COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. DeutschlandradioKultur Forschung und Gesellschaft am 06.01.2011 Redaktion: Kim Kindermann Der Krieg im Kopf Bundeswehr-Soldaten kehren aus dem Einsatz zurück Von Philip Banse 01. O-TON Video 1 Sprengstoff-Experten der Bundeswehr bereiten die Mine zur Sprengung vor. Unser Kameramann hat gerade seine Kamera in Richtung Mine ausgerichtet, um deren Sprengung aufzunehmen. 02 AUTOR Ein Video, gedreht von einem so genannten "Einsatzkameratrupp" der Bundeswehr in Afghanistan. 03. O-TON Video 2 (Schüsse, Maschinengewehrfeuer) Aufständische eröffnen das Feuer mit Gewehren und Panzerfäusten. Sie haben sich in Gehöften am Ortsrand verschanzt. Die Soldaten schießen sofort zurück. (Schüsse) 04. O-TON (Litzba) Mein Name ist Stephan Litzba, bin jetzt 36, Baujahr 74 dementsprechend. 01 OTON War es eine gute Idee, dass ich damals zur Armee gegangen bin? Es war eine, sonst hätte ich es nicht gemacht. Meine Freundin war schwanger und für mich stand fest, wenn ich mich vier Jahre verpflichte, sind das vier Jahre, wo ich regelmäßig pünktlich mein Geld auf dem Konto habe und die soziale Sicherheit gegeben ist, die Miete bezahlt werden konnte, wir uns erstmal keinen Kopf machen mussten. Dass es dann nach hinten raus anders kann, ja, kann man vorher nicht wissen. 05. O-TON Video 3 (Schüsse) Während des Feuergefechts werden mehrere Angreifer getötet. Einer der deutschen Fallschirmjäger wird leicht verwundet. (Schüsse) 06. O-TON (Vater) Mein Sohn war im Kosovo Anfang der 2000er Jahr. 07 AUTOR Ein anderer Soldat, nennen wir ihn Jörg, redet mit niemandem. Nicht mit seinem Vater, mit Journalisten schon gar nicht. Deswegen spricht hier nur Jörgs Vater. 08. O-Ton (Vater) Ist schon eine Weile her und ich weiß immer noch nicht so recht, was er da erlebt hat, weil er nicht darüber sprechen will. Und er möchte sicher nicht deshalb nicht darüber sprechen, weil man es ihm verboten hat, sondern weil er es bis zum heutigen Tage noch alles nicht komplett verarbeitet hat. 09. O-TON (Lange) Mein Name ist H.G. Lange, 23 Jahre alt, komme hier aus der Nähe von Berlin. Ich war von Oktober 2009 bis März 2010 in Afghanistan in Kundus eingesetzt in der Aufklärungskompanie als Kraftfahrer Fennek, also als Späher. Die Aufgabe eines Spähers ist - wir sind halt mit dem Fahrzeug Fennek unterwegs gewesen. Mit diesem Fahrzeug kann man sehr weit gucken, was dann auch unsere Arbeit war: In bestimmte Ortschaften zu gucken, wie sich die Bevölkerung verhält, ob irgendwas Unnormales zu sehen ist. In Afghanistan - ja, viele Sachen durchgemacht, schlimme Sachen erlebt, gesehen - (atmet durch) ja. 10. O-TON Video 4 (Schüsse) Am Ende des Gefechts entfernen sich die Soldaten unter gegenseitigem Feuerschutz vom Gefechtsfeld und setzen ihren Auftrag fort. 11 ATMO (Krankenhaus) 12. O-TON (Arzt) Das ist jetzt die Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Bundeswehrkrankenhauses und hier werden die traumatisierten Soldaten auch stationär behandelt. Das heißt, wir haben hier Therapieräume, Patientenzimmer, hier haben hier alles, was man braucht, um eine anständige multimodale Therapie zu machen, das heißt wir bieten Einzelgespräche, Gruppengespräche, Aromatherapie, Entspannungstherapie, Akupunktur bieten wir an, Bewegungstherapie. Man versucht auf ganz verschiedenen Ebenen an die Soldaten ran zu kommen. 13 ATMO (Begrüßung auf Flur, rein in Zimmer) 14. O-TON (Lange) Für mich waren es zwei Sachen, die mich richtig mitgenommen haben. 