Von Sieglinde Geisel Deutschlandradio Kultur:16.10.2012 Sendung: Literatur Redaktion: Barbara Wahlster Die riskante Kunst des Büchermachens. Wie überleben unabhängige Verlage in den USA? Atmo: Ugly Duckling Press, Druckmaschine Autorin: Bücher sind unberechenbar, daher gehört das Verlagswesen zu den riskantesten Branchen der Geschäftswelt. Wer mit Büchern Geld verdienen will, muss auf riskante Titel verzichten - diesem Prinzip folgen die großen Konzernverlage. Diese Umwälzung der Verlagswelt ist in den USA bereits weiter vorangeschritten als im deutschsprachigen Raum. Im Schatten der Großverlage und unabhängig von ihnen wurde in den letzten Jahre eine ganze Reihe neuer Verlagshäuser gegründet. Die sogenannten "independent publishers" setzen sich dem Risiko des Büchermachens wieder aus, trotz der Krise des amerikanischen Buchhandels. Warum tun sie sich das an? O-Ton Yankelevich Yeah, that's a good question... That's the simplest reason. Sprecher, Voice-Over Ja, das ist eine gute Frage. Erst einmal sind wir ein Kollektiv. Es gibt zwölf Lektoren, und jeder ist aus anderen Gründen dabei. Viele Bücher, die wir lesen und über die wir uns unterhalten wollen, werden anderswo nicht veröffentlicht, vor allem Lyrik. So einfach ist das. O-Ton André Schiffrin It's a way of still trying to do what a publisher should do. ... which is increasingly difficult. Sprecher, Voice-Over: Es geht darum, weiterhin das zu tun, was ein Verleger eigentlich tun sollte: Bücher zu finden, die wichtig sind, Autoren zu finden, die etwas zu sagen haben, und dann dafür ein Publikum zu gewinnen - was zunehmend schwieriger wird. O-Ton Dennis Johnson I feel that in many ways we are doing ... Sprecher, Voice-Over: Es kommt mir so vor, als würden wir in mancher Hinsicht das tun, was Random House tat, als der Verlag 1927 gegründet wurde. Wenn Sie die Memoiren des Gründers lesen, ein Mann namens Bennett Cerf, dann sagt er damals viele Dinge, die ich heute sage: Wir tun es nicht um des Geldes willen. Sprecher (Zitat Bennett Cerf): "Als ich den Scheck in den Händen hielt, fiel ich beinahe in Ohnmacht: über eine Million Dollar hatte der Verkauf der Aktien ergeben. Donald und ich pflegten zu sagen, als Verleger verzichten wir darauf, reich zu werden - dafür genießen wir es, dass wir tun können, was wir wollen." (At Random. The Reminiscences of Bennett Cerf. New York 1977. Übersetzung SG) O-Ton Johnson he would be recalled to Germany immediately (lacht)... Sprecher (Voice-Over) (Fortsetzung) Wenn der jetzige Chef von Random House so etwas sagte, würde er sofort nach Deutschland zurückgeschickt werden. Musik Autorin Bennett Cerf wurde zum Millionär, als er 1959 seinen Verlag Random House an die Börse brachte. Zwei Jahre später kaufte er den Verlag Alfred A. Knopf, dann Pantheon Books - bis 1965 Random House seinerseits von der Radio Corporation of America geschluckt wurde. Damit hatte die Konzentration im amerikanischen Verlagswesen begonnen, und sie war nicht mehr aufzuhalten: eine radikale Umwälzung, die dazu führte, dass fast alle amerikanischen Traditionsverlage ihre Unabhängigkeit verloren haben und heute zu einem der Big Six gehören, den sechs Konzernverlagen, die nach den Fusionen und Käufen übrig geblieben sind. Neben Random House, das seit 1998 dem deutschen Bertelsmannkonzern gehört, sind das die Hachette Book Group, HarperCollins, Macmillan, Simon & Schuster und die Penguin Group. Diese Konzerne sehen das Bücherverlegen als ein Geschäft, in dem es vor allem um Geld geht. O-Ton André Schiffrin They discovered that if they drastically cut down ... not publishing most things. Sprecher, Voice-Over: Sie entdeckten, dass man, wenn man die Vielfalt der verlegten Bücher drastisch