FEATURE ZEITREISEN Der Tag des Zorns Die ägyptische Revolution im Spiegelbild des Comic Von Anette Selg Redaktion: Kim Kindermann, Sendetermin: 1. Februar 2012 COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Beitrag Atmo Frühjahrsrevolution auf dem Tahrir-Platz, dann mischen mit Atmo Straßenlärm Autorin Ägypten: Frühjahr 2011. Vor allem junge Menschen demonstrieren mutig und laut gegen die Diktatur Hosni Mubaraks. Sie besetzen den öffentlichen Raum - auch mit Hilfe der neuesten Medientechnologie. Handy-Fotos und -Videos aus dem Internet dominieren die Berichterstattung. Bilder, die mitten aus den Demonstrationen und den gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt stammen. Und die damit die staatlich gelenkten Medien unterlaufen. Atmo wieder hoch 1. O-Ton Reimer Ich halte Comics für das ideale Medium für eine Gesellschaft, wie man sie überall in der arabischen Welt findet, nämlich eine, die nicht liest. Autorin: Bereits einige Wochen nach der ägyptischen Revolution lädt Ute Reimer vom Goethe-Institut in Kairo ägyptische Comic-Zeichnerinnen und -zeichner zu einem Workshop ein, der Titel: RevolutionsComics. Die Bilder dieser Revolution sollen festgehalten, neu gestaltet und interpretiert und so am Entschwinden gehindert werden. Dreimal treffen sich die Teilnehmer im Laufe der Zeit. Im April 2011 zum ersten Mal, dann im Oktober und zum Abschluss im April 2012. 2. O-Ton Reimer Also, hier liest man nicht zum Vergnügen, zur Erbauung. Man liest notgedrungen, weil man einen ganz bestimmten Sachverhalt wissen möchte oder wissen muss. Aber so Romanleser oder so was, das gibt es hier überhaupt nicht. Autorin Ute Reimer ist verantwortlich für die Bibliotheksarbeit des Goethe-Instituts nicht nur in Ägypten, sondern in ganz Nordafrika. Auf dem arabischen Buchmarkt kennt sie sich sehr gut aus. Der Comic- Workshop war ihre Idee. 3. O-Ton Reimer Comics hingegen, da ist ja relativ wenig zu lesen. Es geht ja um das Bild, das sofort den Inhalt transportiert und deswegen glaube ich, dass das ein unheimlich gutes Medium ist, um in so einer Gesellschaft bestimmte Ideen zu propagieren und vielleicht auch das Lesen ein bisschen zu fördern. Atmo Straßenlärm Autorin Die Treffen finden auf der Dachterrasse des Instituts im Kairoer Zentrum statt. Ein guter Ort für einen Workshop über Bilder der Revolution. Von hier oben sieht man bis auf den Tahrir-Platz. Das rosa gestrichene Ägyptische Museum genau neben dem Platz ist gut zu erkennen und auch die riesige ausgebrannte Ruine von Mubaraks Parteizentrale, die schwarz und zerstört dahinter aufragt. Atmo Diskussion im Workshop über Namen im Comic But you need to have a sound, Nagib Machfus, all the names of the heroes of Nagib Machfus ... Autorin Geleitet wird der Workshop von der Berlinerin Barbara Yelin. Die 30jährige Illustratorin kennt Ägypten von früheren Aufenthalten. Gemeinsam mit Ute Reimer hat sie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgesucht. Bekannte Zeichner sind darunter, wie Walid Taher, dessen Kinderbuchillustrationen auch im deutschsprachigen Raum verlegt sind, oder Magdy El Shafee, der 2007 die erste ägyptische Graphic Novel überhaupt veröffentlicht hat. Doch auch im Netz habe sie meist junge, sehr talentierte Comic-Künstler entdeckt, erzählt Barbara Yelin. 