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Obwohl das gar kein Foul war, Schiri hat auch gesagt, es war kein Foul.“ „ Und woher kommt das, glaubt ihr? „Weiß nicht...“ „Guck mich an, ich bin ein Tier. Ha ja...“ Ein abgewetzter Kunstrasenplatz am Rande von Neukölln. Melvin und Honre stehen kurz nach dem Abpfiff etwas erschöpft am Spielfeldrand. Sie haben gerade mit ihrer Mannschaft, Hürtürkel Berlin , gegen die Adler Mahlsdorf gespielt, B-Jugend in der Berlin-Liga. Melvin ist Deutsch-Türke, Honre ist Deutscher, seine Eltern stammen aus Afrika. Als Tier bezeichnet er sich, weil er Schwarzer ist. „Schwarze sind immer schnell.“ „ Schwarze sind immer schnell“ .... „Sind Schwarze immer schnell?“ „Ja.“ „Sind Schwarze schneller als Weiße?“ „Ja, finde ich also...“ „Usain Bolt, Weltmeister, ist auch Schwarz.“ „ ...Und warum seid ihr schneller?“ „Ich weiß nicht, ja, ist Familientradition bei uns.“ „Ist dein Vater auch schneller und deine Mutter...“ „ Ja, meine Mutter ist die Schnellste hier.“ Rassismus im Sport, das ist für die meisten das Problem einiger weniger Fußballvereine, die im Osten der Republik liegen. Dort – so die gängige Ansicht – haben sich einige Neo-Nazis unter die Fans gemischt, geben Affenlaute von sich, wenn ein schwarzer Spieler an der Fankurve vorbei läuft und prügeln sich nach dem Spiel mit den gegnerischen Fans. Tatsächlich aber sind Rassismus und tief sitzende Vorurteile wesentlich weiter verbreitet und treten auf sehr unterschiedliche Weise zu Tage. Die Erfahrung von Melvin und Honre zeigt: Sobald eine Mannschaft hört, dass gegen Hürtürkel Berlin, gegen diesen, von Einwanderern geprägten Verein gespielt wird, macht sich Angst breit – weil die Spieler auf Gegner treffen werden, die dunkle Haut haben, deren Eltern aus der Türkei, aus arabischen Ländern oder aus Afrika stammen. Manche Vorurteile sind auf den ersten Blick nicht als solche erkennbar und auch nicht böse gemeint. Sie sitzen oft auch in den Köpfen der Minderheiten selbst – dass Schwarze besonders schnell seien beispielsweise. Diethelm Blecking ist Historiker und Sportwissenschaftler an der Universität Freiburg. Er kann diesen Klischees nichts Positives abgewinnen. „Das bedeutet, in dem Moment, wenn Sie Unterschiede, die ja zwischen Menschen existieren, da müssen Sie ja nur auf die Straße gehen, um festzustellen, dass Menschen nicht gleich sind. Wenn Sie daraus Gruppen bilden und wenn Sie das dann biologisieren und dann noch ethnisieren, also diese Unterschiede einer Ethnie zuordnen, - wir kennen es also Juden, Vulgo-Zigeuner oder Türken - dann haben Sie ein Problem, dann können Sie damit Politik machen, dann können Sie das gesellschaftspolitisch instrumentalisieren.“ Das Bild des schnellen schwarzen Sprinters, die Ansicht, dass Schwarze schneller seien als Weiße, ist ein Stereotyp, das in allen gesellschaftlichen Schichten weit verbreitet und gesellschaftsfähig ist. Ein oberflächlicher Blick auf den Sport scheint das auch zu bestätigen: Bei Leichtathletik- Weltmeisterschaften oder bei Olympischen Spielen stehen in den Sprintdisziplinen fast nur schwarze Athleten auf dem Siegertreppchen. Diese Dominanz besteht schon seit Jahrzehnten: Bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko-City hatten sich für das Finale über 100 Meter erstmals nur Schwarze qualifiziert. Auch schon 1936 bei den Spielen in Berlin im nationalsozialistischen Deutschland war die Konkurrenz gegen die afrikanisch-stämmigen Sportler chancenlos. An diesem Finaltag ist das Berliner Olympiastadion komplett ausverkauft. Überall wehen die Fahnen mit Hakenkreuzen. Hitler persönlich ist gekommen, um das Finale über 100 Meter zu sehen. „Da zuckt selbst Ralph Metcalfe aus, die gewaltige schwarze Lokomotive. Fühlt immer wieder zu den Füßen, zu den Spikes hin. Jetzt segnet er sich das letzte Mal und tritt in die Außenbahn. Und auch der andere Schwarze ist schon nach vorne getreten: Jesse Owens. In der Mitte die vier Weißen. Zwei Schwarze gegen vier Weiße, drei Europäer gegen drei Amerikaner. USA gegen Europa, der Kampf beginnt.