COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 16. Juni 2008, 19.30 Uhr Gesundheitsrisiko Handy? Neues im Streit um den Mobilfunk Eine Sendung von Susanne Harmsen Take 1: Ulrich Weiner, Funktechniker 0'09 Also ich denke, wenn heute einer mit dem Handy telefoniert, und ihm würde sofort schlecht sein oder er würde umfallen - er würde es lassen. Aber wenn es halt sich über Jahre hinzieht, ist es sehr sehr schwer. Take 2: Dr. Gunde Ziegelberger, BfS, Biologie 0'11 Wir finden, dass wir die Kenntnislücken erheblich geschlossen haben. Insofern haben wir das Gefühl, wir haben die Unsicherheiten verringert, und sehen keinen Bedarf, an den Grenzwerten was zu ändern. Spr. vom Dienst Gesundheitsrisiko Handy? - Neues im Streit um den Mobilfunk Eine Sendung von Susanne Harmsen Take 3 Atmo Beratungspause, darauf: Sprecherin Morgen Mittag ist es soweit: das Bundesamt für Strahlenschutz legt in Berlin die Ergebnisse des Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms auf den Tisch. Nach sechs Jahren Arbeit und 54 Studien für insgesamt 17 Millionen Euro soll endlich klarer werden, ob das Telefonieren ohne Kabel gesundheitlich riskant ist oder nicht. Für die "Zeitfragen" äußerten sich Wissenschaftler und Strahlenschützer schon vorab. Atmo weg, mischen mit Take 4 Atmo Großbettlingen Sprecherin Doch beginnen wir unsere Nachforschungen im Süden Deutschlands, südlich von Stuttgart. Dort feierte gerade die Bürgerinitiative "Risiko Mobilfunk" von Großbettlingen ihr zehnjähriges Bestehen. Gegründet hatte sie sich binnen weniger Tage, als der Ort 1998 seinen ersten Sendemast mitten im Zentrum bekommen sollte. Nach zähen Verhandlungen steht er heute weit entfernt von Wohnhäusern. Bürgermeister Martin Fritz blickt zurück: Atmo weg Take 5: 0'36 Das war für uns eine neue Situation. Wir mussten lernen, wie wir mit dieser neuen Technologie umgehen. Wir haben Informationen bekommen und haben uns dann sehr schnell gemeinsam mit der Initiative bemüht, dass wir diesen Standort weiter vom Ort weg hinbekommen. Damals war das Mannesmann/D2 und es ist uns dann nach langem Hin und Her gelungen, diesen Mast vom Standort A zu Standort B zu bringen. Es ist aber nur gelungen, weil wir eben diese engagierte Initiative im Ort haben, die uns da sehr gut unterstützt und beraten hat, entsprechend. Sprecherin Vorkämpfer der Bürgerinitiative war und ist Jürgen Groschupp. Der Ingenieur für Versorgungstechnik gehört inzwischen zu einem deutschlandweiten Netzwerk, dessen Mitglieder Mobilfunk kritisch sehen und ihn wenigstens aus dem unmittelbaren Lebensumfeld heraushalten wollen. Obwohl er viel zwischen Baustellen unterwegs ist, benutzt Jürgen Groschupp kein Handy. Elektromagnetische Felder gibt es seiner Ansicht nach schon genug. Schließlich senden Radio und Fernsehen, der Stuttgarter Flughafen peilt mit seinem Radar, und Polizei und Feuerwehr funken im eigenen Netz. Jürgen Groschupp informierte sich darüber bei Experten: Take 6: 0'20 Es ist eine massenhafte Überfrachtung, die auf die Belastungen, die wir ohnehin schon haben, jetzt noch dazu kommt. Und einer der Ärzte und Referenten hat mal gesagt, Mobilfunk gehört wahrscheinlich zu den kritischsten, aber unter Umständen ist er einfach der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Sprecherin Viele, die sich beim Aktionstag in Großbettlingen informierten, stammen aus der Umgebung und fühlen sich persönlich vom Mobilfunk betroffen: Take 7: Umfrage Großbettlingen 0'31 Weil ich zu der sensiblen Gruppe gehöre, die da sehr schnell und sehr deutlich drauf reagiert. Zum einen bin ich dann sehr müde, zum andern bekomme ich dann das