Manuskript Kultur und Gesellschaft Kostenträger : P 62100 Organisationseinheit: 46 Reihe : Forschung und Gesellschaft Titel : Ein Zeitgenosse namens David Hume. Zum 300. Geburtstag des schottischen Philosophen Autorin : Sibylle Salewski Redakteur : René Aguigah Sendung : 05.05.2011 / 19:30 Uhr Regie : Besetzung : Sprecherin, Zitator, Voice Over-Sprecher Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Sprecherin: Im Katalog der British Library in London findet man seine Werke noch immer unter dem Stichwort "David Hume, der Historiker". Seine sechsbändige Geschichte Englands war ein Bestseller, die in mehr als hundert Ausgaben erschien. Wer aber heute von David Hume redet, denkt zuerst an den Philosophen: O-Ton 1 Streminger "Er ist bekannt als" (18 sec.) Er ist bekannt als Empirist, als Skeptiker, als Religionskritiker, als jemand, der rein diesseits bezogen lebt, ein säkulares Weltbild entwickelte, ein großer Religionskritiker war. Allgemein wird er heute als der Vater der modernen Philosophie bezeichnet. Sprecherin: Und das ist nicht übertrieben: Hume, so sagte es der nicht weniger große Philosoph Immanuel Kant, habe ihn, Kant, aus seinem "dogmatischen Schlummer" erweckt und seiner Philosophie "eine ganz andere Richtung" gegeben. Für Einstein war es nur ein kleiner Schritt vom Hume-Lesen zur Relativitätstheorie. Und Arthur Schopenhauer glaubte gar, mit Hume könne man so manch anderen Denker gleich ganz ersetzen: Zitator: "Aus jeder Seite von David Hume ist mehr zu lernen als aus Hegels, Herbarts und Schleiermachers sämtlichen philosophischen Werken zusammengenommen." Sprecherin: Bereits zu seinen Lebzeiten galt Hume vielen als Weiser. Hume, 1711 in Edinburgh geboren, wurde nicht nur für seinen scharfen Verstand bewundert, sondern auch für seine Geselligkeit und dafür, dass er stets offen und freundlich war. Nur sein Aussehen, fand manch einer, stand in starkem Widerspruch zu seiner ungemeinen Intelligenz. Der irische Staatsmann James Caulfeild beschreibt Hume, den er auf einer Italienreise kennen gelernt hatte, 1748 denkbar unvorteilhaft: Zitator: "Ich glaube, dass die Natur noch keinen Menschen seinem Charakter so unähnlich geformt hat wie David Hume. Nicht einmal die begabtesten Physiognomen konnten in dem nichtssagenden Gesicht die geringsten Spuren seiner geistigen Fähigkeiten erkennen. Sein Gesicht war derb und fett, sein Mund breit und ohne irgendeinen anderen Ausdruck als Schwachsinn. Seine Augen waren leer und geistlos, und die Körperfülle der ganzen Person passte viel besser zur Vorstellung eines Schildkröte essenden Ratsherrn als zu der eines abgeklärten Philosophen. Wegen seines breitesten und vulgärsten schottischen Akzents klang sein Englisch lächerlich, sein Französisch war, wenn dies überhaupt möglich ist, noch lächerlicher. Noch nie ist Weisheit aus einem solchen Mund geflossen, noch nie hat sie sich in solch plumpe Hülle gekleidet." Sprecherin: Es ist bemerkenswert, wie gut sich diese in "solch plumpe Hülle" gekleidete Weisheit bis heute gehalten hat. Aus dem philosophischen Lehrplan ist Hume schon lange nicht mehr wegzudenken. Doch er gilt auch als Vordenker der Kognitionswissenschaft, der weltlichen Religionskritik, der Evolutionstheorie und der modernen empirischen Ethik. Einen "Philosophen auf der Überholspur" nennt der österreichische Philosoph Gerhard Streminger ihn deshalb. Seit Jahren beschäftigt Streminger sich mit Humes Werk und hat gerade eine große Biografie über ihn neu veröffentlicht. O-Ton 2 Streminger "Wenn man Hume" (26 sec.) Wenn man Hume liest, das ist als säße ein Zeitgenosse gegenüber. Jede Form von Orakelhaftem, wie es das leider in der deutschen Philosophie so oft gibt, fehlt ihm. Er legt alle Karten auf den Tisch, er ist wie ein Zeitgenosse. Und auf der anderen Seite eben vertritt er ein Weltbild, das für das 21. Jahrhundert sehr attraktiv ist, nämlich einen Naturalismus, also