DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hhörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Dossier WIRTSCHAFT OHNE WACHSTUM? Auf der Suche nach einer politischen Ökonomie für das 21. Jahrhundert von Mathias Greffrath Sprecherin: Ulrike Schwabe Sprecher 1 : Jochen Langner Zitator 1: Volker Risch Zitator 2: Reinhart Firchow Sprecher 2: Volker Banik OV Stern: Gregor Höppner Redaktion/Regie: Ulrike Bajohr Ton und Technik: Jana Brandt und Eva Pöpplein Musik: Satisfaction, Komponist Keith Richards, Interpret: Hampton String Quartett, CD: Sympathy for the Devil, label: MonaLisaSound.Inc. Z: 3`40 URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio Sendung: 2.Oktober 2009 (Musik) Merkel A1 Und wir wissen, dass wir diese Chance ... nutzen wollen und nutzen werden, um.... S2: Wir brauchen Wachstum! A1 .....um Wachstum noch entschiedener nach vorne zu bringen .... S 2: Denn Wachstum schafft Arbeit und Arbeit schafft Sicherheit. A1 Merkel Wir wollen die Voraussetzungen schaffen.... , Sprecherin: ...um die Sozialsysteme zu finanzieren, S2: ..... um die öffentlichen Haushalte zu sanieren. B1 Westerwelle (you tube) ... faire Steuern sind keine Gefahr für das Wachstum!.... S1: Entschlossene Klimapolitik schafft Wachstum! Sprecherin: Mehr Wachstum durch Bildung B Westerwelle : Wir wollen ..... S2: .... Wir brauchen Wachstum! B: ....nicht die letzte Generation sein, die einigermaßen im Wohlstand lebt... S2: .... Wir brauchen Wachstum! B: ... dass Deutschland in 10 Jahren wieder zu den ersten in Europa gehört. S2: Ohne Wachstum ist alles Nichts! Sprecherin: WIRTSCHAFT OHNE WACHSTUM? Auf der Suche nach einer politischen Ökonomie für das 21. Jahrhundert Eine Sendung von Mathias Greffrath Musik weg S2: ERSTENS. DIE AUSGANGSLAGE S1: Nichts wird mehr so sein wie früher! Sagte Finanzminister Steinbrück im Oktober 2008. Banken sollten verstaatlicht, Hedgefonds verboten, Steuerparadiese geschlossen werden. Und heute? Ein Jahr nach dem größten Crash seit 1929? Sprecherin: (Ein paar Regeln ? pardon: Reden - gegen die Manager-Gier. Ein paar Korrekturen ? pardon: angekündigte Korrekturen - bei der Banken-Aufsicht ? aber keine erkennbaren Schritte in Richtung auf eine globale Kontrolle über die Finanzmärkte, keine Austrockung der Steuerflucht-Oasen, keine Spekulationssteuer. Unterdessen zahlen die Banken, die überlebt haben, schon wieder gute Boni aus. Goldman Sachs allein im zweiten Quartal 2009 6,65 Milliarden Dollar. Die Aktienbörsen brummen, Firmen- und Staatsanleihen sind siebenfach überzeichnet. Und Bank-Direktor Ackermann warnt vor strengeren Eigenkapitalregeln für Banken. S1: Heute können wir das, was die regierungsamtlichen Mutmacher verbreiten, in dem Motto zusammenfassen: S2: Wenn das Kreditrad sich wieder dreht, wird die Weltkonjunktur wieder zünden, das Wachstum wird anspringen . Dann wird auch der Exportmotor wieder brummen und Deutschland bleibt Weltmeister in der Formel 1 ? der Exporteure. S1: Drehen, Zünden, Anspringen, Brummen - die Metaphern riechen nach Mineralöl; und obendrauf kommt der Schamanenspruch: S2: "Die Wirtschaft befindet sich auf dem Weg zur Normalität." Sprecherin: Zum Wachstum? S1: Der Alltag sieht schon lange anders aus, jedenfalls bei uns, sagt Wirtschaftsprofessor Birger Priddat: 01 O-Ton Priddat Faktisch lassen die Wachstums-Raten nach, grade in den großen kapitalistischen