Zittern, Kopfschmerzen, Gesichtsschmerzen. Es gibt ganz viele verschiedene Varianten, je nachdem, was es ist. Ich hatte einen Riesensendemasten, der genau in mein Zimmer reinschaute. Meine Tiere haben ganz deutlich drauf reagiert, Hund und Katze. Nach drei Jahren war dann der Punkt gekommen, wo wir wirklich ausziehen mussten. Sprecherin Im neuen Zuhause geht es ihr und ihren zwei Töchtern endlich wieder besser, berichtet die Baden-Württembergerin. Es trifft auch Funktechnikbegeisterte wie Ulrich Weiner aus Augsburg. Schon als 14jähriger war er CB-Funker, später baute er Autotelefone ein und wurde von Beruf Funktechniker. Erfolgreich beriet er Unternehmen und installierte Telefonanlagen. Doch mit 23 Jahren bekam Ulrich Weiner Probleme: Take 8: 0'38 Es begann ganz unscheinbar, ich bin ins Büro gefahren und habe Handy telefoniert, wie es halt jeder oder viele gern machen, kam dort an und hatte so ein richtiges Brett vorm Kopf, sagt man so in Bayern. Also so man war schlecht konzentriert, hatte Schwierigkeiten, Texte zu verstehen, die man gerade als e-mail bekommen hat und so weiter. Man denkt an alles Mögliche, vielleicht hast Du schlecht geschlafen oder kriegst eine Erkältung. Und über viele Wochen oder Monate ist mir aufgefallen, es gibt einen Zusammenhang. Telefoniere ich, geht's mir schlecht, mein Arbeitspensum vom Tag konnte ich eigentlich nicht erreichen. Und habe ich nicht telefoniert, hatte ich einen super klaren Kopf, war super konzentriert. Sprecherin Konnte er anfangs noch ausweichen, indem er sein Handy abschaffte, im Festnetz telefonierte und per Mail korrespondierte, holte ihn wenige Jahre später der inzwischen allgegenwärtige Mobilfunk ein. Nach mehreren Zusammenbrüchen ereilte ihn am Frankfurter Flughafen ein echter Tiefschlag, der ihn per Krankenwagen in die Klinik beförderte. Ulrich Weiner: Take 9: 1'10 Sehstörungen, Sprachstörungen, Kreislaufzusammenbruch mit Einweisung in die Klinik. So nach drei Tagen kam der Chefarzt zu mir und fragt: Herr Weiner, wir sehen, wie schlecht es ihnen geht, wir sehen ihre Blutwerte, wir sehen veränderte Gehirnströme, wir sehen, das ihr ganzer Körper durcheinander ist, aber wir finden keine Ursache. Haben sie denn ne Idee? Dann hab ich ihm meine Beobachtungen erzählt mit Funk, meine Erfahrungen davor. Und dann sagt er: er will mal einen Spezialisten fragen. Nach drei Tagen kam er wieder und bringt mir eine Studie mit, aus dem Jahr 1932. Mein erster Gedanke natürlich, 1932 gab's keine Handys. Aber es gab starke Sendeanlagen für Radio über Kurzwelle. Und es gab auch Versuchssender für Kurzwelle für medizinische Zwecke. Und die Symptome, die ich erlebt habe, wurden in diesen Studien bereits festgestellt, 1932. Man kann sich natürlich vorstellen, dass für einen Vollblutfunktechniker wie mich da erst mal die halbe Welt zusammenbricht. Uns hat nie jemand gesagt, dass da Gefahren sind und auch niemand gesagt dass da ja schon Ergebnisse sind. Wenn man die Studien noch zurücknimmt von den 30er Jahren bis in die 80er Jahre hinein, hätte es den Mobilfunk in der jetzigen Form gar nicht geben dürfen. Wenn wirklich Gesundheitsvorsorge an erster Stelle steht und keine wirtschaftlichen Interessen. Sprecherin Die Bundesregierung hat im Jahr 2000 die Frequenzen für das neue Mobilfunknetz, UMTS, für 100 Milliarden DM, also rund 50 Milliarden Euro, an die Betreiber versteigert. Eine gewaltige Summe, die diese nun über die einzelnen Nutzer des Mobilfunks erst einmal wieder einspielen müssen. Deshalb sei die Bundesregierung kein Garant für die Sicherheit der Bevölkerung, fürchtet Jürgen Groschupp von der Bürgerinitiative Großbettlingen: Take 10 0'34 