Hume hat das Zeug zum Philosophen des 21. Jahrhunderts. Sprecherin: Wer war dieser Mensch, der uns heute so modern vorkommt? Bereits in jungen Jahren entwickelte er seine oft radikale Kritik an Kirche und Religion. Seine Mutter war ausgesprochen fromm, das Elternhaus calvinistisch. Doch der junge Hume empfand den rigiden Fundamentalismus der Kirche als ungerecht. Er suchte Zuflucht in der Literatur, las viel, wollte Gelehrter und Philosoph werden. Erfolgreich besuchte er die Universität in Edinburgh. Hume hatte nicht viel Geld, sein älterer Bruder erbte den Familienbesitz. Und so versuchte er sich nach Abschluss seiner Studien zunächst als Kaufmannsgehilfe eines Zuckerimporteurs in Bristol. Doch David Hume merkte bald, dass das nichts für ihn war. Stattdessen zog er trotz seines Geldmangels 1734, im Alter von 23 Jahren, ins französische La Flèche. Zitat Hume: "In der Absicht, zurückgezogen irgendwo auf dem Lande meine Studien fortzusetzen, ging ich nach Frankreich. Und dort entwarf ich mir den Lebensplan, an den ich mich ständig und mit Erfolg gehalten habe. Ich fasste den Beschluss, durch strengste Sparsamkeit auszugleichen, was mir an Vermögen abging, mir meine Unabhängigkeit uneingeschränkt zu erhalten und auf nichts zu achten als auf die Förderung meiner literarischen Talente." Sprecherin: Diesem Vorsatz blieb Hume sein Leben lang treu. In La Flèche schrieb er sein frühes Hauptwerk. Den "Treatise of Human Nature" - den "Traktat über die menschliche Natur". Das Werk trägt den Untertitel "An Attempt to Introduce the Experimental Method of Reasoning into Moral Subjects". Am besten zu übersetzen vielleicht als: "Ein Versuch, die experimentelle Methode in die Geisteswissenschaften einzuführen". Dieser Untertitel ist das entscheidende Motto für Humes gesamtes Denken. Es geht ihm darum, die erfolgreichen Forschungsstandards aus den Naturwissenschaften in die Geisteswissenschaften zu übertragen, erklärt Heiner Klemme. Er ist Professor für Philosophie der Neuzeit an der Universität Mainz. O-Ton 3 Klemme "Wir müssen gewissermaßen" (34 sec.) Wir müssen gewissermaßen die Metaphysik, wir müssen die Spekulation, wir müssen die Schulphilosophie überwinden, um uns ganz auf Beobachtung und Erfahrung zu konzentrieren, und dort eine Grundlagenwissenschaft zu entwickeln, die der Hume "science of man", also die Wissenschaft vom Menschen nennt, die dann die Grundlage für alle anderen Wissenschaften, auch der Naturwissenschaften, auch der Mathematik, auch der Logik und natürlich insbesondere auch der Moral und der Politik zu leisten in der Lage ist. Sprecherin: Hume kritisiert die ungerechtfertigte Selbstsicherheit vieler Philosophen, die meinen, Probleme allein durch reines Denken lösen zu können. Hume habe früh verstanden, dass wir die Welt nicht vom Lehnstuhl aus verstehen können, sagt Peter Millican. Er ist Philosophieprofessor in Oxford - einer der weltweit führenden Hume-Forscher: O-Ton 4 Millican "Hume was right" (20 sec) Hume was right. The only way we can know about the world is by empirical discovery, is by experiment. So I think Hume, because he is more modest than these other philosophers, because he doesn't try to proof as much by pure reason, his stuff has survived much better. (8:26) Voice-Over: Hume hatte recht. Nur durch Erfahrung, Entdeckungen, durch Experimente, können wir etwas über die Welt herausfinden. Weil Hume bescheidener war als andere Philosophen, weil er nicht versuchte, so viel allein mit reiner Vernunft zu beweisen, deshalb haben sich seine Lehren viel besser gehalten. Sprecherin: Mit reinem Denken allein kommen wir nicht weit. Diese Erkenntnis gilt bis heute für unser Verständnis wissenschaftlichen Forschens. Warum das so ist, hat Hume an einem berühmten Beispiel deutlich gemacht: Stellen wir uns vor, eine Billardkugel bewegt sich auf eine andere zu. Wenn die erste auf die zweite trifft, rollt