“ Jesse Owens gewann das Rennen vor Ralph Metcalfe. Zur Freude des Reporters errang der weiße Holländer Martinus Osendarp den dritten Platz. Jesse Owens aber wurde mit vier Goldmedaillen der erfolgreichste Sportler in Berlin. Adolf Hitler und die Nationalsozialisten hatten erhebliche Schwierigkeiten, den siegreichen schwarzen Athleten in ihre Ideologie von der Überlegenheit der arischen weißen Rasse einzuordnen. Gemeinsam mit Albert Speer erwog Hitler gar, getrennte olympische Wettkämpfe für Schwarze und Weiße einzuführen. Aber auch in den USA, wo Owens geboren und aufgewachsen war und für die er Gold gewonnen hatte, tat man sich mit seiner Hautfarbe schwer. Präsident Franklin D. Roosevelt schickte kein Glückwunschtelegramm und weigerte sich, Owens ins Weiße Haus einzuladen. Bei der Siegesfeier im Waldorf Astoria-Hotel in New York musste der Goldmedaillengewinner gar den Warenaufzug nehmen. Seither hat man sich sowohl in den USA wie auch in Europa an erfolgreiche schwarze Athleten gewöhnt – ohne aber grundsätzlich den Überlegenheitsanspruch der Weißen aufzugeben, wie John Hoberman von der Universität in Austin, Texas konstatiert. “We have inherited from the 19th Century the so called law of compensation which is a pseudoscientific but influential idea that the strong body coexists with a weaker brain. So that there is a trade-off and this is what the folklore has always maintained, there is a tradeoff between physical strength and intellectual ability. “ Aus dem 19. Jahrhundert haben wir das sogenannte „Gesetz des Ausgleichs“ übernommen. Das ist die pseudowissenschaftliche aber einflussreiche Annahme, dass ein starker Körper einen schwachen Intellekt zur Folge hat. Diese folkloristische Überzeugung existiert bis heute. Diese folkloristische Überzeugung, wie Hoberman sie nennt, richtete sich ursprünglich gar nicht gegen Schwarze. Aber, so der Kulturwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Sport, die weiße Mehrheitsgesellschaft nutzt dieses Vorurteil seit etwa 100 Jahren um Schwarze zu diskriminieren. “There is a long western racist tradition of reducing black people whether it is black Africans or black people in the Diaspora such as the African American population identifying them with their bodies. “ Schwarze auf ihren Körper zu reduzieren, seien es Afrikaner oder auch Schwarze in der Diaspora wie Afro-Amerikaner, hat in der westlichen Welt eine lange rassistische Tradition. Gerade auch die Medien zeichnen an diesem Bild des „starken schwarzen Mannes“ mit, Sportartikelhersteller werben gerne mit muskelbepackten dunkelhäutigen Athleten. Ein Beispiel ist der ehemalige Basketballer Dennis Rodman. Er spielte auf der Verteidiger-Position, die normalerweise eher wenig Aufmerksam genießt. Er stach aber dennoch heraus, verschaffte sich mit seiner extrovertierten Art, mit Eskapaden und Unbeherrschtheiten eine Dauerpräsenz in den Medien. Damit wurde er als Figur vermarktet, muskulös und großflächig tätowiert konnte er mit diversen Werbeverträgen Millionen verdienen. Ähnliches gilt beim Boxen, wie Diethelm Blecking feststellt. „Der schwarze Schwergewichtsweltmeister verkörpert auch ein Stück sexuelle Sehnsucht, er verkörpert sexuelle Projektionsfläche. Der Schriftsteller Norman Mailer hat einmal über Muhammad Ali gesagt, wenn er durch die Tür kam, dieser wunderschöne Boxer, wenn er durch die Tür kam, dann atmeten die Frauen schwerer und die Männer fühlten sich ganz klein. Es ist diese merkwürdige Grauzone zwischen Sehnsucht und Angst.