Ländern. Unsere Hochzeit hatten wir in den 50ern in der Bundesrepublik, als wir fast chinesische Raten hatten, das ist dann in ruhigen Entwicklungsschritten zurückgegangen. Ich vermute, dass wir in diesen Kernländern des Kapitalismus keine sehr hohen Wachstumsraten mehr - wir müssen uns daran gewöhnen, das wir mit zwei, ein bis drei Prozent durch die Geschichte gehen werden. Was bedeutet, dass Teile der Bevölkerung sich schon dran gewöhnen werden müssen, weniger Einkommen zu haben, als man das vor zwanzig Jahren noch hätte erwarten können. Insofern ist der Ruf nach Wachstum irreführend, wenn er mit einer Euphorie verbunden ist: Hohe Wachstumsraten. S1: Seit 30 Jahren etwa sinken in den entwickelten Industrienationen die Wachstumsraten. Und die Löhne. Und in Deutschland sank außerdem das Arbeitsvolumen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Aber die Geldeinkommen und die Vermögen an der Spitze der Pyramide stiegen steil an. Es war viel Geld da. Zuviel Geld. Mehr Geld, als eine Wirtschaft, die in einer saturierten Gesellschaft nur noch schwach wächst, als produktives Kapital nutzen konnte. Sprecherin: Eine Wirtschaft, die kaum wächst ? und immer mehr Rendite? Woher? S1: Frage an den Wirtschaftstheoretiker und Philosophen Karl-Heinz Brodbeck: 02 O-Ton Brodbeck Entweder man holt es sich über den Zinsweg oder den direkten Finanzierungsweg von den Unternehmen, das heißt, die Unternehmen werden ausgepresst unter dem Diktat der Rendite. Das reicht aber nicht aus, deshalb die Forderung, wir brauchen auch noch Mittel, über die bislang der Staat verfügte, also zum Beispiel Sozialversicherung, Renten, die öffentlichen Verkehrsbetriebe, da lasst sich überall noch fürchterlich viel Geld verdienen. Das ist noch nicht Teil dieser Ausbeutung an den Finanzmärkten, also müssen wir das einbeziehen. Und so kam politisch die Forderung der Deregulierung auf, die sich erstaunlicherweise gegen Interessen der breiten Bevölkerung durchgesetzt hat, und man hat sich damit neue Einkommensquellen erschlossen. Aber wenn wir das alles zusammennehmen: Selbst bei etwa 5 Prozent realem Wachstum und mit all diesen Umverteilungsmechanismen, dadurch dass man öffentliche Kassen plündert, das man Unternehmen privatisiert und so weiter: Es ist unmöglich, auf Dauer eine Rendite, und das ist ja ne Wachstumsrate von 15, 20 Prozent aufrechtzuerhalten. Das ist nicht möglich. S1: Und weil sie es doch möglich machen wollten, Sprecherin: ...und keine Firmen mehr zu zerlegen waren und kein öffentliches Vermögen mehr zu privatisieren war, S1: ...nahmen die Investoren mit Krediten Kredite auf und spekulierten mit Aktien, Rohstoffen, Hypotheken und Anleihen. Das Wachstum des Finanzsektors verselbständigte sich vollends von der wirklichen Wirtschaft. Die Banken gewährten zahlungsunfähigen Konsumenten massenhaft Kredite und trieben betrügerischen Handel mit den Forderungen. Dieses Pyramidenspiel des Finanzsektors, die Spekulation, die Hypothekenblase ? es waren die vorerst letzten Sumpfblüten eines scheinbaren Wachstums, dessen Ursache der Überhang an Gewinnen aus der Vergangenheit, das Missverhältnis von Geld und realer Wirtschaft, von Gewinngier und Produktivität ist. Sprecherin: Und nun? In einem Familienunternehmen käme es zum Kassensturz. S1: Aber die Weltwirtschaft ist kein Familienunternehmen: eine Abwertung der ungedeckten Forderungen