Deutschlandradio Kultur, Reportage 03. Januar 2016, 12.30 Uhr Der Praxistest. Ein Jahr bedingungsloses Grundeinkommen Von Wolf-Sören Treusch ATMO 1 Vortrag Bohmeyer Teil I 0?08 frei, dann drunter Lasst uns Menschen von Zwängen befreien. Und was ist der größte Zwang unserer heutigen Welt? Es ist die vermeintliche Abwesenheit von Geld. AUTOR 1 Ohne Umschweife kommt Michael Bohmeyer zum Thema. Er redet schnell. Hier und da betont er an der falschen Stelle, verhaspelt sich. Seine Merkzettel fallen ihm aus der Hand. Michael Bohmeyer ist aufgeregt. ATMO 1 (bei 0:21) 0?07 hoch, wieder drunter Und wie kann man diesen Sachzwang auflösen? Ich habe bisher keine bessere Idee gefunden als das bedingungslose Grundeinkommen. AUTOR 2 Er hat eine Botschaft. Aber er ist es nicht gewohnt, sie vor so vielen vorzutragen. Dazu ist die Idee noch zu jung. Auftritte wie dieser im Februar 2015 sind Neuland für ihn. Knapp einhundert Zuhörer sind gekommen, nach Berlin-Kreuzberg, in einen alten Gewerbehof. Früher gab es hier eine Lampenfabrik, heute finden Kurse in Swingtanz statt, und Konferenzen zur New Economy. Der Wandel der Arbeitswelt ist an diesem Ort allgegenwärtig. ATMO 1 (bei 1:11) 0?06 hoch, wieder drunter Grundeinkommen ermöglicht überhaupt erst Veränderung, die natürlich am Ende in unserem Kopf stattfinden muss. AUTOR 3 Was würde passieren, wenn jeder Mensch, der in Deutschland lebt, vom Staat ein bedingungsloses Grundeinkommen bekäme? Würde tatsächlich niemand mehr arbeiten, wie die Kritiker behaupten? Das sind die beiden zentralen Fragen, die den 30-jährigen Programmierer umtreiben. Seit 2014 erhält Michael Bohmeyer selbst eine Art Grundeinkommen. Tausend Euro im Jahr, er besitzt Anteile an einem Start-Up-Unternehmen, das er mit aufgebaut hat. Als er sich von dort zurückzog, fiel er in ein ?ganz schönes Loch?, sagt er. Also legte er To-Do-Listen an. Ohne Ende. O-Ton 01 Bohmeyer 0?27 Und dann, nach einem halben Monat mir Stress machen, habe ich gemerkt: ?krass, völlig absurd, jetzt habe ich mal die Chance, was anderes zu machen, jetzt mache ich es wieder, wie man es immer macht?. Und dann habe ich einen Monat lang versucht, mich in den Park zu legen, ohne Buch und ohne Handy und lag dann da einfach so, und das ging immer ungefähr 5 Minuten gut, das war der Horror, das war die schlimmste Zeit des Jahres, weil: ich habe das einfach nie gelernt nichts zu machen, das hat ja fast ne revolutionäre Kraft, nichts machen? Man kann eigentlich nicht nichts machen. ATMO 2 Vortrag Bohmeyer Teil II nur drunter AUTOR 4 Michael Bohmeyer stellt fest: mit dem Grundeinkommen zu leben, ist offensichtlich gar nicht so einfach. Also startet er einen Modellversuch. Im Spätsommer 2014 gründet er eine Online-Plattform, mit deren Hilfe er im Internet Geld fürs Grundeinkommen sammelt. Crowdfunding nennt sich das. Immer wenn 12.000 Euro zusammengekommen sind, verlost er das Geld. Dann erhält ein Mensch ein Jahr lang tausend Euro im Monat. Bedingungslos. Ein einzigartiges Menschenexperiment. Das erste Grundeinkommen ist schnell finanziert. Es gewinnt ein junger Mann, der daraufhin seinen Job im Callcenter kündigt und eine Erzieherausbildung anfängt. Für Michael Bohmeyer ein erster Hinweis darauf, dass seine Idee funktionieren, dass Grundeinkommen unabhängig machen kann. ATMO 2 Vortrag Bohmeyer Teil II (bei 1:03) 0?09 hoch, wieder drunter Aber wer bin ich, um euch das alles zu sagen, probiert es selbst aus, deswegen verlosen wir in einer Stunde hier auf dem Hof das nächste Grundeinkommen, und dann macht eure eigenen Erfahrungen. (großer Applaus) AUTOR 5 Acht Minuten wirbt er für sein Projekt. Das vorwiegend junge Publikum ist hingerissen. Auch von der lockeren Art, in der