COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 02. April 2012, 19.30 Uhr Die Schulmeister Über die Arbeit der Ratingagenturen Von Dani Parthum O-Ton 1 Telefonkonferenz Telefontasten drücken, einwählen, jemand hebt ab ... Good morning! This is Frankfurt. Hallo Frankfurt, this is New York. Good morning New York we are still waiting... Bonjour Paris ...so please stay in line for a second. Sprecher Tagesgeschäft in einer Ratingagentur. Das Ratingkomitee versammelt sich am Telefon. Es ist das Gremium, das darüber entscheidet, ob ein souveräner Staat als erst- oder drittklassiger Schuldner öffentlich angesehen wird, ein Unternehmen als solide oder eine Geldanlage als spekulativ. Manchmal, nach der Sitzung dieser Gremien, beben Börsen und Politiker. Musik 1 Cyber Crime Sprecher Die Schulmeister Über die Arbeit der Ratingagenturen. Von Dani Parthum Sprecherin In einem Hochhaus nahe des Hamburger Hauptbahnhofs befindet sich der Firmensitz der EOS-Gruppe. Glas dominiert und Großzügigkeit. EOS ist ein Inkassounternehmen und Justus Hecking-Veltmann verantwortlicher Geschäftsführer für die Finanzen: O-Ton 2 Hecking-Veltmann Die EOS-Gruppe ist ein in 27 Ländern tätiges Unternehmen, das mit 8.000 Mitarbeitern Dienstleistungen im Forderungsmanagement erbringt, das heißt, im Wesentlichen kümmern wir uns im Auftrag unsere Kunden darum, dass wir Außenstände von den Schuldnern der Kunden einziehen. Sprecherin Zu den Kunden der Firma gehören DAX-Konzerne genauso wie Tankstellenbetreiber und Banken. Die frühere Mahnabteilung der Otto-Gruppe hat es in wenigen Jahrzehnten zu einer passablen Größe gebracht. Um sich vom teils schlechten Image der Branche als muskelbepackte, kieferbrechende Geldeintreiber abzuheben, gewährt die EOS-Gruppe einmal im Jahr einer Ratingagentur einen intimen Blick in ihre Bücher und die Unternehmensstrategie: O-Ton 3 Hecking-Veltmann Wir sind seit 2005 geratet. Wir haben uns entschieden für die Euler-Hermes GmbH, Eurler Hermes ist ein europäisches Haus, im Vergleich zu den drei großen Ratingunternehmen, die aus Amerika kommen. Wir haben ein A-Rating erhalten, das auch stabil seit 2005 ist. Ein A-Rating signalisiert dem Gläubiger des Unternehmens, dass die Wahrscheinlichkeit, sein Geld zurückzubekommen, sehr hoch ist. Ich sehe das in Ländern, in die wir jetzt expandieren. Die Kunden wollen zunehmend wissen, wie solide, seriös ein Unternehmen geführt wird und denen bestätigt das Rating, dass EOS ein solider und seriöser Geschäftspartner ist. Sprecherin Rating als Aushängeschild und vertrauenbildende Maßnahme. Aber auch als Kostensenker. Denn die EOS- Gruppe selbst leiht sich Geld am Kapitalmarkt und kauft davon faul gewordene Kredite auf. Je besser folglich ihr Ruf in der Geschäftswelt, desto weniger Kreditzinsen muss das Unternehmen zahlen. Für den Geschäftsführer Hecking-Veltmann ist deshalb das Rating, das bis zu 50-Tausend Euro im Jahr kostet, eine gute Investition. Musik 2 Cyber Crime Sprecher Firmen wie das weltweit tätige Inkassounternehmen vertrauen darauf, dass die Mitarbeiter der Ratinggesellschaften verantwortungsbewusst und frei von Interessen Dritter arbeiten, wie die selbstsüchtiger Vorgesetzter und mächtiger Anteilseigner - damit ihre Einschätzungen sachlich richtig und wahrheitsgetreu sind. Auch für Investoren ist das letztlich entscheidend. Aber ist dem so? Atmo 1 Untersuchungskommission USA O-Ton 4 Froeba - nach "New York City" unterblenden unter Sprecher My name is Mark