“ Und Blecking geht noch weiter. Denn diese Sehnsucht und Angst müsse man ... „... noch dadurch ergänzen, dass natürlich auch noch das Vorurteil besteht, dass Schwarze - in Anführungsstrichen jetzt auch - eine ganz andere Sexualität bedienen können und andere sexuelle Wünsche bedienen können. Also wir sind da mitten in einem Mienenfeld.“ In seinem Buch „Darwin's Athletes: How Sport Has Damaged Black America and Preserved the Myth of Race“ – zu Deutsch: „Darwins Athleten – Wie der Sport das schwarze Amerika verletzt und den Mythos der Rasse konserviert“ zeichnet John Hoberman das Bild nach, wie Schwarze in den Medien oft dargestellt werden. Für ihn zeigt sich dies in dem Kinofilm „King Kong und die weiße Frau“ von 1933 besonders deutlich. Der Film war einer der größten Blockbuster der Filmgeschichte und wird auch heute immer wieder gezeigt. Wie der Titel schon verrät, geht es um einen riesigen, muskulösen Menschenaffen mit dunkler Haut und schwarzem Fell, dem die unerfüllte Liebe zu einer weißen blonden Frau zum Verhängnis wird. Unbändige Leidenschaft und archaischer Kampf kennzeichnen King Kong, der schließlich von der US Air Force am Empire-State-Building erschossen wird. Wenn auch nicht so deutlich, so Hoberman, ziehe sich diese Darstellung von Schwarzen bis heute durch die Medien. “The black athlete becomes the most publicized black person in the United States. And I think that this has had consequences. It is a disadvantage in the modern world for any group of people to be overidentified with athleticism, with athletic ability, with their bodies. And the more black people are identified primarily as athletes I think the more they are going to be considered to lack the talent to move forward in other social sectors.” In den USA werden vor allem schwarze Athleten in den Medien gezeigt, wenn über Schwarze berichtet wird. Und ich bin der Meinung, dass es in der modernen Welt ein Nachteil für jede gesellschaftliche Gruppe ist, übermäßig mit Athletik, mit sportlichem Können und mit dem Körper identifiziert zu werden. Je mehr schwarze Menschen vornehmlich als Sportler wahrgenommen werden, umso mehr spricht man ihnen das Talent und die Fähigkeit ab, in anderen gesellschaftlichen Bereichen etwas erreichen zu können. Dieses mediale Bild von der Überlegenheit schwarzer Sportler hat nicht nur Auswirkungen auf die weiße Mehrheitsgesellschaft, sondern auch auf die Selbstwahrnehmung der Afro-Amerikaner selbst. Denn der Sport bietet für sie die Möglichkeit, sozial aufzusteigen. Eine verlockende Aussicht für die nach wie vor stark unterprivilegierte schwarze Bevölkerung der USA, eine trügerische allerdings, wie Hoberman meint. “One of the reasons that it seems like a good option, and remember this is for a very small number, a tiny percentage of the overall population of a minority population, is of course that you have at least a small number of people who are making a great deal of money they are getting a great deal of publicity.” Ein Grund dafür, warum es auf den ersten Blick nach einer guten Möglichkeit aussieht, sozial