Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 3. Mai 2014, 11.05 - 12.00 Uhr Fairplay und Foulspiel - Sport in Weißrussland Mit Reportagen von Ernst-Ludwig von Aster und Anja Schrum Redakteurin am Mikrofon: Johanna Herzing Musikauswahl: Anja Schrum Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Ein alter Oberst über seine Arbeit für die Eishockey-Weltmeisterschaft: Wir müssen uns nichts vormachen Wir kennen die politischen Nadelstiche gegen Weißrussland. Aber wir möchten allen zeigen, dass nicht alles, was über uns gesagt wird, der Wahrheit entspricht. Wir wollen zeigen, wie es hier wirklich ist. Die meisten kennen dieses doch Land überhaupt nicht. Und ein Menschenrechtler über die Nervosität der Lukaschenka-Regierung: Nach den Ereignissen in der Ukraine ist die Regierung hier sehr nervös. Vor allem wenn sich Leute öffentlich äußern. Neulich habe einige Fußballfans ein Foto von sich im Internet veröffentlicht. Mit Plakaten, auf denen sie die Maidan-Bewegung unterstützen. Die Polizei hat herausgefunden, wer mitgemacht hat. Und sie dann verhaftet. Fairplay und Foulspiel - Sport in Weißrussland. Eine Sendung von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster. Am Mikrofon: Johanna Herzing. Ein Land im Gleichtakt - Sport ist in Weißrussland nicht unbedingt Privatvergnügen, sondern eine Sache von nationaler Bedeutung. Wenig wird dem Zufall überlassen und alle sollen mitmachen. Beim "Sportappell" zum Beispiel. Jeden Morgen um kurz nach 11 Uhr kommt Weißrussland in Schwung. Den Takt gibt der Staat vor, übers Radio. Kein Wunder, schließlich ist Aleksander Lukaschenka - seit 20 Jahren an der Macht - selbst ein eifriger Sportsfreund. Auf Schlittschuhen, mit einem Schläger bewaffnet ist er regelmäßig auf der Jagd nach dem Puck, zuletzt Seit an Seit mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Ein Freundschaftsspiel kurz vor den olympischen Spielen in Sotschi. Jetzt ist Lukaschenka selbst als Gastgeber gefragt. Im Mai findet in Weißrussland die Eishockey-Weltmeisterschaft statt, trotz internationaler Proteste und Boykottaufrufe. Damit keiner der Besucher einen falschen Eindruck bekommt, hat der Präsident auch schon angeordnet wie sich sein Land zu präsentieren hat: zivilisiert und europäisch. Alles muss glänzen, alles muss reibungslos ablaufen. Vor allem am Hauptaustragungsort, der Minsk-Arena. Reportage 1: Der Herr der Halle - ein Oberst und die Eishockey-WM Der Aufzug fährt vom VIP- Eingang Nr. 1 in den sechsten Stock hinauf. Bis fast unter das Dach der Minsk-Arena. Dann geht es ein paar Schritte nach rechts bis zu Zimmer-Nummer 627. Nikolai Sergienko telefoniert an seinem Schreibtisch. Dabei blickt der 62-Jährige über Zettel-Berge und Heiligen-Bildchen hinweg aus dem Fenster und auf die Kräne der benachbarten Baustelle. Der Direktor der Minsk-Arena beendet eilig das Telefonat, guckt auf die Uhr. Er habe maximal eine Stunde Zeit, sagt er und deutet auf den Kalender an der Wand. 32 farbige Kästchen markieren allein die Heimspiele von Dinamo Minsk hier in der Arena. "Das sind nur die Eishockey-Spiele. Außerdem haben wir hier Konzerte und jede Menge andere Veranstaltungen", sagt er. Shakira ist schon aufgetreten, Elton John, Jennifer Lopez. Jetzt steht für ihn vor allem die Vorbereitung der Eishockey-Weltmeisterschaft auf dem Programm. Auf die WM bereitet sich nicht nur die Stadt Minsk vor, sondern unsere ganze Republik Belarus. Wir wollen einen hervorragenden Service bieten. Und wir möchten, dass die Fans - insbesondere die aus dem Ausland - nicht nur super Spiele und Top-Mannschaften erleben, sondern auch unser Land, die Republik Belarus, kennenlernen. Und wir haben etwas zu bieten. Heute morgen habe ich im Radio gehört, dass angeordnet wurde, während der WM alle Restaurants bis sechs Uhr morgens offen zu halten. Wieder klingelt das Handy. Nikolai Sergienko gibt ein paar kurze Anweisungen, schüttelt den Kopf, springt auf und geht zum Garderobenschrank. "So kann man nicht arbeiten", schimpft Sergienko, schiebt sein Handy unter einen Stapel Handtücher und schließt die Schranktür. Rein äußerlich wirkt er mit seinem kantigen Schädel und dem schlichten, grauen Anzug nicht wie ein weltgewandter Event-Manager. Eher wie ein Kolchos-Chef. "Sie kennen mich ja gar nicht", sagt Sergienko und holt ein abgegriffenes, braunes Fotoalbum aus dem Schrank. Das erste Bild zeigt ihn als jungen Rekruten. Sergienko hat die Militärakademie besucht, als Offizier in Afghanistan gekämpft, in Tschernobyl aufgeräumt und schließlich im Ministerium den Katastrophenschutz koordiniert. Außerdem war er vier Mal Abgeordneter im weißrussischen Parlament. "Alexander Grigorjewitsch habe ich des Öfteren getroffen", sagt Sergienko und deutet auf ein Bild, das ihn neben Präsident Lukaschenka zeigt. Jetzt betreut der Oberst a.D. eines der Prestige-Objekt des Präsidenten: Die Minsk Arena, den zentralen Austragungsort der Eishockey-WM. Wir müssen uns nichts vormachen Wir kennen die politischen Nadelstiche gegen Weißrussland. Aber wir möchten allen zeigen, dass nicht alles, was über uns gesagt wird, der Wahrheit