COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 31. März 2008, 19.30 Uhr Ich weiß was! Von Tippgebern, Informanten und Denunzianten Von Paul Stänner O-Ton Preuß Darüber darf ich eigentlich bis heute nicht reden, letztlich war es so, dass ein Manager in der Neuen Heimat, der zu dieser Vietor-Truppe gehörte, der hatte - wenn ich mich recht erinnere - ein Verhältnis mit `ner Sekretärin gehabt. Das Verhältnis hatte er irgendwann beendet und da gab es die Wut der Sekretärin. (lacht) Sprecher Joachim Preuß vom Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat auch Jahre später noch viel Freude an der Sache. Die Rachsucht einer enttäuschten Sekretärin löste den größten Gewerkschaftsskandal der Bundesrepublik aus - im Zentrum der damals so legendäre wie umstrittene Neue Heimat-Chef Albert Vietor. Sprecherin Vietor und Freunde hatten ein elegantes Verfahren der beständigen Geldvermehrung entdeckt. Sie gründeten Tarnfirmen, in denen ihre Namen nie auftauchten, um die Wohnungen der gewerkschaftseigenen Neuen Heimat zu beliefern. Zum Beispiel waren sie an einer Firma beteiligt, die Neue Heimat-Wohnungen mit Fernwärme versorgte. Auf dem kleinen Umweg über diese verdeckte Beteiligung machten die Bosse Geschäfte mit sich selbst, indem sie die von ihnen erbauten und verwalteten Wohnungen aus ihrer Schattenfirma mit Heizwärme versorgten. Zu so satten Preisen, dass die Mieter klagten, die Neue Heimat heize sie aus ihren Wohnungen heraus. In Berlin beispielsweise lagen die Heizkosten 30 Prozent über dem Marktniveau. In München war die Gruppe in Immobiliengeschäfte verstrickt. O-Ton Preuß Bei der zweiten Geschichte in München, da war einer aus dem Kreis der Kameraden, der war von der Kerngruppe irgendwann abgesprengt worden und der war also nun stinkesauer, weil der hatte nicht mehr richtig partizipiert an dem ganzen Deal. Und der aber hatte diese Treuhandverträge, das werd ich nie vergessen, oben auf seinem Dachboden verstaut und hat die mir dann, nachdem ich ihn zwei Tage bequatscht hatte, auch gezeigt und gegeben. Sprecher Damit lag 1982 einer der farbigsten Skandale der Bundesrepublik auf dem Tisch - Gewerkschaftsboss betrügt Genossen. Der Schaden belief sich auf 100 Millionen Mark. Und der Ex-Boss hat auch noch die Dreistigkeit, gegen seine Entlassung und auf Lohnfortzahlung zu klagen. Sprecherin Ans Licht gekommen war die Sache nur, weil eine Sekretärin sitzengelassen und ein Mitwisser ausgebootet worden war. Ohne diese Tippgeber wäre alles so weiter gegangen. Betrug und Bestechung am laufenden Band. Im Oktober 2007 zeichnete Bundesverbraucherminister Horst Seehofer (CSU) nach der Aufdeckung eines Gammelfleisch- Skandals in Bayern den Informanten mit der erstmals verliehenen "Goldenen Plakette" aus. Sprecher Der Hintergrund: Der Fahrer hatte Schlachtabfälle von Schleswig-Holstein nach Bayern transportiert. Zu einer Wurstfabrik, das fiel dem Fahrer gleich auf. Dann musste er seinen Wagen so parken, dass er nicht beobachtet werden konnte. Beim Ausladen ging man ihm erstaunlich kollegial zur Hand: kaum dass der LKW stand, machte sich der Gatte der Geschäftsführerin daran, die Etiketten von den Verpackungen zu kratzen. Auch das fiel auf. Sprecherin Der Fahrer rief zunächst bei der Polizei an, dann bei IHK und Gewerbeaufsicht. Damit half er bei der Sicherstellung von 11,5 Tonnen Gammelfleisch. Sprecher Die Mitteilung des Ministeriums endet mit dürren Worten: Zitator Miroslaw Ricard Strecker erhielt den Ehrenpreis des Bundesministers in Gold für hervorragende Leistungen für den Erhalt der Qualität von Lebensmitteln, eine Urkunde sowie ein Präsent. Sprecherin Das wird