Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Welcome Home Dr. Marco Identitätssuche zwischen Karl-Marx-Stadt und Kenia Autorin: Ute Lieschke Regie und Technik: Michael Lissek und Ute Lieschke Redaktion: Christiane Habermalz, Michael Lissek Produktion: SWR/Deutschlandfunk 2022 Erstsendung: Dienstag, 20.12.2022, 19.15 Uhr Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - MUTTER (...) Er hat ja nie gefragt, warum sehe ich anders aus. Aber an dem Tag. Wir sind nachhause und ich hab gesagt, komm, nun hör mal auf mit muckschen, was ist denn eigentlich los. Und da hat er sich so an mich auf die Couch rangesetzt und hat gesagt. Warum sehe ich denn eigentlich anders aus. TALE Papa ist in Karl-Marx-Stadt groß geworden als einziger schwarzer Junge der Stadt wahrscheinlich. Oder vielleicht nicht ganz so. Aber ... HEMA Vielleicht einer von 'ner einstelligen Zahl. TALE Und ich glaub es war auch schon nicht so cool ... MARCO Wenn man bloß jeden Tag damit konfrontiert wird und gefragt wird, wo kommst du eigentlich her? Dann ist es natürlich irgendwie doof, wenn man sagen muss, weiß ich nicht, weil Fakt ist ja, ich komme aus Karl-Marx-Stadt, aus Reichenbrand, aus Chemnitz, und ich habe alles, was man für eine legitime Daseinsform braucht. Das heißt Vater, Geschwister, Mutter. MARCOS MUTTER ...das war damals 'ne "Schande", war einfach so. Musik MARCO Ich arbeite hier seit ziemlich genau siebeneinhalb Jahren in Leisnig, in der Anästhesie und Intensivtherapie, hauptsächlich Intensivtherapie, Narkose-Medizin ist eher sozusagen seltener, dass das vorkommt und fühle mich hier ausgesprochen wohl. Wir sind ein Superteam, und ich werde auch von den Leuten hier, glaube ich, sehr gut angenommen. Also ich glaube, ich habe niemanden, mit dem ich nicht irgendwie klarkäme. Atmo Krankenhaus MARCO Tschüss ... Wie gesagt mit der Flexüle haben Sie schon alles Unangenehme hinter sich ... diese lokale Betäubung ist vernachlässigbar, das ist nicht schlimm. PATIENTIN Hm, ich hatte immer Vollnarkose, weil, aber so etwas kenne ich jetzt noch nicht. MARCO Der Vorteil bei diesem Verfahren ist, dass Sie eine deutlich geringere Medikamentenbelastung haben, dass Sie danach gleich wach sind ... MARCO Für mich ist es auch schön, dass man Menschen auf einer sehr intensiven Weise begegnet, sprich den Patienten oder Patientinnen, die müssen sich in ganz kurzer Zeit mit einem Menschen soweit identifizieren können, dass sie ihm, wenn man so will, ihr Leben anvertrauen, im Sinne von Narkosemedizin oder Intensivmedizin. Und solche kurzen Sequenzen, indem man sozusagen in wirklich ganz kurze Zeit Vertrauen aufbauen muss. Das macht mir Riesenspaß. Und das ist vor allem schön, wenn es dann funktioniert und sich die Leute geborgen fühlen, obwohl man nur ganz kurze Zeit hatte, das zu vermitteln. Atmo Krankenhaus KRANKENSCHWESTER Sie können erstmal ganz entspannt sitzen. MARCO Ich hatte kürzlich einen Patienten, der in der Notfallaufnahme in erster Linie wegen einer Alkoholvergiftung wenn man so will vorgestellt wurde durch den Rettungsdienst. Der war so weit kommunikativ, dass er, als ich reinkam, laut gestöhnt hat, mich anschauend, um dann mit der Frage, ob ich ein Schwarzer wäre und meiner Antwort, dass es offensichtlich ist, dass ich eine andere Hautfarbe habe, auf seine Tattoos verwiesen hat und sich als expliziten Nazi, also Rechtsextremen zu erkennen gegeben hat, um mir dann in der Folge die Hand zu reichen mit der Frage: Sie behandeln mich aber trotzdem ordentlich? Atmo Krankenhaus. PATIENTIN Ja, beim Rasenmähen im Garten, das ganz Normale, wahrscheinlich, was Sie immer hören. Gartenarbeit ... MARCO Ausgerutscht, umgeknickt? MARCO Es gab auch mal einen Patienten, der die Schwester darauf hingewiesen hat, dass er von mir nicht behandelt werden möchte mit expliziter Benennung mit dem N-Wort. Ich bin dann in das Zimmer auf der Intensivstation war das, und der Patient litt an 'ner schweren Lebererkrankungen, der sogenannten Leberzirrhose. Und ich habe mich vorgestellt und habe ihm gesagt, dass ich der diensthabende Arzt bin. Und er hat gesagt, er möchte von mir nicht behandelt werden und ich ihm wiederum erwidert habe, dass es keine gute Idee, sich sozusagen hinter Ressentiments zu verstecken, weil das im Falle der Fälle sein Leben kosten könnte. Daraufhin hat er wieder gesagt, dass ihm das egal sei, er möchte von mir nicht behandelt werden. Und dann habe ich das mit dem betreffenden Chefarzt abgesprochen und er ist auf Normalstation gegangen. Musik TALE Papa ist selten schlecht gelaunt. Selbst wenn er irgendwie Anlass dazu hätte. Ja, er lässt das zumindest uns eigentlich nicht wirklich so spüren? Lacht viel. Und dann ist Papa auch sehr froh über uns, also Papa verbringt extrem gerne Zeit mit uns. HEMA Und er ist sehr schlau. Das merkt man, wenn man ihn beim Arbeiten beobachtet. Und dann hat er neben seiner Arbeit noch Studien laufen und sieht immer so aus, als würde ihm das alles ganz leichtfallen. TALE Papa ist auch eher eine ruhige Person, würde ich sagen, naja ... HEMA Nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, den kann man nicht gut stressen oder so, das klappt nicht. ------ Atmo Spaziergang MARCO Könnte man fast überlegen, ob man hier drei