15 AUTOR H.G. Lange, 23 Jahre, sechs Monate Aufklärer in Afghanistan. Ein bisschen blass um die Nase 16. O-TON (Lange) Wir sind in zwei Hinterhalte gefahren. Am ersten Hinterhalt ging es schon heiß her. Das war ein professionell angelegter Hinterhalt. Man hat ihn nicht kommen sehen. Es wurde gleichzeitig auf drei von vier Fahrzeugen RPGs abgeschossen, also Raketen getriebene Granaten. Knapp verfehlt unsere Fahrzeuge. Danach ging ein Feuergefecht los, wo 10 Insurgents gefallen sind, was man auch gesehen hat. Weil wir waren bewaffnet mit der GraMaWa, der Granatenmaschinen-Waffe der Bundeswehr, die macht halt schon viel Schaden. Wenn so eine Patrone auftrifft, ist es im 40-Meter-Radius tödlich. Und wenn so eine Granate in so eine Stellung fliegt, da sieht man doch dann nicht nur Staub und Dreck aus den Stellungen fliegen, sondern auch Körperteile. Der Tag, der hat sich richtig eingebrannt in meinem Kopf, auch die Bilder haben sich doll eingebrannt. Das ist auch einer der Hauptpunkte, weshalb ich jetzt auch hier bin. 17. O-TON (Arzt) Es gibt eine ganze Reihe von Störungsbildern, die nach oder in einem Einsatz auftreten können. 18 AUTOR Peter Zimmermann, Psychotherapeut, Traumtherapeut. Leitender Arzt des Forschungs- und Behandlungszentrums für Psychotraumatologie der Bundeswehr in Berlin. 19. O-TON (Arzt) Der augenfälligste Fall wären posttraumatische Belastungsstörungen, das heißt: Jemand erlebt etwas Dramatisches, etwas Katastrophales, was die Psyche nicht mehr verarbeiten kann, und er kann das dann in seinen Erinnerungen nicht weg sortieren, so dass es sich immer wieder aufdrängt und sowohl tagsüber als auch in Alpträumen immer wieder kommt, sehr präsent ist, auch mit vielen Sinnesqualitäten kommt. 20. O-TON (Lange) Es sind nicht nur Bilder, es sind auch andere Wahrnehmungen. Geräusche. Es ging damit los, dass man das Pfeifen der Granate hört, die auf einen zugeflogen kommt. Man hört die Detonation, man merkt die Vibration des Fahrzeugs, was einem dann auch sagt: Okay, das war dicht dran am Fahrzeug - wenn es das Fahrzeug nicht sogar getroffen hat, aber man wusste das in dem Moment nicht. Man sieht, dass Rauch an dem Fahrzeug vor einem aufsteigt, wo die andere Rakete eingeschlagen ist. Man hört, wie geschossen wird, man merkt, wie der eigene Bediener, also der eigene Richtschütze anfängt zu schießen. Und man sieht halt die Leuchtspur, sowohl von den Insurgents, als auch von uns. Und man sieht denn halt die Bilder, wo die Körperteile aus den Stellungssystemen raus geflogen kommen. Oder einfach, wie ein Typ von einem auf den anderen Moment einfach weg ist. 21. O-TON (Arzt) Die Qualität dessen, was berichtet wird, ist doch eine ganze Ecke schärfer, als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Auch die Zahl der Behandlungsuchenden hat sich deutlich erhöht aufgrund der Auslandseinsätze. Wir führen in den Bundeswehrkrankenhäusern eine Statistik wie viele Patienten sich mit einsatzbedingten Folgestörungen sich in Behandlung begeben. Diese Zahlen sind in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Wir wissen aber nicht, ob dieser Anstieg darauf zurück zu führen ist, dass es tatsächlich mehr Fälle gibt - das kann so sein, das wird vermutlich so sein. Es kommt aber dazu, dass die Bundeswehr in den letzten Jahren viel Aufklärungsarbeit getan hat, so dass in den Köpfen vieler Soldaten ankommt, dass man sich mit so was in Behandlung begeben darf. Und auch so was steigert natürlich die Fallzahlen in den Bundeswehrkrankenhäusern. 