DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hintergrund Kultur / Hörspiel Freitag, 25.6.2010 Redaktion: Hermann Theißen 20.10 ? 21.00 Uhr Feature Frühlingsstürme Die letzte Operette der Weimarer Republik Von Christoph Schwandt Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Regie (Ganz im Hintergrund knistert die CD "Du wärst für mich die Frau gewesen) Baltischew (ist über die Straße von links in den Garten eingetreten) Exzellenz, ich bitte um das Losungswort für heute Nacht ... . Katschalow (hört ihn nicht, vollendet, sinnend vor sich hin): Frühlingsstürme ... . Baltischew (salutierend) Ich danke Exzellenz. Katschalow (kommt zu sich, gewahrt Baltischew) Was ist denn? Was willst du, Oberst Baltischew? Baltischew Ich habe um das heutige Losungswort gebeten. Exzellenz haben "Frühlingsstürme" befohlen. Katschalow So? Habe ich befohlen? Na ja, dann lassen wir es dabei. (Grimmig) Schade, dass ich nicht überall "Frühlingsstürme" befehlen kann. Regie Ausschnitt aus der Rundfunkreportage 30. Januar 1933 Sprecherin Frühlingsstürme ? Die letzte Operette der Weimarer Republik. Ein Feature von Christoph Schwandt MUSIK "Frühlingsstürme": Duett Nr. 9 "Nimm mich nach China mit ... " TB 111 Auszug: S.63 Tatjana Mein Freund, ich kam schon weit herum, Doch eins wär völlig neu für mich: Ein Rausch, ein Schwips von Opium, Und deshalb bitt`ich dich: Refrain Nimm mich nach China mit in`s Reich der Mitte, Ich möchte´gern seh`n, wie dort das Leben ist! Sag`, existiert dort schon der ominöse Dritte, Der gern in fremden Ehen heimlich küßt? Gibt`s dort schon Jazzmusik? Und Partei`n und Politik? Hat dort der größte Schreier Glück? Nimm mich nach China mit in`s Reich der Mitte, Ich fahre dann, Ich fahre dann Im Leben nie zurück! Roderich Es gibt Regierungskrisen dort ... (Roderich singt statt "Man sagt vom Chinamann sogar ... ": "Es gibt Regierungskrisen dort ... ", worauf der Pianist abbricht DER PIANIST Aber bitte, Siggi, das haben wir doch geändert ... TATJANA/ELSE ELSTER Und mein Text muss auch geändert werden! "Hat dort der größte Schreier Glück?" Als deutsche Frau kann ich das nicht singen. DER PIANIST Das entscheidet der Liberetist TATJANA/ELSE ELSTER Hat er schon. singt und der Pianist setzt unter dem Gesang wieder ein Gibt`s dort schon Jazzmusik? Und gilt mager sein als schick? Und kennt man jeden Liebestrick? Nimm mich mit nach China mit in`s Reich der Mitte, Ich fahre dann, Ich fahre dann Im Leben nie zurück! Roderich Man sagt vom Chinamann sogar, Dass er ein Sohn des Himmels ist, Daraus ergibt sich sonnenklar, Dass er auch himmlisch - ja wirklich himmlisch küßt! Refrain Tatjana und 8 Mädchen Nimm mich nach China mit in`s Land der Drachen. Ich möchte gern seh`n, wie dort das Leben ist! Klavierbegleitung geht weiter und wird unter den Text gelegt SPRECHERIN 1932, kurz nach Weihnachten. In den Proberäumen des Berliner Admiralspalasts werden die "Frühlingsstürme" einstudiert. Die Freunde der leichten Muse hatten sich an den Feiertagen unter anderem an Paul Abrahams jüngster Erfolgsoperette "Ball im Savoy" erfreuen können, deren Uraufführung im "Großen Schauspielhaus" erst am Tag vor Heiligabend bejubelt worden war.. Theateratmosphäre und später MUSIK (Hans Albers - "Komm' in die Schaukel ... ") von CD EMI 7937902/Track05 von Anfang Auf der Bühne des Admiralspalasts ist nach den Feiertagen endlich wieder Hans Albers als Liliom zu sehen. Theateratmosphäre und später MUSIK (Hans Albers - "Komm' in die Schaukel ... ") von CD EMI 7937902/Track05 von Anfang SPRECHERIN Das Bühnenhaus direkt am Bahnhof Friedrichstraße brauchte den "blonden Hans" als Publikumsmagneten. Zwar war der Admiralspalast nicht unmittelbar von den finanziellen Schwierigkeiten der Brüder Alfred und Fritz Rotter betroffen, die lange Zeit im kommerziellen Berliner Unterhaltungstheater den Ton angegeben hatten. Der antisemitische Druck richtete sich inzwischen aber auch gegen die vielen jüdischen Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne und hinter den Kulissen. Zudem hatten es, wie die BZ am 6. Januar 1933 schrieb, alle Theater schwer in diesen Zeiten der Wirtschaftskrise. Sprecher Nach einem guten Geschäft an den beiden Weihnachtstagen und zu Silvester waren die Einnahmen... an den meisten Bühnen rapid gesunken... Die Geschäfte mit ihrem Inventur-Verkauf haben größere Anziehung als die Theater ausgeübt... Auf der andern Seite hat... erhöhtes politisches Leben mit Versammlungen viele hunderte ... Theaterbesucher abgezogen... MUSIK hochfahren (Hans Albers - "Komm' in die Schaukel ... ") SPRECHER Albers war ein echter Volksschauspieler. Er ging auf das Publikum los wie ein Stier in der Arena. Er rotzt auf seine Partnerin, und die Zuschauer jubeln über seine Frechheit, er schluchzt, und das Publikum löst sich in Tränen auf. Er war der erwünschte Typ der heraufkommenden Zeit, groß, blond, blauäugig, mit dem Gang eines Raubtiers... SPRECHERIN ... erinnerte