Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Zeitfragen Denn es fühlt wie du den Schmerz - brauchen wir eine neue Ethik für den Umgang mit Tieren? Von Katja Bigalke Ausschnitt Hörspiel "Fräulein Caroline" Sie sind also geständig ein Schwein geschlachtet zu haben? Natürlich, vier Zentner wog es! Und haben Sie es vorher gefragt ob es nix gegen die Schlachtung einzuwenden hatte? Wenn man jemand schlachtet kann man sich nicht auf lange Gespräche einlassen. Und hat das Schwein nicht protestiert? Gequietscht hat es, das tun Schweine immer Sprecherin Ein Schwein wurde geschlachtet, ein ganz normaler Vorgang. Und wenn es sich dabei um ein sprechendes Schwein handelt, dass man als "Fräulein Caroline" kennt? In dem alten RIAS-Hörspiel, das diesen Gedanken durchspielt, verdirbt allein schon die Vorstellung dem ehemaligen Viehbesitzer mächtig den Appetit. Ausschnitt Hörspiel "Fräulein Caroline" Ich werde nie mehr Leberwurst essen können ohne Gewissensbisse. Und von Gewissensbissen bekomme ich immer Sodbrennen. Dann nimm Bicarbonat bis du dich an den Gedanken gewöhnt hast Sprecher Die einen nehmen Bicarbonat, andere verdrängen das schlechte Gewissen. Normal, sagt der Tierphilosoph Markus Wild O-Ton Formen des sich Versperrens gibt's ja immer wieder, wenn es Berichte über Skandale gibt in der Fleischindustrie, dann ist die Reaktion: lieber nicht drüber nachdenken. Wenn man versucht sich ein anderes Verhältnis zwischen Mensch und Tier vorzustellen? ja das wollen wir uns gar nicht ausmalen. Es gibt ja auch diesen Schriftsteller Jonathan Safran Foer der das Buch geschrieben hat "Tiere essen" eating animals" geschrieben und ich kenne einige Leute, die alle Bücher von ihm gelesen haben - aber dann sagen: "nee, das Buch les ich nicht, sonst muss ich auch noch mein Leben ändern." Sprecher vom Dienst Denn es fühlt wie du den Schmerz - brauchen wir eine neue Ethik für den Umgang mit Tieren? Von Katja Bigalke Atmo Gatter wird aufgemacht Sprecherin Der Hof Butenland auf der Halbinsel Butjadingen an der Nordsee. Jan Gerdes und seine Partnerin Karin Mück, schließen das Gatter hinter sich zu, machen sich auf den Weg zu den Kuhweiden. Die zweite Visite an diesem Tag. O-Ton Wir müssen die Kühe schon kontrollieren, weil die ja teilweise sehr gebrechlich sind, da müssen wir schon zweimal täglich gucken. Sprecher Gerdes zeigt auf eine rot-braune Kuh die Grashalme aus der Wiese zupft, Atmo Gras kurz hoch O-Ton hier haben wir eine Kuh: Jenny, die ist auch ziemlich, die hat massive Knieprobleme und wenn man jetzt von hinten guckt sieht man das sie auch ein total schiefes Becken hat Sprecherin Die meisten Tiere sind ehemalige Milchkühe. Eine bunte Mischung: rotbraune, schwarz- und braunweiß gefleckte Rinder, die gemütlich vor sich hinkauen. Idyllisch wirkt das Ganze. Aber der Eindruck trügt. Die Tiere auf Hof Butenland sind ausrangiert. Dauerschwangerschaft und Extrem-Milchleistung haben sie schnell altern lassen. Mit sechs Jahren waren die meisten von ihnen schon kaputt. Deswegen leben sie jetzt im Altersheim für Kühe erklärt Karin Mück. O-Ton Da entsteht oft die Frage: wie alt wird denn überhaupt eine Kuh? Also eine Kuh kann dreißig Jahre alt werden. Sprecher Hof Butenland ist ein Ort der Ruhe. Mittlerweile. Jan Gerdes, 58, ist auf dem Hof aufgewachsen. Er ist groß geworden erst in der konventionellen, dann in der biologischen Landwirtschaft O-Ton Das war ein richtiger Milchkuhbetrieb: Es waren damals 35 Kühe. Wie ich hier anfing. Und als Biobauer hat man das Bestreben, den Tieren ein soweit