hätte unkalkulierbare Folgen gehabt ? für uns alle. Sprecherin: Uns alle? S1: Jedenfalls alle, vom Spekulanten über den Bonusmanager und die Finanzstadträte deutscher Mittelstädte bis zum Kleinsparer, die - mit sehr unterschiedlichem Gewinn - darauf gesetzt haben, dass die Weltwirtschaft mehr hergibt, als sie real leistet. Die auf elfmal soviel gewettet haben, als im Lottotopf lag. Die unendliches Wachstum für das Normalste auf der Welt hielten. Sprecherin: Als wenn Geld arbeiten könnte. S1: Und so haben die Regierungen, um den Kassensturz zu vermeiden, erstmal umgebucht: sie entsorgen faule Schulden in Bad Banks. Sie pumpen neues Geld ins System und erhöhen das Staatsdefizit. Sprecherin: Sie verpfänden die Einkommen der nächsten Generationen. In der Hoffnung auf künftiges Wachstum. (Musik) S2: EINE FRAGE AUF DEN WEG: WACHSTUM ? IST DAS NORMAL? 03 O-Ton Sieferle Das Normale in Agrargesellschaften, die ungefähr10 000 Jahre existiert haben, war kein Wachstum, sondern nur Fluktuation. Da tut sich nicht soviel. Wir haben in den letzten 200 Jahren eine Singularität erlebt, uns rauskatapultiert aus dieser alten nachhaltigen oder stationären Logik und sind jetzt inmitten einer Wachstumsgesellschaft, und das heißt in einer Situation der strukturellen Nichtnachhaltigkeit. S1: Rolf-Peter Sieferle ist Professor Universität Sankt Gallen und rechnet seit dreißig Jahren mit den Beständen der Erde. Mit Flächenverbrauch, mit Rohstoffmengen, mit Energieeinsatz. Und mit Grenzen. 04 O-Ton Sieferle Ich könnte mir denken, dass es noch zweihundert Jahre physisches Wachstum geben kann, alsodass die Anzahl der Menschen wächst, und auch die Menge von Energie und Stoffen, die durch die Menschen durchgeschleust wird. Das wächst seit 200 Jahren, das wächst auch heute noch, viele wollen auch, dass das auch noch weiter wächst, in der gesamten dritten Welt, wo die Menschen noch auf dem Niveau der Agrargesellschaft oder einer sehr frühen Industrialisierungsgesellschaft leben. Wo ein Reifezustand liegen könnte, ein nachhaltiger Dauerzustand, das wissen wir im Moment nicht. Es ist wahrscheinlich nicht möglich, dass er auf unserem Niveau liegen wird. Man kann solche Dinge nicht entscheiden. Wir sind da reingeschliddert, durch eine Vielzahl von Einzelprozessen, und wir sind jetzt mitten in einer Explosion, oder wir sind im freien Flug. S1: Sieferles Zahlenreihen über unseren "Sozialmetabolismus", Sprecherin: unseren "Stoffwechsel mit der Natur" , S1: strahlen Unvermeidlichkeit aus. Nehmen wir nur eine heraus: Zur Zeit wächst das Welt-Sozialprodukt um 5 Prozent im Jahr. Aber schon bei einem jährlichen Wachstum von 3 Prozent würde die Weltwirtschaftsleistung bis zum Jahre 2110 ums 19 fache steigen. Sprecherin: Neunzehnmal so viel Produkte, neunzehnmal so viel Rohstoffverbrauch, neunzehnmal so viel Müll. Selbst wenn die Hälfte davon aus immateriellen Dienstleistungen bestünde ? das trägt keine Erde. Das sieht jeder ein. S1: Es sei denn, er ist ein Wirtschaftswissenschaftler der verbreiteten Art. Dann nämlich hält er eine Wachstumsrate von weniger als 1,5 Prozent für krisenträchtig. Aber selbst 1,5 Prozent würden uns, wenn wir weiterhin so produzieren wie bisher, in hundert Jahren die viereinhalbfache Menge an Gütern und Müll bringen. Sprecherin: Es brauchte das Material von drei bis sechs Erdbällen, wenn Chinesen und Inder ein Wohlstandsniveau wie unseres hätten. Von Afrika ganz zu schweigen. S1: Niemand weiß genau, wie sich neun Milliarden Menschen, drei Milliarden mehr als heute, ernähren werden um die Mitte des 21.Jahrhunderts. Man bräuchte 40 Prozent mehr Böden, aber nur 20 Prozent mehr stehen zur Verfügung, wenn man alles ausreizt. Unsere Enkel werden auf einen "stationären Zustand" hinsteuern. Sprecherin: Auf Nullwachstum? 