der schlanke Typ mit der Strähne, die ihm ständig ins Gesicht rutscht, an die Sache herangeht. Einer steckt ihm einen 50-Euro-Schein zu. ?Direkt fürs Grundeinkommen?, sagt er, und: ?geiler Vortrag?. ATMO 3 Bühne im Gewerbehof 0?08 frei, dann drunter (Musik aus Star Wars, anschließend Moderation) AUTOR 6 Im Gewerbehof wird eine rostige Hebebühne hochgefahren. Darauf Michael Bohmeyer und ein selbst gebasteltes Glücksrad. Und die Moderatorin, die stolz verkündet, dass 755 User per Livestream die Verlosung im Internet verfolgen. ATMO 4 Glücksrad drehen 0?02 frei, dann drunter AUTOR 7 Dann drehen sie das Glücksrad. Heraus kommt eine Buchstabenkombination, die Michael Bohmeyer in seinen Laptop eintippt. Nach wenigen Sekunden erscheinen die Namen der beiden heutigen Grundeinkommensgewinner auf dem Bildschirm: Josefine, ? O-TON 04 Moderatorin 0?05 ? und der zweite Gewinner heißt >Piepton> [ACHTUNG REGIE: bitte besorgen]<. Herzlichen Glückwunsch auch an >Piepton>. (Applaus) AUTOR 8 Mancher Grundeinkommensgewinner will anonym bleiben. Nennen wir den Glücklichen also ?Toby?. Sechs Wochen nach der Verlosung treffen wir uns zum ersten Mal. In einem Café in Berlin-Kreuzberg. ATMO 5 Straßenverkehr kurz frei, dann drunter AUTOR 9 Es ist ein warmer Frühlingstag. Die Straßen sind belebt. Toby wirft einem Bettler eine Euromünze in den Plastikbecher. Toby ist 34 und wohnt in Berlin. Seine Haare sind schwarz, Hose und T-Shirt auch. Die ersten 1.000 Euro sind mittlerweile auf seinem Konto. O-TON 05 Toby 0?02 Ja, ich konnte es erstmal gar nicht fassen. AUTOR 10 Die Geschichte, die er erzählt, klingt verrückt. Er hat gerade die Therapie für einen Alkoholentzug abgeschlossen, als er die Nachricht erhält, er habe für ein Jahr das bedingungslose Grundeinkommen gewonnen. O-TON 06 Toby 0?26 Coole Sache (lacht). Es hat mich natürlich gefreut, und ich habe mir dann natürlich schon so ein paar Sachen überlegt, die ich mir dann schon holen würde, und dass ich dann weniger Stress hätte, mir halt ständig neue Jobs suchen zu müssen, mit denen ich halt irgendwie durchkomme. Computer-Reparaturen, oder Leuten auch bei Umzügen helfen, ganz verschieden. Auch mal Tür-Selektion in Clubs oder ?, ich mache eigentlich alles. AUTOR 11 Als erstes füllt er den Kühlschrank mit Lebensmitteln, dann kauft er sich einen neuen Rucksack, einen, der nicht gleich kaputt geht. O-TON 07 Toby 0?35 Ich habe mir sonst immer nur den billigsten Rucksack zusammengekauft, für 8 Euro zum Beispiel aus dem Asiatenshop, die halten dann meistens ein Jahr, und diesmal habe ich dann 20 Euro in die Hand genommen, mir einen stabileren geholt, der dann halt mich die nächsten Jahre begleitet. Das sind halt so ne Kleinigkeiten, die ne ganze Menge ausmachen. Ein Paar stabilere Schuhe waren auch drin, und eine Hose, die nicht immer gleich zerreißt und so was. Das sind halt Sachen, die man sich, wenn man auf jeden Euro gucken muss, erstmal nicht leisten kann, die halt mittelfristig oder auf längere Sicht gesehen dann doch lohnen. Nachhaltiger. AUTOR 12 Wie nachhaltig er sein Leben gestaltet, ist ihm nicht so klar. Das ist der Grund, warum er zu viel Alkohol trank. Unterforderung, Resignation, er wusste nichts mit sich anzufangen. Da war das Bier ein guter Tröster. Mit dem Grundeinkommen hat er nun die Sicherheit, dass er in Ruhe, ?stressfrei?, wie er sagt, darüber nachdenken kann, wie es weitergehen soll. O-TON 08 Toby 0?19 Ja, genau so. Das war halt so ne Art Botschaft irgendwie, dass ich nicht ohne Möglichkeiten ins Großstadtleben zurückgeworfen werde, sondern halt dass ich quasi ne Art Startkapital habe, um neu anzufangen. So nehme ich das halt auch als Chance an, mit klarem Kopf mein Leben neu zu ordnen. AUTOR 