bis vier Tage seines Urlaubs verbringt, wenn man jetzt von irgendwoher kommt. Ist 'ne wirklich schöne Region, auch landschaftlich, alles total gut vorstellbar. Schon alles beschaulich irgendwie, ne? MARCO Es ist ne ziemliche Diskrepanz zwischen dem netten und offenen Verhalten der Leute, denen ich beruflich begegne. Und wenn ich jetzt hier in die Stadt komme und ein Eis essen gehe oder ich hatte jetzt einen Termin beim Bürgermeister, wie befremdet halt die Blicke so sind zum Teil. Das fühlt sich total verrückt an, dass das für Menschen eine besondere Situation sein kann, dass jemand nicht in hellbeige hier auftaucht und trotzdem sächsisch spricht, deutsch spricht. Ja, das ist eben blöderweise oftmals auch mit einer Wertung gefärbt. Atmo Spaziergang MARCO Ich war mal mit meiner Familie zu einem Wochenendausflug hier, um denen zu zeigen, wo ich hier arbeite. Das war ja auch schön, aber schon, dass fühlt sich komisch an mit meinen beiden Kindern Tale nicht als schwarz lesbar und Hema als eindeutig schwarz gelesene. MARCO Ist sozusagen eine von den, wenn man so will, vergessenen Städten, die durch viel Mühe und Engagement versucht haben sich zu behaupten und nicht durch Wegzug und Ladenschließungen und Rückbau kleinkriegen zu lassen. Und das wiederum führt eben auch dazu, dass viele Leute ihre Enttäuschung in Worte fassen wollen, sag ich mal. Hier gerade in Leisnig gibt es drei oder vier Siedlerhöfe, wo Leute quasi aus alten Bundesländern kommen, genau diese Stimmung aufnehmen wollen, hier Grundstücke gekauft haben, bebaute Grundstücke und dort quasi nationale Siedlerhöfe eröffnet haben, wo klar, ist hier wohnen Menschen, die allen nicht Weißen die Stirn bieten sozusagen. Und auch Propaganda machen. Atmo Zug Sehr geehrte Fahrgäste, wir erreichen jetzt Chemnitz Hauptbahnhof, dieser Zug endet dort, wir bitten alle Fahrgäste auszusteigen, das Team ... Hallo. Guten Morgen. Herzlich Willkommen! MARCOS MUTTER Ich bin die Jüngste von acht Kindern gewesen und bin nach der achten Klasse aus der Schule raus. Meine Chorleiterin und Musiklehrerin, die wollte mich nach Berlin haben. Ich habe wohl damals sehr schön singen können. Was ich heute nicht mehr kann. Aber das wollten meine Eltern nicht: Du gehst jetzt arbeiten und erlangst einen ordentlichen Beruf. Und da habe ich Konfektionär für Untertrikotagen gelernt, kann heute keiner begreifen, was das ist. Also ich habe Schlüpfer nähen gelernt. Atmo Autotür VATER Vor fünfzig Jahren, als wir hier eingezogen sind in den Block ... MUTTER Da war alles neu ... VATER Da war alles noch Matsch ... MUTTER Wir waren glücklich mit unseren drei Kindern, eine Fernheizung-Wohnung zu kriegen, das war einfach toll ... AUTORIN Wie alt war da Marco, als sie hier eingezogen sind? VATER 73 sind wir eingezogen, drei Jahre alt ... MARCOS MUTTER Wir sind da in der Hofbar gegangen, abends. Man musste ja spät gehen, weil ich hatte die Ines. Die wurde zwar von der Nachbarin im Moment bewacht, betreut, aber ich bin eben dann mitgegangen. Man hat was getrunken. Man hat getanzt. Ja, und dann war das so, heute nennt man das One-Night-Stand. Ich habe mich dann früh neben dem Erzeuger von Marco wiedergefunden. Und das war schon, wie soll ich das sagen, das war irgendwie eine Schrecksekunde. Atmo Wohnungstür. MUTTER Schuhe lassen wir an, wir haben eine Wohnung, keine Schonung ... Können Sie anlassen. AUTORIN Ich habe Socken an ... MARCOS MUTTER Das war dann mein ständiger Angstbegleiter, es könnte was draus entstanden sein. Und es war ja auch so. Ich habe mit niemanden drüber gesprochen, ich habe mir Tee gekocht und habe versucht, das zu unterbinden, aber es ist mir nichts gelungen. Heute bin ich froh darüber. (Mann: Was sitzt, das sitzt) Dann war die Zeit der Niederkunft. Meine Nachbarin hat sich um die Ines gekümmert und ich musste ins Krankenhaus. Und morgens, 6.45 Uhr, glaube ich wars, da sagt die Hebamme "Hoppla, was haben wir denn jetzt" und da kam der kleine Wuschelkopf auf die Welt. Es war bestimmt im Ravensteiner Krankenhaus das erste dunkle Kind. Ich will nicht sagen schwarz. Der Marco war nie schwarz, der war immer dunkel. Aber es war eine Sensation, und damals hat man ja die Kinder noch in der Kinderstube gehabt. Und wenn sie zum Stillen gebracht wurden, dann lagen die so wie die Brote auf so einem langen Wagen. Und es konnte sich die ganze Station nicht beruhigen. Vor dem Stillen war immer Betrieb auf dem Gang. Jeder musste den Marco sehen. Atmo Kaffeegeschirr MUTTER Wir hätten ja auch an den großen Tisch gehen können ... Ja, ist besser. VATER Da ist mehr Platz auf dem Tisch. MUTTER Bitte Manfred. MARCOS MUTTER Und dann kam die Zeit des Besuches. Ich hatte eine wahnsinnige Angst vor meinen Eltern, weil ich habe mit niemandem darüber gesprochen, was da kommt. Und meine Eltern kommen. Und ich hatte im Kinderzimmer Bescheid gesagt, ich möchte als erste mit meinen Eltern das Kind ansehen, damit der Auflauf nicht zu groß wird. Ja, das haben sie auch sehr schön gemacht. Meine Eltern stehen da, die Gardine geht auf ... und meine Mutti sagt: Na, sag mal. Und mein Papa, das kann ich ihm bis in alle Ewigkeit nicht vergessen. Der hat meinen Kopf genommen und hat gesagt, wie hast du denn das fabriziert? Um