Deutschlandradio Kultur Länderreport COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Der 13. August 1961. Der Tag. - Berlin von 00.00 Uhr bis 24.00 Uhr. Eine Dokumentation - Autor Georg Gruber Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 08.08.2011 - 13.07 Uhr Länge 19.23 Minuten Moderation Der 13. August 1961. Ein Tag, der Deutschland veränderte. Der Spaltung der Welt, Europas und Deutschlands in zwei Hälften folgte die Mauer - und damit die Spaltung von Familien. Der 13. August begann wie jeder Tag um Null Uhr und endete um 24 Uhr. Doch mit dem frühen Sonntagmorgen wird in Berlin vieles anders. Wer beim Frühstück im Radio Unterhaltungsmusik sucht, der erfährt kurz und knapp: "Der Verkehr ... wird eingestellt ..." Ostberlin wird abgeriegelt, Westberlin eingeschlossen. Der Länderreport dokumentiert den 13. August von 00.00 bis 24 Uhr. Georg Gruber nahm sich des Themas an. -folgt Script Beitrag- Script Beitrag Autor Berlin, eine milde Sommernacht, es hat 15 Grad. Die Berliner schlafen oder gehen gerade von Kino, Theater und Kneipe nach Hause. Kaum einer weiß, was in den kommenden Stunden passieren wird: Die Operation "Rose" war unter strengster Geheimhaltung geplant worden. Um 00.00 Uhr wird in allen Kasernen der DDR Gefechtsalarm ausgelöst. Um 1.00 Uhr beginnt die Operation: Die Abriegelung Westberlins. Alle Straßen, die in den Westteil der Stadt führen, sollen bis auf 13 Übergänge unpassierbar gemacht werden. 5.000 Grenzpolizisten, 5.000 Mann der Schutz- und Bereitschaftspolizei sowie 4.500 Angehörige der Kampfgruppen sind dafür im Einsatz. Zitator Erklärung der Regierungen der Warschauer Vertragsstaaten "Die Regierungen der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages streben bereits seit mehreren Jahren nach einer Friedensregelung mit Deutschland." Autor Um 1.11 Uhr veröffentlicht die ostdeutsche Nachrichtenagentur ADN eine Erklärung der Warschauer Pakt Staaten, mit der das Vorgehen gerechtfertigt wird, als "Schutzmaßnahme" gegen die "Wühltätigkeit" und die "aggressiven Bestrebungen" des Westens. Der Text wird zusammen mit einer Erklärung des DDR-Ministerrats auch in der Sonntagsausgabe des Neuen Deutschland abgedruckt und von den DDR- Rundfunkanstalten im Laufe der Nacht und des Tages mehrfach gesendet. 1. O-Ton Erklärung des Ministerrates der DDR, CD Monitormitschnitt, DC 001299/1 T 1 "Zur Unterbindung der feindlichen Tätigkeit der revanchistischen und militaristischen Kräfte Westdeutschlands und Westberlins wird eine solche Kontrolle an den Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik einschließlich der Grenze zu den Westsektoren von Groß-Berlin eingeführt, wie sie an den Grenzen jedes souveränen Staates üblich ist." Autor Gegen 2 Uhr nachts gehen bei der Westberliner Polizei erste Meldungen ein, dass die von der DDR betriebene S-Bahn den Ost-West-Verkehr eingestellt hat. Um 3.25 Uhr läuft eine erste Eilmeldung über die Fernschreiber, Rias Berlin unterbricht sein Programm: Zitator "United Press International", (zitiert nach: Jürgen Petschull, Die Mauer. Vom Anfang und vom Ende eines Deutschen Bauwerks, Hamburg 1990, ISBN 3-570-02534-9, S. 53) "Starke Verbände der kommunistischen Volkspolizei haben in der Nacht zum Sonntag die Sektorengrenze zwischen Ost- und Westberlin abgeriegelt ..." Autor Und Associated Press meldet um 3.37 Uhr: Zitator, AP, (zitiert nach Petschull, S. 53) "Brandenburger Tor geschlossen" Autor Die Reporter der Westberliner Sender sind