wie möglich schönes Leben zu präsentieren. Es sollte eigentlich immer besser werden. Dann habe ich ein bisschen rumexperimentiert und bin dann nach 20 Jahren zu dem Schluss gekommen, dass artgerechte Tierhaltung das geht eigentlich gar nicht. Sprecherin Irgendwann konnte Gerdes schlicht nicht mehr. O-Ton Es gibt ein paar Punkte, die brutal sind. Irgendwann bestimmt man, dass die Leistung der Tiere nicht mehr reicht, dass das Tier geschlachtet wird, es geht da nur um Geld und was mir immer schwierig war, war immer die Kälber von den Müttern zu trennen, in der Regel werden den Müttern die Kälber sofort nach der Geburt weggenommen. Wenn die sich mal kennengelernt haben dann kommunizieren die unter Umständen fast Kilometer weit und das kann man auch Nachts hören weit und dann macht man sich noch mehr Gedanken und dann hab ich gedacht ich werde lieber Veganer als das ich das so weiter betreib. Sprecher Gerdes wollte den Hof schließen, alle Tiere verkaufen. Aber als der Viehtransporter kam, passten 10 Kühe nicht hinein. Sie blieben zurück, eigentlich nur für drei weitere Monate - so war es geplant. Aber dann blieben sie für immer. O-Ton Das war eine ganz traurige Angelegenheit für uns. In dem Moment haben wir beide beschlossen "Ihr, die ihr noch steht, ihr macht den Weg nicht. Das war dann der Anfang von unserem Lebenshof. Sprecherin Mittlerweile beherbergt der Hof, der sich über Spenden und Patenschaften finanziert, 34 Rinder und ein paar andere ausrangierte Nutztiere. Hergebracht von Menschen, die ihnen ein trauriges Schicksal ersparen wollten. Selbst für die vor kurzem verstorbene Kuh Gisela gab noch so etwas wie ein Happy End. O-Ton Das war eine Kuh, die 14 Kälber hatte, keines ihrer Kälber erleben durfte. Die kam aus einem Milchviehbetrieb aus Thüringen, war 17 Jahre alt als sie kam. Und die stieg vom Hänger und brach sofort zusammen. Steife Hinterbeine, auf einem Auge blind und den Schwanz gebrochen. Es kam immer wieder zu Einbrüchen. Bis dann eine Kuh vom einem Nachbarhof ausbrach, die haben wir behalten, weil sie hochträchtig war. Die haben wir mit Gisela zusammengeführt das Kalb und Mutter und Gisela, diese Kuh, die blühte auf einmal auf. Sie sah dieses Kälbchen, der Kopf ging hoch, sie hat alle Kräfte zusammengenommen und sie hat sich ein Jahr um dieses Kälbchen gekümmert. Das Kälbchen ist immer nur zu der Mutter zum Trinken gegangen und zum Kuscheln zu alten Oma Gisela. Und Gisela war für mich das Leid der ganzen Milchindustrie Sprecher Die Geschichten der Kühe, die bei Gerdes und Mück leben, sagen viel über das Mensch-Tier Verhältnis. Entsprechend radikal ist auch die Vision der Hof-Butenland- Besitzer: Das Ende der Tierhaltung überhaupt, egal ob zuhause, auf dem Bauernhof, im Zoo oder Zirkus. O-Ton Nachdem was wir jetzt wissen, dürften sie eigentlich nicht mehr existieren. Das ist ja auch unsere Vision, dass man eines Tages gar keine Tiere mehr züchtet und gar keine Tiere mehr hält. Dann leben Menschen auf diesem Planeten in Dörfern und Städten und es gibt noch viele wildlebende Tiere: Hasen, Rehe, Hirsche, Wildschweine und die werden in Freiheit leben und die vom Menschen gezüchteten Tiere wird es nicht mehr geben. Atmo Hof Ausschnitt Hörspiel "Fräulein Caroline" Nach der natürlichen Ordnung ist der Mensch allein befähigt durch den Gebrauch des Wortes sich selbst und die übrige Kreatur zu beherrschen zu organisieren (Zwischenruf) Auszubeuten! Lieber Kollege sind sie vielleicht Vegetarier? Sprecherin Unser Verhältnis zu Tieren so radikal zu ändern wie es den