COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Forschung und Gesellschaft, 11.12.2008, 19.30 Uhr Von Dirk Asendorpf Cut 1: Atmo Öl-Pumpe, darüber: Cut 2 (Ilham Aliyev): Oil is a big gift from the God. We produce it, we earn a lot of money, it is a support for our economic development, it gives us a political confidence, it allows us to conduct independent foreign policy on a regional scale on a multinational scale. Overvoice (männlich): Öl ist ein großes Geschenk von Gott. Wir produzieren es, wir verdienen eine Menge Geld damit, es ist eine Stütze für unsere Wirtschaft, es gibt uns politische Zuversicht, es gestattet uns eine unabhängige Außenpolitik in der Region und der Welt. Sprecher: Ilham Aliyev, Präsident der Kaukasusrepublik Aserbaidschan. Hier hat vor 100 Jahren das Zeitalter des schwarzen Goldes begonnen. Der Ölboom machte die Hauptstadt Baku zu einer der reichsten Städte der Welt. Und noch immer nicken die Ölpumpen im Vorort Bebehaybed, saugen gigantische Förderplattformen weit draußen im Kaspischen Meer den Schmierstoff der Industrialisierung aus dem Meeresboden. Cut 1 kurz hoch, dann ausblenden, über die Blende: Sprecher: Doch wer heute Kohle, Öl oder Erdgas hört, denkt nicht mehr zuerst an grenzenlosen Reichtum. Die Nutzung fossiler Energie hat sich in eines der größten Probleme der Menschheit verwandelt. Im Jahr verbrauchen wir so viel davon, wie die Natur in 500.000 Jahren geschaffen hat. Die Folgen sind in aller Munde: sinkende Reserven, steigende Preise und vor allem der drohende Klimawandel. Cut 3 (Nico Paech): Das Spätstadium der Konsumgesellschaft unterscheidet sich kaum vom Spätstadium der Heroinsucht. Im Prinzip weiß auch der Heroinsüchtige, dass er etwas falsch macht, aber es ist so wahnsinnig schwierig, von dem Stoff loszukommen, und der Stoff eben unseres Wohlstandes ist die Energie. Sprecher: Der Oldenburger Wirtschaftswissenschaftler Nico Paech. Er war einer der fünf Experten, die Deutschlandradio Kultur nach neuen Vorschlägen für unsere Energiezukunft gefragt hat. Wie können wir Kohle, Öl und Gas einsparen? Wie können erneuerbare Energien ihre Rolle übernehmen? Wie kann der Treibhauseffekt bekämpft werden? Cut 4: Surrende elektronische Atmo (Sonnen-Symbol). Cut 4 kurz hoch, ausblenden, über die Blende: Sprecher: Über 25 Milliarden Tonnen CO2 pustet die Menschheit jedes Jahr in die Atmosphäre, ein Drittel davon stammt aus Kohlekraftwerken. Was an gefährlichen Schwefel- und Stickoxiden in ihren Schloten aufsteigt, kann mit moderner Filtertechnik weitgehend abgefangen werden. Warum, so die naheliegende Idee, sollte man das Gleiche nicht auch mit dem ungiftigen, für das Klima aber fatalen Kohlendioxid machen? Carbon Capture and Storage, kurz CCS, heißt die Technik, die dafür entwickelt wird. Cut 5: Atmo Zischen einer Industrieanlage, darüber: Sprecher: Pilotanlagen zeigen, dass das technisch zwar aufwändig und teuer, aber durchaus möglich ist. Bleibt nur die Frage: Wohin mit dem abgetrennten Gas? Schließlich geht es um gewaltige Mengen. Ein großes Kohlekraftwerk erzeugt im Jahr 5.000 Tonnen Schwefel- und Stickoxide, aber fünf Millionen Tonnen CO2. Weltweit werden Wege für eine sichere Deponierung des abgetrennten Klimagases gesucht. In Norwegen wird es seit zehn Jahren in ausgediente Bohrlöcher unter der Nordsee gepresst. Im brandenburgischen Ketzin wird in den nächsten zwei Jahren CO2 durch ein 700 Meter tiefes Loch in eine mit Salzwasser getränkte poröse Sandsteinschicht gepumpt. Sollte es sich tatsächlich dauerhaft einsperren lassen, wäre das