Wir wenden uns nicht allgemein gegen die schnurlose Kommunikation. Wir wenden uns gegen diese nachweislich krankmachende Technik, denn es sind sicherlich schon alternative Konzepte in den Schubladen, ich habe auch Kontakte zu Physikern, die sich mit der Thematik auseinandergesetzt haben, kenne zwei gute Fachartikel, die bereits den Ausblick zeigen. Aber hier geht es um Milliarden, und die wurden investiert und das muss sich jetzt refinanzieren. Und man hat eigentlich schon längst erkannt, das diese Technik gesundheitsschädlich ist, und man macht wegen des Geldes weiter. Sprecherin Mobilfunkkritiker zweifeln, dass die offiziell von Industrie und Behörden als unbedenklich eingestufte Technologie wirklich ungefährlich ist, wie der Arzt Markus Kern aus Kempten erläutert: Take 11: 0'42 Im Moment sieht es genau danach aus, dass die Politiker ihren Amtseid verletzen ihre Fürsorgepflicht hintanstellen und sich lieber von der Industrie einkaufen lassen. Also wir haben sehr sehr viele Studien, die klare Belege haben, für eine biologische Wirkung der Mobilfunkstrahlung. Wenn sie die Ecolog-Studie beispielsweise nehmen, in Auftrag gegeben von der Telekom, die besagt sehr eindeutig, dass sehr konsistente Hinweise existent sind, dass durch Mobilfunk, durch Hochfrequenzen Krebs gefördert wird und der Verlauf der Krebserkrankung verstärkt wird. Und dass diese Masten mit dieser Technik heutzutage ein gesundheitliches Problem darstellen. Sprecherin 80 Millionen Handys gibt es derzeit in Deutschland, praktisch eins pro Einwohner. Allerdings haben 15 Prozent der Bevölkerung keins, andere also dafür gleich mehrere. Besonders Jugendliche und zunehmend Kinder können sich ein Leben ohne mobiles Telefonieren, Nachrichten schreiben, Internet, Fotografieren und Filmen nicht mehr vorstellen. Der 17jährige Benedikt Thum fragte seine Klassenkameraden in einem Schulprojekt, was ihnen ihr Handy so wert ist: Take 12: 0'34 Im Durchschnitt waren es 12,72 Euro im Monat, der Höchstbetrag hierbei lag bei 50 Euro. Bei mir sind es jetzt so 5 Euro pro Monat, würde ich mal sagen. Generell rausgekommen ist eigentlich, dass alle glauben, dass Handy schädlich ist, aber nur ein ganz kleiner Teil trotzdem darauf verzichten würde. In meiner Klasse haben hundert Prozent ein Handy. Meiner Meinung nach ist der Fortschritt der Handys nicht mehr aufzuhalten, aber wir müssen auf alle Fälle eine andere Technologie finden, da diese zu schädlich ist. Der Grund für die hohen Grenzwerte ist, dass man in Deutschland auch in einer Tiefgarage und einem Keller telefonieren kann. Das ist völlig unnötig. Musikzäsur Sprecherin Die in Deutschland gültigen Grenzwerte betragen für Mobilfunksender zwischen 4,5 und zehn Watt pro Quadratmeter im UMTS-Netz. Dabei zieht man die Grenze, kurz bevor die Stärke der Felder zu einer Erwärmung des Körpers führt. Das geschieht dadurch, dass die elektromagnetische Strahlung die Moleküle im Körper in ihrem Takt schwingen lässt. Auf diese Art erwärmt übrigens die Mikrowelle unser Essen. Die Wärmewirkung begrenzt auch die Leistung der Handys und schnurlosen Telefone. Hier misst man die Belastung des Benutzers als aufgenommene Strahlungsleistung. Dieser sogenannte SAR-Wert ist die Spezifische Absorptionsrate in Watt pro Kilogramm des Körpers. Wirkt das Feld auf den ganzen Menschen, können schon vier Watt pro Kilogramm eine Temperaturerhöhung von etwa einem Grad Celsius im Körper auslösen. Damit diese gesundheitsschädliche Wirkung nicht eintritt, hat man den Grenzwert einfach bei der Hälfte fürs D-Netz beziehungsweise bei einem Watt fürs E-Netz und UMTS festgelegt. Kritische Wissenschaftler mahnen