4. O-Ton Yelin Interessant war, dass ganz oft kam: I wanna get the whole picture - ich möchte aber doch alles zeigen. Ich möchte doch die verschiedenen Seiten zeigen, und das gehört aber doch auch noch dazu. Das ist was, was mir ganz stark aufgefallen ist. Dass eigentlich viel zu viel passiert ist, als dass man das irgendwie in eine Geschichte packen könnte, und auch viel zu wenig Zeit dafür vergangen ist. Autorin Die Mehrzahl der Teilnehmer kommt aus Kairo oder Alexandria. Die Grafiker, Karikaturisten, Illustratoren kennen sich fast alle durchs Internet, in dieser Workshop- Woche im April treffen sie sich erstmals. Einige haben bereits angefangene Arbeiten mitgebracht, andere sitzen vor großen weißen, noch leeren Blättern. Doch alle verbindet die historische Erfahrung des ägyptischen Volksaufstands, die sie nun in dem lichtdurchfluteten Büroraum des Instituts zu sehr unterschiedlichen Comic- Geschichten verarbeiten. Für die meisten von ihnen ist es neu, zu politischen Vorkommnissen Stellung zu nehmen, die eigene Meinung öffentlich zu machen. 5. O-Ton Mona Ahmed - Sprecherin I think revolution has changed me drastically ... Ich glaube, die Revolution hat mich grundlegend verändert. Es war eine große Überraschung für mich und für alle anderen. Islamisten oder Liberale, alle waren zusammen auf dem Tahrir-Platz, sie alle hatten ein gemeinsames Ziel. Ich war in den letzten drei Tagen dort, bevor Mubarak gestürzt wurde. Alle redeten, lachten, kommunizierten miteinander. Ich hab mich mit Islamisten unterhalten. Wir glauben an ganz unterschiedliche Dinge, aber wir haben versucht, uns zu verstehen. Für mich war das etwas ganz Großartiges. ... It was very great for me. Autorin Mona Ahmed ist Mitte zwanzig. Sie hat Pharmazie und Kunst studiert, zurzeit arbeitet sie für einen chemischen Betrieb in der Nähe von Kairo. Die dunklen Haare hat sie mit einer Spange am Hinterkopf festgesteckt, sie trägt Jeans und T-Shirt - für Comics interessiert sich die junge Ägypterin, seit sie denken kann. Was auch damit zu tun hat, dass Mona Ahmed die ersten neun Jahre ihres Lebens mit ihrer Familie in Tokyo verbracht hat und mit japanischen Comic-Heften und Zeichentrickfilmen aufgewachsen ist. Atmo Barbara und Mona, Arbeitsgespräch 6. O-Ton Yelin Die Stimmung im April, als wir den Workshop angefangen haben, war erstmal unglaublich positiv bis euphorisch - und so gemeinschaftlich. Da war das so deutlich noch zu spüren. Ich hatte mir ein Konzept gemacht für den Workshop und hab es nach drei Minuten weggeschmissen, weil es so klar wurde, dass es erst mal ums Erzählen ging, und es war wirklich sehr spannend. Es hatte bisher noch gar keiner die Zeit gehabt, überhaupt zu erzählen. Das heißt, wir saßen im Raum, und einen Tag lang, wirklich, haben alle nur erzählt, was sie erlebt haben. Das war wirklich total berührend und spannend für mich, aber für die Teilnehmer auch. Autorin Barbara Yelin selbst hat die Demonstrationen nur über Internet, Radio und Fernsehen miterlebt. Jetzt macht sie den anwesenden Zeichnern Mut, ihre zeitgeschichtlichen Erlebnisse im Comic darzustellen. Dass das geht, weiß die Berlinerin aus eigener Erfahrung: ihr Comic "Gift" erzählt den Kriminalfall der Giftmörderin Gesche Gottfried, die 1831 in Bremen hingerichtet wurde. 7. O-Ton Yelin Ich hab einfach immer versucht, Fragen zu stellen. Was ist das, was du erzählen kannst? Da hab ich auf jeden Fall sehr viele interessante Gespräche mitgekriegt. Autorin: Trotzdem - die direkte Umsetzung aktueller politischer Geschehnisse in Comic- Zeichnungen bleibt eine große Herausforderung. 