Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Der verlorene Frieden Deutschlands Einsatz in Afghanistan 6-teilige Serie - Folge zwei: (2/6) Terror und Taliban Autor: Marc Thörner Regie: Matthias Kapohl Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2021 Erstsendung: Dienstag, 16.02.2021 Wiederholung: Dienstag, 21.12.2021 Es sprachen: Jean Paul Baeck, Martin Bross, Jochen Langner, Marion Mainka, Volker Risch und der Autor Ton und Technik: Wolfgang Rixius, Gunther Rose und Oliver Dannert Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Atmo: Alarmsignal O-Ton Soldat: Wir waren mit sechs Mann, die hier aus dieser Richtung kamen. Ein paar Mann waren gerade um die Ecke. Und auf dem Weg hierher, da hatten wir Deckung genommen an den Fahrzeugen, ja. () Und dann hörten wir nur noch... pfeift. Es wurde immer lauter und dann schlug's hier ein und wir waren Luftlinie vielleicht - also ich war ungefähr 50 Meter entfernt, aber es waren noch fünf Kameraden vor mir. Autor: Ob Krieg oder kriegsähnliche Zustände mit Gefallenen - etwas hat die Bundeswehr im Winter 2008 erreicht. Und dieses Etwas fällt ihren Soldaten im Feldlager von Kundus buchstäblich auf den Kopf. O-Ton Soldat: Ein paar Mann waren gerade um die Ecke. Und nach der Detonation hörte man nur noch die Steine, die kamen ja überall auf den Dächern: Tong-tong-tong-tong. Überall kamen die Steine runter. Glück gehabt. Hoffentlich bleibt's so. (/) Denn das war mit Sicherheit nicht der letzte Angriff. Autor: In einem Büro in einer der so genannten Atrien, gepanzerten Betonbauten, rund um einen Innenhof, steht ein Bundeswehroffizier vor einer Karte. Er deutet auf die Dörfer der Umgegend, in denen er die Abschüsse verortet. O-Ton Oberstleutnant: Hier gibt es, schon aus früheren Zeiten, sehr viele Paschtunen, die hier ansässig sind ursprünglich, dann vertrieben, während des Bürgerkrieges. Und die sind jetzt zurückgekommen, zum Teil jedenfalls, radikalisiert aus Pakistan, zumindest einige. Und machen uns das Leben schwer. Das sind die so genannten Raketendörfer, westlich und nordwestlich vom PRT. Aus diesen Bereichen werden häufig Raketen auf das PRT in den letzten Wochen und Monaten abgefeuert. Sprecherin: Der verlorene Frieden - Deutschlands Einsatz in Afghanistan Feature-Serie von Marc Thörner Folge 2: Terror und Taliban Autor: Wer sich zu den ideellen Kraftquellen der Taliban begeben will, findet sie weniger im multiethnischen Kabul, sondern im paschtunischen Gürtel, der in Ostafghanistan beginnt und sich weit nach Pakistan erstreckt. Hier schlägt das Herz eines imaginären Paschtunistan, eines Landes, das es auf Karten nie gegeben hat, das kulturell gesehen aber desto einflussreicher ist. Das Paschtunwali, ein ungeschriebener Sittenkodex regelt die Rolle der Frau, den Grundbesitz, den Wert der Gastfreundschaft und sanktioniert Verstöße gegen religiöse Traditionen. Hinter der Grenze, im pakistanischen Peshawar, liegt eine der größten Madrassen - oder Koranhochschulen - des Landes. Ein Hof von der Größe zweier Fußballfelder. Darum herum: Mehrstöckige Gebäude mit Laubengängen. Oben: die Zellen der Studenten. Unten die Unterrichtsräume. Lingua Franca hier ist nicht Arabisch, sondern Paschtu. Beim Anblick des Besuchers strömen die jungen Männer zwischen 16 und 25 zusammen, alle gekleidet in Shalvar Khamis, die ortsüblichen weißen Hemdgewänder, die Köpfe bedeckt mit weißen runden Kappen. Autor: In dieser Koranhochschule sammelten sich Mitte