Für Deutschlandfunk,Dossier Redaktion Hermann Theissen Manuskript: 20.12.07 Produktion: 11./12.2.08 Sendedatum: Fr, 15.2.2008, 19.15 - 20.00 h DER G8-GIPFEL IN HEILIGENDAMM - AUSNAHMEZUSTAND IN DEUTSCHLAND URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo 1: Demo vom 2.6./Polizeilautsprecherdurchsagen / Polizeisirene CUT 1: Ne Sekunde später kamen erneut Schläge, diesmal auf'n Kopf. / Ich wurde dann im Polzeitransporter so festgebunden mit Händen auf dem Rücken, daß ich das Bewußtsein verlor./ Ich wurde von Kopf bis Fuß abgetastet. Ich laß mir nicht von fremden Menschen in den Schritt und zwischen die Brüste fassen. Es ging darum, uns zu erniedrigen. Atmo 2: schreiende Demonstranten/Helikopter CUT 2: als se gemerkt haben, er regte sich nicht mehr, sind se weitergegangen über die Mauer und da attackierten die gleichen Polizisten, die André zu Boden geschlagen haben, den nächsten/Dieser Mensch, dem hatten sie auch Haare ausgerissen, und seinen Schmuck aus den Ohren gerissen bei der Festnahme. Atmo 3: Kundgebung/Tornado - 43/44/http://www.focus.de/politik/deutschland/g8-gipfel/tornado-einsatz_aid_63275.html CUT 3: da saßen wir im Camp Reddelich morgens gerade alle beim Frühstück, als in maximal 80 Meter Höhe ein Tornado übers Camp flog, das war irrsinnig laut und man konnte jede Niete an dem Flugzeug sehen. Musik Sprecherin 2: Der G8-Gipfel in Heiligendamm - Ausnahmezustand in Deutschland. Ein Feature von Anselm Weidner Sprecherin: Am 26.Juni 2007 luden Attac, der Republikanische Anwaltsverein und andere in Berlin zu einer Anhörung "Was geschah in Heiligendamm?" "An vielen Stellen kam es zu schweren Verletzungen von Menschen- und Bürgerrechten. Wir wollen bei dem Hearing Zeugen zu Wort kommen lassen, um so der Wirklichkeit auf die Spur zu kommen" hieß es in der Einladung. Die Hamburger Rechtsanwältin Ulrike Donat erklärte zu Beginn des Hearings: CUT 4, Donat: Wirft ein Demonstrant einen Stein auf einen Polizisten, so ist das ein Angriff auf einen Menschen und auf die Humanität, knüppelt aber oder tritt ein Polizist auf einen Bürger, so ist das nicht nur ein Angriff auf den Menschen und die Humanität, sondern es ist ein Angriff auf die Verfassung und das Zusammenleben überhaupt. Die Polizei hat das Gewaltmonopol vom Volk geliehen zum Wohl und zum Schutz der Bürger und der Verfassung und nicht zum Einsatz gegen das Volk. Musik Sprecher 1: "Auch ein nicht alltäglicher Polizeieinsatz entbindet die Exekutive selbst-verständlich nicht von den grundgesetzlichen Werten und Normen". Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern. Atmo Sprecherin:"Wollt Ihr Tote?" "Steine, Schläge. Straßenkämpfe - friedlicher Protest endete in Gewalt". "G-8 Schande! - 3000 gewaltbereite Autonome stürzen den G8-Protest mit Steinwürfen und Brandbomben ins Chaos" titelten die Zeitungen am Tag nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen in Rostock am Samstag, den 2.Juni 2007. Bilder und Berichte von Steine werfenden Demonstranten, verletzten Polizisten und brennenden Autos gingen um die Welt. CUT 5, NDR: 433 verletzte Polzisten, darunter 33 Schwerverletzte, ausgebrannte und zertrümmerte Autos, zersplitterte Schaufensterscheiben, 100 Demonstranten in Gewahrsam, das ist die vorläufige Bilanz. Auf der Bühne der Abschlußkundgebung hatten einige Redner die Stimmung noch angestachelt, ein Redner sagte wörtlich:'Wir müssen dem Krieg in diese Demonstration reintragen, mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.' Sprecherin: Verletzte Demonstranten kommen im NDR nicht vor; es gab nicht 33 sondern zwei schwerverletzte Polizeibeamte und der zitierte Redner, der Globalisierungskritiker Walden Bello von den Philippinen hatte gesagt "We have to bring the war right into this meeting. Because without peace there can be no justice." Er wurde auf der Rednerbühne übersetzt mit "wir müssen den Krieg hier in die Diskussion mit reinbringen. Denn ohne Frieden kann es auch keine Armutsbekämpfung geben". In den Medien spritzten Clowns Säure mit Wasserpistolen gegen Polizisten, wurden Äpfel mit Rasierklingen oder mit Nägeln gespickte Kartoffeln als Wurfgeschosse benutzt. Lauter Falschmeldungen. Atmo 5: Hubschrauber/Menschen unterwegs Sprecherin 2: Kapitel eins: Prügeln im rechtsfreien Raum oder vom Mißbrauch des Gewaltmonopols. Atmo Sprecherin: Polizisten prügeln auf einen jungen Mann ein, der sich bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen am Rostocker Hafen an einem Rollstuhlfahrer festhält. Ein Video zeigt den Vorfall und die Hamburger Anwältin Karen Ullmann hat ihn gesehen: CUT 6: Die Polizei hat einfach ohne Rücksicht auf Verluste versucht, diesen Menschen da loszukriegen. Der Mensch kippte um im Laufe des Gerangels. Der Rollstuhlfahrer lag hilflos daneben, dazwischen unter den ganzen Beamten aufm Boden; und erst als die Polizei den Menschen, den sie festnehmen wollten,festgenommen hatten, haben sie auch von dem Rollstuhlfahrer abgelassen. Atmo 6: Auseinanderstezungen am