Froeba. I am a lawyer. I live and work here in New York City. In 1997, I left the tax group at Skadden, Arps in New York, where I had been working in part on structured finance securities, to join the Derivatives (CDO) Group at Moody's. .. I left Moody's in 2007 as a Senior Vice President. Sprecherin Der junge Anwalt Mark Froeba sitzt im Juni 2010 nervös vor der Untersuchungs- kommission des US-Kongresses. Sie will herausfinden, was die Finanzkrise 2007 ausgelöst hat. Dafür untersucht sie auch die Rolle der Rating-Agenturen. Mark Froeba spricht für Moody's Investors Service. Sie gehört - wie die Erzrivalin Standard & Poors - einflussreichen US-Fonds. Das sind z.B. die Capital Group und Blackrock, und auch Großinvestor Warren Buffet hält über seine Fondsgesellschaft Berkshire Hathaway Anteile an Moody's und Standard & Poors. Froeba war bis 2007 als leitender Analyst zuständig für hoch riskante Anlagepapiere. Er schildert Moody's als Firma mit umsichtiger Analysekultur. Diese habe sich allerdings mit dem Börsengang im Jahr 2000 radikal geändert: O-Ton 5 Froeba Moody's senior managers were first able to begin receiving compensation in the form of stock options and other stock compensations, interests directly in Moody's corperation....Moody's senior managers' set in motion a radical change in Moody's analytical culture that not only changed the rating process but also profoundly affected Moodys ratings. Sprecher 2 Moody's leitende Manager wurden damit erstmals in die Lage versetzt, Aktienoptionen zusätzlich zu ihrem Gehalt zu bekommen. Unter dem Vorwand, Moody's geschäfts- freundlicher zu machen, setzten die leitenden Manager eine radikale Veränderung der analytischen Kultur in Gang, die auch die Ratings hochgradig beeinflusste. Sprecherin Das Management habe fortan die Analysten genötigt, gegenüber Investmentbanken Gefälligkeitsnoten zu vergeben, berichtet Froeba. Denn die hatten gerade ein neues Geschäftsfeld entdeckt: Sie bündelten Kredite von wenig solventen Hausbesitzern und verkauften sie als Anlagepakete in die Welt. Allein Moody's soll zwischen 2000 und 2007 pro Tag 30 solcher enorm komplexen Pakete mit den höchsten zu vergebenden Bonitätsnoten ausgestattet haben, dabei erhalten die gewöhnlich nur Staaten! Die Papiere trugen damit das Prädikat: ausfallsicher! O-Ton 6 Froeba When I left Moody's, an analyst's worst fear was that he would do something that would allow him to be singled out for jeopardizing Moody's market share ... that Moody's management would, where necessary, support the bankers against its own analysts. Sprecher 2 Als ich Moody's verließ, bestand die größte Angst eines Analysten darin, etwas zu tun, dass den Aktienkurs von Moody's gefährdet oder den Ertrag mindert und er deshalb entlassen wird. Man hörte von Gruppen von Analysten, die ihren Job verloren hatten - nur, weil sie Risiken akkurat beschrieben hatten. Wie das Management die Firmenkultur so verändern konnte? Die Rating-Analysten - vor allem die für Finanzprodukte - wurden "umerzogen": Die Anwendung der neuen Kultur wurde belohnt, wer sich sträubte, wurde bestraft. Außerdem signalisierte das Management den Investmentbankern, dass es sich notfalls gegen die eigenen Analysten stellen würde. Musik 3 Sprecher Ohne die Bestnoten der Ratingagenturen hätten Banken, Hedgefonds, Versicherer und Pensionskassen ihre Milliarden niemals in die zweifelhaften Anlagepakete investiert, schreibt die US-Kommission in ihrem Abschlussbericht. Ihr