COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft 30.6.2011 - 19.30 Uhr Elektroden im Kopf - Wie Hirnschrittmacher in der Therapie eingesetzt werden Autorin: Christine Werner Schrille Töne/Musik O-Ton 1 Helmut Dubiel Gemerkt habe ich es an vielfältigen Symptomen. Das ich meinen Arm, meine Schulter sich nur noch langsam bewegt, dass die Uhr sich nicht mehr auflud, die einen Bewegungsmechanismus hat. Dass ich nuscheliger sprach, dass ich merkwürdige körperliche Sensationen (stottert) hatte. Sprecherin Helmut Dubiel erfuhr 1992, dass er an Parkinson erkrankt ist. Da war der Soziologieprofessor 46 Jahre alt, hielt Vorträge, veröffentlichte Bücher und wollte gerade die Leitung des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt übernehmen. Die Diagnose ein Schock. Sie katapultierte ihn aus seinem bisherigen Leben. Schrille Töne/Musik Sprecherin Seine Motorik war mehr und mehr gestört, auf jede Bewegung musste er sich konzentrieren. Anfangs halfen noch die Tabletten, die Parkinsonkranke einnehmen, dann jedoch wurde alles schwieriger. Die Symptome waren immer heftiger geworden, die Medikamente hatten mit der Zeit ihre Wirkung verloren. O-Ton 2 Helmut Dubiel Ich war so geprägt von der Krankheit, kurz vor der Operation, dass ich mir sagte, ganz egal, was draus wird, ich will es jetzt versuchen, ich kann mich umbringen, ich kann mich operieren lassen, das Operieren ist immer noch das Beste. Sprecherin 2003, elf Jahre nach Diagnose, entschied sich Helmut Dubiel für eine Operation. Mit der Tiefenhirnstimulation, besser bekannt als so genannter Hirnschrittmacher, sollten die Symptome gelindert werden. Die ersten Operationen an Parkinson-Patienten waren gut verlaufen, die Ärzte waren euphorisch. Helmut Dubiel wurde in dieser euphorischen Phase operiert. Atmo MRT Tuten O-Ton 3 Volker Sturm, kurz "Schwester Gudrun noch mal, 8,5 das Ypsilon, 62 und 18,1. Ja, genau. Gut. Bitte. Schwester Gudrun die Nadeltiefe ist 178,2. Was ist denn errechnet? 178,3." Atmo, Gespräch mit Schwester... (Atmo weiter unter Sprecherin) Sprecherin Kölner Uni-Klinik, ein Operationssaal im Untergeschoss, das künstliche Licht ist hell, medizinische Apparate und Maschinen brummen laut. An einem Tisch steht Professor Volker Sturm, einer der renommiertesten Hirnchirurgen weltweit. Auf dem Tisch steht ein halbrundes Gestell mit verschiebbaren Führungsschienen, der so genannte Stereotaktische Rahmen. An diesem stellt Volker Sturm Werte ein, die vorher am Computer, in vier Stunden langer Feinarbeit, exakt berechnet wurden. Diese genaue Vorbereitung ist die Grundlage für das Einbringen der Elektroden ins Gehirn. Atmo Operation / Computer Sprecherin Mit Röntgenaufnahmen, Computer- und Kernspintomographie wird zunächst ein dreidimensionales Abbild des Gehirns erstellt. An diesem Abbild testen die Ärzte den Weg der Elektroden ins Gehirn, nur so lässt sich der korrekte Stichkanal bestimmen. Es dürfen schließlich keine wichtigen Areale und keine entscheidenden Nervenbahnen im Gehirn verletzt werden. Gleich wird Volker Sturm einem Patienten die Sonden einsetzen. O-Ton 4 Volker Sturm Der Patient wurde ständig von Muskelkrämpfen, die den ganzen Körper betroffen haben, gequält, also sein Oberkörper wurde nach hinten gezogen, so dass er ständig völlig verkrümmt stand. Sprecherin Der 57-jährige Patient, der heute operiert wird, leidet an Dystonie, einer Krankheit, bei der ganze Muskelgruppen verkrampfen. Sprecherin Jetzt liegt der Mann in Vollnarkose auf dem Operationstisch, sein Kopf ist fixiert, in einem silbernen Rahmen, der an einen Schraubstock