beiden Betreibern von Hof Butenland vorschwebt, würde zunächst bedeuten, unausgesprochene Kodizes zu hinterfragen. Zum Beispiel die Festlegung, welches Tier zum Verzehr frei gegeben wird und welches durch ein Tabu davor beschützt ist. Warum essen wir zum Beispiel keine Hunde, Schweine aber schon, obwohl diese mindestens genauso intelligent, gesellig und empfindsam sind wie Hunde? Die Unterscheidung ist kulturell geprägt. Von einem biologischen Standpunkt aus ist es aber Unsinn zwischen wilden Bestien, Nutz- und Haustieren so zu unterscheiden, wie es in westlichen Industrieländern gemacht wird. O-Ton (Voice Over) Das sind Kategorien, die sozial konstruiert sind. Diese Begriffe sagen nichts über die Natur der Tiere aus, aber darüber wie wir sie verwenden wollen. Sprecher sagt die Professorin Helene Pedersen, die an der Universität Stockholm als Erziehungswissenschaftlerin den Umgang mit dem Tier in der Bildung hinterfragt: O-Ton (Voice Over) Ich denke mit der Modernisierung der Gesellschaft und der großen Zunahme von Tierprodukten und Haustieren, empfinden wir eine steigende Notwendigkeit Tiere zu kategorisieren, so dass jedes Tier seinen Platz hat. Das ist sehr symbolisch auf der einen Seite, hat aber auch sehr physische Konsequenzen für die Tiere. Die einen gehören ins Haus, die anderen in die Fabrik oder ins Labor. Sprecherin Vor allem für die so genannten Nutztiere sind die physischen Konsequenzen dieser Kategorisierung gut dokumentiert: Sprecher 85 Prozent der deutschen Bevölkerung essen täglich oder nahezu täglich Fleisch und Aufschnitt. Das sind im Durchschnitt etwa 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr und Kopf. In seinem Leben verspeist so jeder Deutsche insgesamt rund 1100 Tiere, darunter etwa 945 Hühner. 99 Prozent dieser Masthühner stammen wiederum aus Mastbetrieben mit mehr als 10.000 Tieren, 40 Prozent davon aus Betrieben mit einer Bestandsgröße von 100.000 Tieren und mehr. Allein in deutschen Schlachthöfen werden pro Jahr mehr als 58 Millionen Schweine und 4 Millionen Rinder geschlachtet. Weniger als 3 Prozent von Ihnen stammt aus der biologischen Tierhaltung. Sprecherin In den meisten Fällen ist das kurze Leben dieser Tiere auf Fressen, Verdauen, Wachsen und Vermehren reduziert. Viele von ihnen sehen niemals das Tageslicht. Milchkühe werden, sobald sie ein Kalb gebären, sofort von diesem getrennt, damit die Milchproduktion für den Markt nicht ins Stocken gerät. Hühnern und Schweinen, die auf dem kleinen Raum, der ihnen zum Leben zugestanden wird, leicht aggressiv werden, schleift oder stutzt man prophylaktisch Zähne oder Schnäbel. Tiere die keinen längerfristigen Mehrwert erwirtschaften , wie männliche Küken oder Kälber, werden meist sofort nach ihrer Geburt getötet. Ausschnitt Hörspiel Animal Farm Das Leben eines Tieres ist Elend und Sklaverei - das ist die simple Wahrheit - gehört das aber zur Ordnung der Natur? Warum fahren wir fort auf so klägliche Art zu leben - weil uns fast das ganze Produkt unserer Arbeit von den Menschenwesen gestohlen wird - entledigt euch nur des Menschen, und das Produkt eurer Arbeit ist euer Eigen. Das ist meine Botschaft an euch Kameraden. Revolution! Sprecher In "Animal Farm" nach George Orwell ist es das Tier selbst, das seine Haltungsbedingungen scharf kritisiert. Ein alter Zuchteber ermuntert seine Mitgeschöpfe auf der Farm zum Aufstand gegen ihren ausbeuterischen Halter. Atmo Hymne der Tiere Sprecherin In ihrem Kampf haben die Tiere nun Verstärkung bekommen: In Form der "human- animal studies", einer