Fazit: Die Ratingagenturen waren der Wegbereiter für den Kollaps des weltweiten Finanzsystems 2008 - und sie haben vor der Krise mit ihren gefälligen und falschen Prognosen Milliarden verdient. weiter Musik 3 Sprecherin In die Parade ist den großen US-Ratinggesellschaften niemand gefahren. Keine Aufsichtsbehörde hat ihre Urteilsfindung hinterfragt, keine Zentralbank die Folgen abgeschätzt, nicht in den USA, nicht in Europa und Asien. Sie waren nicht zuständig! Die Politiker in den USA und später auch in Europa haben es unterlassen, das Geschäftsmodell der Agenturen zu prüfen, sie zu kontrollieren und zu regulieren. Sprecher Auskunft über ihre Arbeitsweise geben Ratingagenturen nur äußerst spärlich und ungern. Atmo 2 Frankfurter Börsenglocken - unterlegen unter Sprecher Sprecher In Deutschland ist der Börsen- und Bankenstandort Frankfurt das Machtzentrum der Notengeber. Drei mit Hauptsitz in New York und London dominieren die Branche weltweit: Standard&Poors, Moody's Investors Service und Fitch Ratings. Atmo 3 - Schnellaufzug in einem Hochhaus Sprecherin In einem der schicksten Glastürme in der Frankfurter City residiert die älteste Agentur Standard& Poors. Ihre Geschichte reicht 150 Jahre zurück. Hoch oben, im 27. Stock des Glasturms, befindet sich das Büro von Moritz Kraemer: O-Ton 7 Kraemer Ich bin bei Standard&Poors zuständig für die Staatenratings, die so genannten sovereign ratings, für den Bereich Europa, Nahost und Afrika. Sprecherin Der promovierte Volkswirt durchleuchtet seit zehn Jahren die Staaten Europas, auch Deutschland. Der 45-Jährige kommt in Jeans und Polohemd zum Interview in den Konferenzraum. Bereits anwesend: die Pressesprecherin. Vor der ersten Frage weist sie mit Nachdruck darauf hin, dass nur Sachfragen beantwortet werden: O-Ton 8 Kraemer Ein Rating ist im Grunde eine einfache Sache eigentlich .... Sprecherin ... setzt Direktor Moritz Kraemer an. O-Ton 9 Kraemer Ein Rating ist nichts anderes als eine Meinung bezüglich der Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmter Schuldner seine finanziellen Verbindlichkeiten vollständig und zeitnah bezahlen kann. Das ist es. Mehr nicht. Sprecher Sachlich richtig und wahrhaftig soll diese Meinung sein - so die Erwartungshaltung. Trauen die Schulmeister einem Staat zu, dass er in den nächsten zwei Jahren seine Kredite bedienen und zurückzahlen kann, erhält er eine gute Note. Im Idealfall zumindest. Geldgebern zeigt das: Mit diesem Schuldner ist gut Geschäfte machen. Eine schlechte Note dagegen bedeutet: Das Geld könnte weg sein! In diesem Fall verlangen Investoren hohe Zinsen. Sie möchten entschädigt werden für einen möglichen Verlust, siehe Griechenland, siehe Spanien: O-Ton10 Kraemer Es gibt im Gegensatz zur Schule mehr Graustufen. In der Schule geht es von eins, das ist sehr gut, bis sechs, ungenügend. Bei den Ratings haben sie diese Buchstabenkombination. Das geht von Dreifach- A, höchste Bonität, bis zu Dreifach- C und Doppel- C. Und dann gibt es noch die Ausblicke, dass hier eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Rating mittelfristig möglicherweise runter- oder hochgesetzt wird. Sprecher Dreimal A vergibt Standard&Poors an extrem leistungsfähige Schuldner - gewöhnlich nur an Nationen. Bei zwei B's wissen Investoren, es handelt sich um eine spekulative Geldanlage. D steht für Default, Zahlungsausfall. Die Konkurrenz nutzt ähnliche Buchstabenkombinationen. Musik 4 Sprecher Mehr als 110 Länder bewerten