Deutschlandradio Kultur, Nachspiel 24. Oktober 2010, 17.30 Uhr Olympiagold und Reifezeugnis - Deutschlands Eliteschulen des Sports wollen nicht nur Medaillenschmieden sein Von Wolf-Sören Treusch ATMO 1 (Fechttraining) kurz frei, dann drunter AUTOR Der Fechtsaal im Olympiapark von Berlin: Eric Krüger, 17 Jahre alt, Moderner Fünfkämpfer, trainiert mit dem Degen. Während er mit seinem Trainer die Klingen kreuzt, fegen seine Füße über die Planche: gute Beinarbeit ist wichtig, wenn man erfolgreich fechten will. (ATMO 1 weg) ATMO 2 (Trainer gibt Anweisungen) 0'06 frei, dann drunter AUTOR Immer und immer wieder lässt Trainer Axel Stamann, früher selbst ein erfolgreicher Fünfkämpfer, seinen Schützling Attacke üben. Eine knappe halbe Stunde geht das so, dann reicht es für heute. (ATMO 2 langsam weg) TAKE 1 (Axel Stamann) 0'11 Die Saison ist beendet, da fangen wir mit ganz langsamen Übungen an, langsamen Übungen, einfachen Übungen, und die hat er schon recht ordentlich gemacht. Könnte besser werden, wird auch nachher besser, wenn es wichtig ist bei Wettkämpfen. TAKE 2 (Eric Krüger) 0'35 Pühhh. Das war jetzt wirklich sehr anstrengend. Jetzt kann ich mit gutem Gewissen sagen: ,ich habe heute was gemacht'. - Und jetzt würde wahrscheinlich das Lernen für eine Deutsch-Klausur richtig gut funktionieren, oder? - Ja, wenn es so wäre, würde es jetzt besonders viel Spaß machen. Nein. Kommt natürlich vor ab und zu, da muss man damit leben als Eliteschüler, aber das bekommt man schon unter einen Hut, da muss man sich dann zusammenreißen und sagen: ,wer das eine liebt, muss das andere auch machen können'. AUTOR Eric geht auf die Poelchau-Oberschule, eine von vier Eliteschulen des Sports in Berlin. Ursprünglich hatte er sich für Fußball beworben, vergeblich, aber dann entdeckte ein Trainer sein Talent für den Modernen Fünfkampf. TAKE 3 (Eric Krüger) 0'29 Als ich angefangen habe, da haben sie mich im Laufen und im Schwimmen gesichtet, ich war körperlich recht fit und das hat gut geklappt, ich war sofort auch mit den anderen gut im Training drin, und ich weiß nicht, ob er da ein Potenzial gesehen hat, aber letztendlich war es ja nicht schlecht, was daraus geworden ist jetze. Ich bin seit Jahresanfang im C-Kader, dem Nationalkader, hatte schon 3 WM-Einsätze, 4 EM- Einsätze und mehrfacher deutscher Meister. ATMO 3 (Training Beinarbeit) kurz frei, dann drunter AUTOR In der anderen Ecke des Fechtsaales auf dem Berliner Olympiagelände rumpelt es dumpf. Eine Gruppe von Modernen Fünfkämpfern trainiert "schnelle Füße". Darunter auch Franziska Hanko, wie Eric 17 Jahre alt und ähnlich erfolgreich im Jugendbereich. Auch für sie zählt fast nur der Sport, die Doppelbelastung mit der Schule macht ihr nicht viel aus. (ATMO 3 weg) TAKE 4 (Franziska Hanko) 0'24 Morgens müssen wir meist um 7:30 Uhr da sein, und bis Abends dann so um 19.00, 20.00 Uhr. Dann fahren wir nach Hause, gucken fern, essen, ja (lacht) Schularbeiten machen wir manchmal, durch die Streckung haben wir eben jedes Fach, außer die Leistungskurse, nur einmal die Woche, deswegen können wir jetzt alles am Wochenende machen, das ist jetzt ganz günstig. Und wenn man in der Schule aufpasst, dann geht es auch so. AUTOR Morgens und nachmittags trainieren die Schüler, außer montags, da haben sie trainingsfrei, weil an den Wochenenden meist Wettkämpfe sind. Ständig fahren sie zwischen Schule und Trainingsstätten hin und her - mit dem Shuttle-Bus dauert es zwanzig Minuten. Franziska und Eric sind so genannte Strecker. Damit sie genügend Zeit für den Leistungssport haben, strecken sie die Schulzeit bis zum Abitur: sie lernen ein Jahr länger als die ,normalen' Schüler. Die duale Karriere künftiger Spitzensportler zu