aus dem angelsächsischen Raum stammenden Forschungsrichtung. Diese hinterfragt - ähnlich wie Tierbefreier oder Tierrechtler - das Tier-Mensch- Verhältnis grundsätzlich. Allerdings gehen die Forscher dabei nicht den aktivistischen Weg sondern den über die Wissenschaft. O-Ton Mensch-Tier Beziehungen spielen keine Rolle in den meisten Wissenschaften vor allem in den Gesellschafts- und Geisteswissenschaften und das wollen die human- animal-studies bewirken: dass die Verhältnisse zu Tieren Teil der Forschung werden. Sprecher erklärt der Sozialwissenschaftler André Gamerschlag, der im Umfeld der Humboldt Universität den Chimaira - Arbeitskreis mitbegründet hat. Es ist eine von mittlerweile einem knappen Dutzend Hochschulgruppen in Deutschland, die Human-Animal Studies betreiben. Ihr Thema: O-Ton Die gesellschaftliche oder kulturelle Rahmung von Mensch Tier Verhältnissen. Das ist zum Beispiel in der Marktwirtschaft wird durch Tiere Mehrwert produzieren. Dann wie ist das Tier als Metapher in unserer Denke drin: Dass man davon ausgeht, dass es den Menschen und das Tier gibt, so als wenn Menschenaffen und Würmer alle zusammen in die Kategorie Tier pressen würden. Oder eine andere Sache in diesem Bereich die Verbindung von Mensch Tier-Verhältnissen auf zwischenmenschliche Ausbeutungs- und Gewaltverhältnissen. Da werden Juden als Parasiten bezeichnet, Indigenas als Wilde und Schwarze als Halbaffen. Das Mensch Tier Verhältnis ist eine Schablone für zwischenmenschliche Gewalt - wenn man Gewalt zwischen Menschen legitimieren will. Sprecherin Und das wollen die human animal studies nicht. Sie verfolgen einen emanzipatorischen Ansatz und sehen sich eher in der Tradition der feministischen Gender Studies, als in der Nähe der zoologisch-biologischen Forschung. Sie stellen den Platz in Frage, der dem Tier bis dato in der Wissenschaftslandschaft und der Gesellschaft zugedacht wird. Sprecher Nur, wo soll das hinführen, wenn der Mensch aufhört, das Tier als grundsätzlich andere Spezies zu denken? O-Ton Theoretisch gesehen können diese Grenzen überwunden werden, indem man Menschen aufklärt und Menschen bereits sind darauf zu verzichten, sich über Tiere zu stellen. Im Ganzen wird das schwer werden, dass Menschen darauf verzichten, Tiere auszubeuten. Andererseits muss man auch sagen, es waren auch mal weiße Männer die Gesetze definiert haben und irgendwie ist es auch dazu gekommen dass Frauen ihre Rechte bekommen haben. Bei der Tierrechtsbewegung wird es natürlich schwieriger weil die Tiere sich nicht selbst artikulieren können. Ausschnitt Hörspiel "Fräulein Caroline" Aber es ist kein Schwein wenn es sprechen kann. Nimm das Lexikon und lies: Sprache: Das nur den Menschen eigene Vermögen, Gedanken und Erkenntnisse in artikulierten Lauten zu formulieren und mitzuteilen und in gemeinsamer Bemühungen weiterzuentwickeln. Da siehst du: nur der Mensch kann reden und denken und erfinden und regieren. Nur der Mensch - kein Schwein tut so etwas. Atmo Naturkundemuseum Sprecherin Was wäre, wenn Schweine sprechen könnten? Was würde das für ihr Verhältnis zum Menschen bedeuten? Im Berliner Naturkundemuseum gibt es einen Saal, der sich der Darwinschen Evolutionstheorie widmet. Zebra, Tiger, Beutelwolf sind hier in Vitrinen zu sehen. Über dem Saal thront das Gerippe eines Orang-Utans. Der Affe steht auf zwei Beinen - ein Distinktionsmerkmal, das er mit dem Menschen teilt und ihn unterscheidet von anderen Tierarten : O-Ton Klar geht das auf den aufrechten Gang zu - der aufrechte Gang hat ja in der