Hafen. Sprecherin: Die mexikanische Studentin Xochitl Lopez wurde am 2.Juni 2007, um ca. 17.45h auf dem Rostocker Hafenplatz festgenommen. Aus ihrem Gedächtnisprotikoll: Sprecherin 2 : Sie warfen mich auf den Boden und schlugen mich mit ihren Händen auf den Rücken.... Umstehende Leute haben nach meinem Namen gefragt, jedesmal, wenn ich meinen Namen gesagt habe, wurde ich geschlagen, ... diesmal auf den Nacken. Dann habe ich den Namen meines Freundes gerufen, damit die Leute ihn informieren koennen. Dabei wurde ich von einem Polizisten mit dem Arm von vorne gewürgt. ... Ich verlangte als Asthmatikerin nach meinem Spray in meiner Umhängetasche. Sie haben es mir nicht gegeben mit der Begründung, dass ich eine Kriminelle wäre. Sprecherin: Erst eine halbe Stunde später bekam sie ihr Asthmaspray. Xochitl Lopez hatte Polizisten fotografiert, die einen jungen Mann schlugen. Auf einem Foto sieht man, daß sein Kopf mit einem weissen T-Shirt verschnürt ist. Ihr wurden Landfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Nach 9 Stunden Gewahrsam wurde sie morgens um drei aus der Gefangenensammelstelle Ulmenstraße in Rostock entlassen, ohne einen Anwalt sprechen zu können oder einem Richter vorgeführt worden zu sein. Sprecher 2: "Der Ausnahmezustand offenbart das Wesen der staatlichen Macht." Carl Schmitt Musik Sprecherin: Als die Situation am 2.Juni am Rostocker Hafen eskalierte, Wassserwerfer und Greiftrupps der Polizei auch in die friedliche Menge der Kundgebungsteilnehmer vorstießen, bemühten sich der Berliner Zimmermann Andi und ein Freund mit Polzeieinsatzleitern ins Gespräch zu kommen. CUT 9: Die Antwort war immer und sofort Pfefferspray und der Versuch, mit Schlag-stöcken oder Tonfas uns zu maltraitieren. Es gab nicht eine einzige Situation, in den 30 Minuten, wo wir das versucht haben, wo irgendein Polizeibeamter vernünftig auf uns reagiert hätte; immer die gleiche Reaktion: sofort druff. Es wirkte so als wenn die völlig besinnungslos sind. Atmo 7 Sprecherin: Am selben Abend fuhren Siegfried und Rolf aus Görlitz in einer Fahrrad-karawane von ca. 25 Radfahrern von Rostock ins Camp Reddelich. Von hinten näherten sich Polizeifahrzeuge mit Sirene und Blaulicht. Die Schiebetür eines der Polizeitransporter war offen. CUT 10: Der eine Cop, der aus der Schiebetür raushing, schlug einen älteren Teilnehmer der Karawane mit seinem Gummiknüppel. Zur gleichen Zeit hat der Fahrer en Teilnehmer der Karawane am Ärmel gepackt und versucht, den in Richtung Leitplanke zu drücken. Der konnte sich zum Glück losreißen. - Danach fuhren die Cops en Stückchen Richtung Karawanenspitze und dabei sprühten sie mir und dem Menschen der vor mir fuhr, ne starke Ladung Pfefferspray ins Gesicht. Das war aus so ner Art kleinerer Feuerlöscher, da haben die das aus'm Schlauch rausgesprüht, aus'm Auto. Atmo 8: - aus 18: Senken Sie die Planen... Wasser marsch! Musik Sprecher 1: Es war eine schwierige Gratwanderung, die die Polizei vor Ort vornehmen mußte, um zu entscheiden, wie sie zur Deeskalation beitragen kann. - Der Innenminster von Mecklenburg-Vorpommern. Atmo 9: -17 Sprecherin: André aus Frankfurt/Oder und sein Freund Stefan waren am Sonntag den 3.6. abends auf dem Weg von einem Konzert auf dem Hafengelände zum Camp Rostock. CUT 11: Dann ging aufeinmal Blaulicht an bei den Polizeiautos und die kamen von hinten auf uns zugerannt und geschrien. Und wir sind dann losgerannt und mich haben sie dann mit nem Tritt oder nem Tonfaschlag in den Rücken geschlagen und ich bin nach vorne gefallen. Dann hat mich einer festgehalten und dann sind mehrere Polizisten zu mir gekommen und haben auf mich eingeschlagen. Ich hatte Augenverletzungen,Hämatome am Rücken und am Kopf. / Das wirkte für mich sehr panisch, es wirkte halt nicht so, die wollten den festnehmen, sondern einfach nur, sie haben ihn geschlagen und als se gemerkt haben, er regte ich nicht mehr, sind se weitergegangen über die Mauer und da attackierten die gleichen Polizisten, die André zu Boden geschlagen haben, den nächsten. 0.44 Sprecherin: André wurde in die Universitätsklinik Rostock eingeliefert, sein verletztes Augenlid genäht. Anschließend begann für ihn eine 6-tägige Odyssee durch eine Gefangenensammelstelle und zwei Justizvollzugsanstalten. Man hatte ihm Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgweworfen. Sprecher 1: Es werde weiter auf das Prinzip der Deeskalation gesetzt. - Nach wie vor bestehe eine niedrige Einschreitschwelle gegenüber Gewalttätern, hieß es in einer Pressemitteilung der Polizei am 5. Juni. Atmo 10: S-Bahnhof Lichtenhagen am 4.6. Sprecherin: Am Montag den 4.6. nach einer Kundgebung drängten Demonstranten im Bahnhof Lichtenhagen in die eingefahrene S-Bahn. Polizisten stellten sich in voller Schutzmontur in die Eingänge der Wagen. Mitten in der dichtgedrängten Menge, die 'Haut ab, haut ab','Bullen raus, Bullen raus' ruf, stand der Rostocker Schüler Hannes Steputat. CUT 12: dann wird, für mich ohne ersichtlichen Grund, auf uns