Potenzial für derartige Deponien gewaltig. Denn ähnliche Gesteinsschichten, sogenannte salinare Aquifere, könnten weltweit über mehrere hundert Jahre den gesamten CO2-Ausstoß aller Kraftwerke aufnehmen. Der Greifswalder Biochemiker Fritz Scholz hält nichts davon. Cut 6 (Fritz Scholz): Allgemein wird von allen ernstzunehmenden Wissenschaftlern eingeschätzt, dass die Gefahren, die damit verbunden sind, sehr groß sind, für heute überhaupt noch nicht überschaubar sind, das heißt, worauf man sich dort einlässt, ist meines Erachtens nicht akzeptabel. Man muss damit rechnen, dass jährlich fünf bis zehn Prozent wieder zurück in die Atmosphäre kommen. Na, was haben Sie damit erreicht? Mit sehr, sehr viel Kosten haben Sie dann CO2 verpresst und Sie bekommen es wieder. Selbst wenn nichts passiert, ist der Effekt kalkulierbar sehr gering. Sprecher: Viele Experten sind nicht so skeptisch wie Fritz Scholz. Der verbindet seine Kritik immerhin mit einen originellen Gegenvorschlag. Für den Kampf gegen den Treibhauseffekt ist es egal, wo und auf welche Weise der Atmosphäre Kohlenstoff entzogen wird. Statt der aufwändigen Abtrennung und Deponierung aus dem Rauchgas von Kraftwerken wirbt Scholz deshalb für den großflächigen Anbau schnellwachsender Bäume. Cut 7 (Fritz Scholz): In den grünen Blättern der Bäume läuft die Photosynthese ab und dabei wird CO2 aufgenommen. Dieses CO2 wird reduziert im chemischen Sinne und daraus wird Holz gebildet, hauptsächlich Zellulose und Lignin. Und dadurch kommt es zustande, dass aus 1,8 Tonnen Kohlendioxid eine Tonne Holz wird, das heißt, das ist ein sehr günstiges Verhältnis und macht aus viel Kohlendioxid eine relativ kleinere Menge Holz. Sprecher: Sobald das Holz abstirbt und verrottet, verbindet sich der darin gebundene Kohlenstoff allerdings mit Sauerstoff aus der Luft und es entsteht wieder die gleiche Menge CO2, die der Baum in seiner Wachstumsphase gebunden hatte. Um den Kohlenstoff langfristig aus dem Verkehr zu ziehen, empfiehlt Scholz die Einlagerung in Bergwerken. Cut 8 (Fritz Scholz): Wenn man dieses Holz anaerob, das heißt unter Luftausschluss, ablagert, dann wird man dieses Holz für tausende von Jahren, ja im Prinzip für Millionen Jahre, festlegen. Das ist sehr einfach möglich in Tagebauen, wo man sich beispielsweise bei dem Braunkohlentagebau das so vorstellen muss, dass auf der einen Seite die Braunkohle abgebaut wird, auf der anderen Seite wird der Abraum wieder abgelagert und man wüsste weiter nichts tun, als dieses geerntete Holz in der untersten Schicht einlagern, mit Abraum bedecken und dann stellen sich sehr, sehr schnell anaerobe Verhältnisse ein, der Sauerstoff wird vollständig verbraucht ganz schnell und dann bleibt das Holz unendlich lange erhalten. Sprecher: Wollte man auf diese Weise die Zunahme des CO2-Anteils in der Atmosphäre stoppen, wäre dafür beim derzeitigen Verbrauch an fossiler Energie eine Holz-Anbaufläche von der Größe Brasiliens nötig, schätzt Scholz. Er hat sogar schon eine Zahl parat, was das kosten würde. Cut 9 (Fritz Scholz): Das haben wir natürlich alles durchgerechnet. Man käme in Deutschland auf Preise von etwa 25 bis 50 Euro pro Tonne CO2. Das schließt alles ein. Baumanpflanzung, Baumpflege, Ernte, Transport, Einlagerung. Und wenn Sie also in andere Länder gehen würden, in tropische Länder, wo natürlich auch die Arbeitskosten wesentlich geringer sind, dann kann man sehr leicht ausrechnen, dass die Kosten so vielleicht bei fünf bis zehn Euro pro Tonne CO2 liegen Sprecher: Für Deutschlands Jahresausstoß an Treibhausgasen