DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 25.03.2014 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 ? 20.00 Uhr "Gedenkt des Führers und gelobt treueste Gefolgschaft!" Eine Adelsfamilie auf dem Weg vom Kaiser zum Führer Von Dörte von Westernhagen URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Ansage "Gedenkt des Führers und gelobt treueste Gefolgschaft!" Eine Adelsfamilie auf dem Weg vom Kaiser zum Führer Ein Feature von Dörte von Westernhagen Max Heute, Sonntag, dem 28. Oktober 1917, bin ich mit meiner Familie nach fast dreijähriger Abwesenheit wieder in mein geliebtes, jetzt deutsches Riga zurück. Wie sieht mein armes Riga aus. Geschäfte geschlossen, die Häuser leer. Kein Schiff im stillen Hafen. Doch zum Frühjahr wird unter deutschem Schutz neues Leben in die jetzt tote Stadt einziehen. Ich hoffe dann auch auf zahlreichere Patienten, die eben nur sehr spärlich kommen. Eben herrscht eine erschreckende Teuerung. - Wer ist nun der Schuldige, der all dieses Unglück über die ganze Welt gebracht hat? Das ist das ganze englische Volk. Nicht nur die englische Regierung ist verantwortlich. Jetzt bitte ich den Schöpfer, er möge dies Volk wie einst die Juden strafen. Autorin Es war mein Großvater Max v. Westernhagen, der dies 1917, ein Jahr vor Ende des Ersten Weltkriegs in sein Tagebuch schrieb. Ich kenne ihn nur durch dieses Tagebuch, denn er starb 1943, zwei Tage vor meiner Geburt. Aufgewachsen in einem Hamburger Waisenhaus, lernte er Zahntechniker, um dann Zahnarzt zu werden. Praktisch aus dem Nichts baute er sich noch vor der Jahrhundertwende in Riga eine behagliche, bürgerliche Existenz auf. Das Ende des Krieges, die Niederlage des Deutschen Reichs und die Räumung des deutsch besetzten Baltikums nahmen ihm alles: sein Stadthaus, das Strandhaus an der Dünamündung, die gutgehende Praxis, den Freundeskreis, mit dem er in der Rigaer Liedertafel sang. 1919 verließ er Riga für immer, zu stolz, wie er schrieb, um unter lettischer Herrschaft zu leben. Er war kaisertreu, Antisemit, ein glühender Englandhasser, dazu ein rabiater Politisierer. Sprecher Den Hass auf das "Krämervolk", auch das "perfide Albion" genannt, pflegte nicht nur Max von Westernhagen; er war schon vor Beginn des Krieges in der deutschen Öffentlichkeit weit verbreitet. Autorin Eine 400 Seiten starke Familienchronik berichtet über die Geschicke meiner Vorfahren vom 13. Jahrhundert bis 1900. Das 20. Jahrhundert dokumentierte Harald, der Sohn meines Großvaters und Bruder meines Vaters, anhand der zweijährlich erschienenen Nachrichtenbriefe, mit denen die Familienmitglieder sich über Privates, aber auch Politisches austauschten. Harald Während der Kriegsjahre 1914 - 1918 regte sich im Familienverband nichts. Es ist auch kein einziger Bericht darüber vorhanden, an welchen militärischen Handlungen unsere zahlreichen Offiziere teilgenommen haben, was sehr bedauerlich ist. Autorin Aber eigentlich nicht verwunderlich, denn der männliche Teil des Familienverbandes bestand damals nur aus Offizieren, die sicher keine große Neigung verspürten, über den verlorenen Krieg zu berichten. Im Nachrichtenbrief von 1920, dem ersten nach Ende des 1. Weltkrieges, stand immerhin: Harald Am Ersten Weltkrieg nahmen zwanzig männliche und sechs weibliche von Westernhagen teil, letztere im Dienste des Roten Kreuzes oder der Krankenpflege. Fünf Männer fielen, acht starben an Verwundungen oder Krankheiten, ebenso eine Krankenschwester. Autorin Das Blatt führte die Namen der Toten und die den Kriegsteilnehmern verliehenen Auszeichnungen auf, enthielt aber keine Kommentare oder gar politischen Ausfälle, wie sie meinem Großvater Max aus der Feder flossen. Im Anschluss an die Aufzählung der Kriegsopfer stehen die als Hilfe und Rat gemeinten mahnenden Worte des Familienältesten Oscar, Major a.D. und Kammerherr: Zitator 3: Oscar Ich bitte alle Mitglieder, wegen des durch den verlorenen Krieg hereingebrochenen Unglücks besonders eng zusammenzuhalten. Auch wegen des erwarteten Verfalls der Vermögen durch die ständig wachsende Inflation wollen wir uns gegenseitig unterstützen. Autorin Auch Max führte während der Kriegsjahre sein Tagebuch nicht fort. Erst 1921, nach der Übersiedlung ins Reich, ließ er im Rückblick auf das Jahr 1918 seinen angestauten Ressentiments freien Lauf: Max Dann kam die Waffenstreckung. Schande, Schmach und Fluch der Sozialdemokratie, nur diese Partei ist schuld am Unglück unseres Vaterlandes. Aus Machtgier hat sie das Vaterland verraten. Nun war das Entsetzliche geschehen, Deutschland unterlegen, der Sieger auf allen Fronten musste um Frieden bitten, und das Fürchterlichste, verraten durch seine eigenen Landsleute. Aber auch das deutsche Volk hat jetzt seine Strafe zu tragen, wegen Undank zum Kaiserhaus und den Fürsten und