Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio Zeitfragen Abschied vom großen Ganzen - 10 Jahre Web 2.0 Ein Feature von Philip Banse und Andrea Frey O-Ton Funkenstrahlen (Intro-Musik) O-Ton Funkenstrahlen Ja, hallo und herzlich willkommen zum Funkenstrahlen-Podcast und heute gibt's eine besonders besondere Sonderfolge. Und zwar hat der Philip Banse gefragt, ob man nicht mal ein bisschen was zu Web 2.0 und den eigenen Erfahrungen dazu erzählen könne (…) Und um was es da genau geht, erklärt der Philip Banse am besten ma´ selbst. O-Ton Funkenstrahlen/Philips Aufruf Hallo, ich bin Philip Banse und arbeite unter anderem für Deutschlandradio Kultur und da mache ich ein Feature zum Thema Web 2.0 (01:23)… und dafür hätte ich gerne Euren Input, da brauche ich Eure Mithilfe. O-Ton männliche Stimme In erster Linie sehe ich das wirklich als Kommunikationsmedium, das neue Möglichkeiten eröffnet. O-Ton Gaza 2.0: (Trailer) Welcome to the Mideast Youth Podcast. Hey everyone and welcome to Mideast Youth. This is an urgent podcast detailing the dreadful situation in Gaza… O-Ton Evangelisch: (Musiktrailer) E… wie: Evangelisch… Die Barmherzigkeit O-Ton Attac Trailer O-Ton Ursula Fritzl: Im Moment sitze ich in einem Wohlfühl-Kloster und auf der Fensterbank steht mein iPad und ich nehme das auf und ich frage mich, wie ich die jetzt dahin kriege, wo sich der Philip Banse das gewünscht hat. Ton/Musik Merkel, Lochis-Remix: "Das Internet ist für uns alle Neuland." Sprecher/in vom Dienst: Abschied vom großen Ganzen - 10 Jahre Web 2.0 Von Philip Banse und Andrea Frey O-Ton O'Reilly „Web 2.0 is the place, in many ways, where you want to be...“ “Das Web 2.0 ist, was Du draus machst.” Autor Sagt Web-Pionier Tim O'Reilly. Der Programmierer und Verleger veranstaltet 2004 erstmals seine "Web 2.0"-Konferenz und etabliert damit jenen Begriff, der eine neue Ära des Internets auf den Punkt brachte: Bis Ende der 90er, im Web 1.0, waren Webseiten statische Publikationen. Im Web 2.0 ermöglichen neue Techniken, dass Menschen Videos ins Netz laden, Fotos teilen, kommentieren und gemeinsam an Texten oder Musik arbeiten. Das Web war auf einmal hübsch, leicht zu bedienen und wurde in seiner Version 2.0 zum Massenphänomen. O-Ton Tim O'Reilly ANFANG: „If you look at the history of the computer industry,…. Wenn man sich die Geschichte der Computerindustrie anschaut, gab es da mehrere Entwicklungsstufen… zuerst gab es den MainFrame, dann den Personal Computer, dann kam die Internet-Ära… es war ziemlich schnell klar, dass mit dem Web etwas ganz Neues passierte. Wir haben es nicht Web 2.0 genannt, weil es plötzlich eine neue Technik gab, sondern weil es wirklich wie eine Wiedergeburt des Web war - und ich glaube, diesmal haben wir alles richtig gemacht… ENDE: “…and I think this time, we were getting it right.“ Autor Weblogs, Podcasts, Youtube - einfacher als je zu vor konnten Menschen beim Internet mitmachen, über Grenzen hinweg zusammen arbeiten, ihre Meinung veröffentlichen und diskutieren. Musik (Lochis "Durchgehend Online”) "Guten Morgen, was geht ab, mit Facebook beginnt mein Tag, Smartphone raus, Fotos machen, das sind alles Jugendsachen…“ Autor Früher wachten mächtige Institutionen über den Zugang zur Öffentlichkeit: Verlage, Fernsehsender, Radioanstalten. Im Web 2.0 kann jeder Schriftsteller, Filmemacher, Darsteller, Lehrer oder Musiker werden, ein Millionenpublikum