Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature "Ihre Angst spielt hier keine Rolle." Wie Familiengerichte den Gewaltschutz von Frauen aushebeln Autorin: Marie von Kuck Regie: Beatrix Ackers Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk/SWR/WDR 2022 Erstsendung: Dienstag, 15.03.2022, 19.15 Uhr Es sprachen: Sigrid Burkholder, Moritz Heidelbach und die Autorin Ton und Technik: Thomas Widdig und Michael Morawietz Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Sprecherin Ich schreibe Ihnen aus Verzweiflung. Ich werde seit drei Jahren vom Vater meiner Kinder gestalkt. War auch schon im Frauenhaus deswegen. Er terrorisiert mich auch weiterhin. Das Umgangsrecht bleibt bestehen, da er nur mir und nicht den Kindern Gewalt angetan hat. Ich habe alle rechtlichen Schritte ausgeschöpft. Ich weiß nicht mehr, was ich noch tun kann. Ich habe das Gefühl, dass es nicht mehr lange dauert, bis er mich tötet. Ich will nicht, dass dann in der Presse von einem "Familiendrama" die Rede ist. Deshalb meine Bitte: Könnten Sie meine Geschichte dokumentieren? Sprecher "Ihre Angst spielt hier keine Rolle." Wie Familiengerichte den Gewaltschutz von Frauen aushebeln. Ein Feature von Marie von Kuck Autorin Viele Monate lang bin ich kreuz und quer durch Deutschland gefahren, um junge Mütter wie sie zu treffen und mir von ihrem Martyrium erzählen zu lassen. Ich gebe zu, dass ich anfangs große Mühe hatte, zu glauben, was ich zu hören bekam. Es passte nicht in mein Bild von Deutschland. Nicht zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Nicht zu humanitären Grundsätzen. Und schon gar nicht zu meinem Selbstverständnis als Frau und Mutter in diesem Land. Aber wahrscheinlich ist das die typische Wirkungsweise eines Phänomens, das sich "Tabu" nennt. Von den vielen, mit denen ich sprach, war lange keine bereit, in mein Mikrofon zu sprechen. Zu groß war die Angst vor den Konsequenzen. OT 1 Martha Für jede einzelne stehen die Kinder auf dem Spiel! Also da steht ja nicht nur die eigene Sicherheit auf dem Spiel, das Wichtigste, was man im Leben hat, riskiert man damit! Und auch wenn ich mir von Herzen wünsche, dass nie wieder eine Mutter oder ein Kind sowas durchmachen muss, kann ich dafür nicht mein eigenes Kind opfern! Autorin Es dauerte mehrere Monate, bis ich endlich zwei Frauen fand, die den Mut aufbrachten, an diesem Feature mitzuwirken. Zumal mir wichtig war, dass sie das, was sie mir erzählten, auch belegen können. Um sie und ihre Kinder zu schützen, haben wir sie anonymisiert. Ihre Geschichten beginnen mit einer großen Liebe. OT 2 COLLAGE Martha: Ja, ich fand es damals toll, der hatte lange Haare und... Milena: Ja, der ist so kultiviert, der ist so gebildet. Er hat einen lustigen Humor, Martha: ...irgendwie ganz cool. Autorin Die beiden Frauen sind beeindruckend gutaussehend. Dazu tough, klug, eloquent... Beide sind Akademikerinnen. Wie leicht-klein-zu-kriegende Opfer wirken sie nicht. Als Martha den Mann trifft, der ihr Leben verändern wird, ist sie achtzehn Jahre alt. Sie begegnet ihm auf einer Party. Milena ist Anfang 30. Sie lernt ihn auf einer Studienreise kennen. OT 3 Collage Milena: Er war sehr erfahren, weil er viel durch die Welt gereist war. Martha: Ja, - und hatte schon ein eigenes Auto und ... Milena: Die ersten Geschenke, die er mir praktisch gemacht hat, die waren allesamt extremst aufmerksam. Also da wusste er ganz genau, welches Opernticket wird mich erfreuen, ... Martha: Hat dann auch mal einen Ring gekauft oder so... Milena: ...welches Theaterstück würde ich gern sehen ... Martha: Das fand ich damals ganz, ganz toll. Autorin Es wird sehr schnell sehr intensiv. Es fühlt sich an wie im Film. Schon bald ziehen sie zusammen. Filmszene / Liebeslied (z.B. "Für immer Dein" o.ä.) Sie haben viel Spaß. Er trägt sie auf Händen. Er hört ihr zu. Er ist so zärtlich. - Aber dann...immer wieder ganz plötzlich und wie aus dem Nichts gerät das Glück ins Wanken. Irgendetwas hat sie falsch gemacht. Zum Beispiel als er sie Freunden und Kollegen vorstellt: OT4 Milena : Das ist meine Freundin, die hat hier studiert, die hat das gemacht... - Ja, immer fast schon ein bisschen mit mir prahlen, wo ich ihm immer gesagt habe: Das ist mir peinlich! - Und wenn wir dann nach Hause gegangen sind, dann hat er gesagt: "Oh, ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht so viel reden! Das ist so peinlich, wenn du den Mund aufmachst! Was du den ganzen Abend von dir gibst! Hörst du dir eigentlich zu? Man muss sich echt schämen, wenn man mit dir unterwegs ist!" OT5 Martha: Es ist so dieses Hin und Her: Dann lagen da plötzlich Rosenblätter im Wohnzimmer! Oder er hat mir erzählt, wie stolz er auf meine guten Zensuren war im Studium. Und dann wieder: "Aber du bist dumm! Du kannst gar nichts! Was wärst du nur ohne mich! OT 6 (Collage) Milena: In allen Dingen machst du einfach, was du willst! Du bist einfach nichtsnutzig! Martha: Als nächstes fing er an zu schreien, Sachen kaputt zu schlagen. Milena: Du bist einfach so ein Nichts! Martha: Der hat Löcher in die Wände geboxt. OT 7 Martha Ich habe häufig gar nicht verstanden, was ist eigentlich passiert? Und dann wird man so vorsichtig! Also man fängt wirklich an, jedes Wort sich dreimal zu überlegen, bevor man es ausspricht, so als könnte man das aufhalten. Als hätte man irgendwie die Chance, darauf Einfluss zu nehmen, wenn man sich nur ruhig verhält und lieb und nett ist und nichts sagt, was ihn aufregt, oder wenn man vielleicht noch mal ein zweites Mal staubsaugt, bevor man weiß, er kommt gleich nach Hause. Um bloß keinen Grund zu geben, auszurasten! Autorin Aber es passiert immer wieder. Woher die Angst kommt, die die Frauen allmählich zu beherrschen beginnt, das verstehen sie selbst nicht. Sie trennen sich von Freunden, die er nicht mag. Sie gehen nicht ohne ihn aus, weil er das nicht möchte. Er darf ihre Post lesen. Er darf ihr Handy durchstöbern. Er will immer wissen, wo sie sind. Der Verein der Frauenhauskoordinierung beschreibt das Phänomen auf seiner Webseite: (liest): "Coercive Control - Zwangskontrolle". In Großbritannien ist sie strafbar. Nicht die physische Gewalt, sondern die psychische ist das vorherrschende Merkmal von Partnergewalt, sagt die Forschung. Und die beginnt mit einer Kombination aus Hollywood-Liebe und Mikroangriffen, die sich nach und nach in ihrer Intensität und Häufigkeit steigern. Die Täter manipulieren, verwirren und isolieren. Sie kontrollieren Kommunikation, Finanzen, Bewegungs- und Handlungsfreiheit. Sie zersetzen das Selbstvertrauen. So machen sie ihr Opfer von sich abhängig. Song: "Du bist mit Haut und