erinnert. Volker Sturm beginnt mit der linken Kopfhälfte, hier wird er die erste Elektrode einführen. Atmo OP Sprecherin Von den Elektroden im Kopf wird am Ende der Operation ein Kabel unter der Haut zu einem Schrittmacher geführt, der in einer ersten Operation unter das Schlüsselbein gesetzt wurde. Dieser Schrittmacher sendet dann über das Kabel Stromimpulse in die Region des Gehirns, wo die Elektroden sitzen. Allein der Schrittmacher und die Elektroden kosten 17-Tausend Euro, die gesamte Operation etwa 30-Tausend Euro. O-Ton 5 kurz Gespräch im OP-Saal: "Können Sie aufschreiben, Nadeltiefe ist 179,5. 179,5 - errechnet ist 180. Ja, ja." (Summen, Geräte klappern) Sprecherin Sieben Zentimeter unter der Schädeldecke liegt in diesem Fall das "Zielgebiet", das durch die Elektroden stimuliert werden soll. Es ist zwei mal zwei mal sieben Millimeter groß. Eine unspektakuläre Operation eigentlich, ohne großes Risiko, sagt der Arzt. O-Ton 6 Volker Sturm Jede Hirnoperation hat natürlich ein Risiko, wenn sie einen Tumor operieren nicht, dann kann was dabei passieren, auch jede Blinddarm-Operation hat ihr Risiko. Die Stereotaktischen Verfahren, die wir anwenden, sind extrem schonend, das Risiko ist minimal, aber Null ist es nicht. Und das müssen die Patienten wissen und das Schlimmste, was passieren kann ist, das eine Blutung entsteht, dass ein Gefäß verletzt wird, dieses Risiko kann man nahezu gegen Null bringen, aber es wird niemals Null sein. Sprecherin Mit der Tiefenhirnstimulation werden heute Bewegungsstörungen wie Parkinson, Dystonie und der essentielle Tremor behandelt. Darüber hinaus gibt es erste klinische Studien bei Patienten mit Epilepsie und Zwangskrankheiten, bei schwerst Depressiven und Suchtkranken. Die ersten Ansätze der Therapie entwickelten sich bereits um 1950 aus zerstörenden Eingriffen im Bereich des Thalamus und des Mittelhirns bei Parkinson- Patienten. Als Ende der Sechzigerjahre Tabletten gegen das Zittern auf den Markt kamen, rückten operative Methoden in den Hintergrund. Mit der Entwicklung schonender, nichtdestruktiver Medizintechnik und der Erkenntnis, dass die Wirkung der Tabletten mit der Zeit nachlässt, wurden operative Therapien wieder interessant. Die größte Erfahrung haben die Ärzte mit Parkinson. Seit Mitte der 1990er Jahre wurden weltweit rund 50-tausend Hirnschrittmachern eingesetzt, davon etwa 40-tausend bei Parkinson-Patienten. Atmo OP / Sauger, Klemmen, Saugergeräusch Sprecherin Volker Sturm setzt sich an den Kopf seines Patienten. Er nimmt das Skalpell, schneidet eine präzise Linie, schiebt die Kopfschwarte zur Seite. Dann legt er die Stelle für das Bohrloch frei, kratzt Knochenhaut vom Schädelknochen weg - und setzt den Bohrer an. Atmo OP / Bohrer Sprecherin Sechs bis sieben Millimeter ist ein Schädelknochen dick. Vorsichtig zieht Volker Sturm den Bohrer wieder heraus. In der linken Kopfhälfte des Patienten ist jetzt ein acht Millimeter großes Loch. Es wird mit modernster Technik gearbeitet, die extrem kleine Schnitte ermöglicht. Atmo OP / Bohrer Sprecherin Die Elektroden gelten als unbedenklich, weil dabei im Gehirn Nichts zerstört wird. Prof. Karl Kiening, Sektionsleiter für Stereotaktische Neurochirurgie an der Uniklinik Heidelberg. O-Ton 7 Karl Kiening Den Punkt muss man explizit noch mal unterstreichen, weil natürlich in der Vergangenheit immer mit so genannten destruierenden Verfahren gearbeitet wurde. Also man hat eine Sonde in das Gehirn vorgeschoben, hat Strom gegeben und hat gewisse Zielgebiete koakuliert, sprich verkocht. Das war irreversibel und natürlich waren dann auch