Philosophiegeschichte eine wechselhafte Geschichte. Einerseits gilt er als die Würde des Menschen, wo gezeigt wird, dass der Mensch viel Sicht hat. Er kann die Dinge aus Distanz betrachten. Ist näher an den himmlischen Sphären ist nicht auf den Boden geklebt. Bei Freud ist es wichtig dass die Distanz zu den Geschlechtsteilen größer geworden. Ist nicht mehr so auf seine Triebe fixiert. Sprecher Markus Wild ist Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Basel. Und er ist Tierphilosoph. O-Ton Sobald man Darwin ernst nimmt, kann man nicht mehr davon ausgehen, dass es in der Natur so etwas wie feststehende Essenzen gib. Das man sagt, das übt das einen gewissen Druck auf die Philosophen aus. Wir müssen irgendwie mit dieser Verwandtschaft zurechtkommen. Sprecherin Eine verwirrende Erkenntnis, auch für die Philosophie, in der es ja stets um die Frage geht, was den Menschen ausmacht in Abgrenzung zum Tier. O-Ton Der Mensch ist das Tier oder das Lebewesen + X Sprecher Bei Aristoteles, das Tier das spricht und Staaten bildet Bei Descartes, das Tier, das eine Seele hat Bei Kant, das Tier, das vernunftfbegabt ist Sprecherin Aber wie berücksichtigen wir eigentlich die unendlich vielen Unterschiede unter den Tierarten? Kann man ein Schwein wie eine Muschel behandeln, nur weil beide dem Tierreich zugeordnet werden? Und wie findet der Mensch heraus ob ein Tier etwa eine Seele hat oder vernunftfähig ist, wenn er sich wegen seiner Andersartigkeit nicht in das Tier hineinversetzen kann? Was bedeutet Sprache außerhalb der menschlichen Kommunikation? O-Ton Wenn wir aber sehen, was die empirischen Erkenntnisse über die kognitiven und psychischen Fähigkeiten von Tieren gezeigt haben, scheint ganz viel ohne Sprache möglich zu sein. Sprecher Laut Wild ist es einem Lebewesen zum Beispiel auch ohne Sprache möglich über ein Bewusstsein zu verfügen. O-Ton Da bin ich der Ansicht, dass die Empfindungsfähigkeit der Ansatz sein muss. Weil erst wenn ein Wesen empfindungsfähig ist, gehen das Wesen die Dinge, die ihm passieren, etwas an. Es hat sozusagen eine Innenperspektive und durch Das Bewusstsein, die Empfindungsfähigkeit, kann es Dinge als für es gut oder für es schlecht bewerten. Und die Empfindungsfähigkeit kann man so als Basis dafür ausweisen, dass ein Wesen überhaupt Interesse haben kann. Also meiner Meinung nach beginnt die buchstäbliche Zuschreibung von Interesse schmerzfrei zu sein erst auf der Ebene der Empfindungsfähigkeit. Sprecherin Und der Mensch schreibt ja vielen Tieren zu, Schmerzen zu empfinden. Zu Recht, meint Wild. O-Ton Wir sind ja auch mit Tieren verwandt. Und diese Verwandtschaft gibt eine gute Grundlage ab für die Übertragung dieser Kriterien. Sprecher Trotz aller Andersartigkeit des Menschen, ist er Tieren in vieler Hinsicht ähnlich. Das führt zu der Frage: Warum weitet man nicht bestimmte Grundsätze, die für uns Menschen gelten, auch auf die Tiere aus? Ähnlich wie man für unmündige Kinder, die sich bis zu einem gewissen Alter nicht artikulieren können, Rechte etabliert und verteidigt, könnten auch Tiere deutlich stärker unter Rechtsschutz gestellt werden. O-Ton Diese Idee der Tierrechte hat in einigen nationalen Gesetzgebungen schon Einfluss: Zum Beispiel in Spanien, da gibt es Tierrechte für Menschenaffen, die dürfen nicht mehr getötet werden oder für medizinische Forschung benutzt werden und eigentlich auch nicht eingesperrt werden. Sprecherin In der Schweiz gibt es eine Ethikkommission für Biotechnologie im Außerhumanbereich, die sich auch mit Fragen der Tierethik