das aber wieder zu überspielen von mir, hab ich gesagt Papa, guck mal, der hat an jeder Hand einen sechsten Finger. Und da hat mein Papa gesagt: "Du hast keinen Mann. Der will dir dann mal richtig zur Hand gehen". Das bleibt bei mir im Inneren. Meine Eltern haben mich auch nie verurteilt, aber zum Teil meine Geschwister. Und eine meine Schwestern hat gesagt, da kannst du uns jetzt aber nicht mehr besuchen, was sollen denn die Leute denken und das hat mir furchtbar weh getan. MARCOS MUTTER In der Klinik ging das schon los. Es war Visite, Chefarzt und Oberarzt kommen. Und dann kriege ich gesagt.: "Frau Dessner, Sie haben ja schon Kind. Ja. Na, da brauchen Sie ihren Sohn ja gar nicht. Würden Sie denn noch hergeben?" Das hat mich so, so verletzt, in dem Moment wurde man so erniedrigt. Ein schwarzes Kind. Wer gibt sich mit einem Schwarzen ab. Für mich war es schon irgendwo eine Beleidigung ... Bei meinem ersten Kind hat mich das niemand gefragt, ob ich ihn hergeben will. Atmo Gardine zuziehen MARCOS MUTTER Also, ich muss ihnen sagen, so ausführlich haben wir das auch noch niemanden erzählt. Das macht schon etwas mit mir. MARCOS MUTTER Wir haben uns in der Gaststätte kennengelernt. Ich war Bedienung, er war Gast. Und dann waren wir tanzen. Alles war gut. Dann habe ich gesagt, ich muss jetzt nach Hause, wegen Ines. Und da ist noch was. Da ist noch was. Ja, was ist denn da? Und da habe ich ihm dann gestanden, dass ich den Marko noch hab und dass der Marco eine braune Hautfarbe hat. Und dann hat mein Mann gesagt oh, dann muss ich mir den mal angucken und hat mir erklärt, er hat da kein Problem damit. Da war ich dann auch wieder glücklich, dass ich jemand gefunden hatte, der zu mir hält. Das, was der Manfred für mich und meine Kinder getan hat, kann niemand ermessen, das ist so. MARCOS VATER Das eigene Empfinden, ja nicht auffallen oder so mit dem Marco. MARCOS MUTTER Wir sind immer aufgefallen, immer. MARCOS VATER Ja, das ist deine Meinung gewesen mit dem Marco, bis wir dann zusammengegangen sind und ihn dann mitgenommen haben. MARCOS MUTTER Ich habe mein Kind immer hoch eingepackt und wenn dann doch jemand in den Kinderwagen geguckt hat: "Ach ist der schön braun, was geben sie dem zu essen" ...Möhren und Sonne, ich wusste nichts anderes. Ich habe mich einfach geschämt, nicht des Kindes wegen, sondern, wie konnte ich denn ... MARCOS MUTTER Morgens musste ich ja die Kinder wegbringen. Marco in der Krippe, Ines in Kindergarten und da kriege ich einen Anruf von meiner Schwester, also in der Kinderkrippe ist eine Arbeitskollegin von ihr gewesen, die hat gesagt, der Marco wird in der Kinderkrippe Lumumba genannt. Sie hat auch gesagt, wer das ist. Ja, und das habe ich dann meinen Mann und zählt. Da waren wir beide auch sehr entrüstet, sind dann in die Kinderkrippe gegangen, zur Leiterin und haben gesagt, dass uns das missfällt. Na ja, und dann kam der Marco in den Kindergarten, dann hatte ich beide im Betriebskindergarten, bei Lit Diamant. Und der Marco, der brüllte früh immer, er wollte da nicht rein. Bis meine Ines dann gesagt hat, Mami, der Marco wird immer geschubst im Waschraum, der Marco wäre dreckig, der Marco hat eine andere Hautfarbe, mit dir spielen wir nicht. Da haben wir dann den Kindergarten wieder gewechselt, da war aus unserem Haus die Frau Meyer, die kannte er und da war die Welt wieder in Ordnung. Atmo Türe MUTTER Das ist unser Schlafzimmer, das ist ausreichend groß. Das war früher das Kinderzimmer. Und hier hinten, wir haben ja nun keine Kinder, da kann dann mal jemand bei uns schlafen ... Musik Über allen strahlt die Sonne, über allen in der Welt, alle Kinder wollen Frieden, Frieden, der das Glück erhält. Froh und glücklich will doch spielen auf der Erde jedes Kind. Ob nun seine Eltern schwarze, gelbe oder weiße sind. MARCO Ich habe meine Kindheit immer als irrsinnig schön nachempfunden. Und ich sehe mich in den Kindergarten an der Hand meines Vaters springen. Und dann gab es aber diese Momente, diese Cuts, die so fett und verstörend und verängstigend waren. Als ich heulend nachhause kam und zu meiner Mutter gesagt habe, die sagen alle, ich bin schwarz. Und da hat mich meine Mutter, durchaus mit festem Griff, vor den Spiegel gehalten und ich sehe mich mit verheulten Augen im Spiegel und meine Mutter fragt mich: "Bist du schön?", ich habe das sozusagen als Kind bejaht unter Heulen "Ja, ich bin schön". Eigentlich hat sie mir damit gesagt: "Es ist so wie es ist, guck dich an, es ist so und es ist schön. "So. Das hat mich auch durchs Leben getragen und ist auch ein großer Starkmacher fürs Leben. TALE Papa hat gesagt es gab früher einen schwarzen Mann, der vielleicht keine Ahnung, so 40 oder 50 war und den hat er immer mit großen Augen angeguckt und wollte eigentlich irgendwie auch mit ihm reden, glaube ich. Aber ich weiß nicht, ob er es jemals gemacht hat. Aber das war für ihn total verrückt, eine Person zu sehen, die auch schwarz ist. Ich hab so einige Geschichten gehört, dass Papa als kleines Kind Rassismuserfahrungen gemacht hat und auch regelmäßig. MARCOS MUTTER Also man soll nicht sagen, in der DDR gab es keinen Rassismus, den gab es. MARCO Ich hatte mal einen Freund in der Schule. Dessen Vater hat von einem