erreichen und Geld verdienen - an den alten Institutionen vorbei. Musik (Lochis „Durchgehend Online“) "Ich mache Fotos für Instagram, ich poste Sachen, die man liken kann, ich geh auf Youtube, mach den Laptop an, die Online-Generation klopft an. Hallo Welt, kannst Du mich hören? Du darfst mich nicht beim Chatten stören. Mein Tagesablauf ist sehr klein. Denn ich bin - durchgehend online.” O-Ton Lochis So das ist halt unsere eigene Single "Durchgehend online" und das war auch bis jetzt unser aufwändigstes Projekt…. Autor Die 14-jährigen Zwillinge Roman und Heiko Lochmann sind "Die Lochis", YouTube Stars. Aus dem Reihenhaus ihrer Eltern in der badischen Provinz erreichen die selbst komponierten Lieder der Teenager jeden Monat mehrere Millionen Zuschauer. O-Ton Lochis Ich habe hier jetzt ein Mikro von Radio Darmstadt äh Deutschland in der Hand und Test Test. Autor Scheinwerfer, teure Computer und eine verblüffende Ordnung. Das Lochi Studio ist mehr Lounge als Kinderzimmer O-Ton Lochis Ja, das ist also unser Lochi-Zimmer, wo man da jetzt reinkommt, das ist sozusagen unser Studio, dann sieht man wenn alles aufgebaut ist erst mal also unsren Greenscreen, wir haben halt so'ne Greenbox, ...(abblenden) Autor 90 Prozent aller Jugendlichen nutzen regelmäßig die Plattformen des Web 2.0, ergab die Onlinestudie von ARD und ZDF. Die beliebtesten Angebote: Wikipedia, soziale Netzwerke wie Facebook und Videoportale wie YouTube. O-Ton Roman Zuerst überlegen wir, was wir für ein Video genau raushauen wollen, fragen vielleicht auch die Fans auf Facebook, was die so wollen, dann setzen wir uns hin, machen Drehplan, Text, das geht eigentlich immer recht zügig und wenn man's häufiger macht, dann ist man einfach schneller,…und genau, dann wird's hochgeladen und am nächsten Tag kommt's dann online, wie gesagt jeden Samstag um 14:30h, genau, und dann werden wir das so ein bisschen promoten über die sozialen Medien, also Facebook, Twitter, usw. und dann denkt man sich schon wieder, was man die Woche darauf für ein Video macht... Musik (Lochis - “Durchgehend Online”) “Ich check nicht wie man fernsehen kann, wenn man auf YouTube doch alles hat…” Autor Knapp eine halbe Million Menschen haben die Videos der „Lochis“ abonniert. Jedes ihrer Videos hat 2000, 3000, 4000 Kommentare. Auch via Twitter und Facebook posten die Fans Ideen für neue Songparodien, Wünsche oder einfach Herzchen. Der Austausch mit ihrer Community ist keine Geschäftsstrategie, sondern für "Die Lochis" normal. Durch Werbung, die YouTube in ihren Videos einblendet, verdienen die beiden Teenager geschätzt über 1000 Euro im Monat. O-Ton Lochis Klar, das Internet lebt ja auch von Werbung sozusagen und auf unseren Videos wird auch Werbung geschaltet und klar verdient man auch Geld damit, das ist heutzutage auch überhaupt kein Geheimnis mehr, weil wirklich jeder, der es wirklich ernst meint mit Youtube verdient auch Geld damit, auch bei ganz kleinen Youtubern mit nur drei Abonnenten kann man schon Werbung schalten, das ist ganz einfach, da braucht man nur ein paar Klicks und jeder verdient... Autor Als das Web 2.0 geboren wurde, waren die "Die Lochis" vier Jahre alt... O-Ton Lochis, Roman ... das boomende Medium dieses Jahrzehnts, wenn man das so nennen kann und das hat auch seinen Grund. Man kann im Internet seht viel interaktiver sein und hat viel mehr Möglichkeiten und man kann halt selbst mitentscheiden