Nebeneffekte, die aufgetreten sind, irreversibel. Ganz davon abzugrenzen ist eben die Tiefenhirnstimulation. In der Tat ist es ein reversibles Verfahren, sie ziehen die Elektrode raus oder sie schalten den Strom ab, den Stromfluss ab, damit tritt der eigentliche Urzustand wieder ein. Atmo OP / Lötgeräusche Sprecherin Beim Aufbohren der Schädeldecke wurden kleine Blutgefäße verletzt, Volker Sturm verödet sie mit einem Laser. Seine Bewegungen sind ruhig und präzise. Volker Sturm war einer der Ersten, der Kranke mit Zwangsstörungen operierte. O-Ton 8 Volker Sturm Gerade in der Psychiatrie gibt es ja sehr viele Persönlichkeitsstörungen, die behandelt werden sollten, weil sich die Menschen schlecht fühlen, weil es denen schlecht geht. Aber bei denen kommt auf gar keinen Fall eine Operation in Frage, auch keine Schrittmacher- Implantation. Also ich würde nie eine Operation durchführen, die nun die Persönlichkeit eines Menschen verändern würde oder deren Ziel die Veränderung der Persönlichkeit wäre. Sprecherin Volker Sturm setzt nun das halbrunde Gestell auf den Rahmen am Schädel des Patienten. Über die Führungsschiene führt der Chirurg einen dünnen Schlauch ein, der den Weg vorbahnt. Schließlich schiebt er die erste Elektrode tief ins Hirn. Atmo MRT Tuten Sprecherin Bei Parkinson arbeiten die Zellen in bestimmten Hirnregionen krankhaft synchron, die Hirnzellen feuern im Gleichtakt. Das hat fatale Folgen: Übermäßig synchrone Zellen verursachen Chaos im Gehirn. Mit der Tiefenhirnstimulation wird nun versucht, in den kranken Hirnregionen wieder eine natürliche, nicht synchrone Zellaktivität zu erzeugen. Bei Epilepsie kommt die krankhafte Synchronität der Zellen in Schüben. O-Ton 9 Peter Tass Bei der Epilepsie ist es anders als beim Tremor, beim Zittern oder beim Parkinson nicht so das dauerhaft synchrone Aktivität da ist, es wird noch immer nicht beliebig gut verstanden, wie und wann übermäßig synchrone Aktivität da ist. Sprecherin Professor Peter Tass, Mediziner und Mathematiker am Forschungszentrum Jülich. O-Ton 10 Peter Tass Nichts desto trotz denke ich, das hier eine große Chance insofern besteht, dass man halt zum Beispiel die Verbindung des Netzwerkes runterregelt, so dass das Netzwerk eine so derartig übermäßige Synchronisation überhaupt gar nicht mehr leisten kann. Sprecherin Die Stromstöße des Hirnschrittmachers beeinflussen die Überaktivität der Zellen. Wie genau dies passiert, wissen die Mediziner nicht. Vermutlich hemmt der Strom die überaktiven Nervenzellen und blockiert so ihr Störfeuer. Gleichzeitig kann er aber auch benachbarte Hirnareale ungewollt reizen. O-Ton 11 Peter Tass Die Mitreizung von benachbarten Arealen ist eine typische Quelle von Nebenwirkungen. Je nachdem, wo Elektroden implantiert werden, kann man dann die entsprechenden Nachbar- Areale mitreizen und das kann dann zum Beispiel zu Sprechstörungen führen, oder das kann zu auch visuellen Halluzinationen führen, zu schmerzhaften Missempfindungen auf der Haut. Und deshalb ist es von vorneherein wichtig, dass man mit möglichst wenig Strom auskommt. Um einfach die Wahrscheinlichkeit, dass benachbarte Areale mitgereizt werden zu verringern. Atmo schrille Musik O-Ton 12 Helmut Dubiel Alles war gesagt worden, dass ich solche Schwierigkeiten für eine Woche oder für zwei Wochen kriege und dass dann alles wieder in Ordnung kommt. Und dass ich ungefähr um acht Jahre jünger werde in meiner Krankheitsbiographie. Und über diesen Schock, dass das alles nicht eintrat, dass alles viel schwieriger wurde, war ich in der Klinik schon so traumatisiert, dass ich