22 ATMO (Fahrrad abstellen) 23. O-TON Ich habe auf meinem Panzer gesessen und habe das so beobachtet und dann habe ich gesehen, wie ein Kind auf die Straße lief und ich guckte dann so in die andere Richtung und da fuhr dann so ein roter Wartburg, der kam angefahren mit wirklich überhöhter Geschwindigkeit. Und der Wartburg kam eben immer näher, und das sehr zügig und sehr schnell und dann knallte es plötzlich. Und dann ist das Kind wie eine Puppe durch die Luft geflogen. Da war kein Leben, es sah total merkwürdig aus. Als es aufkam, sah es aus, als wären da keine Knochen drin. Dann lag es da und dann war es, als ob jemand kommt und sagt: Du noch nicht. Wie so ein Schnips, so ein Antippen, auf einmal war wieder Leben in der Puppe, das Kind fing tierisch an zu schreien. Der Fahrer hat denn auch angehalten. Ich bin gleich von meinem Panzer gesprungen, zu dem Fahrer gerannt und dann habe ich ihn angebrüllt, was ihm einfällt. Und die guckten mich alle so an, Motto: Was willst du denn hier? Das geht dich gar nichts an, hau mal ab. 24 AUTOR Stephan Litzba, 36 Jahre. 2001 hat er im Kosovo Serben beschützt, die durch albanisches Gebiet fahren mussten. Fast zehn Jahre später sitzt er im Garten seiner Oma, wo er wohnt, weil das Geld knapp ist. Denn er hat gerade sein Leben neu startet, mit 36 ein Studium angefangen. Der Unfall mit dem Kind ist kein bisschen verblasst, er war der Startschuss für alles, was danach kam. 25 ATMO (Auf der Straße vor dem Haus wird ein Motorrad angelassen. Kurze Redepause bis es weggefahren ist.) 26. O-TON Durch die Trennung von meinem Kind war das so, als ob es mein Kind gewesen wäre, dieses Schutzempfinden, ich dachte, es hat mein Kind gerade erwischt. Das hat mich im ersten Moment noch nicht so extrem aufgewühlt, aber wir haben denn danach wieder die Straßensperren aufgestellt und haben denn wieder kontrolliert den Verkehr rein gelassen und gleich das erste Auto waren denn drei, vier Jugendlich in einem Golf und richtig Gas gegeben, ersten Gang ausgefahren, zweiten ausgefahren, dritten Gang ausgefahren und beschleunigen weiter. Dachte mir, das gibt es doch gar nicht. Was geht denn hier eigentlich ab? Bin von meinem Panzer runter gesprungen habe den angehalten, habe dann die Tür eingetreten von diesem Golf, hab voll gegen die Tür getreten. War auch erstaunt, dass es nicht so viel Widerstand bot und wurde mir dann aber auch bewusst, dass das vielleicht nicht so meine Glanzleistung des heutigen Tages war. Auf einmal tippte mir bloß mein stellvertretender Zugführer, der war Patrouillenleiter an dem Tag, der tippte mir bloß auf die Schulter und sagte: Litze, setz dich mal in den Panzer und sei ruhig. 27. O-TON Und dann habe ich mich den Panzer gesetzt, und da war dann plötzlich dieses extreme Bedürfnis, dieses Verlangen danach zu Hause anzurufen und einfach zu erfahren, dass es dem Kind gut ging. Ich wusste, dass es ihm gut ging. Was soll auch großartiges passiert sein? Ich hatte mein eigenes Telefon nicht dabei. Und dieses ganzen Gedanken, die ich im Panzer hatte, da kam dann dieser Nervenzusammenbruch. Einfach da sitzen, diese Hilflosigkeit, 2500 km von zu Hause weg und ich kann nicht dieses Elementare machen, jetzt im Augenblick mein Kind in den Arm nehmen. Und das hat mich, das hat mir zu Schaffen gemacht. 