unterwegs in der Stadt, berichten den ganzen Tag über. 2. O-Ton SFB-Reportage, T 4 von der CD "Berlin, 13. August 1961", aus der Reihe des DRA, "Stimmen des 20 Jahrhunderts" "Es ist jetzt fünf Uhr, der Platz vor dem Brandenburger Tor. Zu sehen ist auf den ersten Blick nur eine Barriere, die die Ebertstraße absperrt, dahinter ein Straßenbaukommando, die Straße aufgerissen, wahrscheinlich, um die Straße nicht mehr passierbar zu machen." Autor Eine Reportage des SFB. Über die Vorgeschichte des 13. August wird noch immer geforscht. Am 15. Juni 1961, als Walter Ulbricht auf einer Pressekonferenz erklärte, niemand habe die Absicht eine Mauer zu bauen, war die endgültige Entscheidung in Moskau noch nicht gefallen. Sicher ist: Ulbricht wünschte schon länger die Sperrung der Grenzen nach West-Berlin. Chruschtschow entschied sich aber vermutlich erst am 20. Juli zu diesem Schritt. Am 1. August besprach Chruschtschow mit Ulbricht den Ablauf der Grenzsperrung: Zitator, Gesprächsprotokoll, Chruschtschow, Ulbricht, 1.08.1961 zitiert nach Manfred Wilke, Der Weg zur Mauer, Ch. Links Verlag 2011, S. 314 "Chruschtschow: Ich habe eine technische Frage: Wie wird die Kontrolle an den Straßen verwirklicht, deren eine Seite sich in der DDR befindet und die andere in West-Berlin? Ulbricht: Wir haben einen bestimmten Plan. In den Häusern, die einen Ausgang nach West-Berlin haben, werden wir diesen Ausgang zumauern. An den anderen Orten werden wir Sperren aus Stacheldraht errichten. Der Draht ist schon herangeschafft worden. Das alles kann man sehr schnell machen." Autor Die Zahl der Flüchtlinge aus der DDR in den Westen stellt damals für Ostberlin ein immer größer werdendes Problem dar: 1960 hatten fast 200.000 Menschen die DDR verlassen, rund 150.000 nutzten dafür die offene Grenze nach Westberlin. 1961 spitzt sich die Lage weiter zu - und doch sind viele Berliner überrascht von der Aktion: 3. O-Ton Herbert Schallert, Zeitzeuge, Interview 2011 Wenn Zeitpunkt eintrifft, wie an so einem Tag, dann ist man natürlich überrascht. Ich hab in Marienfelde gewohnt, unweit des Auffanglagers und habe täglich gesehen, was da an Menschenströmen vom Osten rüber gekommen ist und wir haben uns gesagt: irgendwann machen die dicht! 4. O-Ton Hans Joachim Krenz, Zeitzeuge, Interview 2011 Ehrlich gesagt, man konnte sich das nicht vorstellen, dass man ein ganzes Land einmauert. Ältere haben gesagt: Wir haben das geahnt. Aber ich war damals 21 Jahre, da ging's Hauptsache, wir konnten rüber fahren, ins Kino jederzeit, konnten einkaufen. Das Andere hat uns im Prinzip weniger interessiert, deswegen war ja dieses böse Erwachen so. Autor Ganz bewusst wird die Abriegelung auf einen Sonntag gelegt: Viele Berliner sind auf Wochenendausflug im Umland oder schlafen aus. Erika Schallert aus Ost-Berlin war am 12. August abends noch mit ihrem Verlobten in West-Berlin im Kino gewesen. Alles war wie immer. 5. O-Ton Erika Schallert, Zeitzeugin, Interview 2011 Mein Verlobter fuhr wieder zurück, wo er wohnte in Westberlin und ich fuhr zwei Stationen mit der S-Bahn zum Prenzlauer Berg, wo ich wohnte, bin ganz normal zu Hause angekommen, schlafen gegangen und wurde morgens wach, weil ich keine S-Bahn hörte. Wir wohnten direkt an der S-Bahn, und das war mir so unheimlich, und mir wurde sofort schlagartig klar: Jetzt ist es passiert! Und: Wie kommt man dann rüber, wenn man heiraten will? 6. O-Ton Rias-Reportage vom Brandenburger Tor, ca 7.45 Uhr, 13.08.1961 "(Presslufthammer-Geräusch) Seit etwa ein Uhr heute Nacht rattern die Presslufthammer und bohren einen Graben quer durch die Ebertstraße hier am Brandenburger Tor." 7. O-Ton Hanne Ritter, Zeitzeugin, Interview 2011 Dieser Tag war ein wunderschöner Sonntag, war herrliches Wetter, ich habe wie immer früh morgens das Radio angemacht. Autor Ein Reporter des Rias fasst gegen 7.45 Uhr die Ereignisse der Nacht zusammen. 