Mosaik einen ganz, ganz tollen Piraten abgemalt. Ich habe meinen Freund gefragt: Sag man, kann dein Papa für mich so was auch malen? Und da kam er am nächsten Tag zurück und hat gesagt, sein Vater hätte gesagt, für das Brikett malt er nichts. So, das gab's halt. MARCOS MUTTER Er hat uns das Gottseidank erzählt, und wir konnten dann auch auf ihn einwirken und haben gesagt Marco, sage einfach: "Du bist eine Quarkschüssel!", oder irgendwie so. Wir konnten uns nicht anders wehren. Aber der Marco war Gottseidank auch überdurchschnittlich intelligent und hat das dann auch einordnen können, war sehr für Gerechtigkeit. Hats Dinge in der Schule gegeben, naja ... Atmo Kaffeegeschirr MARCOS Vater Aber wir haben ihn auch immer darauf aufmerksam gemacht, wenn er Blödsinn macht, dass er der Einzige ist, den sie aus einer Gruppe von hundert Kindern herausfinden. Dass er nicht so untertauschen kann, wie jeder andere. ... Die offizielle Stabsstellung in der DDR war ja so, dass wir die besten Freunde der Afrikaner waren. Naja, ganz so hart war es nicht wie die Soldatenkinder. Amerikanische ... MARCOS MUTTER Im Westen hatten sie es sicher schwerer als wie im Osten. MARCOS Vater Ja, das glaube ich auch. Weil bei allen doch noch ein bisschen Absicherung trotzdem da war vom Staat her. Atmo Rhythmisches Klatschen Die Internationale Solidarität zwischen der Jugend der USA und der Jugend der DDR, sie lebe ... Stürmische Begrüßung für Angela Davis, die amerikanische Kommunistin, die mutige Bürgerrechtskämpferin ... Solidarität von Moskau bis Los Angelas, von Stockholm bis Haiphong, von Rostock bis nach Santiago ... Welcome in our country ...Hoch. Hoch. Hoch. MARCO Haareschneiden war immer ein Riesending. Tatsächlich. Also Haare gekämmt wurden immer nach der Badewanne, logischerweise. Aber einmal im Monat mussten die auch noch geschnitten werden. Das war auch für mich eine absolute Katastrophe. Und blöderweise hatten wir auch komplett verschiedene Vorstellungen von einem schönen Haarschnitt. Meine Mutter war eher dem Sänger von Boney M. angetan. Das kann ich jetzt retrospektiv so ein bisschen nachvollziehen. Das war damals bestimmte total hip, und ich war eher so auf dem Angela-Davies-Trip. Und das ließ sich einfach nicht in Deckungsgleichheit bringen, leider. MARCOS MUTTER Wir kommen hier aus der Stadt, fahren mit der Straßenbahn raus und ich sage zum Marco, und das ist dann deine neue Schule. Er trottet hinter uns her, zieht einen Flunsch und spricht nicht mit uns und ich sage. Sag mal, ist was? Letztendlich hat er ausgedrückt: Ich will nicht in die Schule. Ich sag, Marco, deine Lehrerin hat alles in die Bewegung gesetzt, du lernst dort neue Freunde kennen. Ja, und deshalb will ich nicht dorthin, ich bin dann wieder der einzige Braune. Er hat ja nie gefragt, warum sehe ich anders aus. Aber an dem Tag, da hats mir den Hals zugeschnürt und der Manfred hat sich Marco angenommen. Und da hat er ihm das erklärt, dass ich da wohl einen anderen Mann hatte, er wohl seine Hautfarbe hatte, auf diese einfache Art und Weise. MARCO Das war schon krass. also ich habe dann mich in die Nacht geheult, weil ich dachte, das ist doch echt doof, jetzt hast du keinen Vater mehr. Ich fand das wirklich eine Katastrophe, tatsächlich nicht. Man hat das Gefühl gehabt, als Kind, dass das sozusagen die emotionale Bindung irgendwie kurz aus ihren Angeln hebt und man tatsächlich sozusagen nur noch auf einer Seite bereift ist. Das Fahrzeug irgendwie jetzt nicht mehr geradeaus fahren kann. War aber natürlich nicht so. MARCOS MUTTER Und da hat der Marco gesagt: Papa, du bist mein Papa und du bleibst mein Papa, solange wir leben. Musik HEMA Ich würde sagen, Tale ist mit ihrer aufgedrehten, lustigen Art, das hat sie auf jeden Fall von unserem Papa. Und bei mir kommt vielleicht die Ruhe, die Papa in einigen Situationen so ausstrahlt, die habe ich abbekommen. TALE Also ich glaube, von Papas lustigen Charakter habe ich ein bisschen mehr abbekommen. Von dem, wenn manchmal so wie Papa sagt, Glücksblasen in seinem Kopf platzen ... Musik MARCO Grundsätzlich glaube ich eigentlich, dass Rassismus an überhaupt keine Form von gesellschaftlicher Ausprägung, also im Sozialismus, Kapitalismus ... das spielt am Ende tatsächlich keine Rolle. Weil der Rassismus ja, wenn man so will, im Einzelnen oder in der Gruppe von Menschen lebt, die ausgrenzend wirken. Was ich sagen will, dass der Rassismus auch in der DDR, die sich ja quasi dem Völkerfrieden verschrieben hatte, in den Menschen gelebt hat. Das Gute für mich aber war, dass ich eben von solchen subtilen und Kleinigkeiten und Beschimpfungen betroffen war. Aber dass ich keine Angst vor einer Wehrsportgruppe Hoffmann haben musste, weil das war einfach undenkbar zu DDR-Zeiten. Es war nicht denkbar, dass ein so massiver, rechter, offener auch meine Person physisch gefährden könnte. Und das hat sich tatsächlich auf einen Schlag verändert. Als die Wende kam, war klar ab jetzt ist sozusagen alles möglich ... Musik MARCO Also wir stehen jetzt hier im Musikerviertel von Leipzig. Es waren damals 1989, als für mich Leipzig so richtig losging, waren das alles Orte zum Treffen von irrsinnig spannenden Leuten, wo ständig irgendwelche Clubs