Haaren mein" Sprecherin "Er untergräbt dich. Er trägt dich ab. Stück für Stück. Er mach dich klein. Und kleiner. Du verschwindest. Kaum, dass du es bemerkst." Autorin Was da passiert, illustriert Antje Joel illustriert in ihrem Buch "Prügel" mit dem Bild des kochenden Frosches: Sprecherin "Setz einen Frosch in heißes Wasser, und er wird sofort rausspringen. - Setz ihn in kaltes Wasser und erhitze es ganz langsam - und er wird sterben." Autorin - So oft ich mit Betroffenen sprach, - alle erzählten mir davon. OT 8 Ministerin Lamprecht Wenn wir heute hier eine Pressekonferenz haben, wahrscheinlich eine Stunde lang, werden ungefähr 13 Frauen in dieser Zeit Gewalt erfahren, in Deutschland. In dieser einen Stunde! Autorin Das ist Christine Lamprecht. Im November 2021 zuständige Bundesministerin für Justiz und auch für Familie, bei der Bekanntgabe der aktuellen Kriminal-Statistik zu Partnergewalt in Deutschland. Diese Zahl betrifft aber nur das Hellfeld und nur die körperliche Gewalt. Die Forschung geht davon aus, dass es auch da real mindestens 80 % mehr sind, denn nur in einem Bruchteil der Fälle wird die Polizei gerufen. Die Forschung sagt auch, dass jede vierte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Partnergewalt wird. OT 9 Ministerin Lamprecht: Und jeden Tag muss man damit rechnen, dass eine Frau zumindest einem Tötungsversuch ausgesetzt ist. Und jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau an Gewalt, die als Femizid auch einzustufen ist. Autorin Getötet von ihrem Partner oder Ex-Partner. Diese Zahlen sind nicht erst seit der Corona-Pandemie so erschreckend hoch. Sie sind es seit ihrer ersten Erhebung 2016. OT 10 Ministerin Lamprecht Und deswegen ist es so wichtig mit aller Kraft da gegenzusteuern und auf dieses Thema aufmerksam zu machen und den Betroffenen vor allen Dingen Mut zu machen: Es gibt vielfältige Hilfsangebote! (klatscht energisch in die Hände) "Äußert euch! Raus aus dem Tabu! Autorin Glaubt die Ministerin denn, dass die vielen Opfer die Verantwortung tragen? - Müsste man sich nicht - nach so vielen Jahren der Stagnation - mal fragen, ob da irgendwo ein Denkfehler ist? Womöglich ist der ein Teil des Problems? - Warum gehen die Frauen nicht "raus aus dem Tabu"? Warum senken die "vielfältigen Hilfsangebote" die Zahlen nicht? Bei einigen Frauen, mit denen ich sprach, blieb es bei der psychischen Gewalt. Bei Martha und Milena nicht. OT 11 Milena: Was ihn auch wahnsinnig sauer gemacht hat, war, wenn ich nichts mehr gesagt hab, dann hat er mich so oft geschubst oder Knüffe gegeben oder gewürgt oder... oder getreten, bis ich irgendwas sagen musste. Also es gab keine Option sich total zurückzuziehen. Irgendwie musste ich immer reagieren, und egal wie ich reagiert habe, es hat immer das Gegenteil bewirkt. OT 12 Milena Die Polizei war schon mehrmals gerufen worden, unter anderem von seinen eigenen Eltern einmal. Naja, und dann gab es noch mehrere Zwischenfälle, wo Nachbarn die Polizei gerufen haben. Aber die Art, wie er mich angeschaut hat, als die Polizei mit mir gesprochen hat: Sein Blick, der war so ... eisig! Ich hätte niemals in dem Moment etwas zur Polizei gesagt! Das hätte ich mich einfach nicht getraut! Ich bewundere jede Frau, die die Polizei irgendwie ruft und dann mit der Polizei auch offen spricht! Wird nicht so häufig vorkommen, nehme ich an. Autorin Martha wird ab einem gewissen Zeitpunkt auch vergewaltigt. Immer wieder haben die Frauen den Impuls, sich zu trennen. Aber die Gewalt hinterlässt Spuren. OT 13 Collage Martha Er hat es immer wieder geschafft, mir das Gefühl zu geben, ich kann gar nichts alleine. Ohne ihn käme ich nicht klar. Milena: Wenn ich ihn nicht mehr hab, dann bricht mein ganzes Leben zusammen wie ein Kartenhaus. Autorin Die Frauen heiraten und bekommen Kinder. Milena ein Mädchen, Martha eine Tochter und einen Sohn. Marthas Kinder entstehen nicht freiwillig. Wer seine Frau als Besitz begreift, der zieht einfach das Kondom ab, wenn er einen Kinderwunsch verspürt oder benutzt beim Vergewaltigen erst gar keins. Die Frauen müssen Haushalt und Kinder allein stemmen. Trotzdem studiert Martha. Danach will sie unbedingt arbeiten und sich beruflich entwickeln. Aber ihr Mann ist dagegen. Er droht, ihr die Kinder zu nehmen, sollte sie sich ihm widersetzen. Milena arbeitet neben Kind und Haushalt als Hochschuldozentin. Nach außen ganz normale Familien. Kaum jemand bemerkt etwas. Die Gewalt nimmt weiter zu. Die Kinder sind nun unfreiwillige Zeugen. OT 14 Milena: Seit der Schwangerschaft und seit der Geburt hat sie einfach alles miterlebt, und da gab es alles. Also Treten, Kicken, durch die Wohnung schubsen, schlagen, mit Gegenständen bewerfen, mit Wasser übergießen, auf übelste Weise beschimpfen. Mich aussperren. Uns in lebensgefährliche Situationen bringen, - muss man wirklich sagen. Das gab es alles. Und das Kind hat es je nach Tageszeit einfach ungefiltert mitbekommen. Autorin Wie hat die Tochter auf ihren Vater reagiert? OT 15 Milena: Immer Angst! Und immer Angst! Massiv! Wenn er von der Arbeit zurückkam, saßen wir normalerweise im Wohnzimmer. und wenn wir dort saßen, gespielt haben oder gelesen haben, und dann hat sich der Schlüssel im Schloss gedreht. Und wir saßen kerzengerade, weil wir einfach am Schlüsseldrehen erkannt haben, was wird für ein Abend. Oder gehofft haben, am Schlüsseldrehen zu erkennen, was wird für ein Abend, ja? Weil, das war nie klar. Autorin Wenn es schlecht läuft, dauert der heimische Terror bis tief in die Nacht. OT 16 Milena: Licht an, - Vater geht schreiend ins Kinderzimmer, brüllt, nimmt das Kind aus dem Bett. Wach auf, deine Mutter ist schon wieder rebellisch, die will schon wieder nicht hören! - Also das war so eine Strafmaßnahme, mitten in der Nacht das Kind zu wecken, weil dann klar war: Dann ist die Nacht für mich gelaufen, weil das Kind dann völlig verstört, weinend, zitternd im Bett lag. Und dann war das Kind wach bis drei Uhr, vier Uhr morgens. Autorin Auch Marthas Kinder erleben von klein auf die Gewalt des Vaters und die Angst der Mutter. Aber wenn der Vater die Mutter vergewaltigt, achtet er zunächst noch darauf, dass die Kinder davon nichts mitbekommen. Doch eines Tages, steht die fünfjährige Alice plötzlich im Schlafzimmer. OT 17 Martha: Das Kind war in seinem eigenen Zimmer meistens. Das kam natürlich raus, um zu gucken, warum ich schreie. Und dann hat er sie einfach wieder weggeschickt so nach dem Motto: "Mach die Tür zu! Geh in dein Bett! Du sollst nicht wieder aufstehen!" Autorin Das Kind steht wie gelähmt. Es nässt sich ein. OT 18 Martha: Und er hat trotzdem nicht aufgehört. Und