28 ATMO 28. O-TON (Lange) Am Abend ist das Gute, dass man gleich aufgefangen wird. Von der kompletten Kompanie, vom Chef, vom Zugführer. Man hat von jedem gehört: Ihr habt alles richtig gemacht, wir sind stolz auf Euch. Unser Chef hat uns sogar später noch ein Bier ausgegeben und gesagt, dass er richtig stolz ist und wir seinen tiefsten Respekt haben, für die Sachen, die wir da gemacht haben. Das baut einen schon auf. 29. O-TON (Arzt) Der Vorgesetzte, der auch während des Einsatzes seinen Männern zu verstehen gibt, man darf nach einer Kampfhandlung auch mal ein paar Tage neben der Spur sein, man muss darüber reden, wer ein solches offenes Klima schafft, der ist auch während des Einsatzes der bessere Vorgesetzte, ganz sicher. 30. O-TON (Lange) Man ist auch stolz darauf, dass man den Typen mal gezeigt hat, was wir Deutschen letztlich doch drauf haben, dass wir Deutschen nicht einfach den Schwanz einziehen und weglaufen, sondern dass wir zurück schießen. Und wir auch scharf schießen. Man macht sich aber trotzdem Gedanken: Was könnte noch alles passieren. Ja, und wir sind dann sieben Tage später ja auch in den nächsten Hinterhalt gefahren. Wo das gleiche dann wieder war. 31. O-TON (Vater) Er ist nachdenklicher geworden, viel nachdenklicher geworden. Verschlossener geworden. 32 AUTOR Der Vater des Soldaten, der vor zehn Jahren im Kosovo war und bis heute nicht über diesen Einsatz spricht. Mit niemandem. 33. O-TON (Vater) Weil wir haben sonst früher wirklich über alles geredet. Ja, das hat halt zu einigen Situationen geführt, über die ich halt nicht mehr sprechen möchte 34. O-TON (Militärseelsorger) Unsere Pfarrer sind gut platziert. 35 AUTOR John Carsten Krumm, Militärdekan, er koordiniert den Einsatz der Bundeswehr-Geistlichen weltweit. 36. O-TON (Militärseelsorger) Wir haben in dem großen Feldlager Masar-i-Sharif, wo der größte Teil des Kontingents zu Hause ist, da haben wir einen evangelischen und einen katholischen Pfarrer, wir haben in Kabul einen evangelischen Pfarrer, in Kundus im Wechsel einen evangelischen und einen katholischen und in Faizabad, im kleinsten Stützpunkt genauso. Also überall da, wo die Soldaten verortet sind, ist auch ein Pfarrer. 37 AUTOR Fünf Pfarrer für 4500 Soldaten in Afghanistan. 38. O-TON (Arzt) Wir haben in den Auslandseinsätzen Psychologen, Psychiater und Militärgeistliche und noch so genannte Peers, also Laienhelfer mit Zusatzausbildung. Alles diese Berufsgruppen versuchen, auf verschiedenen Ebenen Gesprächsangebote zu machen. Das machen wir deswegen so verschieden, denn nicht jeder spricht gern mit dem Arzt, manche wollen lieber einen Pfarrer, weil sie gläubig sind, oder lieber mit einem Kameraden, weil sie sich nicht trauen. Hauptsache, sie haben erstmal einen Ansprechpartner. 39. O-TON (Lange) Nach so einem Feuergefecht ist bei der Bundeswehr meistens ein Debriefing. Dort wird alles aufgenommen, was da passiert ist, wie das passiert ist, um halt die Informationen später auszuwerten. Bei diesem Debriefing war die Truppenpsychologin auch mit bei, die dann auch gleich ihre Hilfe mit angeboten hat. Zu dem Zeitpunkt brauchte aber niemand die Hilfe, denn zu dem Zeitpunkt war es für niemanden eigentlich schlimm. Wir haben unseren Job gemacht, wir haben das gemacht, wofür wir eigentlich unten waren: Die wollten uns ans Leder, wir haben den gezeigt, so is´ nicht und sind da heil wieder raus gekommen. Diese Sachen kommen halt wirklich erst später. 