aufzusteigen, ist, dass einige sehr viel Geld damit verdienen und große gesellschaftliche Aufmerksamkeit mit ihrem Sport erfahren. Aber das sind nur sehr wenige, es ist ein verschwindend geringer Anteil der schwarzen Minderheit in den USA. Deshalb, so Hoberman, spiele Leistungssport für Schwarze in den USA eine wesentlich größere Rolle als für Weiße. Dieser aber fordert eine völlige Hingabe des Athleten, nur wer sich ganz und gar darauf konzentriert, täglich trainiert und alle anderen Dinge des Lebens hinten anstellt, hat überhaupt die Chance zum Aufstieg. Hoberman kritisiert daher die schwarze Bevölkerung vor allem in den USA, dass sie sich mit der Fixierung auf den Sport selbst ihrer Möglichkeiten beraube, denn, so Hoberman... “If athletics is the most attractive option for a group of people that shows that that part of the population is educationally and professionally underdeveloped.” Wenn der Sport die beste Möglichkeit für eine Minderheit darstellt, sozial und gesellschaftlich aufzusteigen, dann zeigt das, dass diese Gruppe von Menschen in der Bildung und im professionellen Leben rückständig ist. Insbesondere mit diesem Befund hat sich John Hoberman in den USA in die Nesseln gesetzt. Vor allem aus der schwarzen Community hagelte es herbe Kritik. Aber auch von weißen Kommentatoren wurde er heftig angegriffen, weil er die Fixierung der Afro-Amerikaner auf den Sport nicht nur den Schwarzen selbst zuschreibt, sondern nach wie vor strukturelle Probleme dafür verantwortlich macht. “It tells us that society has not been able to prepare a very large number of minority people for productive lives in that society.” Es zeigt, dass die Gesellschaft eine sehr große Gruppe von Menschen nicht für ein produktives Leben in unserer Gesellschaft ausbildet. Es stellt sich also die Frage, warum schwarze Sportler derart erfolgreich sind. Usain Bolt ist das Paradebeispiel für diesen Erfolg, seit Jahren führt er die Konkurrenz im Sprint regelrecht vor. Und ein Ende seiner Dominanz ist nicht in Sicht. Doch nicht nur Usain Bolt steht für die Überlegenheit schwarzer Sprinter. Seit der Brite Allan Wells bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau Gold über 100 Meter gewann, gab es in dieser Disziplin nur noch Sieger mit afrikanischen Wurzeln. Eine populäre Erklärung lieferte erst kürzlich wieder der mehrfache Olympiasieger über 200 und 400 Meter Michael Johnson. Sinngemäß argumentierte er so: Weil auf den Sklavenschiffen und auf den Baumwollplantagen wegen der unmenschlichen und mörderischen Bedingungen unzählige Afrikaner starben, hätten nur die Stärksten und Härtesten überlebt und ihre Gene weitergegeben. Davon, so Johnson, profitierten heute die Afro-Amerikaner, deshalb seien sie genetisch bedingt bessere Athleten. John Hoberman: “It´s an attractive idea to some people because it is very dramatic. I mean the whole idea of the selection of superior types in a genetic sense is of course a doctrine that was adopted by the Nazis among other people. So this is a dramatic theory that is also a theory that is based on ignorance.” Das ist eine reizvolle Erklärung für viele, denn sie enthält sehr viel Dramatik. Die ganze Idee von überlegenen Genen und die Selektion, dieser sozial-darwinistische Ansatz wurde ja beispielsweise auch von den Nazis aufgenommen und propagiert. Es ist eine Idee mit Dramatik aber sie basiert auf Ignoranz. Beispiele für diese Ignoranz und jede Menge wirres Gedankengut darüber, warum Schwarze genetisch bedingt die besseren Athleten seien, finden sich auch im Internet. In vielen Foren wird über dieses Thema leidenschaftlich diskutiert, wie in diesem Eintrag: „Schwarze Menschen - insbesondere solche mit westafrikanischen Wurzeln – haben einen um etwa drei Prozent höher sitzenden Schwerpunkt als weiße Menschen. Dies sorgt dafür, dass schwarze Sportler beim Rennen schneller wieder auf den Boden zurückfallen und darum schneller sind und zweitens können Schwarze den aufgenommenen Sauerstoff effizienter zur Energiegewinnung umsetzen.