sich Ernst Josef Aufricht, den die Nationalsozialisten den "roten Theaterdirektor" nannten. Er war Chef des Theaters am Schiffbauerdamm gewesen und hatte dort 1928 die "Dreigroschenoper" aus der Taufe gehoben.Nun versuchte er sich als freier kommerzieller Theaterproduzent nach amerikanischem Vorbild. Aufricht hatte dem Admiralspalasts die schon anderswo bewährte "Liliom"-Produktion vermittelt und nun sollten dort die "Frühlingsstürme" wehen. Das bis ins Detail ausgearbeitete Regiebuch der Operette war schon im Druck, als die Proben noch liefen. Ganz wie die Broadway-Erfolge sollte das Werk später in der Original-Inszenierung vermarktet werden. Als Regisseur war Heinz Saltenburg verpflichtet, ein erfahrenen Bühnenpraktiker österreichisch-ungarischer Herkunft. MUSIK (Klavier,Introduktion/Melodram Nr. 1, durch Improvisation verlängerbar?) Alles Folgende über Musik gesprochen: SPRECHER Bei Vorhangaufgang ist es sonnenheller Nachmittag. In Garten steht General Katschalow und erklärt dem neben ihm stehenden Oberst Baltischew ... die strategische Situation. Sämtliche Generalstäbler ... in feldmäßiger Ausrüstung, mit Säbel und Kopfbedeckung ... Katschalow ... ist ein ergrauter, stattlicher Mann von ca. 55 Jahren, elegante, stramme Figur, sympathische Gesichtszüge, trotz seiner Gutmütigkeit durchaus ernstzunehmende Erscheinung, energisch, willenskräftig, aber im gegebenen Moment voll Humor und überhaupt mit einem Stich ins Charakter-Komische zu spielen. Katschalow: Meine Herren, so liegt die Situation ... Die Lage ist für uns äußerst günstig ... Wollen Sie bitte die Details zur Kenntnis nehmen ... Der Feind steht hier - und hier - und hier - Wir greifen morgen an, Die roten Fähnchen, das sind wir, - So rücken wir heran! Um zehn setzt Trommelfeuer ein, Die Infant'rie gleich hinterdrein, Den Feind im Sturm zu packen! Das Ganze hundertzehnte Korps Rechterseits vor, Und hier die Don-Kosaken! Baltischew: Fabelhaft! Alle Offiziere (durcheinander): Ganz ausgezeichnet! Katschalow: (reicht dem Oberst einige Couverts) Die Aufmarschpläne schriftlich hier! Baltischew: (Gibt die Couverts einem Offizier) Geht weiter durch Courier! Katschalow: Nun Schluss für heut'! Baltischew: Es ist auch schon höchste Zeit, Wir sind ja eingeladen! Katschalow: Ein Glas Champagner, meine Herr'n? Alle Offiziere: Zu dienen, Exzellenz, recht gern! Baltischew: Champagner kann nicht schaden! SPRECHERIN Die Leitung des Admiralspalastes wollte nicht wieder ein Schauspiel mit ein bisschen Musik: Diesmal sollte es ein großes Stück unterhaltenden Musiktheaters sein, eine spektakuläre Operetten-Uraufführung! Ganz in diesem Sinne hatte die BZ schon in der ersten Ausgabe des neuen Jahres gemeldet: SPRECHER Weinberger und Beer sind in Berlin eingetroffen, um an den Proben teilzunehmen. Neben Richard Tauber ist Jarmila Novotna verpflichtet worden. SPRECHERIN Richard Tauber war das Gegenteil vom draufgängerischen Hans Albers. Der Startenor verkörperte auf der Bühne mit charmanter Zurückhaltung die sensiblen, oft die verzichtenden Liebhaber. Premieren mit Richard Tauber waren, wie der Zeitzeuge Willy Haas festhielt: SPRECHER Die pompösesten Premieren Berlins - mit Hermelinumhängen, großem Schmuck und großen Abendtoiletten, und mit einer endlosen Reihe von Rolls Royces, Mercedes, Lincolns, Maybachs, Cadillacs vor dem Theater.. SPRECHERIN Die Attraktion für Kritiker und Fachpublikum aber ist Weinberger! Vor drei Jahren war seine Oper "Schwanda, der Dudelsackpfeifer" aus dem Stand heraus die meistgespielte Oper auf deutschsprachigen Bühnen geworden. Und sie reüssierte nun in der ganzen Welt: auch in New York steht "?vanda dudák" - so der tschechische Originaltitel - mittlerweile oft auf dem Spielplan der Met; an Covent Garden ist die Londoner Erstaufführung für das kommende Jahr geplant. (Fortsetzung) Introduktion/Melodram Nr. 1 Katschalow: Meine Herren, treten Sie ins Haus und lassen Sie sich den Champagner schmecken! Sie sollen leben -, das ist namentlich im Kriege, von höchster Wichtigkeit! Baltischew: Auf Wiedersehen, Väterchen, am Abend bei Lydia Pawlowska!. Katschalow... Da könnt ihr lange warten. Einige Offiziere (erstaunt) Was? Ihr kommt nicht hin? Klavierbegleitung geht weiter SPRECHERIN Als Lydia Pawlowska, eine junge Generalswitwe, die jedermann den Kopf verdreht, war die 25jährige Opernsängerin und Filmschauspielerin Jarmila Novotná besetzt. Die attraktive Pragerin war ein Publikumsliebling in Berlin: auf den Brettern der Staatsoper wie zuvor der Kroll-Oper, in Aufführungen von Max Reinhardt und im Kino, wo sie zuletzt im August 1932 in der "Verkauften Braut" von Max Ophüls zu bewundern war, dem allerersten Opern-Tonfilm. MUSIK Weinberger "Frühlingsstürme": "Blau, himmelblau ... " (Novotná/Wittrisch) von Electrola EG 2725 / CD privat Track03 von Anfang bis ca. 01.15 SPRECHERIN (anfangs noch über Musik) Schon zur Premiere der "Frühlingsstürme" gab es die