8. O-Ton Rias-Reportage vom Brandenburger Tor, ca 7.45 Uhr Es sind Volkspolizisten in ihrer Arbeitskleidung, es ist eingesetzt die Feuerwehr, es sind eingesetzt die Beamten der Zoll und Warenkontrolle und auf der anderen Seite des Brandenburger Tors stehen etwa 30 Lastwagen, die hier die Mannschaften heran gebracht haben, es sind etwa 50 Uniformierte, die hier das Brandenburger Tor bewachen. 9. O-Ton Hanne Ritter, Zeitzeugin, Interview 2011 Meine Mutter hat positiv gedacht und hat gesagt: So kann das ja nicht bleiben, und die können ja nicht einfach hier das völlig abriegeln und die Gegend zu machen. Mein Vater war da schon ein bisschen ängstlicher und kritischer, er hat sich aber nicht so getraut, das offen auszusprechen. Autor Hanne Ritter. Sie war schon als Jugendliche in den 50er Jahren aus der DDR nach West- Berlin geflohen, an den Stadtrand, nach Kladow am Großglienicker See. Ihre Eltern kommen jedes Wochenende aus der DDR nach Kladow, um sich zu ihrem Ostlohn etwas dazu zu verdienen - bis zum 13. August 1961 kann jeder aus dem Umland problemlos nach West-Berlin fahren. An jenem Sonntag wissen die Eltern nicht, was sie machen sollen: 10. O-Ton Hanne Ritter, Zeitzeugin, Interview 2011 Und dann war halt die Frage: Meine jüngeren Geschwister waren ja auf der anderen Seite, man konnte fast hinsehen. Und die Frage war: Bleiben sie jetzt hier oder gehen sie nach Hause in den Osten. Und da war es auch so, dass mein Vater dafür war hier zu bleiben, während meine Mutter auf alle Fälle wieder zurückwollte. Autor Viele Westberliner gingen in Ost-Berlin vor dem 13. August für wenig Geld ins Theater, zum Friseur oder zum Einkaufen. Viele Ostdeutsche und viele Ostberliner fuhren nach West-Berlin zur Arbeit, auch zum Einkaufen oder ins Kino. Lothar Kensbock profitierte damals von diesem Ost-West-Verkehr, er hatte sich in Kreuzberg 1960 einen kleinen Kiosk zugelegt, direkt an der Oberbaumbrücke, die über die Spree nach Friedrichshain/Ostberlin führt. 11. O-Ton Lothar Kensbock, Zeitzeuge, Interview 2011 Die Bevölkerung, die konnte hier hin und her. In unserer Ecke gab es ja, ich weiß nicht wie viele Kinos. Es gab ja einen Ostvorstellung, die hat 20 oder 25 Pfennig gekostet, da sind ja Massen von Leuten rüber gekommen. Ich glaube um 9 Uhr fingen die schon an, im Kino Filme zu zeigen, für die Schichtarbeiter, für die: Willste jetzt schon schlafen gehen? Ne, gehen wir nach Westberlin und kieken uns einen Film an. Autor Und jeder, der aus Friedrichshain über die Brücke nach Kreuzberg kam, kam an seinem Kiosk vorbei. Das Geschäft lief gut. 12. O-Ton Lothar Kensbock, Zeitzeuge, Interview 2011 Zu dieser Zeit, am 13. August haben wir uns mal eine Urlaubsreise in den Schwarzwald gegönnt und mein Schwager, der in der Zeit für mich den Dienst gemacht hat, hat flapsiger Weise gesagt: Wenn ihr zurückkommt, dann ist der Laden sowieso pleite. Autor Die Meldung von der Abriegelung West-Berlins hört Lothar Kensbock beim Frühstück in einem Hotel in Heidelberg. 