allerdings, dass elektromagnetische Felder schon lange vor der Erwärmung wirken. Der Arzt Franz Adlkofer aus München erarbeitete die REFLEX- Studie für die Europäische Union: Take 13: 0'48 Also wenn ich bereit wäre, als Gesetzgeber, mögliche Risiken zu akzeptieren, wäre ein logischer Schritt, das zu tun, was heute möglich ist, nämlich die Grenzwerte zu senken. Aufgrund der Ergebnisse, die wir im REFLEX-Projekt erhalten haben, aufgrund auch der Ergebnisse von anderen Autoren, die in der Zwischenzeit vielfältigst publiziert worden sind, spräche alles dafür, dass man die Grenzwerte nicht mehr nach Schema F, entsprechend der Wärmeeinwirkung festlegt, sondern nach den heute bekannten biologischen Wirkungen, die weit unter diesem Grenzwert einsetzen. Dass man ihn stark senken könnte, ohne die Technik zu gefährden, das hat man mir wiederholt bestätigt. Sprecherin Wegen der Klagen aus der Bevölkerung und Befürchtungen der Wissenschaft wurde 2002 das deutsche Mobilfunkforschungsprogramm begonnen. Zuständig für die Ausschreibung der Studien war das Bundesamt für Strahlenschutz mit Hauptsitz in Salzgitter. Finanziert wurden die Kosten in Höhe von17 Millionen Euro je zur Hälfte von der Bundesregierung und den vier deutschen Mobilfunkbetreibern. Das bedeute aber nicht, dass sie Einfluss auf die Forschung genommen hätten, sagt Karsten Menzel von E-Plus: Take 14: 0'36 Von Anfang an war es wichtig, dass die WHO-Kriterien eingehalten wurden, was ein transparentes Managementverfahren auch anging. Die Betreiber hatten also zu keinem Zeitpunkt irgendwie Einfluss oder Mitspracherecht über die Vergabe der Mittel, sondern wir haben unser Know-how eingebracht hier am Runden Tisch, wo wir mit unserem Wissen über die Technik, über die Funktionsweise von Mobilfunk hier entsprechenden Input liefern konnten. Aber wenn es um Forschungsfragen ging, dann haben die Wissenschaftler selbst, oder die Strahlenschutzkommission, Akzente gesetzt und gesagt, was soll erforscht werden und welche Auftragnehmer sollen da ausgewählt werden. Sprecherin Die Untersuchungen des Mobilfunkforschungsprogramms bezogen sich auf die vier Gebiete Dosimetrie, Biologie, Epidemiologie und Risikokommunikation. Für das Letzte war beim Bundesamt für Strahlenschutz Christiane Pölzl zuständig: Take 15: 0'26 Da haben wir eben festgestellt, das es über diese ganzen Jahre hinweg, das haben wir eben vergleichend abgefragt, das Handy als geringerer beeinträchtigender Faktor gesehen wird, als andere Faktoren, wie zum Beispiel Luftverschmutzung oder Nebenwirkungen von Medikamenten oder auch UV-Strahlung. Aber zum Großteil wird es tatsächlich verwendet, um den Alltag zu organisieren, gerade bei der Jugend ist es heute wirklich zum selbstverständlichen Gegenstand geworden. Sprecherin Bei Messungen, vor allem im Saarland, haben die Forscher von der Dosimetrie herausgefunden, dass sich die Sendeanlagen in Deutschland tatsächlich an die vorgegebenen Grenzwerte halten. Und die Bundesnetzagentur sorgt dafür, dass auch dort, wo sich verschiedene Sender überlagern, die elektromagnetischen Felder im gesetzlichen Rahmen bleiben. Dennoch erlebten die Techniker auch Überraschungen, zum Beispiel in Wohnungen, wo zusätzlich Geräte wie Fernseher, Mikrowelle und Trockner laufen während man per WLAN im Internet surft und schnurlos telefoniert. Dirk Geschwentner vom Bundesamt für Strahlenschutz: Take 16: 0'32 Es hat sich zum Beispiel herausgestellt, dass in einigen Innenräumen, gerade auf kurzer Entfernung, teilweise auf wenigen Zentimetern, die Emissionen hier um Faktor 10 bis 100 schwanken können. Und da müssen Sie natürlich Verfahren haben, um das