indem er die sakralen Objekte verbrannte. Der geraubte Patronengürtel - vielleicht stand er symbolisch für alles, was den Ovambanderu genommen wurde. Zitator 1: "Die Ausbeute des Sieges war groß. Sie bestand in einer Menge Gewehre, 6 Wagen, 3.000 Stück Vieh und zahlreichen Gefangenen, aber diese meist Weiber und Kinder. Vom Gegner wurden 40 Tote gefunden, darunter ein Bruder und zwei Söhne Kahimemuas und drei Söhne Kahikaetas." (Theodor Leutwein nach der Schlacht von Otjunda.) Autorin: Nach der Hinrichtung Kahimemuas schickte Leutwein eine 100-köpfige Expedition unter Major Müller los, um als Entsatz für die verschossene deutsche Munition auch noch das restliche Vieh der aufständischen Volksgruppen einzutreiben. Es wurde meistbietend an die deutschen Siedler versteigert, auch die verbündeten Hereros bekamen ihren Teil. Die Ovambanderu, insbesondere die Familienmitglieder Kahimemuas, wurden noch lange verfolgt. Viele flohen, völlig verarmt, nach Botswana, darunter auch Nikodemus Nguvauva, der überlebende Sohn Kahimemuas. Die, die blieben, verloren ihre Unabhängigkeit als Stamm, sie wurden von den Deutschen Samuel Mahahero unterstellt und galten fortan als Hereros. Als solche wurden sie acht Jahre später zum zweiten Mal Opfer - Opfer des deutschen Völkermords, nachdem Samuel Mahahero seine Gefolgschaft den Deutschen gegenüber aufgekündigt und sich nun selber gegen die Deutschen erhoben hatte. Die Reaktion der deutschen Kolonialtruppen war maßlos. Tausende wurden getötet, Zehntausende zum Verdursten in die Omaheke-Wüste getrieben, wer überlebte - Männer, Frauen und Kinder - wurde in Konzentrationslagern interniert, die nur die wenigsten nach Jahren lebend verließen. Ab 1907 war den Afrikanern, mit Ausnahme der Ovambo im Norden und der sogenannten Rehoboth-Bastarde, der Besitz von Land und Großvieh verboten. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich als Farmarbeiter bei den Weißen zu verdingen. Das Ziel, das Leutwein schon früh als Grundlage eines prosperierenden Deutsch-Südwestafrikas formuliert hatte, war erreicht: Zitator 1 Dass "die ganze Zukunft der Kolonie in dem allmählichen Übergang des Landes aus den Händen der arbeitsscheuen Eingeborenen in diejenigen der Europäer begründet liegt." 11 Atmo Ovambanderu-Gesang, Tanz, Klatschen Autorin Wenn der Gürtel im Besitz der Voigts-Familie ist, die bis heute in Namibia lebt - wie können wir da herankommen? Könnte schwierig sein, vermutet Werner Hillebrecht. 15 O-Ton Hillebrecht: Man muss erst mal die Nachkommen ausfindig machen. Schon in der deutschen Kolonialzeit waren drei Gebrüder Voigts ausgewandert, und soweit ich weiß haben alle Nachkommen gehabt, die jetzt teilweise auch nicht mehr Voigts heißen. -Ist doch eine der reichsten Familien in Namibia, oder? -Ja. Wecke und Voigts ist immer noch eine große Handelsfirma mit Filialen in allen größeren Städten. Das kennt jeder. Autorin: Und sie besitzt sehr viel Land. 70 Prozent des nutzbaren Weide- und Ackerlandes sind noch immer in weißer Hand. 70 Prozent! Für uns Deutsche ist die Kolonialgeschichte ferne Vergangenheit. Hier sind ihre Folgen noch immer sehr gegenwärtig. Immer wieder gibt es Forderungen nach einer radikalen Landreform in Namibia. Da hat die Voigts- Familie sicher wenig Interesse daran, mit einer alten Kolonialgeschichte behelligt zu werden, vermuten wir. Doch die Nguvauva-Familie will nur ihren Gürtel zurückhaben. Liegt er in irgendeinem Familienarchiv? Oder hängt er als Andenken an einer Wohnzimmerwand? kurze akustische /musikalische Zäsur Autorin: Dann passiert, womit wir nicht gerechnet hatten Zitator: Nachricht von Werner Hillebrecht: Der Patronengürtel ist aufgetaucht! Autorin: Besser: Ein Patronengürtel ist aufgetaucht. Und zwar da, wo er partout nicht zu finden gewesen war: Im Museum in Braunschweig. In einer Schublade im Depot der ethnographischen