Standard&Poors und Moodys zurzeit, Fitch Ratings deutlich weniger, dazu zehntausende Unternehmen und Versicherungen weltweit. Versicherungen setzen auf die Einschätzung der Agenturen, um Kunden zu signalisieren: Deine Lebensversicherung ist bei uns gut aufgehoben. Firmen dagegen wollen mit dem Rating Investoren anlocken, damit sie beispielsweise eine Fabrikhalle bauen können. Ein enormer Umsatzbringer sind außerdem Ratings für solche Banken- Anlageprodukte, die die Finanzkrise erst möglich gemacht haben. Bei ihnen schätzen die Agenturen ab, wie hoch die Wahrscheinlichkeit liegt, dass das investierte Geld futsch sein könnte. Sprecherin Letztlich geht es also immer für Geldanleger - also Banken, Pensionskassen, Hedgefonds, Versicherungen - und Privatanleger um die Fragen: Musik 5 weiter Sprecherin Wem gebe ich mein Geld und erhalte ich es auch zurück? Ratings helfen Investoren, Antworten darauf zu finden. Sie nehmen Arbeit ab. Allerdings zahlen nicht die Investoren für ein Rating, denn sie haben es nicht in Auftrag gegeben. Auftraggeber sind diejenigen, die Geld brauchen, wie souveräne Staaten, um ihre Milliarden-Defizite zu finanzieren oder Firmen, um zu expandieren oder Banken, um ihre Finanzanlagen zu verkaufen. Ein Interessenkonflikt. Denn gute Noten bedeuten zufriedene Auftraggeber - von zufriedenen Investoren ist nicht die Rede. Direktor Moritz Kraemer von Standard&Poors sieht darin kein Problem und verweist auf Griechenland: O-Ton11 Kraemer Natürlich sind wir darauf angewiesen, was die Regierung uns zur Verfügung stellt. Die analytische Aufgabe besteht nicht zuletzt darin, hier die richtigen Fragen zu stellen. Das bedeutet, dass wir in regelmäßigen Abständen in Athen in diesem Fall mit einem Team mit mindestens zwei Leuten auftauchen und uns mit Regierungsvertretern unterhalten. Dieser interaktive Prozess ist ein ganz entscheidender Faktor bei der Produktion des Ratings. Sprecher Nicht alle bewerteten Länder aber geben ein Rating in Auftrag. Einflussreiche Wirtschaftsnationen wie Deutschland und Frankreich werden gratis benotet. Die anderen zahlen Hunderttausende Euro pro Jahr dafür. Musik 6 Sprecherin In der Regel betreuen zwei Analysten ein Unternehmen oder Land, meist über Jahre hinweg. Basis der Ratings sind umfangreiche Kriterien-Kataloge. Bei Unternehmen sehen sich die Analysten Bilanzen an, Informationen zu Wettbewerbern, Umsatz- und Expansionsziele, die Ausbildung der Belegschaft, das Management. Bei Staaten wird die nationale Wirtschaftsstruktur durchleuchtet, die Handelsströme, die Staatsverschuldung, die Rolle der Notenbank. Besonders wichtig bei Ländern sei zudem das politische System, sagt Moritz Kraemer von Standard&Poors: O-Ton 12 Kraemer Inwieweit ist ein politisches System geeignet, kurzfristig möglicherweise notwendige Maßnahmen umzusetzen, um Zahlungsrisiken zu dämmen, um politischen Konsens zu erzeugen, im Parlament und noch besser in der Gesellschaft. Das können Steuererhöhungen sein, aber wir würden da keine Ratschläge geben. Sprecherin Die umfangreichen Daten-Sammlungen verdichten die Teams dann mit mathematischen Modellen und eigenen Bewertungen zu einer Einschätzung, wie zahlungsfähig das betrachtete Land oder Unternehmen in den nächsten Jahren sein wird. Das letzte Wort hat schließlich ein ausgewählter Kollegenkreis - das so genannte Ratingkomitee: O-Ton13 Kraemer Hier haben sie immer eine ungerade Anzahl von Personen, jeder Analyst der stimmberechtigt ist, hat