hat dann Sachen nach ihr geschmissen, damit sie weggeht. Autorin: Schuhe, Kleidungsstücke, was er so zu fassen kriegt, während er die Mutter weiter stößt und schlägt und würgt. Doch das Mädchen rührt sich nicht vom Fleck. Als er endlich fertig ist, steht Martha auf und sagt ihm, dass Schluss ist. Dass sie endgültig die Trennung will. Nach elf Jahren Gewalt. Sie meint es ernst. Seine Antwort ist heftig. OT 19 Marthas Freundin: Ich habe Martha als Kundin der Bibliothek kennengelernt. Dorthin kam sie häufig mit ihren beiden Kindern Alice und Tim. In dieser Zeit entstand ein freundschaftlicher Kontakt zwischen mir und Marta. Autorin Marthas Freundin hat vor fünf Jahren einen Zeugenbericht geschrieben. Für den Fall, dass jemand fragt. Die Polizei vielleicht oder das Gericht. Weil sie weiß, dass das mit den Beweisen bei häuslicher Gewalt schwierig sein kann. Sie hat deshalb alles so genau wie möglich festgehalten: Wann und wie Martha in jener Winternacht bei ihr vor der Tür stand. Nämlich völlig aufgelöst, auf Strümpfen und ohne Jacke, obwohl es draußen eiskalt war und Schnee lag. Ihr Gesicht war blutverschmiert, verschwollen und voller Hämatome, die Lippe aufgeplatzt. Auch Fotos gibt es dazu. OT 20 Marthas Freundin: Sie war sehr verzweifelt und berichtete, dass ihr Mann ihr gewaltsam die Wohnungsschlüssel abgenommen, sie aus der Wohnung geworfen habe und sie nicht mehr hineinließe. Daher habe ich Martha in meinem Haus nächtigen lassen, obwohl ich Angst hatte, dass ihr Mann auch bei mir auftauchen könnte. Autorin Am nächsten Morgen gehen sie zusammen zur Polizei. Martha will Anzeige erstatten. OT 21 Martha: Ich hatte das Gefühl, dass mir die Polizei mit einem unfassbaren Misstrauen begegnet ist. Also als müsste man erst mal davon ausgehen, dass ich Quatsch erzähle. Und dann wurde ich auch gefragt, ob ich irgendwas gemacht hätte, um ihn zu provozieren. Wurde ein Alkoholtest gemacht, ob ich möglicherweise getrunken hätte. Autorin Dann fahren die Beamten aber doch mit ihr nach Hause und verweisen Ihren Mann für sieben Tage der Wohnung. OT 22 Martha Also ich habe das jetzt angezeigt, das war für mich ja, irgendwie ein ganz großer Schritt, auf den ich auch ein bisschen stolz war, dass ich das geschafft habe und mich getraut habe. Autorin: Martha ist in Aufbruchsstimmung. Sie glaubt, dass sie und ihre Kinder nun bald frei und in Sicherheit sind. Auch bei Milena kommt es nach zehn Ehejahren zum Show-down. Es geschieht am späten Abend, das Kind ist schon im Bett. Der Streit eskaliert - wie so oft - an einer Nichtigkeit. Er verfolgt sie brüllend durch die Wohnung, tritt sie, zerrt sie an den Haaren, schlägt ihr die Faust ins Gesicht. OT 23 Milena: Dann irgendwann wurde das halt so brachial, dass er mich gewürgt hat. An dem Abend hatte ich das Gefühl, da sind wir so nah wie noch nie an den Punkt gekommen, wo er einfach... alles machen würde. Autorin Milena hat Todesangst. Sie bekommt keine Luft. Panisch versucht sie, seine Finger von ihrem Hals zu lösen. Da steht plötzlich die sechsjährige Luise im Zimmer. Der Vater sieht das Kind, und lockert kurz den Griff. Diese Sekunde nutzt Milena. Mit einem Sprung ist sie beim Kind. Sie nimmt Luise auf den Arm und flieht mit ihr auf den Balkon. OT 24 Milena: Mein letzter Gedanke war eigentlich: Wenn er rauskommt, dann springe ich mit dem Kind runter. Autorin Aus dem zweiten Stock. Unten ist der Garten. Rasen. Da haben sie immerhin eine Chance. Aber zum Glück hat sie ihr Smartphone bei sich. In höchster Not ruft sie jetzt die Polizei an. Zum ersten Mal nach all den Jahren. OT 25 Milena: Die waren auch echt sehr professionell Die waren auch die ganze Zeit am Telefon und haben gesagt: "Nicht mehr in die Wohnung gehen! Machen Sie sich keine Sorgen. Bleiben Sie draußen. Reden Sie mit Ihrem Kind." Also die waren total beruhigend, ja? Und das hat auch geholfen, dass ich das Gefühl hatte, selbst wenn jetzt was passiert, das passiert vor laufenden Telefonen. Also ich bin jetzt einfach nicht mehr allein in der Situation. Autorin Und dann ist die Polizei auch schon da. Sie kommen zu viert, zwei Polizisten separieren den Täter und nehmen ihm den Wohnungsschlüssel ab, zwei weitere kümmern sich um Mutter und Kind. Ihr Mann wird für die nächsten sechs Monate der Wohnung verwiesen. Milena und Luise werden in eine Gewaltschutzambulanz gefahren. Dort werden Milenas Verletzungen dokumentiert. Außerdem werden Schutzanordnungen erlassen, die sofort greifen: Sprecher "Es wird der gewalttätigen Person untersagt, - sich der Wohnung des Opfers bis auf einen Umkreis von 200 Meter zu nähern. - sich an Orten aufzuhalten, an denen sich das Opfer regelmäßig aufhält - Kontakt zu der verletzten Person aufzunehmen (dies gilt für alle Arten des Kontakts, also auch Mittels Telefon, Telefax, Brief oder Email. - das Opfer zu treffen Verstöße können mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet werden." OT 26 Milena: Wir sind endlich allein, das Kind und ich, wir werden endlich nicht tyrannisiert! Das kann man gar nicht beschreiben. Das war, wie so eine... wie eine Flitterwochen-Phase monatelang, wo wir einfach das Gefühl hatten: Keiner brüllt! Keiner brüllt! Einfach diese Freiheit zu fühlen! Das hat einen so, so hochleben lassen, dass man dann irgendwie gar nicht erwarten konnte, dass danach sich irgendwas wieder umdreht. Und das war eben die harte Erfahrung, dass sich danach alles umgedreht hat. OT 27 Martha: Ja, also man denkt, jetzt wird alles gut! Jetzt habe ich so den Mut aufgebracht und habe mich gewehrt. Und dann geht es eigentlich erst richtig los. Also ich fand, der richtige Albtraum hat erst danach angefangen. OT 28 Autorin: Morgen! Martha: Morgen! Magst einen Kaffee? Autorin: Ja, gerne! Wie geht es dir? Autorin Als ich Martha fünf Jahre nach der Trennung von ihrem Mann treffe, lebt sie am Existenzminimum und ist hoch verschuldet. Sie sieht erschöpft aus. Ihre kleine Wohnung ist voller Kinderfotos, Kinderzeichnungen und Kinderbasteleien. Jede Wand ist damit geschmückt, jedes Regal, jede Schranktür. OT 30 Martha: Ich habe lediglich noch ein Umgangsrecht, jedes zweite Wochenende, einen Teil der Ferien. Autorin Denn die Kinder leben bei ihrem Ex-Mann. Sie habe sie nach der Trennung so gut wie verloren. OT 30 a Martha: Ich darf mit meinen Kindern nicht zum Arzt gehen. Ich darf nicht zur Schule. Ich darf sie nicht zu irgendwelchen Hobbies anmelden, ich darf wirklich nichts mehr, ich habe kein Sorgerecht. Autorin Selbst diese wenigen Tage seien ihnen nicht sicher. Außerdem habe sie die große Sorge, dass ihr Ex- Mann auch den Kindern Gewalt antut. Und das würde sie beinahe verzweifeln lassen. Sie habe deshalb schon oft gedacht, dass es ein Fehler war, sich zu trennen. Dieses verzweifelte Resümee höre ich von vielen Frauen. Auch noch Jahre danach/nach dem so hoffnungsvollen Aufbruch. OT 32 Carola Wilcke: Also dieses gemeinsame Sorgerecht hebelt den Gewaltschutz aus! So klar muss man das auf den Punkt bringen: Dass beides ist nicht kompatibel im Moment! Autorin Das ist Carola Wilcke, Sozialpädagogin und Verfahrensbeiständin. 