13. O-Ton Lothar Kensbock, Zeitzeuge, Interview 2011 Natürlich war unsere Urlaubserholung gleich auf Deutsch gesagt im Eimer. Und wir hatten dann nur noch gedacht: Was passiert da? Eine Mauer bauen, wie lassen die uns rin, wie wird die Sache für uns enden? Autor Ungefähr zur gleichen Zeit, um 9.15 Uhr tritt in West-Berlin der Senat zu einer Sondersitzung zusammen. Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister erklärt danach: 14. O-Ton Willy Brandt, Erklärung des Regierenden Bürgermeisters nach der Sondersitzung des Senats, 13.08.1961 Die vom Ulbricht-Regime und auf Aufforderung der Warschauer Pakt Staaten verfügten Maßnahmen zur Abriegelung der Sowjetzone und des Sowjetsektors von West-Berlin sind ein empörendes Unrecht. Sie bedeuten, dass mitten durch Berlin nicht nur eine Art Staatsgrenze, sondern die Sperrwand eines Konzentrationslagers gezogen wird. Autor Die Alliierten halten sich zurück. In seinen Erinnerungen schildert Brandt, wie er am Vormittag die westlichen Stadtkommandanten beschwört, etwas zu unternehmen: Zitator Willy Brandt, Erinnerungen, (zitiert Jürgen Rühle, Gunter Holzweißig, 13. August 1961, Die Mauer von Berlin, Edition Deutschland Archiv im Verlag Wissenschaft und Politik, 1981, ISBN 3-8046-0315-7, S. 8) "Schickt mindestens sofort Patrouillen an die Sektorengrenze, um dem Gefühl der Unsicherheit zu begegnen und den Westberlinern zu zeigen, dass sie nicht gefährdet sind!" Zwanzig Stunden vergingen, bis die erbetenen Militärstreifen an der innerstädtischen Grenze erschienen. Vierzig Stunden verstrichen, bis eine Rechtsverwahrung beim sowjetischen Kommandanten auf den Weg gebracht worden war. Zweiundsiebzig Stunden dauert es, bis - in Wendungen, die kaum über die Routine hinausreichten - in Moskau protestiert wurde." 15. O-Ton Erika Schallert, Zeitzeugin, Interview 2011 Ich bin dann zur Kirche gegangen, wir waren sehr aktiv dort in der Kirchengemeinde und in der Gruppe waren eben auch sehr viele Studenten, die in West-Berlin studierten. Und wir waren einfach der Meinung: Wir probieren das mal, wir gehen jetzt mal kucken, irgendwo muss man ja noch durchkommen, die können ja jetzt nicht die ganze Stadt gleich einzäunen oder ummauern oder wie auch immer. Autor Erika Schallert lebte im Ostteil der Stadt, beim Studium hatte sie ihren Verlobten kennen gelernt, der Ende der 50er Jahre aus der DDR nach West-Berlin geflohen war. 16. O-Ton Erika Schallert, Zeitzeugin, Interview 2011 Und dann sind wir mit 20, ja, 20 waren wir wahrscheinlich, sind wir losgezogen in Ost- Berlin, so an der Grenze entlang und dachten: irgendwo kommen wir rüber. Na ja, war natürlich überhaupt nicht möglich, die war sehr sehr streng bewacht, obwohl ja noch keinen Mauer stand. Autor Die Aktion Rose ist aus DDR-Sicht ein Erfolg. Die Sektorengrenzen sind bereits seit dem Morgen dicht. 17. O-Ton Erika Schallert, Zeitzeugin, Interview 2011 Es waren mehr oder weniger Stacheldrahtrollen, die sie dort ausgerollt hatten und es war nirgendwo daran zu denken, rüber zu kommen, vielleicht wäre es in der Nacht gegangen, ich weiß es nicht. Wir sind dann doch sehr bedrückt nach Hause gegangen, jeder zu sich nach Hause und, ja, man hat dann überlegt, wie es weiter gehen soll. Ich hatte auch keinen Kontakt mit meinem Verlobten, weil er selber aus der DDR stammend, nicht wagte, nach Ostberlin zu fahren. Autor Im DDR-Rundfunk ist nur Zustimmung zur Grenzsperrung zu hören: 18. O-Ton Monitor-Mitschnitte CD, DC 001299/2, Take 1, Gespräche mit Passanten an Grenzübergängen, Als Mutter lebte man ja in letzter Zeit in ständiger Sorge um seine Kinder, nicht, wenn man gehört hat von den Menschenhändlern und Kindesentführern. Und ich finde es furchtbar gemein und abscheulich, dass man versucht, kleine Kinder zu entführen, um die Eltern zur Republikflucht zu verleiten. Und deshalb begrüße ich die Maßnahmen unserer Regierung, die endlich dazu führen, normale Verhältnisse in Berlin herzustellen ... 