oder selbst seine Sachen den anderen zeigen wie jetzt auf Youtube und das ist halt richtig cool und auf so was hat man, glaube ich, nur gewartet und das war halt so die Antwort und genau,.. Autor Was nach Spaß aussieht, erfordert neben Schule und Fußballtraining eine Menge Disziplin. Medien- und Netzkompetenz wird hier in der Praxis geübt: Die 14-Jährigen können mit Kamera, Licht, Sound- und Video-Software umgehen. Sie schlagen sich herum mit Urheberrecht, Produktionsfirmen, Medienhype und kreischenden Fans. O-Ton (Lochis "Durchgehend online”) Wir hoffen, unsere neue Single hat Euch gefallen… Ja wäre schön, wenn wir als Online-Generation beweisen könnten, dass wir auch offline mitmischen können… Wir sind jetzt raus, ihr kauft Euch den Song auf iTunes oder wo auch immer und wählt aus, Ciao! (Musik „Durchgehend online“, Beat) Autor Nur die wenigsten Menschen nutzen das Web so kreativ und diszipliniert wie die Lochis. Doch im Web 2.0 wird jeder schnell zum Produzent. Schon wer Fotos bei Facebook teilt, das Hotel beim Reiseveranstalter bewertet oder einen Zeitungsartikel kommentiert, schafft neue Inhalte. Web-Pionier Tim O'Reilly: O-Ton O'Reilly: ANFANG: “And in fact the web has always been this participatory medium…“ Das Web hatte immer diesen Mitmach-Charakter. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase stellten wir fest, dass alle Unternehmen, die überlebt hatten, auf irgendeine Weise ihre Nutzer in ihre Strukturen mit einbanden. Und das war Schlüssel zum Web als nächste große Plattform der Computer-Ära: dieser Netzwerk-Effekt. Den Mitmach-Gedanken zu nutzen, das ist das Herz des Web 2.0. ENDE: „…. and really that's the heart of web 2.0.“ Autor Die Steigerung von Mitmachen ist Zusammenarbeit, eine der Paradedisziplinen des Web 2.0: Menschen, die sich nie gesehen haben, oft ihre wahren Namen nicht kennen und in verschiedenen Zeitzonen leben, arbeiten im Web 2.0 zusammen. Das bekannteste Produkt dieser nie gekannten Massen-Kollaboration ist die die Online-Enzyklopädie Wikipedia: 30 Millionen Artikel in über 280 Sprachen, geschrieben von unbezahlten Freiwilligen - gegen die Weisheit der Massen hatten traditionsreiche Lexika wie die Encyclopædia Britannica keine Chance. O-Ton Funkenstrahlen Als nächstes hat der Philip gefragt, ob ich schon mal was in der Wikipedia veröffentlicht habe und gleich danach: warum nicht? [...] aber: ich kann tatsächlich eine Wikipedia-Seite aufweisen, an der ich mitgearbeitet habe und zwar ging da um das Rheinhafenkraftwerk Karlsruhe. O-Ton Jimmy Wales ANFANG: „In some ways, yes, wikipedia is the wisdom of the crowds...“ Ja, in gewisser Hinsicht ist Wikipedia tatsächlich so etwas wie die Weisheit der Masse. Autor Bestätigt Jimmy Wales, Mitbegründer von Wikipedia. O-Ton Jimmy Wales Aber wenn Leute dieses Schlagwort benutzen, stellen sie sich vor, dass eine Million Leute beteiligt sind, von denen jeder einen Satz beisteuert. Dabei basiert Wikipedia größtenteils auf der Arbeit kleinerer Gruppen von drei oder vier Leuten, die aktiv an einem Projekt zusammenarbeiten. Das ist sehr viel traditioneller als viele Leute denken. Ich glaube, bis zu echter offener uneingeschränkter Gruppenarbeit ist es noch ein weiter Weg.. . ENDE: „… I think there's a long way to go.