Maximum zu finden und daraufhin dann auch eine Bewertung vorzunehmen hinsichtlich der Grenzwerte. Unser Ergebnis ist halt, dass die höchsten Expositionen durch die Geräte erzeugt werden, die man selbst im eigenen Umfeld betreibt. Und da kann man natürlich genau prüfen, ob man wirklich eine drahtlose Technologie nutzen muss oder ob man nicht kabelgebundene Systeme beibehalten kann. Sprecherin Für die Epidemiologie, das heißt das Suchen nach auffälligen Krankheitsbildern in der Bevölkerung war Michaela Kreuzer vom Bundesamt für Strahlenschutz verantwortlich: Take 17: 0'49 Dazu wurden in Westdeutschland 25 starke Radio- und Fernsehsender in die Studie aufgenommen. Sozusagen ein Radius um diesen Sender gebildet, und dann alle Kinderleukämiefälle in diesen Senderegionen in diese Studie aufgenommen, es waren fast 2000 Fälle im Zeitraum 1983 bis 2003. Und dazu parallel Vergleichsgruppen aus der Allgemeinbevölkerung mit gleichem Alter, gleichem Geschlecht, auch aus der Senderegion. Man hat dann sehr aufwendig versucht, über die historischen Betreiberdaten, eben von den einzelnen Radiosendern eine Expositionsschätzung vorzunehmen. Und das Ergebnis der Studie war, es konnte kein Zusammenhang zwischen geschätzter Feldstärke und einem erhöhten Kinderleukämierisiko festgestellt werden. Sprecherin Auch eine Zunahme von bestimmten Hirntumoren und Augen- oder Ohrenerkrankungen bei Handynutzern fanden die Studien nicht. Grund zu einem erleichterten Aufatmen sehen andere Wissenschaftler deshalb aber noch nicht. Franz Adlkofer von der Verum-Stiftung in München: Take 18: 0'50 Da kann man natürlich dagegenhalten, die Epidemiologie ist ja gar nicht in der Lage, einen Beweis zu liefern. Die Epidemiologie liefert Hinweise dafür, dass ein Tumorrisiko bestehen könnte. Und sie liefert sogar sehr eindeutige Hinweise dafür. Es gibt weltweit zahlreiche epidemiologische Studien, in verschiedenen Ländern durchgeführt, und die meisten dieser Studien, die einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren abdecken, zeigen übereinstimmend, dass ein erhöhtes Risiko nach einer zehnjährigen Nutzungsdauer des Mobiltelefons bestehen könnte. Wenn man nun so genannte Metaanalysen aus diesen Studien macht, dann ist die Risikoerhöhung nach zehn Jahren sogar signifikant. Sprecherin Eine Meta-Analyse fasst mit statistischen Mitteln die Ergebnisse verschiedener vorhandener Untersuchungen zusammen. Die fehlenden Langzeitstudien sind ein Problem, das auch die Biologin Gunde Ziegelberger vom Bundesamt für Strahlenschutz sieht: Take 19: 0'26 Zum Beispiel bei leistungsstarken Endgeräten, wir da durchaus bei möglichen Langzeiteffekten noch ein Fragezeichen haben, weil da unsere Studien einfach vom Tiermodell nicht wirklich auf den Menschen extrapolierbar sind, weil wir eben nicht Kopfexpositionen simulieren konnten, chronisch. Und weil halt diese Krebsarten so lange Latenzzeiten haben, dass wir da einfach die Fragen noch nicht beantworten können. Musikzäsur Sprecherin Die Deutsche Mobilfunkstudie fand keine Belege, dass Menschen von Handystrahlung krank werden. Dennoch akzeptieren die Wissenschaftler, dass einige deswegen leiden. Unsere Baden-Württembergerin vom Anfang ist umgezogen, der Funktechniker Ulrich Weiner campiert seit Jahren in einem Wohnwagen im Wald, wo ihn keine elektromagnetischen Felder erreichen. Bauberater und Ingenieure leben inzwischen davon, bei Betroffenen zu messen und Abschirmungen gegen die Strahlung zu empfehlen, wie zum Beispiel der Messtechniker Dietrich Ruoff: Take 20: 0'36 Die Nachfrage steigt ständig an, also ich habe sehr viel Aufträge und auch Kollegen haben sehr viel