entspricht. Wir wollen zeigen, wie es hier wirklich ist. Die meisten kennen dieses doch Land überhaupt nicht. Ein junger Mann betritt das Büro, eine Tasche unter dem Arm. Es ist Sergienkos Sohn, er arbeitet beim Inlandsgeheimdienst KGB. Der Direktor bittet, sie kurz allein zu lassen. Fünf Minuten später eilt Sergienko endlose Flure entlang, dann geht es durch eine unscheinbare Tür hindurch - und plötzlich blickt man hinab auf die riesige Multi-Funktionsarena. Blaue Sitzreihen führen in einem Oval steil nach unten. Das Hallendach ist eine beeindruckende Stahlkonstruktion, unter der ein mächtiger Video-Würfel hängt. Das ist unsere Arena von oben gesehen. Es ist eine Arena, in die 15.000 Zuschauer passen. Eine sehr gute, überdachte Arena. Dieses Dach zum Beispiel ist dem Prinzip des Fahrrad-Rades nachempfunden. Nirgendwo auf der Welt gibt es so etwas. Sehen sie, da oben, in der Stahlkonstruktion laufen Menschen, wir nennen sie "Alpinisten". Dieses Dach kann 135 Tonnen Last tragen. Eine Gruppe Männer mittleren Alters kommen aus der Gegenrichtung. Der erste schüttelt Sergienko im Vorbeigehen die Hand. Als sie außer Hörweite sind, dreht sich der Direktor um: Apropos die Jungs, die wir gerade gesehen haben - das ist eine internationale Kommission von Interpol - und als Begleitperson war der Chef des Sicherheitsdienstes des Präsidenten dabei. Das war der, der mir die Hand geschüttelt hat. Und weiter geht es: Der Direktor eilt aus der Arena hinaus, Richtung Eisschnelllauf-Stadion. Alle Eingangstüren sind mit Videokameras überwacht - wie riesige Insekten-Augen blicken sie mattschwarz den Besuchern entgegen. Die Arena ist mit 24 Sicherheitssystemen ausgestattet, erklärt Sergienko. Von der Brandschutzanlage über Metalldetektoren bis zur Video-Überwachung. Der Operator beobachtet jeden unserer Schritte. Es wird aufgenommen und ausgewertet. Jeder, der ein Ticket hat, kommt zum Ticketleser. Der Mensch steckt die Karte hier rein, wird fotografiert und im Computersystem mit Reihe und Platznummer gespeichert. Das ganze Zugangs- und Kontroll-System ist gut durchdacht. Und während der Eishockey-WM wird das noch effizienter. Der Bau des ganzen Komplexes, also der Minsk-Arena, des Eisschnelllaufstadions und der Radrennbahn hat zusammen fast 440 Millionen US-Dollar gekostet, erzählt Sergienko stolz. 1.000 Leute sind hier beschäftigt, von der Putzfrau bis zum Direktor. Eine erhebliche Investition, in einem Land, das finanziell immer wieder durch den IWF oder Kredite aus Russland gestützt werden muss. Nikolai Sergienko blickt kurz auf die Uhr. Die Zeit drängt. Er werde alle Spiele der Eishockey-WM hier im Stadion sehen, sagt er, schließlich ist er ein großer Eishockey-Fan. Ich selbst spiele kein Eishockey, aber ich kann Schlittschuhlaufen. Ich bin zweifacher Vize-Weltmeister im Marathonlauf der Parlamentarier. Nur einem kenianischen Abgeordneten ist es gelungen, mich zu überholen. Dann verabschiedet sich der Direktor und läuft davon - zum nächsten Termin. Die sowjetische Eishockey-Nationalmannschaft hatte lange Zeit den Ruf, die beste Mannschaft der Welt zu sein. Bis in die 1990er Jahre brachte sie Sieg um Sieg nach Hause; die Eishockeynation Kanada ließ sie schon in den 60er Jahren weit hinter sich. Auf dem europäischen Kontinent war es höchstens die Tschechoslowakei, die mit der UdSSR mithalten konnte. Doch auch diese Mannschaft wurde besiegt - nicht auf dem Eis, sondern im Gerichtssaal. Ende der 40er Jahre hat man den tschechoslowakischen Spielern den Prozess gemacht - der Vorwurf: Landesverrat. Für die Torwart-Legende Bohumil Modry endete das Ganze im Arbeitslager. In seinem Roman "Jachymov" erinnert der österreichische Autor Josef Haslinger an diese ziemlich bittere Episode der Sportgeschichte. Literatur 1 Im Februar 1948 wollte der LTC Prag gerade auf US-Tournee gehen, da hieß es plötzlich, man hat umdisponiert, die Reise geht nicht in die USA, sondern nach Russland. Die Sportkommission der KpdSU hatte beschlossen, den bürgerlichen Sport Eishockey zu einer sowjetisch-proletarischen Disziplin zu machen, und möglichst gleich zur weltbesten. Praktischerweise war in der Erweiterungszone des eigenen Imperiums ein Weltmeister zuhause, den man zur Bruderhilfe verpflichten konnte. Die ganze Mannschaft wurde für vierzehn Tage in die Sowjetunion geschickt, um dort kanadisches Eishockey zu lehren. Die russischen Spieler begannen wie verrückt an ihrem Fünfjahresplan zu arbeiten, und sie hielten ihn ein. Die Tschechoslowakei war der Transmissionsriemen zwischen Kanada und der Sowjetunion. Etliche Millionen Dollar hat Weißrussland in den Bau der Minsk-Arena gesteckt. Längst ist nicht mehr vom Stadion die Rede, sondern vom "Eispalast". Dass der jemals profitabel wird, daran glauben die wenigsten. Aber ein Palast soll schließlich Eindruck machen, wer hält sich da schon mit Zahlen auf? Nicht weit entfernt von der Arena allerdings bröckelt es hinter den Fassaden. Glanz und Gloria - davon träumen zwar auch viele der Eltern, die ihre Kinder zur Turnstunde in den Sportclub Mogli schicken; aber bis es soweit ist, wird unter bescheidenen