Musiknummern der Operette, auf deren besonderen Erfolg man baute, auf Schallplatte. Die Novotná sang auf Electrola. MUSIK ab 00.51 frei stehen lassen ... Ihr Partner als der japanische Offizier Ito ist hier aber nicht Richard Tauber, sondern Marcel Wittrisch. Tauber machte auf dem Label Odeon seine eigenen Einspielungen aus den "Frühlingsstürmen". So konnten alle Aspekte des - wie man heute sagen würde - Marketings genutzt werden: beide Stars, Novotná und Tauber, zogen ihre Fans separat in die Geschäfte; und Tauber konnte die Duette aus den "Frühlingsstürmen" für die Schellack-Platte mit seiner Freundin Mary Losseff singen. So mussten die antisemitischen Operettenfreunde keine Aufnahme mit ihm, dem jüdischen Tenor, "ertragen", denn mit der Novotná sang ja auf Electrola der "arische" und den Nazis genehme Marcel Wittrisch, der sich später mit musikalischen Führer-Huldigungen hervortat. Musik noch mal hochkommen lassen SPRECHERIN Der Drei-Masken-Verlag warb in der Fachpresse mit der abenteuerlichen Geschichte der neuen Operette: SPRECHER Ein Spionagefall im russisch-japanischen Krieg. Man schreibt 1905. Ort der Handlung: Das russische Hauptquartier in der Mandschurei. Ein japanischer Offizier dient, als Chinese verkleidet, im Stabe des russischen Oberbefehlshabers. Ein Liebesroman mit einer schönen Frau, angeknüpft in Petersburg, wo der Japaner vor dem Kriege als Militärattaché wirkte, wird im Felde weitergesponnen. Auch der Kommandierende General Katschalow entbrennt für die bezaubernde Russin ... Im Hintergrund MUSIK: "Frühlingsstürme": "Sitzt man nachts mit einer Frau beim Tee ... " (Novotná) von Electrola EG 2727 / Privat CD ODER in evtl. besserer Qualität vom DRA beschaffen PROBENATMOSPHÄRE ("Frühlingsstürme, 2. Akt - 15. Szene) Iwan Exzellenz, die gnädige Frau wird sofort erscheinen! Katschalow Zum Teufel ... ich bin nervös wie ein Kadett beim ersten Rendezvous! Baltischew! Baltischew Exzellenz ... Sie noch hier? Katschalow Ja ... ich habe etwas vergessen und bin zurückgekehrt ... und jetzt habe ich ganz vergessen, was ich vergessen habe ... Aber du, Oberst Baltischew? Baltischew Ich habe mich eingeschlichen, um das Haus heimlich zu durchsuchen ... Katschalow Ja, witterst du noch immer in der Pawlowska eine Spionin!? Baltischew Ich habe allen Grund anzunehmen, dass sie mit dem Entflohenen in irgend einem Zusammenhang steht und dass sie es vielleicht selbst versuchen wird, heute Nacht über die Grenze zu kommen. Katschalow Was redest du für ein irrsinniges Zeug?! Sie denkt nicht daran, zu fliehen ... zum Beweis dafür ... sie hat mich für heute Nacht zum Tee geladen ... Baltischew Ah! Dann will ich nicht stören, Exzellenz ... Aber ich rate, vorsichtig zu sein! Zum Glück könnte sie ja nicht entfliehen, ohne das Losungswort "Frühlingsstürme" zu kennen, das übrigens schon in einer Stunde durch ein neues ersetzt werden muss. Katschalow Ich werde es rechtzeitig bekanntgeben. SPRECHER (weiter Verlagswerbung) General Katschalew begnadigt am Ende den zum Tode verurteilten japanischen Spion, gerührt durch den Opfersinn der verwöhnten Frau, die mit dem Geliebten, dem sie zur Flucht verhalf, als Mitschuldige sterben will. Während der Friedensverhandlungen ... trifft sich alles wieder. Die schöne Russin heiratet den großmütigen General... SPRECHERIN ... denn der japanische Offizier ist ohnehin schon verheiratet. - Diese Story hatte Gustav Beer erfunden. Der routinierte Bühnenautor aus Wien hatte sie zu einem Textbuch ausgearbeitet, als dessen Vorbilder man nicht nur Lehárs "Land des Lächelns" erkennt, sondern auch ein wenig Puccinis "Madama Butterfly" - vor allem aber Paul Abrahams vorletzte Operette "Victoria und ihr Husar". MUSIK "Frühlingsstürme": "Du wärst für mich die Frau gewesen", Orchester B. von Géczy, CD von DNB Unter dem Text: Kreuzblende auf MUSIK "Frühlingsstürme": "Du wärst für mich die Frau gewesen", Parlophon-Tanzorchester, von CD DNB SPRECHERIN Nicht nur auf Odeon und Electrola, auch auf Telefunken-Schallplatten ist Musik der ersten Weinberger-Operette schon im Januar 1933 erhältlich: Das aus dem Berliner Hotel Esplanade bekannte Salonorchester des Barnabás von Géczy spielt eine Instrumentalversion von "Du wärst für mich die Frau gewesen". Und noch eine vierte Plattenfirma, Parlophon, war mit einer Tango-Bearbeitung der großen "Richard-Tauber-Nummer des Bühnenstücks rechtzeitig auf dem Markt. MUSIK etwas frei stehen lassen SPRECHERIN Einen Tag vor der Premiere der "Frühlingsstürme", also am 19. Januar 1933, hatte man die aus finanziellen Gründen von der preußischen Regierung geschlossene Kroll-Oper für eine große Ballnacht vermieten können. Auf Einladung des Internationalen Verbands der Varieté-Theater- und Zirkusdirektoren tanzte man dort bis in den frühen Morgen des 20. Januar. Am Mittag hatten die Direktoren dann 1800 Kinder armer Berliner Familien in der Kroll-Oper reichlich bewirtet und jedes mit einem ganzen