ihn gefreut haben. Denn Herr Richter hätte auch viel Ärger bekommen können - von Seiten seines Arbeitgebers und des Kunden. Regie Akzent Musik Sprecher Es scheint sich ein Mentalitätswandel anzubahnen. Tippgeber kommen allmählich aus dem Generalverdacht heraus, mit dem die öffentliche Meinung sie überzogen hatte. Eigentlich waren Hinweisgeber immer ... Zitator Petzliesen, Kameradenschweine, Denunzianten! Sprecherin In einem Land, das zwei Diktaturen hin sich gebracht hat, hatten Menschen, die Hinweise an Vorgesetzte oder Behörden geben, immer einen schlechten Ruf. Aber wie ist es, seit wir keine Diktaturen mehr haben? Sprecher Wie viel besser hat es da Amerika - im Dezember 2002 erschienen drei Frauen auf dem Titelbild des TIME-Magazine. Alle drei waren sie Whistleblowerinnen - das ist der amerikanische Ausdruck für Menschen, die die Alarmpfeife blasen, wenn sie merken, dass Unrecht geschieht. Und sie hatten sich wirklich nicht danach gedrängt, in die Ehrengalerie "Person of the year" aufgenommen zu werden. Aber da sie sich als Hinweisgeberinnen einen Namen gemacht haben bei Skandalen um das FBI oder die Pleitefirma Enron, wurden sie auch öffentlich geehrt. Sprecherin Bei uns ist es jedoch noch so, dass der Whistleblower sich bewegen muss wie ein Dealer mit illegaler Ware. An wen soll er sich mit seiner Konterbande wenden? Regie Akzent Musik Sprecherin Bislang konnte sich die sitzengelassene Sekretärin oder der enttäuschte Kumpan, der von den Fleischtöpfen der illegalen Gewinne vertrieben wurde, an die Presse wenden. Es gab und gibt Presseorgane, die solche Informationen und Anregungen gern aufnehmen. Sprecher Bisher konnte man die Redaktion seines Vertrauens anrufen und einem investigativen Redakteur seine Kenntnisse mitteilen. Im Zeitalter des Terrorismus bekam die Sache allerdings einen Haken. Der Bundestag hat zum 1. Januar 2008 die so genannte Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Danach kann jetzt - ohne dass ein Verdacht vorliegt - gewissermaßen routinemäßig der Telefon- und email- Verkehr einer Redaktion gescannt werden. Sprecherin Es werden zwar nicht die Inhalte der Gespräche abgehört, aber die Verbindungsdaten gespeichert - wer hat wann mit wem telefoniert? Hat man erst einmal diese Daten, ist es ein Leichtes, herauszufiltern, wer einem Redakteur Informationen etwa zur Vergabe überteuerter Bauaufträge zugesteckt hat. Take Grimberg Das ist die konkrete Gefahr. Sprecher Steffen Grimberg ist Medienredakteur bei der Berliner Tageszeitung "taz" und Mitglied der Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche". Take Grimberg Die etwas unkonkretere, aber für die Berichterstattung viel verhängnisvollere Gefahr sehe ich darin, dass natürlich potentielle Informanten jetzt unter Umständen auch abgeschreckt werden. Einfach weil diese Möglichkeit der Rekonstruktion, vielleicht sogar des tatsächlich Abgehörtwerdens besteht, sind sie gar nicht von sich aus mehr bereit, sich an Journalistinnen/Journalisten zu wenden und auf bestimmte Dinge hinzuweisen, und da sehe ich die viel größere Gefahr dieser gesetzlichen Maßnahmen. Von daher kann Herr Seehofer gern noch Lkw-Fahrer belobigen, ob die sich allerdings noch trauen, sich ihrerseits an die Medien zu wenden, oder andere sich trauen, dass muss man mal sehen. Sprecher Kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht in einer Eilentscheidung die Weitergabe der Daten nur in schweren Fällen wie Mord, Geiselnahme und Kinderpornographie erlaubt. Der unterlegene Bundesinnenminister lobte pflichtschuldigst das Urteil. Regie Akzent Musik Take Kemper 2001/2002 wurde in Spandau ein sehr angesehener