2015 rief sie eine Selbsthilfegruppe für Betroffene ins Leben. OT 33 Carola Wilcke: Wir haben am Anfang mit 20 Frauen angefangen und mittlerweile sind es 2500 aus ganz Deutschland. Autorin Wenn ein Gewalttäter und sein Opfer gemeinsame Kinder haben, dann geht der Befreiungsversuch des Opfers oft sehr böse aus, sagt Carola Wilcke. Der erste Schock kommt früh. Martha erzählt, dass ihr Mann, kaum dass er von der Polizei der Wohnung verwiesen worden war, beim Jugendamt angerufen und den Umgang mit seinen Kindern eingefordert habe. Das Jugendamt habe sie daraufhin kontaktiert und aufgefordert, ihm umgehend diesen Umgang zu ermöglichen. Würde sie sich weigern, sei das als Kindeswohlgefährdung zu werten und würde entsprechende Folgen für sie haben. Sie sei also gezwungen gewesen, ihren Mann - trotz Gewaltschutzanordnung und Abstandsgebot - ungeschützt auf einem Spielplatz zu treffen. Milena ergeht es ähnlich. OT 34 Milena: Also ich kam praktisch von dem Gewaltschutz, der gut funktioniert hatte, in: Sie müssen den Umgang gewährleisten! Da ist niemand da, der auf sie aufpasst. Es hätte ja was passieren können! Es gab ja auch Morddrohungen jeder Art und sehr häufige! Also das hat aber einfach keine Rolle mehr gespielt, sondern es war einfach so, dass ich die Umgänge zu organisieren hatte. Autorin Milena zeigt mir die verzweifelten Mails, die sie damals ans Jugendamt geschrieben hat. Martha schildert ihre verzweifelten Telefonate. Beide Frauen hätten eindringlich versucht, den Jugendamtsmitarbeitern ihre Situation deutlich zu machen: ihre Angst vor den Gewalttätern, die Risiken für sich selbst und für ihre Kinder. Aber es habe kein Erbarmen gegeben. Ich habe Schwierigkeiten, das zu glauben. Deshalb frage ich bei verschiedenen Jugendämtern an. Ich möchte wissen, nach welchen Prinzipien und Konzepten man dort in solchen Fällen arbeitet. Nach mehreren Absagen erklärt sich endlich Frau Bube, eine langjährige Beraterin vom Jugendamt Erfurt bereit, mich zu einem Gespräch zu treffen. Wir sind nicht allein in ihrem Büro. Die Pressesprecherin der Behörde sitzt auch dabei. OT 35 Frau Bube: Nur weil es ein Kontaktverbot zwischen Eltern gibt, heißt das nicht, dass der Elternteil nicht mehr das Recht auf Umgang mit den Kindern hat. In der Rolle als Mutter ist es die Aufgabe, trotzdem dem Kind den Umgang mit dem Vater zu gewähren oder eben auch andersherum. Ich will hier nicht immer nur die Mutter in den Fokus nehmen. Der Vater kann genauso Opfer von Gewalt sein. Autorin: Der Kontakt, den braucht das Kind trotzdem? Auch wenn es ein Gewalttäter ist? Autorin Frau Bube wird nervös. Naja, der könne ja - zumindest vorübergehend- auch begleitet stattfinden. Die Pressesprecherin schüttelt den Kopf und gestikuliert ihrer Kollegin, das Gespräch hier sofort abzubrechen. OT 36 Frau Bube Nee! Nee! Das geht jetzt gerade in eine Richtung, wo das eigentlich gar nichts mehr mit dem Thema zu tun hat! Autorin: [01:12:38] Das hat nicht mit dem Thema zu tun? [01:13:30] Ich verstehe nicht so richtig, warum? Pressesprecherin: [01:13:34] Weil dann vielleicht daraus gedreht wird: Wir schicken Kinder zu Gewalttätern, oder... Nee, also... Autorin Bei Gewaltbeziehungen, seien sie auch gar nicht zuständig, meint die Pressesprecherin. Das sei Sache des Familiengerichtes. Solche Fälle hätten sie hier nicht. OT 37 Frau Bube: Das meine ich doch! ... Ja! Das ist doch dann der Part, wo wir gar nicht mehr mit den Familien hier sitzen, sondern das ist ein Part, wo dann das Familiengericht entscheidet! Autorin Wir kommen nicht weiter. Wie kann das sein, dass eine Beraterin des Jugendamtes mit Hauptaufgabengebiet "Eltern-Konflikte nach Trennung und Scheidung", angeblich nichts mit Gewaltbeziehungen zu tun hat? Bei der hohen Zahl an Betroffenen? Laut einer Sekundäranalyse von Dr. Monika Schröttle von 2009 kommen in etwa jeder fünften Paarbeziehung gesundheitlich relevante Formen von Gewalt gegen die Frau vor. Und jede 17. Paarbeziehung ist sogar von schwerer bis lebensbedrohlicher Gewalt geprägt. Warum sprechen diese Jugendamt-Mitarbeiter nicht mit mir über das Thema? Dr. Marc Serafin, Leiter des Jugendamtes in St. Augustin hat kein Problem damit. Er ist auch Dozent an der Katholischen Hochschule. OT 38 Dr. Serafin: Ja, ja! Wir haben damit zu tun. Ja, ja! Partnerschaftsgewalt, die angezeigt wird, die landet bei der Polizei erst mal und dann automatisch auch beim Jugendamt, wenn Kinder da sind. Ja, dann werden wir informiert. Und dann nehmen wir unmittelbar Kontakt auf mit dieser Familie. Autorin Ob denn Gewalt gegen den Partner oder die Partnerin im Beisein des Kindes nicht auch Gewalt gegen das Kind sei, will ich wissen. OT 39 Dr. Serafin: Ja, das ist rücksichtslos gegenüber dem Kind und das ist auch traumatisierend für Kinder, aber es ist keine unmittelbare Gewalt gegen das Kind selbst. - Ja, ein Elternteil, der gewalttätig geworden ist gegenüber seinem Partner oder seiner Partnerin, der kann trotzdem ein guter Elternteil für sein Kind sein. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. So möchte ich mal sagen. Ja, das ist so! Autorin Für die gesunde Entwicklung eines Kindes sei nun mal der Erhalt einer engen Bindung zu beiden Elternteilen elementar, erklärt mir Dr. Serafin. Diese Erkenntnis ist noch recht jung. Noch bis in die 90er Jahre hinein hielt man eine stabile Bindungsperson für ausreichend. Nach Trennungen fiel diese Rolle meist der Mutter zu. OT 40 Dr. Serafin: Es gab Anfang der 90er Jahre eine große soziologische Untersuchung dazu von der Hamburger Soziologin Peters, die festgestellt hat, dass schon nach einem Jahr, spätestens nach anderthalb Jahren nach der Trennung der Kontakt zu den allermeisten Vätern verloren gegangen war. Und ja, das ist natürlich kein wünschenswertes Ergebnis. Und ab diesem Zeitpunkt hat eigentlich ein Umdenken angefangen, auch mit angeschoben durch Selbsthilfeorganisationen der Väter. Autorin Die Väterbewegung begann Ende der 80er Jahre intensiv und öffentlichkeitswirksam um ihr Recht auf paritätische Teilhabe an der Kindererziehung zu kämpfen. Mit großem Erfolg. Die Väterrechte wurden und werden seitdem deutlich gestärkt und