Bedingungen trainiert. Reportage 2: Mit Mogli zur Sportkarriere Über braun lackierte Dielen geht es durch einen schlecht beleuchteten Gang. Die Tür an dessen Ende steht offen. Gibt den Blick frei auf alte, braune Umkleideschränke. Auf ein abgeschabtes Sofa und einen fadenscheinigen Teppich, auf dem ein paar kleine Kinder hocken und sich umziehen. In einem Vorraum warten einige Mütter und Väter auf Holzstühlen und -bänken, ihren Nachwuchs auf dem Schoß. Jekaterina Schitowa eilt vorbei an den Wartenden. Die großgewachsene, schlanke 31-Jährige mit den langen, braunen Haaren tauscht ihre schicken Pumps gegen ein paar Badelatschen. Dann erst betritt sie die Turnhalle. Durch große Fenster fällt das Tageslicht auf den hellblauen Turnboden. Dahinter stehen Stufenbarren, Seitpferd, Reck umgeben von weichen Matten. Von der Decke hängt die weißrussische Fahne. Jekaterina Schitowa bleibt neben einem Tischchen mit roter Decke stehen. Nach und nach kommen die Kleinkinder in die Halle. Sie tragen Unterhemden oder T-Shirts, dazu kurze Turnhosen und Socken. Jedes Kind legt ein Heftchen auf den Holztisch. Jekaterina Schitowa lächelt und nickt zufrieden. Am Ende der Turnstunde werden in dem Heft die Leistungen der drei- und vierjährigen Sportler bewertet. In Form von Smiley-Gesichtern, die die Trainer hinein malen. So haben sie im Alter von fünf oder sechs Jahren gute Voraussetzungen in eine der staatlichen Kinder- und Jugend-Sportschulen zu gehen. Sie können dann verschiedene Sportarten machen, zum Beispiel Akrobatik, Gymnastik oder Fußball. Die Kinder sind gut auf diese Schulen vorbereitet, weil sie auf die Trainer hören, die Befehle befolgen. Das ist eine gute Grundlage später in den Leistungssport zu gehen und zwar nicht nur in der Sportgymnastik. Jekaterina Schitowa selbst war lange Jahre Leistungssportlerin, weißrussische Meisterin im Synchronschwimmen, Mitglied der Nationalmannschaft und schließlich Show-Schwimmerin. Vor acht Jahren gründete sie dann - gemeinsam mit einem Kompagnon - den Sportklub Mogli. Manche Eltern melden schon ihre Einjährigen an, erzählt die 31-Jährige. Die Nachfrage ist groß, denn das Sport-Angebot für unter Sechsjährige ist knapp, selbst in der Hauptstadt Minsk. Das Problem ist, dass gut ausgestattete Sporthallen teuer sind. Und in Minsk haben wir nur wenige solcher Gymnastiksäle. Deswegen sind diese Räume Kindern und Jugendlichen vorbehalten, die sich auf Wettkämpfe vorbereiten. Unsere Kleinen können diese Räume nur sonntags nutzen, weil sie in der Woche belegt sind. Andere Gymnastikräume sind nur rudimentär ausgestattet. "Dann müssen wir nach und nach in Matten, Sprossenleitern, Springseile investieren", erzählt Jekaterina. Der "Klub Mogli" wird zwar vom Sportministerium und vom Gymnastik-Verband bezuschusst, doch die Mieten für Hallen und Säle sind hoch. Deshalb müssen auch die Eltern tief in die Tasche greifen. Umgerechnet 30 Euro kostet der Monatsbeitrag. Und das bei einem durchschnittlichen Einkommen von rund 400 bis 500 Euro. 50 kleine Turner und Turnerinnen beginnen mit dem Aufwärmen: Sie laufen vorwärts oder rückwärts, hüpfen auf einem Bein, schlagen Purzelbäume oder machen Schubkarre. Saschka, Dimka, Genka - die Kinder werden mit der Koseform ihres Namens angesprochen. Der Ton ist freundlich - aufmunternd. Etwas entfernt sitzt ein Mann im Schneidersitz auf dem Mattenboden, ein Buch in der Hand. Zwei Mal die Woche bringt der 45-Jährige seine Tochter zum Training, weil "Sport eine wichtige Grundlage für die Entwicklung jedes Kindes ist", wie er sagt: Bei uns heißt es, die Seele eines Menschen soll schön sein, aber ehrlich gesagt, wenn ein Mann eine Frau ansieht, bewertet er in erster Linie ihre physischen Eigenschaften. Deswegen habe ich mein Kind hierher gebracht, damit sie in erster Linie weiblich, attraktiv und schön wird. Seelische Schönheit und körperliche Fitness gehören zusammen. Noch ist seine Tochter erst vier. Mit sechs Jahren dann kann sie auf eine der staatlichen Sportschulen wechseln. Früher war das kostenlos, heute müssen die Eltern dafür zahlen, sagt Jekaterina Schitowa. Weil der Staat kein Geld mehr hat. Dafür gibt es aber auch keine Vorauswahl, sondern alle Kinder werden genommen, egal wie talentiert sie sind. Aber im Laufe der Zeit sehen die Eltern ein, wenn das Kind etwas pummelig ist, obwohl es ständig trainiert, dass es den Anforderungen nicht genügt und man empfiehlt den Eltern eine andere Sportart wie Handball. Die Eltern müssen einfach einsehen, aus meinem Kind wird kein Kunstturner, denn bereits im Alter von acht, neun Jahren müssen die Kinder Leistungen zeigen und an Wettkämpfen teilnehmen. So wie die siebenjährige Julia. Das blasse, schmale Mädchen in blauer Leggins und weißem T-Shirt drückt sich ein wenig verlegen an ihre Mutter. Seit sie dreieinhalb ist, trainiert Julia im "Klub Mogli", zwei Mal die Woche. Jetzt geht sie zusätzlich zum Turmspringen in eine staatliche Sportschule. Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag nach der Schule um 15 Uhr beginnt das Training, zählt Julia auf. Was sie später werden will, steht für sie auch schon fest: "Olympia-Siegerin der Welt" - wie Julia das nennt... Sport und Politik - zwei Bereiche, die nichts oder doch nur sehr wenig miteinander zu tun haben - das meinen die einen. Die anderen finden, Sport und Politik sind kaum voneinander zu trennen. Auch an Weißrussland hat sich diese Diskussion wieder entzündet. Ein autoritäres Regime wie das Lukaschenkas mit einer Weltmeisterschaft zu belohnen - für viele Kritiker war das ein schwerer Fehltritt. Nun ist die Sache entschieden und Lukaschenka steht vor keiner geringen Herausforderung: er muss den freundlichen, weltoffenen Gastgeber mimen, die Zügel darf er dabei aber nicht allzu locker lassen - ist doch die Staatsführung wegen der Lage im Nachbarland Ukraine ziemlich nervös. Und so geht der weißrussische Staat rigoros vor gegen alle, die nach anderen Regeln spielen wollen als der Präsident. Reportage 3: Rote Karte für Menschenrechtler Valentin Stefanowitsch beugt sich nach vorne, schiebt ein DIN- A 4-Blatt von der Tastatur seines Computers... When I think about something I paint some things... "Immer wenn ich nachdenke, dann male ich etwas", sagt der Jurist. Drei Pilze sind diesmal aufs Papier gekritzelt, eingerahmt von Zahlengruppen. Ein wenig ertappt lächelt Stefanowitsch. Mit Zwei-Drittel-Glatze, Ohrring, Kinnbärtchen und Silberkette würde der Endvierziger in jeder Rock-Band als Bassist durchgehen. Der Jurist schiebt die Zeichnung unter einen Papierstapel. In letzter Zeit grübelt er viel: Nach den Ereignissen in der Ukraine ist die Regierung hier sehr nervös. Vor allem wenn sich Leute öffentlich äußern. Neulich habe einige Fußballfans vom FC Bate Borisov ein Foto von sich im Internet veröffentlicht. Mit Plakaten, auf denen sie die proeuropäische Maidan-Bewegung in Kiev unterstützen. Die Polizei hat herausgefunden, wer mitgemacht hat. Und hat sie dann verhaftet. Begründung: Teilnahme an einer illegalen Demonstration. Ein Fall für Stefanowitsch und seine Kollegen von der Menschrechtsgruppe "Viasna"; Protest einlegen, auf die Meinungsfreiheit verweisen, die weißrussische Verfassung zitieren. Der staatlichen Willkür juristisch begegnen - seit Jahren bestimmt das Stefanowitschs Alltag. Gebracht hat es auch diesmal wenig: Einige Fans mussten für fünf Tage ins Gefängnis: Here I have a lot of papers.... Der Jurist zieht einen dicken Stapel Unterlagen aus der Schreibtischschublade. Eingaben, Beschwerden, Berichte. Seit 1996 dokumentiert "Viasna" Menschenrechtsverletzungen in Weißrussland, unterstützt politische Gefangene, kämpft gegen die Todesstrafe. Die Regierung möchte die Eishockey-WM nutzen, um ein schönes Bild von Weißrussland zu zeichnen: Eine offene Gesellschaft, nette, herzliche Leute - ein ganz normales europäisches Land eben. Wir sind nette und herzliche Leute. Und natürlich freuen wir uns auf Besucher. Aber wir sollten auch an die Menschenrechtslage hier erinnern. Stefanowitsch schiebt die Unterlagen beiseite, startet seinen Computer. Stoisch blickt ihm ein alter Elefantenbulle als Bildschirmschoner entgegen. Auf der Viasna Web-Seite veröffentlichen die Anwälte täglich Berichte über Verhaftungen und Verurteilungen: Unsere Web-Seite ist auf allen Computern in Staatsunternehmen und im kompletten Bildungssystem, an Schulen und Universitäten, blockiert. Auch dagegen haben wir Widerspruch eingelegt. Ich musste erst einmal rauskriegen, wer das veranlasst hat. Am Ende sagte uns der Generalstaatsanwalt: ich habe es veranlasst. Begründung: Viasna arbeite illegal. Vor mehr als zehn Jahren wurde der Nichtregierungsorganisation die nötige offizielle Registrierung verweigert, vor zwei Jahren das alte Büro beschlagnahmt. Stefanowitsch landete wie viele Kollegen auf einer sogenannten schwarzen Liste der Sicherheitsbehörden, er durfte einige Monate lang nicht ins Ausland reisen. Erst verliert eine Organisation ihre Registrierung. Wenn man weitermacht heißt es: ihr arbeitet illegal. Dann kommt ein Gesetz, dass man keinerlei finanzielle Unterstützung aus dem In- und Ausland annehmen darf. Und am Ende heißt es dann: ihr seid kriminell... Ein fein abgestimmtes, juristisch ausgeklügeltes System, das es ermöglicht regierungskritische Organisationen nach Belieben unter Druck zu setzen. Oppositions-Parteien ebenso wie Sportclubs. Im Raum nebenan, gleich neben der Tür, wartet ein leerer Schreibtisch. This is Ales' place, chair and table... "Das ist der Platz von Ales," sagt Stefanowitsch. "Sein Stuhl und sein Schreibtisch"- Er meint Ales Bialiatski, den Gründer von Viasna. Seit mehr als drei Jahren sitzt er im Gefängnis. Amnesty international, die EU und die Vereinten Nationen fordern regelmäßig seine Freilassung - ohne Erfolg... Stefanowitsch ruft die Viasna-Homepage auf, oben rechts erscheint ein Bericht über "erzwungene Arbeit" in Weißrussland. Dort erzählen unter anderem Studenten, wie sie zum Bau von Sportstadien genötigt wurden. Manchmal kommt man sich vor wie in einem Kafka-Roman. Das hier ist kein freies Land. Und ich muss sagen, dass ich persönlich Angst habe, dass einige Regierungskritiker und Oppositionelle verhaftet werden, damit es