DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hhörspiel Redaktion: Sabine Küchler Feature Der coole Salafist Koran und Cappuccino für ein besseres Ägypten Feature von Mohamed Amjahid Produktion: rbb / DLF 2013 Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 03. Januar 2014, 20.10 - 21.00 Uhr MUSIK ATMO Koran 1: (Sheikh Abdelbaset Abdelsamat – Sure 10 [Sätze werden wiederholt]) ﴿وَقَالَ مُوسَى رَبَّنَا إِنَّكَ آتَيْتَ فِرْعَوْنَ وَمَلأهُ زِينَةً وَأَمْوَالاً فِي الْحَيَاةِ الدُّنْيَا رَبَّنَا لِيُضِلُّواْ عَن سَبِيلِكَ رَبَّنَا اطْمِسْ عَلَى أَمْوَالِهِمْ وَاشْدُدْ عَلَى قُلُوبِهِمْ فَلاَ يُؤْمِنُواْ حَتَّى يَرَوُاْ الْعَذَابَ الأَلِيمَ﴾ Overvoice: Und Moses sagte: Herr! Du hast dem Pharao und seinen Vornehmen im diesseitigen Leben Luxus, Pracht und Vermögen geschenkt, damit sie uns von deinem Wege ab in die Irre führen. Herr! ANSAGE Der coole Salafist Koran und Cappuccino für ein besseres Ägypten Feature von Mohamed Amjahid ATMO Kaffeehaus mit Gesprächen, Musik und Gläser O-TON Tolba: Salamu Alaikum Mohamed: Alaikum Salam! Setz dich. Wie geht’s? Tolba: Gott sei gepriesen! Erzähler: Das ist Mohammed Tolba: 37 Jahre alt, Software-Manager, Gleitsichtbrille, blaue Jeans, Karo-Hemd, ein pummeliger Mann, Blackberry in der einen, iPhone in der anderen Hand. Hier im Costa Coffee, dem ägyptischen Pendant zu Starbucks, im schicken Kairoer Viertel Mohandeseen hat er vor drei Jahren eine Bewegung gegründet, die ihn in Ägypten berühmt gemacht hat: Die Costa-Salafisten. O-TON Mohamed: Was möchtest du trinken? Tolba: Ich nehme einen Iced Cappuccino. Erzähler: Als gläubiger Moslem und bekennender Salafist, träumt Tolba mit seinen Anhängern von einer Gesellschaft, in der Scharia und Kapitalismus selbstverständlich nebeneinander existieren. Religiös aber weltlich, klein aber einflussreich soll die Costa-Bewegung sein. Und vor allem: tolerant. Die Caféhauskette Costa stehe für Respekt gegenüber nicht salafistischen Muslimen, Christen und Atheisten, die alle unter einem Dach ihren Kaffee schlürfen. Und wenn das im Kleinen möglich sei, kann das auch, davon ist Tolba überzeugt, im Großen funktionieren. ATMO Kaffeehaus mit Gesprächen, Musik und Gläsern Erzähler: Klingt irgendwie gut! Toleranz. Wenn sich das wirklich auf die ägyptische Gesellschaft übertragen lässt, ja dann haben sich die Revolutionen der letzten drei Jahre gelohnt. Oder? Nach unzähligen Mails, Messages auf Facebook, Telefonanrufen und mehr als drei Stunden Wartezeit sitzt er nun vor mir auf einem dieser unbequemen Hartplastikstühle im Kaffeehaus und trinkt seinen Iced Cappuccino aus einem Plastikbecher mit Strohhalm. Tolba sieht erschöpft aus. O-TON Tolba: Ich kann nicht mehr auf die Straße gehen. Gerade hat man mich schon wieder attackiert. Wegen meines salafistischen Barts, sehe ich so aus wie diejenigen, die das Land regiert haben. Die Leute beschimpfen mich auf der Straße, und erst recht wenn ich bei einer Demonstration bin oder an einer Uni. Die Linken sind am vulgärsten. Wenn ich ihnen dann aber sage, dass ich Mohammed Tolba bin, von den Costa Salafisten, entschuldigen sie sich. ATMO Zug MUSIK ATMO Gespräche im Wagon und Reisefürbitte über das Megaphon, bleibt unübersetzt Erzähler: Die Costa Salafisten fahren in dieser Nacht von Donnerstag auf Freitag nach Abu Diab, eines der ärmsten Dörfer Ägyptens bei Qena, 600 Kilometer Nil abwärts von Kairo entfernt. Mohammed Tolba lud mich ein, mitzukommen. Im reservierten Zugwagon herrscht ausgelassene Stimmung. Es gibt überzuckerten Orangennektar aus Trinkpäckchen und trockene Minipizzen zum Abendessen. Nur wenige werden in dieser Nacht schlafen. Ali, eine jüngere Kopie von Tolba, hat sich in seinen Miniaturkoran vertieft. Er kneift seine Augen angestrengt zusammen, denn im Wagon funktionieren die meisten Lampen nicht. Ich setze mich zu ihm, möchte wissen, was er an diesem Buch eigentlich so wichtig findet. O-TON Ali: Der Islam regelt alles zu Gunsten der Muslime. Um die feinen Details müssen wir uns dann aber doch selbst kümmern. Wir müssen uns als Muslime Gedanken machen, wie wir unsere Probleme im Einklang mit unserer Religion lösen können. Deswegen ist der Islam gültig für alle Zeiten und jeden Ort, obwohl diese sehr unterschiedlich sind. Erzähler: Naja, nichts Ungewöhnliches. So kenne ich den Salafismus: Als ultrakonservative Strömung innerhalb des Islams. Bei allem was die Salafisten tun, bei allen ihren Handlungen ob im Alltag oder vor Gott, beziehen sie sich auf den Propheten Mohammed und seine Gefährten. Sie wollen so leben, wie zu Zeiten, als der Islam von Gott offenbart wurde. Als sei die Uhr Jahrhunderte lang einfach stehen geblieben. O-TON Mohamed: Und was ist mit den Christen? Viele Christen in Ägypten bekommen ein mulmiges Gefühl, wenn sie Euch Salafisten so reden hören. Ali: Ja sie haben Angst. Natürlich haben Christen Angst, wenn ich etwas vom islamischen Staat erzähle. Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Erzähler: Wenn ich in Deutschland von Salafismus rede, starren mich meine Freunde verängstigt an. Sie denken an den 11. September, oder an die Islamisten in Solingen. Darunter sind auch Salafisten, klar. Und die glauben, ihre Ideen durch den Heiligen Krieg durchsetzen zu können. Die konservativen Salafisten aber, die die Mehrheit bilden, grenzen sich von dieser dschihadistischen Splittergruppe deutlich ab. Rückwärtsgewandt bleiben sie dennoch. ATMO Zug Erzähler: Die Salafisten bei Costa wiederum, erfahre ich, stehen den konservativen Salafisten sehr nah, nur betonen sie eben ihre Toleranz gegenüber Andersgläubigen. Eine wahre Revolution in Ägypten, wo Kirchen brennen, Moscheen verwüstet werden, Muslime Christen hassen und Christen Muslime verachten. Mohamed: Sag mal, wie siehst Du es mit den Frauen? Die konventionellen Salafisten bestehen auf der Zwangsverschleierung, zum Beispiel. Ali: Nein, so etwas gibt es nicht. Es ist verboten Frauen etwas vorzuschreiben. Keiner will das. Mohamed: Ich würde sogar sagen, dass die Mehrheit der Salafisten so etwas fordert. Ali: Vielleicht, das sind aber dumme Menschen. Das sind Salafisten die nicht lesen und schreiben können. Nicht jeder Liberale hat Jean-Jaques Rousseau und Gramsci gelesen. Am Ende müssen wir doch alle zurück zu unseren Gelehrten, die sagen uns was Richtig und was Falsch ist. Jeder, der den Koran liest, wird verstehen das Zwang nie eine Lösung ist. Eine Frau kann man nicht zwingen, einen Schleier zu tragen. Mohamed (ohne Frage im Original): Und was führt Dich hierher? In diesen Zug? Mit den Costa-Salafisten? O-TON Ali: Wir leiden in Ägypten unter Hass und Spaltung in unserer Gesellschaft. Wir haben damals nach der Revolution von 2011 die Costa Salafisten gegründet, weil wir das ändern wollen. Wir wollen heute den Dorfbewohnern zeigen, dass alle friedlich miteinander leben können, wenn sie nur wollen. Egal welcher Religion oder Ideologie sie angehören. Deswegen organisieren wir diese Wohltätigkeitsaktionen, wir wollen den Menschen zeigen, dass etwas Gutes entsteht wenn alle Hand in Hand zusammen arbeiten. Erzähler: Um zu ermöglichen, dass Salafisten, Nicht-Salafisten und Christen effektiv zusammen arbeiten, gibt es innerhalb der Costa-Bewegung eine Vorschrift, die für alle gilt: Über Religion wird nicht gesprochen. Das könnte die Gemüter erhitzen und die Aktivisten wieder spalten. MUSIK ATMO Schnarchen Erzähler: Einige wenige im Wagon sind doch eingenickt, während Mohammed Tolba die ganze Nacht kein Auge zumacht. Mit einem Handtuch über dem Kopf schottet er sich von seinen Anhängern ab, versinkt in seinen Tablet-PC und schreibt einen seiner langen Facebook-Einträge. Seine Gedanken über Gott und die Welt sollen ihm viele „Gefällt mir“-Daumen einbringen. Um fünf Uhr morgens klickt er auf „senden“. O-TON Mohamed: Na, hast du gut geschlafen Mohammed? Tolba: Nein und ich bin soooo müde! Mohamed: Du siehst nicht besonders frisch aus für den langen Tag der ansteht. Tolba: (hörbar müde) Nein nein, ich bin sehr motiviert. Man sieht es nur nicht auf den ersten Blick. Ich habe mich etwas abgelenkt heute Nacht und wir sind ja bald da. Schau dir die Fenster hier im Zug an, alles zersplittert. Die Menschen schmeißen mit Steinen auf die Züge. Ich denke, dass nun die Hungrigen ihre Revolution in Ägypten starten. So viel Armut! (Er gähnt) Ich habe mich gerade an den kleinen Kartoffelverkäufer, an das Kind erinnert, das bei den Protesten vor dem Präsidentenpalast vor einem Jahr ums Leben gekommen ist. Ich habe mich mit meinem Handtuch über meinem Kopf und meinem i-Pad zurückgezogen und einen Artikel dazu geschrieben. Natürlich haben meine Kollegen hier mich fotografiert und es gepostet (Lachen). Egal! Ich habe mich an den Jungen erinnert. Er wurde gezielt erschossen, dabei wollte er nur gegrillte Süßkartoffeln verkaufen, um etwas Geld zu verdienen. Er ist tot und ich lebe noch! (Er gähnt) In unserem Land gibt es keine Menschenwürde. Damit ich weiterträumen kann, haben sie ihn, den kleinen, armen Jungen, erschossen. Warum haben sie ihn getötet? Wer macht so etwas? (Er gähnt) SOUND Tolbas Facebook-Eintrag: Sind etwas erschöpft, aber bald in Qena angekommen. Fahren gleich mit Bussen in das Dorf. Heute wird bestimmt ein erfolgreicher und schöner Tag, inshallah! (I like. I like. I like. Gefällt mir…) MUSIK Erzähler: Innerhalb kürzester Zeit hat die Costa-Philosophie des friedlichen Zusammenlebens viele Menschen überzeugt. Rund 2000 Freiwillige aus Kairo und Alexandria haben sich der Bewegung angeschlossen. Tolba hat auf Facebook bereits 150.000 Fans, davon sind an diesem Freitag um kurz vor 6 Uhr früh viele wach: immerhin 150 Likes innerhalb der ersten Minute. ATMO Koran 1: ﴿وَقَالَ مُوسَى رَبَّنَا إِنَّكَ آتَيْتَ فِرْعَوْنَ وَمَلأهُ زِينَةً وَأَمْوَالاً فِي الْحَيَاةِ الدُّنْيَا رَبَّنَا لِيُضِلُّواْ عَن سَبِيلِكَ رَبَّنَا اطْمِسْ عَلَى أَمْوَالِهِمْ وَاشْدُدْ عَلَى قُلُوبِهِمْ فَلاَ يُؤْمِنُواْ حَتَّى يَرَوُاْ الْعَذَابَ الأَلِيمَ﴾ Over-voice: Herr! Lass ihr Vermögen verschwinden und schnüre ihnen das Herz zu. Sie werden erst dann glauben, wenn sie die schmerzhafte Strafe erleiden! Sure Jonas, Vers 88 O-TON ATMO Autotür Mohamed: Ein amerikanischer Ford? Tolba: Ja, aber in Deutschland produziert! Mohamed: Ah, Köln. Tolba: Ja, ich habe den Ford gekauft wegen Made in Germany. Auch wenn die Deutschen kleine Rassisten sind. Viele salafistische Imame erzählen den Leuten hier wie doof der Westen sei. Was ja aber so nicht stimmt, selbst die Sitten sind bei Euch nicht so verfallen wie sie hier überall predigen. Oder? Mohamed: Mmmh. Tolba: Warum muss ich als Imam andere Kulturen fertig machen? Vor allem wenn ich nie dort war!? In Deutschland oder Großbritannien oder so. ATMO Blinker Tolba: Ok, ihr legalisiert im Westen Homosexualität und erlaubt schwule Beziehungen und so. Was gar nicht geht. Mohamed: Mmmh. Tolba: Aber was geht mich das an? Mohamed: Salafisten wollen Angst schüren, dass die Liberalen hier in Ägypten das gleiche tun wollen, oder? Tolba: Genau, Angst ist ihr Werkzeug! BLENDE MUSIK ATMO Kette auf dem Boot - Überfahrt über den Nil Erzähler: In Qena machen die Costa Salafisten Rast. Die Kette auf dem Boot für die Überfahrt quietscht in der Morgensonne. Die meisten dösen noch auf dem asphaltierten Nilufer vor sich hin. Mohammed zieht seine viel zu große Jeanshose bis über seinen Bauchnabel. O-TON Tolba: Ärzte und Pfleger und Apotheker, ihr bleibt hier! Stimmt Euch ab, wer was übernimmt, Gott möge euch segnen. Das sind die Ärzte, die schon während der Revolution vor drei Jahren die Verwundeten auf dem Tahrirplatz versorgt haben. Sie hatten ein Versorgungszelt direkt auf dem Platz und haben hunderte Leben gerettet. Wir hatten Angst vor dem ganzen Tränengas, es hat so weh getan. Die Ärzte waren aber die ganze Zeit auf dem Platz und haben sich von dem beißenden Gasgestank nicht beeindrucken lassen. Hey! Das sind Superhelden! Erzähler: Am anderen Ufer angekommen, sitzen zumindest die Ärztinnen wieder frisch und gutgelaunt um einen Plastiktisch und besprechen ihren Einsatz. Von den fünf trägt nur eine Kopftuch. Sie sind alle keine Mitglieder in der Bewegung, arbeiten aber gerne als Freiwillige mit. O-TON Pakinam: Ich heiße Pakinam, ich bin Apothekerin. Seit zwei Jahren fahre ich mit Costa in die Dörfer. Heute bin ich zum ersten Mal als Koordinatorin eingesetzt worden. Ich organisiere die ambulanten Praxen und die Apotheken für die Leute im Dorf. Ich bin die medizinische Koordinierungsstelle, wenn man so will. O-TON Tolba: Ok! Wer möchte sich um die Kinder im Dorf kümmern? Wer hat keine Angst vor Kindern? Versammelt euch hier. Kinder? Was? Niemand? Zwei Leute nur? Wir brauchen mehr! Madame Nagwa, Sie übernehmen doch wie immer die Kinder? Machen Sie etwas und motivieren Sie die jungen Leute mitzumachen. Das sollten auch nur Frauen machen. Die Eltern im Dorf haben bestimmt etwas dagegen, wenn die Jungs die Kinder beaufsichtigen. Madame Nagwa übernimmt immer die Arbeit mit den Kindern. Eigentlich lasse ich mir nie etwas von Frauen sagen, aber bei Madame Nagwa mache ich immer eine Ausnahme. Nagwa (etwas weiter weg): Jaja, das sagt er nur so! Tolba: Wirklich, zumindest höre ich auf Sie wenn wir außerhalb von Kairo sind (Lachen). O-TON Pakinam: Das erste Mal habe ich vor zwei Jahren von den Costa Salafisten gehört. Sie haben da in der Fernsehsendung vom berühmten Comedian Bassem Youssef Fußball gespielt. Ganz Ägypten hat dabei zugeschaut. In der Fernsehshow haben die Costa-Salafisten gegen Christen ein Turnier organisiert, das fand ich gut. Die haben vorgelebt, wie wir alle leben sollten. Und es war lustig obendrauf. Dann habe ich mich auf Facebook schlau gemacht und gelesen, was die bei Costa so alles machen. Und ich habe gelesen, was Mohammed Tolba so geschrieben hat. Dann haben sie Apothekerinnen gesucht und dann bin ich mitgegangen. Das war so toll, da habe ich mir gedacht, dass ich das regelmäßig machen kann. Und da bin ich! Die Message fand ich überzeugend. Ich bin keine Salafistin, aber alle sollten mit allen können. Ich mag Tolba eigentlich gar nicht. Zurzeit ist es OK. Aber am Anfang konnte ich ihn wirklich nicht leiden. Er führt sich auf als wäre er das Zentrum des Universums. Das mag ich nicht. Er findet sich ziemlich wichtig. Das darfst du so aber nicht senden, der bringt mich sonst um. (Lachen) MUSIK O-TON Tolba: Hey Du! Du hast noch keine Aufgabe! Du kannst dir aussuchen: Kinder oder Hühner! (Lachen) Freiwilliger 1: Naja, ich tendiere eher zu den Hühnern. Aber habt ihr nicht gesagt, dass ihr auch ein Haus bauen wollt? Für eine Familie? Tolba: Nein, wir bauen heute