fördern, ohne dass dabei die Bildungsinhalte zu kurz kommen: das haben sich die Eliteschulen des Sports auf die Fahnen geschrieben. Kleine Klassengrößen von maximal 20 Schülern, mehr Lehrer, mehr Geld: das sind die Mittel, mit denen sie das erreichen. Rüdiger Barney, Rektor der Berliner Poelchau-Oberschule. TAKE 5 (Rüdiger Barney) 0'50 Wir haben inzwischen 250 Kadersportler an der Schule, das heißt dass sind Sportler, die offiziell vom Sport anerkannt wurden, dass sie im Hochleistungssport trainieren, ab C-Kader stehen eigentlich alle Wege offen, und alle Institutionen um Schule und Sport kümmern sich sehr intensiv um den einzelnen Sportler. Das kostet viel Geld, ich kann Ihnen das jetzt nicht in Euro-Beträgen sagen. Aber Sie müssen davon ausgehen, dass bei den Personalkosten, die ja immer die Hauptkosten sind in einem solchen Gebilde, die Personalkosten ungefähr um die Hälfte höher sind als an einer normalen Schule. Sport ist nun mal ein Ding in der Gesellschaft, was Akzeptanz findet, und gute Sportler wollen wir alle sehen und wollen wir alle haben, wir freuen uns über Siege und über Medaillen. Und dann müssen wir natürlich auch investieren. Das ist nun mal so. AUTOR Insgesamt 40 Eliteschulen des Sports gibt es in Deutschland. In Berlin, in den neuen Bundesländern und den meisten Wintersportstandorten sind es fast durchweg reine Sportschulen, in den alten Bundesländern sind es vorrangig normale Schulen, in denen es einzelne Klassen oder Jahrgänge mit Eliteschülern des Sports gibt. Es scheint, als lohne sich das Engagement. 78 von 152 Athleten, die an den Olympischen Winterspielen in Vancouver teilgenommen haben, waren oder sind auf einer dieser Schulen: das ist mehr als die Hälfte aller deutschen Olympiateilnehmer 2010. Auch die Athleten der Poelchau-Oberschule liefern Spitzenleistungen: im Sommer gewann Annika Schleu Gold und Silber bei der Europameisterschaft im Modernen Fünfkampf. Sie hat in diesem Jahr ihr Abitur gemacht - Note: 1,2. 2007 war ein besonders erfolgreiches Jahr für die Schule: da gab es den 3.Platz im Medaillenspiegel aller deutschen Schulen bei ,Jugend trainiert für Olympia', die Jungen wurden Schulweltmeister im Fußball und die Mädchen im Tennis. Etliche bekannte Fußballprofis drückten hier die Schulbank: Nationalspieler Jerome Boateng, sein Bruder Kevin- Prince, die Bundesligakicker Ashkan Dejagah, Sead Salihovic und Patrick Ebert. Für sie alle galt und gilt: wer eine leistungssportliche Perspektive hat, der wird gefördert, zur Not auch mit Einzelunterricht. TAKE 6 (Rüdiger Barney) 0'34 Wir müssen aufpassen, dass unsere Sportler sich nicht zu stark in ihren Sport hinein versetzen und dabei die Schule vernachlässigen oder ihr sonstiges Leben zu sehr aus den Augen verlieren. Im Moment basteln wir an dem Plan für Nico Schulz, Nico Schulz, ein hoch talentierter Fußballer, der in der Zweiten-Fußballliga-Mannschaft von Hertha BSC gerade dabei ist, Karriere zu machen, ihm wird eine große Zukunft vorausgesagt, auch von Seiten des DFB, und wir müssen es schaffen, dass Nico Schulz trotz der großen Trainingsbelastung, die er hat, hier sein Abitur schafft. AUTOR Doch auch auf einer Eliteschule des Sports läuft nicht immer alles nach Plan. Manchmal spielt die Psyche einfach nicht mit. So wie beim Fünfkämpfer Eric Krüger. TAKE 7 (Eric Krüger) 0'16 Jetzt zu Anfang des Jahres hatte ich ziemlich sportliche Probleme, ich habe mir selber ziemlich großen Druck gemacht, wollte unbedingt Ergebnisse bringen, aber wie es oft eben dann ... klappt das dann nicht, und man fällt in so ein kleines, man sagt sportliches Loch hinein. AUTOR In solchen Fällen spielen die Vertrauenslehrer eine wichtige Rolle. Christine Zedel zum Beispiel. Sie