beschäftigt. Außerdem ist in der Schweizerischen Bundesverfassung seit 1992 der Schutz der Würde der Kreatur verankert. Dazu gehört auch das Behüten von Tieren vor Erniedrigung, vor übermäßiger Instrumentalisierung und vor Eingriffen in ihr Erscheinungsbild. Im Vergleich etwa zum deutschen Tierschutzgesetz, das den anderen Geschöpfen lediglich Leidensfähigkeit zugesteht, wird dort dem Tier mit dem Schutz seiner Würde, ein Wert an und für sich zugestanden. Sprecher Im konkreten Fall einer Missachtung der tierlichen Würde wird allerdings auch in der Schweiz zwischen der Schwere der tierlichen Beeinträchtigung und der Schutzwürdigkeit der entgegenstehenden - meist menschlichen - Interessen abgewogen. O-Ton Im Fall von Interessenskonflikten haben Tiere immer die Nummer 2 auf dem Rücken. Aber sogar innerhalb eines Machtverhältnisses gibt es die Möglichkeit, die Asymmetrie der Machtverhältnisse auszugleichen. Die Funktion des Rechts ist auch der Schutz von Minderheiten, oder im Fall von Tieren von asymmetrisch Schwächeren. Ausschnitt Hörspiel "Fräulein Caroline" Und habe ich nun wirklich die gleichen Rechte wie ein Mensch? Die gleichen natürlich! Auch das Recht auf den eigenen Körper, Schutz gegen willkürliche Freiheitsberaubung und vorsätzlicher Mord Freilich freilich, das ist nun wohl vorbei Atmo In der Küche O-Ton Das Schwein des Veganers - Räuchertofu: wenn du den anbrätst, dann wird das sehr speckig. Sprecherin Attila Hildmann steckt sich einen Würfel Räucher-Tofu in den Mund, kaut lustvoll drauf herum. Der 32-jährige Deutsch-Türke steht in der Küche des veganen Gourmet-Restaurants La Mano Verde in Berlin, schaut einem Koch beim Zubereiten einer Quiche aus winzigen Blumenkohl-Carrés, Oliven und Cashews über die Schulter. O-Ton Ist ja optisch ein absolutes Highlight, man würde ja jetzt nicht denken, "oh Gott ich ess jetzt Körnerfraß." Sprecher Hildmann ist in Deutschland so etwas wie der Jamie Oliver der veganen Küche. Er hat zwei Kochbücher veröffentlicht, "vegan for fun" und "vegan for fit. Beides Bestseller. O-Ton Ich habe mit meinen Büchern auf jeden Fall dieses Klischee aufgebrochen, von Jemanden, der militant war und von jemanden der von anderen erwartet, dass sie es genauso machen. Das war Problem das ich am Anfang hatte nicht mit den Fleischessern die gesagt haben, Attila lass mich in Ruhe sondern es waren die Leute, aber Attila was machst du sonst noch? Achtest du auf deine Schuhe? Achtest du auf deine Klamotten. Ich habe immer nur die gesehen in der Straße, die sagen "Fleisch ist Mord", die von Leuten was verlangen ohne Angebote zu machen. Die sagen, du musst nicht dein komplettes Leben ändern du kannst auch mal nen veganen Tag oder ne vegane Woche einlegen. Sprecherin Hildmann selbst entdeckt die vegane Küche als sein Vater im Jahr 2000 überraschend an einem Herzinfarkt stirbt. Hoher Cholesterinspiegel und schlechte Ernährung seien die Todesursachen gewesen, meint Hildmann. Er fuchst sich langsam ein in das neue Kochuniversum, lernt neue Zutaten kennen. O-Ton Also zum Beispiel hast du hier eine große Armada an Hülsenfrüchten, verschiedene Nussbuttervariationen...hier haben wir jetzt z.B. Sesammuß... Sprecher (drauf) Vegane Lasagnen, Pilz-Risottos, Algen-Salate, Pestos für Zucchininudeln. Mit diesen Gerichten verliert der einst übergewichtige Hildmann selbst 30 Kilo. Er fühlt sich wohl. Warum, fragt er, gibt es nach wie vor so viel Widerstand gegen diese Ernährungsweise? Warum gibt es auf die eh schon subventionierte Milch einen Mehrwertsteuersatz von 7%, auf