nicht darüber reden konnte. Ich konnte nicht mehr über mich reden. Ich hatte das Gefühl gehabt, wenn ich die Wahrheit sage, löse ich mich auf. Sprecherin Helmut Dubiel hat vor der Operation über Risiken nicht nachgedacht, er hat fest daran geglaubt, dass alles gut geht. Dass sein Leben fortan von Nebenwirkungen erschüttert wird, damit hatte er nicht gerechnet. O-Ton 13 Helmut Dubiel Ich habe nicht mehr konzentriert lesen können, konnte nicht mehr schreiben, konnte auch physisch nicht mehr schreiben. Ich konnte meinen eigenen Namen nicht mehr schreiben, die Bank anerkannte meine Schecks nicht mehr, weil die Unterschrift sich so verändert hatte. Darauf war ich nicht vorbereitet worden. O-Ton 14 Karl Kiening Als es begonnen hat mit dem Parkinson interessant zu werden, da war das Zielgebiet der Nukleus Subthalamicus. Am Anfang war man sehr enthusiastisch und hat gesagt ein tolles Zielgebiet, was es auch sicher ist, hat sehr viel implantiert, hat dann aber doch über die Zeit festgestellt, dass es doch Kontraindikationen gibt, die man beachten muss, um gute klinische Ergebnisse zu haben. Sprecherin Professor Karl Kiening erklärt die Entwicklung. O-Ton 15 Karl Kiening So dass man von diesem initialen Enthusiasmus doch ein bisschen abgekommen ist, heute die Indikation deutlich vorsichtiger, sicherlich auch besser und sicherer stellt, damit man dann auch gute Behandlungsergebnisse erzielen kann. Aber natürlich diese breite Indikationsstellung wie sie mal war, die gibt es heute nicht mehr beim Parkinson. Sprecherin Zu Beginn hat man große Hoffnungen in die Therapie gesetzt. Die Ärzte sahen darin für viele Betroffene eine Chance auf bessere Lebensumstände. Aber nicht jeder, der Parkinson hat, ist ein guter Kandidat für einen Hirnschrittmacher, sagt Karl Kiening heute. Bei Helmut Dubiel beeinflusst der Strom des Schrittmachers vor allem die Sprache. O-Ton 16 Helmut Dubiel Es ist ganz plötzlich aufgetreten nach der Operation, wo ich dann ganz extreme Sprachschwierigkeiten hatte, was üblich ist nach der Operation- bei mir war nur das Problem, dass die Sprachschwierigkeiten blieben. Sprecherin Mit einer Fernbedienung kann er den Schrittmacher ein- und ausschalten. Lange Zeit konnte er ohne Strom besser sprechen, mit funktionierte die Motorik besser. O-Ton 17 Helmut Dubiel Ich habe es ständig an und bin einfach auch müde geworden, von dem ständigen Zwang damit zu hantieren. Das auch befremdet die Leute so, wenn man vor ihren Augen sich so ne Maschine aufs Herz hält und den Schrittmacher anders manipuliert. Ich habe lange Zeit auch Lust empfunden bei dieser merkwürdigen Prozedur, aber inzwischen weiß ich, dass es die Leute nur entsetzt. So ein Frankenstein-Motiv, man hat so eine kleine Maschine, mit der man sich dann plötzlich in Form schalten kann. Schrille Töne/Musik Sprecherin Wurden in der ersten Euphorie zu viele Patienten operiert? O-Ton 18 Karl Kiening Retrospektiv ist das sicherlich so zu bewerten, weil man mit dieser Methode anfangs nur nach den Besserungen auf der motorischen Seite geguckt hat, die vorhanden war. Aber die ganze Palette der negativen Nebenwirkungen erst mit genauerer Untersuchungstechnik herausgefunden hat und von daher, das war einfach eine Lernkurve, die man da absolviert hat. Es war eine bittere Lernkurve, aber im Vorfeld nicht anders zu detektieren. Sprecherin Um die Nebenwirkungen einzudämmen haben Peter Tass und Volker Sturm einen neuen Hirnschrittmacher entwickelt, der im November 2010 zum ersten Mal eingesetzt wurde. Dieser hat nicht mehr vier sondern acht Kontakte an jeder Elektrode. Damit