Mitarbeiter aus dem Bauamt in seinem Büro nach längeren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft festgenommen. Und bei der Festnahme hat man festgestellt, dass dieser Mitarbeiter des Bauamtes in seiner Aktentasche einen Briefumschlag hatte und in diesem Briefumschlag befand sich ein größerer Geldbetrag und ein weiteres Schreiben von einem Unternehmen, in dem das Unternehmen sich bedankte für die gute Zusammenarbeit mit diesem Mitarbeiter im vergangenen Jahr und man hoffe doch auf eine weitere gute Zusammenarbeit in den nächsten Jahren. Sprecherin Die durchsuchenden Ermittler werden ihre helle Freude gehabt haben, als sie sahen, dass die bestechende Firma auf ihrem offiziellen Firmenbriefpapier dem Bestochenen für seine Bestechlichkeit dankte. Take Kemper Es gab im Bezirksamt schon, wie in vielen Verwaltungen, herkömmliche Korruptionspräventionsmassnahmen, es gab eine interne Arbeitsgruppe zur Korruptionsbekämpfung. Sprecher Jürgen Kemper ist Anwalt in einer großen Kanzlei in der Mitte Berlins. Take Kemper Nach diesem Vorfall hat man aber überlegt, dass diese traditionellen Maßnahmen einfach nicht ausreichend sind, um solche Sachverhalte frühzeitig aufzudecken und man hat sich überlegt, man muss jetzt mal was anderes machen, was Innovatives machen, denn das Problem jeder Korruptionsbekämpfung liegt eigentlich darin, dass man nicht die notwendigen Informationen bekommt. Sprecherin Also wurde nach einer Konstruktion gesucht, die es dem Hinweisgeber, dessen Kenntnisse man ja wollte, ermöglicht, einen Ansprechpartner zu finden, dem er sich geschützt anvertrauen kann. Sprecher Der entscheidende Punkt war, dass die Anlaufstelle für einen Tippgeber auf jeden Fall außerhalb der Behörde angesiedelt sein sollte. Man nahm also eine Anwaltskanzlei unter Vertrag, bei der der Ombudsmann untergebracht ist. Erfreulicher Nebeneffekt - der Mann ist Anwalt. Somit kennt er sich in der Beurteilung von Rechtslagen aus und - er hat seinem Ansprechpartner gegenüber ein Schutzrecht. Take Kemper Ich werde nicht sein Anwalt, aber er sucht mich auf als Anwalt und deswegen kann ich auch von meinem Recht, ja von meiner Pflicht zur Verschwiegenheit Gebrauch machen und das ist das Wichtigste, damit dieses System funktioniert. Derjenige, der zu mir kommt, muss sicher sein, dass ich die Informationen nur insoweit weitergebe, wie er mir das gestattet. Mache ich mehr, gebe ich seinen Namen bekannt, obwohl er dass nicht will, würde ich mich selbst strafbar machen. Daran hab ich auch selber kein großes Interesse, aber tatsächlich ist das das Wesen der Funktion des Ombudsmannes, er kann sicherstellen, dass - sofern das gewünscht ist - der Hinweisgeber anonym bleibt - aus welchen Motiven auch immer. Sprecher Der Anwalt wird versuchen, mit dem Tippgeber Kontakt aufzunehmen - einfach, weil ein persönliches Gespräch immer die informativste Quelle ist. Wenn der Tippgeber aber niemanden sehen will, bleibt er ungesehen. Sprecherin Der konventionelle Vorbehalt gegen solche Verfahren, die es anonymen Hinweisgebern ermöglichen, gewissermaßen unerkannt aus dem Dunkel mit dem Finger auf jemanden zu zeigen, lautet: Da kann ja jeder kommen! Take Kemper Es gibt unterschiedliche Motive, nicht alle sind immer ehrenwert, aber der Großteil ist ehrenwert der Motive, die ich bisher herausgefunden und erfahren habe. Es ist häufig, dass über einen längeren Zeitraum jemand sieht, da läuft etwas nicht richtig. das schleppt er dann einige Zeit mit sich rum und dann plötzlich platzt der Knoten und er sagt, so kann das einfach nicht weitergehen. Sprecher Kempers Erfahrungswerte besagen, dass die Hälfte der Angaben