unterrichtet Eric im Leistungsfach Sport und begleitet ihre Schüler auch am Wochenende immer wieder zu Wettkämpfen. Freiwillig. TAKE 8 (Christine Zedel) 0'32 Nun kenne ich gerade den Eric seit der 7ten Klasse und weiß eigentlich schon, was mit ihm los ist. Wenn er bereit ist, mir ein bisschen was zu erzählen, dann versuche ich ihn zu ermuntern: ,nimm dir nicht immer alles so zu Herzen, guck, wo deine Ziele liegen, das ist die Schule, das ist der Sport und du bist zu jung, und da können deine Probleme, die du hast, die sicherlich nicht klein sind, aber die relativieren sich dann vielleicht'. Und da spricht man dann halt ein bisschen mehr miteinander. AUTOR Mit Hilfe einer Sportpsychologin vom Olympiastützpunkt Berlin hat Eric schließlich seine Probleme in den Griff bekommen. Vorerst. TAKE 9 (Eric Krüger) 0'15 Man muss sehr hart arbeiten daran: man muss natürlich offen sein, um das auch umsetzen zu können, und dann: es ist sozusagen ein Training. Immer wiederholen, irgendwann prägt es sich ein, und man hat dort dann auch eine andere Sichtweise. TAKE 10 (Christine Zedel) 0'55 Der Leistungsdruck ist sehr hoch. Nach den neuen Bestimmungen kann man eben eigentlich nur bis ganz zum Ende bleiben, wenn man herausragende Leistungen bringt, und zwar in der Schule und im Sport, und das ist schon sehr heftig. Ich glaube nicht, dass es den Kindern, die zwar zu uns kommen wollen, so richtig bewusst ist. Am Anfang. Dass man es ihnen aber leider auch im Unterricht in der 7ten, 8ten Klasse bewusst machen muss. Ich habe vorhin in der Umkleide im Schwimmbereich eine Schwimmerin gehört, die gesagt hat, die haben eine Arbeit geschrieben, eine Mathearbeit, und sie hätte lernen müssen dafür, und hat gesagt: ,nee, den einzigen freien Tag, den ich jetzt mal seit Wochen habe, den habe ich mal nicht zum Lernen für Mathematik benutzt'. Ich war versucht, was zu sagen, ich habe aber nichts gesagt, weil ich gedacht habe: ,pff, das finde ich eigentlich normal', und es steht denen auch mal zu. ATMO 4 (Schüler und Trainer im Dialog) 0'12 frei, dann drunter TAKE 11 (Udo Wagner) 0'10 Dass die überlastet werden, das kann man steuern. Dass man sagt: ,okay, der braucht mehr Zeit für die Schule, der braucht auch mal Erholung', als Trainer greift man da steuernd ein. AUTOR Udo Wagner ist einer von sechs so genannten Lehrertrainern an der Poelchau- Oberschule. Er ist quasi das Bindeglied zwischen der Schule und dem Fachverband für Modernen Fünfkampf. Wagner unterrichtet Fechten in der Mittelstufe. Er soll die jungen Talente trainieren, und er soll die besonders begabten unter ihnen herausfiltern. Kein Problem: für die DDR gewann Wagner 1988 in Seoul Silber mit dem Florett, 1992 holte er mit der gesamtdeutschen Mannschaft Gold in Barcelona. (ATMO 4 weg) TAKE 12 (Udo Wagner) 0'49 Wir im Fünfkampf könnten diese Sportart nicht betreiben, wenn wir diese Schule nicht hätten. Weil wir nicht früh trainieren könnten, ganz einfach. Wir müssten dann alles in den Abend, Nachmittag reinpacken, aber das machen wir ja eh schon, und haben aber noch die Möglichkeit, früh zwei Stunden zu trainieren. Sonst würden wir die Sportarten ja gar nicht schaffen. Trainingsintensive Sportarten, wozu ich Fünfkampf zähle, Schwimmen, Rudern sind sicherlich nur mit einer Trainingseinheit nicht möglich. Dass es Ausnahmen gibt, wo eine Sportart vielleicht eine technische Geschichte sind, bestimmte Disziplinen in der Leichtathletik, wo ich vielleicht nicht diesen Umfang machen muss, wo vielleicht einmal ein Training von zwei, zweieinhalb Stunden am Tag reicht, sind sicher möglich. Aber in dem Bereich, wo wir mit vier bis fünf Stunden am Tag Training arbeiten, die kann ich nicht neben einer ganz normalen Regelschule machen. Das geht gar nicht. ATMO 5 (Imagespot Sparkasse) Die Olympischen Winterspiele im ZDF, präsentiert von der Sparkassen-Finanzgruppe. AUTOR ... einem der größten Förderer des Sports und seit 2008 offizieller Olympia-Partner des Deutschen Olympischen Sportbundes. 