bei der Eishockey-WM ruhig bleibt... "Together we celebrate" - "Gemeinsam feiern wir" - für den offiziellen Slogan der Eishockey-WM hat Stefanowitsch dann auch nur ein spöttisches Lächeln übrig. Er hat mit seinen Kollegen lange diskutiert, ob Viasna zu einem Boykott der Eishockey-WM aufrufen soll. "Was sollen dann unsere Landsleute von uns denken?", fragten die einen. "Einfach zuschauen und schweigen können wir aber auch nicht", sagten die anderen. Am Ende fanden die Juristen einen Kompromiss: Die Teilnehmer sollen keine offiziellen Delegationen nach Minsk schicken. Wenn die Sportler Eishockey spielen wollen, dann sollen sie es tun. Aber bitte ohne Politiker. Touristen können gerne kommen. Aber die Politiker sollten zuhause bleiben. Literatur 2: Am zweiten Tag ihres Aufenthalts merkten die tschechischen Spieler, dass in der Garderobe ihre Sachen vollkommen durcheinander geraten waren. Wieder einen Tag später hatten die Russen dieselbe Ausrüstung. Sie haben kopiert und trainiert. Auf Teufel komm raus kopiert und von der Früh bis zum Abend trainiert. Wenn man diesen Drill noch Training nennen konnte. An der Bande waren Gummiseile montiert. Die Spieler wickelten sich die Seile um den Körper, liefen los und versuchten, so weit wie möglich gegen die Zugkraft anzukämpfen, bis es ihnen regelrecht die Kufen vom Eis hob. Die stärksten Spieler wurden durch die Luft zurückgeschleudert. Das Trainingsgerät war eine Art Menschenschleuder. Während sie den Russen den Schliff im Eishockey-Spielen verpassten, kamen in Prag die Kommunisten an die Macht. Der Nachhilfe-Lehrgang war zu einer Art Einstandsgeschenk der Tschechen an den großen Bruder geworden. Sie sind so etwas wie der FC St. Pauli von Weißrussland - der Fußballverein Partizan Minsk hat das Image des Underdogs, keinen Oligarchen mit dickem Portemonnaie im Rücken, dafür aber so etwas wie Unabhängigkeit. Seit 2012 ein litauischer Sponsor ausgestiegen ist, wird der Verein von den Fans verwaltet - eine ziemliche Seltenheit in einer Sportszene, die sonst stramm durch den Staat kontrolliert wird. Das Konzept der "Fußball-Partizanen": leidenschaftliches Spiel ohne Rassismus, Sexismus, ohne Schwulenfeindlichkeit. So viel Freigeist, das gefällt allerdings nicht jedem. Wo für sie das Abseits beginnt, das wissen die Partizan-Spieler und ihre Anhänger ganz genau. Reportage 4) Die Partizanen-Kicker und ihre Chefin Die olympischen Ringe fügen sich kunstvoll in das schwere, gußeiserne Gittertor. Schwarz, fünf Meter breit, versperrt es Fahrzeugen den Zugang zur Sportanlage. Kaltfeuchter Regen lässt das dunkle matte Metall glänzen. Ein Rentner in warmer Lederjacke, nimmt das kleine Nebentor, geht langsam am Bauzaun entlang. Eine große Schwimmhalle wartet dahinter auf die Renovierung. Drei Außenduschen rosten in der Frühjahrsfeuchte. Aus der Entfernung schallen dumpfe Ballgeräusche über die Sportanlage. "Mein Sohn spielt dahinten mit", sagt der Rentner. "Mit sieben Jahren hat er angefangen, jetzt ist er 22". Am Ende der Straße liegt der Fußballplatz. Flutlichtmasten ragen in den grauen Himmel. Blau-gelbe Schalensitze ziehen sich vier Reihen hoch an den Seiten des Spielfeldes entlang. Gut 30 Kicker machen sich warm, schieben sich die Bälle zu. Gerade mal eine Handvoll Zuschauer fröstelt auf den Tribünen und wartet auf das Freundschaftsspiel "Das sind alles gute Spieler", sagt der alte Herr. "Und jetzt haben sie auch noch einen neuen Trainer". Er winkt kurz in Richtung Trainerbank. Eine junge Frau in knallroter Daunenjacke winkt zurück. Anna Bolbas sitzt zwischen Trainer und Assistenten, mit einem Klemmhefter in der Hand. Sie ist die Managerin vom FC Partizan Minsk. Wir haben kein Heimstadion. Bis 2012 spielten wir im Stadion der Traktoristen. Dann ging der Verein pleite. Jetzt dürfen wir hier trainieren. Aber wir müssen Miete zahlen. 2000 Euro im Monat. Die 22-Jährige verzieht das Gesicht. 2000 Euro sind viel Geld in Weißrussland. Und es ist ihr Job als Managerin, dafür zu sorgen, dass die Kicker weiter spielen können. Wir unterscheiden uns von anderen Vereinen: Unsere Fans sind gegen Faschismus, gegen Rassismus und gegen Schwulenfeindlichkeit. Das ist bei anderen Vereinen nicht der Fall. Es gab Spiele, da haben Fans Portraits von Joseph Goebbels gezeigt. Die Atmosphäre bei Partizan, erinnert sich Anna Bolbas, fasziniert sie von Anfang an. Eine demokratische Fankultur in einem autoritären Staat. Sie geht nun regelmäßig zu den Spielen, beginnt ehrenamtlich mitzuarbeiten und erlebt wie Spenden von Partizan-Anhängern den Spielbetrieb am Laufen halten, wie eine Deutschland-Solidaritäts-Tournee, unterstützt vom FC-St.