also eine volle Stimme. Deswegen sind es meistens fünf oder sieben, manchmal neun Analysten, die eigentlich immer über eine Telefonkonferenz zusammen geschaltet sind und sich dann aus den verschiedenen Büros einwählen. Sprecherin Gewöhnlich treffen sich die Komitees einmal im Jahr, um ihr Urteil zu fällen oder auf den neuesten Stand zu bringen, ganz gleich ob für einen Global Player, eine mittelständische Gesellschaft oder einen Staat. Ändert sich allerdings an den zugrunde liegenden Daten etwas Wesentliches, bricht etwa das Wirtschaftswachstum ein, bespricht sich das Komitee unterjährig. Diese Urteilsfindung läuft bei allen großen Ratingkonzernen sehr ähnlich ab. Musik 7 Sprecher Wirklich nachprüfbar ist der Ratingprozess nicht, bei keiner Agentur. Zwar müssen sie seit kurzem erklären, auf welchen Kriterien ihre Prognosen basieren und welche Methoden sie anwenden. Das tun sie auch, aber ausschließlich in englischer Sprache! Was sie nicht publizieren ist die Gewichtung der selbst festgelegten Kriterien. Zählt zum Beispiel eine volle Kasse mehr als die Firmenkultur? Und wie gehen die Agenturen damit um, wenn für ein kompliziertes Papier wichtige Informationen fehlen? Sprecherin Auch beim beruflichen Werdegang ihrer Mitarbeiter halten sich die Agenturen bedeckt. Markus Kraemer von Standard&Poors weicht mehrfach aus, sagt nur: O-Ton 14 Kraemer Wichtig ist, was für Erfahrungen die Leute mitbringen. Sprecherin Welche er fordert, sagt Kraemer nicht. Dabei betonen die Agenturen, dass die Sachkenntnis ihrer Analysten mehr zähle als die Ergebnisse der mathematischen Modelle! Was keiner aussprechen will: Man kennt sich in der Branche, untersucht im Zweifel die früheren Arbeitgeber und die künftigen, wie Banken und Industriekonzerne. Denn Ratinganalysten bleiben ihrer Agentur nur etwa acht Jahre treu. Dann ziehen sie weiter - zur Konkurrenz, einer Regierungsbehörde, einer Bank. Keine idealen Voraussetzungen, um sich eine unabhängige Meinung zu bilden. Dazu kommt: Ratinganalyst ist kein Ausbildungsberuf. Ottmar Schneck kritisiert das seit langem. Er ist Dekan und Professor für Banking, Finance and Risk an der European School of Business der Hochschule Reutlingen und beschäftigt sich seit 20 Jahren mit der Ratingindustrie: O-Ton 15 Schneck Wenn jeder Klempner, und ich sag jetzt mal frech jeder Hundefriseur eine Ausbildung braucht, und das Wort Ratinganalyst noch nicht einmal geschützt ist, geschweige denn eine Ausbildung existiert, dann kann ich das nicht nachvollziehen. So einfach kann man Rating mit learning bei doing nicht betreiben. Es gibt genügend Hochschulen, die in der Lage wären, in Stuttgart die Rafin, in Berlin der Steuerberaterverband, aber man muss, weil es die großen Agenturen nicht freiwillig machen mit der EU-Kommissionskeule kommen: Ihr braucht zertifizierte Analysten, vorher geht kein Urteil raus. Musik 9 Sprecher Die Mängel der Branche sind also erheblich: die Agenturen vergeben Gefälligkeitsnoten und fehlerhafte Ratings, sie pflegen eine undurchsichtige Arbeitsweise, verschweigen finanzielle und personelle Verflechtungen sowie Interessenkonflikte. Mängel, die seit langem bekannt sind. Dennoch konnten die drei US-Gesellschaften bei Investoren das Vertrauen ausbauen und den Markt unter sich aufteilen: Standard&Poors und Moody's beherrschen jeweils 40 Prozent des Ratings-Marktes, Fitch etwa 10 Prozent. Ihre Gewinne sind immens: Von einem verdienten Dollar blieben im vergangenen Jahr bei