illegal, legal, Dance-Partys, Diskussionsrunden. Man konnte ja irgendwo hingehen, und es war immer richtig dolle was los, weil sich eben auch ganz viel entschied in der Zeit. Und parallel dazu gab's dahinten die wunderbare Villa, Und in der Villa haben wir halt die erste ostdeutsche afrodeutsche Community gegründet, die sogenannte IG "Farbig", die im Namen auch schon sagt, dass wir sozusagen ganz doll auf der Suche waren. Aber haben am Ende vom ersten Tag beginnend viel mehr gefunden, als wir gesucht hatten. Daraus ist eine unheimlich emotionale und auch faktische Energie erwachsen. Musik. Atmo Straße MARCO Mein Erleben war, dass ich hier, wenn man so will, mein Coming-out als Schwarzer Deutscher hatte. Ich war damals 18 Jahre alt und bin wirklich erstmals offensiv direkt in Kontakt mit schwarzen deutschen Menschen getreten. Das war ja vorher alles eher vermeidend. Ich kenne mich noch als kleines Kind die Straßenseite wechselnd, mit Afrodeutschen hatte ich instinktiv Angst vor Berührungspunkten, weil das sozusagen so offenlegte, wie hinterfragbar alles an meiner Existenz und an meiner Daseinsform ist. Und mir ein schönes Gebäude gebaut hatte, das hat alles ganz gut gepasst. Deshalb war ich lange Zeit nicht willens mit anderen Afrodeutsch zu kommunizieren. Atmo Straße Und ich glaube, ich stand genau hier vor diesem Tor. Das sollte abends um 19.30 Uhr losgehen und habe noch kurz gezweifelt, ob ich mir das zumuten will. Dann kam aber sozusagen nach mir noch jemand, da konnte ich dann nicht sagen: Nee, ich gehe doch nicht rein, ich trau mich nicht. Und dann bin ich da rein. Und nach einer gewissen Anbahnungsphase hatte das einen irrsinnig empowernden Effekt, dass das sozusagen das erste Mal eine Gruppe war, wo man eine Identität teilt, insofern hat es, dass man gemeinsam Erfahrungen gemacht hat, in Bezug auf Rassismus, in Bezug auf Ausgrenzung, in Bezug auf absolut übergriffige Fragen, in die Haare fassen. Das Besondere an diesem, wenn man so will Boost-Effekt war, dass durch genau das Teilen dieser gemeinsamen Erfahrungen einer Minderheit anzugehören, hat man quasi sein Herz warm schlagen gefühlt. Es war echt verrückt. Musik Messer Banzani MARCO Und das Besondere an der IG farbig war, dass man einfach mal das Hemd aufgerissen hat und sich komplett entblößt hat mit seinen Identitäts-Ambivalenzen und dass für alle gleichermaßen klar war, das geht uns allen so. Die Entdeckung einer Community hatte so einen unglaublich befreienden Charakter. Das war echt verrückt. Da waren Tom und Leander Topp, beides Cousins, beide afrodeutsch, beide Messer Banzani, damals Reggae und Ska-Ikonen im Leipziger Kulturbusiness. Musik MARCO Denke, es war schon gut, dass es gerade mit den Wendeerfahrungen erst einmal die "IG Farbig" gab für uns Leipziger und das dann später mit der ISD zusammengeflossen ist. Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, ISD. Die ISD hatte jährlich sogenannte Bundestreffen eine Irrsinns-Veranstaltungen von Schwarzen Deutschen. Es gibt nur wenig Empowerment in so einem geballten Maße, wo man auf Menschen trifft, die sächsisch, die berlinern, die bayerisch sprechen und trotzdem alles deutsche Afros sind. Und es ist so eine extrem coole Atmosphäre. Das sind so gefühlt 200 bis 300 Leute. Musik Das ist total krass, dass man auch immer so eine andere inversen Situation ist, nicht mehr von nur Weißen umgeben als einziger Schwarzer, sondern quasi ausschließlich von Schwarzen umgeben zu sein, die alle noch denselben Item pflegen, also auch Deutsche zu sein und irgendwie denselben Erfahrungshorizont verinnerlichen. Und da gibt es sogenannte, weil meine Generation das durchaus häufig kennt, dass man den leiblichen Vater nicht kennt, weil das entweder Studenten waren oder amerikanische GIs, jedenfalls Leute, die sozusagen irgendwann wieder zurück in ihr Ursprungsland gegangen sind. Und da gab es Vatersuch-Seminare auf dem Bundestreffen. Und da wurde mir irgendwann klar, du kannst nicht deine beiden Mädchen zu Straight-Black-People erziehen und parallel dazu das Tabu weiterpflegen, dass du sozusagen deine Ursprungsfamilie schützt. Ohne dir darüber klar zu werden, dass du es ja weitergibst, dieses Tabu. Musik Atmo Wohnung TALE und MARCO Du meinst, wann wir essen wollen? Halb fünf. Was kochen wir? Wir machen Gnocchi mit Spitzkohl und Ziegenkäse. Ich habe heute ein Stück Ziegenkäse gegessen, ich hoffe, das ist nicht so schlimm ... ANKE Marco ist ein Familienmensch, der wollte schon als wir uns kennengelernt haben, wusste er schon, dass er Kinder haben will. Da war ich mal gerade so verliebt und hatte an Familie noch nicht gedacht. Ich bin da einem Abend auf jemanden getroffen, der irgendwie ganz schnell das Gespräch gesucht hat und auch viel zu erzählen hatte und auch also gleich auf Anhieb viel von sich erzählt hat. Das hat mich sehr verblüfft und beeindruckt, das fand ich sehr offen. Atmo Kochen. TALE Papa und ich, wenn wir zusammen Rüherei gemacht haben, hatten wir immer Streit. Weil ich früher immer Pfeffer gehasst habe. Und Papa hat übelst viel Pfeffer dran gemacht und ich fand das immer übelst eklig. TALE Als ich zur Welt gekommen bin, hat Papas damaliger bester Freund ihn gefragt, ob er sich sicher ist, dass ich überhaupt