Abteilung, unter den "undokumentierten Objekten". Musik aufblenden, unter den Text, auch der Autorin, legen darüber Atmo 12 Atmo: Tür zum Depot, Papierrascheln. Autorin: Ich werde ins Depot geführt und da liegt er, auf einem Tisch, auf Seidenpapier gebettet. (Musik kurz freistehen lassen) Ein alter, dunkelbrauner Patronengurt aus Leder, an dem ein lederner Schultergurt mit einer Schnalle befestigt ist. Handgefertigt, das sieht man an den unregelmäßigen Nähten. Wie auf der Karteikarte beschrieben. (Musik kurz freistehen lassen) Ist er das, der historische Gürtel des Kahimemua? Museumsdirektor Joch ist zurückhaltend. 16 O-Ton Joch Also die Geschichte war jetzt einfach, dass Herr Hillebrecht bei seinem Besuch ein Objekt entdeckt hat, das hat er mit Fotografien verglichen von Herero-Patronengurten und hat gesagt, da gibt es eine bestimmte Ähnlichkeit. Autorin: Werner Hillebrecht war zufällig zu einem Museums-Workshop in Niedersachsen und hat die Gelegenheit genutzt, sich im Braunschweiger Depot umzusehen. Die Leiterin der Afrikasammlung, Evelin Haase, zeigte ihm schließlich diesen Gürtel. Man habe ihn immer für einen Gaucho-Gürtel aus Südamerika gehalten habe, erklärt sie. 17 O-Ton Haase: Das ist hier die Ethnographie, was wir also aus der ganzen Welt haben. Von daher, es hätte ja auch aus Südamerika stammen können. Und wir haben natürlich auch europäische Sachen hier aus der Braunschweiger Gegend, wie haben ja da auch Uniformteile, es hätte also auch sein können, dass eben da eine Vermischung ist. Autorin: Das Museum will den Gürtel chemisch und ethnographisch untersuchen lassen. Sobald die afrikanische Herkunft des Gürtels bestätigt sei, erklärt Museumsleiter Joch, sei man selbstverständlich bereit, ihn zurückzugeben. Fragt sich nur: an wen? An die Familie, die Community der Ovambanderu? Oder an den Staat Namibia, das Nationalmuseum? Immerhin war Kahimemua eine wichtige historische Figur. Und es gäbe noch ein anderes Problem: Der Eigentumsvorbehalt. Rein rechtlich gehört der Patronengurt des Kahimemua den Nachfahren von Gustav Voigts. 13 Atmo: Epukiro. Reden, Hühnergackern. Autorin Epukiro, Namibia. Der sogenannte "Palast", der Wohnsitz des derzeitigen Chiefs der Ovambanderu, ist eine Ansammlung von ärmlichen Hütten. In der Mitte ist unter freiem Himmel eine Tribüne aufgebaut. Zwanzig Minuten rede ich, gebe Auskunft über die Recherchen, über den Stand der Dinge. Betone, dass der Gürtel erst noch identifiziert werden müsse, dass weitere Forschungen nötig sind. 13 Atmo hoch Autorin Freddy hatte mich mit dem Auto vom Flughafen in Windhoek abgeholt, seine Frau und zwei seiner Töchter sind auch dabei. Sie sitzen auf dem Rücksitz und tippen in ihre Handys. Teenager wie überall. Auf dem Weg hierher fuhren wir eine gefühlte Ewigkeit durch Weideland, das rechts und links durch Zäune eingefasst war. "Voigts-Land", sagt Freddy. "Sie sind hier die Landbarone. Früher war das alles unser Land, das der Ovambanderu und Herero." Geschichte und Gegenwart des Kolonialismus. 14 Atmo von der Veranstaltung Autorin Ich schwitze auf der Tribüne unter meinem grünen Kleid, nicht nur wegen der Hitze. 200 Menschen sitzen auf Stühlen vor uns, nicht alle verstehen Englisch, jedes meiner Worte wird übersetzt. Ich blicke in die aufmerksamen Gesichter, hier und da ein Nicken, eine gerunzelte Stirn. Ob die Geschichte von Kahimemua in Deutschland bekannt ist, wollen viele wissen. Was man sich dort darüber erzählt. Hier ist sie allgegenwärtig. In den vielen Reden, den Gesängen, in den Erzählungen. Eine alte Frau erhebt sich spontan und erzählt davon, wie Kahimemua verhaftet wurde, was alles während seiner Hinrichtung im Juni 1896 geschah. Die 12 Kugeln, die es brauchte um ihn zu töten. Und von seiner Prophezeihung. Prophezeihung? Davon höre ich hier zum ersten Mal. 15 Atmo alte Frau spricht Sprecherin OV Im Angesicht des