8. O-Ton Yelin Schaut, wie ihr übers Bild an die Geschehnisse kommt. Weil, Text gibt es ja ultra viel. Es gibt so viele Zeitungsreportagen, Blogger. Aber wie könnt ihr über eure Zeichnung, über euren persönlichen Blick was zeigen? Ich hab von Anfang an auch gesagt: Schaut, dass ihr alles sammelt, was ihr habt. Sammelt Bilder, sammelt Ausschnitte. Aber sammelt eben auch eure Eindrücke, macht Skizzen, haltet das fest. Macht ein Tagebuch, macht wirklich eine Spurensuche, ein Fundus von allem was ihr kriegt. Autorin Wie Mona Ahmed bringen auch die anderen Teilnehmer ihre ganz persönlichen Erinnerungen an die Revolution mit. Viele von ihnen haben gegen das Mubarak- Regime demonstriert, auf dem Tahrir-Platz in Kairo oder in ihren Heimatstädten. Der Kairoer Comic-Zeichner Magdy El Shafee - ein dunkelhaariger, lebhafter, sehr freundlicher Mann, der mit seinen fünfzig Jahren wie vierzig aussieht -, war fast die ganzen achtzehn Tage auf dem Tahrir-Platz und hat dabei immer wieder Gesichter skizziert, kleine Szenen festgehalten. 9. O-Ton Magdy El Shafee - Sprecher But then came some voices, the museum is burning ... Doch plötzlich hörten wir Stimmen: Das Museum brennt, all die Statuen und diese unschätzbaren Kostbarkeiten werden zerstört. Und ich war dort und das Erstaunliche war, diese vielen jungen Menschen näherten sich - fast wie im Märchen. Sie liefen alle ganz ruhig auf das Museum zu, ohne jedes Durcheinander, und dann blieben sie alle stehen und reichten sich die Hände und umstanden so das ganze Museum. Das war umwerfend. Niemand kannte sie, und ich werde wohl einen von diesen jungen Menschen in meinem Comic zeigen. Diese Situation, dass diese jungen Leute einfach zur Stelle waren, um ein Museum der menschlichen Zivilisation zu beschützen, das war etwas sehr Besonderes. ... is not that common. Autorin Im Workshop entwirft Magdy El Shafee einen groß angelegten Episoden-Comic. Ungewohnt für europäische Augen: Die Bilder im Storyboard, der ersten skizzenhaften Darstellung der Handlung, werden von rechts nach links gelesen. Atmo Barbara und Magdy Arbeitsgespräch Autorin "Der Anonyme" heißt eine seiner Hauptfiguren. Er ist der Prototyp für all die Namenlosen, die in den Tagen der Revolution Geschichte geschrieben haben, als Blogger, Demonstranten oder Aktivisten. So wie die vielen Menschen, die Ende Januar das Ägyptische Museum durch ihren Mut und Zusammenhalt vor der Plünderung bewahrt haben. Am Ende von Magdy El Shafees Geschichte, nach dem Sturz Hosni Mubaraks, verlassen die Aktivisten den Tahrir-Platz. Die, die danach gefeiert haben, waren andere, erzählt der Comic-Zeichner. Ja, auch er sei am Ende einfach nach Hause gegangen und habe sich erst einmal drei Tage ins Bett gelegt. 10. O-Ton Mona Ahmed - Sprecherin I want to describe the personal experience ... Ich möchte die Revolution vor allem anhand der persönlichen Erfahrungen beschreiben, die einige Menschen während dieser Tage gemacht haben. Ich möchte die Revolution aus ihrer ganz eigenen Sicht zeigen. Dazu gehört auch die Geschichte eines Freundes von mir, der während der Demonstrationen angeschossen wurde, von diesen Stahlgeschossen. Es sind keine richtigen Gewehre. Sechzehn Mal ist er getroffen worden, an den Beinen, doch er hat überlebt. Und als er aus dem Krankenhaus gekommen ist, hat er entdeckt, dass sein Name auf der Märtyrerliste stand! Es ist eigentlich eine sehr schwarze Komödie, und er musste die Leute davon überzeugen, dass er gar nicht tot ist. ... that he is not dead. Autorin Nicht alle Zeichner haben bei den Demonstrationen im Frühjahr mitgemacht. Ahmed Omar, ein stämmiger junger Mann mit einem breiten, weichen Gesicht, ist der Sohn eines Polizisten aus Alexandria. Er arbeitet als Grafik-Designer in seiner Heimatstadt. Im Workshop erzählt er nach einigem Zögern, dass er während der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Staatsmacht