“ O-Ton Funkenstrahlen Aber ich muss ehrlich sagen: das war ziemlich kompliziert, also ich kann ja programmieren, aber so für den Normalsterblichen is' des wirklich nix. Autor Die offiziellen Statistiken der Wikipedia zeigen: Zum harten der Kern der deutschen Wikipedia gehören nur etwa 1000 Freiwillige. Und die Zahl der Autoren nimmt ständig ab. Aus einem offenen und lebendigen Webprojekt ist eine Institution geworden. O-Ton Funkenstrahlen Und dann gab's da auch die Problematik, dass sich dann ja für die richtig großen Artikel richtige Hierarchien entwickelt haben und dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass der eigene Edit in die finale Version überhaupt reinkommt und dann hab ich meistens gar keine Lust. Dann sag ich sei's drum, schade, denn wenn mich das zehn Minuten kostet, da so einen kleinen Edit einzufügen, dann is' das einfach too much.” Autor Wikipedia-Mitgründer Jimmy Wales kennt die Probleme. Trotzdem ist er wie viele Internet-Pioniere davon überzeugt, dass seine Innovationen die Welt verbessern oder zumindest einen Zugang zur ihr eröffnen: O-Ton Jimmy Wales ANFNAG: „When you have someone in a poor african village with the equivalent of an iPhone... Wenn jemand in einem afrikanischen Dorf plötzlich so etwas wie ein iPhone in der Hand hält - das ist ziemlich revolutionär. Das ist ein unglaublich spannender Moment in der Geschichte, wenn Dinge wie Wikipedia plötzlich für die ärmsten Bevölkerungsgruppen der Erde zugänglich werden… für diese Menschen eröffnet sich eine Welt. ENDE: “… for those people it opens the world to them.“ O-Ton Japheth Omojuwa ANFANG: „Of course , (lacht) of course, definitely, it changed my life in unquantifiable ways…” Natürlich hat es mein Leben verändert! Auf so viele Arten! ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Autor Japheth Omujuwa ist der nigerianische "King of Click". Er ist Blogger, Verleger, Teil der African Liberty Organisation und bezeichnet sich selbst als "cyberpreneur". Auf der Social Media Week in Berlin twittert er ununterbrochen für seine 89.000 Follower - auch während des Interviews: O-Ton Japheth Omojuwa Ich weiß nicht mal, was ich als Bemessungsgrundlage nehmen soll. Meine Finanzen? Oder meinen Einfluss in meinem Land und auf meinem Kontinent? Meine Reichweite? Oder mich als Marke? Es ist mein Leben! Ich kann nicht einmal sagen: Es hat mein Leben verändert. Es ist tatsächlich mein Leben! ENDE: “So, it's my life, it didn't change my life - it's actually my life now.“ Autor Bisi Alimi, wie Japeth Omujuwa nigerianischer Internet-Aktivist und Blogger. In Afrika sind Massenmedien oft staatlich kontrolliert. Bisi Alimi setzt sich für die Rechte Homosexueller und HIV-Infizierter ein. O-Ton Bisi Alimi: ANFANG: „I found the platforms, that Twitter and Facebook and all the means, have given me an opportunity to tell the story…” Twitter und Facebook haben es mir ermöglicht, Geschichten zu erzählen, die in den nigerianischen Massenmedien keinen Platz gefunden hätten - sei es, weil sie einfach nicht daran interessiert sind oder weil sie nicht in ihr Weltbild passen. Also nutze ich die sozialen Medien, um meine Geschichte jedem zu erzählen, der sich dafür interessiert. Diese unmittelbare Art der Auseinandersetzung mit Anderen finde ich unglaublich befreiend. ENDE: “…I have this direct conversation with people, which I find very liberating.