40 ATMO 41. O-TON (Litzba) Zum ersten Geburtstag meiner Tochter habe ich Urlaub beantragt. Ich weiß nicht, warum der Spieß ihn abgelehnt hat, diesen Urlaubsantrag. Ich habe ihn auch ganz entsetzt angeguckt, als er mir sagte, dass zu viele Dienstgrade weg sind und er nicht auf mich verzichten kann. Und ich habe gedacht: Ey, Spieß, meine Tochter wird eins! Aber ich habe es nicht gesagt. Ich habe ihn nur angeguckt, ganz verdutzt. Du musst doch wissen, dass mein Kind eins wird, das steht in meinen Personalakten! Aber ich habe es nicht gesagt. Und ich weiß nicht warum. Für mich stand so: Du musst das doch wissen. 42. O-TON (Arzt) Dem Soldaten Handlungssicherheit zu geben. Da sind viele militärische Aspekte mit dabei, aber auch beispielsweise Mal Techniken an die Hand zu geben, wie er mit innerem Druck und Belastung umgeht, ihn zu ermuntern, Kontakt zu halten, viel zu reden, von seinen Gefühlen zu sprechen. Da ist übrigens auch der Vorgesetzte sehr wichtig, eine Kultur des Redens in seiner Einheit zu schaffen. 43 AUTOR Stephan Litzba kannte seine Bedürfnisse nicht und hat sich nicht um sie gekümmert. Das war schon immer so, aber im Einsatz nicht mehr zu kontrollieren. Er wollte sehen, wie sein Kind laufen lernt, hat das aber nicht einmal gesagt. Er hat für sein Land gekämpft, nicht aber für seine Bedürfnisse. Das rächt sich. 44. O-TON (Litzba) Im Urlaub bin ich ja in Tegel angekommen. Als ich los geflogen bin Mai war so die Phase, wo sie dann sitzen lernen und krabbeln. Sie lernte gerade so ein bisschen sitzen, dass man sie auf den Topf setzen kann. In den Einsatz hat sie mir ein Video geschickt, wo dann die ersten Gehversuche waren. Und als ich dann auf Urlaub zurück kam, bin ich dann aus dem Gate bin ich dann raus gekommen. Und dann bin ich ihr entgegen gelaufen und auf einmal kam meine Freundin - ist neun Jahre her, ich habe Gänsehaut und kann nicht mehr reden - und dann das Kind und sie lief. Und das hat mich so... Ich bin 1,94 groß, knapp 100 Kilo schwer, wir haben nur Sport gemacht und dieser Mann hat plötzlich auf Knien gelegen und meine Tochter guckte mich an wie - wer bist du denn? Und ich dachte mir: Was bin ich für ein Idiot? So was bringt mir keiner wieder. Da kommt man Kind angelaufen. Und ich war nicht da. 45. O-TON (Lange) Ich konnte mit meiner kompletten Familie nicht drüber reden. Ich konnte wildfremden Leuten erzählen, was mir da unten passiert ist, wie ich es erlebt habe. Aber ich konnte mit meiner Familie nicht drüber reden. 46. O-TON (Litzba) So richtig gefragt hat mich niemand. Aus meiner Familie nicht. Davon abgesehen, dass ich es damals wahrscheinlich auch nicht gesagt hätte und es einfach runtergespielt hätte. Aber auch selbst, als sie alle gemerkt haben, dass ich damit Probleme habe und dass es zu der Therapie kam. So richtig kam keiner und fragte mich. Vielleicht wollen sie es auch gar nicht wissen. 47. O-TON (Arzt) Das ist oft noch ein Tabu darüber zu sprechen im privaten Umfeld, das hören wir immer wieder, dass Soldaten sagen, sie fühlen sich von ihrer Familie kam verstanden, Freunde wollen das gar nicht hören. Manchmal sagen sie auch, Freunde sind sowieso nur der Meinung, sie seien im Urlaub gewesen, das ist nicht gerade eine Einladung mehr zu erzählen. Manche Soldaten selber können auch gar nicht reden, weil der Traumdruck zu stark ist, das hemmt manchmal auch die Fähigkeit zu reden. So dass das manchmal auch den Effekt für die Soldaten hat: Das will ja keiner hören. 