Milchersatzprodukte wie Hafer-, Mandel- oder Sojamilch aber volle 19 %? Warum kann man sich in Deutschland nicht zum Koch ausbilden lassen, ohne während der Ausbildung mit Fleisch kochen zu müssen? Dies scheinen sich angesichts wiederholter Fleischskandale auch andere Leute zu fragen. Der Vegetarierbund geht im Moment von rund 7 Millionen Vegetariern und 800.000 Veganern in Deutschland aus. Anzahl steigend. O-Ton Weil es einfach zeigt, dass die Menschen nicht dumm sind und dass man sie nicht dumm behandeln muss. Und das ist doch was, wenn die Menschen langfristig bei einer gesunden Ernährung bleiben, die auch umweltpolitisch und tierschutzpolitisch einen unglaublichen Einfluss hat. Und wenn es so exponentiell wächst, kann sich der Markt auf einiges vorbereiten. Sprecherin "Was dem Menschen gut tut, nutzt auch dem Tier" - Hildmanns Ansatz das Mensch- Tier Verhältnis zu revolutionieren geht durch den Magen. Musik Ausschnitt Hörspiel "Fräulein Caroline" Fräulein Caroline, wird sich ihre Wünsche nicht verweigern lassen, ohne dass sie sich bald renitent und widerborstig zeigt Und eines schönen Tages hat Fräulein Caroline den Prophezeiungen recht gegeben Fräulein Caroline streikt Atmo Herzlich willkommen zur ersten Session dieses zweitägigen Marathons zum Thema animal studies und das Politische....... Sprecher (drauf) Zum Kongress mit dem Titel "Kritik der Politischen Zoologie" hatte in diesem Sommer der Wiener Künstler und Theoretiker Fahim Amir, auf den Hamburger Kampnagel geladen. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Zoo 3000 diskutierten hier ein gutes Dutzend internationaler Experten über Solidarität, Ausbeutung und Diskriminierung in den Mensch-Tier-Verhältnissen. "Nur mit dem Tier lässt sich gut politisch denken", behauptet Amir zur Eröffnung des Kongresses. O-Ton Weil auf der einen Seite unterschiedliche Tiere in teilweise sehr enger Beziehung zum Menschen stehen, auf der anderen Seite aber das Tier auch etwas Eigenes darstellt. Und diese Spannungen auszuhalten, das gelingt den gängigen Modellen des Sozialen und des Politischen nur sehr schwer Sprecherin Wie benutzt der Mensch das Tier und welches Mitspracherecht hat eigentlich das Tier in seinen vielfältigen Beziehungen zu uns? Wenn man diese Frage konsequent überdenkt, landet man schnell bei Leibeigenschaft, Ausbeutung oder eben Würde. Die Analyse dieser Begriffe zieht sich dann auch wie ein roter Faden, durch die, zum Teil recht exotischen Vorträge des Kongresses, die sich etwa mit dem Einfühlungsvermögen in den Veterinärwissenschaften beschäftigen, mit Transspezies - Solidarität in einer postkolonialen Welt oder auch mit Formen des Widerstands in der Nutztierhaltung O-Ton Es gibt eine Truppe französischer Ökonominnen, die hat Videokameras in Ställen aufgestellt - in Kuhställen, über einen Monat, 24 Stunden alles aufgenommen. Und was die festgestellt haben ist, dass es Formen von Streiks gibt und kollektive Interessenskämpfe. Auch bei Kühen. Dass wirklich ältere Kühe sich dann weigern, bestimmte Dinge zu tun, die der Bauer will, weil sie bestimmte andere Dinge zuerst wollen. Alle machen einen Sitzstreik, die verlassen den Stall nicht, lassen sich nicht melken bis der Bauer ihren Interessen entgegenkommt. Sprecher Folgt man diesem anthropomorphistischen Gedankenspiel menschliches Verhalten auf Tiere zu übertragen, dann ergeben sich daraus weitreichende Konsequenzen. O-Ton Es gibt Millionen arbeitende Tiere, ohne arbeitende Tiere gäbe es keine Stadt der Welt, gäbe es keine menschliche Zivilisation