große Angst gehabt habe. Er sei die ganze Zeit im Haus geblieben und habe die Ereignisse nur am Fernseher und via Internet verfolgt. Irgendwann nimmt sich Ahmed Omar Papier und Bleistift und skizziert die erste Seite seines Revolutions- Comics: Er zeichnet sich selbst, einen jungen Mann, der allein an einem Tisch sitzt, einen Stift in der rechten und ein Messer in der linken Hand hält. Atmo Straßencafé, Gespräche Autorin Nach dem Workshop gehen Magdy El Shafee und ein paar der Teilnehmer noch in die nahe gelegene Town House Gallery - ein alternatives Kulturzentrum mit Ausstellungen, Konzerten und einem Straßencafe. In diesem Teil Kairos befindet sich eine Autowerkstatt neben der anderen, auch im Dunkeln wird geschweißt und repariert. Vor der bröckelnden Gründerzeitvilla, in der sich die Galerie befindet, stehen weiße Plastikstühle und -tische. Lichterketten winden sich um die wenigen Bäume. Die Zeichner setzen sich an einen der kleinen Tische, trinken süßen Hibiskustee oder Bier, unterhalten sich, rauchen, telefonieren. 11. O-Ton Magdy - Sprecher I am not like this very big artistic talents ... Ich bin keiner von diesen großen Künstlern. Ich will auch gar keiner sein. Nicht so wie zum Beispiel Picasso, dabei mag ich Picasso, und Modigliani ganz besonders. Aber diese Art von Kunst hat mich nie gereizt. Ich liebe Comics, ich liebe dieses Genre, und ich bin davon überzeugt, dass es etwas ganz Besonderes ist. Angefangen hat das bei mir wie bei den meisten mit Micky Maus und Superman. Aber dann hatte ich Glück. Denn in den 90ern boomte die Comic-Kunst plötzlich, mit Frank Miller und "Persepolis" von Marjane Satrapi, "Palästina" von Joe Sacco. Da haben sich völlig neue Horizonte für mich eröffnet und das war gut. Vorher gab es für so etwas doch nicht einmal ein Publikum. ... no audience even. Autorin Magdy El Shafee hat wache dunkle Augen, er lacht viel beim Reden. In der ägyptischen Comic-Szene ist er eine Berühmtheit. Immer wieder kommen Leute an den Tisch, um ihn zu begrüßen, mit ihm zu reden. Im April 2007 hat der 50jährige die erste ägyptische Graphic Novel veröffentlicht, unter dem Titel "Metro". Fünf Jahre hat er an dem Buch gearbeitet. "Metro" ist in Umgangsarabisch verfasst, spielt in einem modernen chaotischen Kairo und beeindruckt mit rasanten Schwarz-Weiß-Zeichnungen. 12. O-Ton Magdy - Sprecher The hero of the graphic novel ... Der Held der Graphic Novel ist ein Software-Entwickler, der den Glauben an die staatlichen Institutionen verloren hat. Deshalb beschließt er, eine Bank auszurauben. Doch dann muss er leider feststellen, dass die Bank bereits ausgeraubt worden ist, von offizieller Stelle, von den Beamten. Und dann beraubt er die Beamten. ... so he robs the officials. Autorin Der Held in "Metro" taumelt von einer ausweglosen Situation in die nächste. Einziger Lichtblick ist die Journalistin Dinah, die im Verlauf des Comics während einer Demonstration gegen die Regierung Mubaraks von Polizisten angegriffen und verletzt wird. 13. O-Ton Magdy - Sprecher Demonstration was turning point in Metro ... Tatsächlich ist diese Demonstration von fundamentaler Bedeutung in "Metro". Sie wurde zu einem Wendepunkt im Leben aller Protagonisten. Es gab zu dieser Zeit - 2005, 2007 - diese kleinen Demonstrationen, als Mubarak seinen Sohn zu seinem Nachfolger machen wollte, gegen diese ganzen miesen Ungerechtigkeiten. Und zu dieser Zeit tauchten auch die ersten Blogger auf. Ich dachte, mein Gott, wie unglaublich! Diese ganzen Journalisten hier sind doch nichts als Heuchler, und auf einmal, wie aus dem