wären das fünf bis zehn Milliarden Euro, gegenüber anderen Vermeidungsstrategien fast ein Schnäppchen. Doch leicht umsetzen lässt sich der Plan nicht. Und das ist vielleicht auch ganz gut so. Denn was passieren kann, wenn Agrarflächen in großem Stil für den Anbau von Energiepflanzen statt Nahrungsmitteln genutzt werden, haben die massiven Preissteigerungen beim Grundnahrungsmittel Mais gezeigt. Fritz Scholz wirbt denn auch nur dafür, zunächst einmal klein zu beginnen und Erfahrungen zu sammeln. Ein Widerspruch zur Entwicklung erneuerbarer Energiequellen soll das nicht sein. Cut 10: Dorfatmo aus Lacalahorra (Männer in der Bar, Kinderstimmen, Flamenco-Musik), darüber: Sprecher: Lacalahorra, eine 800-Seelen-Gemeinde am Fuß der Sierra Nevada im heißen Herzen Andalusiens. In dem weiten Tal unterhalb des Dorfes ist eine Fläche in der Größe von 70 Fußballfeldern mit parabolförmigen Spiegeln bedeckt. Sie reflektieren und konzentrieren das gleißende Sonnenlicht auf ein über 100 Kilometer langes Netz aus Glasrohren. Darin fließt Öl, das erhitzt wird und genügend Dampf erzeugt, um einen gewaltigen Generator anzutreiben. In Lacalahorra ist Europas erstes solarthermisches Kraftwerk in Betrieb gegangen. Im Endausbau kann es eine Stadt von der Größe Stuttgarts mit Strom versorgen. Cut 10: Dorfatmo aus Lacalahorra - kurz frei stehen lassen, dann ausblenden. Über die Blende: Sprecher: In 50 Jahren wird Solarenergie unsere wichtigste Energiequelle sein. Davon ist eine große Mehrheit der Experten und auch der Bevölkerung überzeugt. Mit Photovoltaikmodulen auf deutschen Dächern wird das allerdings nicht funktionieren. Die decken trotz Milliardeninvestitionen erst 0,7 Prozent unseres Stromverbrauchs und haben zudem eine vergleichsweise schlechte CO2-Bilanz. Wird ihre energieaufwändige Produktion eingerechnet, erzeugt Fotovoltaik-Strom hierzulande ein Viertel der Emissionen eines Gaskraftwerks. Deshalb liegt die Zukunft der Solarenergie in Südeuropa und vor allem in der Sahara. Während Freiburg 1.800 Sonnenstunden zu bieten hat, sind es in Andalusien 3.000 und in Nordafrika bis zu 4.300 ? also mehr als doppelt so viel wie im sonnigsten Teil Deutschlands. Cut 11 (Gerhard Knies): Wenn man die Sonnenenergie der Wüsten nehmen würde, die 1000-fache Menge des Bedarfs ist da, also wenn wir zehn Prozent umwandeln, würde man ein Prozent brauchen der Wüstenflächen für alles, und wenn man nur Strom nimmt, wird es weniger, 0,3 Prozent oder so etwas. Man kann also diese Menge Strom, die die Menschheit braucht, locker erzeugen von den Kapazitäten her und auch von der Technologie her, und dann auch verteilen, weltweit, so, dass 95 Prozent der Menschheit mit Solarstrom versorgt werden könnten. Sprecher: Der Physiker Gerhard Knies ist Direktor des Desertec-Projekts des Club of Rome. Ziel der Organisation ist die Förderung des Baus solarthermischer Kraftwerke in den Wüsten der Welt. Die Technik ist vergleichsweise einfach und seit 20 Jahren praxiserprobt. Schon Mitte der 80er Jahre waren die ersten kommerziellen solarthermischen Kraftwerke in der kalifornischen Wüste entstanden. Cut 12 (Gerhard Knies): Doch danach wurde das Öl und Gas so extrem billig, dass einfach diese Technik dagegen nicht ankam von den Kosten her. Jetzt kehrt sich das wieder um. Man kann jetzt aus der Solarenergie einen Dampf erzeugen, der so viel kostet, als ob man Öl zum Preis von etwa 80 Dollar pro Barrel einkaufen müsste, um den Dampf zu erzeugen. Das heißt, man liegt schon in der Gewinnzone. Das ist aber erst seit Kurzem so. Sprecher: Auch