keine korruptionsrelevanten Informationen beinhalten. Bei ungefähr 30 Prozent stellt sich heraus, dass Unkenntnis zum Beispiel im Vergaberecht dazu geführt hat, dass ein Vorgang wie Korruption erschien, aber nicht war. Zehn bis 20 Prozent der Angaben erfordern aber, dass weiter ermittelt wird. Take Kemper In den jetzt über sechs Jahren Erfahrungen als Ombudsmann habe ich nur einen einzigen Fall gehabt, in denen es um das Anschwärzen ging, was man heute auch Mobbing nennen könnte. Das war eine erstaunliche Erfahrung, die wir am Anfang auch gar nicht so erwartet haben, die Fälle sind sehr, sehr gering. Take Strack Es ist sicherlich ein erster Schritt in die richtige Richtung, dass überhaupt mal ein Ansprechpartner da ist. Sprecher In Köln gibt es das Whistleblower.net, ein Netzwerk, das sich die Unterstützung von Whistleblowern und die Verbesserung ihrer rechtlichen Situation zum Ziel gesetzt hat. Guido Strack ist der Vorsitzende des Netzwerks. Take Strack Ich bin selbst Whistleblower, bei der EU-Kommission, und hab halt da gemerkt, dass es in den angelsächsischen Ländern schon einige Whistleblower-Schutzregelungen gibt, auch im EU-Beamtenrecht, die zum Teil funktionieren, zum Teil nicht, und dass es in Deutschland aber im Prinzip noch gar nichts gibt in dem Bereich. Sprecher Seine eigene Rolle als Whistleblower übergeht Guido Strack mit wenigen Worten, weil in seinem Fall noch mehrere Gerichtsverfahren offen sind, so dass er sich im Augenblick dazu nicht äußern will. Take Strack Nun sind diese Ombudsmann-Systeme teilweise sehr unterschiedlich ausgestaltet, teilweise ist es nur ein interner Ombudsmann, der gar keine rechtliche Absicherung selbst hat, in vielen Fällen ist es aber auch, und das ist die bessere Variante, ein unabhängiger Anwalt, der dann für eine Firma die Funktion eines Ansprechpartners übernimmt. Zumeist ist das Ganze beschränkt auf Korruption, wirtschaftskriminalitäts-relevante Aspekte, was unserer Meinung nach zu kurz greift, denn es kann genau so sein, dass irgendwelche Umweltstraftaten begangen werden und auch da sollte das bekannt werden und sollte abgestellt werden. Sprecher Und dann gibt es aus der Sicht des Hinweisgebers noch ein zweites Manko: Take Strack Grundproblem ist weiter, dass diese Anwälte ja letztlich im Auftrag der Firma arbeiten und an die Firmenspitze Dinge zurückmelden. Und in dem Moment hat das Unternehmen es immer noch in der Hand, diese Nachrichten zu unterdrücken, d.h. der Whistleblower kann sich nicht darauf verlassen, dass sich wirklich was ändert oder das jemand wirklich Unabhängiger die Sache untersucht, denn die Untersuchungen werden in den meisten Fällen nicht von den Ombudsleuten, sondern von internen Unternehmensstellen durchgeführt. Regie Akzent Musik O-Ton Heinisch Ich habe im Pflegeheim Teichstraße gearbeitet und war dort tätig als examinierte Pflegekraft und habe dort sehr krasse Missstände erlebt - Sprecherin Brigitte Heinisch, Altenpflegerin in Berlin. Take Heinisch Im Zuge der Teilprivatisierung wurde Personal eingespart bei Vivantes und dadurch war natürlich weniger Personal in den Wohnbereichen und dadurch konnten wir die Leute nicht regelmäßig versorgen. Es kam auch dazu, dass die Leute bis mittags in Urin und Kot gelegen haben, weil wir das einfach nicht geschafft haben. Wir haben es nicht geschafft, ihnen regelmäßig Frühstück zu geben oder Mittag. Dann stand eben das Mittag kalt und - ja, und die Kollegen, die haben ja darunter sehr gelitten und ich auch. Sprecherin Brigitte Heinisch wendet sich an die Geschäftsleitung. Es werden immerhin zehn Überlastungsanzeigen geschrieben, im Interesse der Patienten