Aufträge. Oftmals ist der Verdacht, dass es ne Sendeanlage in der Umgebung ist und dann kommt man vor Ort und stellt fest: Das Schnurlostelefon in der eigenen Wohnung ist eigentlich die Hauptquelle. Das passiert immer wieder. Aber auch da ist ja die Aufklärung wichtig. Also es gibt schon Möglichkeiten sich zu schützen, wenn die Strahlung entsprechend hoch ist oder wenn man niedrigere Werte möchte oder wenn man sogar empfindlich sogar schon ist darauf. Neuere Fenster schützen von sich aus schon. Aber ansonsten muss man immer ein komplettes Konzept machen. Und das sollte ein Fachmann begleiten. Realisieren kann das der Kunde selbst, natürlich. Die Kosten bleiben beim Betroffenen. Der hat den Schaden und die Kosten. Sprecherin Als Teil des Mobilfunkforschungsprogramms wurde 2004 ein Runder Tisch eingerichtet, an dem neben Strahlenschützern und Mobilfunkern auch Vertreter des Naturschutzes, Verbraucherschützer und Andreas Kappos von der Bundesärztekammer sitzt. Take 21: 0'44 Es gibt sicher Leute, die empfindlicher sind als andere. Von Seiten der Ärzte kann ich nur empfehlen, dass sie diese Beschwerden ernst nehmen, und auf diese Beschwerden eingehen. Denn auch wenn es nicht die elektromagnetischen Felder sind, die diese Beschwerden machen, so gibt es sicher einen Grund. Denn die Beschwerden sind real und man muss dem nachgehen. Von Seiten der Patienten denke ich, gibt es wenige Möglichkeiten sich zu schützen, weil die elektromagnetischen Felder eigentlich ubiquitär sind. Wenn einer ein Handy nutzt, ist er sehr beleidigt, wenn er plötzlich an eine Stelle kommt, wo er keinen Empfang hat. Und das ist ein sehr starker öffentlicher Druck auch, dem auch wirtschaftlich entsprechend entgegengekommen wird. Wir haben diese Technik ja erst seit zehn Jahren und es beunruhigt mich als Arzt schon, dass wir eine Technik jetzt entwickeln und so weit verbreiten, von der wir im Grunde genommen nicht völlig sicher sind, dass sie keine Langzeitfolgen hat. Sprecherin Während das Deutsche Mobilfunkforschungsprogramm lief, veröffentlichten auch andere Wissenschaftler Ergebnisse, zum Beispiel die REFLEX-Studie im Auftrag der Europäischen Union. Darin zeigten Zellen Genschäden, nachdem sie im Reagenzglas Mobilfunkstrahlung ausgesetzt wurden. Natürlich ist eine Zelle im Glas kein lebender Organismus, dennoch sollte man lieber vorsichtig sein als zu sorglos, meint der Koordinator der REFLEX-Studie, Franz Adlkofer: Take 22: 1'09 Das ist eine Schwäche der Wissenschaft. Von der Wissenschaft werden klare Antworten verlangt. Und es dauert oft Jahrzehnte, bis diese Antworten gegeben werden können. Beim Rauchen hat es hundert Jahre gedauert, beim Röntgen 30, 40 Jahre, bei Asbest ähnlich lange. Und jetzt haben wir das Problem elektro- magnetische Felder. Niemand wird glauben, dass wir in den nächsten zwei, drei Jahren eine eindeutige Antwort auf diese Frage bekommen werden. Aber es spricht immer mehr dafür, wie bei diesen anderen Risiken, die ich eben erwähnt habe, dass auch hier ein Gesundheitsrisiko vorhanden sein könnte. Vielleicht sollten wir etwas mehr aus diesen anderen Bereichen lernen. Und wenn es zu nichts anderem führt, als dass wir etwas vorsichtiger werden mit unserer Ablehnung eines möglichen Zusammenhangs. Einer Ablehnung, wie sie natürlich massiv von der Industrie vertreten wird und wie sie auch vom Bundesamt für Strahlenschutz vertreten wird. Sprecherin Das abschließende Urteil des Bundesamtes für Strahlenschutz fasst die Biologin Gunde Ziegelberger, zusammen: Take 23: 0'40 Wir finden, dass wir die Kenntnislücken erheblich geschlossen haben. Unser Mobilfunkforschungsprogramm arbeitet