diese weg. Wir finden das ganz selbstverständlich. Aber warum? Das ist die entscheidende Frage, die Hume gestellt hat, sagt Peter Millican. O-Ton 5 Millican "He has a lovely" (27 sec.) He has a lovely thought experiment in which he imagines Adam, the first man, newly created by God, and imagine that God puts infront of Adam two billardballs, one of which is moving towards the other, and he says to Adam, well, Adam, what do you think will happen when this ball hits the other one? And Hume makes the point that Adam using pure reason could not, in any way, predict what would happen. Voice-Over: Er hat ein wunderbares Gedankenexperiment. Adam, der erste Mensch, frisch erschaffen von Gott, sieht die erste Billardkugel auf die zweite zurollen, und Gott fragt ihn: Was glaubst Du, was geschieht, wenn die erste Kugel auf die zweite trifft? Und Hume sagt, dass Adam allein durch reines Denken überhaupt nicht voraussagen könnte, was passieren wird. Sprecherin: Es wäre denkbar, dass beide Kugeln stoppen, oder dass die erste Kugel zurückrollt oder dass die zweite Kugel beim Aufprall explodiert. - Wenn wir nie zuvor Erfahrungen mit solchen Ereignissen gehabt haben, dann können wir auch nicht erschließen, was geschehen wird. Hume ist sehr wohl der Meinung, dass die Bewegung der ersten Billardkugel die der zweiten tatsächlich verursacht. Aber wir kennen die Gründe dafür nicht: Warum glauben wir dann aber, dass ein Ereignis A die Ursache für ein anderes Ereignis B ist? Humes Antwort, seine Theorie der Kausalität, führt ins Zentrum seiner gesamten Philosophie, sagt Heiner Klemme. Was, fragt Hume, verknüpft die Dinge in der Welt miteinander? O-Ton 6 Klemme "Ist es etwa" (37sec) Ist es etwa eine geheime Kraft, die in diesen beiden Billardkugeln steckt, die uns zu diesem Urteil berechtigt? Hume sagt, das ist nicht der Fall. Humes These lautet: Kausalität ist keine Eigenschaft, die irgendwie in den Dingen an sich selbst versteckt sein mag, Kausalität ist auch nicht etwas, was begrifflicher Natur ist, sondern Kausalität oder unsere Urteile über kausale Ereignisse in der Welt, besser gesagt, verdankt sich bestimmten Mechanismen unserer fühlenden Natur, unserer wahrnehmenden Natur. Sprecherin: Nur unsere Instinkte, unsere Einbildungskraft, sorgt dafür, dass wir Ursache und Wirkung miteinander verbinden. Und zwar deshalb, weil wir bestimmte Verknüpfungen in der Natur immer wieder beobachtet haben. Woher, zum Beispiel, wissen wir, dass morgen früh wieder die Sonne aufgehen wird, fragt Heiner Klemme. O-Ton 7 Klemme "Wir erwarten" (28 sec) Wir erwarten, wir haben eine ganz starke Erwartung, dass morgen die Sonne wieder aufgehen wird. Warum? Weil wir bisher immer beobachtet haben, dass die Sonne morgens aufsteht. Eine begriffliche Gewissheit, eine Gewissheit a priori, haben wir darüber aber nicht. Es ist nur etwas, was für uns sehr, sehr, sehr, sehr wahrscheinlich ist, dass morgen die Sonne wieder aufgehen wird. Sprecherin: Die Suche nach festen Gründen, letzten Prinzipien, ultimativen Wahrheiten - die ist vergebens. Hume sagt: Wir müssen uns mit Wahrscheinlichkeiten begnügen. O-Ton 8 Klemme "Die Wahrscheinlichkeiten" (32 sec.) Die Wahrscheinlichkeiten tragen uns in unseren Urteilen über das, was der Fall ist, die Wahrscheinlichkeiten tragen uns mit Blick auf das, was wir tun sollen und die Wahrscheinlichkeiten sind alles, was wir haben. Die Welt muss als ein großes zufälliges Geschehen begriffen werden und wenn es uns in dieser Welt gelingt, bestimmte Regelmäßigkeiten in ihrem Verlauf zu entdecken, dann haben wir alles gefunden, was wir benötigen, das zu erreichen, was die Menschen in dieser Welt erreichen können, mehr geht nicht. Sprecherin: Alle Aussagen, die wir treffen, können möglicherweise falsch sein, immer wieder müssen wir sie durch neue Experimente korrigieren oder gar ganz verwerfen. Damit hat Hume unser Wissen auf ziemlich wackelige