und auch im eigenen Interesse. Die Pflegekräfte sind verantwortlich für die ihnen unterstellten Praktikanten und Helfer. Wenn - aus Mangel an Mitarbeitern etwa - irgendetwas passiert, kann sich die Geschäftsleitung an die zuständigen Angestellten halten. An den Missständen ändert sich nichts, nur die Personalpolitik wird grob unfreundlich. Take Heinisch In einer Dienstbesprechung wurde uns gesagt, das Pflegepersonal hat sich nicht darüber zu äußern, dass es zu wenig Personal gibt und dass eben Missstände da sind. Gegenüber Angehörigen und Außenstehenden. Und das kann natürlich zu arbeitsvertraglichen Reglementierungen kommen. Sprecher Mit anderen Worten - die Angesellten wurden vergattert, die Missstände zu decken. Take Heinisch Da war für mich klar, dass da ein ganz großes Sparprogramm läuft. Offen wurde ja auch damit agiert, dass viele Stellen nicht besetzt sind, hat ja selber auch der Betriebsrat zugegeben, und da war für mich der Betrug klar. Und ich lass mich nicht unter Druck setzen. Und ich bin auch kein Handlanger. Also, es war mir kriminell, und da hab ich mir gedacht, da gehst du jetzt zur Staatsanwaltschaft, die werden es überprüfen, damit willst du nichts zu tun haben. Das ist eine ganz normale, selbstverständliche Sache. Sprecherin Könnte man denken, ist aber weit gefehlt. Die Anzeige läuft auf Betrug - die Personaldecke ist zu dünn für die zu leistende Arbeit - und Nötigung - nämlich die Aufforderung, den Mund zu halten. Der Arbeitgeber empfindet diesen Akt der Angestellten als Angriff und setzt sich zum Wehr. Take Heinisch Ich hatte diese Strafanzeige ja gestellt und in den ganzen Auseinandersetzungen und in dieser schwierigen Arbeitssituation bin ich auch öfters krank gewesen und Vivantes hatte mich dann krankheitsbedingt gekündigt. Im Januar 2005 hatte die Staatsanwaltschaft mir geschrieben, dass sie die Sache einstellt, sie sehen da keinen Grund zu ermitteln, und einen Tag später hab ich meine krankheitsbedingte Kündigung erhalten. Sprecher Der Arbeitgeber stellt noch zwei weitere Kündigungen aus, offenbar will der Klinikkonzern Vivantes ganz sicher gehen. Dass die Vorwürfe, um die sich die Staatsanwalt und später auch das Arbeitsgericht nicht kümmern wollen, stimmen, berichtet die Fernsehsendung Report Mainz im Jahr 2006. Report Mainz war in den Besitz eines Berichts des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen gelangt und zitierte daraus, die pflegerische Versorgung der Alten sei "unangemessen und risikohaft", sogar die Flüssigkeitsversorgung sei gefährdet gewesen. Später bedankt sich Vivantes nicht ausdrücklich für diese Hinweise, erkennt aber... Zitator Optimierungsbedarf Sprecher ...und gibt an, man habe eine ... Zitator Optimierungsoffensive gestartet, um die bislang nicht ausreichend genutzten Potentiale auszuschöpfen. Sprecher Was immer das heißen mag. Die suboptimalen Verhältnisse sind die eine Seite, die andere Seite ist, dass die Angestellte Heinisch hätte den Mund halten sollen. Mittlerweile war auch ein Flugblatt der Verdi-Betriebsgruppe erschienen: Der zweite Kündigungsgrund. Frau Heinisch dachte: Take Heinisch Also jetzt, wenn du vor das Arbeitsgericht gehst, die werden das auch sofort erkennen, dass das nicht richtig ist und die Justiz wird das richtig stellen. War aber ein Irrglaube (lacht). Sprecherin Was hat Frau Heinisch falsch gemacht? Sie hätte schon vor Jahren den Mund halten sollen. Das hätte dann zwar zur Folge gehabt, dass die alten Menschen in den Pflegeheimen unter nicht hinnehmbaren Bedingungen gelebt hätten, aber Frau Heinisch hätte sich an das gehalten, was ihr die Richter und Staatsanwälte