Pfund Schokolade beschenkt. SPRECHER Es ging den Menschen nicht gut in diesen Tagen. Allein das Defizit der Stadt Berlin hatte sich im letzten Quartal 1932 auf fast 140 Millionen Reichsmark erhöht, was der heutigen Kaufkraft einer halben Milliarde Euro entspricht. SPRECHERIN Der privatkapitalistische Theaterbetrieb in Berlin wankt nicht nur in allen Fugen, er ist restlos zusammengebrochen. Mit dem Rotterschen Amüsierkonzern ist auch die renommierteste seriöse Bühne, das Deutsche Theater, in den Strudel hineingerissen worden... SPRECHER ... urteilte die Berliner-Börsen-Zeitung zur Einleitung eines Betrugsverfahrens gegen Fritz und Alfred Rotter. Die Brüder hatten die Künstler nicht mehr bezahlen können, die in ihren Produktionen auftraten,auch nicht mehr die Miete und die Betriebskosten der Häuser, die sie bespielten. Einflussreiche Besucherorganisationen, die unter deutsch-nationalem und antisemitischem Einfluss standen, hatten das ihre getan, um den Rotter-Bühnen jeden Ausweg aus der Krise zu verbauen. SPRECHERIN Die ernsthafte dramatische Kunst hat in Berlin nur noch eine Pflegestätte: das aus öffentlichen Mitteln subventionierte Staatliche Schauspielhaus... SPRECHER Dort ist am 20. Januar Premiere von Faust II mit Werner Krauß und Gustaf Gründgens. Unter ihnen steht auf dem Besetzungszettel auch Hans Otto, der am Ende des Jahres von den Nazis ermordet wird; und ebenfalls in einer kleinen Rolle ist Veit Harlan dabei, der spätere Regisseur des Propagandafilms "Jud Süß". SPRECHERIN Dass in dieser wirtschaftlichen Lage nur noch die Öffentliche Hand Bühnen unterhalten konnte, machte es denjenigen, die bald in Deutschland die Macht hatten, besonders leicht, die Theaterszene in ihrem Sinne umzubauen. SPRECHER Am jenem Donnerstag, dem 19. Januar - man achtete auch dort jetzt mehr auf die Kasse - hatte sogar die Staatsoper Operette gespielt: "Eine Nacht in Venedig" mit Marcel Wittrisch, Erich Kleiber dirigierte. Und am Premierenfreitag der "Frühlingsstürme" gab es einen Steinwurf vom Admiralspalast entfernt, am anderen Ufer der Spree, im "Großen Schauspielhaus", wie jeden Abend "Ball im Savoy" von Paul Abraham, dem ungarischen Komponisten mit jüdischen Vorfahren. Star der Aufführung war die gleichfalls jüdische Ungarin Gitta Alpar. Die Opernsängerin und Filmschauspielerin schrieb ein Grußwort an Richard Tauber für das Programmheft der neuen Konkurrenz-Operette: SPRECHERIN ... weißt du noch, wie du mich in meiner Garderobe im Admiralspalast besucht hast, als ich die Dubarry sang?... "Wann singen wir wieder zusammen" fragtest du. Beinahe singen wir wieder zusammen - nur ein paar Meter Spree trennen deine Bühnenabende von meinen ... Ich denke gern an den Admiralspalast zurück, die Berliner waren dort so herzlich zu mir... Laß uns weiter für sie aus ganzem Herzen singen - rechts der Spree und links der Spree. S-Bahn-Geräusche, hist. Straßenatmosphäre SPRECHER "Rechts und links", da dachte man in Berlin im Januar 1933 vor allem an Saalschlachten. Zum Beispiel an die zwischen Kommunisten und Nazis in einem Lokal an der Frankfurter Allee, bei der es viele Schwerverletzte gegeben hatte. Oder an den parteilosen Reichskanzler Kurt von Schleicher, der keine Mehrheit mehr fand, weder rechts noch links. Musik: Wagner "Meistersinger" (Furtwängler 1943) aus Vorspiel 3. Akt, CD Laudis LCD4.4008/III/Track01 von 01.20 ab, dann unter Text ausblenden SPRECHERIN Zentrales Feuilletonthema in diesen Tagen sind die Richard-Wagner-Ehrungen zu dessen 50. Todestag am 13. Februar, die unbeabsichtigt zu einer pathetischen Ouvertüre des "Dritten Reichs" werden sollen. In der Lindenoper gibt es deswegen am 20. Januar zum ersten Mal Wagners Jugendoper "Das Liebesverbot" - mit Marcel Wittrisch und Erich Kleiber, während ein paar hundert Meter weiter in der Friedrichstraße die "Frühlingsstürme" uraufgeführt werden. Das Berliner Wetter ist an diesem Freitagabend trübe: es fällt etwas Schnee bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, Tendenz sinkend. Refrain Nimm mich nach China mit in`s Land der Drachen. Ich möchte gern seh`n, wie dort das Leben ist! SPRECHER Das Theater lebt, wenn wir es nicht untergehen lassen ... Es braucht nur jeder, den wir von der Ehrlichkeit unserer künstlerischen Arbeit überzeugen konnten, einen einzigen neuen Besucher zu schicken und die Kontinuierlichkeit des Theaters ist gesichert ... Mindestens ein Jahrzehnt lang durfte sich Berlin des Rufs erfreuen, Europas erste Theaterstadt zu sein. Das war unser Stolz ... SPRECHERIN ...so begrüßt Robert Liedemit, der Direktor des Theaters im Admiralspalast, das er das "größte und schönste Citytheater Berlins" nennt, im Programmheft sein Premierenpublikum.. MUSIK: "Frühlingsstürme": "Wozu die Sehnsucht" (Tauber) von CD Dutton CDBP 9783 Track 22, 02.28-03.14 SPRECHER Richard Tauber, Deutschlands populärster Belcantist, großartig in Form, hat so viel Applaus seit "Friederike" und "Land des Lächelns nicht vernommen ... Seine Partnerin Jarmila Novotna, Reinhardts schönste Helena, entzückt durch die unbestrittenen Reize ihres Aeußeren, den Geschmack ihrer Kleider, den Zauber ihres Organs... Das "zweite Paar" war bei Siegfried Arno und Else Elster. Der stets komische Arno erscheint hier in der dankbaren Rolle eines Zeitungsmenschen ... SPRECHERIN Illustriert ist die Uraufführungskritik der BZ am Mittag vom 21.Januar 1933 mit Rollen-Karikaturen dieser vier Protagonisten. Das sogenannte "zweite Paar" war allerdings hinter den Kulissen alles andere als harmonisch. Bei offenem Vorhang und vor Publikum bot man aber die erwartete Buffo- und Soubretten-Heiterkeit. Aus Duett Nr. 11, Textbuch S.128 Tatjana Schatz, ich möchte` so gern ein eig`nes Heim, Wo ich Tag und Nacht von dir nur träum`, Wo ich deinen Kuß, dein süßes Lächeln Niemals versäum`! Ich wünsch` mir wo am Land ein Haus, Kein Gast verirrt sich dort hinaus, Dazu ein Herd, ein Tisch, ein Schrein, Ein Baby süß und klein, Und dir nur müsst` es ähnlich sein. SPRECHERIN Siegfried Arno, der den als "typisch-deutsch" karikierten Kriegsberichterstatter Roderich Zirbitz zu geben hatte, war mit seinen Ende dreißig schon lange ein populärer Mann auf den Bühnen Berlins und auch im Film. Manche nannten ihn sogar den "deutschen Chaplin", und tatsächlich sollte er 1940 in Hollywood in einer kleinen Rolle im "Großen Diktator" des echten Charlie Chaplin vor der Kamera stehen. Nur, Siegfried Arno war Jude und die 21jährige Else Elster, die seine Braut, die Tochter des Generals Katschalow, spielte, war ehrgeizig und hoffte auf eine Karriere vor allem beim Film - mit nicht so viel ausländischer und jüdischer Konkurrenz. Tatjana Nimm mich mit nach China mit in`s Reich der Mitte, Ich möchte´ gern seh`n, wie dort das Leben ist! Sag`, existiert dort schon der ominöse Dritte, Der gern in fremden Ehen heimlich küßt? Gibt`s dort schon Jazzmusik? Und gilt mager sein als schick? Und kennt man jeden Liebestrick? Nimm mich mit nach China mit in`s Reich der Mitte, Ich fahre dann, Ich fahre dann Im Leben nie zurück! Sprecher Zu dieser Version des Zwiegesangs von Roderich Zirbitz und Tatjana Katschalowa, wie sie im nach der Premiere hergestellten Klavierauszug steht, kann es erst bei den Proben gekommen sein. Denn im Regiebuch und dem Heftchen mit den Gesangstexten, das man auch schon gedruckt hatte, war noch von ganz anderem die Rede gewesen. PROBENATMOSPHÄRE TATJANA/ELSE ELSTER Siggi, tu' doch nicht so, als ob du nicht weißt, dass jeder weiß, was gemeint ist, wenn wir singen würden: Und hat auch dort der größte Schreier Glück? RODERICH/SIEGFRIED ARNO Gibt's Notverordnungen dort? Kein Mensch darf mit Devisen fort! ... das ist doch einfach nur die Wahrheit. TATJANA/ELSE ELSTER Die Novotná kassiert hier eine Riesengage und nimmt das alles mit nach Prag und hat dann auch noch Dollars in der Tasche, mit denen sie dann.. RODERICH/SIEGFRIED ARNO ... ach ja, ich vergaß, Nazis sind ja nicht nur national, sondern auch Sozialisten ... Geht eine Großbank krachen ... Wie's heute viele machen ... Wenn's das schon gibt, fahr ich am selben Tag zurück. SPRECHER Vor einem zweitausendköpfigen Operettenpublikum konnten solche Anspielungen im Januar 1933 nur noch ins Auge gehen. Es wäre sicherlich nicht dabei geblieben, dass nur einige türenschlagend den Admiralspalast verlassen hätten. SPRECHERIN Franz Köppen von der Berliner-Börsen-Zeitung hatten die Inszenierung und die lange Spieldauer zwar missfallen, dennoch prognostizierte er eine lange Aufführungsserie, da der Publikumsgeschmack mit den "Frühlingsstürmen" getroffen schien. Moritz Loeb schrieb in der Morgenpost: SPRECHER Nach dem Siege der Ungarn beim "Ball im Savoy!" kämpfen jetzt die Tschechen um die Sanierung der Berliner-Amüsier-Bühnen. SPRECHERIN Damit meinte er nicht nur die Novotná und Weinberger. Auch Ferdinand Hart, der den Kosakenhauptmann Baltischew übernommen hatte, war Tscheche und auf den Berliner Bühnen kein Unbekannter. Ihn erwähnt Moritz Loeb aber nicht, sondern Oskar Homolka, den Darsteller des Generals Katschalow, der allerdings trotz seines tscheschich klingenden Namens ein echter Wiener war. MUSIK "Frühlingsstürme": "Du wärst für mich die Frau gewesen", Parlophon-Tanzorchester, von CD DNB SPRECHER Am28. Januar ließen sich Richard Tauber und seine Freundin Mary Losseff nach der Vorstellung in die Zoo-Festsäle fahren, wo an jenem Samstag Presseball war. Auch Gitta Alpar kam nach dem Ende ihrer "Ball im Savoy"-Vorstellung mit Ehemann Gustav Fröhlich. Die ernste Musik war mit Wilhelm Furtwängler und Arnold Schönberg namhaft vertreten, die Politik ab Mitternacht auch durch Kurt von Schleicher, der an diesem Tag als Reichskanzler zurückgetreten war. Regie: Ab hier unterlegen O-Ton Rundfunkreportage "Fackelzug 30. Januar 1933" - dann von 03.39-04.40 freistehend SPRECHERIN Am Montag, dem 30. Januar, liefen die "Frühlingsstürme" im Admiralspalast zum elften Mal, - während der Berliner Rundfunk eine live-Reportage sendete: Regie: O-Ton freistehend Wir sind nun herübergegangen aus dem Zimmer, aus dem wir den Herrn Reichspräsidenten sehen konnten in das Zimmer, in dem sich der neue Reichskanzler Adolf Hitler befindet, wir stehen am offenen Fenster. Sie können jetzt besonders gut hören, wie die Menge draußen jubelt, wir lassen jetzt noch einen Moment die Musik durch das Fenster hereinfallen... (Musik, Marschtritte...) O-Ton Rundfunkreportage "Fackelzug 30. Januar 1933" von 25.20-25.51 Wir haben hier gerade den Chauffeur von Dr. Goebbels, kommen Sie doch mal her, erzählen Sie uns mal, was Sie so erlebt haben. "Also ich habe hier an der Seite von Herrn Dr. Goebbels gestanden und den ganzen Abend dem Vorbeimarsch der Massen beigewohnt. Es ist für mich eine besondere Freude, wenn ich gerade an der Seite von Herrn Dr. Goebbels hier gesehen habe, wie seine Arbeit hier gewürdigt worden ist. Was hier heute marschiert ist, das ist tatsächlich das Ganze Berlin, um das wir jahrelang gekämpft haben. SPRECHERIN Nicht nur Goebbels, der Gauleiter von Berlin, war an Hitlers Seite gewesen, selbstverständlich auch Hermann Göring, der in wenigen Wochen Preußischer Ministerpräsident und damit Chef mehrerer wichtiger Theater in Deutschland werden sollte. Der Rundfunkreporter erwähnt auch ausdrücklich die nationalsozialistischen Kulturfunktionäre Alfred Rosenberg und Hans Hinkel, die mit in der ersten Reihe standen beim Fackelzug anlässlich dessen, was man später "Machtübernahme" nannte. Natürlich war auch Wilhelm Frick anwesend, bald Innenminister des Reichs; in gleicher Funktion hatte er schon in Thüringen die Kultur auf NS-Kurs gebracht. MUSIK "Frühlingsstürme": Nehmt euch in Acht ... (Novotná) von Privat-CD ODER in evtl. besserer Qualität vom DRA beschaffen SPRECHER (evtl. über Musik) Eine Woche später, am Montag, dem 6. Februar, sang Jarmila Novotná zum letzten Mal die Lydia Pawlowska im Admiralspalast. SPRECHERIN Die Novotná war bei ihren deutschsprachigen Landsleuten in der Tschechoslowakei unbeliebt, weil sie dort ebenso selbstverständlich Beethoven oder Schubert auf Tschechisch sang wie die Deutschen tschechische Lieder und Opern auf Deutsch. Das hatten auch nationale Kreise im Deutschen Reich übelgenommen. Aus dem Ensemble der neuen Operette schied sie aber vor allem deshalb aus, weil sie, wie schon lange geplant, bei den Proben zu Max Reinhardts neuer Produktion im Deutschen Theater erwartet wurde. SPRECHER Vom 7. Februar an übernahm dann Mary Losseff, die attraktive, akzentfrei Deutsch sprechende Russin aus Wladiwostok, die Lydia Pawlowska. Sie war nicht nur bekannt als die Frau an Richards Taubers Seite, man hatte sie auch schon in vielen Berliner Bühnenproduktionen erleben können. MUSIK: "Frühlingsstürme": "Blau, himmelblau ... " (Losseff/(Tauber)) von CD Dutton CDBP 9783 Track 24 ab 00.58, bei Einsatz Tauber unter Text ausblenden SPRECHERIN Am 27. März gab es zum neunundzwanzigsten Mal die "Frühlingsstürme". Wer nach dieser Vorstellung mit der S-Bahn Richtung Tiergarten fuhr, konnte noch die letzten Flammen des brennenden Reichstags aus dem Zugfenster sehen. Am nächsten Tag gab es dann keine Vorstellung mehr im Admiralspalast. Schon lange hatte Direktor Liedemit die tägliche Anzeige in den Zeitungen mit dem Hinweis ergänzt, dass das Haus "wegen der Wahl" vom 28. Februar bis zum 8. März geschlossen bliebe. SPRECHER Die Reichstagswahl vom 5. März brachte der NSDAP einen neuerlichen Stimmengewinn von fünf Millionen, und sie wurde stärkste Partei. Am 8. März wurden die 81 Parlamentssitze der drittstärksten Partei, der KPD, annulliert - mit Hilfe der Notverordnung "zum Schutz von Volk und Staat", die nach dem Reichstagsbrand erlassen worden war. Die Nazis hatten nun faktisch die absolute Mehrheit. SPRECHERIN Für den 9. März sind in allen Berliner Zeitungen Anzeigen geschaltet, dass ab dem 10. wieder täglich die "Frühlingsstürme" im Admiralspalast gespielt würden, mit Tauber und Mary Losseff - einen Tag später nur als geplant. Mit Oskar Homolka wird nicht mehr geworben, wohl aber mit Else Elster, der Regimefreundin, und tatsächlich immer noch mit ihrem jüdischen Bühnenpartner Siegfried Arno. SPRECHER Auch für Hofmannsthals "Großes Welttheater" in Max Reinhardts Inszenierung, wo die Novotná nach wie vor sang, wird Reklame gemacht. "Ball im Savoy" wurde allerdings nun ohne Gitta Alpar gespielt. SPRECHERIN Am 10. März wird das Berliner Tageblatt, die Hauptstadt-Tageszeitung mit den meisten jüdischen Lesern und Journalisten, verboten. Mit der Notverordnung war auch das möglich geworden. Die Sonntagsausgabe vom 12. März erscheint aber wieder. SPRECHER Zu lesen ist, dass Kammersänger Richard Tauber 500 Reichsmark für die Opfer der Katastrophe von Neunkirchen gespendet hat. Dort im Saargebiet war im Februar ein Gasometer explodiert. Wer in der deutschen