05 Sieferle Wir werden darauf zusteuern, und wir werden damit ernsthafte Probleme bekommen. Stationäre Gesellschaften sind Gesellschaften, in denen es heftige Verteilungskonflikte gibt. Da wird die Konkurrenz verlagert von der Ökonomie, wo nichts zu holen ist, auf die Macht, und da kann man durch Umverteilung etwas holen. Deshalb fürchte ich, dass die stationäre Ökonomie, auf die wir in 100 Jahren hintreiben, eine sein wird, in der an die Stelle des ökonomischen Konkurrenzkampfes der politische Machtkampf tritt. Und der politische Machtkampf ist weniger schön als der ökonomische Konkurrenzkampf. Der politische Machtkampf ist nämlich einer, der mit Gewalt ausgetragen wird. S1: Die globale Rechnung zeigt die Konturen der Mauer, gegen die wir fahren, wenn wir so wachsen wie bisher. Sprecherin: Und die Gegenrechnungen? Der Hoffnung verheißende technische Fortschritt? S1: Der mag uns neue Werkstoffe und mehr Effizienz beim Produzieren bescheren Und so helfen, das Verhältnis von Sozialprodukt .... Sprecherin: ? der Wohlstand in Geld gemessen ? S1: ... von Sozialprodukt und Materialverbrauch zu verbessern. Sprecherin: Oder auch nicht. Die Geschichte der Technik ist eine von Großtaten u n d von gescheiterten Großprojekten. S1: Eine bekannte Größe hingegen ist die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre für unsere Verbrennungsrückstände. Die ist begrenzt. Und das geht an den Kern des Wachstum, wie wir es kennen. Ja, der Moderne insgesamt. Sprecherin: Denn unerschöpfliche Energie - das war die entscheidende Komponente im Treibstoff des kapitalistischen Wachstums. Aber auch wenn das Öl zur Neige geht: nicht das Ende der Brennstoffe, sondern ihre Emissionen sind das größte Problem, das die Menschheit je hatte. (Musik) S2: DRITTENS. Die Ausnahme: Wer noch wachsen muss 07 O-Ton Stern The other challenge of this century overcoming world poverty does require growth in output in India and China,in Africa. And that is a very significant growth ... . (darüber OV:) Die Überwindung der Armut in der Welt ist die zweite Herausforderung dieses Jahrhunderts, und dies erfordert Wachstum in Indien und China, in Afrika. Und zwar erhebliches Wachstum. Und damit das gelingen kann, müssen wir die Verbindung von Wachstum und CO2-Emissionen auflösen. Und in dem Maße, in dem wir das tun, werden auch wir zu einem neuen Wachstumsverständnis kommen. Wir werden dann in einer Welt leben, in der wir größere biologische Vielfalt verwenden und genießen, als wir das bisher getan haben, und klüger mit unserem Wasser umgehen. Eine Welt, in der wir weniger verschwenden und besser zusammenarbeiten, damit all das geschehen kann. Eine Welt , in der das Bevölkerungswachstum allmählich abflachen wird, weil die Sterberaten sinken, die und Frauen mehr Rechte auf dem Arbeitsmarkt bessere Bildung und Zugang zu Reproduktionsmedizin haben. Was ich da beschreibe, das könnte man auch Entwicklung nennen. O-Ton Stern What I´m describing is actually