“ Ein anderer Besucher des Forums sekundiert: „Afrikaner sind genetisch variierter als alle übrigen Menschen. Es gibt Völker die besonders schnell laufen und muskulös sind (so auch Fußballer) und andere, die sehr gut bei mittlerer Geschwindigkeit laufen (zum Beispiel Kenianer). Besonders gut laufen zu können ist wohl eine besondere Anpassung, die sich dort in einigen Gebieten heraus gebildet hat. Obwohl sie in offenen Landschaften große Strecken zurück legen, sind Australier nicht dafür bekannt, besonders gute Läufer zu sein, offenbar gab es keine so ausgeprägte Diversifikation wie in Afrika. Neben der Umwelt könnte also auch die Kultur zur Spezialisierung beigetragen haben.“ Eine weitere pseudowissenschaftliche Erklärung erkennen die Foren-Nutzer in der Beschaffenheit der Muskulatur: „Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen aus dem westlichen Afrika "naturgemäß" bis zu 90% schnell kontrahierende Muskulatur, sogenannte FT Fasern, besitzen und damit für Sprintdisziplinen wie gemacht sind. Diejenigen aus dem Osten Afrikas haben dagegen vor allem lang zuckende Muskeln - ST Fasern - und sind oft sehr gut für extreme Ausdauerleistungen "gemacht". Diese Erklärungsansätze sind mitunter sehr populär und werden immer wieder auch von Wissenschaftlern aufgenommen und publiziert. Diethelm Blecking von der Universität Freiburg sieht darin einen allgemeinen Trend. „In der Sportwissenschaft setzt sich, wie überall die Scheinrationalität der messenden Zunft durch, das heißt man glaubt heute alles auf rationale, naturwissenschaftlich belegbare Zusammenhänge zurückführen zu können, also auch den Erfolg im Sport.“ Diethelm Blecking, kann mit diesen Erklärungen nichts anfangen und stellt eine Gegenfrage: „Ich würde also den Kollegen oder den Menschen, die diese meiner Meinung nach billigen Erklärungen abgeben, die würde ich dann einfach mal zurückfragen, polemisch, wieso haben wir dann noch keinen Tour-de-France-Sieger, der schwarz ist und afro-amerikanischer oder afrikanischer Herkunft also einer mit den lang zuckenden Muskeln, der müsste doch die Kurbel sehr lange rund treten können, das ist ja überhaupt kein Problem eigentlich. An dem Beispiel merken Sie, dass es offensichtlich gesellschaftliche, soziale, historische und andere Variablen gibt, die die Anlagen, die jemand mitbringt, entweder zum Zuge kommen lassen oder nicht.“ Tatsächlich lassen sich viele Beispiele dafür finden, dass äußere Umstände und nicht die Hautfarbe für den sportlichen Erfolg verantwortlich sind. Lässt man bei der Analyse der Ergebnisse bei den Olympischen Spielen in London die Hautfarbe außen vor und orientiert sich an anderen Kriterien, so lassen sich die Erfolge der Sportler schlüssig erklären: Die Gold und Silbermedaillen-Gewinner über 100 und 200 Meter Sprint, Usain Bolt und Yohan Blake, trainieren beide im Racers Track Club von Glen Mills, der auch noch den 200-Meter-Bronzemedaillen-Gewinner Warren Weir entdeckt hat. Alle drei kommen aus Jamaika, wo Sport nach wie vor eine der wenigen Möglichkeiten darstellt, sozial und finanziell