48. O-TON (Litzba) Man hat es halt nicht jedem erzählt, dass man gerade damit ein Problem hat, dass die Frau und das Kind nicht da sind. Man hat es für sich behalten. Und das habe ich nicht geändert, als ich wieder zu Hause war. Ich habe ihr dann nicht gesagt: Hey, ich bin so glücklich, dass ich wieder hier bin, dass ich abends nach Hause komme und ihr beide da seid. Ganz im Gegenteil. Das war dann für mich so: Na, sie muss es ja sehen, dass ich mich jetzt freue. Das muss man ja nicht extra sagen. Ich komme ja abends nach Hause, also muss ich mich ja freuen, nach Hause zu kommen. Einfach den Mund aufmachen, ist eigentlich nicht so schwer, aber damals hätte ich lieber den Arm abhacken lassen. Und ich weiß nicht warum. 49. O-TON (Arzt) Wenn jemand eine Traumafolgestörung hat, hat er häufig eine wie eingefrorene Erinnerung, die auch nur schwer zu versprachlichen ist. Die Versprachlichung aber ist schon ein erster Heilungsschritt, weil sie sortiert, weil sie klärt, weil sie den Dingen oft den Schrecken nimmt. Ein gutes, stützendes, verständnisvolles Umfeld sowohl im Dienst, vor allem aber auch zu Hause kann das fördern, dass der Soldat, auch ohne Therapie im Rahmen seiner Möglichkeiten schon mal Dinge anspricht. Und das sollte er auch unbedingt tun. Denn dadurch kann der Prozess der Versprachlichung schon einsetzen und Selbstheilungsprozesse in Gang setzen. Das heißt, Soldaten, die ein gutes soziales Umfeld haben, sei es dienstlich oder privat, haben - auch wissenschaftlich erwiesen, eine deutlich bessere Chance, ungeschoren aus solchen Erlebnissen hervor zu gehen. 50. O-TON (Litzba) Da war ich in Berlin in der Disko. Durch einen blöden Zufall waren da ziemlich viele aus meiner Gruppe. Und alle haben mir erzählt: Sie hat sich total verändert, als ich wieder da. Die war total komisch und dann haben sie sich getrennt. Meistens haben sie darüber nicht weiter nachgedacht, haben sich dann eine neue Freundin gesucht. Und da ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass jeder das Problem hatte. 51. O-TON (Lange) Die Beziehung ist in Kundus irgendwann kaputt gegangen. Und das habe ich sehr als Problem empfunden, weil diese ganzen Geschehnisse sehr naht bei einander liegen: Der erste Hinterhalt, der zweite Hinterhalt und dann noch das Schlussmachen der Freundin. Was mir zu verstehen gegeben hat: Jetzt hast Du nicht mal mehr in Deutschland Rückenstärkung. Weil sie die einzige Person war, mit der ich Kontakt hatte in Deutschland. 52. O-TON (Arzt) Die Betroffenen sind sehr reizbar, erregbar, nervös, also ein Symptomkomplex aus ganz verschiedenen Bestandteilen. Und dieser findet sich nicht selten bei Menschen, die Kriegeshandlungen erlebt haben. Es reagieren aber nicht alle mit so starken Bildern, sondern die werden beispielsweise depressiv oder Körpersymptome psychischer Ursache, Angststörungen sind sehr häufig. Das heißt, wir haben ein buntes Bild an Traumafolgestörungen. 53. O-TON (Lange) Bei mir ist das so, dass das nach dem Einsatz kam durch laute Geräusche. Durch ruckartige Geräusche, durch pfeifende Geräusche. Gutes Beispiel war, dass drei oder vier Wochen, nachdem ich zurück war, war im Nachbardorf ein Dorffest mit Feuerwerk. Und wenn man das Feuerwerk nicht erwartet, ist das schon schlimm. Man bekommt ruckartig diese Bilder in den Kopf, man bekommt Schweißausbrüche, Herzrasen und wirklich Angstzustände. 54. O-TON (Arzt) Gefahr für eigenes Leib und Leben kann zusätzlich noch das grundlegende Sicherheitsgefühl eines Menschen stark beeinträchtigen, das heißt, wir erleben das immer wieder bei Soldaten, dass die zum Beispiel aus dem Auslandseinsatz zurück hier kaum mehr einkaufen gehen können, weil die in Menschenmengen dann eine immer wenig beschreibbare Angst vor Attentätern erleben. 