reduziert, tatsächlich fünfzehn bis zwanzig Prozent Profit machen kann. Es ist möglich. Es bedeutet nur, dass man dann Vieles nicht mehr verlegen kann. Autorin: André Schiffrin wohnt hoch über den Straßen von Manhattan, wir unterhalten uns auf seiner Dachterrasse. Jene Bücher, die angesichts des Profitdrucks nicht mehr verlegt würden, seien für eine Demokratie unverzichtbar, schreibt Schiffrin in seinem im Jahr 2000 erschienenen Buch "The Business of Books" (in der deutschen Übersetzung: "Verlage ohne Verleger") Sprecher (Zitat André Schiffrin): "Kein Wunder, daß sich heutzutage im Westen so etwas wie eine Entsprechung zum sowjetischen Samizdat entwickelt hat." (André Schiffrin: Verlage ohne Verleger. Über die Zukunft der Bücher. Wagenbach-Verlag, 2000, S.110) Autorin: André Schiffrin ist selbst Sohn eines Verlegers, und bis 1991 hat er den Verlag Pantheon Books geleitet. Dann kündigte er: Der Gewinndruck des Mutterkonzerns Random House machte es ihm unmöglich, weiterhin jene Bücher zu verlegen, die er wichtig fand. Im folgenden Jahr, 1992, gründete André Schiffrin seinen eigenen Verlag "The New Press" und wurde damit Teil des amerikanischen Samizdat: der "independent publishers". Zunehmend publizieren die kleinen unabhängigen Verlage jene Bücher, die von den Konzernverlagen links liegen gelassen werden: anspruchsvolle Gegenwartsliteratur, politische Sachbücher, Lyrik und Übersetzungen. Dennis Johnson hat vor elf Jahren in Brooklyn den Verlag Melville House gegründet. O-Ton Dennis Johnson We are actually publishing ... for other reasons. Sprecher, Voice-Over: Wir verlegen in der Tat viele Dinge, die vor zwanzig Jahren bei Random-House erschienen wären. Unser größter Erfolg, "Jeder stirbt für sich allein" von Hans Fallada, war sechzig Jahre lang von allen führenden Verlegern abgelehnt worden, bis wir das Buch übersetzt haben. Und dann haben wir die Lizenz an Penguin in Großbritannien verkauft. Nachdem es ein Erfolg wurde, war das Interesse geweckt. Diese Verlage stehen unter dem Druck, Bücher mit einem Auge auf die Rendite zu verlegen, und nach so vielen Jahren in Konzernbesitz haben sie den Spürsinn für gute Literatur verloren. Ihr erstes Anliegen ist es, Geld zu machen. Das ist eine ziemlich neue Entwicklung in der Geschichte der Verlage. Früher ging es darum, genug Geld zu verdienen, um im Geschäft zu bleiben und weiterhin Bücher verlegen zu können. Musik Autorin Fast alle amerikanischen Traditionsverlage existieren heute nur noch dem Namen nach, als sogenanntes Imprint unter dem Dach eines der großen Konzernverlage. Mit seinen 75 Jahren ist New Directions heute der älteste unabhängige Verlag Amerikas. Der Stahlerbe und Dichter James Laughlin hatte New Directions 1936 gegründet, unter dem Eindruck von Freundschaften mit Gertrude Stein und Ezra Pound. Dieser habe ihm gesagt: Sprecher (Zitat James Laughlin): "ich sei ein entsetzlicher Dichter, ich solle lieber etwas Nützliches tun und Verleger werden, ein Beruf, der, wie er sagte, kein Talent und nur begrenzte Intelligenz erfordere." (zitiert nach: Eliot Weinberger, James Laughlin. In: Eliot Weinberger, "Nüsse! Orangen!", Berenberg-Verlag, Berlin 2011, S.33) Autorin: Von Pound stammt auch die Einsicht, dass Literatur eine Langzeit-Investition ist: Wichtige Bücher brauchen zwanzig Jahre, um entdeckt zu werden. Der New Yorker Essayist Eliot Weinberger, heute selbst Autor von New Directions, konnte sich als Jugendlicher blind auf das Programm seines Leib- und Magen-Verlags verlassen: O-Ton Eliot Weinberger: I knew of New Directions since when I was a teenager... was a book that I had to read. (...) Sprecher, Voice-Over: Ich kannte New Directions schon als Teenager, denn die Bücher waren leicht zu