-Pauli, Babelsberg 03 und Tennis Borussia-Berlin-Fans, dringend nötiges Geld in die Kasse bringt. Es reicht trotzdem nicht. Der Manager kapituliert. Er konnte einfach nicht mehr, sagt Anna Bolbas. Die Fans nominieren sie als Nachfolgerin: Es war für mich sehr unerwartet. Ich hatte gerade mein Mathe-Diplom in die Hand gedrückt bekommen. Da hörte ich, dass man mich vorgeschlagen hat. Erst einmal war ich verblüfft, dann habe ich mich gefreut. Und jetzt weiß ich wie schwer es ist. Als einzige Frau an der Spitze eines weißrussischen Fußballclubs. Die finanzielle Lage von Partizan: prekär, und trotzdem will man unabhängig sein, weshalb sich der Verein staatlicher Aufmerksamkeit sicher sein kann. Kurz nach ihrer Wahl klingelte auch schon das Telefon. Jemand von der Komsomolskaja Prawda, einer linientreuen Zeitung war dran. Und wollte offenbar die junge Managerin vorführen... Ich war gerade auf dem Fußballplatz. Und da riefen sie an und fragten ob ich die Abseitsregel erklären könne. Bestimmt habe ich nicht alles hundertprozentig richtig erklärt. Aber ich bin die Managerin des Vereins, da muss ich nicht alle Regeln kennen. Ich bin für die finanzielle Seite da. Für das Sportliche haben wir unseren Trainer und sein Team. Zur Halbzeit liegt die Partizan-Truppe mit 1:0 zurück. Mit hängenden Köpfen sitzen die Kicker auf der Bank, vor ihnen eilt der Trainer auf und ab. Aggressiver sollen sie attackieren, die Pässe müssen genauer kommen, kurzum sie sollen endlich mal anfangen zu spielen, fordert der Coach. Anna Bolbas lauscht und lächelt. Die meisten Kicker sind Studenten, sagt sie. Sie verdienen bei Partizan allenfalls ein paar Rubel. Der neue Trainer kommt vom Lokalrivalen Dinamo Minsk. Ein Überraschungscoup der neuen Managerin. Als "Schwulenfreund" musste er sich nach seinem Wechsel von Dinamo-Anhänger im Internet beschimpfen lassen. Auch einen neuen Sponsor hat die 22-Jährige Managerin kurz nach Amtsantritt aufgetrieben. Die sogenannte Grevtsov-Gruppe, die in Weißrussland unter anderem Fachzeitschriften herausgibt und eine Drogeriekette betreibt. Die Mannschaft läuft zur zweiten Halbzeit auf. Anna Bolbas macht sich auf den Weg ins Büro. Neuer Sponsor, neuer Trainer - die neue Saison kann kommen. Die Partizan-Fans kennen aber auch die Spielregeln, die außerhalb des Fußballfeldes gelten: Im letzten Jahr stürmten Polizisten ein Freundschaftsspiel, verprügelten einige Fans. Dann gab es plötzlich für den Club keine Stadien mehr zu mieten. Eine gelbe Karte für die Partizan-Kicker. Alle wissen, wie schnell in Weißrussland die rote gezogen werden kann. Darum gibt es in der Fankurve keine Transparente gegen die Todesstrafe. Oder für die Freilassung der politischen Gefangenen. "Privat hat jeder dazu seine Meinung", sagt Anna Bolbas. Als Verein aber sagen wir dazu nichts. Ein Leben mit und unter Aleksander Lukaschenka - für eine ganze Generation junger Weißrussen hat es niemals etwas anderes gegeben. Für sie ist es nichts Ungewöhnliches, dass ein ganzer Staat auf einen Mann ausgerichtet ist. Von Lukaschismus sprechen die Experten. Der Arm des Präsidenten, er reicht weit in die Gesellschaft hinein - auch in den Sport. Damit die Leistungen weißrussischer Athleten auch im Ausland wahrgenommen werden, dafür gibt es den Sportclub des Präsidenten. Der braucht weder Trainer, noch Mannschaft, weder Trikots, noch Stadion. Vielmehr ist er ein Förderverein, vergibt Stipendien und organisiert Turniere - alles im Dienste der nationalen Sportbewegung und im Namen des Präsidenten. Reportage 5: Der Sportclub des Präsidenten 12 knallrote Ledersäcke hängen in zwei Reihen von der Decke des Trainings-Raums. Dazwischen drängen sich Männer in kurzen Hosen und mit Bandagen an den Füßen. Sie hüpfen in irrwitzigem Tempo über Springseile, machen unzählige Liegestütze oder ausdauerndes Schattenboxen. "Mua thai", prangt auf einem riesigen Plakat über dem Boxring am Ende des Raums. Zwischen den vielen Männern trainiert auch eine zierliche Frau in camouflage-farbenen Leggings und schwarzer Trainingsjacke. Sie hat die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Seit acht Jahren ist Jelena Leschkewitsch beim Thaiboxen, davor hat sie Gewichte gestemmt. Die 22-Jährige zieht die Kapuze zurück, nimmt das Piratentuch darunter ab und schüttelt die langen schwarzen Haare. Seit Januar ist Jelena Stipendiatin des Präsidenten-Sportklubs der Republik Belarus. "Ich stand im Finale der Weltmeisterschaft, danach bin ich dank meines Trainers Stipendiatin geworden", erzählt Jelena. "Wir haben den Antrag bei Dimitri Lukaschenka eingereicht, er hat ihn geprüft und bewilligt", nickt der Trainer nicht ohne Stolz. Dimitri Lukaschenka ist einer der drei Söhne des Präsidenten - und der Vorsitzende des Präsidenten-Sportklubs. Für Jelena Leschkewitsch bedeutet die Förderung viel. Als Sportlehrerin an einer Berufsschule verdient sie gerade mal 250 Euro im Monat. Ich bekomme 4,4 Millionen weißrussische Rubel pro Monat als Stipendium, umgerechnet sind das 320 Euro. Davon kann ich mir eine Sport-Ausrüstung kaufen, die ist nicht gerade billig und dann kann ich mich besser ernähren. Ich muss nicht unbedingt die billigsten Sachen kaufen, sondern kann täglich frisches Obst und Gemüse essen. Jelena ist eine von 234 Stipendiaten, die der "Sportklub des Präsidenten" unterstützt. Das Stipendium wird zunächst für ein Jahr gewährt. Und nur verlängert, wenn die Leistungen stimmen. Im "Sportclub des Präsidenten" drückt Pawel Jegorow jedem Besucher einen Bildband in die Hand, verpackt in gold-glänzendem Karton. Darauf prangt das Wappen des Klubs: Eine olympische Fackel, verziert mit einem traditionell-belarussischen Muster. Dann bittet Jegorow Platz zu nehmen. 