Faulheit im politischen Leben. Denn durch den sozialdemokratischen Dolchstoß in den Rücken unserer kämpfenden Front verloren wir den Krieg und mussten den Schandfrieden auf uns nehmen. Autorin: Max, mein Großvater, trat 1924 aus der extrem rechten Deutschnationalen Volkspartei aus und wurde Mitglied in der NSDAP. Ein zweites Beispiel für die frühe Ablehnung der Republik ist Eduard, Jahrgang 1882, Berufsoffizier, bei Kriegsende 1918 Major, agil und wendig, von der Familie "der Gerissene" genannt. In der Reichswehr, die nur über 4000 Offiziersstellen verfügen sollte, sah er keine Aussichten für ein Weiterkommen. In seinem Abschiedsgesuch gab er als Grund für sein Ausscheiden jedoch nicht die schlechten Berufsaussichten an: Eduard Ich habe bisher Kaiser und Vaterland aus tiefstem Herzen und nach besten Kräften an vielen Fronten treu gedient und wünschte, auch in Zukunft für Volk und Vaterland treue Dienste leisten zu können. Da die Reichswehr nunmehr ihren Eid auf den Reichspräsidenten Friedrich Ebert als den Obersten Befehlshaber abzuleisten hat, kann ich dies vor Gott und meinem Gewissen nicht verantworten. Sprecher: Der Eid war nicht auf den Reichspräsidenten, sondern auf die Weimarer Verfassung abzulegen. Autorin Aber als immer noch kaisertreuer Offizier wollte Eduard ein Zeichen setzen und seine Ablehnung einer Person zum Ausdruck bringen, die Sozialdemokrat, früher Sattlergeselle und Gastwirt gewesen und nun Repräsentant des höchsten Amtes im Staate war. Sprecher Den Reichspräsidenten zu verunglimpfen, war eine gängige Methode der Rechtspresse, mit dem Staatsoberhaupt auch gleich die Republik zu diffamieren. Max März 1925: Der erste Reichspräsident Fritz Ebert gestorben. Ein Verräter am deutschen Volk. Gehört an den höchsten Galgen. Verleugner des christlichen Glaubens. Sattlergeselle, Flaschenbierverkäufer, Kneipwirt. Doch scheint das Volk schon aufzuwachen, dass es von den sozialdemokratischen Führern betrogen ist. Autorin Durch einen Zufall stieß ich vor einigen Jahren im Bundesarchiv Berlin auf eine Liste mit den Namen von Verwandten, die Mitglied in der NSDAP, in einer ihrer Gliederungen, in der SA- oder SS gewesen waren. Ich war sehr froh über diesen Fund, denn in der Familie herrschte darüber, wer im 'Dritten Reich' was gewesen war, das übliche Nachkriegsschweigen. Im Genealogischen Handbuch, für das die Familien selbst die Angaben machen, stand für einen verstorbenen Onkel nur 'Major der Reserve' - der SA-Standartenführer war weggelassen. Für meinen Vater stand nicht etwa 'SS-Obersturmbannführer', sondern 'Oberstleutnant'. Sprecher: Eine Täuschung, denn das war ein Wehrmachtdienstgrad, während die Waffen-SS nicht zur Wehrmacht gehörte, sondern eine Teilorganisation der NSDAP war. Autorin: Offensichtlich sollten die zwölf braunen Jahre aus der Familiengeschichte verschwinden - Anlass und Ansporn für mich, genauer nachzuforschen. - Auf meiner Liste stand auch Ernst, Jahrgang 1888, Leutnant der Reserve. Nach einem Foto von 1937 zu schließen, ein finsterer Typ; tiefliegende Augen, auf der SA-Uniform das Goldene Parteiabzeichen, Sprecher: die dritthöchste Auszeichnung, die Adolf Hitler zu vergeben hatte. Autorin: Wie viele Soldaten, die vom Krieg noch nicht genug hatten oder im bürgerlichen Leben nicht Fuß fassen konnten, schloss Ernst sich für zwei Jahre den Freikorps an, die das neue Staatswesen im Auftrag der Weimarer Koalition zunächst vor dem Auseinanderbrechen bewahrten, mit eigenen Putschplänen und ihrer Hinwendung zu Hitler der Republik jedoch bald zum Verhängnis wurden. 1922 trat Ernst in die NSDAP ein, wurde Anzeigenvertreter für Hitlers antisemitisches Kampfblatt, den Völkischen Beobachter, und baute in München eine SA-Schlägertruppe von 90 Mann auf, wobei die Angeworbenen nach einer Anweisung Hitlers, ... . Zitator 1 ... von allem Anbeginn darüber belehrt werden, dass Terror nur durch Terror zu brechen sei." Autorin: Zu Ernsts 50. Geburtstag 1938 stand im "Völkischen Beobachter" ein hymnischer Artikel: Zitator 2 Bei allen größeren Aktionen war er mit seiner Hundertschaft dabei: 1921 in Göppingen Schlacht am Walfischkeller ... Sprecher: - 5 SA-Männer, 4 Arbeiter verletzt - Zitator 2: in Ingolstadt 1923 ... Sprecher: - Feuerüberfall auf Gewerkschaftshaus - Zitator 2: in Augsburg, in Immenstadt und in der Feldherrnhalle am düsteren 9. November 1923. Nach dem unglücklichen Krieg erfüllt ihn ganz der Trotz gegen das unwürdige politische System. Wir sehen ihn als Angehörigen des Freikorps Landsberg 1919 beteiligt an den Befreiungskämpfen Münchens von der Räteherrschaft; im Frühjahr 1920 im Ruhrgebiet, 1921 als Kompanieführer im Freikorps Oberland in Oberschlesien. Dass dieser Mann zu Adolf Hitler stieß, war ihm Erfüllung seines Wesens, zählt ihn zur Garde der Alten Kämpfer, ohne die die