development S1: Für Lord Nicholas Stern, Professor an der London School of Economics, ist das Wachstumsrecht der unterentwickelten Weltregionen zwingend an den Umbau unserer Industriezivilisation gekoppelt- Sprecherin: - Wachstum muss durch Entwicklung ersetzt werden, Quantität durch Qualität. S1: Die alten Industriestaaten müssten die Vorreiter einer technischen Revolution werden, die die Energieversorgung des Planeten vom Kohlenstoff abkoppelt. Europa muss seinen Kohlenstoffverbrauch bis zum Jahr 2050 um 80 Prozent senken. Amerika um noch mehr. Und die reichen Länder müssten den armen Ländern bei ihrer Entwicklung und der Bewältigung des Klimawandels helfen. Dafür ist Geld nötig, viel Geld. Rund 1,4 Billionen Dollar pro Jahr. Sprecherin: Eine Umverteilung in globalem Maßstab steht an. Und die ist nicht mehr aus Wachstum zu bezahlen. S2: VIERTENS: GEBEN IST SELIGER DENN NEHMEN? ODER: WARUM WIR UNS MIT DEM VERZICHT AUF WACHSTUM SCHWERTUN 08 O-Ton Miegel "Wir haben in der Vergangenheit die sozialen Friktionen gemildert dadurch, dass wir durch Wachstum mal diesem, mal jenem was gegeben haben, wir saßen auf dem Karussell und bei der nächsten Runde bekam ich dann was, ich konnte mich auch darauf verlassen. Dieses wirksame Schmiermittel wird nicht mehr vorhanden sein. Und das heißt, dass Bewegungen, die diese sozialen Spannungen vergrößern könnten, mit viel größerer Aufmerksamkeit beobachtet werden, und es wird sehr viel kritischer werden, als es in der Vergangenheit der Fall war. S1: Der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel beschreibt den Mechanismus, mit dem die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland nicht nur den Wohlstand gesteigert, sondern vor allem den sozialen Frieden gesichert hat: Sprecherin: Durch Wachstum. S1: Solange es Wachstum gibt, muss nicht wirklich umverteilt werden. Die Reichen mussten nichts abgeben. Sprecherin: So war es bis vor kurzem. Seit einem Jahrzehnt aber geben die Unteren ab. S1: Die Zahl der statistisch Armen, so meldet es die OECD, hat sich in Deutschland in 20 Jahren fast verdoppelt, die Einkommensungleichheit ist drastisch gestiegen. Aber was wird aus dem sozialen Burgfrieden, wenn das Wachstum bei uns ausbleibt? Sprecherin: Wir werden die Lösung unserer Gerechtigkeitsprobleme politisch aushandeln müssen. Jetzt muss zum ersten Mal umverteilt werden. S1: Das heißt: Es wird mehr gestritten werden über das Verhältnis von Löhnen und Gewinnen. Und auch über die gesellschaftlichen Hierarchien und Werte. Sprecherin: Kulturelle Transformation. Kultureller Schock. 09 O-Ton Miegel Wir haben im Zuge der Industrialisierung den Bereichen besondere Wertschätzung entgegen gebracht, die sich mit höchster Intensität in die Ausbeutung von Umwelt und Natur gestürzt haben. Wenn ich Autos zusammengeschraubt habe, dann bedeutete das eine enorme Umweltbelastung ? aber da das alles nicht in die Rechnung einging, habe ich gesagt: Schaut mal was der an Wert geschöpft hat. Der andere hat einen Dementen gefüttert, das war nicht an Rohstoffverbrauch gekoppelt, das war also geringwertig. Das ist wieder so ein ja, kultureller Schock, den wir tragen müssen, uns freizumachen von der Vorstellung : je näher du an Ressourcen bist, desto wertvoller ist deine Tätigkeit, und je weiter entfernt, desto geringer wertig ist sie. Eine totale Fehlentwicklung. Für mich ist ein Schlüssel für die künftige Entwicklung, die Ablösung von Leistung und Monetärem, dass wir das Ganze Entlohnungssystem umstellen. Sprecherin: Nicht mehr entlohnen nach der Menge der verbrauchten Rohstoffe und der "Wertschöpfung". Aber nach welchem Kriterium dann ? 