85 Millionen Euro hat der Deutsche Sparkassen- und Giro-Verband im vergangenen Jahr in die Sportförderung gesteckt, ein wichtiger Baustein ist dabei die Nachwuchsförderung: die Eliteschulen des Sports werden jährlich mit 3- bis 400.000 Euro unterstützt. Andreas Dittmer ist bei dem Verband als Projektmanager für Sportförderung tätig. Er war selbst ein Spitzenathlet: als Kanute holte er drei Mal Gold bei Olympia, dazu acht Welt-, fünf Europa- und 46 deutsche Meistertitel. TAKE 14 (Andreas Dittmer) 0'23 Wenn man sich mal wirklich die Zahlen zu Rate zieht, dann ist die Wahrscheinlichkeit eines Talentes viel höher, wenn es eine solche Eliteschule des Sports besucht, um eine olympische Medaille oder WM-Titel zu gewinnen, als wenn es in eine normale Schule gehen würde, wo man dann ein individuelles System stricken müsste, um dort die Trainingslehrgänge und Wettkämpfe zu ermöglichen. Insofern ist es an diesen Einrichtungen wesentlich einfacher, und das beweisen eigentlich auch die Zahlen. AUTOR 36 der 43 deutschen Medaillengewinner in Vancouver entstammen einer Eliteschule des Sports. Der Sportsoziologe und ehemalige Vizepräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes Eike Emrich interpretiert die Zahlen anders. Er spricht angesichts der Erfolge von Eliteschülern bei den Winterspielen in Vancouver von einer "Scheinkorrelation". Es sei kein Wunder, dass die deutschen Athleten so gut abgeschnitten hätten. Zum einen sei die Bestenauslese nicht so hart wie in den Sommersportarten, zum anderen seien die Eliteschulen in vielen Fällen an die Wintersportstätten gekoppelt. Klar, dass derjenige, der bei Olympia eine Medaille gewinnt, dann von einer Eliteschule käme. Emrichs Erkenntnis: die hohe Zahl an gewonnenen Medaillen bedeute ... gar nichts. TAKE 15 (Eike Emrich) 0'46 Für einige Schüler sind Eliteschulen des Sports sicherlich hilfreich, gerade solche, die an der Schule auch entsprechende Unterstützung brauchen, die einen organisatorischen Rahmen brauchen, und für andere sind sie eben nicht hilfreich. Alle Schüler nun diesen Eliteschulen des Sports in Deutschland versuchsweise zuzuführen, halte ich für falsch, es führen viele Wege nach Rom. Im Spitzensport, bildlich gesprochen, also zum Erfolg. Und wir haben ein sehr föderales, pluralistisches System mit den Vereinen als stabiles Rückgrat des Sports, auch des Leistungssports, und ich weiß nicht, ob die Fokussierung auf eine einzige Maßnahme uns langfristig tatsächlich dort hilft, nach den Befunden ist durchaus Skepsis angebracht. TAKE 16 (Andreas Dittmer) 0'06 Wir befinden uns immer noch auf der Entwicklung zu Eliteschulen, denn nicht überall ist Elite drin, wo Elite draufsteht. AUTOR Gibt auch Andreas Dittmer zu bedenken. Aber seine Schlussfolgerung ist eine andere als die von Eike Emrich: die Qualitätskriterien für Eliteschulen sollten bundesweit vereinheitlicht werden, um genau beurteilen zu können: welche Schule arbeitet erfolgreich, und welche weniger? Andreas Dittmer hat selbst eine Kinder- und Jugend- Sportschule in der DDR durchlaufen, die Eliteschule des Sports ist alternativlos, sagt er. TAKE 17 (Andreas Dittmer) 0'43 Ich kann das nur aus meiner persönlichen Erfahrung erzählen: ich habe später im Abitur mit acht Athleten zusammen verbracht, wo nur zwei Leistungssport betrieben haben, das ist die natürliche Auslese auch im Leistungssportprinzip, dass nicht alle Olympiasieger werden können, aber die anderen Athleten