doch kein Haus. Beim nächsten Mal vielleicht. Freiwilliger 2: Bist du auch bei den Hühnern dabei? Tolba: Ja. Freiwilliger 2: Ok, dann mache ich bei den Hühnern mit. Tolba: Wir haben nicht viele, es sind nur tausend Hühner, denke ich. Freiwilliger 1: Tausend? Ich hatte noch nie in meinem Leben ein Huhn in der Hand! Tolba: Ja, es ist eine Herausforderung so ein Huhn heile an den neuen Besitzer zu übergeben. Freiwilliger 1: Sind die nicht in Käfigen? Tobla: Natürlich nicht, wie viele Käfige bräuchten wir dann? Also Kameraden, tausend Hühner das schaffen wir schon. Die Kinder wird’s freuen! BLENDE ATMO Koran 2: يَا أَيُّهَا النَّاسُ إِنَّا خَلَقْنَاكُمْ مِنْ ذَكَرٍ وَأُنْثَى وَجَعَلْنَاكُمْ شُعُوبًا وَقَبَائِلَ لِتَعَارَفُوا إِنَّ أَكْرَمَكُمْ عِنْدَ اللهِ أَتْقَاكُمْ إِنَّ اللهَ عَلِيمٌ خَبِيرٌ Overvoice: Ihr Menschen! Wir haben euch geschaffen aus einem männlichen und einem weiblichen Wesen und wir haben euch zu Verbänden und Stämmen gemacht, damit ihr euch kennenlernt. Sure Das Zimmer, Vers 13 ATMO Kindergeschrei und Gelächter im Wohnzimmer von Tolba O-TON Erzähler: In Mohammed Tolbas Wohnung in der noblen 6th-of-October-City, einer Kairoer Sattelitenstadt tollen Maria und Selina auf dem Sofa und ihrem Vater herum. Es sieht aus wie das Versailler Schloss in Miniatur: Massive Möbel und glitzernde Accessoires. Überall. Die Fünf- und Zweijährige ziehen am Rauschebart von Tolba, nehmen ihm die Brille ab, kicken ab und zu gegen sein Schienbein und reißen ihm seinen geliebten Tablet-PC aus der Hand. (Film im Hintergrund) Erzähler: Ein junger ägyptischer Filmemacher begleitete Tolba im Jahr 2011, als er auf dem Tahrirplatz gegen Präsident Hosni Mubarak und für faire Neuwahlen demonstrierte. Kurz darauf gründete Tolba die Costa-Salafisten. Erstarrt schaut er sich nun selber beim Revolution machen zu. Den Dokumentarfilm sieht er heute, über zwei Jahre später, zum ersten Mal. Er hatte keine Zeit ins Kino zu gehen. O-TON Tolba (Erschöpft, auf dem Krankenbett im Film): Sie haben mich geschlagen. Ich wollte doch nur demonstrieren und nun haben sie mich geschlagen. Wir wollen doch nur, dass sie mit den Wahlen warten, ein paar Monate. Scharfschützen haben uns abgeschossen und es ist eine Massenpanik ausgebrochen. Alles tut so weh. (Filmmusik, Männer rufen im Film Allahu Akbar) O-TON Doaa: Für mich war das eine sehr schwierige Zeit. Ich war so traurig und wusste nicht mehr weiter. Ich war dagegen, dass er auf dem Tahrirplatz sein Leben aufs Spiel setzt. Erzähler: Doaa, Mohammeds Ehefrau, fixiert mich mit ihren Augen, die aus einem Schlitz in ihrem Ganzkörperschleier herauslugen: Eine selbstbewusste, junge und – wenn man ihre Kinder betrachtet – bestimmt hübsche Englischlehrerin. O-TON Doaa: Natürlich wünsche ich mir oft, dass die Revolution, die Costa-Salafisten und die Politik aus unserem Leben verschwinden. Mein Mann ist ein Wochenendpapa. Aber Jemand muss ja diesen Weg gehen, Mohammed hat diesen Weg gewählt. Er hat eine Mission, sagt er immer. Gott sei gepriesen. Wenn ich etwas von meinem Mann Mohammed gelernt habe, dann ist es seinen Prinzipien treu zu bleiben. Er hat ein Ziel und verfolgt es auch konsequent. Wenn der Weg über das Costa Kaffeehaus führt, dann ist es halt so. Ich bin glücklich, dass er durchhält. MUSIK ATMO Koran 3: أَلَمْ نَجْعَل لَّهُ عَيْنَيْنِ وَلِسَانًا وَشَفَتَيْنِ وَهَدَيْنَاهُ النَّجْدَيْنِ {فَلا اقْتَحَمَ الْعَقَبَةَ * وَمَا أَدْرَاكَ مَا الْعَقَبَةُ * فَكُّ رَقَبَةٍ * أَوْ إِطْعَامٌ فِي يَوْمٍ ذِي مَسْغَبَةٍ * يَتِيماً ذَا مَقْرَبَةٍ * أَوْ مِسْكِيناً ذَا مَتْرَبَةٍ} Overvoice: Haben wir ihm nicht zwei Augen gemacht? Eine Zunge und zwei Lippen? Und ihm die beiden Wege gezeigt? Doch der Mensch bezwang das Hindernis nicht. Wie kannst DU wissen, was das Hindernis ist? Es besteht darin, dass man einem Sklaven zur Freiheit verhilft oder an einem Tag, an dem alles Hunger hat, einer Waise oder einem Armen, der sich im Staube wälzt, zu essen gibt. Sure Die Stadt, Vers acht bis 16 ATMO Bus startet / Motorengeräusche O-TON Junger Salafist (Ansprache über das Busmikro von einem jungen Salafist): Der Prophet Mohammed sagte schon, dass man eine gute Intention haben soll, bei dem was man macht, dann ist uns das Paradies sicher. Pakinam: Hält der jetzt eine Predigt, oder was? Junger Salafist (weiter mit der Ansprache): Wir haben nur noch wenige Kilometer vor uns bis wir im Dorf sind und jeder Kilometer bringt uns ein Stück näher ans Paradies. Wir werden die Menschen heilen, wir bringen unser Land so nach vorne. Wir handeln, wir reden nicht nur. ATMO Busfahrt Erzähler: Alle sind genervt von der Predigt – der junge Salafist am Busmikrofon erntet einige böse Blicke. Denn über Religion soll ja nicht geredet werden. Doch als am Horizont die ersten spielenden Dorfkinder auftauchen, vertreibt die Vorfreude den Ärger. Der Bus fährt im Schritttempo an den