für die Verteilung des Solarstroms aus den Wüstenregionen in die weit entfernten Zentren der Industriestaaten gibt es mit der Hochspannungsgleichstromübertragung eine praxiserprobte Technik. Über 1000 Kilometer gehen dabei nur drei Prozent der elektrischen Energie verloren. Außerdem eignen sich solarthermische Kraftwerke besser für den Aufbau eines stabilen Stromnetzes als Windparks oder Photovoltaik-Farmen. Die setzen Wind und Sonnenlicht zwar direkt in Strom um ? aber eben nur dann, wenn der Wind bläst oder die Sonne scheint. Cut 13 (Gerhard Knies): Licht, das haben ja die Schildbürger mal versucht ins Rathaus zu tragen, kann man nicht speichern, aber Wärme, die kann man speichern, vom Tag in die Nacht, kein Problem. Man kann also auch tagsüber hohe Wärme bei hohen Temperaturen hervorragend sammeln und speichern und dann aus diesen Speichern auch nachts Dampf erzeugen und Solarstrom erzeugen. Sprecher: Einfach wird die Umsetzung der hochfliegenden Pläne des Club of Rome allerdings nicht. Neben sehr viel Sonne benötigen solarthermische Kraftwerke für ihre Kühltürme nämlich auch große Mengen Wasser. Doch das ist rund ums Mittelmeer Mangelware. Und die Wirtschaft scheut vor Milliardeninvestitionen in den politisch unstabilen Staaten Nordafrikas zurück. Gerhard Knies versucht diese Sorge zu zerstreuen. Cut 14 (Gerhard Knies): Beide Seiten gewinnen davon. Nordafrika kriegt ein Einkommen, wir kaufen ihnen den Strom ab, wir klauen ihnen ja den Strom nicht, wir bezahlen ja dafür. Wir werden also ihre Kunden. Dann haben die Geld und können von uns das kaufen, was wir besser können, vielleicht Computer herstellen. Aber Solarstrom können die viel günstiger herstellen als wir. Das Verständnis zwischen Europa und Nordafrika ist ja nicht besonders hoch entwickelt, und vielleicht sind das einfach nur Projektionen. Bisher hat Europa diese Region immer überfallen und ausgebeutet und ausgeplündert, und jetzt denken wir, die tun das umgedreht jetzt mit uns. Sprecher: Solarenergie aus den Wüsten, Gluthitze aus dem Erdinneren, gigantische Windparks in Patagonien ? immer wieder schaffen es derartige Visionen in die Schlagzeilen. Cut 15: Atmo Blaskapelle auf Utsira, unter dem letzten Satz einblenden, kurz frei stehen lassen, dann darüber: Sprecher: Zum Beispiel hier auf Utsira. Ein Windrad reckt sich in den ausnahmsweise strahlend blauen Himmel über der kleinen norwegischen Insel. Darunter werden Sekt und Schnittchen gereicht. Norwegische und britische Reporter zücken ihre Notizblöcke, sogar ein Team von ?Al Arabija? ist angereist. Der Sender aus Dubai will berichten, wie sich Norwegen auf die Zeit nach dem Öl vorbereitet. Jetzt greift Norwegens Energieministerin Thorhild Widvey zum Mikrofon. Cut 15 unter dem vorletzten Satz mit Kreuzblende auf Cut 16: Cut 16 (Thorhild Widvey, Atmo Einweihungssveranstaltung): It is a great honour for me to make the official opening of the Utsira wind-hydrogen project. From now on 10 of the households on the island of Utsira will get all their electricity in the form of local produced renewable energy. This is the worlds first full scale renewable energy system based on wind power and hydrogen. This project will demonstrate how a community can provide for its energy needs quite independently from fossil fuels and centralised energy production. (Applaus) Overvoice (weiblich): Es ist eine große Ehre für mich, Utsiras Wind-Wasserstoff-Projekt offiziell zu eröffnen. Ab jetzt bekommen zehn Inselhaushalte all ihre Elektrizität aus lokal erzeugter erneuerbarer Energie. Dies