eingeprügelt. Schreien und Weinen und Gebrülle, warum die Bullen jetzt durchdrehen; die haben selber gebrüllt wie am Spieß und haben halt immer wieder draufgeschlagen. Dann hab ich so'n Protektor-handschuh ins Gesicht bekommen, meine Brille ist weggeflogen, meine Mütze ist weggeflogen, hab dann noch was auf'n Hinterkopf abbekommen, en Schlag. Musik Sprecher 2: "Die Autorität braucht im Ausnahmezustand, um Recht zu schaffen kein Recht." Carl Schmitt Atmo 11: Migrationsdemonstration Sprecherin: Zur Migrationsdemonstration am 4.6. waren an die 10.000 Protestierende gekommen, darunter Rechtsanwalt Axel Hoffmann: CUT 13: Die Demonstration war friedlich. Mehrfach stürmten starke Polizeieinheiten quer durch die gesamte Demonstration, um Personen festzunehmen,die angeblich vermummmt waren. Das Problem dabei war, daß, um an diese Personen zu gelangen, z.T. mehrere hundert Personen auf sehr grobe und brutale Weise weggestoßen und niedergerannt wurden. Jeder und jede, die sich dagegen auch nur verbal wehrten wurden dann in Gewahrsam genommen. Sprecherin: Der genehmigte Demonstrationszug wurde von der Polizei immer wieder aufgehalten und wäre fast gewaltsam aufgelöst worden. CUT 14: Und in diesem Moment passierte etwas, was ich in den ganzen Tagen sonst nicht erlebt habe: der Einsatzleiter war umringt von Presse und gab eine Erklärung ab und widersprach der Polizeiführung, er sagte also gegenüber der Presse, daß er den Befehl hätte, die Demonstration aufzulösen, weil es dort Vermummung gebe und weil es dort Bewaffnung gebe. Er vor Ort würde sehen, daß dem nicht so sei, aber Kavala hätte ihm diesen Befehl trotzdem gegeben und er müsse so handeln. Sprecherin: Bei der Demonstration stand Chamberlin Wanghi aus Kamerun am Straßen-rand und filmte. CUT 15: Plötzlich ich war überrascht, daß ich einen Schlag auf mein Gesicht, auf meine Nase bekomm. Und das Schlag war so stark, daß mein Kopf ist sofort untergegangen und nach ungefähr eine Minute ich hab meine Hände auf mein Gesicht gelegt und meine Hände waren viel Blute. Sprecherin: Donnerstagmorgen, am 7.6, geriet der Student Alexander Sohn in eine Polzeikontrolle an der S-Bahn-Station Rostock-Bramow. CUT 16: Dort haben sie dann meinen Zahnschutz gefunden, der noch in meinem Rucksack war, und dann erstmal über Funk gecheckt und kam die Anweisung, daß ich erstmal festzuhalten sei. Und nach ungefähr 1 1/2 Stunden wurde mir gesagt, daß ich festgenommen werden muß, weil das ja eine passive Waffe sei. Sprecherin: Die 'passive Waffe' war eine Beißschiene; sie machte den Studenten zu einem potentiellen Gefährder. Er verbrachte die nächsten 8 Stunden in einem Drahtkäfig der Gefangenensammelstelle Industriestraße in Rostock und bekam einen Strafbefehl über 150 €. Festnahme und Strafbefehl wurden Monate später vom Gericht für rechtswidrig erklärt. Sprecher 1: "Die Wahrnehmung der Aufgaben der Polizei erfolgt auf der Basis von Recht und Gesetz." - Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern. Sprecher 2: "Wer das geltende Recht aufheben kann, ist der Souverän." Carl Schmitt Atmo 12: - 35 (Straßenbahndurchsage) Sprecherin: Katja Illner, Fotografin aus Düsseldorf, fotografierte am 2.6. auf dem Hafenplatz während der gewalttätigen Auseinandersetzungen einen Trupp vermummter Polizisten mit heruntergeklapptem Visier. Auf den Fotos sieht man, dass die Identifikationsnummern auf den Schutzanzügen zugeklebt sind. Auf einem Foto sieht man einen Jungen, der die Szene beobachtet und Polizisten, die auf ihn und auf die Fotografin zu laufen. CUT 17: Dieser erste Polizist, den man auf meinem letzten Bild von dieser auf mich zustürmenden Truppe sieht, der hat dann diesen Jungen zusammengeschlagen, wofür ich ein anderes Foto hab, und zwar mit em umgedrehten Schlagstock, so daß dieser Querstab frei in der Luft ist und hat mit diesem Querstab auf den Jungen eingeschlagen. Einer von den Zweiten oder Dritten aus dieser Truppe muß mich dann erwischt haben. Also ich weiß nur, daß ich zu Boden geschlagen wurde. Ich bin v.a. auf die Knie geschlagen worden, auf die Handgelenke und Ellebogen.Ich hab meine Kamera versucht zu schützen und hab dann auch meinen Presseausweis hochgehalten als die Attacke son bißchen nachgelassen hat und hab geschrien, daß ich von der Presse bin. Ne Sekunde später kamen erneut Schläge, diesmal auf'n Kopf. Also ich hatte ja Gottseidank meinen Helm an. Ich wurde mindestens zwei- bis dreimal mit voller Wucht auf den Kopf gehauen. Sprecherin: Die Kamera wurde zerschlagen. Der Helm zeigt deutliche Schlagspuren. Katja stand in einem ganzen Pulk von Fotografen und Kameraleuten. CUT 18: Was mir besonders aufgefallen ist, war, daß die Polizei immer wieder ohne ersichtlichen Grund mit ner Riesentruppenstärke durch ganz normale gemischte Demonstrantengruppen gestürmt ist, immer wieder rechts und links Schläge verteilt hat, auf die Journalisten, z.T. auf die Einwohner losgegangen ist. Natürlich warn da brutale Szenen auch von Demonstrantenseite, aber längst nicht in