ersten Lehmhütten vorbei, einige Ziegen stehen im Weg. Ich schaue durchs Fenster: Weit und breit kein Strommast, hier wird Tolba kaum Facebookfans haben. Die Straßen nicht asphaltiert, die Kinder barfuss, in zerrissenen Kleidern. Die Ärzte werden später diagnostizieren, dass alle unterernährt und von Parasiten befallen sind. O-TON Andrew: Als ich Mohammed Tolba auf dem Tahrir das erste Mal gesehen habe, habe ich mich entschlossen, den Costa Salafisten beizutreten. Alle Parteien, alle Initiativen sagen immer, dass sie für Toleranz stehen. Die Einzigen, bei denen ich wirklich Toleranz erlebt habe, das sind die Costa Salafisten. Die Parteien sind doch der Hauptgrund für die Polarisierung in der Ägyptischen Gesellschaft. Es ist viel schlimmer geworden, seit der Revolution. Jeder sagt, er sei der Beste, und jeder sagt, er sei tolerant. Das ist aber nicht so. Das größte Problem in Ägypten ist Polarisierung und Diskriminierung. Erzähler: Andrew ist orthodoxer Christ. Er trägt einen langen Bart und ein T-Shirt mit der Aufschrift „Salafismus ist cool“. Hat er ein Identitätsproblem oder will er provozieren. Andrew: Ich hasse es nach meinem Aussehen beurteilt zu werden. Ich entscheide wie ich herumlaufe. Sie nennen mich auf der Straße Scheikh. Und in meiner Kirche nennen sie mich Andrew Ben Adel, eine Anspielung auf Ben Laden. Ich habe auch lange Haare, das kann denen doch allen egal sein. Hier bei den Costa Salafisten kann ich so sein, wie ich will. Deswegen sollte die Costa Philosophie für ganz Ägypten gelten. Viele Salafisten denken, dass die Costa-Salafisten den Islam beleidigen, weil sie auch mit Christen zusammenarbeiten. Viele Christen hassen mich dafür dass ich mit Salafisten abhänge. Viele Menschen verstehen unsere Idee gar nicht, denken dass wir so eine Art religiöse Bewegung sind, dabei versuchen wir die konstruierten, religiösen Konflikte zu überwinden. Wir sind eine gesellschaftliche Bewegung, wir wollen Toleranz leben. Das Dorf, in das wir jetzt kommen, die Kinder dort, die haben noch nie in ihrem Leben mit einem Christen gesprochen. Deswegen ist meine reine Anwesenheit dort super wichtig. Meine Meinung! ATMO Leute steigen aus dem Bus, Motor geht aus ATMO Vögelgezwitscher, Ziegen O-TON Tolba: Endlich sind wir da. Da ist das Schulgebäude. Von hieraus werden wir alles organisieren. Mohamed: Sollen wir aussteigen? Tolba: Ja steigen wir aus! ATMO Tüten rascheln ATMO SMS-TON MUSIK O-TON Tolba: Scheiße! Unser LKW mit dem ganzen Material, mit den Kleidern, den Medikamenten, den Hühnern steckt zehn Kilometer vor dem Dorf fest. Mist! Scheiße! Ok, Leute ich löse das Problem, irgendwie. Freiwilliger 1: Wie denn? wie willst du das Zeug ins Dorf bringen? Tolba: Mir fällt schon etwas ein. Freiwilliger 1: Hier gibt es keine Transportmittel und unsere Busse sind weitergefahren. Tolba: Hat hier jemand zumindest ein Auto, so dass wir zum LKW fahren können. Gibt es hier keine Taxis? Gott bewahre uns. BLENDE SOUND ATMO Facebook-Message Tolba: Lieber Mohamed, Ich habe Burnout, glaube ich und muss noch im Büro irgendetwas programmieren. Können wir unser Treffen nach hinten verschieben? Heute schaffe ich das auf gar keinen Fall. Bis bald, Mohammed ATMO Facebook-Message Mohammed (Erzähler): Lieber Mohammed, Kein Problem. Ich hoffe, dir geht es etwas besser und du kannst bald nachhause. Wir können das auch einfach so machen, dass wir wie vereinbart gemeinsam nächste Woche nach Alexandria zu deinem Vortrag fahren. Mit deinem tollen Ford hoffe ich! Lass mich wissen, wo ich in Kairo zusteigen kann. Herzliche Grüße, Mohamed BLENDE ATMO Klatschen im Vorlesungssaal O-TON Moderatorin 1: Ich entschuldige mich für die Verspätung und freue mich sehr Mohammed Tolba, den Gründer der Costa Salafisten hier an der Universität von Alexandria zu begrüßen. Moderator 2: Ja auch ein herzliches Willkommen von meiner Seite Herr Tolba. Meine erste Frage an Sie: wann haben Sie ihre Initiative gegründet? Tolba: Wir fangen also mit Fragen an? Macht ihr das an der Uni so? (Lachen) Moderator 2: Ähm, ja. Tolba: Also, am Anfang waren wir zu zweit. Achja, ich wollte bevor ich damit anfange, den Organisatoren von der Universität Alexandria für die Einladung danken und habe eine Frage: Wieso zur Hölle habt ihr das schlimmste Foto von mir auf Erden auf dieses riesige Plakat und auf den Flyer gedruckt? (Lachen) Wir versuchen das Image von Salafisten zu verbessern und dann so etwas Hässliches. Das ist eine Verschwörung, ich fordere deswegen einen Millionenmarsch für die Wiedererlangung meiner Würde und natürlich für die Einführung der Scharia. (Klatschen) Weder die Islamisten oder die Konservativen auf der einen, noch die Liberalen oder Linken auf der anderen Seite bieten eine gute Lösung für unser Land an. Wir bekriegen uns, wir streiten uns und dabei ist zumindest diese Feindschaft zwischen den beiden Lagern