aufzusteigen, weshalb dort ein sehr hoher Anteil von jungen Menschen dieses Ziel verfolgt. Ähnlich sieht es auch bei der südafrikanischen Mannschaft aus: Seit dem Ende der Apartheit stehen hier die Elite-Sport-Schulen allen offen. Entsprechend lassen sich die hervorragenden Ergebnisse den Schulen zuordnen, nicht der Hautfarbe. Neben den Sprint-Disziplinen ist Basketball eine Sportart, die von Schwarzen dominiert wird. Auch hier wird das Klischee bedient , dass diese schon genetisch bedingt besser dafür geeignet seien. So auch im Basketball-Film „White men can´t jump“, zu deutsch: „Weiße Jungs bringen´s nicht“ mit Wesley Snipes und Woody Harrelson in den Hauptrollen. Der ganze Witz dieser Komödie besteht darin, mit dem Vorurteil zu spielen, Weiße könnten kein Basketball spielen. Auf einem staubigen Beton-Platz in einer amerikanischen Großstadt spielen schwarze Basketballer zwei gegen zwei, im Hintergrund sieht man heruntergekommene Hochhäuser. „Ich spiele mit dem schlechtesten Spieler im Team, auch wenn der überhaupt keine Ahnung hat. Sagen wir für 500. - Wie bitte? - Wiewiewiewiewiebitte? Du kannst den Typen für mich aussuchen. Na, was sagst du? - Du bist doch nicht mehr dicht. Ok der meint es ernst, der hat sie doch nicht mehr alle. - Ist ne einmalige Chance. - 500 Dollar, Baby und ich komme mit jedem klar, den du aussuchst. Jeder ist mir recht, wen du willst - Ich glaub´s doch nicht, ich glaub´s doch nicht. - Hey Raymond, sieh dir den Dummbeutel da an, soll er mit dem Penner da spielen. - Oh nein, nein, darauf haben wir nicht gewettet, Weiße zählen nicht, ich brauche schon einen Partner. - Nein vergiss es, du kriegst den Typen da, den Goofy-Verschnitt.“ Was aber selbst in den USA die wenigsten wissen: Basketball war nicht schon immer eine Domäne der Schwarzen. In den Anfängen prägten diesen Sport vor allem Juden aus Osteuropa, die noch nicht lange in den USA waren und meist in Armenvierteln lebten, wie Arnold Auerbach, genannt „Der Rote“. “I grew up in the Gainsborough-section of Brooklyn and basketball was the sport, because there was no land there you couldn´t play football you had no fields for baseball - everything was basketball. “ Ich bin in Brooklyn in Gainsborough aufgewachsen und dort war Basketball der Sport. Es gab keinen Platz dort, man konnte kein Football spielen, es gab keine Baseball-Felder. Alles, was wir hatten, war Basketball.“ Seine aktive Zeit, also die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, beschreibt er in dem Dokumentarfilm „The first Basket“ folgendermaßen... “There was always a connotation that basketball was dominated by Jewish ballplayers. The Jewish ball players were prominent in the game because they had nothing else, so that was their sport. Vom Basketball hieß es immer, dass er von jüdischen Spielern dominiert ist. Juden waren in den Spielen immer sehr stark vertreten, weil sie nichts anderes hatten. Deshalb war es ihr Sport. Würde man bei Arnold Auerbachs Worten „Juden“ durch „Schwarze“ ersetzen, so ergäbe sich eine zutreffende Beschreibung des Basketball-Sports der heutigen Zeit. Nicht nur dies macht deutlich, wie willkürlich die Zuschreibung einer Sportart zu einer bestimmten Ethnie oder Nationalität ist. Dass Fußball, die „deutscheste“ aller Sportarten, aus England kommt, ist bekannt. Im 19. Jahrhundert war Fußball in Deutschland im Gegensatz zum übrigen Europa sogar verpönt. Als deutscher Sport galt Turnen. In seinem Buch „Der Ball ist bunt – Fußball, Migration und die Vielfalt der Identitäten in Deutschland“ präzisiert der Sportwissenschaftler Gerd Dembowski: „Fußball musste erst "deutsch" gemacht werden, bis er rezipiert werden konnte, also diese Idee, dass dann 1996 Berti Voigts sich hinstellt und sagt: Die deutschen Tugenden waren im positiven Sinne schuld, dass wir Deutschen in England Fußball Europameister geworden sind, also die deutschen Tugenden, die eigentlich keine waren. Als der Fußball sich etablierte, war das die englische Krankheit. So bewegen sich, wie die Affen, so bewegen sich keine Deutschen.