gefördert. Carola Wilcke bestätigt das. OT 41 Claudia Wilcke: Weil die ja viele Jahre auch regelrecht aussortiert worden sind an den Familiengerichten. Gerade so in den 70er und 80er Jahren. Da waren also durch die Bank weg die Mütter die Gewinner, wenn ich das mal so sagen darf. Und die Väter haben diese Zeit genutzt, in den vergangenen Jahren viel Lobbyarbeit zu betreiben und diesen Satz in die Gehirne der Familienrichter zu implantieren: "Wenn ein Kind keinen Kontakt zu beiden Elternteilen hat, wird es schweren Schaden nehmen." Autorin Die Väter-Bewegung ist nicht nur politisch und medial sehr aktiv, - sie bildet auch seit Jahren Richter, Anwälte, Jugendamtsmitarbeiter, Gutachter, Familientherapeuten, Berater und Verfahrensbeistände fort. Eine Mutter, die sich heute gegen den Umgang des Vaters mit dem Kind wehrt - ganz egal aus welchen Gründen - setzt sich schnell dem Vorwurf aus, die Bindung des Kindes zum anderen Elternteil schädigen zu wollen, - im Fach-Jargon: "bindungsintolerant" zu sein. - Im Gegensatz zur "Partnergewalt im Beisein des Kindes", wird die Bindungs-Intoleranz eines Elternteils als Gewalt gegen das Kind gewertet. OT 42 Carola Wilcke : Und gemeint damit es eben, dass Elternteile gegenseitig verpflichtet sind, die Bindung des Kindes an den anderen Elternteil und andere wichtige Bezugspersonen nicht nur zu tolerieren, sondern auch zu fördern. Autorin Eltern, die damit ein Problem haben, werden verpflichtet, Familienberatungen, Coachings oder Elternkurse aufzusuchen und daran zu arbeiten. OT 43 JA Serafin: Ja, wenn Eltern selber ihre Konflikte nicht beheben wollen oder können, dann brauchen die ja Hilfe! Von professionellen Personen, die sie dabei anleiten, dass sie das besser können! Und manchmal muss man Eltern auch dazu verpflichten. Wir nennen das in der Sozialarbeit dann "einen Zwangs- Kontext für Beratung herstellen". OT 44 Martha: Es hieß halt: Wir sind jetzt getrennt, und wir müssen jetzt miteinander zurechtkommen. Wir können das jetzt nicht auf dem Rücken der Kinder austragen. Ich habe gesagt, dieser Mensch ist gefährlich, ich habe Angst vor ihm. Und dann hieß es: Da muss ich meine Angst halt in den Griff kriegen. OT 45 Dr. Serafin Eltern, die sozusagen gar nicht mitwirkungsbereit sind, die sind schon davon bedroht, dass ihnen auch die rechtliche elterliche Sorge entzogen werden kann. Autorin Ich frage Dr. Serafin, ob das allgemein auch für Eltern gilt, die im Vorfeld Partnergewalt erlebt haben. Er bejaht. OT 46 Dr. Serafin: Die Eltern sind ja getrennt. Von der Sache her kann ich da keine...keine Gefährdung erkennen. OT 47 Prof. Nothhafft: Ich heiße Susanne Nothhafft, ich bin Hochschullehrerin für Recht an der katholischen Stiftungs- Hochschule und beschäftige mich seit mehreren Jahrzehnten mit der Arbeit gegen Gewalt an Frauen und Kindern. Autorin Die renommierte Forscherin aus München erklärt mir, dass das eine gefährliche Fehleinschätzung sei. Bei Gewaltbeziehungen trifft das Gegenteil zu: die Phase der Trennung und die fünf Jahre danach sind sowohl für die Frauen als auch für die Kinder die gefährlichsten. OT 48 Prof Nothhafft: Ich würde bei häuslicher Gewalt nie von einem Konflikt sprechen, sondern einem System von Macht und Kontrolle, wo sozusagen der Gewalt ausübende Elternteil -und wenn Sie in die Statistik sehen, ist es in der Regel der männliche gewaltausübende Elternteil - geradezu eine narzisstische Kränkung erfährt, wenn die Frauen mit ihren Kindern sich verabschieden von diesem Gewaltsystem, indem sie im besten Fall in ein Frauenhaus ziehen. Das heißt, solchen misshandelnden Partnern und Vätern ist das oberste Ziel gar nicht so sehr das plötzlich wieder erwachte Interesse an aktivem Erziehen ihrer gemeinsamen Kinder, sondern im Prinzip das Wiederherstellen der Kontrolle über die Frau und die Kinder! Autorin Das Recht, Umgang mit den Kindern zu haben, würde solchen Tätern immer wieder eine willkommene Gelegenheit bieten, an ihren Opfern dran zu bleiben. OT 49 Prof Nothhafft: Die Annahme, dass die räumliche Trennung vom misshandelten Partner quasi ein Ende der Gewalt darstellen würde, ist grundfalsch. Die Monika Schöttle hat 2008 ihre Erst-Studie zur Gewalt-Betroffenheit von Frauen sekundär analysiert. Und die beschreibt für Deutschland, dass während der Umgangs- und Besuchszeiten nach einer Trennung aus häuslicher Gewalt immerhin 41 Prozent der Frauen erneut misshandelt wurden und Gewalt erlebt haben. 15 Prozent der Kinder erlebten Gewalt, in 27 Prozent wurde die Drohung ausgesprochen, die Kinder zu misshandeln oder zu entführen. In neun Prozent der Fälle wurden die Kinder tatsächlich entführt und in elf Prozent der Fälle wurde versucht, die Frau zu töten. Das erste Mal hat das Lagebild Partnerschaftsgewalt 2020 ausgewertet, dass gut ein Drittel der Gewalt auftritt, nachdem die Partnerschaft beendet ist. Autorin Das Risiko, vom Ex-Partner getötet zu werden, sei nach einer Trennung sogar fünfmal höher als vorher. - Wenn die Gefahr sogar wissenschaftlich erwiesen ist, warum sagt man den Betroffenen dann nicht: So schnell wie möglich raus und weg mit den Kindern? OT 50 Carola Wilcke: Aufgrund des gemeinsamen Sorgerechtes - eine Straftat, wenn die Mutter das macht: mit dem Kind abzuhauen, wo der Vater keine Zustimmung erteilt hat! Autorin Aber wir haben doch ein Gewaltschutzgesetz! In der entsprechenden Informationsbroschüre der Bundesregierung lese ich: Sprecherin: "Wer Opfer von Gewalt geworden ist, kann neben oder statt eines Strafverfahrens zivilrechtliche Schutzmöglichkeiten in Anspruch nehmen. Schutzanordnungen, die Zuweisung der Wohnung, Schadensersatz und Schmerzensgeld, eine gerichtliche Regelung des Sorgerechts für gemeinschaftliche Kinder, die Aussetzung und Beschränkung des Umgangsrechtes. Autorin: So etwas geht sogar per "Einstweiliger Verfügung". Sprecherin: "Mit ihnen kann der Kontakt der gewalttätigen Person zum Opfer unterbunden werden. Dies ist oft eine unverzichtbare Maßnahme zur Beendigung der akuten Gefahrensituation." Autorin: - Warum finden Martha, Milena und viele andere, mit denen ich sprach, trotzdem keinen nachhaltigen Schutz? Bei Milena wurden doch in der Gewaltambulanz Beweise gesichert? - Ich suche ihren Anwalt auf, um mir ihre Akte einzusehen. OT 51 Autorin: Können Sie mir zeigen was da an, der Frau für Spuren waren? Das ist ja dokumentiert worden. Anwalt x: Ja, das kann ich Ihnen zeigen. (blättert) Ja, hier hab ichs... Das sind die Fotos. Das ist schon schlimm, ne? Autorin: Was sehen Sie dort? Können Sie das beschreiben? Anwalt x: Das ist ein Hämatom hier. Da sieht man es auch. Autorin: Am Hals? Würgemale? Anwalt