Todes sprach Kahimemua alle seine Feinde direkt an, auch Samuel Maharero. Die, die jetzt als Verbündete hier gegen mich stehen, werden sich bald im Streit gegeneinander wenden, sprach er. Du wirst fern deiner Heimat sterben. Und so geschah es. Nur wenige Jahre später begann der Krieg der Herero gegen die Deutschen und Samuel Mahahero starb einsam im Exil. Auch den anderen Stammesführern an der Seite der Deutschen sagte er ihr nahes Ende voraus. Zu Leutwein aber sprach er: Wie du mein Reich zerstörst, wird auch dein Reich bald zerstört werden. Das konnten sich die Deutschen nicht vorstellen, dass das jemals geschehen könnte. Doch dann wurde Deutschland vernichtet: Erst im ersten, dann im zweiten Weltkrieg. Autorin: Ich verstehe erst jetzt, wie sehr unser beider Geschichte verwoben ist. Die Kolonialzeit, bei uns lange vergessen oder verklärt - hier ist sie jeden Tag präsent geblieben, bis heute. Viele hier haben deutsche Großväter, tragen deutsche Namen - infolge von, zurückhaltend formuliert, unfreiwilliger Begegnungen ihrer Großmütter mit Angehörigen der deutschen Schutztruppen. Dohunda Morena gehört einer Exilgemeinde in Botswana an, die erst vor ein paar Jahren zurückgekehrt ist in die alte Heimat. 18 O-Ton Dohunda (Mbanderu): Sprecher OV Wir haben im Krieg gekämpft, wir sind dort fast umgekommen. Wir mussten fliehen und viele von uns sind auf der Flucht gestorben. Doch jetzt sind wir zurück, einige von uns. Und alles was wir wollen ist, dass dieser Gürtel, den die Deutschen Kahimemua vor seiner Exekution gestohlen haben, und von dem wir wissen dass er in Deutschland ist, zurückgegeben wird. Autorin: Was wollt ihr mit dem Gürtel machen, wenn ihr ihn zurückbekommen solltet, frage ich Chief Kilus Munjuku III. Er ist der Urenkel von Kahimemua. Assaria Tjozongoro, einer der Stammeshistoriker, übersetzt. 19 O-Ton Kilus Munjuku (Mbanderu): Assaria übersetzt: The response of the chief is that it is his wish that at first the cartridge belt should be given to the family. And then they will store it.... Sprecher OV Die Antwort des Chiefs lautet: Es ist sein Wunsch, dass der Patronengurt zunächst an die Familie zurückgegeben wird, damit sie ihn aufbewahren kann und alle ihn sehen können. Aber er erkennt an, dass sich die Zeiten gewandelt haben. Zu einem späteren Zeitpunkt wird die Community beraten, ob der Gürtel dem Staat übergeben wird, damit er an einem Ort gezeigt wird, wo er für die ganze Nation zugänglich ist. 38 Atmo: Ovambanderu Musik Autorin: Ich lausche den Liedern, die von der Vergangenheit erzählen. Von Rindern und weiter Landschaft, von Verlust und Schmerz. Und von einem Gürtel. Wie lange kann Erinnerung überdauern? Und welchen Weg geht sie, welchen Veränderungen ist sie unterworfen? Geschichte hat hier wie dort eine Funktion. Sie strukturiert die Welt. Sie hilft, zu überleben. Sie stiftet Identität und sie schafft Legitimität. Für die Ovambanderu würde die Rückkehr des Gürtels nicht nur eine schmerzhafte Lücke schließen. Er hätte noch eine andere wichtige Bedeutung. Ihre historische Rolle als erste Widerstandskämpfer gegen die Kolonialherrschaft, für die sie einen hohen Preis zahlen mussten und an deren Folgen sie bis heute tragen, würde mit der Restitution des Gürtels endlich eine für alle sichtbare Gestalt annehmen. MUSIKAKZENT 16 Atmo Braunschweig, Museum Autorin: Braunschweig, zwei Jahre später. Auf dem Bürgersteig vor dem Städtischen Museum beugt sich eine Gruppe Ovambanderu in ihrer traditionellen grünen Bekleidung über eine Feuerschale. Straßenbahnen fahren vorbei. Unter den erstaunten Blicken vorbeigehender Passanten entzündet der spirituelle Führer Ernst Hengombe Ndjoze ein heiliges Feuer, um mit den Ahnen in Kontakt zu treten. Ndjoze nimmt einen Schluck Wasser und bespuckt die Anwesenden mit einem feinen Sprühregen - Segens - und Reinigungszeremonie zugleich. 