Hauptstadt jetzt für die "Hilfe für Neunkirchen" spendete, bekannte sich deutlich zur politischen Rechten, die ja auch Neunkirchen "Heim ins Reich" holen wollte. MUSIK "Frühlingsstürme": Aus Duett Nr. 15 (Klavierauszug S. 118, Tanz ? Duett II, Tatjana/Roderich) Tatjana Weißt du, Gar oft entgleist du, Doch plötzlich Treibst du`s entsetzlich ... Jedes Jährchen Willst du gleich ein Zwillingspärchen! Roderich Weißt du, Am End`zerreißt du Gefühllos, Zwecklos und ziellos Ohne Grund Ganz herzlos unser`n Bund!? Tatjana Ja, wenn du glaubst, ich lieb` dich nicht Und treibe mit dir Scherz, Dann schau`mir nachts beim Kerzenlicht Hinein ins dunkle Herz! Beide Und bist du dir dann noch nicht klar, So führ ich dich zum Traualtar Und schenke prompt dir jedes Jahr Ein fesches Zwillingspaar! Hopp!! Klavier bis zum Ende des Duetts SPRECHERIN Dass die Vorstellung vom 12. März die letzte sein würde, war nach deren Ende vermutlich schon den meisten klar. Es war nicht leicht gewesen zu spielen, während Leute im Saal waren, die nicht wollten, dass noch Juden mitspielten. An diesem Sonntag waren in Preußen die Kommunal- und Provinzialparlamente gewählt worden. Außerdem war Volkstrauertag, und der Berliner NSDAP-Gauleiter hatte mit staatstragender Miene an einer Totenfeier in der Lindenoper teilgenommen. SPRECHER Das Ergebnis der Berliner Stadtverordnetenwahlen ist geradezu als sensationell zu bezeichnen, denn es hat gegenüber den Ergebnissen vom vorigen Sonntag noch einmal einen erheblichen Ruck nach Rechts gebracht... Damit ist das seit vielen Jahren traditionell "rote Berlin" schwarz-weiß-rot geworden. SPRECHERIN ... schrieb die Börsenzeitung am Montagmorgen. Am Abend meldet die Presse dann, dass Dr. Joseph Goebbels zum "Reichsminister für Propaganda und Volksaufklärung" ernannt wurde, und nun für fast alle Bühnen, für Film und Funk zuständig war. Die Feuilletons berichten von der Entlassung von führenden Theaterleuten. Der Admiralspalast blieb ein ganzes Jahr geschlossen, dann präsentierte man wieder Hans Albers; diesmal in "Rivalen", einem amerikanischen Soldatenstück. SPRECHER Noch stehen am Beginn dieser Woche in allen Blättern auch die großen Annoncen der jüdischen Konzertdirektion von Hermann Wolff und Jules Sachs, darunter Konzerte des Berliner Philharmonischen Orchesters unter Furtwängler und Eugen Jochum, die dann auch alle so wie angekündigt stattfanden. Am Sonntagvormittag mit Wiederholung am Abend darauf hätte Bruno Walter Mahlers Vierte Sinfonie in der Philharmonie dirigieren sollen. Jüdischer Dirigent und jüdischer Komponist - das ging nun nicht mehr. Und auch Jarmila Novotná, die das Sopransolo hätte singen sollen, sollte ersetzt werden. Statt Walter dirigierte Richard Strauss: Gluck und Weber statt Mahler. MUSIK "Dobru noc" aus den "Songs of Lidice" (Novotná/Masaryk) von CD Pearl GEMM CD 9467 Track 14 von Anfang bis 01.12 SPRECHERIN (über Musik) Manfred Gurlitt, der Dirigent der "Frühlingsstürme" versuchte, seine Karriere wie bisher fortzusetzen, wobei ihm die Mitgliedschaft in der NSDAP helfen sollte. Doch die entzog man ihm nach vier Jahren wieder, weil seine "arische" Abstammung angeblich ungewiss war. Gurlitt ging dann nach Japan, wo er es mit der Hitler verbundenen Obrigkeit aber auch erst einmal schwer haben sollte. SPRECHER Jarmila Novotná verließ Berlin schon bald, kam im Juli 1933 aber doch noch einmal in die Reichshauptstadt zurück, zur Premiere ihres Films "Nacht der großen Liebe" mit Musik von Robert Stolz. Sie zeigte sich vor dem Ufa-Palast auch mit Gustav Fröhlich, dem männlichen Hauptdarsteller, der sich von Gattin Gitta Alpar und dem gemeinsamen Kind nun aus Karrieregründen trennte. Die Novotná ging später in die USA, nachdem die Nazis erst nach Österreich und dann in ihre böhmische Heimat gekommen waren. 1942, nach dem Massaker von Lidice, sang sie in amerikanischen Wohltätigkeitskonzerten, am Klavier begleitet von Jan Masaryk, dem Sohn des früheren tschechoslowakischen Präsidenten, die "Songs of Lidice?, die beide aus tschechischen und slowakischen Volksweisen zusammengestellt hatten. Eventuell Musik noch frei stehen lassen SPRECHERIN Auch Gustav Beer, der Librettist, musste als Jude schließlich Wien verlassen und ging nach New York, wo er eine Vereinigung von österreichischen Exilautoren-, -komponisten und -verlegern gründete. Nach Hollywood wie schon Siegfried Arno kam schließlich auch Oskar Homolka, nachdem er 1935 in England unter anderem mit Alfred Hitchcock gedreht hatte. Er spielte später neben Marilyn Monroe und Ronald Reagan. SPRECHERIN Jaromír Weinberger hatte sich Hoffnungen gemacht, wenigstens in seiner Heimat und in Österreich noch an den früheren Erfolg anknüpfen zu können. Eine tschechische Version der "Frühlingsstürme" wurde zwar bald in Prag, Pilsen und Brünn aufgeführt, konnte aber keine weiteren Kreise ziehen, was der Komponist auf den auch in der Tschechoslowakei bemerkbaren Antisemitismus