12 schwere Ledersessel gruppieren sich um einen eindrucksvollen Besprechungstisch. Zwei glänzende Pokale zieren die Ecken des Raumes. An den Wänden hängen zahllose Bilder belarussischer Sportler, dazwischen immer wieder der Präsident Alexander Lukaschenka. Mal im Anzug, mal im Eishockey-Trikot. Jegorow schlägt den Bildband auf. Gleich vorne, neben einem Bild des Präsidenten, heißt es sinngemäß: "Erfolgreiche Athleten demonstrieren die erfolgreiche Entwicklung eines Staates." Es ist kein Geheimnis, dass Sport hier eine besondere Form der Politik ist. Und das im positiven Sinne, weil die Sportler unser Land weltweit bei den Wettkämpfen präsentieren und vertreten! Dadurch werden wir als Nation wahrgenommen. Ein Beispiel dafür ist Daria Domratschewa. Alle wissen, wer sie ist und woher sie kommt. In Sotschi gewann die Biathletin drei Mal olympisches Gold und lenkte so das internationale Interesse auf das 9,5-Millionen-Einwohner-Land. Das wiederum ließ sich nicht lumpen: Laut Präsidial-Erlass Nr. 333 werden jedem Olympiasieger pro Goldmedaille 150.000 US-Dollar ausgezahlt. Jegorow blättert weiter durch das Buch. Das hier ist der Pokal des alljährlichen Amateur-Weihnachts-Turniers um den Preis des Präsidenten. Sie haben sicherlich schon von diesem internationalen Eishockey-Turnier gehört? Unser Klub richtet dieses Turnier aus. In diesem Jahr hat die Mannschaft des Präsidenten gewonnen. Und deshalb steht dieser Pokal bei uns. Jegorow deutet auf ein Bild, das Alexsander Lukaschenka im Kreis seiner Mannschaft zeigt, blickt dann auf den großen, glänzenden Pokal rechts in der Ecke. Das weißrussische Staatsfernsehen berichtet stets ausführlich von dem Turnier. Und nie ohne den Hinweis, dass der Präsident das einzige Staatsoberhaupt der Welt sei, das aktiv Eishockey spiele und auch an Amateur-Turnieren teilnehme. Jegorow blättert weiter. Der Präsidenten-Sportklub organisiert zudem jedes Jahr den Preis um den "Goldenen Puck", ein landesweites Kinder-Eishockey-Turnier, das schon zu Sowjet-Zeiten ausgetragen wurde. Zehn Mitarbeiter hat der Präsidenten-Sportklub, mehr nicht. Außerdem gibt es einen Zentralrat mit acht Mitgliedern, in dem Viktor Lukaschenka sitzt, ein weiterer Sohn des Präsidenten, aber auch Yury Chizh, ein belarussischer Oligarch, der von Journalisten gerne als "Portemonnaie des Präsidenten" bezeichnet wird. Ein exklusiver Zirkel offenbar, der sich wie finanziert? Ich bin nicht kompetent diese Frage zu beantworten. Wie jede gemeinnützige Organisation haben wir auch Mitgliedsbeiträgen. Aber jährlich wird die Entscheidung getroffen, keine Beiträge von den Mitgliedern einzuziehen. Finanzielle Unterstützung bekommen wir von unseren Sponsoren. So wie es weltweit üblich ist. Die Sponsoren sind Schwergewichte der belarussischen Wirtschaft. Das Staatsunternehmen Belarus-Kali ist ebenso dabei, wie das Staatsfernsehen oder die Holding des Oligarchen Chizh. Sie füllen die Kassen. Damit im Namen des Präsidenten weiter Sport getrieben werden kann... Literatur 3 Bevor sie damals von Moskau nach Prag zurückgeflogen waren, hatten sie auf den Bus warten müssen. Vor ihrem Hotel stand ein Milizionär in seinem Uniformmantel. Es war sehr kalt. Um sich aufzuwärmen, nahm einer der Eishockeyspieler einen Ball aus der Reisetasche und warf ihn einem anderen zu. Und so begannen sie, vor diesem Hotel Ball zu spielen. Der Russe schaute ihnen zu und lachte. Sie sagten zu ihm: Komm, spiel mit. Dir ist sicher auch kalt. Er wollte nicht recht, aber sie sagten, komm, jetzt spiel doch mit. Und da fing der sowjetische Milizionär an, mit den ausländischen Gästen Ball zu spielen und herumzutollen. Dabei stolperte er über seinen langen Mantel und fiel hin. Alle haben gelacht, auch der Milizionär lachte, als er auf dem Boden lag. Im Grunde eine lustige Episode. Sie spielte aber dann im Prozess gegen die Eishockeymannschaft eine Rolle. Plötzlich hieß es, die tschechischen Eishockeynationalspieler hätten einen russischen Bürger lächerlich gemacht, noch dazu einen Milizionär. Solche Subjekte, so kommentierte der Verhörleiter das Material seiner Arbeit, seien im Denken nicht weit genug, um das Recht zu haben, hier in Freiheit herumzulaufen. Die Partei wollte ein strenges Urteil und die Aufgabe des Verhörleiters war es, die Begründung für dieses Urteil herauszuarbeiten. Wer in Weißrussland das Ansehen der Republik beschädigt, bekommt Post vom Staatsanwalt. So ist es kürzlich dem Bürgerrechtler Andrei Bandarenka ergangen. Sein Vergehen: Er hatte dazu aufgerufen, die Eishockey-Weltmeisterschaft zu boykottieren. Die breite Öffentlichkeit in Weißrussland hat davon nichts mitbekommen. Fernsehen und Radio sind fest in staatlichen Händen, genauso wie das Vertriebssystem für Zeitungen und Zeitschriften. Was die Pressefreiheit angeht, liegt Weißrussland heute zwischen Swaziland und Pakistan. Auf Platz 157, bei insgesamt 180 Listenplätzen. Trotzdem gibt es in dem Land eine unabhängige Sportzeitung - und das seit mehr