sein Kind bin. Also weil ich quasi nicht schwarz genug bin, um sein Kind zu sein. Ich werde damit oft konfrontiert he, wenn dein Papa schwarz ist, dann musst du doch auch schwarz sein. Das Schwarze kommt doch immer durch. Oder? Solche Sachen höre ich so oft. ANKE Also das kann man sich vorstellen, dass eine weiße Frau ein schwarzes Kind hat, das ist irgendwie im Denkschema nicht so absurd, aber dass ein weißes Kind einen schwarzen Vater hat, das kann man sich nicht so vorstellen. Und ich glaube, dass die Leute so MARCO Temperafarben sehen ANKE genau, so Farben vor sich sehen, so Mischfarben zum Malen MARCO Wenn da Schwarz mit drin ist, dann wird das auch schwarz. Das weiß ich genau, das lässt sich nicht anders mischen. Atmo Küche. TALE Hema, kannst du Tisch decken? HEMA Tale ist 21 und studiert in Leipzig. Ich glaube, sie ist so 1,65 groß, aber aufm Perso hat sie geschummelt, und sie hat so hellbraun blonde Haare je nachdem ob Sommer oder Winter, grüne Augen, Sommersprossen. Tale ist ein sehr lustiger Mensch und kommt schlecht mit Ruhe klar und muss immer etwas zu tun haben und Spaß haben. Und dadurch wird es nie langweilig, wenn man mit Tale unterwegs ist. TALE Meine kleine Schwester Hema sitzt hier vor mir, ist jetzt letztens 19 geworden, guckt mich mit großen braunen Augen an und lächelt. Und ist so ein bisschen das Gegenteil von mir, was du die Eigenschaften angeht. Ich sage immer, dass sie eigentlich schon erwachsener ist als ich vom Charakter. HEMA Also ich bin schwarz gelesen, weil man mir das ansieht. Ich habe dunkle Haut, man sieht es mir an, dass ich einen schwarzen Papa und einen schwarzen Opa habe. Und Tale hat zwar auch einen schwarzen Papa, und einen schwarzen Opa. Aber das sieht man eben an ihrer Haut nicht. TALE Genau ich werde quasi so durchgewinkt. Und mich fragt niemand, ja, wo kommst du denn eigentlich her? HEMA Und das ist auch sowas, wo immer vermittelt wird, dass ich nicht richtig deutsch wäre. Auch nicht absichtlich, aber immer, wenn ich sage aus Deutschland, dann kommt sehr sehr oft die Nachfrage, aber wo kommst du wirklich her. So, als wäre es unmöglich, dass ich deutsch wäre. Die fragen zwar, woher kommst du, und wenn ich dann sage Leipzig und dann wird gefragt, dein Papa, sage ich Chemnitz, oder Karl-Marx-Stadt, dann wird eben so nachgehakt. Und man weiß, die wollen jetzt gar nicht wissen, wie ich aufgewachsen bin oder wie man ein Papa aufgewachsen bin. Die wollen wissen, warum bin ich schwarz? Und das ist komisch. Wenn das immer eins der ersten Dinge ist, die gefragt werden. TALE Wenn sie wirklich jetzt die ganze Familiengeschichte hören wollen, irgendwie auch voll persönlich. Und ich frage 'ne andere Personen auch nicht einfach, wenn ich sie kennenlerne oder wenn ich sie kurz in Smalltalk verwickeln will, eh ja, sind deine Eltern eigentlich noch zusammen oder ist das wirklich dein leiblicher Sohn deines Vaters. Musik MARCO Und dann habe ich den schweren Gang nach Canossa angetreten, um meinen Eltern in einem Besuch zu sagen, dass ich entschieden habe, dass ich den Mann jetzt suchen will. Weil die Wahrscheinlichkeit, dass er noch lebt, jetzt besonders hoch ist. Und das hat hohe emotionale Wellen bei meiner Mutter insbesondere ausgelöst. Und sie hat dann unter Tränen gesagt, das ist dein gutes Recht, auch wenn es schwer ist, für mich jetzt und für Papa. Aber wenn du ihn suchst, dann musst du an der Uni Chemnitz suchen, da hat er ja studiert. Und das fand ich so total verrückt, dass ich selber, ich war damals schon 38, nicht auf die Idee kommen bin, dass sozusagen in die Richtung voranzugehen. Was sozusagen ein bissl mir den Verdacht einhilft, dass ich selber das auch lange, lange schützen wollte, also auch wirklich meine Ursprungskonstellationen, familiäre Konstellation unberührt lassen wollte, weil es einfach so gut funktioniert hat. Und weil ich meinem deutschen Vater auch endlos viel Dank schulde und auch das Gefühl habe ich kann ihn in dem Maße nicht verletzen, was sich am Ende im Nachhinein auch so gezeigt hat, dass es schon eine schwere Verletzung auch für ihn war. MARCOS VATER Nee, ich habe es dann verstanden, dass er seine Wurzeln gesucht hat, eben auch für die Hema, ich habe mich damit abgefunden. Bitte, wenn das so sein muss, dann soll das so sein. MARCO Also meine Mutter konnte mich mit der Uni Chemnitz und einem Namen, der aus drei Teilen bestand - Peter Kioto Ninzenku - ausstatten. Und nach dem Namen habe ich telefonisch an der Uni Chemnitz angefragt. Und da konnte mir die Kollegin aus dem Archiv sagen, ja, den Namen gibt es, aber aus Persönlichkeitsschutzgründen können wir die Akte nicht einfach freigeben. Da braucht es eine Anfrage an das Internationale Rote Kreuz, dass also ein berechtigtes Interesse besteht, dass Sie Zugang zu den Akten bekommen. Und das habe ich dann gemacht. Und das Internationale Rote Kreuz hat mir geantwortet, sie haben die Akte bekommen. Und dass Peter Kioto Ninzenku am 31.01.1971 zurück nach Kenia geflogen ist, also quasi mehr als ein Jahr nach meinem Geburtstag zurück nach Kenia. Und dann hab' ich noch mal nachgefragt, wirklich Kenia? Ich dachte mal Kongo. Nein, Kenia. und ich müsste mich um mich weiter bemühen, weil mehr steht in der Akte