mittlerweile vordekliniert haben - sie hätte ihre Loyalitätspflicht gegenüber ihrem Arbeitgeber erfüllt und akzeptiert, dass die freie wirtschaftliche Betätigung des Arbeitgebers Vorrang hat vor Arbeitnehmerinteressen, selbst wenn die die Interessen hilfloser Heiminsassen schützen wollen. Guido Strack vom Whistleblower.net: Take Strack Generell sagt die Rechtsprechung im Moment: jemand, der Missstände am Arbeitsplatz feststellt, soll die zunächst intern melden, nur in ganz großen Ausnahmefällen, wenn die interne Meldung nicht zumutbar ist, dann darf er dass auch an Behörden oder im absoluten Ausnahmefall auch in die Öffentlichkeit weitertragen. Aber im Prinzip trägt der Whistleblower immer dieses Beurteilungsrisiko, was im jeweiligen Fall erlaubt ist und am Ende findet dann vor Gericht eine Abwägung statt, ob die Interessen an dem Treueverhältnis und dem Geheimhaltungsschutz des Betriebsinhabers überwiegen oder die Interessen des Whistleblower bzw. der Öffentlichkeit an dem Whistleblowing und das ist für den Whistleblower im vorhinein überhaupt nicht kalkulierbar. Take Lindner Es ist ja nun gerade das große Problem des Whistleblowers, dass er hier in Deutschland rechtlich keinen Schutz hat. Sprecher ...sagt einer, der Frau Heinisch hätte warnen können. Wolfgang Lindner leitet im Landeskriminalamt Hannover die Zentralstelle Korruption. Take Lindner Ein Hinweisgeber aus einer Behörde, aus einem Unternehmen, der sich unmittelbar an die Justiz oder an die Polizei wendet, muss damit rechnen, wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen, Geschäftsgeheimnissen angezeigt zu werden und auch entlassen zu werden und da gibt es Beispiele genug. Regie Akzent Musik Sprecherin Es gab in den Jahren 2000 und 2001 die ersten größeren Ermittlungsverfahren im Bereich der Korruptionsbekämpfung. Die Politik der damaligen Landesregierung von Niedersachsen war es, diese Form der Kriminalität verstärkt zu bekämpfen. Es wurde eine Schwerpunktabteilung eingerichtet. Sprecher Ziel der neuen Dezernats war es, möglichst viele Hinweise aus der Bevölkerung, aus den Behörden und Unternehmen zu bekommen, die auf die Spur von Wirtschaftskriminellen führen konnten. Allerdings endet der gute Vorsatz damit, dass in den ersten 13 Monaten nicht ein einziger Hinweis einging. Sprecherin Was nach der vorangehend beschriebenen Erfahrung auch kein Wunder ist. Da stieß das LKA Hannover auf ein Internet-Portal, das sich genau dieses Ziel zur Aufgabe gemacht hat - Informationen sammeln, ohne den Informanten zu gefährden. Sprecher Der Hinweisgeber begibt sich auf die Seite www - Punkt - LKA - Punkt - niedersachsen - Punkt --de und findet dort einen Raum, in dem er seine Angaben niederschreiben kann. Das verläuft anonym und kann wegen der technischen Sicherungen des Systems nicht rückverfolgt werden. Das Landeskriminalamt Niedersachsen hat eigens einen unabhängigen Experten bestellt, der die Sicherheit des Systems zertifiziert hat. Wolfgang Lindner: Take Lindner Wir haben dieses Portal eingerichtet 2003.Wir waren das erste Unternehmen deutschlandweit, weltweit, das ein solches Portal eingesetzt hat. Wir konnten nicht ahnen, was dort auf uns zukommt. Wir sind sehr schnell überzeugt worden, dass dieses System sich rentiert, dass wir sehr viele Hinweise bekommen und können sagen, dass sind im Schnitt ein bis zwei Meldungen pro Tag. Sprecherin Das Internetportal des Landeskriminalamtes Niedersachsen sammelt Informationen zu zwei Straftaten: Wirtschaftskriminalität und Korruption. Die Konzentration auf diese beiden Vergehen ergibt sich aus der polizeilichen Bearbeitungsmöglichkeit. Take Lindner Das System