Bewegung nicht bestehen kann. Der Geist dieser Alten ist unser neues Deutschland. Sprecher Die Weimarer Verfassung hob alle öffentlich-rechtlichen Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes auf. Ohnehin hatte der soziale Wandel aus Offizieren und Rittergutsbesitzern bereits Beamte, Ingenieure, Chemiker, Handwerksmeister sogar Fabrikarbeiter gemacht. Autorin: Der letzte Rittergutsbesitzer starb 1929. In der Familie übernahm eine jüngere Generation die Führung. Eduard 1923: Unser Verband war bisher ein Verein von Offizieren in etwa gleicher sozialer Lage. Alle von Westernhagen, die nicht als standesgemäß galten, wurden wie nicht vorhanden behandelt. Das war ein Fehler, der dem Zeitgeist entsprang. Nun wollen wir versuchen, alle Namensträger zu erreichen. Außerdem wollen wir Mitgliedern, die in untergeordneten Lebensstellungen sind, aufwärts helfen. - Ob hoch, ob niedrig, eines haben wir außer dem Namen gemeinsam: Wir haben alle kein Geld. Die Inflation verteuert Porto und Papier für das Nachrichtenblatt auf 1,5 Millionen Mark. Wer noch dazu in der Lage ist, steuere etwas bei. Das Vermögen des Verbandes ist völlig entwertet. Max: - Mai 1922: Kleidung und Schuhwerk sind bis auf den heutigen Tag im Steigen begriffen. - August: Wirth erfüllt Reparationszahlungen immer weiter. Eine Verräterbande, müssen alle an den Laternenpfahl - September: Eine Zeitung kann man nicht mehr halten, das Abonnement ist zu teuer. Es wird alles immer trauriger. - September 1923: Reichskanzler CUNO hat abgedankt und Stresemann hat seinen Platz eingenommen. Ein Streber, Leisetreter, Quasselkopf. Prompt ist der Dollar auf 60 Millionen gestiegen. Ein Pfund Reis 600 000 Mark. - Oktober: Die Teuerungswoge schwillt und schwillt. Milch 1,3 Millionen; Brot 7,5 Millionen. Praxis völlig tot. Kassen können Plomben nicht mehr bezahlen. Heute eine Gans als Zahlung erhalten. Stresemann quasselt weiter. Autorin Im März 1924 deutete das Tagebuch meines Großvaters bereits an, von wem Max sich in seiner Not Abhilfe erhoffte. Max In der Praxis fast nichts zu tun, ein elendes armseliges Leben. Deutsche Männer, Hitler, Ludendorff usw. werden verurteilt und Verbrecher sitzen in der Regierung! Herrgott, wann strafst Du die Verbrecher! Autorin Das Tagebuch enthält noch mehr solcher Verzweiflungsausbrüche. Ich hatte Mitleid mit Max, auch seine Wut war verständlich. Trotzdem wunderte ich mich, dass er nicht einen Augenblick daran dachte, wie sehr er den Ersten Weltkrieg herbeigewünscht hatte, und dass ein Zusammenhang zwischen 1914 und 1924 bestand, an dem auch er nicht unschuldig war. Sprecher Auch die durch die Inflation verarmenden Mittelschichten, die abhängig Beschäftigten und die Arbeiterschaft, deren Löhne ins Bodenlose fielen, erinnerten sich an ihre Kriegsbegeisterung nicht. Als nach wenigen halbwegs stabilen Jahren die Weltwirtschaftskrise 1929 die Lage noch katastrophaler machte als 1923, wurden Vermögensverlust und steigende Arbeitslosigkeit dem Staat der Weimarer Republik erst recht angelastet, das Parlament als 'Quasselbude' verhöhnt. Max Juli 1927: Reichspräsident Generalfeldmarschall v. Hindenburgs 80. Geburtstag. Im ganzen Reich weihevoll begangen, von mir eine Widmung im Generalanzeiger. Dezember 1929: Im Reich Versumpfung, Betrügereien, jüdische Misswirtschaft an allen Ecken und Enden. Das Anwachsen der nationalsozialistischen Partei kann allein das Vaterland vor völligem Untergang bewahren. Autorin Eduard verfasste die Familiennachrichten und wurde allmählich zum Meinungsführer und Vorreiter der politischen Radikalisierung. 1926 ließ er den Familienverband in den größten deutschen Adelsverband, die Deutsche Adelsgenossenschaft, eintragen. Sprecher: Dessen Parole war bereits 1919: "Los vom jüdischen Geist und seiner Kultur". Wie der "Stahlhelm", Bund der Frontsoldaten, und der 'Königin Luise Bund' unter der Schirmherrschaft der Kronprinzessin, hatte die Deutsche Adelsgenossenschaft einen Arier-Paragraphen in der Satzung: Zitator 1 Wer unter seinen Vorfahren im Mannesstamme einen nach dem Jahre 1800 geborenen Nichtarier hat oder zu mehr als einem Viertel anderer als arischer Rasse entstammt, oder mit jemand verheiratet ist, bei dem dies zutrifft, kann nicht Mitglied der DAG werden." Autorin Seine Kinder ließ Eduard in die sog. Edda eintragen "Das Eiserne Buch Deutschen Adels Deutscher Art". Sprecher: Voraussetzung für die Eintragung war, ... Zitator 2 " ... dass der Bewerber unter seinen oder seines Ehegatten 32 Vorfahren von Vaters und Mutters Seite keinen oder höchsten einen Semiten oder Farbigen hat." Autorin Ich suchte auf den engbeschriebenen Seiten in Haralds Chronik, ob jemand aus der Familie gegen den Rassismus dieser Bestimmungen protestiert hatte, fand aber nichts. Max Die Not wächst immer noch ins Große, mit