der 1990er Jahre die Taliban, zu Deutsch: "Studenten". Und von hier aus gingen sie dann bewaffnet über die Grenze nach Afghanistan. Denn dort machten sich tadschikische, usbekische und paschtunische Dschihadisten den Sieg über die Sowjets streitig. Der Arzt und Entwicklungshelfer Reinhard Erös: O-Ton Erös: In den 90er Jahren als der Bruderkrieg stattfand - das war der brutalste Krieg, den es in Afghanistan seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten gegeben hat. Dort wurde massengeplündert, massenvergewaltigt, massengemordet und so weiter. Im Bruderkrieg. Viel schlimmer als zur Zeit der sowjetischen Besatzung. Autor: Die Mission: Die ethnisch motivierte Selbstzerfleischung unter den Mudschaheddin zu beenden. O-Ton Erös: Bumms! Die sind von Süden losmarschiert. In Kandahar begann der Einmarsch oder das militärische Engagement unter Führung von Mullah Omar. Ein ganz einfacher Dorfpfarrer war das im Prinzip, aber ein charismatischer Typ. Und der hat Afghanistan innerhalb von einem Jahr erobert, militärisch, politisch. Mit Ausnahme eines kleinen Teils, Panjir Tal rechtsoben. Und dann herrschte in Afghanistan Ruhe. Autor: Bis zu seiner Ermordung im im November 2018 residierte in der Haqqania-Madrassa auch der betagte Rektor Maulana Sami ul Haq, - der selbst erklärte "Vater der Taliban". Sami ul Haq war es, der seine Studenten aufforderte, über die Grenze nach Afghanistan zu gehen. Wir trafen ihn dort im Dezember 2005, gut zehn Jahre nachdem er die Bewegung losgetreten hatte. O-Ton Maulana Sami ul Haq: Übersetzer: Ich erinnere mich nicht mehr, wann Mullah Omar hier den Abschluss gemacht hat. Als die Situation sich in Afghanistan zuspitzte, ernannte die Bevölkerung in Einklang mit den afghanischen Religionsgelehrten Mullah Omar zum ‚Führer der Gläubigen'. Aber leider hat der Westen ihm und den Taliban nicht genügend Zeit gelassen. Als sie an die Macht gelangten, hatte Afghanistan 20 Jahre Bürgerkrieg hinter sich. Sie waren es, die dem Land Frieden brachten! Sie haben sogar den Drogenhandel unter Kontrolle gebracht. Sie sollten für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen werden! Aber stattdessen bekämpft der Westen sie jetzt! Ich habe keine Ahnung, warum die USA die Taliban erst unterstützt und das Steuer dann herumgeworfen haben. Aber eines weiß ich sicher: Dass die Taliban immer die Unterstützung der afghanischen Bevölkerung genossen haben! O-Ton Schröder: Dies ist eine Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt. Das deutsche Volk steht in dieser Stunde, die so schwer ist für die Menschen in den Vereinigten Staaten fest an der Seite der Menschen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich habe dem amerikanischen Präsidenten, George Bush, die uneingeschränkte Solidarität Deutschlands zugesichert. O-Ton Erös: Und dann kam der Nine-eleven. Dabei sind ungefähr 3000 ungefähr Amerikaner ums Leben gekommen, bei den beiden Türmen, die da eingestürzt sind. Autor: Aus Sicht der USA hatten Sami ul Haqs Schützlinge, die Taliban, jetzt eine schwere Hypothek auf sich geladen. Sie beherbergten Osama Bin Laden - den einstigen Verbündeten der afghanischen Dschihadisten gegen die UdSSR. Und der hatte nun beschlossen, den heiligen Krieg nun fortzusetzen. Gegen die nach seiner Meinung zweite gottlose Macht der Welt. O-Ton Erös: Und plötzlich war die Welt eine ganz andere. Es waren nämlich wichtige Tote, die ums Leben kamen. Vorher nämlich, als die Taliban die