erkennen. Das war in den Sechzigern, da hatten die Bücher immer einen schwarzweißen Umschlag. Für mich war New Directions der Tempel der modernen Literatur. Ihm verdanke ich meine gesamte Bildung in moderner Literatur: Ich las alles, was bei New Directions erschien. O-Ton Barbara Epler: We try to stay true to.... It's very subjective. Sprecherin, Voice-Over: Wir versuchen, unserer Geschichte treu zu bleiben. James Laughlin hat die Firma 1936 gegründet, er war der erste amerikanische Verleger von Sartre, Céline, Borges, Nabokov, Mishima, Dylan Thomas. Damals galten diese Autoren als äußerst experimentell. Sie versuchten, etwas Neues zu machen. Und das versuchen wir auch. Das ist natürlich sehr subjektiv. (evt. letzten Satz weglassen) Autorin: Barbara Epler ist seit 1995 Cheflektorin und seit 2008 Direktorin von New Directions - und damit die Verlegerin von Autoren wie Laszlo Krasznahorkai, Roberto Bolano, César Aira oder Jenny Erpenbeck. Ein Minoritätenprogramm, das in früheren Zeiten durch die hochkarätige Backlist finanziert wurde: O-Ton Eliot Weinberger And basically all of the strange books ... they were doing. Sprecher, Voice-Over: Und zwanzig Jahre später wurden all die seltsamen Bücher, die sie verlegten, zu Klassikern, die auf den Lehrplänen standen, und so finanzierte die Backlist die Frontlist mit den neuen seltsamen Büchern, die sie herausbrachten. Autorin: Doch diese Art der Quersubventionierung scheint ein Auslaufmodell zu sein. Es ist zwar nicht so, dass keine Klassiker mehr gelesen würden, doch der Markt hat sich verlagert. O-Ton Barbara Epler Borges, Isherwood, Céline - they're all out there ...So it's really voodoo economics. Sprecherin, Voice-Over: Borges, Isherwood, Céline - die sind jetzt alle auf dem Markt für gebrauchte Bücher. Mit dem Internet und durch Amazon sind unsere Bücher im ganzen Land zu kriegen, in den kleinen Läden in Iowa oder in Ann Arbor, da bekommt man alles für fünfzig Cent. Früher kamen siebzig Prozent unseres Einkommens aus dem Absatz der Backlist. Jetzt ist es weniger als die Hälfte. Als ich beim Verlag anfing, ging es bei den Neuerscheinungen ausschließlich um Entdeckungen, nicht um Profit. Doch heute brauchen wir auf jeder Frontlist einen Titel, der Geld einbringt. Das Problem ist nun, dass diejenigen Bücher, von denen man denkt, dass sich mit ihnen Geld verdienen lasse, kein Geld einbringen, während diejenigen, von denen man es nicht erwartet, Geld einbringen. Das ist Voodoo-Wirtschaft. Musik Autorin: Weil das Geschäft mit Büchern eine Voodoo-Wirtschaft ist, funktionieren Verlage seriöser Literatur nach dem Prinzip der Quersubventionierung, sei es durch die Backlist oder einen gelegentlichen Bestseller. Im Unterschied zu anderen Kultursparten sind Fördergelder für das Verlagswesen in den USA nicht üblich: Verlage sind in der Regel gewinnorientierte Unternehmen, wenn auch traditionell mit einer bescheidenen Rendite von plus-minus vier Prozent. Da es für amerikanische Verlage jedoch immer schwieriger wird, mit einen anspruchsvollen Programm überhaupt noch einen Gewinn zu erwirtschaften, hat André Schiffrin ein alternatives Modell entwickelt: Auch Verlage sollen, wie Theater oder Museen, den Status der Gemeinnützigkeit erlangen können und somit als "Nonprofit"-Unternehmen geführt werden. Unternehmen des amerikanischen Nonprofit-Sektors bewerben sich bei privaten oder öffentlichen Stiftungen um Gelder, ein allfälliger Profit jedoch darf nicht abgeschöpft werden, sondern muss wieder ins Unternehmen zurückfließen. Als André Schiffrin vor zwanzig Jahren seinen eigenen Verlag gründete, setzte er die Theorie in die Tat um. -Ton Schiffrin First of all we have no ownership. ... That's roughly the