Nichts, tauchten da diese Menschen auf, die sich so frei, so mutig, so verwegen äußerten. Sie kamen mir vor wie neues Blut, wie gute, reine Luft ... That was like a new blood, like a smell of the air. Autorin: Die erste Auflage von "Metro" war fast vergriffen, als El Shafees Comic im April 2008, ein Jahr nach Erscheinen, vom ägyptischen Staat konfisziert wurde. Buchhändler mussten ihre Exemplare aus den Regalen nehmen, der Titel wurde aus der Liste lieferbarer Bücher gestrichen, und der Zeichner und sein Verleger wurden wegen "Verletzung der öffentlichen Moral" angeklagt. Die Schilderungen der politischen und sozialen Missstände in "Metro" waren der Regierung zu eindeutig. Dass Magdy El Shafee in seiner Graphic Novel außerdem noch nackte Menschen gezeichnet hatte, kam der Anklage nur gelegen. Der Fall "Metro" machte Schlagzeilen, Blogger auf der ganzen Welt schrieben über das Verbot des Comics. Wieder ein Jahr später, im April 2009, kam es zur Gerichtsverhandlung. Autor und Verleger wurde wegen der Verbreitung sittengefährdender Schriften der Prozess gemacht und beide erhielten hohe Geldstrafen. Magdy El Shafees Graphic Novel blieb weiterhin verboten. Doch die Frühjahrsrevolution hat die Dinge ins Rollen gebracht. Das Ausland hat die Ägypter entdeckt, durch die beeindruckenden Bilder des Widerstands im Frühjahr 2011, und hat dabei auch entdeckt, dass diese Revolution eben nicht aus dem Nichts kam. Der New Yorker Henry-Holt-Verlag hat sich die Übersetzungsrechte von "Metro" gesichert, diesem, wie es heißt, "vorausschauenden Porträt eines bröckelnden Regimes und beeindruckendem Zeugnis der Sehnsucht nach einer besseren, freieren Zukunft". Voraussichtliches Erscheinungsdatum der amerikanischen Ausgabe ist Sommer 2012. Atmo Frühjahrsrevolution auf dem Tahrir-Platz 14. O-Ton Ute Reimer Was sich natürlich auch verändert hat, das sind Graffitis, die ja zum Teil ja wirklich schön sind. Es gab vorher in Kairo, und das kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen, es gab kein einziges Graffiti. Es war nirgendwo etwas an die Wand geschrieben, an die Mauer gepinselt, ein Spruch, Tag, irgendwas, nichts. Es ist ja hier auch die soziale Kontrolle unheimlich groß. Sie sind keine Sekunde unbeachtet und auch nachts nicht. Da sitzt immer irgendwo einer und kuckt. Und das gehört sich nicht, das ist einfach unmöglich, dass man an eine Mauer, die einem nicht gehört, irgendwas hinschreibt. Das ist schon eine Art von Tabu gewesen. Autorin Natürlich gab es auch unter Mubarak grelle Werbeplakate überall im Straßenbild. Doch mit der Revolution setzt eine tatkräftige, individuelle, auch kritische Gestaltung des öffentlichen Raums ein. Auf einmal finden sich überall in Kairo Slogans, Bilder, Tags, Graffiti - an Brücken, Wänden und öffentlichen Gebäuden. Sogar Bäume und Bordsteine werden in den ägyptischen Farben Rot-Weiß-Schwarz bemalt. Das Lieblingsgraffiti von Ute Reimer befindet sich an einer Kairoer Bushaltestelle. 15. O-Ton Reimer Oben eine runde Tafel, wofür die ist, das weiß ich nicht. Auf jeden Fall ist da draufgesprüht, mit Schablone, ein Abschleppwagen, der einen Panzer auf den Haken nimmt. Und das ist das normale Zeichen, das findet man, der Abschleppwagen, der einen PKW auf den Haken nimmt, wo man nämlich nicht parken darf. Und da schleppt er diesen Panzer ab, und das finde ich einfach köstlich. Autorin Wer selber denken will, will auch selber gestalten, so scheint es. Und noch überlebt die optische Vielfalt im Stadtbild, gibt es keine Gegenbewegung, die saubermacht, die vielen neuen Meinungen, Äußerungen, Proteste