Schiiten zu Tausenden umgebracht haben, weil sie den falschen Islam hatten, spielte das auch keine große Rolle. Aber als dann plötzlich richtige Menschen, wertvolle Menschen, westliche Menschen, Amerikaner ums Leben kamen, da wurde drei Tage später der Krieg erklärt. Und am 7. Oktober sind die Amerikaner dann einmarschiert, zunächst mit Spezialtruppen und mit der so genannten Nordallianz. Vorwiegend Tadschiken und Usbeken aus dem Norden. Und damit haben die Amerikaner dann gegen die Taliban gekämpft. Und damit gegen die Paschtunen und die Leute von Sami ul Haq. Autor: Es gibt allerdings noch einen weiteren Akteur: Von Anfang an unterstützt der pakistanische Militärgeheimdienst ISI die selbst erklärte Friedensbewegung der Studenten. Als stark paschtunisch geprägtes Land ist Pakistan daran interessiert die afghanischen Paschtunen zur dominierenden Kraft werden zu lassen. "Paschtunistan", diese Vision bedeutet für die Strategen in Islamabad vor allem: Ein zusammenhängendes Einflussgebiet vom Indischen Ozean bis hinauf zu den ehemaligen Sowjetrepubliken. Doch andererseits ist Pakistan auch auf US-Hilfe angewiesen. Aftab Sherpao, der pakistanische Innenminister selbst empfängt mich Ende 2005 und versichert: O-Ton Aftab Khan Sherpao: Übersetzer: General Pervez Musharraf hat die Grundhaltung eingenommen, sich an der internationalen Koalition zu beteiligen. Wir wollen keinen Terrorismus in unserem Land. Wir wollen nicht, dass unschuldige Menschen getötet werden. Autor: Und das sei mehr als nur ein Lippenbekenntnis. Man beteilige sich aktiv an der Suche nach Osama Bin Laden. O-Ton Aftab Sherpao, Innenminister: Übersetzer: Im Rahmen einer Suchaktion haben wir circa 75.000 unserer Soldaten an der Grenze zu Afghanistan stationiert. Darüber hinaus ergreifen wir politische Maßnahmen. Es ist uns jetzt gelungen, die Ältesten der Stämme und der Stammesfraktionen auf unsere Seite zu bringen. Atmo: Kommandorufe, Hackenknallen Autor: In Rawalpindi, dem Hauptquartier der pakistanischen Armee, bittet Armeesprecher General Shaukat Sultan zum Briefing zum "Kampf gegen den Terror". O-Ton General Shaukat Sultan: Übersetzer: Auf der pakistanischen Seite der Grenze haben wir überall Truppen stationiert. Deshalb hat die al Kaida bei uns keinerlei Bewegungsfreiheit. Wo immer sie ihren Kopf heben, werden sie von uns aufgespürt, eingekreist und getötet. Autor: Westliche Militärs der Internationalen Afghanistan Schutztruppe ISAF vermuten Bin Laden und sein Gefolge trotzdem eher in Pakistan, klammheimlich geschützt von der dortigen Armee oder dem dortigen Militärgeheimdienst ISI. Schließlich hat der sich nach dem 11. September in den pakistanischen Tora-Bora-Bergen versteckt. Doch Armeesprecher General Shaukat Sultan spielt den Ball zurück. O-Ton General Shaukat Sultan: Übersetzer: Das Problem liegt eher auf der anderen Seite, in Afghanistan. Das ist ein riesengroßes Land. Und die ISAF-Truppen haben dort bloß eine Stärke von rund 15.000 Mann. Atmo: Armee Dudelsack Autor: Um dem Autor zu beweisen, wie zuverlässig man an der Seite der USA und deren Verbündeten steht, lässt die pakistanische Armeeführung vor dem Autor ihre Elitetruppen paradieren. Und dann fährt sie den Gast aus Deutschland mit einem eigens dafür abgestellten Konvoi durch die unsicheren Stammesgebiete zu einem Militärposten am Khyber-Pass, von wo aus man auf die afghanische Grenzregion im Blick hat. O-Ton Oberst Tauqib: Übersetzer: Hier sehen Sie die Koheh Safeh, die