dem Maße, wie das von Polizeiseite aus passiert ist. Sprecherin: Die Fotografin erstattete Anzeige gegen die Polizei. Das Verfahren wurde eingestellt, weil der schlagende Beamte nicht ermittelt werden konnte. Sprecher 1: "Mir ist aus dem Einsatz anläßlich des G8-Gipfels kein Fall bekannt, in dem die notwendige Identifizierung eines Polizeibeamten auf Grund eines nicht vorhandenen Namenschildes erfolglos geblieben wäre." Atmo Sprecherin: Kamil Majchrzak, Redakteur der polnischen Monde diplomatique, war zunächst die Akkreditierung verweigert worden. Am 7. Juni wurde er während eines Interviews auf offener Straße von der Polizei ohne Angaben von Gründen festgenommen. CUT 19: Ich wurde dann im Polzeitransporter so festgebunden mit Händen auf dem Rücken, daß ich das Bewußtsein verlor.Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, daß ich in Atemnot gekommen bin, daß ich Krämpfe hatte aufm Rücken und im Nackenbereich und daß ich die Polizisten mehrmals gebeten habe, mich doch anders zu fixieren.Ich hatte meine Akkreditierung, meinen Presseausweis gezeigt, und dennoch wurde ich behandelt wie ein Staatsfeind oder wie ein Terrorist. Sprecherin: Im Kreiskkrankenhaus Bad Doberan kam der Journalist wieder zu sich. CUT 20: Allerdings war für mich völlig überraschend, daß auf den Gängen Militär war, daß Feldjäger überall vor den Türen standen und daß das Personal teilweise auch Mediziner der Bundeswehr waren. Das Krankenhaus war kein Bundeswehrkrankenhaus, es ist das normale Krankenhaus Bad Doberan, allerdings waren um das Krankenhaus schwere Bundeswehrfahrzeuge postiert, Panzerwagen, ein Hubschrauber der Bundeswehr. Sprecher 1: "Von der Bundeswehr war zusätzlich zu den sechs zivil organisierten Be-handlungsplätzen eine Medizinische Sanitätseinheit beim Kreiskrankenhaus Doberan eingerichtet worden. Das stellte im Rahmen der zivilmilitärischen Zusammenarbeit ein Novum dar." Atmo 14: Demo 2.Juni Sprecherin: "Wir beobachteten immer wieder Fälle unterlassener Hilfeleistung", berichtet Karen Ullmann,eine der Anwältinnen des Anwaltnotdienstes,des sog. "Legal Teams". CUT 21: Von den Festgenommenen, die ich beobachtet hab am 2., waren alle verletzt, entweder hatte sie Pfefferspray abbekommen oder sie hatten sichtbare Schürfverletzung-en im Gesicht. Als wir dann oben auf dem Parkplatz standen und versucht haben, deren Personalien zu bekommen oder mit ihnen zu sprechen, haben wir gesehen, daß über die Zeit, die wir da standen, mindestens eines Stunde, einige Krankenwagen kamen und immer verletzte Polizisten abtransprotiert haben, aber die verletzten Demonstranten mußten alle gefesselt, teilweise auf den Kühlerhauben der Autos liegend, wurden die eben nicht behandelt und auch auf Hinweis, daß bestimmt Leute verletzt sind und en Arzt brauchen und hier ja wohl auch einer ist, wenn da ein Krankenwagen war, kam von der Polizei nur: 'Ja,ja', aber trotzdem wurden die verletzten Demonstranten eben nicht behandelt sondern nur die verletzten Polizisten. Atmo 15: Wasserwerfereinsatz Bögerende Sprecherin: Am 6.Juni etwa um 12 Uhr mittags wurde Steffen B. aus Potsdam schwer verletzt, als 9 Wasserwerfer gegen ein friedliche Blockade in Bögerende unweit des Sicherheitszauns vorgingen. CUT 22: Der Wasserwerfer war 10 Meter entfernt gewesen. Und dann hab ich halt gesehen, wie die Wasserkanone von dem Wasserwerfer direkt sich auf mich richtet. Und dann ist es auch schon passiert.Dann bin ich umgeflogen, hab nur noch geschrien. Dazu kommt noch, daß die Polizei, als ich dort erstversorgt wurde von Sanitätern, daß die Polizei dann anfing, Leute um mich herum niederzuknüppeln. Sprecherin: Sanitäter der Polizei kamen nicht zur Hilfe. Steffen hat 90% der Sehfähigkeit seines linken Auges verloren. Musik Sprecher 1: "Die Gewährleistung der rechtzeitigen, allumfassenden medizinischen Versorgung und Betreuung möglicher Verletzter gelang." Atmo Sprecherin: Der Berliner Artz Michael Kronawitter stand am 6.Juni mit seinem Auto samt kompletter Nothilfeausrüstung einschließlich Funkgerät gegen 12 Uhr mittags mit zwei Sanitätern bei den Blockierern der Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm. CUT 23: Über Funk ging dann natürlich ziemlich viel zwischen den Demo-Sanitätern hin und her, wer wo sich befindet, wer wo Hilfe bräuchte und ich hab das mit abgehört. Ich hatte so'ne Jacke, wo dann auch deutlich erkennbar war, daß ich Arzt war. Ich hatte zwei Jacken dabei, eine ohne Ärmel, weil's ja ziemlich warm war und eine mit Ärmeln, die hab ich zwischendrin auch mal gewechselt. Die Sonne schien dann da auch relativ heiß. Dadurch daß man erkennbar war, kam dann auch ein Journalist mit einer Journalistin, die ich aus Berlin kenne, auf mich zu, und erzählten, daß sie gerade einen Anruf gekriegt hätten, ein Kollege hätte Atemprobleme, aber nicht an dieser Stelle sondern in Bad Doberan Sprecherin: Der Arzt fuhr zusammen mit den Journalisten ins nahe Bad Doberan, geriet in eine Polizeisperre und wurde festgenommen. Begründung: Berliner Beamte hätten gesehen, daß er Menschen durch die Polzeiketten mittels Funksprüchen geführt und damit schweren Landfriedensbruch begangen habe. Protestierend ließ sich der Arzt festnehmen. Nach 34-stündigem Unterbindungsgewahrsam wurde er am nächsten Tag gegen Mitternacht entlassen:Eine Richterin am Landgericht hatte Micha Kronawitters Festnahme für rechtswidrig erkärt. Atmo 17: Gesa (aus der Gesa frisch Entlassener berichtet auf Englisch) Sprecherin 2: Kapitel Zwei: Käfighaltung ohne Rechtsschutz oder: Guantanamo in Rostock CUT 24: '"Zieh' dich mal aus bis auf die Unterhose!" und dann hab ich halt gestutzt, weil ich's so grob fand und dann fragt er mich gleich "verstehst du deutsch?" und dann hab ich gesagt, daß wir doch bei Sie bleiben würden, und dann:"aha, stolz is er auch noch," und dann an die Wand stellen und in die Unterhose gucken, ich fand es einfach total unnötig entwürdigend. /Mir wurden meine ganzen persönlichen Gegenstände abgenommen, ich mußte meine Taschen alle entleeren. Ich wurde von Kopf bis Fuß abgetastet, von einer Polizeibeamtin zwar, aber trotzdem sehr unangenehm. Ich laß mir nicht von fremden Menschen in den Schritt und zwischen die Brüste fassen. Es ging darum, uns zu erniedrigen. Sprecherin: Oliver Rausch und Kerstin Rudek aus dem Wendland gehören zu den , nach Angaben des mecklenburg-vorpommerschen Innenministeriums 1.112 während der 7 Protesttage Festgenommenen. Bis zu 31 Stunden wurden sie in den 25 Drahtkäfigen der zwei Gefangenensammelstellen Industrie- und Ulmenstraße in Rostock festgehalten. In der Industriestraße waren die Käfige videoüberwacht. Carlotta von der 'Anti-sexist Controll and Awareness Group' betreute Frauen aus dem europäischen Ausland und erinnert sich an eine Engländerin, die nach 14 Stunden Haft in den Käfigen in der Ulmenstraße entlassen wurde: Atmo Rütteln am Zaun CUT 25: This was hell, das war ihr Ausspruch und sie hat eben von ganz vielen Dingen erzählt, also sexistische Anmache durch Polizei, auch angegrapscht zu werden an den Brüsten v.a. und auch im Schritt. Sie sind ganz schlecht versorgt worden. Frauen haben auch immer wieder erzählt, dass ihnen Tampons verwehrt wurden. Es wurde immer wieder erzählt auch von Männern, dass sie Vergewaltigungsandrohungen bekommen haben, an die Wand gedrängt wurden und die Polizisten gesagt haben "wir ficken euch noch" und eben auch von wegen "da hinten gibt's noch en ganz dunklen Raum, wo niemand mehr mitkriegt, was passiert und ihr wisst schon was dort dann passiert" Sprecherin: Frank Freudenthal aus dem Wendland verbrachte 9 Stunden in einem der etwa 6 mal 6 Meter großen Käfige in der Ulmenstraße. CUT 26: Und als dann 20 Leute in dem Käfig waren, hab ich den Schließer darauf hingewiesen, daß der jetzt voll ist und dann hat der gesagt: 'noch lange nicht, da geht noch richtig was rein.' Und nach ner knappen Stunde waren wir dann gut 50 Leute. Eine Seite, zu einem Nachbarkäfig war ne Plane gespannt, ansonsten waren sie von allen Seiten offen. Es war en nackter Betonboden; wir haben während der ganzen Zeit keine Isomatten oder sonst welche Gelegenheiten gekriegt, wo man drauf sitzen konnte. Zu den Zellen wollte ich nochmal sagen, also diese Stunden, wo wir da auf dem Betonboden gesessen haben, daß wir auch noch gefesselt waren mit Plastikkabelbindern und selbst beim Toilettengang, wo mir die Kabelbinder nicht abge-nommen wurden. Musik Sprecher 1: "Das absolute Minimum des für jeden Einzelnen zur Verfügung gestellten Platzes betrug 1,8 m2. Die Zellen waren aus Sicherheitsgründen von vorn einsehbar. Eine Fesselung innerhalb der Sammelzellen erfolgte nicht. Sprecher 2: "Es kann Situationen geben, in denen durch einen Ausnahmezustand erst die Lebensverhältnisse geschaffen werden müssen, die man normativen Regelungen unterwerfen kann." Sprecherin: In den Gefangenensammelstellen, den sog. Gesas, waren Außenstellen des Amtsgerichts eingerichtet. Das Hausrecht lag bei der Polizei. Anwältinnen und Anwälten wurde der Zugang meist verwehrt. Atmo Anwalt CUT 29: Die Katastrophe fand ich eigentlich, daß das Gericht das mit sich machen läßt, statt unabhängig Gerichte zu sein, mußten wir uns der Polizei bedienen; die Richter hatten ein Ansteckschild BAO-Kavala-Justiz. Das hatte aber auch der Staatsanwalt, und selbst wir Anwältinnen und Anwälte kriegten ein Schild BAO-Gast, so daß die Mandanten, die uns ja nicht kannten, erstmal ganz mißtrauisch waren und sagten 'seid ihr auch von dem Verein, dann reden wir nicht mit Euch.' Ja solche Verhältnisse und das versteh ich nicht mehr unter Rechtsstaat. Sprecherin: 'Die Gewaltenteilung zwischen Judikative und Exekutive wurde kurzer Hand außer Kraft gesetzt', sagt Anwältin Donat. Und da kommt es auch vor, daß ein Leiter der Gefangenensammelstellen, Kriminaloberrat Krense, Anweisungen eines Amtsgerichts-direktors annulliert. Atmo Sprecherin: Anwältin Ullmann: CUT 30: der Leiter des Amtsgerichts hat am Ende des Gesprächs gesagt:"so wie wir es jetzt besprochen