proportion. Sprecher, Voice-Over: Das Wichtigste ist, dass wir keinen Eigentümer haben. Wir geben keine Aktien aus, und das bedeutet, dass wir weder gekauft noch verkauft werden können. Wozu braucht man einen Eigentümer? Das einzige, was ein Eigentümer beisteuert, ist Geld, und wenn er kein Geld beisteuert, solange man keine fünfzehn bis zwanzig Prozent Profit macht, kann Kultur nicht funktionieren. Wenn die kapitalistische Welt mit diesem Bereich nichts mehr zu tun haben will, was sind dann die Alternativen? Wir nehmen normalerweise fünf Millionen Dollar aus Buchverkäufen ein und eine Million aus Stiftungsgeldern. Das sind ungefähr die Proportionen. Autorin: "The New Press" ist längst nicht mehr der einzige amerikanische Nonprofit-Verlag. O-Ton Yankelevich The nonprofit-thing is a very curious one. ... it is not possible to make money. Sprecher, Voice-Over: Der Nonprofit-Status ist eine Besonderheit. Wir haben uns dafür entschieden, weil wir Gedichte veröffentlichen und uns für Übersetzungen interessieren. Dass man damit kein Geld verdienen kann, war uns von Anfang an klar... Autorin: ... sagt Matvei Yankelevich, der Leiter der Ugly Duckling Press, dem Hässliche-Entlein-Verlag. Das Programm ist handverlesen, und ungewöhnlich schön gestaltet: von Hand gedruckt, in einem Kellerraum der "Old American Can Factory" in Brooklyn. Der Verlag leistet sich gerade eine Vollzeit-Stelle. Atmo mit Druckmaschine O-Ton Yankelevich Now we have one person which is a big improvement... to have a lot of people. (...) Sprecher, Voice-Over: Seit drei Jahren haben wir einen Angestellten, was Vieles leichter macht. Wir haben außerdem eine Teilzeit-Stelle, und es gibt ein paar Leute, denen wir ein geringes Entgelt dafür bezahlen, dass sie uns in der Produktion helfen. Aber die Lektoren arbeiten ehrenamtlich. Alle von uns haben andere Jobs, deshalb ist es wichtig, dass wir viele sind. O-Ton Yankelevich (verabschiedet einen volunteer) Eli, thank you so much... we'll get you a copy when it's done... hopefully in a week... O-Ton Yankelevich So we have volunteers sometimes come in ...and make ends meet. Sprecher, Voice-Over: Manchmal kommen Freiwillige, was eine große Hilfe ist. Wir rennen viel herum und müssen sehen, wie wir durchkommen. Autorin: Einer der wichtigsten amerikanischen Verlage für internationale Literatur ist Dalkey Archive in Urbana, Illinois, abseits der New Yorker Literaturwelt, fern von Klatsch und Hysterie. Gegründet wurde der Verlag Mitte der Achtzigerjahre von John O'Brien, als Ableger eines Literaturmagazins. O-Ton Davies: John O'Brien used to use the word subversive... Otherwise I start losing interest. Sprecher, Voice-Over: John O'Brien pflegte das Wort "subversiv" zu benutzen. Ich habe mich für das Wort "skeptisch" eingesetzt. Skeptische Literatur, aber im klassischen Sinn: ein umfassender Skeptizismus als philosophische Grundlage dafür, wie man die Welt und die Literatur sieht. Für mich gilt: Der Autor muss das Rad jedes Mal neu erfinden. Sonst verliere ich das Interesse. Autorin: Jeremy Davies ist einer der beiden Lektoren, die das anspruchsvolle Programm mit jährlich fünfzig Neuerscheinungen betreuen. Mehr als die Hälfte davon sind Übersetzungen. Denn internationale Literatur wird in Amerika fast nur noch von den unabhängigen Verlagen publiziert. Sie gilt als schwer verkäuflich: unter den jährlichen Neuerscheinungen des amerikanischen Buchmarkts machen Übersetzungen gerade mal drei Prozent aus. Und da hier Schulbücher und technische Übersetzungen mitgerechnet werden, dürfte der Anteil der literarischen Übersetzungen bei ein bis zwei Prozent liegen. Zahlen, wie sie für eine abgeschottete Kultur typisch sind. O-Ton Barbara Epler You know you have this