haben auch eine sehr gute Schulausbildung genossen, sind mittlerweile Ärzte, Notare, Rechtsanwälte und Architekten, also da kann ich sagen: sie haben auch ihre Schule sehr gut gemeistert, auch wenn sie nachher später den Leistungssport leider nicht mehr so betrieben haben, insofern denke ich mal, dass es ein sehr gutes System ist, und dass viele junge Athleten es nicht schaffen und eine Leistungssportkarriere abbrechen, das ist eine ganz natürliche Auslese, das ist eine normale Pyramide: unten fangen hundert an, und wenn einer durchkommt, dann sind wir alle sehr glücklich. TAKE 18 (Franziska Weber) 0'16 Irgendwann steht man dann da und sagt: ,boay, jetzt bist du Weltmeister, wie verrückt ist das denn'. Also hätte mir das vor zehn Jahren jemand gesagt, hätte ich gesagt: ,du träumst doch wohl'. Das war nicht abzusehen, dass ich es irgendwann mal so weit bringen kann. AUTOR Franziska Weber, 21 Jahre alt, befindet sich ganz oben auf der Pyramide. Seit ihrem zehnten Lebensjahr paddelt sie, in diesem Sommer gewann sie den Weltmeistertitel im Einer-Kajak der Frauen. Auch sie kommt von einer Eliteschule des Sports: der Friedrich Ludwig Jahn Sportschule in Potsdam. Letztes Jahr machte sie Abitur, inzwischen studiert sie Bauingenieurwesen an der Fachhochschule. - Franziska sitzt völlig entspannt am Ufer der Havel neben ihrer alten Schule und blickt auf ihr Trainingsrevier. Sie hat gerade Urlaub. TAKE 19 (Franziska Weber) 0'43 Ja, man hat schon die meiste Zeit gerade hier auf dem Gelände verbracht, viel Zeit mit Lehrern, das heißt Nachholunterricht und so was, von daher war es schon eine relativ intensive Zeit hier gewesen. Hauptsächlich Schule halt, aber dann doch immer mal zwischendurch zwei Stunden, die man zum Training gehen konnte, was ich persönlich doch irgendwo angenehm fand, weil man auch mal was anderes gemacht hat, man konnte wieder abschalten von der Schule, um sich dann wieder neu zu konzentrieren, sicher war es schwer, wenn man vom harten Training wieder gekommen ist, aber ich würde es auf jeden Fall immer wieder so machen, das hat sich von der 7ten bis zur 13ten durchgezogen der Wechsel: ein paar Stunden Schule, dann wieder Training, Schule, Training. AUTOR Wie so viele Schüler, die Leistungssport betreiben, hat auch Franziska Weber ihre Schulzeit um ein Jahr verlängert. Sie hat gestreckt. Eine richtige Entscheidung, wie sie heute findet. TAKE 20 (Franziska Weber) 0'26 Man lebt hier in der Sportschule doch irgendwie in seiner eigenen Welt, das sind ganz andere Menschen, also diese Sportler, als die aus dem in Anführungsstrichen "normalen" Leben. Die sind ganz anders: so ein Sportler ist entspannter, lockerer, aber doch sehr zielstrebig. Es sind halt die Dinge, die wir machen wollen, wir Sportler haben uns das so ausgesucht, dass wir diesen Weg gehen wollen, und man bekommt hier jede Unterstützung, die man haben möchte, wenn man nur fragt. AUTOR Und die Erfolge bleiben nicht aus - seien sie auch noch so klein. 2009 wurde Franziska vom Deutschen Olympischen Sportbund und der Sparkassen-Finanzgruppe als Eliteschülerin des Jahres geehrt, eine Auszeichnung, auf die gerade auch ihr ehemaliger Schulleiter Klaus-Rüdiger Ziemer sehr stolz ist. TAKE 21 (Klaus-Rüdiger Ziemer) 0'23 Ich denke schon, dass Franziska ein Leuchtturm ist, an dem sich viele aufrichten. Das Allerwichtigste dabei ist, dass die Eltern sagen: ,Mein Kind wird in Potsdam zu einem anständigen Menschen erzogen, bekommt eine sehr gute Schulausbildung und kann, wenn die psychischen und physischen Voraussetzungen da sind, seinen Traum vom großen sportlichen Erfolg erfüllen'. Dafür tun wir alles. AUTOR Zurzeit wird auf dem weitläufigen Gelände kräftig gebaut: eine neue