haben, so ordne ích das an" und ist dann weggegangen und Herr Krense hat sich umgedreht und hat gesagt, ich heb den Beschluß des Gerichts jetzt auf. Sich über Gerichtsentscheidungen hinwegzusetzen ist in einem Rechtsstaat,eine realtiv erstaunliche Angelegenheit. Sprecher 1: "Es handelte sich nicht um Außenstellen der Amtsgerichte. Verantwortlich für die Ausübung des Hausrechts war der Führer des Einsatzbereichs "Folgemaßnahmen" der Besonderen Aufbauorgansiation KAVALA." CUT 31: Wenn das keine Amtsgerichte waren und das keine Amtsrichter in ihrer Funktion waren, wer war es dann? Dann ist ja der Rechtsschutz vollkommen ausgehebelt worden. Die Leute wurden in Gewahrsam genommen, sie wurden über Stunden, Stunden meint immer zweistellig, d.h.14, 24 Stunden in Gewahrsam gehalten, obwohl Regel ist, daß bei Gewahrsamnahmen nach öffentlichen Recht nach maximal 3 Stunden eine richterliche Vorführung stattzufinden hat. Sprecherin: Der Rostocker Anwalt Lars Nümann wurde über Stunden daran gehindert, mit seinen Mandanten in der Gefangenensammelstelle Kontakt aufzunehmen. AtmoAnwalt Sprecherin: Auch während der Demonstrationen war die Behinderung anwaltlicher Tätig-keit an der Tagesordnung. Anwältin Katja Herrlich aus Frankfurt/Oder und der Kieler Rechtsanwalt Axel Hoffmann: CUT 32 : Es wurde systematisch unterbunden, daß die Leute uns die Namen nennen konnten. Der Mund wurde zugehalten, die Leute wurden mit dem Kopf weggedreht, die wurden hinter Fahrzeuge gebracht, daß wir keinen Sichtkontakt mehr hatten. /Bei dem Versuch, an diese Personen überhaupt in Hörweite heranzukommen, wurden wir mehrfach weggestoßen. Uns wurde dann aber auch verweigert, zu den festgesetzten Personen in die Gefangenentransporter zu gehen, um die Namen anzufragen. Atmo 22: Tornados www.focus.de/politik/deutschland/g8-gipfel/tornado-einsatz_aid_63275.html Sprecherin 2: Kapitel drei: Feindbild Demonstrant oder Triumph der Exekutive Musik Sprecher 2: "Im Ausnahmefall tritt an die Stelle der Rechtsordnung die Ordnung." Sprecherin: Die neue Ordnung heißt präventiver Sicherheitsstaat in Zeiten des Krieges gegen den Terror und in ihm ist Protest, ist das Ungebärdige, das die Demokratie wie die Luft zum Atmen braucht, nicht mehr vorgesehen. Wie Viele wunderte sich Oliver Rausch während der Poteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm über die überall präsente Bundeswehr. CUT 33:Was mir noch aufgefallen war, daß in der Gesa auch Leute von der Bundeswehr rumgelaufen sind, wo ich Leute in Bundeswehruniform mit diesen komischen Bundeswehr-käppis gesehen hab, die liefen da mit Polizisten durch die Gänge zwischen den Käfigen durch. Schon auf der Fahrt habe ich schon gesehen, daß auf den Brücken überall Bundewehrspanzer stehen mit so Peilgeräten. Über Wichmannsdorf gab es Tornadoflüge und zwar vornehmlich morgens in der Früh, also das war ziemlich offensichtlich, daß sie morgens geguckt haben, wieviele Leute im Camp sind. Hubschrauber gab's auch, der große Hubschrauber, der auf 5 Meter Höhe vor' Camp direkt stand und dann in diesen gesammt offenen Frühstücksbereich reingefilmt hat. Sprecherin: Spähpanzer standen auf Straßenbrücken und Feldwegen, beobachteten in enger Kooperation mit der Polizei Personen- und Fahrzeugbewegungen; Tornados, von der Polizei offiziell für die Dokumentation möglicher Bodenmanipulationen angefordert, rasten im Tiefflug über die Camps der Demonstranten und schossen Fotos von Mensch-enansammlungen; Bundeswehrtransporthubschrauber brachten Polizeihundertschaften zu den Blockaden, Marineboote Polizisten- und Journalisten zum Einsatzort ; Hunderte von Feldjägern waren in Ortschaften, Feld und Flur unterwegs, forografierten Zivilpersonen; im Kreiskrankenhaus Bad Doberan war eine medizinische Sanitätseinheit stationiert. - Mit fast 17.500 Polizisten und Polizistinen, 2.450 Soldaten und Soldatinnen, samt einer unbekannten Anzahl von Mitarbeitern nationaler und internationaler Geheimdienste plus Fregatten der US-Marine in der Ostsee, die den Telefonverkehr während des Gipfels abhörten, war es der größte Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik. Atmo Sprecherin: Immer mehr würden polizeiliche und militärische Zuständigkeiten entgegen den Trennungsgeboten der Verfassung vermengt, empört sich Gerhart Baum, einst Innenminister der sozialliberalen Koalition. Allein die Tatsache, CUT 34: Daß die Bundeswehr dann mit Tornados gekommen ist, das ist natürlich so verfassungswidrig wie nur was. Daß überhaupt jemand auf den Gedanken gekommen ist, die Bundeswehr auf diese Weise einzubeziehen, zeigt ein völlig unausgebildtes Rechtsstaatsverständnis. /Es ist erstaunlich, daß ein im Grunde ganz normaler Vorgang, daß sich Menschen versammeln, um anläßlich eines herausragenden Ereignisses, G8 Gipfel, ihre Meinung zu sagen, daß dies zu solchen hysterischen Gegenreaktionen führt. - Das ist eine bequeme Überlegung heute zu sagen, na ja wir haben ja noch die Bundeswehr und die Bedrohung ist weltweit und da