Beine gestellt. Ihm selbst haben diese Überlegungen den Ruf eingebracht, ein Skeptiker zu sein, sagt Heiner Klemme. O-Ton 9 Klemme "Der Skeptiker ist" (49 sec.) Der Skeptiker ist jemand, der weiß, dass das menschliche Leben begrenzt ist, der weiß, dass die Philosophie nur einen begrenzten Beitrag leisten kann zum Glück der Menschen, zu ihrer Zufriedenheit. Die Philosophie ist in der Lage, uns mit uns selbst sozusagen zu versöhnen, wenn man das mal etwas romantisch formulieren möchte, aber es ist eine begrenzte Versöhnung. Es ist keine Versöhnung, die darauf abzielt, dass wir uns selbst in jeglicher Hinsicht erkennen, durchschauen, sondern es ist eine Versöhnung, die in der Begrenzung der Ansprüche, die wir an uns und andere stellen, die Zufriedenheit findet. Sprecherin: Zu akzeptieren, dass uns weder die Philosophie noch ach so intensives Nachdenken über uns und die Welt festen Grund unter die Füße bringen wird, kann eine psychologische Herausforderung sein. Das war auch für Hume so. Die Zweifel der Philosophie, das wusste er selbst nur allzu gut, bergen die Gefahr tiefster Melancholie. Vor allem in den Anfangsjahren, noch bevor er in Frankreich den Traktat über die menschliche Natur schrieb, haben diese Unsicherheiten und Zweifel Hume zu schaffen gemacht: Zitator: "Ich werde verwirrt bei allen diesen Fragen; ich fange an mir einzubilden, dass ich mich in der denkbar beklagenswertesten Lage befinde, dass ich umgeben bin von der tiefsten Finsternis, des Gebrauchs jedes Gliedes und jedes menschlichen Vermögens vollständig beraubt. Da die Vernunft unfähig ist, diese Wolken zu zerstreuen, so ist es ein glücklicher Umstand, dass die Natur selbst dafür Sorge trägt und mich von meiner philosophischen Melancholie und meiner Verwirrung heilt, sei es, indem sie mich aus ihr durch einen lebhaften Sinneseindruck, der alle diese Hirngespinnste verwischt, gewaltsam herausreißt. Ich esse, spiele Backgammon, unterhalte mich, bin lustig mit meinen Freunden. Wenn ich mich so drei oder vier Stunden vergnügt habe und dann zu jenen Spekulationen zurückkehre, so erscheinen sie mir so kalt, überspannt und lächerlich, dass ich mir kein Herz fassen kann, mich weiter in sie einzulassen." Sprecherin: Das blieb zeitlebens Humes Rezept gegen die durch philosophisches Schaffen drohende Niedergeschlagenheit: Geselligkeit, Essen, Freunde. Es ist die Natur selbst, die uns von den Zweifeln des Verstandes rettet. Und man kann, das hat Hume für sich selbst entdeckt, Skeptiker sein, Philosoph bleiben und dennoch Trost finden. Denn Hume gelang es, mit den Begrenzungen unseres menschlichen Denkens zufrieden zu sein. Das, sagt der österreichische Philosoph Gerhard Streminger, sei außergewöhnlich: O-Ton 10 "Also ich glaube" (25 sec.) Also ich glaube es ist ganz selten, dass ein großer Denker auch ein großer Mensch war, das ist ganz selten, vielleicht war der Hume wirklich einzigartig. Also er wird von allen eigentlich beschrieben als besonders wohlwollend, nicht misstrauisch, freigiebig, großzügig. Also er hat irgendwie ein Charisma gehabt. Und einmal wurde beschrieben: Wenn Hume herein kommt, dann ist das wie das Öffnen eines Fensters. Sprecherin: Bemerkenswert ist, dass Hume niemals Trost im Glauben suchte. Im Gegenteil. Sein Misstrauen gegenüber vielen Aspekten von Religion hat ihn erst zur Philosophie gebracht, sagt Gerhard Streminger. O-Ton 11 Streminger "Die Idee der Kollektivschuld" (18 sec.) Die Idee der Kollektivschuld, die Idee, dass für endliche Vergehen unendliche Strafen ausgesprochen werden. Alles das empfand er als extrem ungerecht und zugleich wird behauptet, dass Gott sehr gerecht sei. Also das hat ihn philosophisch aktiv werden lassen, also wie ist das möglich, warum sagen das Menschen so? Sprecherin: Und so wurde Hume bekannt als "The Great Infidel" - der große Ungläubige. Heute gilt er als einer der bedeutendsten Religionskritiker