Mehrzweckhalle, ein zweites Internatsgebäude, ein Anbau für die Mensa. Zusammen mit den bereits existierenden Sportstätten, wie beispielsweise der Gegenstromanlage für die Kanuten und Ruderer, entsteht in Potsdam ein beeindruckendes, weil kompaktes Schul- und Sportzentrum. TAKE 22 (Klaus-Rüdiger Ziemer) 0'12 Wir sind was ganz Neues. Wir sind was ganz Anderes. Wir haben hier keinen abgeschlossenen Raum, unsere Schule ist offen zur Seeseite hin, über den Uferweg zur Straße hin, das war früher alles nicht so. AUTOR Früher, das war zu DDR-Zeiten. Da gab es hier die Kinder- und Jugend-Sportschule, eine Medaillenschmiede der Extraklasse. Bei den Olympischen Sommerspielen 1988 in Seoul holten Schülerinnen und Schüler der KJS Potsdam für die DDR 31 Medaillen. 1991 übernahm das Land Brandenburg die Trägerschaft. Dafür musste die Schule die Ausrichtung auf den Leistungssport aufgeben. Fünf Jahre später besann man sich, dass vielleicht doch nicht alles schlecht war, was die DDR hervorgebracht hatte. Man befreite die meisten Kinder- und Jugend- Sportschulen vom ideologischen Mief vergangener Tage und erklärte sie kurzerhand zu Eliteschulen des Sports. Heute sind sie ein wesentlicher Stützpfeiler der Nachwuchsförderung im deutschen Spitzensport. Die Friedrich Ludwig Jahn Sportschule in Potsdam wurde 2008 als Eliteschule des Jahres ausgezeichnet. Schulleiter Klaus-Rüdiger Ziemer hat aber nicht nur die Erfolgreichen im Blick. Er findet es wichtig, auch denen eine Perspektive zu bieten, die erkennbar nicht den Sprung unter die Besten schaffen werden. TAKE 23 (Klaus-Rüdiger Ziemer) 0'37 Was Sachsen macht und was Thüringen macht, dass sie die nach Hause schicken, hat natürlich einen Hintergrund, über den wir auch nachgedacht haben: es ist ein Verbrechen, ein Kind am Tag fünf Stunden schwimmen zu lassen ohne Aussicht auf Erfolg. Da muss man eine klare Linie ziehen. Wenn dort die Linie so aussieht und vom Land akzeptiert wird und von den Eltern, dass sie sagen, mein Kind kommt dann wieder nach Hause, dann ist es eben so. Wir haben eine andere Philosophie und denken, dass eine Sportschule immer mehr sein muss als Unterricht und Training. AUTOR Wer es nicht in den Leistungssport schafft, kann in Potsdam beispielsweise eine Trainerlizenz für den Breitensport erwerben. Wie viele Eliteschulen des Sports braucht Deutschland, um in den Medaillenspiegeln dieser Welt vorne zu sein? Auf dem sportwissenschaftlichen Hochschultag in Münster vor einem Jahr entfachte Professor Eike Emrich, Sportsoziologe von der Universität des Saarlands, eine heiße Diskussion darüber. Seine These: Eliteschulen sind keineswegs der einzige Ort, um sportliche Talente zu entdecken und zu fördern. TAKE 24 (Eike Emrich) 0'48 Zunächst spricht dagegen, dass wir überhaupt kein verlässliches Prognoseinstrument haben, um bei einem 10-, 11- oder 12-Jährigen aufgrund eines Tests zu sagen: der wird in drei oder vier Jahren auch noch bei den Besten sein. Insofern werden wir notwendigerweise extreme Fluktuation haben, erstens, zweitens: je mehr Sportarten sie ausprobieren, je mehr Disziplinen, umso größer ist doch die Chance, dass sie dabei diejenige finden, für die sie am besten geeignet sind. Und insofern ist doch Variabilität und vielfältiges Ausprobieren eine interessante Strategie, die übrigens ökonomisch plausibel ist: man investiert sehr viel Zeit in etwas mit einem hohen investiven Risiko, aber langfristig ist der Gewinn, wenn die Investitionsstrategie aufgeht, eben höher. AUTOR Dieses Ausprobieren, so Emrichs Schlussfolgerung, leisteten die Sportvereine, Eliteschulen des Sports also ja, aber möglicherweise sollte man das Eintrittsalter der Schüler heraufsetzen. Rüdiger Barney von der Berliner