x: Sie ist gewürgt worden, eindeutig. Atmo Blättert in der Akte Autorin Große, tiefviolette Marken rund um ihre Gurgel. Wie stark muss er zugedrückt haben? OT 52 Anwalt x Die hatte auch hier Hämatome am Kopf. Durch Faustschläge Autorin Seitenweise Fotos mit Blutergüssen und Unterblutungen verschiedenster Größe, und über den ganzen Körper verteilt. Im Gesicht, am Hals, an Armen und Beinen, an den Schultern, dem Rücken. OT 53 Anwalt x: Ja, die Gewaltschutz-Ambulanz hat das ordentlich dokumentiert, sodass man da einen möglichen Beweis hat. (läuft durch den Raum) Aber Sie fragen wahrscheinlich danach, was die Staatsanwaltschaft zu diesen Vorfällen meint. Also im Zusammenhang mit familiengerichtlichen Verfahren wehrt sich die Staatsanwaltschaft sozusagen für die eine oder andere Partei instrumentalisiert zu werden. Autorin Instrumentalisiert?! Ich verstehe nicht... OT 54 Anwalt x Ich kenne kein Ermittlungsverfahren im Augenblick, das die Verletzung einer Frau durch den Ehemann zum Gegenstand hat, das zu einer Anklage geführt hätte. Es wird alles eingestellt mangels hinreichenden Tatverdachts. Und auch dieses Verfahren ist eingestellt worden, mangels hinreichenden Tatverdachts. Trotz der Dokumentation! Autorin Auch bei Martha wird das Ermittlungsverfahren gegen ihren Mann sehr schnell eingestellt. Keine Anklagen gegen solche Männer? - Wie ist das möglich in Zeiten von MeToo? Wie passt das zusammen? Marthas Anwalt - seit über einem Jahrzehnt spezialisiert auf diese Fälle, hat darauf nur eine schockierende Antwort. OT 55 Anwalt y [00:42:49] "me too", diese Debatte dazu, das ist ja in der Theorie alles ganz nett, in der Praxis sieht es auch ganz anders aus. Da müssen Sie sich mit der Mandantin fragen: "Macht das eigentlich Sinn, dass wir das anzeigen?" Was passiert denn, wenn es nicht bewiesen wird? - Dann dürfen sie das auch argumentativ nicht mehr aufrechterhalten! - Dann gibt es dieses Argument schlicht nicht! Und wenn dann einer sagt: die ist immer noch so darin verfangen, dass es das gegeben hätte und kann nicht loslassen, kann nicht nach vorne gucken. - Ja, also ich komme zu der Auffassung, die Mutter ist bindungsintolerant. Das Kind ist besser beim Vater aufgehoben! Der kriegt das besser hin! - Zack! Da lebt das Kind ab morgen beim Vater! Autorin In einer Studie von Schröttle und Müller von 2004 lese ich, dass nur 8 % der von Gewalt-Betroffenen es wagen, ihre Partner anzeigen. Und in nur 2% der Fälle kommt es zu einer Verurteilung. - Aber wenn Gewalt selbst mit diesen professionell gesicherten Beweisen nicht anerkannt und verfolgt wird, gleicht das einem Freibrief für die Täter. Für Martha, Milena und ihre Kinder hat das lebensgefährliche Folgen. Denn nun greift für sie kein weiterer Gewaltschutz: Als sie ausziehen wollen, müssen sie feststellen, dass sie in der Ehewohnung festsitzen. Ohne Zustimmung ihrer Ehemänner kommen sie nicht aus dem gemeinsamen Mietvertrag. Und würden sie trotzdem gehen, müssten sie die Kinder zurücklassen. Als die Frist der Wegweisung vorbei ist, und die Männer wieder einziehen, versucht sich Martha ins Gästezimmer zu retten. In Milenas Wohnung gibt es keines, deshalb zieht sie ins Kinderzimmer zu ihrer Tochter. Nachts schließen sich die Frauen ein. Es folgen schlimme Monate. Die Männer akzeptieren die Trennung nicht, werden wieder gewalttätig. Immer wieder bedrohen sie das Leben der Frauen. Und nun auch das der Kinder. Aber noch einmal die Polizei zu rufen, das wagen die Frauen nicht. Denn dann würde wieder dem Jugendamt Meldung gemacht, und sie müssten fürchten, ihre Kinder zu verlieren. OT 56 Dr. Serafin: Na ja, an der Stelle gibt es ein Problem! Also wenn sozusagen das Gewaltopfer zurückkehrt in die Gewaltbeziehung sozusagen, und dann wieder solche Szenen stattfinden. An dieser Stelle muss ich vonseiten des Jugendamtes eigentlich sagen, ist ein Eingriffstatbestand vorhanden. Da müssen wir vom Jugendamt sagen: liebe Eltern - zu beiden aber! Das können wir nicht so zulassen. Das Kind kann hier nicht in den Verhältnissen bei euch leben! Autorin Die Frauen haben die Scheidung eingereicht. Die Verhandlung am Familiengericht wird vorbereitet. Im Vorfeld gibt es mehrere Beratungstermine beim Jugendamt und bei einer Familienberatungsstelle. Sie müssen über Umgangsmodelle sprechen. Über Betreuungsregelungen. Über das Wohl der Kinder. OT 57 Martha: Ich darf nicht darüber sprechen, was da an Gewalt passiert ist. Das wird nicht geprüft, sondern es wird von vornherein davon ausgegangen, dass man als Mutter dem Vater die Kinder wegnehmen will. Man muss das im Grunde völlig aussparen, einen auf heile Welt machen, sich immer und immer wieder mit diesem Menschen in einen Raum setzen, der einen über Jahre geschlagen hat, verprügelt hat, vergewaltigt hat. Autorin: Dann bekommen die Familien Besuch von einer Verfahrensbeiständin. - Das ist eine vom Gericht beauftragte "Anwältin des Kindes". Sie soll dessen Bedürfnisse und Wünsche herausfinden und dann vor Gericht vertreten. Dafür besucht sie die Familie zu Hause, um das Kind zu befragen: Bei wem möchte es lieber wohnen: Bei Mama? Oder bei Papa? Oder bei allen beiden? Vertragen sich Mama und Papa denn gut? Oder schreien sie sich manchmal an? OT 58 Milena: Das war eine absurde Situation! Weil sie das Kind gefragt hat, während es zwischen uns saß! Die Tochter hätte niemals in dem Moment vor ihrem Vater sagen können: "Ich will nicht mehr bei ihm wohnen!". Ich habe in der Situation einfach gedacht: Oh Gott, oh Gott, was ist das denn? Sie sitzt zwischen uns, und sie weiß ganz genau, wenn die Frau geht, ist die Hölle los, wenn sie das Falsche gesagt hat, ja? Autorin Und dann ist er da, der Tag der Verhandlung. Es geht um die Zuteilung der Wohnung, um das Umgangsmodell und um das Aufenthaltsbestimmungsrecht. OT 59 Milena: Ich bin zu dieser Gerichtsverhandlung gegangen und ich war völlig außer mir! Ich war psychisch absolut im Ausnahmezustand. Meine allergrößte Angst war, dass irgendwas passiert, dass unsere Tochter nicht mehr bei mir ist. Die Angst war so groß, dass ich gar nicht mehr rational denken konnte! Ich habe einfach gemerkt, das spielt keine Rolle mehr, was passiert ist! Jetzt geht es einfach darum, wie wird das Kind verteilt, um es mal wirklich hart zu formulieren. Autorin Da sitzen nun also Mutter und Vater - jeweils mit ihren Anwälten. Auf einer der leeren Zuschauerbänke hat die Verfahrensbeiständin Platz genommen. Vorn der Richter in seiner schwarzen Robe. Zuschauer gibt es keine. Die Öffentlichkeit ist bei solchen Verhandlungen ausgeschlossen. Zum Schutz der Kinder. Es wird beschlossen, dass der Vater