wird Krieg gegen uns geführt, wir sind im Ausnahmezustand. /Carl Schmitt läßt grüssen. /Da heben wir eben den Rechtsstaat partiell auf. Da erwarten wir von den Bürgern Menschenopfer. Wenn se im Flugzeug sitzen, müssen sie sich gefallen lassen, getötet zu werden - das ist eine hochgefährliche Entwicklung, die an den Kern unserer Verfassung rührt. /Die Bundewehr ist keine Ersatzpolizei und darf es auch niemals werden. Die innere Sicherheit hat mit Krieg nichts zu tun. Musik Sprecher 1:"Lassen Sie mich festhalten: Die Unterstützung der polizeilichen Maß-nahmen durch Luftaufklärung mit Bundeswehrtornados war rechtlich durch die Bundes-wehr geprüft, genehmigt und bewegte sich insoweit im verfassungsmäßigen Rahmen. Sie ist nicht zu beanstanden." Sprecher 2: "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Atmo Sprecherin: Der Souverän in Heiligendamm war eine Behörde der besonderen Art: die Besondere Aufbauorganisation, BAO-Kavala, so genannt nach der nordgriechischen Hafenstadt Kavala, die wie Heilgendamm 'weiße Stadt am Meer' heißt. Die BAO-Kavala war formell eine Behörde der Landespolizeidirektion Rostock. In der Sonderbehörde waren die Länderpolizeien, das BKA, die Bundespolizei, die Bun-deswehr sowie deutsche und ausländische Geheimdienste durch Verbindungsbeamte vertreten. So bündelte diese BAO national und international exekutive Kompetenzen in einer Machtfülle, wie es sie in der Bundesrepublik bisher noch nicht gegeben hat. Nach Aussagen von Kavala-Beamten vor dem Oberverwaltungsgericht Greifswald gab die CIA bei den Sicherheitsstandards den Ton an.- Solche Zusammenballungen unkontrollierbarer exekutiver Macht seien inzwischen bei politischen Großereignissen üblich, sagt Henning Obens, Politikwissenschaftler aus Hamburg. CUT 35:Unsere Befürchtung ist, daß dann im Endeffekt gar keiner dort kontrolliert hat und man sone Mischform von Zusammenarbeit etablierte. Beispielsweise diese Anforderung von den Tornados, die ja Kavala selbständig gemacht hat, unabhängig vom Innenminister. Da stellt sich auch die Frage, hat sich diese Behörde verselbständigt? Unsere Befürchtung ist, daß sich dort gerade so'n Modell entwickelt hat, wie in Zukunft unkontrollierte Formen von Sicherheitspolitik sich entwickeln kann. Atmo Sprecherin: Die Sonderbehörde Kavala war der inzwischen wieder aufgelöste Schluß- und Eckstein der Sicherheitsarchitektur des G8-Gipfels von Heiligendamm. Alles deute darauf hin, so Henning Obens, daß die BAO die wichtigste Säule der Machtkontrolle in einer Demokratie, die Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern, zwischen Exekutive und Judikative,samt der grundgesetzlichen Trennungsgebote von Polizei, Geheimdiensten und Militär für Wochen außer Kraft gesetzt hat. Hier wurden national und international Konzepte der zivil-militärischen Zusammenarbeit, kurz ZMZ, erprobt. ZMZ das ist die Zauberformel in Zeiten des Krieges gegen den Terror. So erließ die BAO Kavala eine Allgemeinverfügung und schuf eine 40 km2 große versammlungsfreie Sonderrechtszone und damit die juristische Basis für die massiven Grundrechtseinschränkungen in der Protestwoche. Begründet wurden die mit einer sog. Gefahrenprognose: Atmo Sprecher 1: einer "erhöhten Wahrscheinlichkeit extremistischer und terroristischer Anschläge", dem "bedrohten Ansehen der Bundesrepublik" für den möglichen Fall von Anschlägen, "islamistischem Terrorismus als größtem Gefährdungspotential" und einer "latenten Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus", "Störungen früherer Gipfeltreffen" und damit, daß "die Protestszene eine klare Absage an gewalttätige Aktionen vermissen" lasse. Deshalb müsse von einer "konkreten Anschlagsgefahr" ausgegangen werden. Sprecherin: Im allgegenwärtigen Krieg gegen den Terror, so der Kern der Begründung, muß die Freiheit der Sicherheit, müssen die Bürgerrechte geopfert werden. Im Nachhinein erklärte die Bundesregierung, daß niemals eine konkrete Gefahr von Terroranschlägen bestanden habe. Vorverlagerung der Kompetenzen der geballten Macht der Exekutive ins Feld möglicher abstrakter Gefahren, die von dieser beliebig und unkontrolliert definiert werden können, das sind die Devisen des präventiven Sicherheitsstaats. In dieser Logik kommen Demonstranten nur als Störer und Gefährder, als Feinde der Ordnung vor und nicht als Bürger mit Rechten und Interessen. Musik Sprecher 2: "Die Autorität braucht im Ausnahmezustand um Recht zu schaffen kein Recht, ohne dass es sich dabei um einen rechtswidrigen Zustand handeln würde." Carl Schmitt Musik Sprecherin: Der auf Demonstrationsrecht spezialisierte Berliner Anwalt Sönke Hilbrans, der gegen Fälle von Polizeiwillkür bei den Protesten gegen den G8-Gipfel prozessiert: CUT 36: Wo jede irrationale und irrwitzige Risikoprognose gleichzusetzen ist mit einer realen Gefahr, da sind doch die Würfel gefallen für die Grundrechte derjenigen, die auf der anderen Seite vom Zaun und auf der anderen Seite der Polzeikette stehen. Wo maximale Sicherheit