sollen die Areale im Gehirn genauer angesteuert werden, die Sonden sollen effizienter und schonender arbeiten. O-Ton 19 Peter Tass Wir versuchen ja gerade auch, möglichst defensiv anzugreifen mit unseren Verfahren. A us folgendem Grund, in diesen Zielgebieten gibt es nicht nur Neuronen, die für Motorik zuständig sind, sondern in manchen Zielgebieten ist zum Beispiel ein Drittel für Motorik zuständig, ein Drittel für Emotion, ein Drittel für Kognition. Wenn man stimuliert, beeinflusst man immer den gesamten Menschen, deshalb ist es eine Maxime möglichst zurückhaltend, möglichst defensiv und nicht eben allzu aggressiv zu interagieren. O-Ton 20 Dubiel Ich glaube, ich mache mir gar nicht klar, wie entsetzlich das ist. Dass man so elementarste Dinge wie sprechen können, reagieren können, dass man dazu eine Maschine braucht, die man vorher programmieren muss. Das ist ja auch so, ich war ja auch vorher ganz naiv, als wenn ich selbst Hirnforscher wäre, nur kann ich es nicht so ausdrücken, dass das Hirn ein lebender Organismus ist. Ich meine, es gibt keine Einstellungen, die ein für alle mal garantieren, dass man gut sprechen kann, oder dass man depressiv ist oder fröhlich. Alles wechselt auch ständig. Entsetzlich ist das. Sprecherin In neuen Studien heißt es, dass die Tiefenhirnstimulation vor allem auf die Steigerung der Lebensqualität abziele. Und, dass in der Abwägung zwischen Nebenwirkungen und Nutzen, die Wiedergewinnung motorischer Fähigkeiten nicht von allen Patienten als Verbesserung der Lebensqualität empfunden wird. Fünf Jahre nach der Operation kämpft Helmut Dubiel noch mit den Folgen der OP und verzweifelt an seinem Zustand. O-Ton 21 Helmut Dubiel Dass man das nicht mehr kann, so die elementarste Fähigkeit: Nach einem Vortrag über Dinge zu reden, das ich das einem Regime unterwerfen muss, einer Maschine. Das war auch eine unglaublich narzisstische Kränkung, die fast eine neue Krankheit darstellt. Sprecherin Speziell die Stimulation des Nukleus Subthalamicus bei Parkinson-Patienten hat häufig unerwünschte psychische Nebenwirkungen. Dem erbsengroßen Kern im Gehirn wird primär eine hemmende Wirkung auf die Motorik zugeschrieben. Da das Gebiet aber in andere Hirnareale eingebunden ist, hat die Tiefenhirnstimulation teilweise dramatische Folgen. Einzelfallstudien sprechen von Aggression, Apathie, Hypersexualität und Manie. Depressionen können sich verbessern, verschlimmern oder erstmalig auftreten. Eine Auswertung verschiedener Studien ergab, dass das Suizidrisiko im ersten Jahr nach der Operation drastisch ansteigt. O-Ton 22 Karl Kiening Also Patienten, die schon mal eine Phase der Depression hatten oder eine Phase der Manie, das Gegenteil der Depression, wenn man das weiß im Vorfeld, dann kann man a priori schon sagen, die sollte man im Nukleus Subthalamicus nicht stimulieren, weil von dieser Seite wiederum entsprechende Nebenwirkungen zu erwarten wären. O-Ton 23 Helmut Dubiel Ich habe, als ich den Schrittmacher hatte, und der offenbar falsch eingestellt war, als ein Arzt daran herummanipulierte und ich plötzlich eine Depression verlor, von der ich bisher gar nicht gewusst habe, dass ich sie hatte. Sprecherin In den Studien wird weiter zusammengefasst, "dass jeder der "Big Five", der fünf grundlegenden Persönlichkeitszüge: Extraversion, Neurozitismus, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für neue Erfahrungen durch die Operation bei einigen Patienten verändert worden ist." Trotzdem: Die Berichte von operierten Parkinson-Patienten, brachten die Ärzte erst darauf, dass die Tiefenhirnstimulation