13 Zwei Träume will er sich erfüllen. Erstens: ein kleines Kajütboot kaufen, mit Platz für bis zu zehn Personen. Damit will er durch Berlin schippern, Orte besuchen, die kaum jemand kennt. O-Ton 09 A Toby 0?14 Das andere sind halt so meine Computersachen. Also dass ich bis jetzt ein gutes Händchen für Computer habe, klar, mit Jahrelanger Erfahrung, weil ich schon als kleiner Junge neugierig an den Kisten rumgeschraubt habe, dann kennt man sich halt gut aus damit. O-Ton 09 B Toby 0?09 Ja, genau, dass ich dann halt ein Gewerbe anmelde oder als Computerdoktor hinfahre oder mir die Leute ihre Geräte bringen: so hätte ich mir das gedacht. AUTOR 14 ?Mein Hobby zum Beruf machen? hatte er auf der Website der Crowdfunding-Plattform auf die Frage geantwortet, was er mit einem Grundeinkommen machen würde: noch weiß er nicht, ob er es schaffen wird. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens fasziniert Toby schon seit langem. Deshalb hat er auch die Verlosung im Internet entdeckt. Er findet es ?super?, dass endlich jemand den Praxistest wagt und ein Grundeinkommen verteilt. O-Ton 10 Toby 0?13 Ich will jetzt gucken, was bei mir passiert, ich sehe das ja auch als Modellversuch, gleichzeitig natürlich als Herausforderung an, dass das Projekt gut wird und auch für andere dann funktioniert. AUTOR 15 Denn wer finanziell abgesichert ist, davon ist Toby überzeugt, dem eröffnen sich neue Freiräume, die richtige Arbeit zu finden. O-TON 11 Toby 0?26 Außerdem ist es so, dass viel Geld in einen Repressionsapparat gesteckt wird, wenn ich an Sanktionierungsmaßnahmen durchs Job-Center denke usw., das eigentlich an der falschen Stelle ausgegeben wird. Wenn man diese Gelder anstatt sich gegenseitig zu schikanieren freistellen würde, umfinanzieren würde, dann hätte man eine entspanntere Gesellschaft. Ein schöneres Miteinander, denke ich. AUTOR 16 Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens birgt viel soziale Sprengkraft. Toby kann das beurteilen ? er war auch schon Hartz-IV-Empfänger. Für ihn gilt jetzt: er will was draus machen, aus seinem Grundeinkommen. O-TON 12 Toby 0?10 Ich will auf jeden Fall das so gestalten, dass ich auch in der Zeit danach noch davon profitiere. Das ist klar. Ich sehe das als Startchance, und jetzt nicht als lebensbegleitende Dauersubvention. ATMO 6 Türsummer, Treppenhaus kurz frei, dann drunter AUTOR 17 In Kassel, im Stadtteil mit dem schönen Namen Vorderer Westen, wohnt Marc. Er ist Gewinner des bedingungslosen Grundeinkommens Nummer 13. Seit mittlerweile fünf Monaten bekommt er an jedem Ersten 1000 Euro. O-TON 13 Marc 0?20 Als erstes, als ich realisierte, dass ich tatsächlich der Gewinner bin, dachte ich erstmal nur: ?boh, wie geil?. Es fiel eine Riesenlast von mir ab, weil ich in der Situation war, dass es zeitnah anstand, dass ich aus dem Krankengeld ausgesteuert werde, ja, und dann eben für mich die Frage war: wie finanziere ich meinen Weg der Gesundung weiter? ATMO 6 Therapiesituation (bei 0?58) 0?12 hoch, wieder drunter (Therapeut) ? das ist die Couch, auf der Herr Wander gleich Platz nehmen wird. AUTOR 18 Drei Mal die Woche geht er zum Psychoanalytiker. Marc ist 28, seit 10 Jahren leidet er an Morbus Crohn, einer chronisch entzündlichen Magen-Darm-Erkrankung. Seinen Job bei der Bank hat er mittlerweile aufgegeben. Marc ist überzeugt: das einzige, was ihm noch hilft, ist die Psychoanalyse. ATMO 6 Therapiesituation (bei 1?45) 0?06 hoch, weg (Therapeut) ? das ist also klassisch analytisch: ich sitze da, der Patient liegt da. AUTOR 19 Um endlich gesund werden zu können, ist das Grundeinkommen für Marc ein enorm wichtiger Baustein. Denn es bedeutet: kein lästiger Formularkram mehr, nicht kämpfen müssen