ihr aber auch der Nationalsozialismus als zukünftiger Befreier von diesen Bonzen und der Judenpolitik. November 1931: Zum Frühjahr 1932, bei den Preußenwahlen, wird wohl endgültig die schwarz-rote Regierung gestürzt und gründlich mit der Linksregierung abgerechnet. Autorin Zum Zeichen, dass auch Max sich dem bevorstehenden 'Großreinemachen' anschließen wollte, unterschrieb er diesen Tagebucheintrag dick mit "Heil Hitler" und haute in dicken Strichen ein Hakenkreuz dahinter. Ich sehe seinen Hass förmlich aus der Feder spritzen. Mit Riesenschritten ging es nun auf das Dritte Reich zu. Mittlerweile hatten auch andere die Zeichen der Zeit erkannt. Zufrieden konstatierte Eduard im Mai 1932: Eduard Viele unserer Vettern und Basen betätigen sich erfreulicherweise in den nationalen politischen Parteien. Besonders rege sind Vetter Curt und Frau. Vetter August ist ebenfalls stark national tätig. Base Ida ist im Luisenbund führend. Ich selbst bin Wehrsportführer im "Stahlhelm", habe mich über Winter in der Deutschnationalen Volkspartei betätigt und leite noch mehrere militärische Verbände. Autorin Als Wehrsportführer im "Stahlhelm" bildete Eduard nicht-gediente Männer und Heranwachsende für die Personalreserve des 100 000-Mann-Heeres der Reichswehr aus. Sprecher: Im Vorwort der "Wehrsportfibel" hieß es: Zitator 1 Der Schandvertrag von Versailles verbietet uns zwar immer noch die Ausbildung an Kriegswaffen, aber nicht die Heranbildung unserer Jugend zu den körperlichen und geistigen Grundlagen, die ein wehrhafter Mann braucht, um seien Lebenskampf und den seiner Nation zu bestehen. Sprecher: Eduard von Westernhagen arbeitete damit der sog. Schwarzen Reichswehr zu, die sich unter Bruch des Versailler Vertrages mit dem Plan an einen Krieg gegen Frankreich trug. Ende der Zwanziger Jahre standen ein "völkisch großdeutsches Reich" in Form einer Diktatur und der Revanchekrieg als politische Ziele im Programm des "Stahlhelm". Autorin Das Massenschlachten an den Fronten im Ersten Weltkrieg und die Niederlage lagen erst zehn bis 14 Jahre zurück. Ich musste an den frenetischen Jubel im Berliner Sportpalast 1943 denken; die Antwort auf Goebbels demagogische Frage "Wollt Ihr den totalen Krieg?". Das lag von 1929 aus noch 14 Jahre in der Zukunft. Aber schon am 31. Januar 1933 schrieb Goebbels in sein Tagebuch: Zitator 2 Es ist fast ein Traum. Die Wilhelmstraße gehört uns. Sprecher Reichspräsident von Hindenburg hatte Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Der braune Terror begann sofort nach der Machtübergabe. SA besetzte Rat- und Gewerkschaftshäuser, verwüstete die Verlage der SPD-Presse, misshandelte Gewerkschafter und politische Gegner und verschleppte jüdische Bürger in wilde Konzentrationslager. Autorin: Voller Rachsucht notierte der eingefleischte Judenhasser Max: Max 5. März 1933 ? Nach dem vollständigen nationalen Sieg fliegen die Bonzen nur so aus den Behörden. Auch den Juden geht es an den Kragen. 21. März ? Heute tritt der Reichstag in der Garnisonkirche Potsdam zusammen. Möge es ein gutes Omen sein für Deutschlands Aufstieg. Alle jüdischen Richter werden abgesetzt. Hoffentlich werden die Krankenhäuser auch von diesem Ungeziefer befreit. 30. März ? Die NSDAP ruft zur Boykottierung der jüdischen Geschäfte auf. Aus den Gerichten, Krankenhäusern und sonstigen Behörden werden Juden entfernt. Die Weltjuden beginnen eine verleumderische Hetze wie zur Zeit des Weltkrieges gegen Deutschland. Auch aus den Theatern und Orchestern werden die Juden herausgewimmelt. Juda verrecke! Autorin: Mittlerweile waren mehrere Männer und Frauen meiner Familie in die Partei eingetreten und hatten sich als nützliche Volksgenossen in den NS-Staat eingegliedert: Die Frauen in der Winterhilfe; als Leiterin eines weiblichen Arbeitslagers; in der NSDAP-Ortsfrauenschaft; als Jugendführerin; Lehrkraft im Reichsmütterdienst; Sekretärin in der Gauleitung der NSDAP, im Stab des Hitlerstellvertreter Rudolf Hess im "Braunen Haus" oder beim Reichssender München. Arbeitslosen Männern verhalf das Parteibuch zu einer Stelle als Buchhalter im Luftfahrtamt Berlin, als Sachbearbeiter der Abteilung Flugsport beim NS-Fliegerkorps, bei der Allgemeinen SS oder der SA. Aufrüstung und Wiedereinführung der Wehrpflicht eröffneten ebenfalls neue Berufschancen. Max 1936: Unser Führer kann mit den von Westernhagen zufrieden sein, haben sich doch viele unserer Sippe, männlich und weiblich, dem Parteidienst gewidmet. Autorin: Einer der Eifrigsten war Oskar, ein Neffe von Max, also ein Onkel von mir, ein tüchtiger Mann: Als Leutnant der Reserve aus dem Krieg gekommen, Diplomkaufmann mit Prokura in einer größeren Firma, dann unverschuldet arbeitslos, 1931 Eintritt in die Partei, bald Wechsel zur SA, in der er eine steile Karriere begann. Oskar hatte für die