als 20 Jahren. Reportage 6: Der geduldete Enthüller Wladimir Bereschkov eilt über den Gang, im vierten Stock eines Betonblocks, die abgewetzten Holzdielen federn bei jedem Schritt. Der 49-Jährige biegt nach links, schiebt sich seitlich durch die Tür ins Vorzimmer. Seine Sekretärin blickt kurz auf, lächelt. Bereschkov zieht ein Diktiergerät aus der Tasche, legt es auf den Tisch. "Du kannst das auch zuhause abtippen", sagt der 49-Jährige. "Hauptsache ich habe die Abschrift bis morgen früh" Die Sekretärin nickt. Oben von der Ablage blicken mehr als ein Dutzend Stofftiere mit verstaubten Augen ins Leere. "Spacy" aus Deutschland, das Eishockey-WM Maskottchen 2001, neben dem russischen Bären von 2007, daneben der finnische Biber. "Pressbol war 1991 die erste unabhängige Sportzeitung in der ehemaligen Sowjetunion", erzählt Bereschkov. "Wir waren eine Gruppe idealistischer Journalisten und Sportler, die endlich über Sport ohne Sowjetideologie berichten wollten". Sein Büro liegt gleich nebenan. Er teilt es sich mit drei Kollegen. Hinter seinem Schreibtisch-Platz faucht lebensgroß das Porträt eines Leoparden von der Wand. Links und rechts davon hängen Dutzende Trikots. Bereschkov streckt sich, streicht kurz über ein weiß-rot-weißes Exemplar mit einem schwertschwingenden Ritter auf der Brust. Sein Lieblingsstück. Damit trat die weißrussische Nationalmannschaft kurz nach der Unabhängigkeit des Landes an, 1991, erzählt er. Heute ist das Sportgeschichte. Inzwischen sind die Trikot-Farben Rot und Grün. Ein Stockwerk höher bohren Bauarbeiter. Bereschkov verzieht das Gesicht, schiebt einen Stapel Unterlagen bei Seite, schafft Platz am Besprechungstisch. Sein dunkler Anzug verbirgt kaum die Statur des ehemaligen Eishockey-Profis. Von klein auf jagte er dem Puck nach, erst in der Sowjetunion, dann in der Unabhängigen Republik Belarus. Man bezeichnet uns oft als oppositionelle Zeitung, da frage ich dann die Leute, wie kann eine Sportzeitung oppositionell sein? In jedem anderen Land wäre so etwas undenkbar, bei uns aber nicht. Nur weil wir als eine private Zeitung unsere Meinung ausdrücken. Wenn die Behörden etwas bekannt geben, dann glauben wir nicht alles, sondern betrachten es kritisch. Aus dem Grund werden wir als Oppositionelle angesehen. Pressbol deckte Manipulations-Versuche bei Fußballspielen zur EM-Qualifikation 2004 auf. Die Zeitung berichtete, ein hochrangiger weißrussischer Sportfunktionär sei in Mafiageschäfte und einen Mord verwickelt. Wir wurden mehrmals verwarnt vom Informationsministerium, die Begründung war: Missbrauch der Meinungsfreiheit. Das ist ein Artikel, der es erlaubt, eine Zeitung ohne Gerichtsverhandlung zu schließen. Als die Zeitung eine Geldstrafe nicht zahlen kann, pfänden Justizbehörden einen Teil von Bereschkovs Wohnungseinrichtung. Wiederholt verweigert das Nationale Olympische Komitee der Zeitung die Akkreditierung für Olympische Spiele. Bereschkov greift zur aktuellen Ausgabe von Pressbol. "Schwarze Löcher" steht über der Titelgeschichte. Eine Serie über verschwundene Sport-Millionen. Wir haben schon über Eishockey und Fußball berichtet und heute berichten wir über die Veruntreuung der Gelder im Handball. Es geht da immerhin um vier Millionen US-Dollar an Staatsgeldern. Man hat das Geld genommen und verschwendet, den Club in die Pleite getrieben und dann sind die Verantwortlichen verschwunden. Bereschkov legt die Zeitung beiseite. In letzter Zeit rügt auch immer wieder Präsident Alexander Lukaschenka die Geldverschwendung im Sport, sagt er. Im Januar durfte Bereschkov sogar erstmals an der Chefredakteurs-Runde beim Präsidenten teilnehmen. Dort erläutert Alexander Lukaschenka ausgewählten Vertretern der staatlichen Medien seine Sicht der Dinge. "Wir waren als einzige unabhängige Zeitung dabei", sagt Bereschkov stolz. Es ging um die Bedeutung des Sports für die Gesellschaft. Und um die Eishockey-Weltmeisterschaft. Man kann sagen, dass unser Präsident sich persönlich für jeden Nagel, für alles was verbaut wird, verantwortlich fühlt. Selbst für die Qualität des Eises. Er behandelt diese Weltmeisterschaft wie sein eigenes Kind. Die Eishockey-WM - ein Kind des Präsidenten. Und mit den Kindern des Präsidenten, das weiß jeder in Weißrussland, legt man sich lieber nicht an. So findet sich auch in der unabhängigen Sportzeitung kein kritisches Wort zu der Veranstaltung. Im Gegenteil. "Für mich ist es das das größte Sportereignis der jungen weißrussischen Geschichte", sagt Bereschkov. Von Boykottaufrufen hält er nichts. "Hier geht es doch um Sport, nicht um Politik", sagt er. Eine Trennung, die seine Zeitung sonst nie macht. Wenn sie über Doping oder Korruption berichtet. Diesmal aber geht es um die Spiele des Präsidenten. Fairplay und Foulspiel - Sport in Weißrussland. Das waren Gesichter Europas mit Reportagen von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster. Die Literaturauszüge stammen aus dem Buch "Jachymov" von Josef Haslinger. Erschienen im S. Fischer Verlag. Gelesen von Adam Nuemm. Redaktion und Moderation: Johanna Herzing. ----------------------------------------- 1