ist so ausgelegt, dass sich der Hinweisgeber einen Postkasten einrichten kann. Das ist eine optionale Möglichkeit. Wir möchten natürlich schon mit dem Anonymus in Kontakt treten Das können wir nur, wenn er tatsächlich bereit ist, sich einen Postkasten einzurichten. Sprecherin Von den Kontaktpartnern, die sich in den vergangenen vier Jahren an das LKA gewandt haben, haben immerhin 80 Prozent einen Postkasten eingerichtet - was Wolfgang Lindner als einen großen Vertrauensbeweis in seine Behörde wertet. Aber immer noch ist und bleibt der Hinweisgeber, wenn er es wünscht, anonym. In Hannover sind in den vergangenen vier Jahren rund eintausend Hinweise eingegangen. Take Lindner Ein Teil der Hinweise ist schon wieder eingestellt worden seitens der Justiz, aber es gibt auch schon erste Verurteilungen. Und zu einer solchen Verurteilung zählt folgender Hinweis, den wir kurz nach Beginn des Projektes, nämlich am 1.12.2003, bekommen haben. Und zwar schreibt dort der Hinweisgeber folgendes: In ihren Reihen - also, er meint damit uns selber, uns Polizei - gibt es einen hohen Beamten, der für die Expo einen Fitnessraum für die Polizei einrichtete. Für seine Mühe bekam er 25 Prozent Provision. Die Firma - nennen wir sie jetzt hier mal X-Metallbau aus A- Stadt - geriet 2002 in Panik, als in der Zeitung ein Artikel erschien, dass gegen den Judo-Trainer K. - das ist nämlich der Polizeibeamte gewesen - eine Anzeige gestellt sei. Es wurden alle Hinweise auf Zahlungen in der Firma gelöscht. Die Sache verlief aber im Sand. Mittlerweile gibt es wieder neue Bestellungen, von K. für die Polizei. Das war die Originalmeldung, der Hinweisgeber hatte sich leider keinen Postkasten eingerichtet, also konnten wir keine Rückfragen stellen. Wir haben aber dennoch diesen Sachverhalt aufklären können, es war natürlich sehr zeitintensiv. Dieser Sachverhalt hat sich bestätigt, nicht nur das, er hat sich nicht nur schmieren lassen, sondern wir konnten ihm auch noch Untreue und Betrugshandlungen nachweisen, und er ist im Herbst vergangenen Jahres verurteilt worden wegen Vorteilsannahme und wegen der anderen Straftaten zu einem Jahr, sechs Monaten Freiheitsstrafe. Damit wäre er zwangsweise aus dem Polizeidienst entlassen worden, er hatte aber vorher schon gekündigt und ist kein Polizeibeamter mehr. Regie Akzent Musik Sprecher Der entscheidende Faktor ist die Qualität der Hinweise. Wie seriös sind sie? Und das heißt auch: Aus welchen Motiven heraus werden sie eingereicht? Take Lindner Ich schätze mal, so etwa 50 Prozent beinhalten schon strafbare Handlungen. Die Mehrheit der Hinweisgeber bringt schon konkrete Dinge vor. Die Gefahr, die wir anfänglich gesehen hatten, vor Start des Projektes, dass wir hier möglicherweise überschwemmt werden von Denunzianten, diese Gefahr hat sich so Gott sei Dank nicht bewahrheitet. Es gibt sicherlich einige Denunzianten, die haben wir vorher aber auch schon gehabt auf herkömmlichem Wege. Auf die Nutzung dieses Internetsystems, da sind die Denunzianten nicht vermehrt angesprungen. Sprecherin Beide Hinweisgebersysteme, sowohl der Ombudsmann wie auch das computergestützte System, das beim Landeskriminalamt Hannover und mittlerweile schon vielen weiteren Institutionen zum Einsatz kommt, haben aus der Sicht von Guido Strack von der Hilfsorganisation Whistleblower.net denselben gesellschaftlichen Nachteil... Take Strack ..., dass Anonymität den Whistleblower wieder in ein Dunkelfeld schiebt, während wir eigentlich genau das Umgekehrte bräuchten, dass whistleblowing akzeptiert wird, dass anerkannt wird, dass Whistleblower etwas für die Gemeinschaft tun und dass sie deswegen