nicht drin. Und sie würden sich auf die Suche machen, wollen mir aber schon mal sagen, dass es sozusagen ganz, ganz lange dauern kann. Und dann habe ich mich im Internet befleißigt, das Telefonbuch von Nairobi durchzuforsten nach den drei Namensteilen oder einer Kombination von zweien oder dreien davon, also Peter Kioto Nenzenku. Und dann habe ich insgesamt vier Briefe geschrieben. Ein Priester in Nairobi hat geantwortet: Er kann mit dem Namen leider nichts anfangen, aber er wird in seiner Gemeinde dieses Thema sozusagen zu verbreiten und sicher werden wir irgendeine Möglichkeit finden. Und dann hatte ich Dienst auf der ITS in Halle, und dann bin ich kurz ins Dienstzimmer, habe mein Handy, was da lag, kurz gecheckt. Und dann hatte ich eine SMS mit einer Vorwahlnummer plus zwei, fünf, vier. Da hat mir das Herz sehr weit oben geschlagen. Und da stand drin, also alles auf Englisch: "Hallo, mein Name ist Anne, ich lebe in Kenia und bin durch Zufall an deine Nachricht gekommen. Ich habe einen Onkel, der in Deutschland studiert hat und kann dir vielleicht helfen. Schicke mir mehr Informationen." Und dann dachte ich: Ist ja verrückt. Und dann habe ich der SMS geantwortet und hab geschrieben, dass ich keine weiteren Informationen habe, weil das sozusagen eine einmalige Begegnung zwischen meiner Mutter und meinem leiblichen Vater war. Da hat sich die Gegenseite für meine Offenheit bedankt und mich gebeten, Bilder zu schicken, um sie ihrem Onkel zu zeigen, damit der vielleicht irgendetwas einordnen kann. Mittlerweile waren zwei oder drei Tage vergangen und ich war mit Hema am See baden und da kommt eine SMS: "Hallo, ich stehe vor dem Mann, den du suchst, er ist stark und am Leben. Und wenn du bereit bist, rufe diese Nummer an." Und das war irre und ich wusste überhaupt nicht wie ich reagieren sollte. Und hab natürlich dann die Nummer gewählt, und an dem Telefon ging eine Stimme ran und sagte extrem tief: "Do you know whom you are speaking to". "Yes, yes. You must be Peter Kioto Nenzengu, my native father. "Yes, Iam, son". Musik Atmo Wohnzimmer, Hintergrundmusik DVD. MARCO Das ist jetzt sozusagen von der Cousine aufbereitet als ellenlanger Videoclip. Mit HEMA Musik im Hintergrund die ganze Zeit. HEMA Also ich war sechs glaube ich. Und für mich war es eigentlich erst einmal eine Urlaubsreise. Ich war noch zu klein, um das jetzt richtig zu verstehen. Mir wurde das natürlich auch erklärt. Und ich habe es irgendwie verstanden, dass das der leibliche Vater von meinem Papa ist. TALE Es war auch irgendwie egal, weil ich hatte ja meinen Opa und das war quasi nur die Erklärung dafür, dass Papa schwarz ist. Atmo Wohnzimmer, Hintergrundmusik DVD. ANKE Man kann das nicht vorspulen? HEMA Nee, das geht schlecht, das ist eine alte DVD und mein Laptop hat eigentlich kein DVD-Laufwerk. MARCO Die ganze Zeit in dem Flugzeug war mir so wie in den Urlaub fliegen. Ich habe mich ganz normal gefühlt. Und dann habe ich mich gefragt: Das ist aber komisch. Du wirst jetzt das erste Mal in deinem Leben deinem leiblichen Vater gegenüberstehen und fühlst dich, als wenn es in den Urlaub geht, das ist schon putzig. Und dann hieß es "Fasten Seat belts" und Landung wurde angekündigt und dann habe ich gemerkt, dass ich jetzt eigentlich einen Dauerplatz auf Toilette bräuchte. Da war mir dann doch irgendwie schon sehr komisch zumute. Ich hatte zum Glück meine Frau und meine Kinder dabei. Und dann kommen wir zum Checkout raus und da hing ein riesengroßes weißes Bettlaken auf dem mit Blau geschrieben stand: "Welcome Home, Dr. Marco". Atmo Wohnzimmer, Hintergrundmusik DVD. ANKE Da waren wir eigentlich schon angekommen und mussten noch einmal einsteigen, damit sie das noch einmal aufnehmen konnten. (Lachen) MARCO Das war ein ganz, ganz verrücktes Erlebnis. Also wir kommen in das Haus meines Vaters rein. Also das war dort eines in diesem Wohngebiet von wirklich wenigen stabilen Häusern, also ein richtig gemauertes, stabiles Haus. Mein Vater hat sozusagen Ingenieur gelernt, studiert, Ingenieurswesen, und wir kommen da rein und ich setze mich auf ein Sofa gegenüber hängt sozusagen meine Ahnengalerie. Und so wie ich auf dem Sofa sitze, macht sich in mir so ein Gefühl breit. "Home at last". Also sozusagen, ich hab ein totales, ein ganz unbeschreibliches Heimatgefühl gehabt, in dem Moment. Also wo ich dachte, was ist denn das jetzt, du warst hier noch nie. Und hast auf einmal das Gefühl, du bist zu Hause. Ja, das beschreibt wahrscheinlich meine immer dagewesene Suche oder die Antwort auf viele Fragen, die sich immer gestaut haben in meinem Inneren, ja. Atmo Wohnzimmer, DVD-Anschauen. Der sieht schon auch ein bisschen aus wie du. Findest du? Ja, schon. MARCO Das war am Anfang so, dass sie sich überhaupt nicht sicher waren, ob das überhaupt eine reelle Story ist und als sie die Fotos gesehen haben, da waren sie sich ganz sicher, ich bin so ähnlich, das kann gar nicht anders sein. TALE Und dann die Geschichte mit den Fingern. Papa hatte, erzähl du ... MARCO Ich hatte zur Geburt sechs Finger. Das war dann sozusagen der endgültige Beweis, als wir darüber gesprochen haben, haben sich alle gewundert und sich gefreut, weil ... TALE Die ganze Familie hatte das auch. MARCO Nicht