Standard&Poors und Moody's jeweils etwa 40 Cent Gewinn übrig - vor Steuern! Bei Fitch immerhin noch 30 Cent. Gut geführte Firmen in einem lebhaften Wettbewerbsumfeld kommen auf höchstens 6 Cent Gewinn! Musik 9 Ende Sprecherin Es sei eine schleichende Entwicklung zur Dominanz gewesen, erklärt Andreas Horsch, Professor für Investition und Finanzierung an der Technischen Universität Freiberg, - begünstigt vor allem von der US-Politik: O-Ton 16 Horsch Ein sehr wichtiger Einschnitt war die Tatsache, das schon relativ früh in den 30ern, die Politik die Regulierungsbürokratie dieser Ratings in den Dienst genommen hat, dass man gesagt hat, was wir Banken verbieten, machen wir unter anderem von Ratings abhängig, und an der Stelle musste man dann mal sagen, wessen Ratings dafür eigentlich eine Rolle spielen dürfen, und damals in den 30ern hat man gesagt: Wir nehmen nicht jedes Ratingbüro, sondern nur dieses oder jenes und hat damals schon einen elitären Club geschaffen. Unter diesen Agenturen gab es dann personelle Verquickungen, man hat sich dann gegenseitig was abgeschaut und abgenommen und es war dann immer so, dass sich Büros, agencies sich immer wieder zusammengetan haben, und so ist die Zahl sehr klein geblieben - bis heute. Sprecherin Denn um als Ratingagentur von der US-Börsenaufsicht SEC anerkannt zu werden, ist die Akzeptanz bei Investoren mitentscheidend. Das heißt: Ohne Reputation keine Zulassung. Ohne Zulassung aber ist es schwer, Kunden von sich zu überzeugen, und eine Reputation aufzubauen. Ein Teufelskreis. Musik 10 Sprecher Der internationale Durchbruch gelingt dem elitären US-Club Anfang der Jahrtausendwende. Die Europäische Union ändert die Regeln für Banken und Versicherungen. Stichwort Basel ZWEI. Wie viel eigenes Kapital eine Bank als Sicherheitspolster haben muss, ist seit 2006 von den Ratings der drei Marktführer aus den USA abhängig. Außerdem dürfen Versicherungen, Pensionskassen und Versorgungswerke nur noch in solche Staatsanleihen investieren, die ein bestimmtes Rating tragen. Selbst die Europäische Zentralbank nimmt von den Banken nur Wertpapiere mit einem A-Rating von Standard& Poors, Fitch oder Moody's in Zahlung! Sprecherin Paradoxerweise überträgt die Politik 2006 also einen Großteil ihrer Kontrollaufgaben im Finanzsektor an Privatfirmen, die sie selbst nicht kontrollieren lässt! Dabei hat die Internationale Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden zwei Jahre zuvor die Mängel der Branche umfangreich kommentiert und Verhaltensregeln vorgeschlagen, wie mehr Transparenz und das Benennen von Interessenkonflikten. Europas Politiker schieben das beiseite. Professor Andreas Horsch: O-Ton 17 Horsch Ratings waren zu dem Zweck, zu dem sie die Politik verwendet hat, nicht gedacht. Die waren gemacht private Anleger bei ihrer Entscheidung zu unterstützen. Sie waren nicht dafür gedacht, Aufsicht über Finanzdienstleister durchzuführen, und wenn ich so ein Instrument nutze und möglicherweise zweckentfremde, dann muss ich mich auch den Vorwürfen stellen, wenn sich nachher herausstellt, wenn die Beaufsichtigung nicht so gut funktioniert hat. Ein Kardinalfehler ist eben auch gewesen, dass sich viel zu Viele viel zu unkritisch auf diese Agenturen verlassen haben. Sprecherin Sogar oftmals blind verlassen haben, stellt die Untersuchungskommission des US- Kongresses in ihrem Abschlussbericht zu den Ursachen der Finanzkrise fest. Musik 11 weiter Sprecherin Dass es auch anders geht, will