Poelchau-Oberschule. TAKE 25 (Rüdiger Barney) 0'11 Für mich ist auch manchmal die Frage: wie kann es sein, dass Deutschland im Bereich Hockey beispielsweise so gut dasteht, und Hockey eigentlich eine Sportart ist, die sich an den Eliteschulen des Sports noch gar nicht richtig etabliert hat. TAKE 26 (Eike Emrich) 0'47 Und der dritte Punkt ist: ich frage mich, ob man durch permanentes Beseitigen von Hindernissen und Betreuung und Behütung tatsächlich bei Individuen, die sich unter schwierigsten Bedingungen bewähren müssen, die Chance für die Bewährung erhöht, oder ob wir erstmal schauen sollten, welche Individuen aus Eigenantrieb besondere Leistungen bringen und besonderen Einsatz und diesen dann belohnen. Das ist ja auch die Diskussion in der Bildungsforschung. Natürlich können Sie immer mehr fördern, Sie können immer mehr letztendlich den jungen Menschen nachtragen, ihnen andienen, aber bei jemandem, der es nicht gewöhnt ist, Eigeninvestition zu tätigen, erzeugen Sie doch damit ein Verhalten, in dem er selbst immer weniger tut, weil immer mehr von außen getan wird. TAKE 27 (Jochen Zinner) 0'08 Alles ein bisschen sehr akademisch, und den Beweis kann nun niemand antreten, was aus Britta Steffen geworden wäre, wenn sie nicht auf der Eliteschule wäre. AUTOR Jochen Zinner, im Landessportbund Berlin für den Leistungssport zuständig. Ihn ärgern Emrichs Argumente, der behauptet: Erfolg werde genau dadurch möglich, dass man ihn nicht ansteuere oder Grundlage für den Erfolg sei nicht das Training, sondern die pure Lust am Wettkampf. TAKE 28 (Jochen Zinner) 0'19 Weil man ohne diese Unterstützung des Umfeldes, der Schule, des Internats, der Lehrer, der Erzieher diese Doppelbelastung nur schwer ertragen könnte. Gar keine Frage: wir wären ohne diese Eliteschulen ärmer dran, aber die Eliteschulen sind nicht die Automaten, wo man oben ein Talent rein wirft und unten die Medaille rausholt. ATMO 6 (Olympic Barbecue, Ansager/Sportlerin) 0'19 frei, dann drunter 15 Jahre jung, vierter Platz bei der Jugend-Europameisterschaft im Wasserspringen, fünfter Platz bei den Olympischen Jugendspielen. Als Schülerin am Coubertin- Gymnasium wurde sie von den Schülern und Mitschülern gewählt als Sportlerin des Jahres. Wir sagen: Herzlich Willkommen, Kieu Dong. AUTOR Ein kalter Spätsommerabend im Biergarten eines großen Berliner Hotels. Der Olympiastützpunkt der Hauptstadt hat zum Barbecue geladen. Junge Berliner Nachwuchsathleten erhalten von einer ortsansässigen Brauerei einen Förderpreis in Höhe von 1.000 Euro und werden kurz auf die Bühne gebeten. Darunter auch Kieu Dong, eine Eliteschülerin des Sports, die im Sommer an den ersten Olympischen Jugendspielen in Singapur teilgenommen hat. ATMO 6 (Olympic Barbecue, Ansager/Sportlerin) 0'04 hoch, wieder drunter Es war echt gigantisch. Singapur ist supertoll. AUTOR Im Publikum sitzen Eric Krüger und Franziska Hanko, die beiden Modernen Fünfkämpfer von der Poelchau-Oberschule. Auch sie waren in Singapur dabei. (ATMO 6 weg) TAKE 29 (Eric Krüger) 0'14 Unglaublich, unbeschreiblich, eine wunderbare Zeit, werde ich nie vergessen, ich bin froh, dass ich teilhaben durfte an so etwas Geschichtsträchtigem, war ja das erste Mal, und eine unglaubliche Zeit. TAKE 30 (Franziska Hanko) 0'16 Das war schön. Schöner Wettkampf. Ich kann mir das Gefühl jetzt gar nicht besser vorstellen bei den echten Olympischen Spielen, ich denke, das war halt schon so ähnlich, mit dem Leben im Olympischen Dorf, mit den anderen Athleten zusammen aus den anderen Nationen, alle zusammen essen und so, das war schon gut. AUTOR Zurück zu den Ursprüngen der Olympischen Bewegung - Freundschaft, Respekt, Toleranz - weg vom ewigen Blick auf den Medaillenspiegel: IOC-Präsident Jaques Rogge hatte die Idee, die Jugend der Welt füllte sie aus. TAKE 31 (Eric Krüger) 0'19 Im Olympischen Dorf, da gab es das CEP, das ,Culture and Education Program', und da konnte man andere Nationen kennen lernen, andere Kontinente, konnte auf englisch kleine Spiele machen, konnte sich über andere Länder und Kulturen informieren, ... TAKE 32 (Franziska Hanko) 0'13 ... es wurde ja mehrfach vorher gesagt, dass es nicht um die Medaillen geht, sondern mehr um das kulturelle Kennen lernen und neue Erfahrungen sammeln und Reinschnuppern in die Olympische Atmosphäre und so. AUTOR Aber so richtig gezündet hat der Olympische Gedanke - ,Dabei sein ist alles' - bei der Eliteschülerin aus Berlin dann doch nicht. Denn ganz so einfach lässt sich das tägliche Motto der Athleten - ,Arbeite hart, dann bist Du der Beste' - doch nicht beiseite schieben. TAKE 33 (Franziska Hanko) 0'21 Der Druck war jetzt nicht so hoch wie bei der EM oder WM, wo man zum Beispiel in der Staffel was gewinnen könnte oder so, es war halt so, wie soll ich sagen, wenn ich jetzt Spaßwettkampf sage, kommt das ja auch Scheiße, es war auch kein Spaßwettkampf, es war einfach eine schöne Erfahrung, und kann ich mich jetzt nicht so zu äußern. AUTOR Insgesamt 70 Nachwuchsathleten hatte der Deutsche Olympische Sportbund nach Singapur entsandt, 19 von ihnen besuchen eine Eliteschule des Sports. Das ist noch nicht mal ein Drittel. Wasser auf die Argumentationsmühlen von Eike Emrich. TAKE 34 (Eike Emrich) 0'13 Wenn Sie am Ende der Entwicklung alle deutschen Kaderathleten zu Eliteschülern des Sports machen, werden die viele Medaillen gewinnen, aber wir werden nicht wissen, ob sie mehr Medaillen gewonnen hätten, wenn einige oder viele davon außerhalb betreut würden. AUTOR Deshalb, so Emrich, sollten die finanziellen Fördermittel der Eliteschulen an den Erfolg ihrer Schüler im Erwachsenenbereich gekoppelt werden und nicht, wie zurzeit, an die Zahl der aktuellen Kaderathleten. TAKE 35 (Eike Emrich) 0'49 Weil wir offensichtlich jugendliche Leistungen sehr stark entwickeln können, zu sehr großer Höhe führen können durch hoch intensive Trainingsmittel, aber genau dadurch die Erreichung des späteren Ziels: Erfolg als Aktiver partiell behindern. Und insofern muss man entscheiden: Will ich im Erwachsenenbereich erfolgreiche Athleten? Oder will ich im Jugendbereich hoch erfolgreiche Athleten? Es gibt Athleten, die beides können, aber in der Tendenz ist das eben nicht gemeinsam ansteuerbar, dieses Ziel, sondern ich muss Grundlagen schaffen bei jungen Leuten der Vielseitigkeit, der Entwicklung, und ich muss sie auch angemessen belasten, damit sie noch Zeit für Freunde und ähnliches haben, damit sie schlicht und einfach bei der Stange bleiben und langfristig erfolgreich sind. ATMO 7 (Fechttraining) kurz frei, dann drunter TAKE 36 (Eric Krüger) 0'10 Ich mach diesen Sport jetzt seit mehreren Jahren, bin soweit gekommen, da wäre es jetzt ein bisschen unschlau, das einfach so wegzuwerfen. AUTOR Eric, der Fünfkämpfer aus Berlin, wird weiter hart arbeiten, um sich seinen Traum vom Olympiagold zu erfüllen. - Potsdams Schulleiter Klaus-Rüdiger Ziemer. TAKE 37 (Klaus-Rüdiger Ziemer) 0'33 Wie viel Garantie kann man geben, dass ein Deutscher einen Nobelpreis bekommt? Ich denke, es ist eine ähnliche Dimension. Ich glaube, dass Eliteschulen des Sports viel mehr hervorbringen als Olympiasieger. Aber sie bringen auch Olympiasieger hervor und Medaillengewinner. Ich habe ja gesagt: die schulische Ausbildung steht ganz vorn, und die Erziehung gehört dazu, und dass wir uns dann Traumerfüllungsmanufaktur nennen, das machen wir mit so einem zwinkernden Auge, aber ich glaube: wir sind es wirklich. (ATMO 7 weg) 17