Ausläufer der berühmten Tora-Bora-Berge. Der Fluss hier ist der Kurram-Fluss. Hier liegt Afghanistan, hier Pakistan, das Kurram Tal. Hier liegt Fort Dschendola, in Südwaziristan. Das ist das Tall-Fort, nahe dem Kurram-Tal und hier das Jamrud-Fort, das Sie auf dem Weg zum Khyber-Pass passieren werden. Tactical importance...)Die ganze Hauptmacht unserer Truppen sammelt sich in diesen Forts. Dort sind die lokalen Kommandozentralen, von dort aus operieren wir Autor: Ein Major des Frontier Corps, der pakistanischen Grenztruppe, geschult in Öffentlichkeitsarbeit, ist eigens zur Begleitung des Autors abgestellt. Beim gemeinsamen Essen in der Offiziersmesse geht es plötzlich nicht länger um den Kampf gegen den Terror. O-Ton Major Frontier Corps: Übersetzer : Ich respektiere Sie nicht nur als Gast meines Landes. Ich respektiere Sie auch als Angehörigen einer Nation, die führt. Einer Nation, die anderen Nationen ein Vorbild ist. Deutschland ist eines der wenigen Länder, die sich Amerika niemals gebeugt haben. Und niemals irgendeinem anderen Land. Und als Armeeangehöriger betrachte ich Hitler als mein Vorbild. Ein außergewöhnlicher Mensch. Er war ein Führer. Das kann niemand leugnen. Deutschland! Sie waren mal die führende Nation der Welt. Sie haben während des Zweiten Weltkriegs fast die ganze Welt regiert. Finden Sie die US-Politik gerechtfertigt? Autor: Je länger der Major spricht, desto weniger geht es darum, Pakistans Treue zum Westen zu beweisen. Der Major scheint eine ganz andere als die offizielle Agenda zu verfolgen. O-Ton Major Frontier Corps: Übersetzer: Sie sind Journalist. Sie können Wunder wirken. Sie haben es in der Hand, die Dinge zu beeinflussen und auf den Kopf zu stellen, indem Sie der Welt die Wahrheit sagen. Ich habe die vorherige Haltung der deutschen Regierung gegenüber der amerikanischen Invasion Afghanistans und des Irak geschätzt. Deutschland hat dazu einen tadellosen Standpunkt eingenommen. Ich habe alle Nuancen der deutschen Position in den Zeitungen eingehend verfolgt. Aber plötzlich änderte sich etwas und Länder wie Frankreich und Deutschland sind den USA gegenüber eingeknickt. Autor: Nach dieser Einleitung unterzieht der pakistanische Major den US-amerikanischen Verbündeten im Antiterrorkampf einer detaillierten Analyse: O-Ton Major Frontier Corps: Übersetzer: Präsident Bush verhält sich wie ein Tier. Nach den 3000 Menschen, die im World Trade Center umgekommen sind, hat er Millionen von Menschen umgebracht. Afghanistan wurde angegriffen, angeblich weil Mullah Omar Osama Bin Laden nicht ausliefern wollte. Aber wie viele Leute liefern die USA nicht aus, die von den Gerichtshöfen der Welt gesucht werden. Glauben Sie, die Leute in Afghanistan interessieren sich für Bush oder Osama Bin Laden? Die wollen wissen wie sie sich ernähren können, etwas zu essen finden können. Viele haben nicht mal Matratzen um zu schlafen. Die Afghanen sind den Ausländern schutzlos ausgeliefert, dieser ausländischen Invasion Afghanistans! Autor: Und was er dann sagt, klingt fast wie eine Warnung: O-Ton Major Frontier Corps: Übersetzer: Bis jetzt spielt Deutschlands noch eine neutrale Rolle. Sollten Sie den Amerikanern aktiv helfen, dann werden Sie angegriffen werden. Bis jetzt verstehen die Afghanen, dass Sie Schulen, dass Sie Krankenhäuser bauen, dass Sie für Medizin sorgen. Dass Sie ihnen Ärzte schicken. Sie helfen ihnen, sich zu ernähren, Sie bauen ihnen Häuser, Sie kämpfen nicht, Sie wollen