übertüncht und auslöscht. Atmo - Straßenlärm und Muezzingesang Autorin Im Oktober 2011 reist Barbara Yelin für den zweiten Teil des Workshops nach Kairo. Die meisten Teilnehmer haben ausgearbeitete Comic-Seiten vor sich auf dem Tisch liegen, einige zeichnerisch sehr frei, andere akkurat getuscht. Die gestalterischen Vorbilder der ägyptischen Zeichnerinnen und Zeichner seien die franko-belgischen und die amerikanischen Comics, erklärt Barbara Yelin. Durch das Ornamentale der arabischen Schrift entstehe jedoch in allen Arbeiten eine ganz eigene Bildsprache und Bilderwelt. 16. O-Ton Yelin Walid Taher arbeitet da besonders damit. Der hat die Schriftzeichen für Revolution - saura - in ganz vielen Cartoons immer wieder neu verwendet und baut wirklich mit diesen Schriftzeichen Bilder. Das Wort wird dann, zum Beispiel, zu einem Fahrrad. Fahrrad für ihn ein Bild der Revolution. Oder es wird zu einem riesigen Knäuel von Verwirrung, wo jemand drüber sitzt und sich dieses Verwirrungsknäuel ansieht, wo letztlich einfach nur ein Fragezeichen drinsteht. Autorin Seit April 2011 hat sich die politische Situation in Ägypten sehr verändert. Hosni Mubarak ist entmachtet, doch dafür sind die alten Garden des Militärs mächtiger denn je. Der herrschende Militärrat hat seit dem Frühjahr 12 000 Menschen inhaftiert, zumeist junge Blogger und andere Regimekritiker. Bereits im Oktober, noch vor den Parlamentswahlen, wird deutlich, dass es den unabhängigen Parteien an Struktur und Erfahrung fehlt. Die Muslimbrüderschaft hingegen ist gut organisiert und in Ägypten seit über zwanzig Jahren politisch aktiv. Vor allem die jungen Menschen, die im Januar und Februar 2011 die treibende Kraft auf dem Tahrir-Platz waren, sind frustriert und wütend. 17. O-Ton Yelin So ein Gefühl, das sich auch richtig über einen legt. Dass man das Gefühl hat, es wird so viel in die Irre geführt von irgendwelchen Stellen, die nicht richtig klar sind. Dass die Militärführung einfach die Macht nicht aufgeben will. Das ist theoretisch klar, praktisch drückt es sich irgendwie nur aus, dass man die Zeitungsmeldungen liest und sich denkt, wie ist denn das jetzt? Wie war das denn wirklich? Diese Entflechtung der Neuigkeiten, wo wirklich alle versuchen, was rauszukriegen. Aber das ist so wenig transparent. Und ich glaube, das muss nagend und frustrierend sein, wenn man gerade so eine Revolution gestemmt hat. Atmo Workshop Herbst "... where is Aymen ..." Autorin Die Workshopteilnehmer sprechen über die gezeichneten Seiten, den Fortgang ihrer Revolutionsgeschichten. Die Euphorie des Anfangs ist noch spürbar. Der Wille, das eigene Leben endlich selbst in die Hand zu nehmen. Sich eine eigene Meinung zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen zu bilden und weiterhin an die Möglichkeit einer Veränderung zu glauben. Doch immer wieder ist die undurchschaubare politische Lage Thema und auch die akute Bedrohung der Presse- und Meinungsfreiheit im Land. Einer der Zeichner spricht es aus: Er wolle gewisse Inhalte lieber metaphorisch darstellen. Vor einigen Tagen sei schon wieder ein Blogger im Gefängnis gelandet, der im Netz den herrschenden Militärrat kritisiert hatte. 18. O-Ton Aymen - Sprecher we all feeling bad now, feeling there is no hope ... Noch immer ist die Situation unerträglich, haben wir keine Hoffnung. Wir haben diese ganze Revolution gemacht, in der Menschen gestorben sind, viele Dinge passiert sind, und Mubarak ist am Leben. Wir stecken noch immer in der alten Misere. ... but we are still in the same dirty ways. Autorin Auch in der Arbeit, die Aymen Zorkany vorstellt, ist die Enttäuschung über den Verlauf der Geschehnisse spürbar. Nach der Revolution sei der ganze Unrat aus der Kanalisation ans Licht gekommen, sagt der 24-jährige Illustrator aus Kairo. 