ist das weltweit erste vollständige erneuerbare Energiesystem auf Grundlage von Windkraft und Wasserstoff. Damit zeigen wir, wie eine Gemeinde ihre Energiebedürfnisse unabhängig von fossiler Energie und zentralisierter Versorgung befriedigen kann. Sprecher: Windenergie lässt sich gut in Strom verwandeln. Doch Elektrizität kann man nicht speichern und ohne Kabelverbindung auch nicht transportieren. Schon lange wird deshalb Wasserstoff als Zwischenträger in Erwägung gezogen. Im Prinzip ist das simpel: mit der elektrischen Energie wird Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Der Wasserstoff lässt sich in Drucktanks pressen. Mit einer Brennstoffzelle kann die gespeicherte Energie dann zum Beispiel im Auto zurückgewonnen werden. Als Abgas entsteht dabei nichts als Wasser. Doch trotz vieler Milliarden, die in Forschung und Entwicklung geflossen sind, kommt die Wasserstoffwirtschaft nicht in Gang. Bis heute sind weltweit nur ein paar hundert Wasserstoffautos zu Testzwecken unterwegs. Der Energieforscher Ulf Bossel vom Europäischen Brennstoffzellenforum weiß, warum das so ist. Cut 17 (Ulf Bossel): Wenn ich aus Wasser Wasserstoff mache durch Elektrolyse, verliere ich ungefähr ein Drittel der Energie, ein Drittel des Stroms ist weg. Dann muss ich den Wasserstoff ja transportfähig machen. Ich muss ihn entweder komprimieren, da verliere ich etwa 10 bis 15 Prozent der Energie, oder ich muss ihn verflüssigen, da verliere ich etwa 40 Prozent der Energie. Sprecher: Der Transport zum Verbraucher führt zu weiteren Verlusten. Cut 18 (Ulf Bossel): Und dann habe ich mit Wasserstoff, kann auch noch niemand gebrauchen. Ich muss ihn ja umsetzen, entweder in einer Brennstoffzelle mit 50 Prozent Wirkungsgrad, wenn es gut geht, oder in einem Wasserstoffmotor mit 40 Prozent, wenn es gut geht. Das heißt, da habe ich noch mal Verluste, bis ich nachher endlich wieder zu dem komme, was ich ursprünglich hatte, nämlich dem Strom. Von dem, was ich aus der Quelle reingefüllt habe, kommen nur noch 20 Prozent, 30 Prozent daher an. Eigentlich die dümmste Art, um Energie zu transportieren, ist, wenn man aus Strom Wasserstoff macht. Man wandelt sich zu Tode und es wird auch niemand so dumm sein, um hier in eine Wasserstoffinfrastruktur zu investieren, weil er genau diese Rechnung, die ich eben gemacht hab, die Zahlen, die kann er ja auch machen. Das ist eine ganz einfache Rechnung von Energiebilanzen. Sprecher: Inzwischen hat das auch die Autoindustrie eingesehen. Nachdem die großen Hersteller jahrelang auf Wasserstoff als Energieträger für die Zeit nach dem Öl gesetzt hatten, geht der Trend jetzt zum Elektroauto. Größtes Problem ist dabei derzeit noch die Reichweite bis zum Wiederaufladen oder Wechseln des Akkus. Das ist der Grund für den Erfolg von Hybridautos, die jederzeit zwischen Elektro- und Benzinantrieb umschalten können. Cut 19 (Ulf Bossel): Der Nahverkehr wird sich jedenfalls zu ziemlich 100 Prozent auf Elektroautos konzentrieren, während für den Fernverkehr, werden wir weiterhin flüssige Brennstoffe haben, der letzte Tropfen Öl oder Biodiesel und dergleichen. Mit Wasserstoff kann ich die großen Distanzen nicht fahren und die kleinen nicht sinnvoll fahren. Und deshalb hat Wasserstoff im Straßenverkehr im Grunde genommen nichts zu suchen. Sprecher: Mit dem Ende des Traums von der Wasserstoffwirtschaft, stirbt auch die Illusion, man müsse in unserem System der Energieversorgung einfach nur einen Energieträger gegen einen anderen austauschen und könne dann so weitermachen wie bisher. Cut 20: Surrende elektronische Atmo (Sonnen-Symbol), darüber: Sprecher: Auch Energie aus erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wind, Wellen oder Erdwärme fällt nicht vom Himmel und ist nicht frei von Umweltbelastungen. Am besten und billigsten ist es deshalb, Energie ? egal welcher Art ? gar nicht erst erzeugen zu müssen. Von ?Negawatt-Revolution? spricht der amerikanische Physiker Amory Lovins und meint damit die Einsparung vieler, vieler Megawatts. Wie das geht, hat der Oldenburger Wirtschaftswissenschaftler Nico Paech systematisch untersucht. Cut 21 (Nico Paech): Wir haben in der Nachhaltigkeits- und jetzt in der Klimaschutzdiskussion drei wichtige Prinzipien, die immer wieder im Gespräch sind, einmal die Effizienz, mit Effizienz ist einfach nur gemeint, das zu tun, was man tut, wenn man eine Energiesparbirne einschraubt, das heißt, man hat keine Abstriche an der Beleuchtung einer Wohnung, aber der Input an Energie wird reduziert. Unter Konsistenz versteht man, überhaupt nichts einzusparen, sondern die Art der Energieerzeugung qualitativ so zu verbessern, das heißt, so zu ökologisieren, dass also - etwa, wenn wir Ökostrom nehmen, Photovoltaikstrom zum Beispiel- , dass wir dann, ohne einsparen zu müssen, überhaupt keine CO2-Emissionen haben. Und Suffizienz, das meistens vernachlässigte Prinzip, geht soweit, zu sagen, wir müssen dann überhaupt über die Beleuchtung mal nachdenken. Wer selbst im Sommer durch eine deutsche Stadt geht und dies mal unter dem Aspekt macht, zu beobachten, wie viele überflüssige Lampen brennen, der kann sich vorstellen, was ich damit meine, wenn ich von Suffizienz rede, nämlich, einfach zu sagen, wir brauchen viel, viel weniger Energie, wenn wir einfach auch auf die überflüssige Beleuchtung verzichten. Sprecher: 40 Prozent des europäischen Energieverbrauchs, so haben Wissenschaftler errechnet, könnten mit verbesserter Wärmedämmung und sparsamerer Technik ohne jeden Abstrich am Komfort vermieden werden. Die Hälfte dieser Sparmaßnahmen wäre kostenneutral oder würde sogar einen Überschuss abwerfen. Warum also hat die Solaranlage auf dem Dach ein so positives Image, die gedämmte Hauswand aber im besten Fall gar keins? Und wieso greifen wir im Baumarkt noch immer nach der Ein-Euro-Glühbirne anstatt 10 Euro in eine effiziente Energiesparlampe zu investieren und damit bis zum Ende ihrer Lebenszeit 50 Euro zu sparen? Cut 22 (Nico Paech): Hier liegen die Techniken längst bereit, aber wir müssen eine kulturelle und eine marktwirtschaftliche Betrachtung hinzuziehen, um uns klar zu machen, woran es liegt, dass viele Menschen diese Lösung leider immer noch nicht aufgreifen. Wenn wir uns dann anschauen, wie Konsumentscheidungen getroffen werden, vor allem auch Mobilitätsentscheidungen, dann können wir nicht - wie das oft in der traditionellen ökonomischen Theorie propagiert wird - davon ausgehen, dass dies allein vernunftgeleitete oder rationale Entscheidungen sind, sondern die Symbolik dessen, was wir tun, und die Emotionalität - das sind vor allem die handlungsleitenden Motive. Der Mensch ist ein soziales Wesen, und so erklärt sich, weshalb unsere Konsumgesellschaft die Eigenschaft hat, dass es uns Einzelnen jeweils schwerfällt, von dem hohen Energiekonsum runterzukommen. Sprecher: Noch bringt Energiesparen wenig Prestige. An Informationen mangelt es dagegen nicht. Eher im Gegenteil: häufig ist ein Überfluss an guten Ratschlägen das Problem. Die Wissenschaft spricht auch von Information Overload oder Exformation. Vor lauter Berichten, Broschüren und