thing with Barnes & Noble, ... unless they become famous. Sprecherin, Voice-Over: Es gibt diese Sache mit Barnes & Noble: Eine einzige Einkäuferin soll für Belletristik zuständig sein, und die sagt angeblich, sie glaube nicht an Übersetzungen. Ich weiß nicht, was das heißt - liest sie weder die Bibel noch Madame Bovary noch die griechischen Tragödien? Aber ich weiß, dass es sehr schwer ist, unsere Übersetzungen in diese Läden zu bringen, es sei denn, sie werden berühmt. O-Ton Schiffrin All of the foreign translations ... under a 1000 copies. Sprecher, Voice-Over Mit Übersetzungen ausländischer Literatur verlieren wir immer Geld, sogar bei Nobelpreisträgern. Das letzte Buch von Claude Simon haben wir weniger als tausend Mal verkauft. Autorin: Der Verlag Dalkey Archive bezieht die Hälfte seiner Einkünfte von Stiftungen. Die Idee, dass auch Verlage auf Fördergelder angewiesen sein können, ist jedoch bei den amerikanischen Stiftungen noch nicht überall angekommen. O-Ton Davies Private foundations in the US ... this is not working. Sprecher, Voice-Over: Bei privaten Stiftungen hält sich das Missverständnis, dass Literatur ein Geschäft sei und daher keine Subventionen brauche. Es ist leichter, Unterstützung für ein Ballett oder eine Ausstellung zu erhalten, denn hier kann man nachweisen, dass man so und so viele Eintrittskarten verkauft hat, und man kann sagen: Wenn Sie uns nicht unterstützt hätten, wäre die Veranstaltung nicht möglich gewesen. Aber wenn es um Bücher geht... Wenn man unsere Verkaufszahlen mit einem Bestseller-Autor wie Jonathan Franzen vergleicht, dann sieht es jämmerlich aus. Und wenn man diese Zahlen einem Stiftungsvorsitzenden zeigt, wird er sagen: Offensichtlich verstehen Sie nichts von ihrer Arbeit, so geht das nicht! Autorin: Nicht alle unabhängigen Verlage wollen sich in die Abhängigkeit von Stiftungen begeben. Doch der Überlebenskampf ist hart. O-Ton Epler: We try really hard not to, ... how minimal the profit. Sprecherin, Voice-Over: Wir geben uns wirklich große Mühe, kein Geld zu verlieren, aber das geht nur mit viel Jonglieren. Während der letzten zehn Jahre hatten wir nur ein Jahr, in dem wir rote Zahlen schrieben. Das vergangene Jahr war sehr schwierig, wegen des Bankrotts der Buchhandelskette Borders und wegen der Rezession. Wir haben es mit einem winzigen Plus gerade so geschafft, und ich meine wirklich winzig, um die 20'000 Dollar. Aber für uns war es ein Sieg. Wir sind eine private Firma, wir sind gewinnorientiert, und das waren wir immer, egal wie minimal der Gewinn auch sein mag. O-Ton Johnson Most of the new independent presses ... But I wouldn't recommend that to anyone. Sprecher, Voice-Over: Die meisten der neuen unabhängigen Verlage sind gemeinnützig. Nur sehr wenige werden von ihrem Eigentümer geführt, und bei diesen wenigen war Geld vorhanden. Man braucht viel Geld, um einen Verlag zu gründen. Ich habe meine Ersparnisse von 15'000 Dollar eingesetzt, um Melville House zu gründen, dazu ein paar Kreditkarten. Wir hatten das Glück, dass unser erstes Buch ein Erfolg war und dass wir in der Folge Investoren gewinnen konnten. Aber empfehlen würde ich das niemandem. Autorin: Für Investoren ist ein Verlag nur dann interessant, wenn er Gewinn abwirft, an dem die Investoren beteiligt werden. Die Geschichte zum erfolgreichen Verlag hat im Jahr 2001 mit einem Literatur-Blog begonnen. Dennis Johnson war damals noch freischaffender Autor, doch mit dem Elften September wurde sein Blog auf einen Schlag berühmt: Er stellte ihn für Gastbeiträge über den Angriff auf die Twin Towers zur Verfügung, und als Präsident Bush dem Terror den Krieg erklärte, beschlossen Johnson und seine Frau Valerie, diese Gastbeiträge als Buch