überhaupt, sagt der Oxford Philosoph Peter Millican. O-Ton 12 Millican "Hume attacked" (12 sec.) Hume attacked religion on a wide range of fronts, actually, and I think probably it would generally be agreed that he is the most important negative philosopher of religion there has ever been. Voice-Over: Hume hat die Religion von vielen Seiten angegriffen und ich denke, es ist allgemein anerkannt, dass er der wichtigste negative Religionsphilosoph aller Zeiten ist. Sprecherin: Seine Argumente sind heute nach wie vor hoch aktuell. Mit dem Wiedererstarken eines christlichen Fundamentalismus wie in den USA hat zum Beispiel Humes Widerlegung des so genannten "Design-Arguments" erneute Relevanz erlangt. Das Design-Argument ist ein Argument für die Existenz Gottes. Grob gesagt, lautet es: Gott hat sich in seinem Werk offenbart. Wir müssen nur die Welt betrachten, um zu sehen, dass ein so kompliziertes Gebilde, bei dem alle Teile aufeinander abgestimmt sind und zusammenspielen, von einem intelligenten Planer erschaffen worden sein muss. Ein Argument, das heute im Zentrum der sogenannten "Intelligent Design- Theorie" wieder auftaucht. Humes Widerlegung dieses Arguments ist ein absoluter Klassiker, sagt Peter Millican: O-Ton Millican "If you want" (46 sec.) If you want to think carefully about the design argument, you will almost inevitably be drawn to reading Hume. He points out that design is not the only feature of the world that brings about order. In our experience we see order arising in a number of ways. For example, vegetation of plants, generation of animals, reproduction leads to organized beings. And they are not arising from design. So why should we give design the priority when it comes to explaining order. In our experience we see intelligence arise from biology, we never see biology arising from intelligence. Voice-Over: Wenn man sorgfältig über das Design-Argument nachdenken will, kommt man nicht drum herum, Hume zu lesen. Er zeigt, dass Planen nicht das einzige in der Welt ist, was zu Ordnung führt: Pflanzen wachsen, Tiere entwickeln sich, Reproduktion - das alles führt zu organisierten Wesen. Die entstehen nicht aus einem Plan heraus, warum also sollten wir einem Plan den Vorrang geben, wenn wir Ordnung erklären wollen? Unsere Erfahrung zeigt, dass Intelligenz aus der Biologie heraus entsteht, wir sehen niemals, dass Biologie aus Intelligenz entsteht. Sprecherin: Bemerkenswert ist, dass Hume mit dieser Argumentation theoretisch bereits Teile der Evolutionstheorie vorwegnimmt, wie der Düsseldorfer Ethiker Dieter Birnbacher betont: O-Ton 14 Birnbacher "Deshalb nimmt er" (32 sec) Deshalb nimmt er zum Beispiel auch den evolutionären Standpunkt ein, lange vor Darwin, der uns heute als extrem, sagen wir, neuzeitlich modern vorkommt, also er versucht die Zweckmäßigkeit in der Natur schon dadurch zu widerlegen, indem er darauf hinweist, dass die untauglichen Hervorbringungen der Natur es eben nicht geschafft haben zu überleben, sondern dass es gar kein Wunder ist, dass die Natur uns so zweckmäßig organisiert erscheint, weil nur die zweckmäßigen Organismen die anderen haben überleben können. Sprecherin: Hume glaubte nicht nur, dass die Argumente der Kirche theoretisch unhaltbar seien. Er sah im Glauben auch eine Gefahr: Zitator: "Im allgemeinen aber sind die Irrtümer in der Religion gefährlich, die Irrtümer in der Philosophie lediglich lächerlich." Sprecherin: Die Religion, so Hume, zerstöre in den meisten Fällen unseren angeborenen Sinn für Moral. Eine auch heute noch provokante These. Religion, meinte Hume, macht uns nicht zu besseren Menschen, sondern zu schlechteren. Gerhard Streminger: O-Ton 15 Streminger "Deshalb weil sie Menschen" (40 sec.) Deshalb, weil sie Menschen sehr egoistisch macht. Es gibt so einen Jenseitsegoismus. Und das zerstört die geselligen, die sozialen Affekte. Denn Hume ist der Meinung, dass es einen