es nicht wert! Nichts, rein gar nichts, hat sich geändert, im Gegenteil. Ich muss dazu sagen, dass ich fest daran glaube, dass die Scharia alles lösen würde. Ihr wisst gar nicht wie sehr ich daran glaube. Die Liberalen, die für Gedankenfreiheit einstehen, wollen mich einsperren und mich diskriminieren. Und die meisten sogenannten Liberalen wollen ja sowieso eine Militärdiktatur. Also sollten wir alle, alle die hier sitzen aufstehen und denen da oben nicht den Wandel überlassen. ATMO Applaus Erzähler: Mohammed Tolba liebt Applaus. Er steht gerne im Rampenlicht, ist mit Freude in den letzten Wochen nach London, Stockholm und New York gereist, auf Einladung westlicher Diplomaten. Sie sehen in ihm den „coolen Salafisten“, der zwar einen langen Bart trägt, aber sich ansonsten so westlich gibt, so westlich denkt. Mit einer ausgeklügelten Rhetorik und einem massentauglichen Humor zieht er seine Zuhörer heute – alle wohl situierte, junge Studierende – in den Bann. Alle wollen dem Gründer der Costa-Salafisten die Hand schütteln und drängen im Hörsaal auf die Bühne. BLENDE ATMO auf der Autobahn, im Auto, Sand auf der Windschutzscheibe Erzähler: Auf dem Rückweg von Alexandria nach Kairo, weit nach Mitternacht, regnet es, aber nur wenn man die Augen schließt und ein wenig Phantasie im Gepäck dabei hat. Der Sand aus der Wüste rasselt auf die Windschutzscheibe von Mohammeds Ford. Es ist kalt, die Heizung streikt, ich friere. Mohammed legt eine CD ein, sagt dass sie uns schnell wärmen wird. ATMO Tolba übt den Koran Immer wenn er von seinen Vorträgen nachts zurück nach hause fährt, übt Mohammed die Worte Gottes, mit Hilfe von mp3-Dateien. ATMO Tolba übt den Koran BELNDE ATMO in der Moschee O-TON Imam (Predigt vom salafistischen Imam, später Erzähler drüber: Einige Brüder fragen mich, wie sie den Koran auswendig lernen können, wie sie die heiligen Worte Gottes üben sollen. Ich sage euch, Brüder: Gott verbietet den Koran auf CD oder im Auto oder gar im Internet auswendig zu lernen. NEIN! Kommt zu uns, den Imamen, hört uns zu, nur hier in Moscheen und von den Imamen könnt ihr korrekt den Koran lernen und verstehen. Erzähler: Bei den ersten Wahlen nach der Revolution haben alle salafistischen Parteien zusammen rund 30 Prozent erhalten. Die Nour Moschee ist einer von vielen Sammelpunkten der großen Kairoer Salafistenszene. Auf dem Boden liegen einige Männer ausgebreitet und schlafen. Es riecht nach Füßen. Die Ventilatoren drehen sich an der Decke um die Wette. Der junge Imam erklärt seinen Gläubigen den wahren Islam. Imam: Wenn ihr nur ein Kapitel pro Tag auswendig lernt, und das kann sogar ein 60-jähriger leisten, wir können Euch dabei helfen, dann könnt ihr alle den Koran binnen acht Monaten auswendig rezitieren. Erzähler: Die Salafisten, die hier fast ihr ganzes Leben verbringen, sitzen in kleinen Gruppen und diskutieren ihre Heiligen Texte, hören sich die Predigt des Scheikhs an oder beten, immer ein bisschen mehr und ein bisschen länger als von Gott gefordert. ATMO Gebet Erzähler: Nach der Predigt und dem Nachmittagsgebet, bittet mich der Imam zum Tee in sein Büro. Ein Junge, maximal 16 Jahre alt, wartet dort nervös auf der Kante eines alten Ledersofas. Er ist zur Beichte gekommen. O-TON Imam: Keine Sorge. Junge: Ich weiß nicht… Imam: Sprich Junge, wir sind unter uns. Junge: Ich habe, wie soll ich sagen? Abends immer diese Träume? Imam: Träume? Junge: Ja, und dann muss ich mich anfassen. Imam: Achso, ja, das ist ein Problem. Junge: Was soll ich tun? (Imam ruft nach seinem Gehilfen Reda und klingelt) Imam: Reda machst du uns einen Tee? Imam: Ja, das ist ein Problem und die Lösung ist der Vers des Stuhls, Sure der Kuh. Das hilft uns Muslimen Sünden zu widerstehen. Lies sie fünfzig Mal, wenn du wieder in Versuchung kommst und dann müsste alles wieder gut sein. Erzähler: Als der dürre junge Mann aufsteht, sich verlegen beim Imam bedankt, erkenne ich auf seinem hellgrünen T-Shirt die Aufschrift „I am sexy and I know it“. Dann verschwindet er hastig und vergisst fast seine Schuhe. MUSIK ATMO Koran 4 اللّهُ لاَ إِلَـهَ إِلاَّ هُوَ الْحَيُّ الْقَيُّومُ لاَ تَأْخُذُهُ سِنَةٌ وَلاَ نَوْمٌ لَّهُ مَا فِي السَّمَاوَاتِ وَمَا فِي الأَرْضِ مَن ذَا الَّذِي يَشْفَعُ عِنْدَهُ إِلاَّ بِإِذْنِهِ يَعْلَ مَا بَيْنَ أَيْدِيهِمْ وَمَا خَلْفَهُمْ وَلاَ يُحِيطُونَ بِشَيْءٍ مِّنْ عِلْمِهِ إِلاَّ بِمَا شَاء وَسِعَ كُرْسِيُّهُ السَّمَاوَاتِ وَالأَرْضَ وَلاَ يَؤُودُهُ حِفْظُهُمَا وَهُوَ الْعَلِيُّ الْعَظِيمُ Overvoice: Allah - kein Gott ist da außer Ihm, dem Ewiglebenden, dem Einzigerhaltenden. Ihn ergreift weder Schlummer noch Schlaf. Ihm gehört, was in den Himmeln und was auf der Erde ist. Sure die Kuh, Vers des Stuhls, Nummer 255 O-TON Imam: Es gibt nichts was moderner Islam, moderner Salafismus heißt. Der Islam ist so wie er ist für jeden Ort und jede Zeit gültig. Der Islam kennt schon