auch dem EMF-Projekt der WHO zu. Die WHO hat ja einen Forschungsplan aufgestellt, eben aufgrund der Kenntnislücken die existieren, und dass die Technik derart rasant ansteigt, und wir im Strahlenschutz leider manchmal der Technologie hinterherhinken. Und halt die Sorge war, dass wir vielleicht zu spät bemerken könnten, das sich hier ein Gesundheitsrisiko versteckt. Insofern haben wir das Gefühl, wir haben die Unsicherheiten verringert und sehen keinen Bedarf, an den Grenzwerten was zu ändern. Sprecherin Ein Urteil, dem sich die Mobilfunkbetreiber nur zu gern anschließen. Die Biologin Ine Gerstenschläger vertritt T-Mobile am Runden Tisch: Take 24: 0'20 Wir denken schon, dass der Mobilfunk eine breit akzeptierte Technologie in Deutschland ist. Wir denken, dass der Einzelne, der sich schützen möchte, das tun kann, gibt ja die Möglichkeit, ein Headset zu benutzen. Dass wir aber keinen Anlass sehen, aufgrund der Forschungslage, konkrete Warnhinweise für bestimmte Bevölkerungsgruppen rauszugeben. Sprecherin Am gleichen Runden Tisch vertritt Bernd Rainer Müller den BUND, den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland: Take 25: 0'22 Für die Mobilfunkbetreiber zählt allein die Einhaltung der Grenzwerte. Die Grenzwerte werden hier eingehalten, wenn auch mit weiteren Vorgaben, das heißt wir haben hier eine Abstufung auf körpernahe Grenzwerte und das ist aus meiner Sicht bei Kindern nicht überprüft und deswegen halte ich diese Vorgehensweise der Betreiber für vollkommen unbefriedigend. Sprecherin Nach vier Jahren am Runden Tisch mit vielfältigen Anhörungen von Experten, besorgten Bürgern und Technikern sieht Bernd Rainer Müller vom BUND das ganze Forschungsprogramm der letzten sechs Jahre kritisch: Take 26: 0'38 Die Bewertung dieses Mobilfunkforschungsprogramms ist in der Beziehung schwierig, weil sozusagen hier ein Organisationsprinzip gewählt wurde, was Probleme aufzeigt. Man ist vorgegangen nach dem Wachhund-Prinzip. Das heißt, man wollte erfassen, ob die derzeitigen Grenzwerte ausreichend sind. Unter diesem Gesichtspunkt der Gefährdung ist das richtig. Wenn es darum geht, die langfristigen Wirkungen zu erfassen, muss man anders vorgehen. Ich will das mal hier als Spürhund-Prinzip bezeichnen. Dazu hat das Programm keine Hinweise gegeben, dadurch wird auch sich in der Sache nichts ändern. Sprecherin Ein noch immer ungeklärter Fragenkatalog betrifft Kinder und Jugendliche. Sie sind die Gruppe der Bevölkerung, die die schnurlose Technik vom Handy über Bluetooth und WLAN-Computernetze bis zum Haustelefon am meisten nutzt. Doch über sie liegen fast keine Studien vor. Versuche zu Gehirnwellenveränderungen, Schlafstörungen und anderen vermuteten Einflüssen der Strahlung wurden an gesunden jungen Männern gemacht, auch aus ethischen Gründen. Doch ein SAR- Handystrahlungswert, der sich an der Körpermasse orientiert, muss bei einem halb so schweren jungen Menschen sicher anders bewertet werden. Die Biologin Heike Bleuel: Take 27: 0'51 Die Kinder und Jugendlichen heutzutage sind sehr früh mit dieser Technik konfrontiert worden, viel früher als unsereins, der ja erst seit 10 oder 15 Jahren ein Handy bei sich trägt. Von daher ist eine Langzeitwirkung möglich, die unsereins oder ältere Menschen gar nicht mehr erleben. Die Auswirkung dieser Strahlung ist ja gar nicht mehr so unbewiesen, es gibt ne Menge Kinder, die besser schlafen, wenn man ein schnurloses Heimtelefon ausmacht, oder wenn sie ihre Handys ausmachen. Kinder sind kleiner, haben kleinere Kopfdurchmesser, die Strahlung dringt tiefer in das Gehirn ein. Kinder befinden sich in der Entwicklung, sie haben eine ganz