um medizinische Selbstverständlichkeiten. Marc fühlt sich unabhängig. O-TON 14 Marc 0?33 Was sich für mich massiv verändert hat, ist die Bedingungslosigkeit. Bei dem Grundeinkommen, was ich jetzt bekomme, weil ich einfach nicht funktionieren muss gerade, für niemanden, und trotzdem keine Angst um meine finanzielle Existenz zu haben brauche. Es ist nicht so, dass ich sage, ich muss zu nem bestimmten Zeitpunkt Formular XY ausgefüllt haben, bei nem Medizinischen Dienst erscheinen, weil mir sonst droht, dass meine finanzielle Basis mir weg bricht. Und das ist unheimlich befreiend. AUTOR 20 Und macht sich seitdem auch körperlich bemerkbar. O-Ton 15 Marc 0?27 Ab dem Moment, wo für mich der Gewinn klar war, wo für mich die kleinen bürokratischen Dinge diesbezüglich geregelt waren und ich wusste, jetzt habe ich erstmal ein Jahr finanzielle Sicherheit und bin keinem zu irgendeiner Rechenschaft verpflichtet, war es so, dass von Woche zu Woche konnte ich über meine Blutwerte sehen, dass die Entzündung zurückging. Es passte auch zu meinem inneren Gefühl der Befreiung, ja. ATMO 7 Zimmer nur drunter AUTOR 21 Marc ist Junggeselle. Er lebt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, über dem Eingang hängt ein Schild: ?Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit?. Die Wohnung ist akkurat eingerichtet. Neben dem Schreibtisch: ein Adventskalender von Legoland. Auf dem Küchentisch: eine prall gefüllte Tablettenbox. Im Hintergrund brummt der Kühlschrank. Marc ist eine wandelnde Apotheke. Er schluckt immer noch regelmäßig Kortison, dessen Nebenwirkungen wiederum bekämpft er mit anderen Medikamenten. Er lebt zurückgezogen. Einer seiner wenigen Kontakte nach außen ist der Internetblog des Projekts, von dem er sein Grundeinkommen bezieht. Dort hat er mehrere Male seine Situation beschrieben. Die Resonanz ist groß. Viele fühlen mit ihm. Die Idee des Grundeinkommens für alle gefällt ihm. Marc ist überzeugt: es ist der richtige Schritt hin zu einer gesünderen und gerechteren Gesellschaft. O-TON 16 Marc 0?17 Wenn ich gesund bin, habe ich mehr davon, von meinem Leben, aber gleichzeitig entlaste ich auch das Sozialsystem, ich glaube, das ist das, was das Grundeinkommen besonders macht, dieses aus einem Müssen ein Wollen werden zu lassen. Ein Wollen, was aus einem selbst heraus kommt. Ohne Druck von außen. ATMO 8 Meeting Teil I nur drunter AUTOR 22 Teamsitzung in Berlin-Kreuzberg. ATMO 8 Meeting Teil I (bei 0:04) 0?14 hoch, dann drunter Ich fühle mich sehr angeschlagen und krank und sehe eigentlich nur mehr Probleme als Lösungen, aber ich bin ja auch hier und arbeite mit euch gerne im Team, um auch von den Lösungen überzeugt zu werden, nee, alles cool, wir kriegen es alles hin, ? AUTOR 23 Im vierten Stock eines Industriegebäudes aus der Gründerzeit ist das Projekt von Michael Bohmeyer beheimatet. Jeden Montag trifft sich das Team. ATMO 8 Meeting Teil I (bei 0:30) 0?05 hoch, wieder drunter ? mein Ding ist heute, den Geldfluss zu regeln. Wenn ich das geschafft habe, habe ich auch bessere Laune. AUTOR 24 Zu Beginn berichten die Mitarbeiter, wie es ihnen gerade geht mit dem Projekt. Ein gängiges Ritual in der Start-Up-Szene. Verabredungsgemäß klappen sie ihre Laptops zu, es dauert keine zwei Minuten, dann hat Michael Bohmeyer seinen wieder geöffnet. Hierarchiefreies Arbeiten, ein typisches Merkmal für Existenzgründerprojekte wie dieses, ist dem Projektgründer selbst im Grunde zu schwerfällig. O-TON 17 Bohmeyer 0?30 Die Realität hat uns dann ein bisschen eingeholt, dass einfach das Tempo, das man zu zweit und zu dritt im Team hat, sich nicht linear verändert, wenn man auf einmal zu elft ist, sondern da muss man eben viel mehr kommunizieren, deswegen