Markus Krall beweisen. Der 49-Jährige ist seit einem Jahr auf Werbetour durch Europa. Atmo Börse Frankfurt In Deutschland führt er vor allem am Bankenstandort Frankfurt viele Gespräche, zum Beispiel in der Börse. In seinem Laptop immer dabei: die Präsentation einer europäischen Ratingagentur, die den großen Drei die Stirn bieten soll. Krall ist Partner der Unternehmensberatung Roland Berger: O-Ton 18 Krall Der Grundgedanke unserer Europäischen Ratingagentur ist, dass wir die Probleme damit lösen wollen, die wir erkannt haben im Ratingmarkt. Die Probleme beziehen sich in erster Linie auf die Frage der Interessenkonflikte. Die Ratingagentur wird von einer Stiftung getragen, die als private "non profit Stiftung" organisiert sein soll. Also keine Gewinnabsicht. Das ist aus unserer Sicht ein wesentlicher Punkt, um Unabhängigkeit sicherzustellen und um sicherzustellen, dass sich die Organisation und die Bezahlung der Mitarbeiter an der Qualität des Ratings orientiert. Sprecherin Für Markus Krall soll die Ratingstiftung zudem radikal transparent arbeiten: O-Ton 19 Krall Sie wird im Prinzip alles, was sie tut, im Internet veröffentlichen. Sie wird ihre Modelle veröffentlichen, die Faktoren, die reingehen, veröffentlichen, sie wird die Gewichtung der Faktoren, die Statistiken, die da einfließen, veröffentlichen, die Daten, die im Rating verwendet werden, die einzelnen Prozessschritte und die Zwischenergebnisse und nicht erst im Nachhinein, sondern, während das Rating erstellt wird - jeder Prozess mit vollster Transparenz zu jedem Zeitpunkt inklusive. der Lebensläufe der Ratinganalysten, damit der Markt selber sehen kann, ob da Interessenkonflikte lauern, die die Gesellschaft selber nicht gesehen hat. Sprecherin Und: Die Stiftungsagentur soll für Fehlleistungen haften: O-Ton 20 Krall Nicht dafür, dass Rating im Nachhinein falsch ist, wohl aber dafür, wenn Rating grob fahrlässig oder falsch durchgeführt worden ist. Sprecherin Markus Krall plant die Revolution! 30 Großinvestoren sucht er dafür, die jeweils 10 Millionen Euro Startkredit bereit stellen, den die Agentur später zurückzahlt. Macht 300 Millionen Stiftungskapital: O-Ton 21 Krall Wir sprechen große Versicherungskonzerne an, weil die als Investoren Interesse daran haben an einem funktionierenden Ratingmarkt, Kreditinstitute, und wir sprechen an Infrastrukturprovider für Kapitalmärkte wie Börsen, IT-Provider, das ist relativ breit gestreut, da wir in ganz Europa unterwegs sind, gehen wir davon aus, dass etwa 100 Frage kämen. Sprecherin Noch verhandelt Krall, obwohl er Ende März den Gründungsvertrag schon vorzeigen wollte. Bereits einmal, 1991, wurde speziell in Deutschland über eine europäische Ratingagentur nachgedacht und auch die Projektgesellschaft Rating gegründet. Nur zwei Jahre später stellte sie ihre Arbeit aber wieder ein. Musik 12 Sprecher Dabei erscheint heute eine Neugründung aussichtsreicher: Die etablierten Ratinggesellschaften haben den Nimbus der Unantastbarkeit verloren, weil sie vor keinem Crash der jüngeren Geschichte gewarnt und die Finanzkrise mit verursacht haben. Sie stehen offen in der Kritik. Vor allem aber ist EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier entschlossen, wenigstens einen Teil der Mängel der Branche auszumerzen. Seit Herbst 2009 müssen sich auf seine Initiative hin Ratingagenturen in der EU registrieren lassen. Wichtigste Auflage: ein jährlicher Transparenzbericht, der Interessenkonflikte benennt, über