10 O-Ton Miegel Nach dem Prinzip der Notwendigkeit. Wenn der Demente nichts zu essen kriegt, dann tut der, der einen Dementen betreut, eine notwendige, also wertvolle Arbeit. Wenn ein Auto weniger auf den Markt kommt, wäre das kein großen Verlust. S1: Weil - bei gebremstem Wachstum ? nicht einfach die Löhne für soziale Dienstleistungen angehoben werden können ohne die fürs Autobauen zu senken. 11 O-Ton Miegel: Ja, natürlich werden wir mehr Gleichheit habe. Jeder muss sich darüber klar werden, dass sein Beitrag enorm begrenzt wäre, wenn er nicht vernetzt wäre mit anderen. Was wäre denn mein Bankdirektor ohne das Gesamtsystem. Er ist das, was er ist, weil er in einem System drinsteckt. S1: Vom "Leistungslohn", je nach vermeintlicher Bedeutung in der Wertschöpfungskette, zu einem politisch ausgehandelten Lohn einer Gesellschaft, der bewusst wird, dass sie nur reich ist, weil Millionen Menschen in ihr kooperieren ? Sprecherin: - das wäre eine Bewusstseinsrevolution! S1: Und noch eine Kulturrevolution steht an am Ende der europäischen Wachstumsperiode. Selbst wenn das Wachstum ausbleibt und wir die Einkommen so umverteilen, dass genügend Menschen in pflegenden, sozialen, bildenden Berufe tätig sein können .... Sprecherin: .... wir werden weiterhin immer produktiver arbeiten! S1: Und das heißt für Meinhard Miegel: auch die Arbeit muss anders organisiert werden. Wenn alle beschäftigt werden sollen, werden alle weniger arbeiten müssen ? und den Wohlfahrtsgewinn statt in Geld in Zeit erhalten. Sprecherin: Zeit für kulturelle Betätigung, Zeit für das, was der Sozialstaat nicht mehr leisten kann. 12 O-Ton Miegel: Ich sage nicht: Verzicht, Verzicht .Ich sage immer: wir werden eine Umschichtung haben, wir werden die vernachlässigten Bereiche, die von enormer Bedeutung für das menschliche Leben sind, revitalisieren. Klammer auf: müssen. Und das wird durchaus Einbussen in anderen Bereichen, auf die wir bis jetzt fokussiert waren , ausgleichen, dass die Menschen sagen: Ja, ich habe ein geringeres Einkommen, aber dafür habe ich mehr Selbstgestaltungsmöglichkeiten: Ich habe mehr freie Zeit. Aber: das wir das bewusst machen. Das ist ja keine Automatik. Das sind Minderheiten, die in der Lage sind, eins und eins zusammenzählen zu können , aber viele können es ja nicht, die sagen nur: Mein Einkommen ist niedriger. Wir haben die anderen Bereich der Menschlichen Existenz über viele Generationen vernachlässigt. Wir wissen gar nicht, wie wir uns darin tummeln in diesen Bereichen, was wir damit machen können, welche Lebenszufriedenheit daraus zu ziehen ist. Sodass ich sage, wir müssen alles unternehmen, damit das klappt, aber ganz im Hinterkopf habe ich auch die Möglichkeit des Scheiterns. (Musik) S2 : FÜNFTENS: WOZU WACHSTUM EINMAL DIENEN SOLLTE ? ERINNERUNG AN DIE KLASSIKER S1: Die Transformation hin zu weniger Arbeit und mehr Gleichheit, die uns individualisierten Konsumenten der reichen Länder so schwierig vorkommt, als Verlust gar ... Sprecherin: ...und uns deshalb nicht zugemutet wird, denn welcher Politiker macht sich schon gern unbeliebt ... S1: ...dieser Wertewandel