überzeugen. Aber ich sage Ihnen ganz offen: Wenn Sie eines Tages meinen Sohn oder meine Tochter verletzen sollten, ist mir mein eigenes Leben egal. Ich besorge mir eine Waffe. Für Sie mag das dann Terrorismus sein. Aber wenn ich mir dann einen Bombengürtel umbinde und als Selbstmordattentäter sterbe, dann ist das für mich ein Kampf für die Befreiung meines Landes. Autor: Zurück im Feldlager Kundus im Jahr 2008. Hier richtet man die Blicke mit wachsender Sorge auf die Ostgrenze, auf den Khyber Pass, auf Pakistan, das hier als Rückzugsgebiet der Aufständischen verstanden wird. O-Ton Oberstleutnant: Es sind religiöse Eiferer, Taliban, vorrangig aus Pakistan, die über die Grenze, die Ostgrenze dann einsickern und hier Anschläge planen und durchführen. Das beschäftigt uns natürlich, bindet Kräfte und verhindert, dass diese Kräfte eigentlich eingesetzt werden für das, was sie eigentlich machen sollen, nämlich Erkundungstrupps, die die Lage draußen auf der Fläche erkunden sollen und Wiederaufbauprojekte identifizieren sollen. O-Ton Erös: Alle unsere Projekte, die wir in den Hotspots der Taliban betreiben, sind natürlich mit den Religiösen abgesprochen. Sonst würde das gar nicht funktionieren, sonst hätten die das gar nicht zugelassen. Autor: Entwicklungshelfer und Ex-Offizier Reinhard Erös hat gegen Bedrohungsszenarien sein eigenes Konzept. Den Aufbau militärisch abzusichern, Soldaten in zivile Hilfsprojekte einzubinden, Uniformierte als Aufbauhelfer - das hält er grundsätzlich für verfehlt. O-Ton Erös: Wenn Soldaten dann tagsüber in Kampfhandlungen einlassen und auch den einen oder anderen Zivilisten erschießen, und ich bin dann als ziviler Helfer aus der Sicht der Afghanen mit den Soldaten unter einer Decke - dann wird das übel enden. Deshalb haben die meisten Hilfsorganisationen, auch große, nach ein paar Jahren schon gesagt: ‚Nichts mehr mit der Bundeswehr'. Also dieses Konzept ZMZ, zivilmilitärische Zusammenarbeit oder vernetzte Sicherheit- hat dann nicht mehr funktioniert. O-Ton Hauptfeldwebel: "Ottermuchte". Merkt euch das Codewort. Hört sich blöd an, aber auf Codewort "Ottermuchte" einfach ruhig bleiben, dann wissen wir Bescheid: irgendwas ist. Entweder drehen wir uns dann und gehen wieder raus oder biegen links oder rechts ab. OK? Wichtig ist: ruhig bleiben. Autor: Wenn Offiziere der Bundeswehr und zivile Mitarbeiter des Provinzwiederaufbauzentrums aus ihren gepanzerten Fahrzeugen aussteigen, um afghanische Gesprächspartner zu treffen, tun sie das nur noch umringt von einer umfangreichen Sicherheitskomponente aus Fallschirm- oder Gebirgsjägern, O-Ton Hauptfeldwebel: Wenn es zu eng wird, zu viele Menschen da sind und irgendjemand stellt für sich fest: das ist hier nicht mein Ding. Dann, bevor wir hier weiche Knie kriegen, ziehen uns komplett wieder ab und dann ist das Ding vorbei. Reserve steht bereit, Funkverbindung steht. So. Fragen? Keine? Schili, Bibo hier vorne - vorwärts, marsch. Autor: Vielen Afghanen kommen solche Patrouillen wie Außerirdische vor. Es gibt keinen Kontakt. Einheimische müssen in ihrem eigenen Land von Eseln und Motorrädern absteigen und sich an den Straßenrand stellen, sobald Deutsche vorbeikommen. Bei einer Bevölkerung, die seit Jahrzehnten tagtäglich mit hohen Risiken lebt, wirkt das Auftreten oft lächerlich, hysterisch oder einfach nur arrogant. Die Deutschen, heißt es, sind angeblich gekommen, um die afghanische Bevölkerung zu schützen. Aber jetzt schützen