“ O-Ton Shirky ANFANG: „Weblogging is a classic example of mass amateurization…” Bloggen ist ein klassisches Beispiel für Massen-Amateurisierung. Es hat das Publizieren entprofessionalisiert: Sie wollen das, was Sie denken, weltweit veröffentlichen? Das können Sie kostenlos mit einem Klick tun. Das hat einen ganzen Berufsstand auf den Rang von Amateuren sinken lassen. Autor Clay Shirky, US-amerikanischen Professor und Internet-Visionär, sagt bereits 2008 in seinem Buch "Here comes Everybody" eine Revolution der Medienlandschaft voraus. Mehr noch: Er prophezeit das Ende der Institutionen und Unternehmen wie wir sie kennen. Vor dem Web 2.0 habe die Welt Institutionen gebraucht, um eine große Zahl von Menschen zu organisieren, so Shirky. Jetzt biete das Web 2.0 eine Plattform für einfache und effiziente Selbstorganisation. O-Ton Clay Shirky ANFANG: „These institutions will come under pressure…“ Und die Institutionen werden immer mehr unter Druck geraten. Je restriktiver sie aber gemanagt werden und je mehr sie sich auf ihr Informationsmonopol verlassen, desto höher wird der Druck werden. ENDE: “… the higher the pressure will get.“ Autor Viele Institutionen sind bereits ins Wanken geraten, weil die Prinzipien des Web 2.0 in allen Lebensbereichen Geltung verlangen. Die Musikindustrie: umgekrempelt; die USA: gedemütigt durch zwei Hacker und ihre Webseite namens Wikileaks; Zeitungsverlage: in Panik, weil Anzeigenkunden lieber bei einer Suchmaschine werben. Das Chaos 2.0 würden nur Institutionen überstehen, so Shirky, die nach den Prinzipien des Web leben: dezentrale Teilhabe, globale Kommunikation, Transparenz und spontane Zusammenarbeit. O-Ton Clay Shirkey ANFANG: „As with the printing press, if it's really a revolution, it doesn't take us from point a to B. It takes us from Point A to chaos. Ähnlich wie die Erfindung des Buchdrucks wird uns diese Revolution nicht von Punkt A zu Punkt B bringen, sondern ins Chaos stürzen. Ich will keine 200 Jahre Chaos voraussagen, aber 50. 50 Jahre, in denen lose organisierte Gruppen immer größere Macht bekommen werden. ENDE: „…are going to be given increasingly high leverage.“ Atmo (Musik auf einer Wahlparty der Piratenpartei) O-Ton männliche Stimme Ich glaube, das Wahlergebnis ist tatsächlich der Durchbruch der Piratenpartei in Deutschland…in Zukunft wird man, glaube ich, keine Hochrechnung mehr ohne den Piratenbalken sehen… Autor 2011 sieht es so aus, als sei die digitale Revolution in der deutschen Politik angekommen. Mit 8,9 Prozent der Stimmen zieht die Piratenpartei in das Berliner Landesparlament ein. O-Ton Liquid Feedback (Tastenklappern) Ich hab den Rechner ganz neu, deswegen weiß ich die URL nicht, weil ich die immer abspeicher. (Tastenklappern, abblenden) Autor Der erste Fraktionschef der deutschen Piraten, Andreas Baum, führt vor, wie die weltweit erste Internet-Partei mit Techniken und Prinzipien des Web 2.0 die Politik verbessern wollten. In seinem Browser loggt Baum sich in Liquid Feedback ein, eine Software, mit der Piraten Konzepte, Programme oder Gesetzesvorlagen gemeinsam erstellen, diskutieren und abstimmen. O-Ton (wieder einblenden) So, hier sieht man die Themenbereiche, im Moment ist halt eher weniger los, im Moment ist im Bereich Veröffentlichungen mehr los, wo halt über Flyer zum Beispiel angestimmt wird. Da sieht man jetzt zum Beispiel den Entwurf zu einem Nicht-Wähler-Flyer. O-Ton Pavel Mayer Das war erst mal so, weil die meisten Menschen, die am Anfang dabei waren, das gewohnt waren in ihren anderen Lebenszusammenhängen, diese Dinge zu nutzen und das lag