SA eine längst vergessene Schulungsschrift verfasst, die mir während der Recherchen zufällig in die Hände fiel. Darin erzählte er ? ein wenig stolz, ein wenig grinsend -, wie die SA 1921 aus einer wüsten Saalschlacht entstand. Zum Mord an Rathenau 1922 durch die verbrecherische Offiziers-Organisation Consul schrieb er: Oskar Um der Verjudung der Reichsregierung Einhalt zu gebieten, erschossen Leutnant Fischer und sein Freund Kern den jüdischen Außenminister in seinem Auto. Autorin Im Abschnitt "Deutschland unter der Führung Adolf Hitlers" finde ich: Oskar Dem Aufbau im Wege standen nur noch die bolschewistisch verseuchten Kommunisten und die Reste der international-verhetzten Sozialdemokraten. Eine umfassende Säuberungsaktion war nicht zu umgehen. Autorin Selbst wenn es nur eine Propagandaschrift war, in der Oskar den starken Mann markierte - der kalte Wille zur Vernichtung, der aus ihr spricht, ist erschreckend. Im September schrieb Oskar an Max einen Brief zu dessen 70. Geburtstag: Oskar Wir freuen uns, dass es Dir vergönnt ist, die ersten Zeichen des Aufstiegs Deutschlands mitzuerleben und hoffen von ganzem Herzen, dass Du auch miterlebst den Glanz unseres geliebten Vaterlandes. ... Es ist mancher unter uns, dem dieser herbe Marschstiefel nicht an die verwöhnten Füße passt, das soll uns aber auf unserem Marsch nicht aufhalten, mögen sie ihre Latschen ausziehen oder zurückbleiben, in Leisetreterschuhen ist unser Ziel nicht zu erreichen und durch Konferenzsäle geht unser Marsch wirklich nicht Autorin: Oskar stieg in der SA in wenigen Jahren vom Scharführer zum Obersturmführer auf. 1935 meldete er seinen Sohn zur SA-Führerschule an. Im Herbst 1938 baute er im annektierten Sudetenland eine SA-Standarte auf; 1939 kam der Gestellungsbefehl zur Flakartillerie. Sein zweiter Kriegseinsatz stand bevor. Als SA-Standartenführer wurde er weiter geführt und auch bezahlt, obwohl Parteiämter während des Kriegs ruhen sollten. Im Brief an meinen Großvater fragte Oskar, ob auch seine Cousins, die Söhne von Max, "ihren Sold an das Vaterland entrichten". Sie taten es ? und dies nicht zu knapp. Curt war der Sohn von Max aus erster Ehe, also auch einer meiner Onkel; Zahnarzt, wie sein Vater und ähnlich verbohrt; Parteieintritt 1930; Presse- und Kulturwart einer Ortsgruppe in Schleswig-Holstein; ab Mai 1934 Kreisschulungsleiter; Vermerk auf der Personalkarte: Zitator 2 Besondere Kenntnisse: Vorträge zur Rassen- und Erbgesundheitslehre. Autorin Bis 1934 widmete sich Onkel Curt der Volksaufklärung im NS-Sinne, indem er Vorträge über "Blutmischung", "Nordische Charakterwerte und "Innere Erbanlagen" hielt. Dann zog er sich aus der Politik zurück und widmete sich seiner Leidenschaft für Richard Wagner. 1935 publizierte er die der deutschen Jugend gewidmete Schrift "Richard Wagners Kampf gegen seelische Fremdherrschaft. Zitator 1 In Dingen der Kunst und der Weltanschauung bewährt sich Wagner als Deutscher nordischer Prägung, wenn man von Gesinnung und Taten auf das rassische Seelenbild schließen will. Der Zauber, der allen genialen Männern eigen ist, ist eben jener volle Unterton des Blutes, die Weisheit des Blutes. Die deutsche Revolution ist eine Revolution aus dem Blute. Autorin Der Familienverband hatte sich ab 1936 Sippenverband, der Vorstand Sippenführer zu nennen; später ? mit kurios kolonialem Anklang - Stammesführer. Vom Familientag 1935 schickte Eduard eine Ergebenheitsadresse an Hitler, die auch im Völkischen Beobachter erschien: Eduard An den Führer und Reichskanzler Berlin! Das Geschlecht derer von Westernhagen, das in seiner mehr als 750-jährigen Geschichte auf allen Schlachtfeldern Preußen-Deutschlands Blut und Leben für das Vaterland opferte, bis heute zähe am alten Grundbesitz seiner eichsfeldischen Heimat festhielt und auch unter dem Hakenkreuz für Deutschlands Befreiung mitkämpfte, gedenkt an seinem heutigen Familientag des Führers und gelobt treueste Gefolgschaft. Sprecher Gleichzeitig ging ein Telegramm an den 1918 abgedankten Kaiser in seinem holländischen Exil. Eduard Majestät, in dankbarer Erinnerung an die Jahrhunderte alte Verbundenheit mit dem Hause Hohenzollern gedenkt das Geschlecht derer v. Westernhagen an seinem heutigen Familientag Eurer Majestät und entbietet die alleruntertänigsten Grüße mit dem Gelöbnis, sich auch in Zukunft wie immer fürs Vaterland einzusetzen. Autorin Die Hinwendung zum Nationalsozialismus schloss die dankbare Erinnerung an die Monarchie nicht aus. Eduard war auch mit vierzig Kameraden eines seiner militärischen Traditionsvereine zum Besuch Wilhelms II. nach Holland gefahren. Und was mag Eduard bewogen haben, das Festhalten am alten Grundbesitz auf dem Eichsfeld so zu betonen, obwohl die Rittergüter längst verkauft waren? Sprecher "Blut und Boden" waren für die