seit seiner Entstehung das Internet, die neuesten Technologietrends. Mehr als 700 Verse im Koran behandeln das alles. Wenn die Costa Salafisten das alles benutzen dann ist das also kein Alleinstehungsmerkmal, keine Innovation. Eines kann ich aber sagen: Die Costa Salafisten sind diejenigen, die am weitesten weg sind vom wahren Salafismus. ATMO Dorfstraße, ein paar Motorräder, zwitschernde Vögel O-TON Freiwilliger 2: Wie wäre es denn, wenn wir einen Mechaniker organisieren, der den LKW wieder auf Trab bringt? Tolba: Wir machen das so, wie ich nun sage: Ich brauche sechs Leute, und drei Wagen. Dann regle ich das schon. O-TON Tolba: Schau, da. Halte das Auto an. ATMO Auto hält an Erzähler: Der LKW der Costa Salafisten hat in Qena mit Wasser gepanschtes Erdgas getankt. Tolba steht am Straßenrand und fasst sich ans Hirn. Mehr als 2000 Dorfbewohner warten auf die versprochene Medizin, auf die versprochene Kleidung, auf das versprochene Spielzeug. Und Tolba, eigentlich meistens mit seinem Ford unterwegs, sucht auf der Landpiste fieberhaft nach einem fahrbaren Untersatz und muss sich dazu mit seinen Leuten streiten. O-TON Tolba: Was? Du fragst tatsächlich wann wir beten sollen? Geh du doch beten! Ich bete heute nicht. Das ist erlaubt, ich bin auf Reisen, da muss ich nicht unbedingt beten. Außerdem kümmere ich mich jetzt erstmal um den LKW und die Dorfbewohner. Freiwilliger 1: Das Problem ist, dass der LKW-Fahrer zum ersten Mal in seinem Leben nach Qena fährt und sich mehrmals verfahren hat. Tolba: Wie kann man sich verfahren? Immer den Nil entlang! Ist ja auch egal. MUSIK Freiwilliger 2: Halten Sie an! Einen Moment! Freiwilliger 1: Ich muss aber vorher noch das Freitagsgebet verrichten. Tolba: Bete doch. Ich bin Salafist, ich weiß, was ich tue. Ich muss heute nicht beten. (Lachen) Ich habe auch kein Problem damit, zehn Kilometer zu laufen, wenn es sein muss. O-TON ATMO Schritte auf Kieselsteinen, Auto hält an Tolba: Nehmen Sie uns mit? Ok, Leute der nimmt uns mit! Ihr drei steigt ein, die anderen dürfen beten gehen. BLENDE ATMO die Kinder streiten, eins davon weint. Tolba: (etwas weiter weg im Raum) Was ist nun passiert? Maria: Sie hat mich zuerst an den Haaren gezogen! Tolba: Ok Kinder, was habe ich über Gewalt gesagt? O-TON (Lachen) Doaa (Tolbas Frau): Mein Mann Mohammed ist immer für eine Überraschung gut. Die Revolution, all das was passiert ist, aber vor allem die Costa Salafisten, dass diese Bewegung so zu Stande kommt, das war wirklich nicht abzusehen. Bei uns im Haus war das ein großer Einschnitt. Am Anfang schien mir ja alles wie ein schlechter Witz. Ich habe mir alles angesehen und geschmunzelt. Habe mich gefragt, was die alle wollen. Für mich war das eine Facebook-Gruppe, nicht mehr. Ich bin sowieso nicht aktiv mit dabei, aber ich beobachte das schon alles sehr kritisch. Ich habe viel zu tun, ich arbeite als Lehrerin ich habe drei Kinder, das ist Arbeit genug. (Kinder gehen dazwischen, quengeln) Erzähler (O-Ton darunter weiter): Sie sagt, im Haus sei sie der Boss. Mohammed hat sich, während seine Frau erzählt, in das Nebenzimmer zurückgezogen. Ich bin erstaunt. Ein konventioneller Salafist würde seine Frau nie mit einem anderen Mann alleine lassen. Doch Doaa wirkt entspannt. Sie weiß genau, was das Publikum aus dem Westen hören möchte und spricht von selbst über ihren Ganzkörperschleier O-TON Doaa: Meine Oma musste den Schleier anlegen, da war sie vier Jahre alt. Meine Mutter dagegen hat nie ein Kopftuch getragen. Und ich trage den Ganzkörperschleier schon seit zehn Jahren, oder sogar länger. Mein Bruder ist Gittarist. Bei uns zuhause gab es große Meinungsverschiedenheiten (Lachen). Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich mich entschieden habe einen Ganzkörperschleier anzulegen, war meine Mutter vehement dagegen. Mein Bruder, der Gittarist, hat mich aber unterstützt. Er hat argumentiert, dass dies meine Entscheidung sei, wenn ich mich wohl fühle, solle ich es machen. Er war derjenige, der mich verstanden hat. MUSIK O-TON Mohamed: Du und Mohammed, seid ihr eigentlich immer einer Meinung? Doaa: Nein, meistens nicht (Lachen). Mir fällt jetzt kein Beispiel ein. Achja, bei den Wahlen zum Beispiel. Er wollte die Wahlen am Ende ganz boykottieren und ich war dagegen, ich wollte unbedingt wählen gehen. Ich habe ihm dann meine Meinung gesagt. Wir haben oft die gleiche Intention, sind aber meistens nicht derselben Meinung, wie wir Dinge erreichen können. Und am Ende muss Mohammed natürlich immer Recht behalten, das mag ich gar nicht an ihm (Lachen). Die Wahlen hätte ich aus heutiger Sicht natürlich boykottieren sollen. Mist, er hatte wieder Recht! MUSIK ATMO Kartons und Tüten werden in die Autos umgeladen Erzähler: In Abu Diab hat Mohammed Tolba drei Pick-Ups organisiert, mit dem Segen Gottes wie er scherzt. Auf einem Haufen von Kleidung