auch Depressionen lindern könnte. Etwa 15 Prozent der depressiven Patienten sprechen auf eine medikamentöse Therapie nicht an. Schrecklich für die Betroffenen. Der Hirnschrittmacher als letzte Alternative? Die Hürden sind hoch, die Patienten müssen "austherapiert" sein. O-Ton 24 Karl Kiening Ja das Hauptproblem, wenn man bei der Depression jetzt mal bleibt, ist sicherlich, dass man über die nächsten Jahre ein akzeptiertes Zielgebiet finden muss. Es stehen mehrer jetzt zur Auswahl, die mit unterschiedlichem Erfolg gemacht werden, und hier wird man sehen über die längere Zeit, welches sich herauskristallisiert. Man muss halt irgendwann den Sprung auch mal von den experimentellen Ansätzen hin zu einer etablierten Therapie kommen und die gibt es natürlich nur dann, wenn wir uns alle einig sind, dass dieses Zielgebiet wirklich mit einem sinnvollen Nutzen-Risiko-Verhältnis angehbar ist. Sprecherin Karl Kiening hat 2008 in Heidelberg einer schwer depressiven Patientin einen Hirnschrittmacher implantiert. Die Frau war seit ihrem 18. Lebensjahr erkrankt, sie hatte zwei Suizidversuche hinter sich. Weder Medikamente noch Elektrokrampftherapie brachten eine Besserung. O-Ton 25 Karl Kiening Wir in Heidelberg haben ein neues Zielgebiet, die so genannte Habenula Stimulation durchgeführt, die unserer Meinung nach extrem gut experimentell untersucht ist. Also wir versprechen uns, weil wir gute Daten aus der experimentellen Untersuchung haben, auch eine gute klinische Wirkung und die eine Patientin, die wir operiert haben, hat das auch bestätigt, in vollem Umfang muss man sagen. Die ist von einem praktisch nicht mehr therapierbaren Zustand in jetzt anhaltend gut, klinisch, und Zuhause und weit weg von der geschlossenen Anstalt, wo sie vorher war. Sprecherin An immer neuen Hirnarealen wird mit elektrischen Impulsen experimentiert. Die Tiefenhirnstimulation ist deshalb umstritten. Kritiker befürchten eine Art Wettrüsten des Gehirns. O-Ton 26 Karl Kiening Natürlich ist dieser Punkt jetzt im Bereich der Ethik von enormer Bedeutung. Ist man autorisiert hier einzugreifen? Und wie beeinflusst man die Persönlichkeit? Das sind natürlich ganz wichtige Fragen, die in Deutschland aber sehr differenziert betrachtet werden. Hier gibt es den nationalen Ethikrat, der sich damit beschäftigt, verschiedenen Institutionen, die jetzt überregional sich dieser Thematik intensiv zuwenden und hier muss man natürlich auch den Begriff des Enhancement einbringen. Enhancement bedeutet, dass man geistige Leistungsfähigkeiten zum Beispiel durch eine Tiefenhirnstimulation verbessern kann. So was liegt im Bereich des Möglichen, aber es muss hier ganz klar eine Abgrenzung getroffen werden, inwieweit schwer kranke Patienten behandelt werden und hier eine Therapie angeboten wird oder eigentlich nicht pathologische Eigenschaften des Gehirns noch verbessert werden. O-Ton 27 Reha-Klinik Godeshöhe Rollwagen Geräusch, dann: "Guten Morgen, comme stai? Laufen Sie mal für mich vor, ohne Rollstuhl, Sie sind ohne Rollstuhl gekommen. Tabletten haben Sie seit gestern Nachmittag nicht mehr genommen? Nee. Nehmen Sie Platz, ja das ist doch ganz gut, ist noch ganz gut." Sprecherin Reha-Klinik Godeshöhe bei Bonn. Vor sechs Tagen wurde der Parkinson-Patient Luigi Avenia operiert. Sein Kopf ist noch kahl, über den Bohrlöchern kleben breite Pflaster. Von dort verlaufen Kabel unter der Haut Richtung Schrittmacher. Vor dem 65jährigen Luigi Avenia sitzt der Neurologe Dr. Nils Allert. Er hält eine Art übergroße Fernbedienung mit Display in der Hand, damit kann jeder einzelne Pol an den