alle, zwei Geschwister noch. TALE Na und Peter selbst. MARCO Jetzt ist das Interview im Garten. TALE Und die Ziege, die bald geschlachtet wird. MARCO Die sollte ich schächten ... Das ist jetzt sozusagen ein Interview, das hat meine Cousine Faith organisiert, dass wir jetzt quasi ein Livemitschnitt von K24. Dr. Marco Press Conference stand darunter. TALE He, aber wir wurden auf dem Flughafen danach angesprochen, du bist der Typ, der seinen Vater gefunden hat! MARCO Genau von der Stewardess, die das live mit verfolgt haben bei K24. ANKE Dein Vater war die ganze Zeit schick im Anzug! MARCO Im Anzug, und draußen sogar mit Hut ATMO Marcos kenianischer Vater: "Mister Dr. Marco ..." (Lachen) ANKE Da wurde mir etwas schwummrig ..., er könnte auch hier in Kenia ein Haus bauen. MARCO Der Reporter hat ihn schon ein bisschen bedrängt, fand ich doch. Uns war aber klar, also er hat sich nicht schuldig fühlen können, weil er gar ja nicht wusste, dass es mich gibt. Und ich war frei von Vorwurf, weil ich ja auch wusste, der es nicht wissen konnte. Und er hat immer noch einmal betont, dass wir uns freuen, dass wir uns kennengelernt haben, aber dass wir am Ende freie Menschen sind, also er hat das auf meine Person bezogen. Und was auch immer ich für eine Entscheidung ich aus diesem Treffen jetzt ziehe, dass er damit einverstanden ist. Wenn ich in Kenia auf seinem Land ein Haus bauen will, ist das in Ordnung und gleichermaßen, wenn ich mich in Deutschland bleiben will und mein Glück finden oder zu haben ist das auch in Ordnung für ihn. So, das war der Kontext. HEMA Es war ja nicht nur der neue Opa, sondern der hatte eben auch eine Frau und Kinder. So hatten wir eigentlich ganz viele neue Tanten, TALE vier neue Tanten einen neuen Onkel, Cousinen und Cousins. Und im Nachhinein hat sich dann geändert, dass ich quasi erklären konnte, warum ich schwarz bin. Ich hab' ein Opa in Kenia und für mich war das damit geklärt. Und wenn ich jetzt im Nachhinein draufblicke, dass mein Vater seinen leiblichen Vater kennenlernen konnte. Tale Auch dass wir dort waren ... Wenn es darum geht, dass mein Papa schwarz ist und meine Schwester schwarz ist sagen zu können, ja, wo kommt das denn her? Aus Kenia., Ja, warst du schon da? Und irgendwie ist das angenehm, irgendwie sagen zu können, ja, ich war da schon mal. Weil man jetzt auch mehr Bezug dazu hat. Also man muss sich ja nicht anderen Leuten erklären, aber irgendwie fühlt es sich besser an, das theoretisch zu können. MARCO Dass ich sozusagen jetzt auf zwei Väter blicke und beide ihre Berechtigung haben. Der eine hat mich sozusagen, das sind meine genetischen Wurzeln. Und er hat auch ganz viele Sachen, als in Kenia war, wo ich sag, das ist total krass, wie sehr wir uns als Menschen ähneln und wie liebenswert auch die Tatsache ist, dass es jemanden gibt, dem ich so folgen werde in meiner Entwicklung. Und auf der anderen Seite gibt es den Mann, der mein gesamtes Leben bis dahin, bis jetzt also uneingeschränkt, das bricht ja nicht ab, der mich großgezogen hat, der mir Kraft gegeben hat, der mir alles ermöglicht hat, auch begrenzend beeinflusst, der auch viel Last von mir genommen hat. Und dass die beiden in Kenia auf eine phänomenale Weise Freundschaft geschlossen haben und mein kenianischer Vater meinem deutschen Vater einen Holzelefanten geschenkt hat mit den Worten: Das ist das größte Tier, was ich kenne und das bist du für mich. Musik MARCO Was ich wirklich wertvoll fände, was ich auch ganz strukturell entscheidend fände, dass den Kindern im Kindergarten in der Schule vermittelt wird, dass Menschenrassen an sich nicht existieren. Es gibt ganz viele verrückte Sachen, die sozusagen sagen gesinnt uns viel, viel näher, als wir eigentlich denken und auch bereit sind anzuerkennen. Wenn das auf dem Boden so ein bisschen weitertragen, vermittelt würde. Wie gesagt, wenn eine Grundschule und den Kindergarten ihr lasst euch da von einem Phänomen foppen, was schon über Jahrhunderte funktioniert hat, das wäre schon cool. TALE Also, Papa hat zu mir auch immer gesagt, gerade wenn ich irgendwie so Probleme hatte, so von wegen, was bin ich denn? Bin ich jetzt weiß oder schwarz? Dann haben wir über viele Dinge geredet. Und unter anderem hat er auch gesagt, du kannst auch schwarze Kinder kriegen. Es wäre genauso schön. Und ich finde es richtig cool, dass meine, also sollte ich ein schwarzes Kind kriegen, dass sie einen schwarzen Opa und eine schwarze Tante haben und irgendwie ein sicheres Umfeld, also sicherer als zum Beispiel Papa hatte in Karl-Marx-Stadt. Sprecherin: Welcome Home Dr. Marco Identitätssuche zwischen Karl-Marx-Stadt und Kenia Feature von Ute Lieschke HEMA Also ich weiß auch, dass es bei mir genauso sein könnte. Mir ist das auch egal, ich freue mich dann hoffentlich so oder so. Sprecherin: Regie und Technik: Michael Lissek und die Autorin HEMA Und vielleicht denkt man jetzt naja, wenn mein Kind nicht schwarz ist, dann hat es wenigstens keine oder weniger Rassismuserfahrungen. Aber die Hoffnung ist ja, dass sich das Umfeld, die Gesellschaft irgendwie ändert. Nicht dass man jetzt weiße Kinder bekommen muss, um denen Rassismus zu ersparen. Sprecherin: Produktion: Südwestrundfunk mit dem Deutschlandfunk 2022.