Nationalsozialisten die Grundlage eines 'starken, wehrhaften Volkes'. Daher sollte nicht nur das "Bauerntum alter Abstammung" gestärkt, sondern auch ein "Neuadel aus Blut und Boden" geschaffen werden. Autorin: Indem Eduard die zähe Verbundenheit mit der angestammten Scholle hervorhob, hoffte er wohl, auf die Restitution der alten Güter oder auf neuen Landbesitz. Eduard Unsere Aufgabe ist es, durch Lebendighalten der alten Vergangenheit des Geschlechts den Willen zu erzeugen, neue Verbindung mit dem Grund und Boden zu gewinnen. Die Raumnot unseres Volkes steht dem jetzt noch entgegen. Sie wird und muss aber in Zukunft behoben werden, wenn das deutsche Volk am Leben bleiben will. Sprecher Die NSDAP benutzte das Argument vom "Volk ohne Raum" bereits seit 1920, um die Ausweitung deutschen Siedlungsgebiets im Osten zu fordern. 19 Jahre später begann mit dem Überfall auf Polen dieser Eroberungskrieg. Autorin Erst mal marschierte die Wehrmacht 1938 in Österreich ein und Hitler hielt vor jubelnden Massen vom Balkon der Wiener Hofburg seine "Anschluss"-Rede. Das Protokoll des wenige Tage später stattfindenden Familientags quoll über vom Dank für den "Führer", ... . Annemarie ... der uns die Ehre und Freiheit wiedergegeben hat. Dies bezeugt unser dreifaches Siegheil. Viele tragen das Ehrenkleid der Nation ? sei es der NS-Organisation oder das der Wehrmacht ? und bekunden hiermit, dass sie der Haltung unserer Vorfahren treu geblieben sind und auch heute in den Reihen der Kämpfer für Deutschland stehen. Autorin Harald war einer der wenigen Nicht-Nazis in der Familie. Die Morde beim sog. Röhmputsch 1934 hatten ihm die Augen geöffnet. Bekümmert und wütend kommentierte er Annemaries Dank an Hitler: Harald Warum musste unsere Familie mit so viel Kraft in das NS-Horn blasen? Heulte sie nur mit den Wölfen oder war es echte Übereinstimmung mit den Idealen der braunen Bewegung? Sprecher Im März 1939 annektierte Hitler die sog. "Rest-Tschechei". Juden, Sozialdemokraten, Kommunisten, Intellektuelle und viele andere, die vor den Nazis nach Prag geflohen waren, kamen in die Gewalt der Gestapo und des Sicherheitsdienstes. Annemarie, eine promovierte Statistikerin, die Eduard als Schriftführerin des Familienblattes vertrat, jubelte: Annemarie Das Großdeutsche Reich ist Wirklichkeit geworden. Unsere Generation ist glücklich und von Dank erfüllt, diese Zeit miterleben zu dürfen, in der das Schicksal dem deutschen Volke den großen Mannsandte, der den Reichsgedanken, die uralte Sehnsucht der Deutschen nach dem großen, starken und einigen Reich in die Tat umsetzte." Harald: Wieder trieft das ganze Blatt nur so von Tiraden auf das herrliche Dritte Reich und seinen Führer. Autorin: Von den 44 wehrfähigen Männern stand etwa die Hälfte in Kriegsdiensten. Im Eisenbahntransport, bei der Artillerie, der Panzertruppe, der Luftwaffe. Der Rest war unabkömmlich. Die Frauen waren im Betreuungsdienst des Heeres in Frankreich eingesetzt, leiteten Soldatenheime, waren Feldführerin bei Verpflegungseinheiten. Trotz der Niederlagen, die dem Desaster von Stalingrad folgten, und der verheerenden alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte, blieb der Ton der Familiennachrichten "großsprecherisch und siegesgewiss", wie Harald anmerkte. Annemarie November 1943: An allen Fronten standen und stehen kämpfend auch unsere Vettern. Manche von ihnen wurden verwundet oder erkrankten, genasen und kehrten zurück an die Front. Sprecher Im Herbst 1943 landeten die Alliierten in Italien. Im Sommer 1944 brach die Heeresgruppe Mitte zusammen. Autorin Kein Wort dazu im Nachrichtenblatt, nur Eduards seltsames Durchhaltegedicht. Es wirkt archaisch, wie eine Beschwörung zur Abwendung des drohenden Untergangs. Eduard "Gebt den Kampf nicht auf /Stehet fest zuhauf / Seid ein hart Geschlecht / Kämpft für Deutschlands Recht / Wollen Euch stets mahnen / Zeigt Euch wert der Ahnen / Wer nie streckt die Waffen /Wird es endlich schaffen / Heil dem, der so handelt / Heldenwege wandelt / Heil der Sippe, die erzeugt / Menschen, die kein Schicksal beugt. / Autorin Viele waren bis zum Schluss überzeugt, es könne keine Niederlage geben, sei es dass sie auf die "Wunderwaffe", die V2-Raketen setzten, oder auf die rassische Überlegenheit der Deutschen, wie mein Vater, Haralds Bruder, der zweitälteste Sohn von Max, überzeugter Nationalsozialist und Führer einer SS-Panzerabteilung. In einem Brief kurz vor seinem Tod 1945 schrieb er aus Ungarn: Zitator 2 (Hein) Es ist eine harte Zeit ? aber ich glaube fest daran, dass wir es schaffen werden ? denn es kann nicht alles umsonst gewesen sein und die Welt kann nicht im jüdisch-bolschewistischen Chaos untergehen. Wenn man sieht, wie der Russe haust, dann laufen kalte Schauer über den Rücken und heißer, abgrundtiefer Haß schlägt hoch, mit