zurückführte. Auch Weinberger emigrierte mit seiner Frau schließlich in die USA. Misserfolg und Depressionen begleiteten sein weiteres Leben, dem er 1968 in Florida selbst ein Ende setzte. SPRECHER Wie Max Reinhardt, Erich Kleiber, Otto Klemperer und viele, viele andere, die das Berliner Theaterleben geprägt hatten, verließen auch Ernst Josef Aufricht und Heinz Saltenburg Nazideutschland. Ernst Stern, mit 57 Jahren der älteste aus dem Leitungsteam der "Frühlingsstürme", der über ein Vierteljahrhundert Ausstattungen für Berliner Theater und den Film geschaffen hatte, war schon bald nach der Premiere nach Paris gereist, wo er eine französische Produktion des "Weißen Rößls" in seiner Berliner Uraufführungsausstattung zu betreuen hatte. Er kam erst gar nicht zurück. SPRECHERIN Else Elster spielte weiter Theater und begegnete eines Abends im Berliner Bühnenklub dem Reichsminister Goebbels, dem dies sogar eine Tagebuchnotiz wert war. "Ein nettes Mädel", notierte er am 9. September 1933 über die ehrgeizige junge Schauspielerin. Sie machte eine mittlere Karriere bei der UFA, die sie nach dem Krieg aber nicht fortsetzen konnte, hatte sie doch auch in Veit Harlans "Jud Süß" vor der Kamera gestanden. SPRECHER G.H. Schnell, der den kleinen aber bedeutungsvollen Part des Großfürsten Michailowitsch in den "Frühlingsstürmen" übernommen hatte, brauchte keine Protektion, um weiterzuarbeiten. Durch einen seiner letzten kleinen Filmauftritte in der legendären "Feuerzangenbowle" von 1944 ist sein Gesicht sogar heute noch präsent. MUSIK: "Frühlingsstürme": "Du wärst für mich die Frau gewesen" (Tauber) von CD Dutton CDBP 9783 Track 21, von Anfang bis 01.20 SPRECHERIN Vier mal hatte Richard Tauber sein großes Lied bei der Premiere der "Frühlingsstürme", zehn Tage vor der "Machtergreifung", da capo singen müssen. Bei den 41 Folgeaufführungen soll es ähnlich gewesen sein. Das Publikum hatte ihn geliebt. Er tat sich schwer, einzusehen, dass das nicht für ein Verbleiben in Deutschland reichte. Es half auch nicht,dass er Ende Mai 1933 von einem Holland-Gastspiel aus eine Ergebenheitsadresse nach Berlin sandte: SPRECHER Ich, der Unterzeichnende Richard Tauber, Mitglied Nr. 34141 der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger, erkläre, dass ich den Zielen der nationalen Regierung des heutigen mir zur zweiten Heimat gewordenen Deutschland volles Verständnis entgegenbringe. Ich füge mich bewusst in die nationale Bewegung ein und stelle mich und meine Kunst dem Aufbau eines neuen deutschen Theaters zur Verfügung. SPRECHERIN Mit Mary Losseff ging er zunächst nach Wien und später nach England. Er heiratete dann aber eine andere, und die Losseff suchte Trost im Alkohol. Richard Tauber wurde britischer Staatsbürger. Er stand weiterhin als Sänger auf der Bühne, komponierte und dirigierte, solange es seine angegriffene Gesundheit zuließ. Im Januar 1948 starb er in London an Lungenkrebs. MUSIK (Hans Albers - "Komm' in die Schaukel ... ") von CD EMI 793790 2/Track05, 02.00 bis 02.46 (Ende) SPRECHER Als der Krieg zu Ende war und die meisten Berliner Theater Ruinen, war Hans Albers bald wieder als Liliom zu erleben, nun im Hebbel-Theater im amerikanischen Sektor, während der Admiralspalast der ausgebombten Staatsoper als Notquartier diente. Albers zu Ende gehen lassen SPRECHERIN Die Operette und die privaten Theater, die von ihr und für sie gelebt hatten, sollten in Deutschland nie wieder zur alten Bedeutung zurückfinden. Zwölf Jahre nationalsozialistisch kontrolliertes Staats- und Stadttheater-Regiment hatten sie nur als liebenswürdig zweitrangige Unterhaltung überleben lassen, was sie dann wie der deutsche Heimatfilm der 1950er-Jahre auch bleiben sollte. Den Anschluss an das amerikanische oder britische Musical hatte man versäumt. Einen Bezug zur politischen Gegenwart, den die Anspielungen in den "Frühlingsstürmen" von Jaromír Weinberger und Gustav Beer im Januar 1933 noch einmal hatten riskieren wollen, wollte ohnehin niemand mehr im deutschen Unterhaltungstheater. MUSIK "Frühlingsstürme": "Nimm mich nach China mit ... " Tatjana Mein Freund, ich kam schon weit herum, Doch eins wär völlig neu für mich: Ein Rausch, ein Schwips von Opium, Und deshalb bitt`ich dich: Refrain Nimm mich mit nach China mit in`s Reich der Mitte, Ich möchte´gern seh`n, wie dort das Leben ist! Sag`, existiert dort schon der ominöse Dritte, Der gern in fremden Ehen heimlich küßt? Gibt`s dort schon Jazzmusik? Und Partei`n und Politik? Hat dort der größte Schreier Glück? Nimm mich mit nach China mit in`s Reich der Mitte, Ich fahre dann, Ich fahre dann Im Leben nie zurück! Roderich Es gibt Regierungskrisen dort, Man zahlt an Steuern täglich mehr, Kein Mensch darf mit Devisen fort, Jedoch die Kassen ? ja, die sind trotzdem leer! Refrain ... Tatjana und die acht Mädchen Nimm mich mit nach China mit in`s Land der Drachen, Ich möchte gern seh`n, wie dort das Leben ist. 36