wie wir sie kennen, deshalb ist die Forderung die, dass sich die Gewerkschaften auch für die Interessen der nichtmenschlichen Arbeiter einsetzen müssten. Dieses Feld der arbeitenden Tiere geht sehr weit: ich würde auch behaupten auch Haustiere affektive Arbeiter/innen sind. Sprecherin Und das vor allem in Zeiten der Industrialisierung der Tierproduktion. Lebten Mensch und Nutztier bis vor ca. 80 Jahren meist noch in einer Art Schicksalsgemeinschaft miteinander, haben Aufzucht und Schlachtung heute einen stark entpersonalisierten Charakter. Das sieht man jedoch nur selten - Bilder aus der regionalen, biologischen Landwirtschaft, die nicht einmal vier Prozent der gesamten Produktion ausmacht, dienen häufig als Feigenblatt auch für die Massentierhaltung. O-Ton Warum hat die Fleischindustrie ein so großes Interesse daran, dass keine Bilder darüber, was wirklich in den Ställen passiert, an die Öffentlichkeit dringt? Warum ist der der gesamte pharmazeutische Komplex, so verschlossen, dass seit Ende der 80er Jahre kein einziges Bild mehr aus einem Tierversuchslabor an die Öffentlichkeit dringt? Ich glaube es gibt ein großes Interesse von bestimmten Menschengruppen, die ein großes Interesse daran haben, dass die Verhältnisse so bleiben wie sie sind. Sprecher Auch weil diese Verhältnisse in der Bildung als "normal" vermittelt werden, wie die aus Stockholm angereiste Erziehungswissenschaftlerin Helene Pedersen erklärt. Sie hat in einer Studie die veterinärmedizinische Ausbildung unter die Lupe genommen: O-Ton (Voice Over Frau) Ich interessiere mich dafür, was die Veterinärmedizin als sozialer Akteur mit den Menschen und den Tieren macht. Im Tierproduktionssektor ist es so, dass Tiere in erster Linie als Geld betrachtet werden. Sie müssen in Wert verwandelt werden. Und die Veterinärmedizin ist Teil dieses Systems. Sprecherin So dienen zum Beispiel Medikamente in der Nutztierhaltung weniger der Heilung kranker Tiere als der Aufrechterhaltung des Betriebs. O-Ton (Voice Over Frau) Ich denke, die Veterinärmedizin müsste von der Produktion abgekoppelt werden. Weil, solange dieses Verhältnis intakt bleibt, ist es schwierig die Produktionsbedingungen zu kritisieren Sprecher Was bedeutet es sich mit dem heutigen Mensch-Tier Verhältnis auseinanderzusetzen? Was bedeutet es, wenn Menschen die Emanzipation der Tiere fordern und doch gleichzeitig immer am längeren Hebel sitzen? Fräulein Caroline zieht sich am Ende der Geschichte in die Böhmeschen Wälder zurück. Sie ist enttäuscht von den Menschen. Sie vertraut ihren Versprechen auf Gleichberechtigung nicht mehr und sucht ihr Glück in der Natur. Ausschnitt Hörspiel "Fräulein Caroline" Ein freies Leben führen wir, wir sind für alle Zeiten befreit vom Menschenjoch. Sprecherin Fahim Amir hingegen hat Hoffnung. Er setzt auf die Vernunft des Menschen: O-Ton Ich glaube, es gibt viele Menschen, die sagen würden, ich möchte nicht in einer Welt der Ausbeutung leben auch wenn ich privat davon indirekt profitieren würde. Ich glaube an eine Solidarität der leidenden Körper oder der leidensfähigen Körper. Solidarität bedeutet auch, dass ich selbst nicht frei sein kann, wenn meine Freiheit bedeutet, dass der andere unterdrückt ist. Absage (auf Musik) Denn es fühlt wie du den Schmerz - brauchen wir eine neue Ethik für den Umgang mit Tieren? Ein Feature von Katja Bigalke Es sprachen: Julia Brabant und Romanus Fuhrmann Ton: Thomas Monnerjahn Regie: Roman Neumann Redaktion: Martin Hartwig Sie können die Sendung nachhören und nachlesen unter www.dradio.de 1