Elektroden angesteuert werden. O-Ton 28 Nils Allert Also, wenn der Strom auf Strukturen ausgedehnt wird, die man nicht dauerhaft stimulieren möchte, dann kann das dazu führen, dass das Sprechen schlechter wird, dann kann das dazu führen dass die Augenbeweglichkeit gestört wird, dass zum Beispiel Doppelbilder auftreten, all dieses wollen wir vermeiden. Und wir wollen den Strom quasi so einsetzen, dass er keine Nebenwirkungen macht, aber diese Parkinsonbeschwerden verbessert. Sprecherin In kleine Stufen von je 0,5 Volt gibt Nils Allert Strom auf den Schrittmacher, stark genug, um die Symptome zu lindern und so schwach wie möglich, um andere Nervenbahnen nicht zu beeinflussen. Es gibt tausende von Einstellungen, die für jeden Patienten individuell festgelegt werden. O-Ton 29 Nils Allert Gucken Sie mal gerade aus immer fest auf diesen Ventilator.... Ja... ooh... Etwas verschwommen? .... Ja.... Also wenn man jetzt ganz genau auf das Auge guckt, dann sieht man einen ganz kleinen Sprung, den das Auge zur Seite macht, also wenn sie noch mal ganz fest da hinten auf den Ventilator gucken und wir konzentrieren uns hier auf dieses Auge, lassen Sie sich nicht irritieren .... Hat ein bisschen gewackelt, ja. Sprecherin Der Patient ist verwirrt. Etwas ist mit seinem Auge passiert. Nils Allert erklärt die Reaktion. O-Ton 30 Nils Allert In der Nähe der Elektrode verlaufen die Fasern von einem Augennerven, von einem Augenmuskelnerven und wenn man den mitstimuliert, dann kann man ein Auge quasi wegziehen, dann wischt das plötzlich nach innen ab oder nach oben ab und dann sieht er doppelt. Sprecherin Die Werte und Reaktionen dienen dem Arzt auch als Bezugsgröße für spätere Kontrolluntersuchungen. Wenn man in Zukunft bei dem Patienten auf diesen bestimmten Pol elektrische Spannung gibt, dann muss das rechte Auge verrutschen. Wenn nicht, ist die Elektrode verrutscht oder die Spannung hat sich verstellt. O-Ton 31 Nils Allert Können Sie sich mal hinstellen. Nach dem langen Sitzen mal durchstrecken, die Arme hängen lassen ... Dann werden wir mal rausgehen auf den Flur, um zu sehen wie das Gehen klappt.... (weiter unter Sprecherin) Sprecherin Nach eineinhalb Stunden ist die Grundeinstellung geschafft. In den kommenden Wochen wird die Programmierung der Elektroden und des Schrittmachers überprüft. Und es wird geklärt, ob der Patient weiter Tabletten einnehmen muss und wenn ja, in welcher Dosis. In vielen Fällen können die Medikamente nach der Tiefenhirnstimulation reduziert werden, nach Angaben der Ärzte im Schnitt um 60 Prozent. Danach müssen alle Patienten, so wie Luigi Avenia, alle drei Monate zur Kontrolle. O-Ton 32 Nils Allert Das sieht im Moment alles schon recht ordentlich aus. Vom eigenen Gefühl her, wie ist es da?" ... "Noch ein bisschen steife, aber sonst ist gut." O-Ton 33 Karl Kiening Ich glaube schon, dass in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren die psychiatrischen Indikationen, die sind, die sich etablieren werden, da bin ich fest davon überzeugt. Sprecherin Professor Karl Kiening, Sektionsleiter für Stereotaktische Neurochirurgie an der Uniklinik Heidelberg. O-Ton 34 Karl Kiening Depression, Sucht das wären die beiden großen Gebiete, wo ich denke, dass enorme Fortschritte erzielt werden können. Bei den Bewegungsstörungen sehe ich jetzt die große Entwicklung jetzt im Moment nicht mehr, allenfalls noch bei den Dystonien, dass man da noch eine bessere Datenlage bei einzelnen Subgruppen erarbeiten kann, aber die großen Erfolge, denke ich, werden im Bereich der Psychomodulation zu finden sein. Sprecherin