19. O-Ton Aymen - Sprecher Wie vorher auch akzeptieren diese Menschen mit ihren radikalen Ansichten keine andere Meinung. Bis zu diesem Teil in meinem Comic gibt es also für die Leser keine Hoffnung. Doch am Ende zeige ich, dass es doch Hoffnung gibt: Der Held meiner Geschichte hat eine Beziehung mit einem Mädchen, dann trennen sie sich. Doch im dritten Teil zeige ich diese Unterhaltung mit dem Taxifahrer. Der Held ist ein guter Typ, einer von den Aktivisten, er weiß sehr gut Bescheid. Und der Taxifahrer ist ein ganz normaler Mensch. Er hat seine Informationen aus dem Fernsehen, hört den Leuten zu, was sie reden. Doch jetzt, nach der Revolution, versucht er, sich eine eigene Meinung über die Dinge zu bilden. Die beiden unterhalten sich und jeder gibt dem anderen Hoffnung. Und am Ende der Taxifahrt sendet unser Held seiner Freundin eine SMS mit einem Smiley. ... sends to his girlfriend smile face. Autorin Der Protagonist auf den skizzierten Seiten sieht ein wenig wie Aymen Zorkany selbst aus. Es hat etwas Anrührendes, dass seine Geschichte trotz aller Zweifel, aller Enttäuschung mit einem Lichtblick endet. Und das gilt nicht nur für seinen Comic. 20. O-Ton Yelin: Ich fand schon spannend, dass alle ein Ende gebaut hatten, was Hoffnung verspricht, eine ganz kleine Hoffnung, aber das hatten alle drin. Autorin Dass ein so kolossales historisches Ereignis auch erdrücken kann, wird im Oktober- Workshop von RevolutionsComics sehr deutlich. Offene Geschichten finden sich immer weniger. Barbara Yelin ist erstaunt, wie sehr es den meisten Zeichnern um eine Erzählung mit einer Moral oder einer Botschaft geht. Um eine perfekt ausgearbeitete, endgültige Form für die Geschehnisse. Als sei in dieser neu entdeckten Welt der Bilder noch kein Platz für das Individuum. Als müsse die gewonnene Freiheit auf jeden Fall einer größeren Sache dienen. 21. O-Ton Yelin Ich fand es interessant, dass der subjektive Blick auf Geschehnisse, wie zumindest ich es wirklich interessant fand - was ist der subjektive Blick der Teilnehmer, jetzt, auf die Geschehnisse -, dass das was war, was für die teilweise eher fremd war. Sobald wir angefangen haben zu arbeiten, hat sich das ganz oft verwandelt in eine Art Geschichtsschreibung mittels Comic, teilweise fast wie Heldengeschichten: Wir möchten gerne festhalten, was passiert ist und wem das zu verdanken ist. Aber das hat sich eben ganz oft dann abgekoppelt von dem persönlichen Blick, was ich schade fand. Was aber ein Prozess zu sein scheint, der der Sachlage einfach immanent ist. Autorin Auch Mona Ahmed, die jetzt das fertige Storyboard ihres ersten Kapitels präsentiert, hat ihr Anfangsvorhaben etwas verändert. Statt die Revolution aus der persönlichen Sicht verschiedener Beteiligter darzustellen, zeigt sie jetzt die Geschichte des Ägypters Abdo Abelmonem, der Mitte Januar 2011 vor dem Kairoer Parlamentsgebäude versucht hat, sich selbst zu verbrennen. Einen Monat nach der Selbsttötung von Mohamed Bouaziz in Tunesien. In ihrem Comic wird Abelmonems Tat zum Zeichen dafür, dass sich auch in Ägypten eine Explosion - die Revolution - ereignen wird. 22. O-Ton Mona Ahmed The people were in anger all the time ... Die Menschen waren schon seit langem so wütend, aber niemand ging damit an die Öffentlichkeit. Mit seiner Tat sagte er voraus, dass auch in Ägypten bald eine Explosion stattfinden wird. ... explosion