haben wir es in diesem Jahr noch nicht geschafft, hundert Grundeinkommen zu finanzieren, aber wir haben ne Supergrundlage bekommen: wir sind nämlich mittlerweile 175.000 User auf unserer Website, vor einem halben Jahr waren es, glaube ich, 30.000, also ein enormer Anstieg, damit haben wir eigentlich die Grundlage geschaffen, um das im nächsten Jahr, denke ich, zu schaffen. ATMO 9 Meeting Teil II 0?09 frei, dann drunter Und dann könnten wir auch ne Grafik machen, und die könnten wir auch bei Facebook posten, wo wir so: 12.000 Support-Mails und 100 Millionen Euro gefundet und so. AUTOR 25 Begriffe der Kreativwirtschaft fliegen durch den Raum, jeder zweite Satz enthält das Wort ?cool?. Überall kleben Zettel. Auf großen Stellwänden sind die Projektziele notiert, die Listen sind lang. Ganz oben steht in Großbuchstaben: GELD. Darum geht es: möglichst viel davon einzuwerben, um möglichst viele Grundeinkommen zu verteilen. O-TON 18 Bohmeyer 0?34 Das Projekt hat sich von einer naiven Idee, die ganz einfach anmutete, zu einem komplexen Projekt entwickelt, wir sind mittlerweile 11 Leute, die hier Vollzeit arbeiten, programmieren, Grafiken gestalten, die Community pflegen, die Spenden verwalten, und sich neue Dinge ausdenken, das Ganze muss man buchhalterisch klären, steuerlich klären, die ganzen Korporationen organisieren, die Verlosungsveranstaltung planen, und es ist so, dass wir eigentlich alle, ja: ganz schön dolle zu tun haben. Ja, es ist absoluter Fulltimejob und eigentlich auch oft noch mehr als das. ATMO 10 Meeting Teil III nur drunter AUTOR 26 Das Projekt ist als gemeinnütziger Verein eingetragen, das Finanzierungsmodell ist so erfolgreich, dass sich die Mitarbeiter inzwischen Gehälter auszahlen können. ?Vernünftige?, wie Michael Bohmeyer betont. Es geht nach dem Bedarfsprinzip: jeder bekommt das, was er fürs Leben braucht, die Frauen 15 Prozent mehr, die so genannte Patriarchatsabgabe, weil sie sich erfahrungsgemäß zu niedrig einstufen. ATMO 10 Meeting Teil III (bei 0:33) 0?07 hoch, dann drunter Insgesamt wäre es mal cool, einen Newsletter an die Crowdhörnchen zu schicken und zu sagen: ?hey, ihr habt übrigens das und das gemeinsam und so, danke?. AUTOR 27 Crowdhörnchen: das sind die User, die monatlich eine feste Summe fürs Grundeinkommen spenden. Fast 10.000 sind es mittlerweile, Tendenz steigend. Insgesamt haben bisher schon mehr als 30.000 Menschen das Projekt unterstützt. ?Weil ich die Aktion einfach gut finde? ist eine der meist gelesenen Begründungen auf der Website. Eine knappe halbe Million Euro ist dadurch schon zusammengekommen. 25 Menschen beziehen für ein Jahr das bedingungslose Grundeinkommen. Oder haben es bezogen. Und von denen hört Michael Bohmeyer nur Gutes. O-TON 19 Bohmeyer 0?35 Zum Beispiel dass sie besser schlafen, dass sie sozialer geworden sind, dass sie sich ehrenamtlich engagieren, spenden, dass Familien enger zusammengerückt sind, dass Krankheiten gestoppt wurden, oder dass man sich irgendwie beruflich interessant verändern konnte. Was wir bisher nicht erlebt haben, ist, dass die Menschen sich in die soziale Hängematte legen, alle ihre Jobs kündigen und das Geld versaufen, damit ist die größte Angst, die Leute mit Grundeinkommen verknüpfen, glaube ich, erstmal so ein bisschen widerlegt, natürlich ist unser Grundeinkommen nur ein ?Grundeinkommen? in Anführungsstrichen, denn es ist ja nur für ein Jahr, und es ist eben nicht für alle. AUTOR 28 Und natürlich, fügt er hinzu, würde er das Grundeinkommen am liebsten von der großen Politik umgesetzt sehen. Bezahlt beispielsweise aus einer Vermögenssteuer, die es in Deutschland nicht gibt. Noch nicht. ATMO 11 Meeting Teil IV nur drunter AUTOR 29 Auch wenn er