sie in erster Linie sich selbst. O-Ton Franz Josef Jung: Ich kann den Punkt verstehen. Ich will aber auch ein Stück um Verständnis für unsere Soldaten werben. Autor: Franz Josef Jung, damals Verteidigungsminister: O-Ton Franz Josef Jung: Ich habe erlebt, wie unsere Soldaten mit Kindern sich unterhalten haben, denen auch Geschenke gegeben haben, die da um unseren Jeep standen. Und dann kam jemand mit `nem Fahrrad und der hat sich ganz fröhlich angenähert und er war in der Gruppe und dann zündete er den Sprengsatz. Und die Kinder tot. Zwei unserer Soldaten tot. Und er auch. So. Dass man, wenn man sowas erlebt, etwas vorsichtiger ist, was das Thema Eigensicherung betrifft, das kann ich menschlich nachvollziehen. Autor: Ein deutscher Offizier aus dem PRT, dem Wiederaufbauzentrum Kundus, soll Kontakt zu afghanischen Lehrern aufnehmen und über den Bau einer Dorfschule verhandeln. Die deutsche Bildungsoffensive nähert sich den Lehrern inForm von Gewehrträgern mit blonden bajuwarischen Rauschebärten, die jede Annäherung der Bevölkerung im Radius von fünf Metern abwehren. Besonders suspekt sind Rad- oder Mofafahrer. Die könnten potentielle Selbstmordattentäter sein. Stimme Hauptfeldwebel: Ruhig. Mach ihm klar, er soll anhalten und fertig. Fingerspitzengefühl! Stimme Soldat: Ja - entweder er bleibt stehen oder er bleibt nicht stehen. Stimme Hauptfeldwebel: Er bleibt stehen. Geht noch `n Stück weiter vor. Bissel Abstand gewinnen. Stimme Hauptfeldwebel: Schön ruhig bleiben, geht immer weiter. Autor: Für ihre eigentliche Aufgabe, im Gespräch mit den zuständigen afghanischen Funktionsträgern Aufbauprojekte einzufädeln, bleiben oft nur wenige Minuten. In einem Dorf unweit der tadschikischen Grenze soll der Verbindungsoffizier den Distrikt-Chef und den Dorfschullehrer treffen, um mit ihnen den Neubau einer Schule zu konzipieren. O-Ton Kapitänleutnant Müller: We can try to manage a contact with the GTZ. And that's what we can do. No promise that they will start next month or at the beginning of the next year. Autor: Kaum hat man sich die Hände geschüttelt, drängen die Fallschirmjäger zum Aufbruch. Der deutsche Verbindungsoffizier drückt dem afghanischen Schulmeister rasch einen Antrag der GTZ, der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, in die Hand und gibt das Signal zum Aufbruch. Wieder im sicheren Panzerfahrzeug sagt er: O-Ton Kapitänleutnant Müller: Wir hätten ihn jetzt gerne noch eingewiesen in das Ausfüllen dieses Antrags, das machen wir dann halt am Telefon mit ihm. Sprecherin In der nächsten Folge O-Ton Marc Lindemann: Ich lief halt zufällig neben dem amerikanischen Verbindungsoffizier als der diese Nachricht bekam. Ja - und dann konnten wir im Prinzip nur zuschauen, wie die Amerikaner ihren Zugriff, ihre militärische Aktion in unserem Gebiet durchgeführt haben...Für uns grenzt es an eine Demütigung. Wir stehen daneben, werden nicht mal informiert - es ist unser Zuständigkeitsgebiet, wir haben dort normalerweise das Kommando und dann kommen amerikanische Spezialkräfte und die interessieren sich dafür nicht. Absage Der verlorene Frieden - Deutschlands Einsatz in Afghanistan Feature-Serie von Marc Thörner Folge 2 - Terror und Taliban Es sprachen Jean Paul Baeck, Martin Bross, Jochen Langner, Marion Mainka, Volker Risch und der Autor Ton und Technik Wolfgang Rixius, Gunther Rose und Oliver Dannert Regie Matthias Kapohl Redaktion Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks 2021 1