andere Zellteilungsrate wie Erwachsene, man weiß ja gar nicht genau, wie ein Kind auf die Strahlung reagiert. Besonders im Hinblick darauf, dass die sogenannten Grenzwerte ja nicht mit Kindern gemacht werden, sondern mit Kunstköpfen. Sprecherin Die Mobilfunkindustrie sieht diese Befürchtungen als übertrieben an. Schließlich würden die erlaubten Grenzwerte in der Praxis fast immer weit unterschritten. Auch eine Kennzeichnung für Handys, die den empfohlenen SAR Wert von maximal 0,6 Watt pro Kilo Körpergewicht einhalten, lehnen sie ab, trotz Drängens des Bundesamtes für Strahlenschutz. Karsten Menzel von E-Plus: Take 28: 0'37 In der Praxis wird die Sendeleistung heruntergeregelt. Wenn Sie ein Handy haben, was sehr gute Antenneneigenschaften hat, dann arbeitet es automatisch mit einer geringeren Sendeleistung, als wenn Sie ein Handy haben, was schlechte Sende- und Empfangseigenschaften hat. Da wird der Sendepegel immer möglichst hoch geregelt. Also, beim Kaufkriterium müsste man solche Dinge noch berücksichtigen, das gibt alleine der SAR-Wert nicht her, von daher ist gute Verbraucherberatung an der Stelle mehr als nur den SAR-Wert anzugeben und da setzen wir auch auf ein gutes Verkaufsgespräch, falls der Kunde mal nachfragt. Wenn die Kunden da mehr nachfragen würden, bin ich auch sicher, dass mehr Hersteller diesem Thema mehr Aufmerksamkeit widmen würden. Sprecherin Laut den Umfragen innerhalb des Mobilfunkforschungsprogramms sind 28 Prozent der Erwachsenen besorgt wegen der Handysender und elf Prozent führen gesundheitliche Beeinträchtigungen darauf zurück. Rund 80 Prozent der Deutschen ab 14 Jahren nutzen Mobiltelefon und schnurloses Telefon ständig. Mahnungen der Strahlenschützer, besonders junge Leute sollten möglichst lieber vom Festnetz telefonieren, das Handy nur anschalten, wenn es gebraucht wird und ein Headset benutzen, um die Strahlung nicht direkt am Kopf zu haben, stoßen da meist auf taube Ohren. Das stellte auch Christiane Pölzl vom Bereich Risikokommunikation beim Bundesamt fest: Take 30: 0'15 Jugendliche, die interessieren sich nicht so wirklich für Gesundheit. Das heißt, da haben wir noch ein Stück Arbeit vor uns, dass wir noch besser an die Jugendlichen herankommen. Zum Teil auch über die Eltern, zum Teil auch über die frühe kindliche Erziehung, dass das einfach einfließt, diese Kompetenz im Umgang mit dem Handy. Musikzäsur Sprecherin Wenn morgen Mittag der Bundesumweltminister und der Chef des Bundesamtes für Strahlenschutz die Resultate des deutschen Mobilfunkforschungsprogramms vorstellen, werden sie sicher stolz auf die Ergebnisse verweisen. Und sie werden begründen, dass keine akuten Gefährdungen gefunden wurden und die Grenzwerte für Sendemasten und Handys genauso bleiben wie bisher. Für viele kritische Bürger, wegen der Strahlung Leidende und etliche Wissenschaftler ist damit aber keine Sicherheit erreicht. Hoffen wir, dass wir nicht erst aus Schaden klug werden, falls in weiteren zehn Jahren andere Ergebnisse vorliegen sollten. Bis dahin muss jeder Einzelne für sich entscheiden, wie viel elektromagnetische Strahlung er an sich und seine Kinder heranlassen will. Sprecher vom Dienst Gesundheitsrisiko Handy? Neues im Streit um den Mobilfunk Eine Sendung von Susanne Harmsen Es sprach: Julia Mohn Ton: Ralf Perz Regie: Beatrix Ackers Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2008 Manuskripte und weitere Informationen zu unseren Zeitfragen-Sendungen finden Sie im Internet unter www.dradio.de Und hier noch ein Hinweis: Am nächsten Montag hören Sie an dieser Stelle: Arbeiten ohne Ende - Zwischen Selbstausbeutung und Selbstverwirklichung 1