manchmal so klingt: Michael Bohmeyer ist nicht einfach nur Idealist. Er ist auch Praktiker: er weiß, wie man Geld verdient, und weil er das weiß, sucht er nach neuen Wegen, es umzuverteilen. ATMO 11 Meeting Teil IV (bei 0:22) 0?05 hoch, dann drunter Ich kümmere mich, ich habe das auf der Liste, weil ich sowieso mit denen skype nächste Woche, und vorab schreibe ich ihm das. AUTOR 30 Die Büroetage der Initiative in Berlin-Kreuzberg ist die Revolutionszentrale einer Revolution, die noch keiner bemerkt hat. So hat es ein Medienkollege vor kurzem beschrieben. Natürlich will Michael Bohmeyer die Gesellschaft verändern, aber leise und ideologiefrei. O-TON 21 Bohmeyer 0?24 Ich habe schon das Gefühl, dass wir sicher einen kleinen, aber einen Beitrag dazu leisten, dass wir uns einfach die Frage stellen: wie wollen wir miteinander leben? Und zwar ganz undogmatisch. Wie die Gesellschaft dann aussieht, das müssen wir alle noch raus finden, aber wichtig ist vor allem, dass wir drüber reden. ATMO 12 Pizzeria nur drunter AUTOR 31 Ein paar Straßen weiter in Berlin-Kreuzberg bekommt der mögliche gesellschaftliche Wandel ein Gesicht: Toby. Gerade hat er sich eine Pizza bestellt. Ein halbes Jahr ist seit unserem ersten Treffen vergangen. Damals träumte er von einem eigenen Boot und davon, mit Hilfe des Grundeinkommens sein Hobby zum Beruf zu machen. Auf das Boot spart er immer noch. Aber den zweiten Teil seines Traums hat er sich tatsächlich erfüllen können. Er arbeitet mittlerweile für ein aufstrebendes Internet-Projekt. Unbefristet. O-TON 22 Toby 0?20 Ja, ich habe jetzt ne sehr schöne Stelle als Systemadministrator gefunden, und: ja, ich fühl mich hier wohl, kann halt mein Hobby zum Beruf machen, das halt darin besteht, an Laptops rumzuschrauben und dafür zu sorgen, dass sie funktionieren, ja, und mir macht es halt Spaß. Mit Technik zu arbeiten oder sie halt in Schuss zu halten. Diese Rolle fällt mir hier zu. AUTOR 32 Die Büroetage seines neuen Arbeitgebers ist riesig. Hier hat Toby seinen Schreibtisch. Aber sein wahres Reich ist ein winzig kleiner Raum, in dem Dutzende von Rechnern, Monitoren und Tastaturen lagern. Toby erzählt, von den 1.000 Euro, die ihm seit März jeden Monat aufs Konto überwiesen werden, hat er sich recht bald zwei Macbooks gekauft. Die neue Arbeitsstelle liegt zu dem Zeitpunkt noch in weiter Ferne. O-TON 23 Toby 0?09 Nein, nein, meine Motivation war ja nicht dieser Job hier, ursprünglich, sondern meine Motivation war halt, die schöne Technik zu haben und damit umzugehen. AUTOR 33 Toby will lernen, begreifen, wie die für ihn neue Technologie funktioniert. Er bringt sich alles selbst bei. Rund um die Uhr. Mit dem Grundeinkommen im Rücken kann er es sich leisten. O-TON 24 Toby 0?09 Ja, wenn ich irgendein Thema habe, das mich intrinsisch motiviert, an dem ich selbst Interesse habe, dann bin ich automatisch gut. Da lerne ich super viel, tausend Mal mehr, als wenn ich zu irgendeinem Kursus gezwungen werde. AUTOR 34 Intrinsische Motivation ? ein Begriff aus der Lernpsychologie. Die innere, aus sich selbst entstehende Motivation eines jeden Menschen. Toby erzählt, er habe sich mit den neuen Computern beschäftigt, weil es ihm Spaß machte. Und weil er es wollte. Nicht um eine Belohnung zu erlangen oder eine Bestrafung zu vermeiden. O-TON 25 Toby 0?05 Ich kann es jetzt aus eigener Anschauung bestätigen, ohne äußeren Druck: ich funktioniere besser so. Ich brauche den nicht. AUTOR 35 Die Belohnung kommt später von ganz allein: der neue Job. Tobys Beispiel zeigt: nicht jeder, der ein Grundeinkommen erhält, legt sich auf die faule Haut. O-TON 26 Toby 0?29 Was heißt: auf die faule Haut legen? Ich habe ja viel gemacht. Nur: ich konnte halt machen, was ich wollte. Gut, das sagen manche: ist faul, ich sage: erst dadurch kommt das wirkliche Potenzial eines Menschen zum Vorschein. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es sehr vielen Leuten so geht, ich höre ja auch von Leuten, die sich wirklich täglich in Jobs quälen, die unterbezahlt sind, die keiner gerne macht, einfach nur weil sie müssen. Aber das Problem ist: dadurch haben sie keine Chance zu gucken, was sie sonst im Leben wollen. AUTOR 36 Toby hat es selbst schon so erlebt: auch er bekam Hartz IV. Der Druck beim Jobcenter, sagt er, ist kaum auszuhalten. Menschen müssen jahrelang irgendwelche Jobs machen, die sie frustrieren. O-TON 27 NEU Toby 0?21 Ich wäre froh, wenn viele Leute mehr zu schätzen wüssten, was Freiheit mit Menschen machen kann. Ich möchte nicht sagen, dass sofort die Welt perfekt wäre. Ich kann nur sagen, dass es sicher viele Leute gibt, die so mit der Freiheit ihrer Wahl sehr gut umgehen würden. AUTOR 37 Toby findet: er hat es geschafft. Wie weit er bei seinem aktuellen Arbeitgeber neuen Zwängen unterworfen ist, kann er noch nicht beurteilen. Er hat den Job erst seit wenigen Wochen. ATMO 13 Gorki-Theater I nur drunter AUTOR 38 Toby und die anderen zwei Dutzend Grundeinkommensgewinner haben ihr privates Glück gefunden. Ob ihre Geschichten nachhallen, politisch wirken, bleibt offen. Deshalb ist das Bild von der Revolution, die noch keiner bemerkt hat, ein zutreffendes Bild. Dabei tun die Befürworter der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens alles, damit es ausschaut, als sei ihr Siegeszug unaufhaltbar. ATMO 13 Gorki-Theater I (bei 0:29) 0?05 hoch, wieder drunter (Moderatorin) Wer würde nichts tun mit einem Grundeinkommen? AUTOR 39 Berlin, Maxim-Gorki-Theater. Im Foyer findet die lange Nacht des Grundeinkommens statt. Es ist ein lauer Winterabend, 300 Menschen sind gekommen und lassen sich mal auf ernsthafte, mal auf humorvolle Art durchs Programm führen. ATMO 13 Gorki-Theater I (bei 0:58) 0?03 hoch, wieder drunter (Moderatorin) Vielleicht das Licht auch aus? (Gelächter und Applaus) AUTOR 40 Die Mehrheit der Besucher ist um die 30 Jahre alt, aufmerksam verfolgen sie die Späße und Diskussionen auf der Bühne. Die Moderatorin erklärt die Anwesenden kurzerhand zu einer Bewegung: die ?Generation Grundeinkommen?. Ein paar Alte sind auch dabei. ATMO 14 Gorki-Theater II 0?11 frei, dann drunter (Ströbele) Was muss das für eine reiche Gesellschaft sein, die es sich leisten kann, allen Menschen ein ausreichendes Einkommen zu garantieren? AUTOR 41 Zum Beispiel das Urgestein der Berliner Grünen, Hans-Christian Ströbele. Er diskutiert das Thema mit anderen Fachleuten aus Politik, Kultur und Wissenschaft. Kritische Anmerkungen gibt es wenige. Einen breiten Raum erhalten die Initiatoren der Schweizer Volksinitiative über ein Bedingungsloses Grundeinkommen. In der Schweiz findet dazu im Sommer dieses Jahres eine Volksabstimmung statt. O-TON 29 Astrid 0?03 Tatsächlich habe ich in der Badewanne gelegen, als ich das Grundeinkommen gewann. ATMO 15 Gorki-Theater allgemein nur drunter AUTOR 42 Auch Astrid ist unter den Besuchern. Sie ist extra aus Bad Oldesloe angereist. Mit gutem Grund: seit Dezember erhält auch sie für ein Jahr das Grundeinkommen. Gleich dreht sie das Glücksrad bei der Auslosung der nächsten Gewinner. O-TON 30 Astrid 0?21 Allein schon heute Abend hier zu sein als eine, die es bekommt, während alle anderen darüber reden, wie es wäre, wenn man es hätte, finde ich schon besonders. Denke ich immer: wenn die alle wüssten, dass ich es schon bekomme, dass ich das erfahren darf, um dann nachher berichten zu können: wie ist es mir damit ergangen. Das bleibt dann nicht Theorie, sondern