herauszubringen. Über Nacht hatten sie einen Bestseller. Es folgte ein Band mit Gedichten aus der verwundeten Stadt New York - O-Ton Johnson ... and we sold 12'000 copies ... we were much smarter about things then. Sprecher, Voice-Over: ... und wir verkauften 12'000 Exemplare. Es war wahrscheinlich der meistverkaufte Gedichtband des Jahres. Ich sagte zu meiner Frau: Wir sind Genies! Niemand kann so viel Lyrik verkaufen! Alle sagten, wir müssten weitermachen. Also machten wir weiter. Wir veröffentlichten einen Band mit Literaturkritik, der sehr kontrovers war und der sich ebenfalls gut verkaufte. Und dann machten wir drei Gedichtbände - und verloren alles, was wir verdient hatten. Nun waren wir wieder da, wo wir angefangen hatten. Aber wir waren klüger geworden. Autorin: Heute beschäftigt Melville House ein Dutzend Angestellte, in eleganten Räumen im aufstrebenden Stadtteil DUMBO in Brooklyn, direkt unter der Auffahrt zur Manhattan Bridge mit ihrer ratternden U-Bahn. In den ersten Jahren allerdings arbeitete das Verleger-Ehepaar unter bescheidensten Bedingungen. Im Herbst 2003 brachte Melville House Bernard-Henri Lévys Buch "Who killed Daniel Pearl" heraus, ein heftig umstrittener Bestseller: O-Ton Johnson We got death threats ...we'll see you at the hotel... Sprecher, Voice-Over: Wir bekamen Todesdrohungen von pakistanischer Seite. Es war eine verrückte Zeit! Und dabei bestand der Verlag nur aus mir und meiner Frau, wir arbeiteten am Küchentisch in unserer Wohnung. Wir haben Bernards Buch von unserem Küchentisch aus verlegt. Er wollte immer unsere Büroräume sehen, und wir sagten dann: Ähm, wir sind heute nicht im Büro, wir besuchen Sie lieber im Hotel. Autorin: Heute gehört Melville House zu den erfolgreichsten unabhängigen Verlagen, und er arbeitet als gewinnorientiertes Unternehmen. O-Ton Johnson I believe that we should be publishing books ...because I'm a nice guy. Sprecher (Voice-Over): Ich glaube, wir sollten Bücher verlegen, die sich selbst tragen. Nonprofit-Verleger müssen sich keine Sorgen über Verkaufszahlen machen, sie müssen dafür sorgen, genug Fördergelder einzuwerben, um im Geschäft zu bleiben. Und das interessiert mich nicht. Ich will Bücher verlegen, die gekauft und gelesen werden, ich bin ganz auf Verkaufszahlen fixiert. Ich habe keine Lust, andere Leute davon zu überzeugen, dass sie mir Geld geben sollen, weil ich ein netter Kerl bin. Musik Autorin: Was den unabhängigen Verlagen in Amerika Probleme bereitet, ist nicht so sehr das Verlegen, sondern vor allem das Verkaufen von Büchern. Sie sind auf die unabhängigen Buchhandlungen angewiesen, in deren Sortiment nicht nur der Mainstream, sondern auch literarische Entdeckungen einen Platz haben, doch die aggressive Konkurrenz von Buchhandels-Ketten wie Barnes & Noble hat den kleinen Buchläden in den letzten Jahren schwer zugesetzt. Doch nicht mehr nur die Buchhandelsketten sind heute ein Problem. Viel größer sind die Schwierigkeiten, die durch Amazon und die Entwicklung des E-Book-Markts auf die kleinen Verlage zukommen. O-Ton Johnson Amazon is a problem for everyone... but not, if Amazon has their way. Sprecher, Voice-Over: Amazon ist ein Problem für jeden. Amazon ist ein Problem für die Welt. Diese Firma hat das Buch auf eine Ware reduziert; aus einem historischen Artefakt ist ein bloßes Ding geworden, das einen festgesetzten Marktwert hat und das durch das E-Book ersetzt werden wird. Doch das E-Book ist ein völlig anderes Format, und ich hoffe, es wird sich auch hinsichtlich seiner Bedeutung von einem Buch unterscheiden. Anders gesagt: Ein gedrucktes Buch und ein E- Book sollten nicht miteinander in Konkurrenz treten. Sie können nebeneinander existieren, allerdings nicht, wenn es