“ Heute ist gerade die deutsche Nationalmannschaft mit Leistungsträgern wie Özil, Khedira oder Boateng ein Beispiel für gelungene Integration, für das Funktionieren einer ethnisch und kulturell gemischten Gesellschaft. Zurück auf dem Kunstrasenplatz in Berlin Neukölln. Wie in der Nationalmannschaft spielen hier Jugendliche mit unterschiedlichsten Wurzeln mit- und gegeneinander. Doch: Was in der Nationalmannschaft schon gut funktioniert, hat mit dem Alltag junger Fußballspieler noch wenig zu tun. Melvin, Honre und ihre Mitspieler von Hürtürkel Berlin sind nach wie vor Vorurteilen und Diskriminierungen auf und neben dem Platz ausgesetzt. Duran Sahin ist der Trainer der B-Jugend-Fußballer. Viele seiner Schützlinge haben große Ambitionen, wollen einmal in der Bundesliga, bei Fenerbahçe oder Galatasarayi Istanbul spielen, auch weil sie sonst kaum andere Aufstiegschancen haben. Seine Beobachtung ist, dass die deutsche Gesellschaft und damit auch der Fußball noch weit von echter Chancengleichheit entfernt sind. „Es ist ja genau der Unterschied: Ein türkischer Fußballer, ein ausländischer, sagen wir ein ausländischer Spieler, ist genau der Unterschied wie Frauen und Männer. Frauen müssen doppelt so hart arbeiten im Berufsleben um Erfolg zu bekommen. Hier das Gleiche. Ein ausländischer Spieler muss doppelt so mehr Leistung bringen, um anerkannt zu werden, als ein Deutscher.“ Auch dunkelhäutige Funktionäre oder Trainer mit Migrationshintergrund sucht man bis heute praktisch vergeblich. Für Duran Sahin ist das ein Zeichen dafür, wie tief insbesondere ein Vorurteil immer noch in den Köpfen steckt: Dass Türken, aber auch Menschen aus arabischen Ländern oder mit afrikanischen Wurzeln nicht in der Lage seien, strategisch, taktisch und rational zu denken. Auch Gerd Dembowski begegnet dieses Vorurteil bei seinen Recherchen immer wieder. „Das sind ja auch soziale Machttechniken, damit kann man sich in der Gesellschaft durchsetzen. Ich kann immer noch, wenn ich in gewissen Stellen rassistisch bin, mich durchsetzen im Betrieb. Und ich glaube, das Fußballstadion oder generell Mannschaftssportarten vielleicht, sind auch Orte in der Gesellschaft, wo solche sozialen Machttechniken eingeübt werden, wo solche sozialen Machttechniken trainiert werden, modifiziert werden, wo sich dem vergewissert werden kann.“ Auch dass Vorurteile einen großen Einfluss auf das Verhalten und die Selbstwahrnehmung der Minderheiten haben, kann der Sportwissenschaftler Gerd Dembowski beobachten. Ein Beispiel ist, dass Schwarze oft auf Ihre Schnelligkeit setzen, diese verstärkt trainieren und folglich auch besonders schnell werden. Meist aber haben solche Rückkopplungen im Zusammenhang mit Vorurteilen einen negativen Effekt. Fatih Aslan war lange Zeit Mittelfeldspieler bei Türkiyemspor Berlin. Der Verein wurde einst von türkischen Gastarbeitern gegründet und versteht sich heute als ein Fußballverein, der sich vor allem auch sozial engagiert. Einen Schwerpunkt bildet der Austausch zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Zudem verfügt