17 Atmo: Spucken, Gemurmel. Autorin: Der Gürtel liegt noch immer in Braunschweig. Doch in der Zwischenzeit ist einiges geschehen. Zwischen Freddy, der Ovambanderu-Community und dem Museum ist ein reger Austausch entstanden. Museumsdirektor Peter Joch hat Kontakt mit der Familie Voigts aus Namibia aufgenommen. Die Familie, auf dem Papier immer noch Eigentümerin des Gürtels, hat ihr Einverständnis gegeben, dass er an die Familie Nguvauva zurückgegeben wird. Doch ist er es denn nun, der historische Gürtel? Zu 90 Prozent ja, sagt Joch. Doch letzte Sicherheit konnten auch die Untersuchungen nicht geben, die er in Auftrag gegeben hat. Das Museum will daher auf die Expertise der Ovambanderu-Ältesten selbst zurückgreifen. Deswegen ist die Delegation nun auf Einladung der Stadt nach Braunschweig gekommen. 20 O-Ton Joch: Also wir haben uns heute um ungefähr elf Uhr getroffen, und wir haben das Stück runtergebracht, das war ein feierlicher Moment, das hat die Leute sehr berührt, und jetzt ist die Delegation seit ungefähr 3 Stunden dabei, das Objekt zu untersuchen. Autorin: Lange begutachten die Ältesten das Objekt. Stimmt das Leder, entsprechen die Nähte den traditionellen Fertigungsmethoden? Nicht zuletzt, passt der Gürtel zu Kahimemuas Körpermaßen, wie sie überliefert sind? Schließlich steht ihr Urteil fest: Ja, das ist der Gürtel. Einige haben Tränen in den Augen. Freddy verliest das Ergebnis. 21 O-Ton Freddy The written history fully corroborate with the oral history told by our forefathers in respect oft the objects taken from Kahimemua by Gustav Voigts... we are fully convinced, that the cartridge belt we have viewed is the correct and authentic original belt of Kahimemua. Overvoice: Die schriftlichen Dokumente stimmen vollständig mit der Geschichte überein, die uns von unseren Vorvätern überliefert wurde. Wir sind überzeugt, dass der Patronengurt, den wir untersucht haben, der autentische und originale Gürtel des Kahimemua ist. Autorin: Mit dem Ergebnis der Prüfung durch die Ältesten der Ovambanderu ist für das Museum der Weg zur Rückgabe frei. Die Stadtrat muss noch formal zustimmen - dann könnte der Gürtel noch in diesem Jahr restituiert werden. Museumsleiter Joch will ihn selber nach Namibia bringen. 126 Jahre, nachdem sein Träger, der legendäre Kahimemua, auf einem steinigen Hügel in Epukiro, vor einem deutschen Erschießungskommando starb. 18 Atmo: Okahandja Autorin: Am Ende meiner Reise nach Namibia zwei Jahre zuvor war ich mit Freddy zum Grab Kahimemuas gefahren, auf dem Heroe`s Acre der Herero in Okahandja. Ein schlichter schwarzer Granitstein im Gestrüpp, mit seinem Namen und seinen Lebensdaten. Daneben ein großer Steinhaufen. Vögel sangen, die Bäume rauschten: Ein heiliger Ort. Hier irgendwo in der Nähe hat auch die Hinrichtung stattgefunden. Doch der genaue Ort ist nicht überliefert. Glaubst du, dass unser beider Geschichte, die der Deutschen und die der Ovambanderu miteinander verbunden sind, hatte ich Freddy gefragt. Ja, antwortete er, davon sei er zutiefst überzeugt. Nicht umsonst hätten die Befreiung Namibias von der Apartheid und der Fall der Berliner Mauer im selben Jahr stattgefunden. Es war lange Zeit beileibe keine positive Verbindung. Aber es gebe Anzeichen, dass sich das in Zukunft ändern werde. Vielleicht werden wir es nicht mehr erleben, sagte Freddy. Aber er sei sicher: Unsere Kinder werden einen Weg finden. 22 O-Ton Freddy: Maybe it is not us, but I am convinced that maybe our children will find a way. Atmo Absage (SvD): Der Gürtel des Kahimemua. Ein Feature von Christiane Habermalz. Es sprachen: Barbara Becker, Olaf Oelstrom, Ulrich Blöcher, Tonio Arango und die Autorin. Ton: Herrmann Leppich und Alexander Brennecke Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Winfried Sträter Eine Produktion von Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk 2020/2022. 1