nach dem Willen von Amazon geht. Autorin: Das E-Book spielt im amerikanischen Literaturmarkt eine viel wichtigere Rolle als im deutschen Sprachraum. Im vergangenen Jahr wurden in der Belletristik in den USA zum ersten Mal mehr E-Books verkauft als gedruckte Bücher. Melville House hat eine neue Mischform zwischen gedrucktem Buch und E-Book entwickelt: O-Ton Johnson We have actually invented a format ...and so we've invented the hybrid book. Sprecher, Voice-Over: Wir haben ein Format erfunden, das wir "Hybrid Book" nennen. Es kombiniert ein gedrucktes mit einem elektronischen Buch - lassen Sie mich sehen, ob ich Ihnen eins zeigen kann, ja, hier habe ich eins: Das ist ein Exemplar von "Bartleby, der Schreiber", einer Novelle von Herman Melville, eines unserer meistverkauften Bücher. Auf den letzten Seiten finden Sie einen Hinweis auf zusätzlichen Lesestoff, den wir in digitaler Form zur Verfügung stellen. Nachdem man das Buch gelesen hat, kann man diesen Code auf der Rückseite des Buchs scannen und kann sich kostenlos ein E-Book mit weiteren Informationen herunterladen. Autorin: Ein Traditionsverlag wie New Directions sieht sich durch das E-Book mit ganz anderen Problemen konfrontiert. Was macht man mit einer Backlist, die 75 Jahre zurückreicht? Damals hatte niemand an elektronische Urheberrechte gedacht. O-Ton Epler Well, it's a pain... but now I am thinking about them. Sprecherin, Voice-Over: Nun ja, es ist mühsam. Fast alle unserer Verträge sagen nichts darüber aus, ob wir die elektronischen Rechte haben oder nicht. Sie sind eben wirklich alt, und wir hatten diese Klausel über "alle zukünftigen Technologien" nicht, die uns gerettet hätte. Nun müssen wir die Autoren und ihre Nachlassverwalter kontaktieren und ihnen erklären, dass wir ihr Werk auch als E-Book herausbringen wollen, dass es wichtig ist, dass das Buch bei uns bleibt, weil es mit unserem Verlag identifiziert wird und dass man mehr für ein Buch tun kann, wenn die gedruckte und die elektronische Version beim gleichen Verlag erscheinen. Man muss mit vielen Leuten Briefwechsel führen, und die aggressiveren Nachlassverwalter und Agenten wollen mehr Prozente, als wir ihnen anbieten, obwohl wir über den üblichen Sätzen liegen. Aber aus der Sicht der Nachlassverwalter sieht es anders aus. Sie sagen uns: Ihr habt an dem Buch längst mehr Geld verdient, als ihr investiert habt, und das E-Book braucht schließlich kein Papier, keine Lagerhallen, keinen Transport - und deshalb wollen wir einen größeren Anteil. Aber der Leser wird nicht beides kaufen, daher kostet uns jedes verkaufte E-Book den Kauf eines gedruckten Buchs. Ich hätte nie gedacht, dass ich je über solche Dinge nachdenken würde - aber nun muss ich mir den Kopf darüber zerbrechen. Musik O-Ton Davies If you get enough attention, the sharks start circling when they smell the blood. Sprecher, Voice-Over: Wenn man genug Aufmerksamkeit bekommt, beginnen die Haie einen zu umkreisen, denn sie riechen Blut. Autorin: Für einen unabhängigen Verlag ist Erfolg nicht nur ein Segen. Oft ernten andere, was ein kleiner Verlag gesät und, über Jahre hinweg, gepflegt hat. Der schöne Gedanke, dass ein guter Autor zwanzig Jahre braucht, um sich zu etablieren, taugt nicht fürs Haifischbecken. Denn dort werden erfolgreiche Autoren von den Konzernverlagen mit Vorschüssen im sechsstelligen Bereich gelockt. Eine bittere Erfahrung für die unabhängigen Verlage. O-Ton Epler On the one hand you can understand the authors ... from what it used to be. Sprecherin, Voice-Over: Auf der einen Seite kann man verstehen, dass Autoren ihr Buch woanders unterbringen wollen. Wenn es ein popeliger kleiner Verlag ist, bei dem es sich nicht verkauft, dann ist es zu ihrem