will happen soon. Autorin Sie wolle Abelmonem mit ihrer Comic-Geschichte ein Denkmal setzen, erklärt die junge Ägypterin. Atmo Berliner U-Bahn Autorin Ende 2011: Barbara Yelin ist zurück in Berlin. Die Teilnehmer haben sich nach dem Workshop im Herbst zu einer geschlossenen Facebook-Gruppe verabredet. Auf diesem geschützten Terrain stellen sie sich gegenseitig ausgearbeitete Seiten, geänderte Konzeptionen vor, diskutieren neueste Nachrichten. Hier erfährt Barbara Yelin von Magdy El Shafee, dass er bei den heftigen Auseinandersetzungen während der Parlamentswahlen angeschossen worden sei, ganz in der Nähe des Tahrir-Platzes, doch mittlerweile gehe es ihm wieder gut. Der Kampf um ein demokratisches, freieres Ägypten geht weiter. Auch der Kampf um die Bilder. Immer seltener berichtet das westliche Fernsehen von den regelmäßig stattfindenden Auseinandersetzungen zwischen ägyptischen Demonstranten und der Übergangsregierung. 23. (24.) O-Ton Yelin Wir treffen uns wieder im April, so ist es geplant. Haben schon einen Workshop mit Datum festgelegt, bis dahin haben alle Zeit, dran zu arbeiten. Was dabei rauskommt, liegt im Prozess, liegt an dem, was die einzelnen Teilnehmer da für sich rausholen können und wollen, liegt letztendlich aber auch daran, wie es in Ägypten weitergeht, ganz sicher. Autorin Begonnnen haben die RevolutionsComics im ersten Überschwang der Post- Mubarak-Ära. Doch dass die Revolution abgeschlossen oder gar geglückt sei, glaubt niemand mehr in Ägypten, und selbst der Begriff der ägyptischen Revolution wird mittlerweile von mehreren Seiten für sich in Anspruch genommen und gedeutet. Nach den sehr gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen aufständischen Jugendlichen und der Kairoer Polizei im Dezember, mit 10 Toten und 500 Verletzen, macht der ägyptische Premier Kamal al Ghansuri die Konterrevolution und ausländische Agenten für die Gewalt auf dem Tahrir-Platz verantwortlich. Bei den Parlamentswahlen, die sich von vergangenem November bis Ende Februar hinziehen, sehen sich die liberalen und revolutionären Kräfte in allen Provinzen nicht nur, wie erwartet, von den Muslimbrüdern, sondern auch von den fundamentalistischen Salafisten überrundet. 24. (25.) O-Ton Yelin Ich bin gespannt, was an großen Geschichten dabei rauskommt. Also, ich denke schon, was man jetzt gesehen hat, da könnten wirklich spannende Arbeiten rauskommen. Die sicher aber noch längere Zeit brauchen. Wirklich von Leuten, die dabei waren und die das auf eine unmittelbare Art aufzeichnen. Toll! Also da würde ich mich natürlich immens freuen. Autorin Im April wird Barbara Yelin zum Abschluss des Workshops noch einmal in Kairo sein. Geplant ist die Herausgabe der fertigen Comic-Geschichten in einem Buch. Auch eine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Comicsalon in Erlangen im Juni 2012 steht bereits fest, der Schwerpunkt des größten deutschen Comic-Festivals soll die arabische Welt sein. Einige der Workshop-Teilnehmer werden aus diesem Anlass nach Deutschland reisen, und auf jeden Fall werden die gesammelten RevolutionsComics in Erlangen zu sehen sein. 25. (26.) O-Ton Yelin Als ich im April da war, da hab ich das einmal gesagt. Da meinte ich zu denen: Wisst ihr eigentlich, ihr seid grade am Platz, wo was ist. Ihr seid auch Hoffnungsträger für die ganze Welt im Moment. Und ihr seid die, die das jetzt erzählen können. Wisst ihr das eigentlich? Die haben mich teilweise total erstaunt angeschaut und meinten, meinst du wirklich? Ja, wisst ihr das nicht? Und da meinte einer so, ja, doch, stimmt eigentlich! ENDE 1