dann natürlich nah, diese Sachen auch für die Partei zu nutzen. Autor Pavel Mayer, Internet-Unternehmer und Mitglied der Piratenfraktion im Berliner Landtag. O-Ton Pavel Mayer: Das kolaborative Entwickeln von Dokumenten oder Vorschlägen oder auch von Programmideen im Wiki, das war schon phänomenal. Also ich saß da hier an meinem Rechner und hab an einem Piraten-Kodex geschrieben und dann fingen irgendwelche Nutzer, die ich gar nicht kannte, die aber drauf aufmerksam geworden sind, auch einfach an, daran mitzuarbeiten, ohne dass wir uns vorher abgesprochen hätten und das hat erstaunlich gut funktioniert in der Anfangszeit. Autor Doch politische Institutionen sind mit den Werkzeugen und Prinzipien des Web 2.0 schwerer zu verändern als angenommen. Soziale Probleme lassen sich nicht allein technisch lösen. O-Ton Pavel Mayer Es ist auf jeden Fall Potential da, aber die Erfahrung für mich ist doch eher etwas ernüchternd. Atmo Piraten Stimmenauszählung, Ponytime (Parteitag) “Kann ich den GO-Antrag auf Ponytime stellen?” “Ja.” “Dann stell ich den GO-Antrag auf Ponytime.” (weiter als ATMO) Autor Hitzige Parteitags-Debatten beruhigen die Piraten durch Vorführung einer Folge der von Harmonie beseelten Zeichentrickserie "My little Pony". Aber der per Handy übertragene Livestream zeigt: die Politik-Revolution steckt fest. Atmo Musik auf dem Parteitag: "My little Pony" (weiter unter Text) O-Ton Pavel Mayer Wir haben uns als Fraktion sehr weit geöffnet, es gibt jederzeit für jeden die Möglichkeit, Anträge zu stellen, die wir dann ins Parlament bringen, auch über Liquid Feedback dann direkt Einfluss zu nehmen. Möglichkeiten sind da, aber die tatsächliche Nutzung bleibt doch sehr weit hinterher, weil doch offensichtlich, wo wir dann plötzlich im Parlament waren, dann doch viele, nicht alle, aber viele gesagt haben: Naja, da sind ja jetzt Leute, die kriegen Geld dafür, dass sie das jetzt machen, die sollen jetzt mal machen. Wir haben dadurch also innerparteilich eher einen Rückgang der Beteiligung festgestellt, dadurch, dass plötzlich Abgeordnete da waren. O-Ton Evgeni Morozov ANFANG: „They think politics is bad, because there is hypocrisy in politics...“ Viele glauben, Politik sei per se schlecht, weil es da Scheinheiligkeit, Heuchelei gibt, oder Politik sei schlecht, weil es Parteilichkeit gibt. Wenn wir nur alles offen und transparent machen, wenn wir nur für mehr Aufrichtigkeit sorgen und politische Parteien durch direkte Demokratie ersetzen, alle mit unseren Handys abstimmen und Zugang zu allen Informationen haben - so der Glaube - dann wird das demokratische Prozesse automatisch verbessern. Das ist nur eine These der Nerds, das gilt aber für die ganze historische Situation. ENDE: “… for the whole historical situation.” Autor Evgeni Morozov wettert gegen die technokratische Heilserwartung, die sich an die Plattformen des Web 2.0 knüpfen. Der 29-jährige Weißrusse formuliert in seinem Buch "To save everything: click here" die Antithese zu den Weltrettungsphantasien des Silicon Valley. O-Ton Morozv Sie denken, nur weil Open Source Software und Google und Facebook derartig erfolgreich sind, stünden wir vor einer neuen Gesellschaftsordnung mit völlig neuen Regeln, neuen Verhaltensmustern, und neuen Lösungsansätzen. Autor Morozov kritisiert scharf, was er "Solutionism" nennt: die Überzeugung, dass gesellschaftliche Probleme sich mit neuer Technologie lösen ließen, weil diese Technik scheinbar objektiv, demokratisch und unbestechlich sei. O-Ton Morozov ANFANG: „Between 2006 and 2007 and I became very skeptical of the very tools and platforms we were using...