ich lebe das. Ich bin das wandelnde Beispiel. AUTOR 43 Astrid ist 52, allein erziehend, drei erwachsene Kinder. Sie arbeitet halbtags als Büromanagerin in einem Haus, in dem ausschließlich Frauen tätig sind. Sie mag ihren Job, dennoch will sie das Grundeinkommen nutzen, um sich fortzubilden und selbständig zu machen. O-TON 31 Astrid 0?21 Ja, ich hab da das Gefühl, ich habe eine Verantwortung. Damit entsprechend umzugehen. Und auch das nicht so verpuffen zu lassen. So auch in Richtung nachhaltig, ne? Also dass es für die Zukunft auch noch weiter wirkt und nicht nach einem Jahr: ?ach ja, das war mal ne schöne Erfahrung, war ja nett?, aber dass es dann zu Ende ist. Sondern dass ich das schon so nutzen möchte, dass ich nachher sagen kann: ?das hat mir das Grundeinkommen ermöglicht?. AUTOR 44 Pädagogin für Alexander-Technik würde sie gern werden. Das ist eine Entspannungstechnik, mit der körperliche Fehlhaltungen korrigiert werden. Ihr größter Traum ist es allerdings, eine Ausbildung zur Trauerrednerin zu machen. Die würde sie gern anschließen. Astrid weiß um die Risiken des Alltags, aber sie ist zuversichtlich, dass sie es hinbekommt. O-TON 32 Astrid 0?26 Wenn ich mal in Prozent das ausdrücken möchte, so 70-30. Also einer von den Wissenschaftlern vorhin auf der Bühne, der nannte das ja so, dass einem immer was dazwischen kommt. Er nannte das so: dem bedingungslosen Grundeinkommen sei einmal die Wiedervereinigung dazwischen gekommen, und jetzt sei es die Flüchtlingsfrage, und in meinem Leben kommen auch immer wieder Dinge dazwischen. Ich bin Mutter von drei Kindern, und da kann einer sich denken: da kommt immer mal was dazwischen. ATMO 16 Gorki-Theater Verlosung I 0?09 frei, dann drunter (Musik + Kommentar) AUTOR 45 Um Mitternacht dann der Höhepunkt des Abends: fünf Grundeinkommen stehen zur Verlosung an. Noch immer sind mehr als einhundert Zuschauer da. Fast alle haben sich registrieren lassen und nehmen an der Verlosung teil. Wie viele von ihnen auch gespendet haben, bleibt offen. Auf den Monitoren läuft ein kurzer Einspielfilm über den jüngsten der bisherigen Grundeinkommensgewinner, über den neun-jährigen Robin. Sein Grundeinkommen verwalten seine Eltern. Robin wünscht sich, dass die ganze Welt Grundeinkommen erhält. ?Da hat man dann bessere Gefühle?, sagt er. ATMO 16 kurz hoch, wieder drunter (Applaus) AUTOR 46 Dann betritt Michael Bohmeyer die Bühne. Er berichtet, dass 66.000 Menschen an der Verlosung heute teilnehmen und was das bedingungslose Grundeinkommen bei den Gewinnern bisher ausgelöst hat. An einer Stelle wird er richtig euphorisch. Es geht um den kranken Marc in Kassel. ATMO 17 Bohmeyer (bei 0:27) 0?22 hoch, langsam weg Die wahnsinnig bewegendste Geschichte von allen ist die von Marc. Marc ist chronisch krank und hat immer besonders dann Schübe bekommen, wenn er sich mit dem Sozialamt streiten musste, die ihm immer wieder seine Lebensgrundlage in Frage gestellt haben, und jetzt hat er dieses Grundeinkommen seit einem dreiviertel Jahr, und er hat keine Schübe mehr. Wie krass ist denn das? (Applaus) AUTOR 47 Während Michael sich nun hinter den Garderobentresen zu seinem Laptop begibt, ? ATMO 18 Glücksrad kurz frei, dann drunter AUTOR 48 ? dreht Astrid aus Bad Oldesloe eifrig das Glücksrad. Innerhalb weniger Minuten sind die bedingungslosen Grundeinkommen Nummer 21 bis 25 verteilt. Fortsetzung folgt. O-TON 33 Moderatorin 0?08 frei, dann Kreuzblende Und das 25ste Grundeinkommen insgesamt geht an Hildegard Schroedter. Herzlichen Glückwunsch. (Applaus) O-TON 34 Moderatorin 0?10 Möglicherweise werden wir Hildegard hier in diesen Räumlichkeiten mal irgendwann wieder sehen, denn sie plant eine Theaterproduktion. Cool! (Applaus) 1