dem man diese Höllenbrut vernichten möchte. Autorin Der Krieg war verloren und endlich auch zuende. Neun Männer aus der Familie von Westernhagen waren gefallen, vier vermisst, vier in russischer, zwei und eine Frau in US-amerikanischer Gefangenschaft, viele ausgebombt. Im Advent 1945 ging ein Weihnachtsgruß von Annemarie an die Familie: Annemarie Nach einer Zeit, in der wir alle Schweres und Schwerstes haben erleben müssen, möchte ich Euch zum Weihnachtsfeste herzliche Grüße und Wünsche senden. Wie immer wollen wir die Zeiten der Not gemeinsam tragen und aus ihr lernen und in unserer Sippe weiter zusammenstehen. Autorin Kein Gedanke daran, was der "Führer" des Großdeutschen Reiches, seine zivilen und militärischen Satrapen, seine Anhänger und Mitläufer an unsäglichem Leid über die Völker Europas gebracht hatten. Was Annemarie wohl mit "wollen wir wie immer aus der Not lernen" meinte? Sprecher Im Rahmen ihres Versuchs zur Umerziehung zeigten die Alliierten nun Kriegsgefangenen und der Bevölkerung Filme über die Gräuel in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Und mit Hilfe des Entnazifizierungs-Programms sollten die für die NS-Herrschaft Verantwortlichen herausgefiltert werden. Autorin Eduard überstand sein Entnazifizierungsverfahren unbeschadet mit "entlastet", obwohl er die Familie ins braune Fahrwasser geführt hatte. Er begann mit dem Wiederaufbau seiner Häuser in Berlin, die er während der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg günstig gekauft hatte. Andere traf es härter. Zitator 1: Mir geht es hier KZ-mäßig; seit meiner Einlieferung befinde ich mich in ärztlicher Behandlung und seit drei Wochen im Lazarett, Autorin: ... teilte Ernst von Westernhagen, der ehemalige Anzeigenvertreter für den Völkischen Beobachter, im Juli 1947 seinem Rechtsanwalt mit. Ernst saß im Internierungs- und Arbeitslager Moosburg in Bayern. Die Spruchkammer stufte ihn als Hauptschuldigen ein, da sie in ihm den Alten Kämpfer sah, der insgesamt, so die Spruchkammer Zitator 2 Richter ... den Nationalsozialismus außerordentlich unterstützte, sowie den typischen Militäristen und Gefolgsmann Hitlers, der sich trotz der heute noch vorgeschützten Kriegsverwundung als Saalschutzmann ... bei Schlägereien besonders hervortat. ... 1 Autorin: Ernst bekam als Sühnemaßnahme vier Jahre Arbeitslager, verlor das aktive und passive Wahlrecht und musste 3000 Reichsmark Strafe zahlen. Zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz gab er zu seiner Entlastung den damals vielgehörten Satz zu Protokoll: Zitator 1 Ernst Ich habe an die Ideologie des Nationalsozialismus geglaubt. Autorin In der Berufungsinstanz fand Ernst mildere Richter und kam nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe zu Weihnachten 1948 schon wieder frei. Mein Onkel Oskar, SA-Standartenführer und Verfasser der Schulungsschrift für die SA, war an einem Verbrechen beteiligt, kam jedoch als Minderbelasteter davon. Als hoher SA-Dienstgrad kam Oskar zunächst in automatischen Arrest. Die US-Vernehmer schätzten ihn richtig ein: Zitator 2 Durch seinen familiären Hintergrund ist er ein typischer deutscher Militarist. ... Er wurde schnell befördert und war in der Partei bekannt. ... Es wird empfohlen, dass der Betroffene bis zur weiteren Anweisung für die Einordnung in eine Kategorie interniert bleibt." Autorin: Die Vernehmer wussten nicht, dass Oskar 1944 an der Deportation der Juden von Rhodos beteiligt war. Da sie keine Anhaltspunkte fanden, dass Oskar ein Fall für die Nürnberger Gerichtsbarkeit wäre, wurde er 1947 aus dem Internierungslager entlassen. Das Verfahren vor der Spruchkammer fand ein Jahr später statt. Der öffentliche Ankläger beantragte, Oskar als Hauptschuldigten, also als Kriegsverbrecher, einzustufen. Oskar leugnete jede politische Beeinflussung seiner Männer. Auf die "Judenfrage" ging er geradezu dummdreist ein: Oskar Ich selbst habe in meinem Standartenbereich keinen einzigen Juden gehabt, sodass ich mit der Judenaktion keinerlei Berührung hatte. Autorin In der Tat, Juden waren in der SA selten zu finden. Als die Deportation der Juden von Rhodos Gegenstand der Verhandlung wurde, sagte ein bestellter Zeuge, der Oberleutnant in Oskars Flakabteilung auf Rhodos gewesen war, aus, 1944 sei ein SS-Kommando aufgetaucht und hätte die Auslieferung der Juden verlangt, die sich in dem Ort Trianda, wo Oskar Ortskommandant war, befinden sollten. Zitator 1 (der Zeuge) Der Betroffene hat einfach den SS-lern den Bescheid gegeben, dass sich in Triander2 keine Juden befinden. Ich weiß aber, dass Juden in Triander waren. Autorin Im Protokoll stieß ich auf Oskars Ergänzung: Oskar Es ist keine Judenaktionen vorgekommen in Triander. Zu dieser Zeit war ich der Kommandant und Verantwortliche für die Bevölkerung. Es kam auch keine Anweisung