“ 2006, 2007 wurde ich sehr skeptisch angesichts der Werkzeuge und Plattformen, die wir nutzten. Ich sah, dass sie im Endeffekt für die Leute an der Basis sehr wenig bewegten, dass aber die Regierenden diese Tools aktiv missbrauchten, um die Bevölkerung zu überwachen: Sie bezahlten Blogger, die staatliche Sicht der Dinge zu verbreiten; und sie etablierten ganz neue Formen der Zensur - bis hin zu Cyberattacken. Während wir noch ganz damit beschäftigt waren, die Macht des Internets zu feiern, haben wir die eigentliche Geschichte verpasst: dass durch das Internet nämlich auch bestimmte Regierungen an Macht gewannen. ENDE: … the story was that certain governments were getting empowered as well." MUSIK Autor 10 Jahre nach der Geburt des Web 2.0 weicht die Aufbruchsstimmung und die Schattenseiten werden sichtbar. Während Regierungen und Nationalstaaten noch nach Antworten auf die digitale und grenzenlose Revolution suchen, bilden sich nirgends so schnell und effizient mächtige neue Strukturen wie in der digitalen Wirtschaft. O-TON Eric Schmidt, Google: ANFANG: „Quick, quick, quick, we want it there, we want it now, we want to help you right now, speed matters, because your time matters...“ Autor Facebook und Google sind in Rekordzeit zu globalen Konzernen gewachsen, reicher und mächtiger als die Öl-Dynastien der industriellen Revolution. Das rasante Wachstum dieser Web-Gewinner überfordert nationale Regierungen, Gesetzgeber und Kontrollbehörden.Das Öl dieses neuen Oligopols ist der user generated content, sind unsere Daten, angehäuft in zehn Jahren Web 2.0. Eric Schmidt sagte als Vorstandschef von Google: O-TON Eric Schmidt 01:44 ANFANG: „What I want is, I want my computer, my smartphone to be doing searches constantly...“ Ich will, dass mein Smartphone ständig auf der Suche ist und mich laufend fragt: Wusstest Du schon, was hier passiert ist? Wusstest Du schon, was dort passiert ist? Denn mein Smartphone weiß, wer ich bin, wo ich bin und was mich interessiert. Unsere Suchfunktion ist etwas ganz Persönliches, sie findet nicht nur im Web statt, es geht um all Ihre persönlichen Informationen, Ihre Emails - natürlich nur mit Ihrer Erlaubnis. Unsere Suche will herausfinden, was sie in diesem Augenblick wollen. ENDE: „…Search is about finding what you want right now“ O-Ton The Scene (Musiktrailer) In The Scene your IP-adress is like your soul. It can be used to trace your identity through your ISP, so if anybody gets hold of it, they own you. First I didn't think anything of it, but then, in the last minute I decided to mask my IP. For the longest time I never gave the incident a second thought, but if I hadn't done that, if I hadn't given in to that last xx paranoia, I wouldn't be sitting here, I'd be in prison. (Musik) O-Ton Speck Unser Umgehen mit solchen Ansätzen ist tatsächlich ziemlich faszinierend, manchmal auch ein bisschen schizophren. Autor sagt der Informationswissenschaftler Hendrik Speck. O-Ton Speck Worum es eigentlich geht, ganz klar, ist eine Form der Datenprostitution, das heißt, wir bekommen diese vermeintlich freien Dienstleistungen, aber sie sind natürlich nicht frei, sondern wir erkaufen uns den Zugang durch Preisgabe unserer