auch von der Gemeinschaft Schutz verdienen. Sprecherin Wir haben es also mit einer Mentalitätsfrage zu tun. Das öffentliche Ansehen des Whistleblower muss seiner gesellschaftlichen Funktion angepasst werden. Take Strack Ich denke, es muss sich ändern, es ändert sich aber leider Gottes nur ganz langsam, während in den angelsächsischen Ländern ist whistleblowing schon ganz lange ein Thema und auch sehr vorteilhaft gesehen wird, während es tatsächlich so ist, dass in Deutschland oder auch in Frankreich und auch in den Ostblockstaaten, den ehemaligen, dieses Denunziantentum immer wieder als Verdacht da ist. Dabei hat es eigentlich sehr wenig damit zu tun, weil der Denunziant, der braucht keine Whistleblower-Schutzregelung, der erhofft sich, dass er für diese Mitteilung Vorteile erfährt unmittelbar, während es dem Whistleblower ja nicht in erster Linien darauf ankommt, Vorteil zu erzielen, sondern im allgemeinen Interesse Dinge zu verändern und Risiken bekannt zu geben und Missstände abzustellen. D.h. wenn wir den Schutz für den Whistleblower fordern, dann geben wir ihm damit nichts Positives, sondern stellen nur seinen Status quo sicher. Regie Musik Sprecher Die Skandale der letzten Jahre in unterschiedlichen Branchen haben deutlich gemacht - wir brauchen Leute, die aufpassen. Journalist Steffen Grimberg aber meint: Take Grimberg ..., dass nach wie vor unglaublich viel Mut dazu gehört, Missstände anzuprangern, wenn man selber in einer Behörde sitzt, wenn man selber in dem Unternehmen sitzt, um das es geht. Und da müsste eigentlich noch viel mehr getan werden. Da nutzen entsprechende Verpflichtungen gerade bei den großen international tätigen Aktiengesellschaften auch ein bisschen zu wenig. Da müsste noch viel stärker, müssten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermutigt werden, die "Pfeife" zu blasen, wenn man whistleblowing mal wörtlich übersetzen möchte. Sprecherin Die Öffentlichkeit weiß solches Engagement mutiger Einzelgänger zu schätzen. Die Altenpflegerin Brigitte Heinisch wurde mit dem Publikumspreis der Sendung "Brisant" ausgezeichnet. Take Heinisch "Brisant - Heldin des Alltags", das war 2006, und da haben die Zuschauer darüber entschieden. Da waren sechs Kandidaten, und die konnten dann eben anhand des Falles entscheiden, wer nun Heldin oder Held des Alltags ist und da hatten sich die Zuschauer für mich entschieden. Sprecher Man könnte den Fall Heinisch als Lehrbeispiel dafür ansehen, dass organisatorische, technische, juristische Systeme gefunden und angewendet werden müssen, die den Whistleblower vor der Rachsucht oder auch nur vor dem falsch verstandenen Selbstschutz des Angegriffenen schützen. Einfach, weil Moral und wirtschaftliches Denken in unserer Gesellschaft es erfordern, das solche Hinweisgeber eher ermutigt als eingeschüchtert werden sollten. Wahrscheinlich können wir es uns im Wortsinn nicht leisten, auf diese Leute zu verzichten. Take Strack Es bedarf eines Whistleblower-Schutzgesetzes. Denn der Whistleblower hat ja immer die Alternative zu schweigen. Er wird nur dann zum Whistleblower, wenn es die Sache wert ist, wenn es eine ganz wichtige Sache ist, und wenn er meint, halbwegs heil raus zu kommen bei der ganzen Geschichte. D.h. wenn er Sanktionen befürchten muss, dann wird er das Whistleblowing unterlassen und das ist zum Schaden des Unternehmens und zum Schaden der Allgemeinheit. Spr. vom Dienst Ich weiß was! Von Tippgebern, Informanten und Denunzianten Eine Sendung von Paul Stänner Es sprachen: Julia Mohn, Thomas Fränzel und Wolfgang Condrus Ton: Alexander Brennecke Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2008 1