war für die Klassiker der ökonomischen Wissenschaft das Ziel allen Wirtschaftens. Sprecherin: Der Zweck der Ökonomie - ist das Ende des Wachstums? Zitat Mill "Ich glaube, dass das Ende des Wachstums von Kapital und Reichtum, aufs Ganze gesehen, eine beträchtliche Verbesserung unseres jetzigen Zustands wäre. Ich räume allerdings ein, dass mir das Lebensideal derer nicht gefällt, die glauben, es sei normal, dass Menschen kämpfen müssen, um weiterzukommen. Dass Niedertrampeln, Ellbogeneinsatz und kräftige Tritte auf die Fersen der anderen, die gegenwärtig unser soziales Leben auszeichnen, das erstrebenswerte Los der Menschheit sei, und nicht nur das unangenehme Symptom einer Phase des industriellen Fortschritts. Ich glaube, der zuträglichste Zustand für die menschliche Natur wäre einer, in dem niemand arm ist, und niemand begehrt, reicher zu sein, als er ist, noch Gründe zur Furcht hat, er könne zurückgeworfen werden durch die anderen, die nach vorne wollen. (...) Nur in den armen Ländern der Welt ist es noch nötig, die Produktion zu steigern; in den fortgeschrittenen besteht die ökonomische Notwendigkeit darin, den Reichtum besser zu verteilen." Sprecherin: "....in den fortgeschrittenen besteht die ökonomische Notwendigkeit darin, den Reichtum besser zu verteilen." John Stuart Mill, 1848. Und eine ideale Gesellschaft war für Mill: Zitat Mill "...eine, in der es keine enormen Vermögen gibt, nur diejenigen, die in einer Lebenszeit erarbeitet und angehäuft worden sind; und dafür mehr Menschen als heute, die der mühseligsten Arbeit enthoben sind, und über genug Mussezeit verfügen, um in aller Freiheit die anmutigen Seiten des Lebens kultivieren können. Ein solcher Zustand der Gesellschaft wäre nicht nur vollkommen vereinbar mit einer Wirtschaft ohne Wachstum, sondern setzte eine solche geradezu voraus. ... Sogar der technische Fortschritt könnte in einer solche Gesellschaft genauso erfolgreich stattfinden, mit dem einzigen Unterschied, dass er, statt nur dem einen Zweck zu dienen, den Reichtum zu vermehren, seine einzig legitime Wirkung entfalten könnten: die Arbeitszeit zu verkürzen." S1: Das war die Vision der Fortschritts-Liberalen vor dem Aufkommen der Aktiengesellschaften und Finanzimperien, die gigantische Kapitalmengen ansammelten, die Welt umbauten und so mächtig wurden, dass seither die Regierungen vor ihnen in die Knie gehen. Aber auch der Held der Wirtschaftswissenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts, Sprecherin: - John Maynard Keynes - S1: ... John Maynard Keynes hatte ein Ende des Wachstums vor Augen, als er 1930, auf dem Höhepunkt der ersten globalen Wirtschaftskrise schrieb: Zitat Keynes "Es mag (in der Lebenszeit unserer Enkel) ein Punkt erreicht werden, vielleicht viel eher als uns bewusst ist, an dem (die Grundbedürfnisse) in dem Sinne befriedigt sind, dass wir es vorziehen, unsere Kräfte künftig auf nicht-ökonomische Zwecke zu verwenden. (...) Die Liebe zum Geldbesitz wird erkannt werden als das, was sie ist: eine irgendwie Ekel erregende Krankhaftigkeit, eine dieser halb kriminellen, halb-pathologischen Eigenarten, die man mit einem Schauer an den Spezialisten für Geisteskrankheiten weiterreicht, der dann untersuchen mag, was es mit Menschen auf sich hat, die in ihren Handlungen Unsterblichkeit suchen, indem sie ihr Interesse an der Welt immer weiter in die Zukunft