19. O-Ton Hans Joachim Krenz, Zeitzeuge, Interview 2011 Wir sind 10, 11 Uhr aufgestanden und dann kam auf einmal mein Onkel hoch, der hatte unten geangelt, und sagte: die Grenzer haben ihn weggejagt, er soll nicht mehr angeln hier. Autor Hans Joachim Krenz gehört zu den Ostdeutschen, die vor dem Mauerbau in West-Berlin arbeiten. Er lebt nicht weit von Berlin, in Großglienicke, DDR. In einem Haus direkt am See. In der Mitte des Sees verläuft die Grenze. Bis zum 13. August 1961 können sie von ihrem Grundstück aus baden gehen, Schlittschuh laufen, angeln. Seine Mutter, seine Geschwister, sein Großvater waren bereits in den 50er Jahren in den Westen gegangen, nach Wilmersdorf. Nur er pendelt, will die Großmutter nicht alleine lassen. An jenem Sonntag haben sie Besuch von einem Onkel aus Thüringen. 20. O-Ton Hans Joachim Krenz, Zeitzeuge, Interview 2011 Und dann sag ich: Was ist denn nun wieder los. Gab öfters mal Theater. Dann sag ich: gib die Angel her, bin nach unten gegangen und hab mich hingesetzt. dauerte auch nicht lange, kamen zwei Grenzer an und sagten mit dann auch, ich soll das Seeufer verlassen, ich darf nicht mehr angeln hier. Und dann gegen 14 Uhr kam vom meinem Bruder ein Freund: Habt ihr gehört, die haben Berlin dicht gemacht! Wir haben dann tatsächlich erst erfahren um 14 00 Uhr, was passiert ist, und dann haben wir Radio angemacht. Autor Um diese Uhrzeit berichtet der amerikanische Journalist Robert Lochner, der in Ostberlin unterwegs war, im Rias über seine Eindrücke: 21. O-Ton Robert Lochner, Rias, 13.08.1961 (Lochner) Ich habe auf der Friedrichstraße und Unter den Linden noch nie soviel Verkehr gesehen, sehr viele ostdeutschen Wagen, eine große Menschenmenge und besonders schien sich das am Bahnhof Friedrichstraße zu konzentrieren. (Frage) Sind Sie auch ausgestiegen und mal auf den Bahnhof gegangen? (Lochner) Ja, wir haben eine halbe Stunde uns im Bahnhof umgekuckt und ich kann nur sagen, da war ein Bild nahezu vollständigen Chaos, es war tausende und abertausende Menschen, die dort herumliefen, viele mit sehr verstörten Gesichtern. Man hatte schlechthin das Gefühl, dass dort mögliche Flüchtlinge waren, die erst beim Erscheinen auf dem Bahnhof und der Feststellung, dass keine Züge mehr für sie gehen, merkten, was über Nacht sich getan hatte. Autor Bleiben oder noch nach Schlupflöchern suchen und rüber nach Westberlin? Diese Frage bewegt auch Hans Joachim Krenz und seine Freundin: 22. O-Ton Hans Joachim Krenz, Zeitzeuge, Interview 2011 Ja, natürlich haben wir darüber diskutiert. Und ich wollte eigentlich auch zur Mutter rüber. Aber meine Frau wollte nicht, die ist bei einer Tante aufgewachsen: Die können wir nicht alleine lassen, das geht doch nicht! Dann kam die Oma, die hat dann geheult. Natürlich wurde das alles in Erwägung gezogen. Autor In der Innenstadt gehen die Westberliner an die Grenze, es kommt zu Zwischenfällen. Am Potsdamer Platz rufen tausende Demonstranten: Freiheit für Berlin! Seit der Mittagszeit muss immer wieder die Westberliner Polizei einschreiten, gegen die eigene Bevölkerung, die