der Verein über eine große Frauenfußballabteilung. Wenn Fatih Aslan mit seiner Mannschaft früher zum Spiel auflief, wurden sie sofort provoziert, teils mit rassistischen Beschimpfungen. Dies, so Aslans Beobachtung, ging auf die verbreitete Ansicht zurück, dass sich Türken oder Südländer leicht provozieren lassen und dann vom Platz gestellt werden. Entsprechend häufig und heftig waren die Provokationen, so Fatih Aslan. „Es kommt ja leider oft vor, dass sich die Südländer auch provozieren lassen. Aber ich glaube, da spielt nicht nur das eine Rolle, was auf dem Platz was gerade geschieht in diesem Moment sondern auch der latente Rassismus im Alltag, den sie zu spüren bekommen. Naja, ob es jetzt die Jugendlichen sind, die in eine Diskothek gehen wollen, der blonde Freund kommt rein, der dunkelhaarige nicht. Ja und irgendwann sind die Jugendlichen dann auch verzweifelt. Und das entlädt sich halt auf dem Platz auch mal. Aber dann heißt es immer wieder: Das ist die Mentalität.“ Der Sport ist dabei ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse: weit verbreitete und tief verwurzelte Vorurteile, Rassismen, Diskriminierungen, all dies kann man im Stadion, im Kino, auf Werbeplakaten, in der Sportindustrie, auf dem Fußballplatz oder auf der Aschebahn beobachteten. Meist aber werden sie im Sport ungeschminkter und ungehemmter zur Schau gestellt als in anderen Bereichen, wie Gerd Dembowski bestätigt. „Weil der Sport ja sehr verwandt ist mit dem Spiel und im Spiel vergessen wir Rollen, die wir gesellschaftlich spielen müssen. Ich muss auf dem Arbeitsplatz eine gewisse Rolle je nach meiner Rangfolge spielen. Ich muss in der Beziehung mich zum Teil verstellen, ich muss mich an Weihnachten wenn ich zu meinen Eltern fahre verstellen. Das können wir ja so weiter durchspielen. Und im Sport können wir uns gehen lassen und diese Rollen, die ansonsten im Kopf angelegt sind, wie klare Schubladen, geraten im Sport durcheinander. Plötzlich ist das gesamte Archiv dieser Schubläden anzapfbar. Und deswegen kann es ganz schnell sein, da wo wir sonst in der Gesellschaft Schalter eingebaut haben... Aha hier am Arbeitsplatz darf ich das nicht sagen, können diese Schalter im Sport schneller hin und her schwappen. Und deswegen ist der Sport glaube ich prädestiniert dafür, versteckte Regungen, versteckte Richtungsstränge, die man so in sich hat, auch auszuleben.“ Der Sport kann aber auch eine positive Vorreiterrolle spielen, wie das Beispiel der deutschen Fußballnationalmannschaft zeigt. Doch damit diese Entwicklung weiter geht, müssen sich die Strukturen grundlegend ändern. Es müsste auch in Deutschland untersucht werden, warum beispielsweise Trainer mit türkischen Wurzeln keine Mannschaften in höheren Ligen trainieren, wo genau die Barrieren liegen. Erst dann können langfristig Vorurteile abgebaut und Diskriminierungen verhindert werden. Gerd Dembowski. „Da gibt es noch sehr viel Grundlagenforschung, die zu machen wäre in dem Bereich, um dann zu sagen: Okay, jetzt müssen wir das machen. Und auch schon so eine Grundlagenforschung erfordert, dass eben nicht nur weiße deutsche Männer sie machen. Es ist ganz wichtig da den Blickwinkel zu verändern, Perspektivenwechsel vorzunehmen. Und das muss auch erst einmal geschafft werden, denn meistens, wenn Forschung gemacht wird im deutschen Sport, dann sind es eben meistens auch weiße deutsche Männer, die diese Forschung betreiben. Das ist nicht unbedingt ein Problem, aber es ist auf jeden Fall erheblich bereichernd, wenn auch andere Leute daran beteiligt werden.“