Durch die Tiefenhirnstimulation soll vor allem die Lebensqualität der Patienten verbessert und die Einnahme von Medikamenten reduziert werden. Doch die Therapie schlägt sehr unterschiedlich an: Es gibt Patienten mit Zwangskrankheiten, die durch die Tiefenhirnstimulation wieder ein normales Leben führen können. Andererseits haben besonders Parkinson-Patienten oft mit Nebenwirkungen zu kämpfen, die die positiven Effekte relativieren. Und bei einigen wenigen Patienten bewirken die Elektroden überhaupt nichts. Nach den Erfahrungen speziell bei Parkinson wurden in einem Fachartikel Empfehlungen für die Operation ausgesprochen. Danach sollen Patienten auch über das Auftreten von schwer messbaren Nebenwirkungen, insbesondere Persönlichkeitsveränderungen, aufgeklärt werden. Und sie sollen dabei unterstützt werden, den möglichen Nutzen und die Risiken der Therapie für ihre individuelle Situation zu gewichten. Keine leichte Entscheidung für Patienten und Ärzte. O-Ton 35 Karl Kiening Also immer dann, wenn im kollegialen Team keine klare Diagnose und Sinnhaftigkeit erkannt wird, dann sollte der Chirurg natürlich komplett zurückhaltend sein und keine Operation durchführen. Es ist immer eine Teamfrage und man sollte solche entscheidenden Indikationen nicht alleine stellen. Ja, bei der Depression haben wir ja die betreuenden Psychiater, unabhängige Psychiater und alle müssen sich einig sein, dass dieser Patient wirklich einen so enormen Leidensdruck hat, dass er dieser Therapie guten Gewissens zugeführt werden kann. Das, glaube ich, ist das wichtigste für mich als klinisch tätigen Neurochirurgen, nicht aus eigenem Antrieb hier tätig zu werden. Sprecherin Helmut Dubiel lebt inzwischen acht Jahre mit dem Hirnschrittmacher, einen befriedigenden Umgang mit dem Gerät hat er bis heute nicht gefunden. O-Ton 36 Dubiel Immer wenn ich neu zu Ärzten komme, die mich zum ersten Mal sehen und die meine Krankenbiographie hören und wissen, dass ich jetzt bald 20 Jahre Parkinson habe, beschreiben mich als einen außerordentlich glücklichen Fall. Der innerhalb der Klientel der Parkinsonkranken sich sehr stabil gehalten hat. Und das sagen mir so viele, dass es offenbar so sein muss. Sprecherin Es ist formabhängig und zufällig, wann er damit klar kommt und wann nicht, sagt er. Er leidet noch immer unter den Sprachstörungen, die er seit der Operation hat. Seine Stimme ist noch etwas schwächer geworden. O-Ton 37 Dubiel Was nicht funktioniert ist vor allen Dingen das Sprechen, das hat eine erhebliche Beeinträchtigung erfahren, seit ich den Schrittmacher habe. Die Stimme wäre wahrscheinlich auch schlechter, alleine durch die Entwicklung von Parkinson. Stimmschädigungen sind ein übliches Symptom in der Spätphase. Und dennoch ich merke deutlich bis heute, dass die Stimme stärker ist, wenn das Gerät aus ist. Sprecherin Seine Lehrtätigkeit an der Universität Gießen hat der Soziologe vor zwei Jahren aufgegeben. Er sei nicht mehr er selbst, sagt Helmut Dubiel heute. In sein altes Leben hat er nicht zurückgefunden - und mit dem Neuen hadert er. O-Ton 38 Dubiel Es ist eine zwiespältige Bilanz. Ohne das Gerät ging es mir wahrscheinlich noch viel schlechter. Irgendwo muss es mir auch gut gehen, weil mein Leben in diesen Jahren seit der Operation sehr viel besser geworden ist. Ich bin verheiratet, ich habe wieder ein Kind bekommen, wir leben unter behaglichen Umständen, also irgendwo muss es ja auch zu was gut sein und das hat schon mit dem Schrittmacher zu tun, mit der allgemeinen Lebensverbesserung, dem Energiezuwachs, den ich bekommen habe dadurch. E N D E 1