Förderprogrammen wächst die Unsicherheit, was denn nun vertrauenswürdig und was Humbug ist ? und am Ende geschieht gar nichts. Dabei ist Tatenlosigkeit garantiert die schlechteste Antwort auf Klimawandel und steigende Energiepreise. Und ohne jede Einschränkung des persönlichen Lebensstils, davon ist Nico Paech überzeugt, wird es auch nicht gehen. Cut 23 (Nico Paech): Ich würde niemandem davon abraten, Energiesparbirnen zu nehmen, aber es macht keinen Sinn, den Leuten vorzulügen, dass dies alleine hilft. Dasselbe gilt für ein Drei-Liter-Auto oder eben für ein Passivhaus. Wenn wir Passivhäuser bauen, aber in einem Passivhaus von 120 oder 140 Quadratmeter nur eine Person wohnt, bringt das eben auch nicht viel. Insgesamt können wir erreichen durch neue Technologien, dass der Quadratmeter-Energiebedarf pro Wohnfläche sinkt, aber wenn die Wohnfläche nach wie vor so zunimmt wie bisher, dann haben wir einen sogenannten Boomerang-Effekt. Das heißt also, es gibt gar nicht so viele nachhaltige oder klimaschonende Produkte, es gibt nur klimaschonendes, individuelles Konsumverhalten, da liegt der Hase im Pfeffer. Wichtig wäre es, dass die Politik aber auch andere Multiplikatoren den Menschen nicht länger vorlügen, dass wir weiter auf diesem Wohlstandsniveau so leben, existieren können, sondern dass wir uns langsam aber sicher daran gewöhnen, dass es jetzt einen Schrumpfungsprozess geben muss. Und der muss niemanden unglücklicher machen. Sprecher: Im Abspecken liegt der Fortschritt ? doch die Menschheit träumt lieber weiter vom perpetuum mobile. Cut 24: Atmo Metronom, kurz frei stehen lassen, dann darüber: Sprecher: Eine Maschine, die sich ohne zugeführte Energie unendlich lange bewegt, das weckt Faszination. Leider ist es nach den Gesetzen der Physik völlig unmöglich. Anders steht es um die Kernfusion. Sie verspricht unendliche Stromproduktion bei minimalem Brennstoffeinsatz. Und nach den Gesetzen der Physik ist das durchaus möglich. 50 Jahre weltweiter Forschung und Laborversuche haben die theoretische Machbarkeit gezeigt. Iter, lateinisch der Weg, so heißt der international finanzierte Testreaktor, der im südfranzösischen Cadarache entsteht und beweisen soll, dass die Kernfusion auch praktisch nutzbar gemacht werden kann. Der Physiker Timon Wehnert vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin ist nicht nur skeptisch, er hält die Hoffnung sogar für gefährlich. Cut 25 (Timon Wehnert): Die Kernfusion hat natürlich auch immer so die Option, dass es ein Allheilmittel für eine Technologie ist, in die man das ganze Geld reinsteckt. Das klingt natürlich sehr sexy und die kleinen, sozusagen schrittweisen Entwicklungen in den anderen Bereichen, die haben es dann unter Umständen schwer, anständig gefördert zu werden. Wir selber haben eine Befragung dazu gemacht, wo wir 700 Energieexperten in Europa befragt haben. Und die Kernfusion war auch das Thema, was diese Experten am kritischsten sehen, also wo die Meinungen am kontroversesten sind und wo ein hoher Anteil der Experten sagt, man wird das einstellen, bevor man mit der Forschung an einem Punkt ist, wo man sagt, da hat man was. Sprecher: Alle Laborversuche haben bisher für die Erzeugung der notwendigen Temperatur von über 100 Millionen Grad Celsius mehr Energie verbraucht, als die Kernfusion anschließend freigesetzt hat. Und länger als ein paar Sekunden konnte der extrem heiße Prozess nicht aufrecht erhalten werden. Das ist auch kein Wunder, denn schon die Theorie besagt, dass das künstliche Sonnenfeuer über längere Zeit nur in Anlagen brennen