emotionalen Nahbereich gibt, und in diesem Nahbereich gibt es zwar natürlich einerseits auch den Egoismus, aber es gibt auch den Altruismus, also Teilhabe an der Situation anderer und versuchen sich zu freuen, wenn andere sich freuen und zu leiden, wenn andere leiden, und auch irgendetwas zu tun, damit das Leid endet. Und das wird zerstört, weil gleichsam die horizontale Ebene zwischen den Menschen durch eine vertikale Ebene ersetzt wird, Ich-Gott, und das mergelt das soziale Ich aus. Sprecherin: Es ist genau dieses "soziale Ich", das den Grundstein von Humes Ethik bildet. Hume glaubt nicht, wie Kant nach ihm, dass sich unsere moralischen Prinzipien rein rational begründen ließen. Für ihn bilden angeborene Gefühle die Grundlage unseres ethischen Handelns. Zitator: "Wenig Kenntnis des menschlichen Tuns und Lassens genügt, um zu zeigen, dass der Sinn für das Sittliche ein der Seele innewohnendes Prinzip ist und eines der mächtigsten, das sich in ihrer Organisation findet." Sprecherin: Damit ist Hume dem heutigen Stand der Wissenschaften weitaus näher als zum Beispiel sein Nachfolger Immanuel Kant, sagt Peter Millican. O-Ton 16 Millican "A very important trend" (64 sec.) A very important trend in recent moral philosophy has been to see the sentiments, fellow feeling towards each other and so forth, as crucial for understanding morality. And the idea that these things can be understood by pure reason turns out just to be quite wrong. Modern experiments in psychology, for example, have shown that people who are unable to feel in the normal way are also unable to reason about morality in the normal way. So, psychopaths, for example, (interruption...) who may be entirely rational when it comes to thinking about things like mathematics or science, if you try to get them to draw moral distinctions, to distinguish between actions which we think of as right and wrong, they seem to be unable to do it with any reliability. So our moral thinking is thoroughly infused with sentiments, with feeling, rather than pure reason. Voice-Over: Es ist ein ganz wichtiger Trend in der gegenwärtigen Moralphilosophie, Gefühle, gerade die anderen gegenüber, als entscheidend für unser Verständnis von Moral zu betrachten. Die Vorstellung, man könne diese Sachen durch reine Vernunft verstehen, hat sich als falsch herausgestellt. Moderne psychologische Experimente haben zum Beispiel gezeigt, dass Menschen, die nicht normal fühlen können, auch nicht normal über Moral urteilen können. Psychopathen zum Beispiel können vollkommen rational über Mathematik oder Naturwissenschaften nachdenken. Wenn sie aber moralische Unterscheidungen treffen sollen, zwischen Handlungen, die wir für falsch und solchen, die wir für richtig halten, dann können sie das nicht zuverlässig tun. Unser moralisches Denken wird also von Gefühlen gespeist, nicht von reiner Vernunft. Sprecherin: Unsere Empathie - Hume verwendete den Begriff "sympathy" - , die Fähigkeit mitzufühlen, im Guten wie im Schlechten, macht den Kern unseres moralischen Denkens aus. Wenn Hilfsorganisationen heute mit Bildern von niedlichen Kindern in großem Elend werben, dann setzten sie darauf, dass Gefühle in uns das Bedürfnis zu helfen auslösen. Dabei stützen sich die Werber auf Erkenntnisse der modernen Psychologie. Sie hätten aber auch einfach Hume lesen können. Dieter Birnbacher: O-Ton 17 Birnbacher "Interessanter Weise" (44 sec.) Interessanterweise hat Hume schon ganz klar festgestellt, dass uns vor allen Dingen das Leiden oder das Glück angeht, das wir in irgendeiner Weise sinnlich präsentiert bekommen. Nicht unbedingt im Sinne einer wahrnehmungsmäßigen Nähe, sondern auch medial. Also das, was uns durch Berichte, das, was uns durch Bilder oder in irgendeiner Weise anschaulich vor Augen geführt wird. Das ist etwas, das wir aus heutiger Sicht nur bejahend unterstützen können. Es bedarf immer einer