für eventuelle Judenaktionen, da ich ja extra angegeben habe, dass sich in Triander keine Juden befinden und daher auch keine registriert wurden. Autorin Kein Zweifel: Oskar hatte seinen Oberleutnant zu einer Falschaussage angestiftet. Doch niemand konnte in dem Verfahren die Lügen der beiden widerlegen. Das Spruchkammerverfahren war 1948 zudem schon ? nach dem treffenden Ausdruck des Historikers Lutz Niethammer - zur "Mitläuferfabrik" degeneriert, sodass die von Oskar vorgelegten diversen Persilscheine ihm zu einer Einstufung als "minderbelastet" verhalfen. Seinen Rang als SA-Standartenführer hatte Oskar schon im Großen Fragebogen unterschlagen. Vor der Spruchkammer wurde aus dem Hauptbelasteten durch die Falschaussage seines Zeugen ein Judenretter. Im Genealogischen Handbuch des Adels von 1961 erschien Oskar nur noch als Diplomkaufmann und Major der Reserve. Tüchtig wie er war, arbeitete sich Oskar bald zum Abteilungsleiter einer Firma hoch. ? Sprecher: 1750 Juden lebten auf Rhodos, 151 überlebten Auschwitz. 600 wurden in Trianda konzentriert und mit Hilfe des Ortskommandanten Oskar von Westernhagen von dort deportiert. Autorin Im Familienverband war es still geworden nach 1945. Jeder hatte mit sich selbst zu tun. 1950 erschien das erste Nachrichtenblatt mit den denkwürdigen Sätzen und der gewohnten Chuzpe Eduards: Eduard Wieder einmal hat unser Geschlecht, wie so oft in seiner 700-jährigen Geschichte, eine politische Katastrophe überstanden, ungeschwächt an Lebenskraft und Willen. Die natürlichen und gewaltsamen Verluste an Menschenleben seit 1939 sind zu zwei Dritteln wieder durch Geburten ausgeglichen. Mutig wollen wir der Zukunft entgegensehen. Harald Alle Euphorie, alles Getue um das 1000-jährige Reich lange verschwunden; keine Führerverehrung, kein "Heil-Hitler-Geschrei. Wer war in der Familie nun ein überzeugter Nazi und wer nur ein Mitläufer? Man wird es nicht mehr feststellen können. Autorin Die Davongekommenen konnten und wollten es gar nicht. Sie leckten ihre Wunden und sahen zu, wie sie weiterkamen. Schwer vorstellbar, dass Ernst auf einem der Familientage mitgeteilt hätte, er habe am Hitlerputsch teilgenommen. Oder dass Oskar eingestanden hätte, er habe befohlen, die Juden von Trianda mit den Fahrzeugen seiner Feldgendamerie zum Hafen von Rhodos zu transportieren. Sprecher Die Familie von Westernhagen ist ein Beispiel für das, was der Historiker Stephan Malinowski so zusammenfasst: Zitator 2 ... dass die stärksten Impulse zur Radikalisierung von den wirtschaftlich bedrängten sozialen 'Rändern' des Adels ausgingen. In Übereinstimmung mit diesem Prozess ist der ruinierte Kleinadlige, der in der NS-Bewegung neben ideologischem Halt auch neue soziale Perspektiven suchte und fand, der zweifellos häufigste Typus unter den Adligen, die vor 1933 in die NSDAP eintraten. Sprecher Für weite Teile des Adels, abgesehen vom katholischen Adel Süddeutschlands, stellt Malinowski fest: Zitator 2 Unter den bekanntesten Namen des ostelbischen Adels gab es kaum eine Familie, von der die NSDAP nicht unterstützt wurde. Das Gleiche gilt für die Familien der Angehörigen des 20. Juli, zum Beispiel für die v. Schwerin, die v. Tresckow, die von der Schulenburg, wobei die Zahl der Parteieintritte bis 1945 sogar noch höher lag als beim niederen Adel. Dem Hochadel, also den fürstlichen Häusern, entstammten bis 1941 270 Parteigenossen, davon ein Großteil Frauen; ungefähr 80 Hochadlige waren schon vor dem 30. Januar 1933 Mitglied geworden. Autorin Dass andere Adelsfamilien genauso mitmachten wie meine Familie, bessert natürlich nichts, aber es weitet den Blick. ? In meiner Familie, wurde gerne über kleine Entdeckungen aus dem 14. oder 17. Jahrhundert gesprochen, über unsere Geschichte im 'Dritten Reich' nie. Selbst dann nicht, als aus der Namensliste, die ich im Bundesarchiv erhalten hatte, ein wissenschaftliches Buch von 300 Seiten geworden war. Ich nahm nun endgültig zur Kenntnis: Die Älteren wollen es nicht wissen. Aber vielleicht können Jüngere ? nach den Worten von Jean Améry ? das Geschehene als unser "negatives Eigentum in Anspruch nehmen". Absage: "Gedenkt des Führers und gelobt treueste Gefolgschaft!" Eine Adelsfamilie auf dem Weg vom Kaiser zum Führer Ein Feature von Dörte von Westernhagen Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2014. Es sprachen: Susanne Flury, Daniel Berger, Marietta Bürger, Hüseyin Michael Cirpici, Andreas Grothgar, Matthias Haase, Gregor Höppner, Volker Risch und Udo Schenk Ton und Technik: Michael Morawietz und Beate Braun Regie: Beatrix Ackers Redaktion Karin Beindorff 1 Zitat aus der Entnazifizierungsakte 2 Der Ort heißt Trianda. Im Protokoll der Spruchkammerverhandlung immer ?Triander?, offenbar nach Gehör. --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 1