55. O-TON (Litzba) Nachts bin ich wach geworden vom Schlagen meines Herzens. Ich bin eingeschlafen und nach zwei, drei Stunden habe ich gemerkt wie es so - dumdumdum - immer schneller wurde. Dann gingen die Augen auf und dann konnte ich nicht mehr schlafen. Dienst tun ging dann nicht mehr, war völlig übermüdet, habe so gut wie nichts mehr gegessen die Anfangszeit. 56. O-TON (Arzt) Und das Extremste ist dann, wenn wirklich eine psychische Erkrankung vorliegt nach einem Einsatz. Mit einem psychisch kranken Familienmitglied zu leben, ist für alle Familienmitglieder eine große Belastung. Noch mal am Beispiel einer posttraumatischen Belastungsstörung verdeutlicht, dann ist der oft nervös, dann schreit er vielleicht auch die Kinder an, ohne, dass er das will. Bis hin zu - das haben wir vor allem bei den Amerikanern berichtet bekommen - bis hin zu häuslicher Gewalt. Gott sei dank, bei uns noch kein so großes Problem. 57. O-TON (Lange) Ich habe abgeblockt. Wenn meine Eltern mich angesprochen haben, habe ich mich umgedreht und bin aus dem Raum gegangen, ohne ein Wort zu sagen. Ich habe meine damalige Freundin schlecht behandelt, habe sie angefahren, bin schnell reizbar gewesen, habe ihr durch Worte Verletzungen zugefügt. Ich war nicht gewalttätig, aber ich habe das halt mit Worten gemacht. Und irgendwann, war dann der Punkt erreicht, wo sie und mein bester Kumpel dann gesagt haben: Du brauchst Hilfe. Such dir die Hilfe. Das war für mich der Punkt, wo ich gesagt habe: Ok, jetzt ist es definitiv, du brauchst Hilfe. Ich bin dann auch gleich zum Wochenanfang zum Truppenarzt und der hat mich dann auch gleich nach Berlin überwiesen. 58. O-TON (Arzt) Kernpunkt von Therapien ist es, sich unter sicheren Bedingungen und Anleitung eines erfahrenen Therapeuten, noch mal an traumatisierende Erlebnisse heran zu wagen und sie umzusortieren, neu zu bewerten und dadurch besser wegzusortieren. Beispiel: Jemand hat nach einer schweren Kampfhandlung Bilder von seinen sterbenden Kameraden im Kopf, gepaart mit Bewertungen, ich konnte nicht ausreichend helfen, ich habe versagt. Eine nicht seltene Konstellation. Diese Bilder gehen einher mit starken Gefühlen, mit Angst, mit Schuld. Auch gibt es andere Sinneseindrücke, dass der Leichengeruch wieder in der Nase steckt. Viele Soldaten sagen, sie können nicht mehr Grillen im Sommer, weil das verbrannte Fleisch nicht mehr erträglich ist. Diese Dinge werden in der Traumatherapie von einander abgekoppelt, so das Erinnerungen nach wie vor da sind, man löscht nichts aus, man macht keine Gehirnwäsche, es werden eher noch mehr Erinnerungen, aber sie koppeln sich ab, von diesen extremen Sinnesüberflutungen. 59. O-TON (Lange) Ich war jetzt fünf Wochen hier und werde nächste Woche wohl entlassen. Die Entscheidung hierher zu kommen, das war das Beste, was ich machen konnte. Es ist zu Anfang schwer, weil es anfangs schwer ist, in diese Situationen wieder zurück zu kommen, als zu dem Zeitpunkt, wo man wirklich drin gesteckt hat. Das ist wirklich sehr schwer. Aber man merkt, dass es besser wird. Mit den Bildern lernt man umzugehen. 