Daten. Autor Jetzt, wo nach 10 Jahren Web 2.0 die Massen online bei Facebook und Google leben, kann sich die NSA ein nahezu komplettes Abbild des Lebens auf unserem Planeten verschaffen. Die Politik sei der Dynamik von Web-Konzernen und digitalen Überwachungsmaschinen nicht gewachsen, sagt Informationswissenschaftler Speck O-TON Speck Wenn aber zum selben Zeitpunkt das Bedrohungs- und Überwachungsszenario für Millionen von Bürgern wesentlich stärker geworden ist, wo dokumentiert quasi täglich Nutzerdaten, Telefoninformationen, Metadaten auf irgendwelchen Marktplätzen des Privaten, Politischen, Sozialen verschachert werden, reagieren wir politisch und juristisch nicht drauf, sondern haben einfach immer noch ungelogen Gesetze, die dreißig, vierzig Jahre alt sind… Musik O-TON Jacob Applebaum ANFANG: “They say: Protect yourself, but it really doesn't work that way… Sie sagen: Schützt euch. Aber so läuft das nicht. 95a AUTOR Jakob Applebaum, Programmierer und einer der namhaftesten Aktivisten, die sich Anonymität und Privatsphäre im Internet einsetzen. O-TON Jacob Applebaum Jeder kann etwas tun, um sich zu schützen. Aber das Problem ist: Wir haben es mit Massenüberwachung zu tun und wir brauchen auch Lösungen, die für die Massen funktionieren. Wenn sie jetzt zum Beispiel auf ihrem iPhone einen Dienst installieren, der ihre Nachrichten verschlüsselt, wird ihnen das nicht helfen, wenn Apple von der NSA durchdrungen ist und mit ihr kooperiert. Für das Problem der Massen-Überwachung brauchen wir rechtliche Lösungen. ENDE: We really need mass legal solutions to problems of mass surveillance. MUSIK Autor In zehn Jahren ist aus dem Web 2.0 ein soziales Netz geworden. Es hat sich wie eine Matrix über unseren Alltag gelegt und ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Es hat eine Wissen- und Informations-Explosion begünstigt, für mehr Transparenz und Teilhabe gesorgt und wird in vielen Gesellschaftsbereichen keinen Stein auf dem anderen lassen. Doch die Revolution ist noch längst nicht vorbei. Institutionen lösen sich weiter auf und suchen nach Existenzberechtigungen. Doch langsam schälen sich aus den Daten des Web 2.0 neue Institutionen, wie Planeten nach dem Urknall: Wikipedia, mächtige Web-Konzerne und von Willkür getriebene Geheimdienste. In den nächsten 10 Jahren werden sich Bürger die Macht zurück erobern müssen. Das wäre dann die nächste Phase des Web, Version 3.0. O-Ton Funkenstrahlen So, ich hoffe, es hat Euch gefallen und ihr schaltet das nächste Mal wieder ein. Und das tatsächliche Schlusswort hab heute leider nicht ich, sondern jemand anderes. Ich spiel euch jetzt noch ein, und ich sag Tschüss, bis zum nächsten Mal. Obama zu NSA: (…) no more ignoring the law, when it is inconvinient. That is not who we are. Profalla: die NSA und der britische Nachrichtendienst haben erklärt, dass sie sich in Deutschland an deutsches Recht halten, der BND und der Verfassungsschutz ebenfalls Schlussmusik Sprecher/in vom Dienst: Abschied vom großen Ganzen - 10 Jahre Web 2.0 Ein Feature von Philip Banse und Andrea Frey Es sprachen: Phillip Banse Thomas Holländer und Joachim Schönfeld Ton: Alexander Brennecke Redaktion: Martin Hartwig Produktion Deutschlandradio Kultur 2013 Sie können die Sendung nachhören und nachlesen unter www.deutschlandradio.de Nächste Woche in den Zeitfragen: „Eben mal die Welt retten! Warum Gutmenschen so verhasst sind.“ 1