sitzend, fahren wir zurück ins Dorf. Dort warten die Bewohner schon ungeduldig auf ihre Geschenke, ihre Medizin und was die Costa Salafisten sonst noch im Gepäck haben. ATMO Hühner O-TON Dorfbewohner: Ach, zu uns ins Dorf kommen so viele Wohltätigkeitskarawanen. Mindestens eine pro Monat. Das ist nicht das erste Mal, dass Leute vorbeikommen und etwas mitbringen. Mohamed (Erzähler): Wer organisiert diese ganzen Charity-Geschichten? Dorfbewohner: Ach, es gibt so Wohltätigkeitsvereine und dann noch Parteien und dann gibt es noch ein paar staatliche Karawanen, glaube ich. Aber kannst du mir erklären wer die hier sind? Die sind ganz neu, was wollen die von uns. Wer uns etwas gibt, will auch sicher etwas im Gegenzug haben. Mohamed: Du weißt nicht wer das ist? Dorfbewohner: Nein. Mohamed: Hast du irgendwann von den Costa-Salafisten gehört? Dorfbewohner: Was für Salafisten? Mohamed: Salafiyo Costa Dorfbewohner: Nee, kenne ich nicht. (ATMO geht weiter unter Erzählertext) Erzähler Während die Eltern damit beschäftigt sind, ihre Geschenke entgegen zu nehmen, erhalten die Kinder einen Crashkurs in islamischer Religionsausübung. Die meisten Kinder gehen hier nicht regelmäßig mit ihren Eltern in die Moschee. Doch nur diejenigen, die versprechen, dies zu ändern, bekommen von der Aktivistin Süßigkeiten. Hier also, in einer der ärmsten Gegenden Ägyptens, wo die Menschen manchmal Stroh essen müssen, um zu überleben, werden die Salafisten von Costa nun doch wieder zu ganz gewöhnlichen Salafisten. Hier endet ihre Toleranz. Was Tolbas Tochter Maria wohl dazu sagen würde? BLENDE ATMO Hühner O-TON Kind: Hey, ich habe noch keine Decke bekommen. Ich will eine Decke haben! Freiwilliger 2: Tolba! Tolba! Wir machen nun mit der Nummer 50 weiter. Ok? Gut! MUSIK Dorfbewohner: Nur sechs Hühner? Freiwilliger 2: Nein, jeder bekommt acht Hühner. (ATMO geht weiter unter Erzählertext) Erzähler: Zum Ende des Tages bricht Panik unter den Dorfbewohnern aus. Von Allem gibt es zu wenig: zu wenig Kleidung, zu wenig Hühner, zu wenig Ärzte, zu wenig Zeit. Tolba entscheidet vor Sonnenuntergang, die Aktion zu stoppen. Vor dem Schulgebäude hat sich eine wütende Menge versammelt, die lautstark ihre Rechte und die versprochenen Dienstleistungen einfordert. ATMO Menschenmenge außer Kontrolle O-TON Doaa: Vor allem die Salafisten in meiner Familie mögen Mohammed gar nicht. Für die ist das kein wahrer Salafismus, was er da lebt. Meine Mutter und mein Vater sind keine Salafisten, aber all meine Onkel und Tanten. Mohammed: Und Du auch. Doaa: Ja, wenn man so will. Ich sehe ja auch aus wie eine Salafistin (Lachen). Es geht aber nicht um den Ganzkörperschleier oder den Bart, es geht ja beim Salafismus um andere Dinge. Auf jeden Fall wird Mohammed von der salafistischen Mehrheit in meiner Familie sehr kritisiert und so werde auch ich logischerweise oft angegriffen. Und auch die Nicht-Salafisten greifen uns an. Wir können es niemandem recht machen. SOUND Tolba (schreibend gesprochen): Meine lieben Salafistenfreunde! Der Islamistenpräsident Mursi ist weg und kommt nie wieder. Die Liberalen El Baradeis haben nun mal mitgeputscht und nur sie können uns gegebenenfalls aus den Verließen und Arbeitslagern des Militärs befreien, wir sollten nett zu ihnen sein ;) ATMO Leute kommentieren und liken Tolbas Eintrag. (I like. I like. I like…) Kommentar 1: Rette mich Mohammed El Baradei, ähm Mohammed Tolba ☺ (I like. I like. I like. Gefällt mir…) Kommentar 2: Wir sollten alle aufhören Mohammed Mursi nachzutrauern (I like, I like, I like…) Kommentar 3: Er war und ist der gewählte Präsident Ägyptens. (I like, I like, I like…) Kommentar 4 (von Tolba): Ok, könnt ihr bitte aufhören meine Facebook-Seite für Eure Grabenkämpfe zu benutzen. Ich will meine Ruhe haben, trinke gerade einen Capuccino und lese dabei den Koran. (Noch mehr, hunderte „I like“s mit Echo…) MUSIK ABSAGE Der coole Salafist Koran und Cappuccino für ein besseres Ägypten Feature von Mohamed Amjahid Es sprachen: Mohamed Amjahid, Ole Lagerpusch, Inka Löwendorf, Thomas Schendel, Aram Tafreshian und Lena Vogt O-TON Doaa: Ich denke, dass Mohammed früher oder später einen wichtigen Posten bekleiden wird. Vielleicht nicht jetzt, aber ich weiß, dass er es machen wird. Mohammed: Er bestreitet das aber immer, er wolle nicht in die Politik. Doaa: Ach, Schwachsinn. Und wie heiß Mohammed darauf ist in die Politik zu gehen! Mir sagt er auch immer er wolle nicht, aber die Costa Salafisten sollten ja auch nie ein großes Ding werden. MUSIK Ton: Bodo Pasternak, Iris König und Katrin Witt Regie-Assistenz: Rebekka Bai Regie: Giuseppe Maio Redaktion: Gabriela Hermer O-TON Tolba: Seid ihr fertig, darf ich wieder ins Zimmer? Doaa: Nein, du bleibst schön im Nebenzimmer, die Geschichte fängt erst an. (Lachen) Eine Produktion des Rundfunk Berlin-Brandenburg und des Deutschlandfunks 2013. 2