Vorteil, wenn sie es dem popeligen kleinen Verlag wegnehmen. Aber in Wirklichkeit läuft es ganz anders. Große Agenturen kommen und sagen: Wir haben von diesem Typen nie gehört, Sie haben ihn berühmt gemacht, nun verkaufen sich seine Bücher in Ihrem Verlag - aber Ihre Verkaufslizenz ist abgelaufen, auf Wiedersehen! Ich bringe das Buch zu Random House! O-Ton Johnson We published a writer ... This is a sign of our success. Sprecher, Voice-Over: Wir haben einen Autor namens Tao Lin verlegt, den ich entdeckt habe und der sehr seltsame, abstrakte Bücher schreibt. Damals war er zwanzig Jahre alt, und wir haben fünf Bücher von ihm herausgebracht. Jedes verkaufte sich besser als das vorherige, und nun bringen diese Bücher Geld ein. Er hat vor kurzem einen Vertrag mit Random House unterzeichnet. Es tut mir leid, dass er das getan hat, aber sie haben ihm viel Geld angeboten, und offenbar konnte er nicht nein sagen. Trotzdem wünsche ich ihm alles Gute. Das ist ein Zeichen unseres Erfolgs. Autorin: Große Verlage mögen exorbitante Vorschüsse bezahlen, doch auf lange Sicht könnte es durchaus sein, dass ein Autor bei einem kleinen Verlag mehr Geld verdient. Davon ist zumindest Dennis Johnson überzeugt: O-Ton Johnson Because we stay with them. ... it's a totally different atmosphere. Sprecher, Voice-Over: Weil wir ihnen treu bleiben. Wir lassen von einem Buch nicht ab, wir hören nicht auf dafür zu werben. Wir wollen, dass unsere Autoren mit all ihren Büchern bei uns bleiben. Deshalb investieren wir viel in sie, von uns bekommen sie mehr Unterstützung und das über einen längeren Zeitraum, als es bei einem großen Haus der Fall ist. Bei einem großen Verlag bekommt man für sein Buch drei Wochen Publicity. Wenn das Buch bis dann kein Erfolg ist, dann war's das. Wir sind nicht so. Wir lassen nicht locker. Wir müssen das tun, um zu überleben. Aber auch, weil wir daran glauben. Und das ist etwas, was man von einem großen Haus nicht kriegt: den Glauben. Wir sind kleiner, freundlicher, und wir arbeiten härter. Es ist eine völlig andere Atmosphäre. Autorin: Und so ist es vielleicht kein Wunder, dass es Autoren gibt - wichtige Autoren - die den umgekehrten Weg gehen. O-Ton Johnson We have several who left big houses. ... and they gave me a call. Sprecher, Voice-Over: Wir haben einige, die von großen Häusern weggegangen sind. Wir verlegen die englische Übersetzung der Werke von Imre Kertesz, dem Nobelpreisträger. Ich bin sehr stolz darauf, sein Verleger zu sein. Er kam zu uns von Knopf. Er wollte nicht mehr mit ihnen arbeiten, er interessierte sich dafür, was wir tun - und nun ist er bei uns. Wir hatten das Glück, die Bücher von Heinrich Böll zu bekommen, der vorher bei Knopf war. Wir sind nun sein amerikanischer Verlag. Seine Nachlassverwalter hatten gesehen, wie wir Hans Falladas Bücher, mit denen sich niemand beschäftigen mochte, zu Bestsellern gemacht haben. Sie riefen mich an. Autorin: Auch in Amerika geht es nicht allen immer nur ums Geld. Trotz Abwerbe-Versuchen denkt etwa Eliot Weinberger nicht daran, New Directions den Rücken zu kehren, dem Verlag, bei dem er als Teenager lesen gelernt hat und der nun seit über vierzig Jahren seine Bücher verlegt. O-Ton Weinberger For the kind of writing I do ... what's better than that? Sprecher, Voice-Over: Was ich schreibe, ist nicht kommerziell, und diese Dinge würde ich niemals bei einem Konzernverlag veröffentlichen wollen. Und dann gibt es noch etwas anderes: Als Autor von New Directions erlebt man sozusagen die Glückseligkeit des Kontexts, wegen all der Leute, die hier in den vergangenen 75 Jahren verlegt worden sind. Die meisten meiner Lieblingsautoren waren zuerst bei New Directions. Was könnte man sich Besseres wünschen? 1