in der Ehewohnung wohnen bleibt, und die Frau aus dem Mietvertrag austreten darf. - Im Gegensatz zu ihm könnte sie sich die Miete auch gar nicht leisten. Es wird ihr ans Herz gelegt, sich eine Wohnung in der Wohngegend des Vaters zu suchen, denn nur so sei die gemeinsame Kinderbetreuung gewährleistet. Und dann ... Sprecherin "Beide Elternteile erklärten übereinstimmend, es sei zwischen ihnen wieder zu einer Annäherung hinsichtlich der Lebenssituation der Kinder gekommen. Im Grund seien sie sich einig, wie verfahren werden soll... " Autorin Die Eltern hätten sich entschieden, ihre Kinder künftig partnerschaftlich in einem paritätischen Wechselmodell zu betreuen. - In einer Betreuungsform also, die - wie keine andere- rege Kontakte und eine gute Kommunikation zwischen den Eltern verlangt, weil so gut wie jede Entscheidung gemeinsam getroffen werden muss. In Milenas Fall soll die sechsjährige Luise künftig je eine Woche beim Vater und eine Woche bei der Mutter leben. Bei Martha sollen die Kinder täglich wechseln: Martha soll sie um 16 Uhr von Kindergarten und Schule abholen und um 19 Uhr für die Nacht in die väterliche Wohnung bringen. Zusätzlich dürfen die Kinder jedes zweite Wochenende bei ihr verbringen. Solche und ähnliche "einvernehmliche Vereinbarungen" finde ich in den Gerichts-Akten vieler gewaltbetroffener Frauen. - Ein wundersamer Friedensprozess in nur wenigen Wochen? Davon, wie diese "einvernehmlichen Vereinbarungen" zustande gekommen seien, stünde im Protokoll natürlich nichts, erklärt mir Carola Wilcke. OT 60 Carola Wilcke: Da werden wirklich die Daumenschrauben ordentlich angesetzt im Gerichtssaal. Also Bedrohungen, Nötigungen sind an der Tagesordnung. Das würden Sie so nie in einem Strafgerichtssaal erleben! Aber dieser Einigungsgedanke, der über allem quasi schwebt, ist wirklich so präsent, dass man so viel Schrecken verbreitet im Gerichtssaal bei den Müttern, die Gewalt erlebt haben, dass man denen also die Kinder noch nimmt, staatlich legitimiert! Und wie gesagt, wenn eine Mutter bedroht wird: Wir nehmen dir dein Kind!" - dann unterschreibt die alles! OT 61 Milena: Ich glaube, dass er sehr planvoll vorgegangen ist, und dass er sehr gut beraten wurde. Das wurde mir im Nachhinein erst klar. Autorin Der Vater, der in all den Jahren Vollzeit und mehr arbeitete und nie zuvor irgendein Interesse zeigte, sich um die Betreuung seines Kindes zu kümmern, hat vor der Verhandlung seinen Arbeitsvertrag ändern lassen und seine Arbeitsstunden reduziert. OT 62 Milena: Das Jugendamt hat mir einfach ganz klar gesagt: Okay, Sie arbeiten jetzt Vollzeit, - der Vater arbeitet Teilzeit. Noch dazu verdienen Sie weniger. Ja- für das Wohl des Kindes kann er im Moment nachweislich besser sorgen als Sie. Es kann darauf rauslaufen: Wenn Sie nicht das Wechselmodell akzeptieren, dass Sie weniger Umgang mit dem Kind bekommen. Und das hat mir wahnsinnige Angst gemacht. Weil dann natürlich auch gleich wieder im Hintergrund ablief: Wie ist es, mit diesem Vater zu leben? OT 63 Dr. Serafin: Jugendamt, Familienberatungsstellen und Gericht- die drei müssen eng zusammenarbeiten. Das Gericht kann verpflichten, es hat die Autorität. Das Jugendamt organisiert die Hilfe, steuert Hilfe und die Familienberatung geht in diese Partnerschaftsberatung sozusagen, in die Auflösung der Konflikte. OT 64 Carola Wilcke: Häufig ist es so, dass die sich vorher alle abgesprochen haben und dann eben diese eine Lösung präsentieren, die die alle für richtig halten. OT 65 Dr. Serafin: Wenn die professionellen Instanzen, die drei, die ich genannt habe, hier eng und mit einer Sprache zusammenwirken, dann hat das in aller Regel eine erhebliche Wirkung auf die Eltern. Autorin "Mit einer Sprache" - was ist damit gemeint? Die von allen Instanzen einvernehmliche ausgesprochene Drohung, dass demjenigen, der hier nicht mitspielt, sich gar wehrt, der Verlust der Kinder droht? OT 66 Dr. Serafin: Eltern möchten ihren Kontakt zu ihren Kindern nicht verlieren, möchten auch ihre Rechte nicht verlieren. Und deshalb, wenn das im Raume steht, das ist schon eine hilfreiche Motivation, möchte ich mal sagen, auch sehr wenig mitwirkungsbereite Eltern doch dazu zu bewegen, jetzt ja an ihren Spannungen zu arbeiten. Autorin: Beschleunigte Verfahren, das Einschalten von Beratungsstellen und Mediatoren, der konzertierte institutionelle Druck auf Eltern, zu einer vernehmlichen Lösung zu kommen. - Ich habe schon einmal davon gehört. Das Konzept nennt sich "Cochemer Praxis", - weil ihr Erfinder ein Richter in Cochem an der Mosel war. Ziel ist, die Eskalation von Elternstreitigkeiten nach der Trennung zu verhindern und so den Kindern den Vater zu erhalten. Der Sprecher des Vereins "Väteraufbruch für Kinder" Markus Witt erzählte mir begeistert davon, als ich ihn vor zwei Jahren zu einem Interview zum Thema Unterhaltspflichten traf. OT 67 Markus Witt Und dieser Richter war immer bewaffnet im Gerichtssaal. Das war das Besondere bei ihm. Er hatte zwei Waffen dabei: Den linken und den rechten Zeigefinger. Und den hat er im Zweifelsfall drohend erhoben und hat gesagt: Und wenn ihr hier wieder in meinen Gerichtssaal zurückkommt, und keine Entscheidung getroffen habt, dann treffe ich eine Entscheidung, die euch beiden nicht gefallen wird! Autorin Der "Väteraufbruch für Kinder" gehört zu den größten und einflussreichsten Vereinen der Väter-Bewegung. Er wirbt auch intensiv für das paritätische Wechselmodell als Norm nach Trennungen und hat maßgeblich daran mitgewirkt, dass 2009 zentrale Teile der Cochemer Praxis in das Familienverfahrensgesetz FamFG aufgenommen wurden. Sprecher Paragraph 156: Das Gericht soll (..) in jeder Lage des Verfahrens auf ein Einvernehmen der Beteiligten hinwirken (..) Das Gericht kann anordnen, dass die Eltern (..) an einem Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung (..) teilnehmen.... Autorin Ich fragte Markus Witt, was denn aber im Fall gewalttätiger Elternteile geschehen solle: OT 68 Markus Witt: Das Kind hat keine anderen und es wird diese in der Regel dann auch lieben. Und selbst in Fällen, wo vielleicht tatsächlich Dinge passiert sind mit Gewalt, Missbrauch oder Ähnliches... - Man weiß, dass auch diese Kinder diesen Elternteil immer noch lieben. Da merkt man wie tief auch das drinne ist. Wenn Kinder sich entwickeln, brauchen sie Antworten. Nicht nur verbal. Und diese genetischen Antworten können tatsächlich auch nur die genetischen Eltern liefern. Autorin So wundert es auch nicht, dass der Gewalttäter aus mindestens einem der hier porträtierten Fälle Beratung und Unterstützung beim Väteraufbruch für Kinder