kann, die mindestens so groß sind wie der Iter. Die Bauarbeiten haben gerade begonnen. Sie sollen zehn Jahre dauern und mindestens fünf Milliarden Euro kosten. Cut 26 (Timon Wehnert): Ich denke, einen Punkt, den man sehr klar machen muss, ist, dass die Kernfusion im Prinzip ja davon lebt, dass der Treibstoff umsonst, oder sagen wir sehr, sehr billig ist und in großer Menge verfügbar ist, aber das Schwierige ist der Reaktor. Der ist sehr aufwendig zu bauen. Sprecher: Läuft alles nach Plan, werden wir um das Jahr 2020 herum erfahren, ob sich mit der Verschmelzung zweier Wasserstoffatome zu einem Heliumatom nach dem Vorbild der Sonne tatsächlich Energie gewinnen lässt. Der Iter selber ist dafür noch nicht geeignet. Die Kernfusion erzeugt zwar nur sehr geringe Mengen Radioaktivität und kann im Unterschied zu Atomkraftwerken nicht zu einem katastrophalen Unfall führen, zermürbt den Reaktormantel aber mit dem Aufprall hochenergetischer Neutronen. Ob es wirklich Metalllegierungen gibt, die das langfristig aushalten, soll im Iter erst einmal getestet werden. Falls er die positivsten Erwartungen erfüllt, könnte das erste echte Fusionskraftwerk irgendwann nach 2050 ans Netz gehen. Für den Kampf gegen den Klimawandel und den Ersatz schwindender Ölvorräte ist das viel zu spät. Cut 27 (Timon Wehnert): Also, das Erdöl ist sicherlich der Energieträger, der am sozusagen kurzfristigsten auslaufen wird. Kohle und Gas sind ja wesentlich länger verfügbar. Aber das, wo das größte Potenzial drin ist, und auch wohl ein sehr langfristiges Potenzial drin ist, sind die erneuerbaren Energien, da am meisten die Solarenergie. Und ich denke, wenn man gerade den Zeithorizont 30, 50 Jahre und länger hat, dann wird ein sehr großer Teil, nicht alles, aber ein sehr großer Teil wird sicherlich aus Solarenergie gewonnen werden. Also, das ist sehr stark eine Frage des Zeithorizontes. Man muss einfach sehen, dass, Energie ist ein Sektor, der sich sehr, sehr langsam wandelt und häufig ist es auch enttäuschend, wenn man sieht, dass in zehn, zwanzig Jahren nur sich wenig gewandelt hat. Cut 28: Surrende elektronische Atmo (Sonnen-Symbol) kurz frei stehen lassen, dann darüber: Sprecher: Die Energieversorgung der Welt ist ein äußerst komplexes System, das große Schwankungen bei Angebot und Nachfrage zuverlässig ausgleichen und Versorgungssicherheit bei vertretbaren Kosten schaffen muss. Das geht nicht mit einzelnen Patentlösungen, sondern nur mit der intelligenten Verknüpfung einer breiten Palette an Technologien zur effizienten Erzeugung, Verteilung und Einsparung von Energie. Davon ist Timon Wehnert überzeugt. Cut 29 (Timon Wehnert): Ich denke, diese Fokussierung auf eine Technologie und die Hoffnung, dass man da eine heilsbringende Technologie hat, also so ein Messias der Energieversorgung, das ist glaube ich eine falsche Vorstellung. Also ich denke, es wird immer ein Energiemix geben, Energie wird immer teuer sein und Energie wird immer zu wenig sein. Also, wir müssen uns da deutlich irgendwie strecken, wir müssen auch Energie sparen. Aber ich glaube, man kann einfach nicht auf eine Technologie hoffen. Also, so, wie wir auch bei der Ernährung, sind wir es ja gewohnt, uns ausgewogen zu ernähren, wir würden nie 100 Prozent nur Fleisch oder nur Kirschen essen, so werden wir auch bei der Energieversorgung nie zu 100 Prozent aus einer Energie uns versorgen, sondern es muss immer ein Energiemix, ein ausgewogener Energiemix sein. Cut 28: Surrende elektronische Atmo (Sonnen-Symbol) kurz frei stehen lassen bis Ende. ENDE 1 9