gewissen Repräsentation, einer gewissen Darstellung konkreter Fälle, von Hilfsbedürftigkeit etwa, um so etwas wie Solidarität zu stimulieren und zu ermöglichen. Sprecherin: Hume versuchte, eine Ethik zu entwickeln, die frei von Spekulationen ist und die sich, so wie es andere Wissenschaften auch tun, auf Beobachtung und Erfahrung stützt. Damit ist er dem, wie heute in der Psychologie und in den Neurowissenschaften über Moral geforscht wird, schon recht nahe gekommen. O-Ton 18 Birnbacher "Hume ist gewissermaßen" (30 sec.) Hume ist gewissermaßen einer der ersten wissenschaftlich oder empirisch vorgehenden Ethiker, die statt nach großen, hohen metaphysischen Ideen zu greifen, auf schlichte anthropologische Beobachtungen, anthropologische Gegebenheiten zurück gehen und die Ethik auf einer sehr schmalen, aber für ihn einzig tragfähigen Basis zu entwickeln, nämlich auf dem, was wir anthropologisch, psychologisch über den Menschen wissen. Sprecherin: Diese Art, den menschlichen Geist psychologisch-empirisch zu untersuchen, macht Hume auch zum Vorreiter in anderen Forschungsbereichen, zum Beispiel in der Kognitionswissenschaft. Hier bestätigen Experimente der letzten Jahre Thesen, die Hume bereits vor mehr als 250 Jahren vertrat, sagt Peter Millican: O-Ton 19 Millican "Oh I think Hume" (64 sec.) Oh I think Hume would be absolutely in favor of cognitive science, and indeed in a sense one can plausibly say that he is one of the fathers of it. Perhaps I can give an example here. Hume discusses our perception of external objects. So he points out that if I look at the chair in front of me, for example, and then I turn away and then turn back, I see pretty much the same as I did before, and my mind tends to fill the gaps, that is, I assume that there has been a consistent chair all along while I turned away and looked back. And so he is pointing out that in our cognition of external things the mind is very active. We are not just perceiving what is there. We are actively filling in the gaps. And that is a lesson that is reinforce by an awful lot of cognitive science, the message that our brains are extremely active in our perceptions. We are not just passive receivers of information from outside. Voice-Over: Hume würde sich heute sehr für die Kognitionswissenschaft einsetzen, ja man könnte sogar sagen, er ist einer ihrer Gründungsväter. Ein Beispiel: Hume beschäftigt sich mit der Frage, wie wir Dinge in der Außenwelt wahrnehmen. Wenn ich einen Stuhl betrachte, mich abwende und dann wieder hingucke, sehe ich ziemlich genau das gleiche wie vorher. Mein Geist füllt die Lücke aus, das heißt, ich gehe davon aus, dass dort derselbe Stuhl die ganze Zeit gestanden hat, auch als ich nicht hingesehen habe. Hume betont, dass unser Geist eine sehr aktive Rolle spielt beim Erkennen von Dingen in der Außenwelt. Wir füllen die Lücken aktiv. Das ist eine Erkenntnis, die von sehr vielem in der Kognitionswissenschaft bestätigt wird. Wir sind eben nicht nur passive Empfänger von Informationen. Sprecherin: Humes Philosophie erscheint uns heute so aktuell, weil er den Menschen und seine geistigen Fähigkeiten in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt hat. Zudem ist er ein ungewöhnlich sympathisch wirkender Denker, der auch noch 300 Jahre später alle, die sich mit ihm beschäftigen, in seinen Bann zieht. Doch Humes so strahlender Charakter hatte auch eine dunkle Seite, sagt Gerhard Streminger: O-Ton 20 Streminger "Er hat leider" (46 sec.) Er hat leider eine Form von Rassismus vertreten. Er war der Meinung, dass Schwarze, er sagte noch Neger, dass Schwarze auf natürliche Weise den Weißen unterlegen sind. Natürlich hat er versucht, das zu begründen, weil er eben Empirist war, und er hat das so begründet, dass er sagt, Schwarze haben noch nie etwas Großes hervorgebracht. Und als man ihm sagte, dass stimmt doch nicht, empirisch, da gibt es doch