ihren Zorn an den Grenzsoldaten entlädt, mit Flüchen, Stöcken und Steinen. Schwerpunkt der Unruhen sind der Potsdamer Platz, die Bernauer Straße und das Brandenburger Tor. Auch in Ostberlin kommt es zu Zwischenfällen, minutiös dokumentiert von der Volkspolizei: Zitator, Journal der Handlung, 13.08.1961 (zitiert nach: http://www.chronik- der- mauer.de/index.php/de/Media/TextPopup/day/13/id/592914/month/August /oldAction/Detail/oldModule/Chronical/year/1961 und http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-19815902.html) 11.30 Uhr: "Kontrollpunkt Sonnenallee: Ca. 1500 Personen, die erkennen lassen, dass sie nach West-Berlin wollen ... Zwei Hundertschaften der Kampfgruppen eingesetzt." 15.10 Uhr: "Kontrollpunkt Wolliner Straße randalieren 200 Personen. Die Volkspolizisten beherrschen nicht mehr die Lage. Abteilung Operativ in Kenntnis gesetzt, Maßnahmen eingeleitet." Autor Ein Westberliner berichtet von Menschenansammlungen, die er beobachtet hat: 23. O-Ton Rias, 13.08.1961, Gespräch mit einem Westberliner, der aus dem Ostsektor kommt Am Alexanderplatz stehen große diskutierende Menschenmengen, die Eberswalderstraße ist von der Armee abgesperrt, auch dort stehen dikutierende Menschenmengen, es sind schätzungsweise in einer Gruppe 100 bis 150 Menschen zusammen, die Volkspolizei steht dabei und verhält sich aber ruhig und anscheinend abwartend. Autor Bundeskanzler Konrad Adenauer ist seit dem frühen Morgen über die Entwicklungen in Berlin informiert, gibt aber erst am Nachmittag eine erste Stellungnahme ab. 24. O-Ton Konrad Adenauer 13.08.1961 Durch die Willkür des Pankower Regimes ist eine ernste Situation heraufbeschworen worden, im Verein mit unseren Alliierten werden die erforderlichen Maßnahmen getroffen. Die Bundesregierung bittet alle Deutschen, auf diese Maßnahmen zu vertrauen. Autor Am Abend entspannt sich die Situation am Brandenburger Tor. 25. O-Ton Rias Bericht zur Situation am Brandenburger Tor, 13.08.1961 Etwa 8.000 Menschen stehen hier, hinter einer Absperrung, aber der Verkehr von der Siegessäule zum Brandenburger Tor ist seit 18.00 Uhr gesperrt von der Westberliner Polizei, denn sie wäre sonst wohl nicht der Neugierigen Herr geworden. Die Polizei glaubt aber, dass jetzt hier eine Beruhigung eintreten wird und dass viele der Versammelten wohl langsam nach Hause gehen werden. Autor Lothar Kensbock, der Kioskbesitzer, erreicht gegen 20 Uhr West-Berlin, ohne Probleme bei der Fahrt durch die DDR. 26. O-Ton Lothar Kensbock, Zeitzeuge, Interview 2011 Und wir sind dann auch so zurückgekommen, normal kontrolliert worden, und haben auch keine Fragen gestellt an die Grenzpolizisten, die hätten uns bestimmt sowieso nichts gesagt. Und wir sind nach West-Berlin gefahren, wie eh und je. Autor An der Oberbaumbrücke, wo ihr Kiosk steht, ist die Lage ruhig: Ein paar Schaulustige, keine Proteste. Dass Ost- und Westberlin auf Jahrzehnte geteilt sein werden, ahnt er an diesem Sonntagabend nicht. Den Kiosk muss er wenig später für immer schließen, zu wenig Kundschaft. Der Moderator der Aktuellen Kamera fasst im DDR-Fernsehen die Ereignisse des 13. August 1961 so zusammen: 27. O-Ton Aktuelle Kamera, Monitor-Mitschnitt, CD DC 001299/2, bei 2'34'', T 3 Es war ein ganz normaler Tag, noch einmal sei es gesagt, normal auch deswegen, weil sich etwas vollzog, was sich seit Gründung unserer Republik zu vollziehen pflegt: Die Regierung beschließt, was das Anliegen der Bevölkerung ist. -ENDE Script- 2