60. O-TON (Arzt) Das macht man durch sehr sorgfältige Gesprächsführung um das Ereignis herum. Zusätzlich wenden wir hier oft die so genannte EMDR-Technik an. Das ist eine Technik, die neben den Gesprächen auch Augenbewegungen nutzt, die den Effekt haben, das Verarbeiten, das Wegsortieren zu erleichtern. Da folgt der Patient den Fingern des Therapeuten, der sie vor dem Auge des Patienten in 50-70 cm Abstand in mittlerer Geschwindigkeit hin und her bewegt. Und dadurch werden die beiden Gehirnhälften wechselseitig stimuliert. So ähnlich wie im Schlaf kann man sich das vorstellen. Jeder Mensch, der träumt, bewegt reflektorisch seine Augen hin und her. Schnelle Augenbewegungen. Man kann sich das quasi so vorstellen, dass man eine Art von Abträumen unter vollem Bewusstsein und unter voller Kontrolle dann erreicht. 61 ATMO 62. O-TON (Litzba) Das war ne ambulante Behandlung, war halt krank geschrieben, hatte meine Termine, einmal die Woche immer montags, zwei Monate. Wobei die ersten eigentlich immer gleich abgelaufen sind: Angekommen, zusammen gebrochen, dann hat sie mich versucht, wieder aufzupäppeln, dann bin ich wieder nach Hause gefahren, habe versucht mit der ganzen Situation klar zu kommen. Die Frage stellte sich ja, was wäre gewesen, wenn ich nicht gefahren wäre? Was wäre gewesen, wenn ich mehr darüber gesprochen hätte? Hätte man irgendwas ändern können? Und so ging die erste Zeit eigentlich ziemlich schnell vorbei. Und später ging es dann dahin, dass man sagt, so geht es nicht weiter. Du müsstest jetzt mal stationär drei Wochen da bleiben, dass wir mal richtig raus kriegen, was in dir ist, weil freiwillig sagen tust du es ja nicht. Und dazu war ich nicht bereit. Das wollte ich nicht wissen, was wirklich in mir schlummert, was wirklich mein Problem ist. Da hatte ich Angst vor. Und dann hat sie das auch abgebrochen. 63 ATMO (Gang in Foyer der Uni) 64. O-TON (Litzba) Wir sind hier in der juristischen Fakultät in Potsdam Babelsberg, wo ich jetzt seit zwei Semestern Jura studiere. ATMO (Uni) 65 AUTOR Stephan Litzba, 36 Jahre, Ex-Soldat, getrennt. Seine Tochter lebt bei ihrer Mutter, aber Stephan Litzba sieht sie regelmäßig, das geht auf Zuruf, sagt er. Die Beziehung sei so gut wie nie - sowohl zur Tochter, als auch zu seiner Ex. Stephan Litzba hat seine Erlebnisse im Kosovo und was sie mit ihm gemacht haben, in einem Buch veröffentlicht, zusammen mit andren Bundeswehrsoldaten, die aus dem Einsatz nach Hause kamen. 66. O-TON (Litzba) Mit dem Buch habe ich für mich abgeschlossen, wo ich denn gesagt habe: So, das ist es jetzt. Mehr kann ich nicht machen, um das alles aufzuarbeiten. Ich kann jetzt weiter in dieser Blase leben, was wäre wenn. Aber das bringt mich nicht weiter. Und als ich das Interview für das Buch gemacht habe, war so der erste Schritt. Und dann kam die Reporterin von der ARD und nachdem wir das dann fertig hatten, da stand ich dann oben auf dem S-Bahnhof und irgendwas war anders. Ich stand da und musste einfach lächeln. Und da war denn klar: geschafft. 67 AUTOR Geschafft. Sagt auch H.G. Lange, der 23jährige Aufklärer. Doch er wird wohl nicht studieren. Zwei Hinterhalte in Afghanistan, mehrere Nervenzusammenbrüche, eine Therapie und H.G. Lange sagt: 68. O-TON Ich würde immer wieder nach Afghanistan gehen. Würde ich sofort machen. Wenn ich ein Angebot kriegen würde, würde ich sofort runter gehen. Ich glaube, da können sie fast jeden Soldaten fragen, der unter diesem Symptom leidet, sie werden von jedem Soldaten das gleich hören. Es hat nicht viel mit dem Geld zu tun. Es liegt viel an der Kameradschaft, daran, dass man doch sehr vertraut ist mit den Leuten, mit den man runter geht. Mein Zug war für mich wie eine zweite Familie da unten. Und von daher würde ich definitiv wieder runter gehen. ENDE