so kluge Schwarze, da hat er gesagt, na gut, aber auch einen Papagei, das ist ein furchtbares Beispiel, schätzt man, der einige Sätze richtig sprechen kann, also das ist schon sehr - also das ist ganz untypisch. Aber immerhin, er hat es gesagt und er hat es auch nicht revidiert, er hat seine Ausgaben immer wieder überarbeitet, aber das hat er nicht revidiert. Sprecherin: Mit der Konsequenz, dass später auch Kant dieses Vorurteil von Hume übernahm und damit den Rassismus in der Philosophie der Aufklärung verankerte. Bis heute ist es in der Forschung umstritten, inwieweit Humes Diskriminierung und Abwertung von Schwarzen ein Vorurteil ist, das seinen eigentlichen philosophischen Überzeugungen widerspricht - oder ob sein Rassismus doch auch inhaltliche Wurzeln in seinen philosophischen Theorien hat. Gerhard Streminger vertritt die These, dass Hume bei diesem Thema menschlich versagte. Wäre er seiner eigenen Überzeugung gefolgt und hätte die empirischen Fakten betrachtet, dann hätte sich auch das rassistische Vorurteil rasch als haltlos herausgestellt. In seinen letzten Jahren verfasste Hume keine größeren neuen Werke mehr. Er war mit dem, was er erreicht hatte, zufrieden, zog sich nach Schottland zurück, überarbeitete seine Schriften, speiste mit Freunden und genoß das Leben. Bis ins Alter von 64 Jahren: Zitator "Im Frühjahr 1775 befiel mich eine Krankheit der Eingeweide, die mich zuerst nicht beunruhigte, inzwischen aber, wie ich fürchte, unheilbar und tödlich geworden ist. Ich rechne jetzt mit einer schnellen Auflösung." Sprecherin: Heute vermutet man, dass Hume an Darmkrebs litt. In seiner kurzen Autobiografie "Mein Leben" zieht er 1776 ein Resümee: Zitator "Ich schließe, wie in der Geschichtsschreibung üblich, mit der Schilderung meines eigenen Charakters. Ich bin, oder vielmehr: ich war, denn das ist der Stil, in dem ich fortan über mich selbst zu sprechen habe, doch gibt mir dieser Umstand um so mehr Mut, zu sagen, wie ich mich sehe. Ich sage also: Ich war ein Mann sanften Gemüts, war selbstbeherrscht, offen, gesellig und heiter, war leicht anderen zugetan und nur schwer jemandem feindlich gesonnen und war maßvoll in allen meinen Leidenschaften. Selbst vom Streben nach literarischem Ruhm, meiner herrschenden Leidenschaft, ließ ich mir, häufigen Fehlschlägen zum Trotz, meine heitere Laune nicht vergällen." Sprecherin: Diese Sätze mögen nach eitlem Selbstlob klingen, aber viele seiner Zeitgenossen bestätigten sie. Am 25. August 1776 starb David Hume in seinem Haus in Edinburgh. O-Ton 21 Klemme "Ein Tod" (17 sec.) Ein Tod, der ein ganz großes Echo in der europäischen Gelehrtenwelt hervorgerufen hat, weil hier jemand gestorben ist, der als bekennender Skeptiker in Ruhe und Frieden Abschied von dieser Welt genommen hat. Sprecherin: Der "große Ungläubige" wurde dafür bewundert, dass er seinen Überzeugungen auch im Angesicht des Todes bis zum Schluss treu geblieben war. Hume starb als wohlhabender und anerkannter Mann. Lange galt er in Deutschland einfach als Vorläufer Immanuel Kants - weil dieser Humes offene Fragen eigenen Lösungen zuführte. Doch aus Kants Schatten ist David Hume im Jahr seines 300. Geburtstages längst hinausgetreten. Er selbst sähe sich heute bestätigt, wenn er einen Blick auf den heutigen Stand der Wissenschaften werfen könnte, glaubt Heiner Klemme. O-Ton 22 Klemme "Wenn der Hume heute" (36 sec.) Wenn der Hume heute noch leben würde, würden wir ihn an einem schönen See, einem schönen Strand, wahrscheinlich in den schottischen Landschaften finden und dort würde er interessiert die neuen Ergebnisse im Bereich der empirischen Wissenschaften zur Kenntnis nehmen und er würde sagen: Seht ihr, ich habe es euch immer schon gesagt, Beobachtung und Erfahrung sind die einzigen Wege und Mittel, um zu geklärten Meinungen darüber zu gelangen, was wir erkennen können, was wir tun sollen, was wir glauben sollen. 1