Besitzverhältnisse und die 20 größten Kunden informiert - vorzulegen bei der neu gegründeten EU-Wertpapieraufsicht ESMA. Ratingspezialist Ottmar Schneck von der Hochschule Reutlingen: O-Ton 22 Schneck Der Transparenzbericht ist nicht öffentlich. Da hätte ich nichts dagegen, wenn man das so machen würde. In jedem Fall sind es jetzt nicht mehr nur Glaskugeln, sondern die ESMA müsste jetzt genug Material haben, um diese 14 registrierten Agenturen zu kennen, wie sie ticken, wie die Prozesse laufen, wie die Modelle sind. Sprecherin Binnenmarktkommissar Barnier reicht das aber nicht. Im vergangenen November hat er einen weit ambitionierteren Gesetzentwurf präsentiert. Ratingunternehmen sollen demzufolge künftig für Fehlurteile haften, ihre Preispolitik und wirtschaftliche Verflechtungen offenlegen und eine einheitliche Ratingscala nutzen. Und: Barnier will die Finanzmarktteilnehmer zwingen, nicht mehr jahrelang dieselbe Ratingagentur zu beauftragen und bei komplexen Finanzprodukten ein zweites Rating einzuholen. Professor Schneck begrüßt das: O-Ton 23 Schneck Dass es ein Rotationsprinzip gibt, das ist das Wesentlichste. Dass eine Agentur maximal 3 Jahre lang ein Rating für ein Objekt abgeben darf. Danach muss der Auftragnehmer auch die Agentur wechseln. Das soll Wettbewerb schaffen. Zweitens werden für manche structed finance produkte, die Finanzprodukte, die auch schwer durchschaubar sind, zwei Meinungen nötig sein, also second opinion, das finde ich auch klasse. Und am Ende ist das Ziel mehr Transparenz, mehr Wettbewerb. Ich hoffe schwer, dass unser Kommissar stabil bleibt und standfest und das so durch das EU-Parlament geht. Wäre schade, wenn das nicht gelingt. Sprecher Zwei entscheidende Interessenkonflikte lässt aber auch Barnier unangetastet: das Gewinnstreben der Privatkonzerne und ihr Auftragsmodell, wonach die benoteten Auftraggeber zahlen. Frühestens Ende des Jahres, heißt es, geht der neue Gesetzentwurf ins EU-Parlament. Während über gigantische Rettungsschirme im Schnelllauf entschieden wird, muss die Kontrolle der Ratingkonzerne warten. Das räumt der Zunft Zeit ein, Stimmung dagegen zu machen. Und sie nutzt sie, schickt ihre Manager zu Verbänden, Journalisten, Politikern. Mit Erfolg. Die Gegenargumente türmen sich bereits jetzt zu einer Welle auf. On top zwei immer gleich aufgeführte Argumente - ob vom Europäischen Bankenverband, der deutschen Versicherungswirtschaft oder vom Bundesverband der Deutschen Industrie: Das Rotationsprinzip ist abzulehnen und die zweite Meinung für strukturierte Anlageprodukte ebenso. Weil damit erhebliche Gefahren für die Qualität der Ratings einhergingen und sie mit erheblichen Kosten verbunden wären. Eine schlüssige Begründung der Einwände liefert keiner. Musik 13 Sprecherin Transparenz, so viel ist klar, schafft Vergleichbarkeit, erschwert Manipulationen und gefällige Noten und legt Abhängigkeiten offen. Das Rotationsprinzip böte kleinen Agenturen eine Chance und das Zweitrating hätte das Zeug dazu, die Flut der komplexen Finanzprodukte und somit Risiken einzudämmen. Für die großen drei US- Ratingunternehmen wäre damit aber die Zeit der Mega-Gewinne und Großgehälter vorbei. Musik 13 Sprecher vom Dienst: Die Schulmeister Über die Arbeit der Ratingagenturen Ein Feature von Dani Parthum Es sprachen: Nadja Schulz-Berlinghoff, Thomas Holländer und Korbinian Frenzel Ton: Alexander Brennecke Regie: Roswitha Graf Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 1