zu leisten ist, muß der Staat jedes Mittel ergreifen und das konnten wir tatsäch-lich in Heiligendamm beobachten. Sozusagen zwiebelschalenmässig vom Tagungsort über die rote Zone, über den Zaun und über das Zaunvorfeld, dann in die Hügel der umliegenden Gemeinden, wo die Camps lagen und dann noch weiter Richtung Rostock-Laage und Rostock City und dann noch weiter zu den Vorfeldkontrollen an den Autobah-nen. Ein Sicherheitsnetz, das über die Landschaft gezogen werden mußte, das jeden einzelnen Bürger nicht unbeobachtet lassen konnte. Sprecherin: Dieses Sicherheitsnetz, diese 'zero tolerance' gegenüber dem Bürger war dem Grunde nach verfassungswidrig, erklärte das Bundesverfassunggericht in seinem Eilbeschluß vom 6.6.07 zum Verbot des Sternmarsches auf das Gipfelzentrum in Heiligen-damm: Sprecher 1: "Es stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken, ein solches Versamm-lungsverbot im Wesentlichen unter Verweis auf das Sicherheitskonzept der Versamm-lungsbehörde zu rechtfertigen. Die Überlegungen, die diesem Sicherheitskonzept zu Grunde liegen, tragen dem Grundrecht der Versamlungsfreiheit nicht Rechnung." Sprecherin Das höchste deutsche Gericht als Hüter des Rechtsstaats im Abwehrkampf gegen den präventiven Sicherheitsstaat. Dennoch wurden die weiträumigen Demonstrati-onsverbote nicht aufgehoben. Das Bundesverfassungsgericht ging nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen am 2.Juni von einer Gefahrenprognose aus, die die Verbote zu rechtfertigten schien. Die Exekutive hatte gesiegt. Die BAO-Kavala war der Souverän im Carl-Schmitt'schen Sinne, der über den Ausnahmezustand entscheidet. Sönke Hilbrans: CUT 37: Daß die Grenzen der Verfassung so offensichtlich ignoriert werden, gerade was den Einsatz der Bundeswehr im Inneren angeht, gerade auch was die Behauptung angeht, man wäre anhängig von im Ausland fomulierten global gültigen Sicherheitsmaßstäben, das ist was Neues. Hier wurde, und es ist ja nur zu befürchten, daß das Schule macht, die Verfassung ignoriert. Ein nihilistischer Zugang zur Verfassung und zum Recht, das als störende Materie durch Aufweichung gefügig gemacht werden muß, das scheint mir neu bei G8 2007 gewesen zu sein. Musik Atmo CUT 38: Es gab immer wieder Situationen, in denen Polizeieinheiten einzelne Personen, die sie irgendwie in die Finger gekriegt haben, zu Boden geschlagen haben, wenn se bewußtlos waren i.d.R. liegengelassen haben; und das hab ich da eben nicht einmal gesehen, das hab ich da vier-, fünf-,sechsmal gesehen./ Ich hab einen Fall, der ist die in die JVA Bützow gekommen und mußte sich da nackt ausziehen und nachdem er sich nackt ausgezogen hat, wurde ihm befohlen, seinne Hoden hochzuheben und Kniebeugen zu machen./ Atmo Sprecherin 1: Polizeioberkommissar und Einsatzleiter Knut Abramowski Atmo Sprecherin 1: Der frühere Innenminister Gerhart Baum: CUT 39 :In einer solchen Situation, die hier geschildert wird von den Zeugen dieser zum Teil unglaublichen Vorgänge, wäre das Naheliegendste, daß sich das Parlament mit dem Verhalten der Exekutive befaßt. Das ist die Aufgabe der Parlamentarier. Sie müssen sich mit begründeten Vorwürfen,schweren Vorwürfen, daß hier Recht und Gesetz nicht gewahrt worden ist, befassen,dafür sind sie vom Bürger gewählt worden. Das heißt, ganz präzise gesagt, die zuständigen Landesminister müßten sich vor ihrem Parlament rechtfertigen müssen. Sprecherin 1: Die Operation Kavala müsse juristisch aufgearbeitet werden, das seien wir den in ihren Rechten verletzten Bürgern und der politischen Kultur in einer Demokratie schuldig, genauso wie die Gewalttaten gegenüber der Polizei verfolgt werden, mahnt Innenminister a.D. Gerhart Baum und erinnert mit einem Brief von Jürgen Habermas an Kurt Sontheimer aus dem Jahr 1978 an den Deutschen Herbst, einen anderen nationalen 'war on terror', 30 Jahren vor dem unerklärten internationalen Krieg gegen den Terror: CUT 40: Es besteht heute die Gefahr, daß in Rechtssprechung, Politik, Verwaltung und Publizistik Carl Schmitts Theorie der innerstaatlichen Feinderklärung zur Routine wird. Nach dieser Theorie beweist der Staat seine Autorität in Gefahrensituationen dadurch, daß er den inneren Feind bestimmt. Nun könnte man meinen, daß sich die Terroristen als Feinde des Staates definieren. Aber ihnen gegenüber beweist der Rechtsstaat seine Aurtorität gerade dadurch, daßer sie nicht als Feinde sondern als Kriminelle behandelt werden, die unter dem Gesetz stehen. Nur ein Staat, der sich das faschistische Selbstverständnis des Staats Carl Schmitts zu eigen machen würde, bräuchte innere Feinde, die er, wie im Kriegsfall die äußeren Feinde bekämpfen darf. Sprecherin 2 Absage Der G8-Gipfel in Heiligendamm Ausnahmezustand in Deutschland Ein Feature von Anselm Weidner Es sprachen: Isis Krüger, Doris Plenert, Hüseyin Cirpici und Josef Tratnik Ton und Technik: Claus Heieck und Gabriele Traichel Regie und Redaktion: Hermann Theißen Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks. 21