gesucht hat. Martha und Milena können zwar nun endlich in eine eigene Wohnung umziehen - aber die Folgen der sogenannt "Einvernehmlichen Entscheidung" zum Wechselmodell sind für sie und ihre Kinder katastrophal. OT 69 Martha: Ich musste diesen Mann jeden Tag sehen, der war jeden Tag in meiner Wohnung, und er hat mich in seine gezogen, wenn ich die Kinder gebracht habe. Und es war wie so ein Déjà-vu. Es ging genauso weiter wie vor der Trennung. Der hat mich in meiner eigenen Wohnung verprügelt, der hat mich zum Sex gezwungen. Und wieder meine Kinder die ganze Zeit dabei. Autorin Milenas Tochter Luise gerät jedes Mal in einen Ausnahmezustand, wenn sie zu ihrem Vater soll. Mit jedem Termin wird es schlimmer. OT 70 Milena: "Bitte, bitte ruf Papa an und sag ihm, ich komme diese Woche nicht. Bitte sag ich, ich bin krank. Ich ... ich kann nicht kommen!! - Dass sie wirklich wie Espenlaub zitternd weinend vor mir saß, und da ehrlich gesagt bei mir schon die Panik angefangen hat: Was soll ich jetzt machen? Das geht nicht! Wahrscheinlich macht man sich strafbar? Es gibt Regeln, ich muss mich daran halten, ansonsten kann alles mir um die Ohren fliegen! Autorin Dazu kommt, dass fast jede Entscheidung, die für die Kinder getroffen werden muss, nun vor dem Familiengericht ausgetragen wird. Ob Schulanmeldung oder neuer Pass, ob Impfung oder Kindergeld, ob Psychotherapie oder Mitgliedschaft im Sportverein... Die Kosten gehen bald in die Zigtausende. Die Frauen nehmen Kredite auf, leihen sich Geld bei Familie und Freunden. Marthas Mann beginnt, sie nach ihrem Auszug zu stalken. Immer wieder steht er nachts vor ihrem Haus. Mal fleht er sie an, zu ihm zurückzukommen, mal beschimpft und bedroht er sie. Mehrmals demoliert er ihr Auto. Martha versucht, sich zu wehren. Sie erstattet Anzeige. Dreimal. Doch das Verfahren wird jedes Mal eingestellt. OT 71 Martha: Ich habe gemerkt, das wurde immer extremer und immer heftiger und ich. Ich hatte so das Gefühl, wenn ich das so weiter mitmache, irgendwann bringt er mich um. Autorin Eineinhalb Jahre nach der Trennung ist ihre Angst so groß, dass sie beschließt, mit ihren Kindern in eine andere Stadt zu ziehen. Sie beantragt das alleinige Sorgerecht. Ihr Ex-Mann reagiert mit einem Gegen-Antrag. Der Richter gibt ein Sachverständigen-Gutachten in Auftrag. Das Ergebnis ist für Martha verheerend. Sprecherin: Die Kindsmutter ist psychisch labil und gegen den Vater negativ eingestellt. Sie zeigt eine deutliche Bindungsintoleranz, die sich auch darin äußert, dass sie ihn wiederholt mit Anzeigen überzogen hat. Sie zeigt Anzeichen einer paranoiden Persönlichkeitsstörung. Somit stellt sie eine Gefahr für das Kindeswohl dar. Dies und auch das Kontinuitäts-Prinzip sprechen für einen Verbleib der Kinder beim Kindsvater. Autorin: Eine Studie der Fern-Uni Hagen aus dem Jahr 2014 kommt zu dem Ergebnis, dass mehr als 50% der Gutachten in Familiengerichtlichen Verfahren deutliche fachliche Mängel aufweisen. Und in einer wissenschaftlichen Befragung der Ludwig-Maximilians-Universität München von 2013 gab fast jeder zweite psychologische Gutachter an, schon vom Richter vorab signalisiert bekommen zu haben, wie das Ergebnis auszufallen habe. OT 72 Martha: Und dann haben die angefangen, wirklich darüber zu lachen, dass man ja ständig im Familienrecht auf diese angeblichen Vergewaltigungsopfer trifft. Man sitzt da und man hat diese ganzen Bilder im Kopf, was mit einem gemacht worden ist. Und da sitzen diese Menschen und lachen einen aus. OT 73 Prof Nothhafft: Ich glaube, wenn Sie auf familiengerichtliche Verfahren sehen, gibt es immer quasi die Sorge, Frauen würden dort, wo es um Umgangs- und Sorgerecht geht, das Vortragen von häuslicher Gewalt oder sexualisierter Gewalt gegenüber der Kinder oder gegenüber sich selbst strategisch vortragen. Wir haben aus dem angloamerikanischen Bereich Zahlen, die nachweisen, dass zwischen drei und fünf Prozent der Frauen tatsächlich falsche Erlebnisse erzählen. Ich finde das einen sehr kleinen Prozentsatz. Also insoweit würde auch das dafür sprechen, dass Frauen, die von Gewalt berichten, wahrscheinlich eher Zutreffendes erzählen, als dass sie die Unwahrheit berichten würden. Autorin: Die Wissenschaftlerin Professor Nothhafft sagt auch, dass es laut einer amerikanischen Studie sogar öfter die Männer seien, die "strategisch vortragen" - also vor Gericht die Unwahrheit sagen würden. OT 74 Prof Nothhafft: Nämlich zwischen 25 und 30 Prozent, wo es dann immer um Vorträge geht zur mangelnden Erziehungsfähigkeit der Frau oder psychischen Auffälligkeit der Frau oder möglichem Suchtverhalten der Frau. Autorin Marthas Anwalt sagt mir, dass sich am Entzug des Sorgerechtes vorerst nichts mehr ändern lasse. Der Rechtsstaat sei hier an seiner Grenze. OT 75 Anwalt y: Dann können Sie vielleicht auch noch eine Verfassungsbeschwerde machen, die Sie im Zweifel auch nicht durchkriegen. Und dann muss man auch irgendwann sagen: Du, juristisch ist das Ding jetzt erledigt. Natürlich nur schwer verständlich zu machen. Autorin: Vor kurzem ist der Vater mit den Kindern umgezogen. Sie leben jetzt 250 km weit von Martha entfernt. OT 76 Martha: Mir wird jegliches Recht genommen, meinen Kindern irgendwie zu helfen! Ich kann nichts mehr machen für sie! Ich kann nur hoffen, dass meine Kinder sich trauen, mit Dritten darüber zu sprechen, was sie erlebt haben und auch, wie es ihnen jetzt geht. Aber ich selber kann nichts tun! Man hat mir jegliche Möglichkeit genommen, sie da rauszuholen und ihnen zu helfen! Autorin Milenas Tochter Luise hat sich vor einigen Wochen ihrer Erzieherin anvertraut und ihr erzählt, dass sie während der Umgänge regelmäßig vom Vater misshandelt wird. Das Familiengericht hat die Umgänge in ihrer bisherigen Form erst einmal ausgesetzt. Milena und Luise müssen jetzt einmal in der Woche in eine Familienberatungsstelle gehen, um dem Vater dort ein Treffen mit seiner Tochter unter Fachaufsicht zu ermöglichen. Außerdem sollen die Eltern noch einmal gemeinsam einen Elternkurs besuchen. Milena hat Angst. Sie hat Angst, dass sie Luise verliert, falls das Kind den Umgang ganz verweigert. Und sie hat Angst vor der Reaktion des Vaters, falls der die Kontrolle über sie und das Kind ganz verliert. Sprecherin Ihre Angst spielt hier keine Rolle Wie Familiengerichte den Gewaltschutz von Frauen aushebeln Ein Feature von Marie von Kuck Es sprachen: Sigrid Burkholder, Moritz Heidelbach und die Autorin Ton: Thomas Widdig und Michael Morawietz Regie Beatrix Ackers Redaktion Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Südwestrundfunk und dem Westdeutschen Rundfunk 2022 1