schieben." S1: Keynes prophezeite, dass der Übergang ins Reich der ökonomischen Freiheit die Menschheit vor große Probleme stellen werde. Sprecherin: Er befürchtete einen kollektiven Nervenzusammenbruch. Zitat Keynes "Denn zu lange sind wir dazu erzogen worden, nach etwas zu streben und nicht etwas zu genießen. Für einen gewöhnlichen Menschen ohne eine besondere Begabung ist es eine beängstigende Aufgabe, sich selbst zu beschäftigen. Noch für lange Zeiten also wird der alte Adam in uns so mächtig sein, dass jedermann wünschen wird, irgendeine Arbeit zu tun, um zufrieden zu sein.. Wir werden uns bemühen müssen, das "Brot dünn auf der Butter zu verstreichen", die übrig gebliebene Arbeit auf alle Schultern zu verteilen. Drei-Stunden-Schichten oder die Fünfzehn-Stunden-Woche werden das Problem eine Weile hinausschieben." S1: Keynes Vision von einer radikalen Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit beruhte auf seiner Vermutung, dass in den hochproduktiven kapitalistischen Gesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg, nach einer Phase steilen Wachstums der Investitionen, und einer Konsolidierungsphase, in der die Haushalte mit Gebrauchsgütern ausgestattet würden, etwa in den sechziger Jahren sinkendes Wachstum einträte. Das war ja auch so ? etwa um die Zeit begann die chronische Arbeitslosigkeit. Sprecherin: Aber der Bildungsbürger Keynes konnte sich eben nicht vorstellen, dass der Besitz von Heimzapfanlagen, Espressomaschinen und einander jagenden Generationen von Flachstbildschirmen attraktiver sein könnte als Musse und Bildung. Und Designerhandys, drei Easyjet-Kurzurlaube pro Jahr, Erlebnisbadelandschaften, Kirschen und Steinpilze zu jeder Jahreszeit, Wegwerfschränke, Überraschungseier und Hakle Feucht in sechs Geschmacksvarianten rechnete er nicht zu den Unwegdenkbarkeiten des kultivierten Mittelschichthaushalts. S1: Und dann passierte noch etwas, das Keynes nicht voraussah: Die Ausweitung der Märkte durch Dekolonisierung, das Ende des Kommunismus und die Globalisierung belebte die erlahmende Wachstumsdynamik ? wovon übrigens vor allem die Exportnation Deutschland profitierte. Und schließlich geschah die Entkoppelung der Finanzsphäre von der Realwirtschaft. Sprecherin: Aber Keynes Vision und die des Erzliberalen Mill rufen uns in Erinnerung, was in der Kultur des Kapitalismus inzwischen abhanden gekommen ist: die Vorstellung, irgendwann sei es einfach genug. S1: Die "Wirtschaftsweisen" von heute finden solche Gedanken eher merkwürdig. Irgendetwas ist da geschehen mit den Wissenschaftlern. Und mit den meisten von uns. (Musik) S2: SECHSTENS: KURZE VERMUTUNG ZUR THEOLOGIE DES WACHSTUMS Zitat Meissner "Es ist die Gottlosigkeit, die für die Klimakrise verantwortlich ist." S1: Meint Kardinal Meissner. Sprecherin: Wer nicht mehr ans Jenseits glaube, der müsse raffen und damit die Erde zerstören. S1: Auch wenn das weltfremd klingt: vielleicht ist ja etwas dran. Das vermutet jedenfalls der Sozialwissenschaftler Fred Luks, der die Geschichte der Wachstumstheorien studiert hat und als Nachhaltigkeitsmanager ... Sprecherin: - als Nachhaltigkeitsmanager? S1: ....für eine große Bank arbeitet: 13 O-Ton Luks: Wir sind endliche Wesen, wir sterben irgendwann und leben in einer endlichen Umwelt, und ich glaube, vieles spricht dafür, dass unsere Konsumverhaltensweisen und die Beschleunigungsprozesse, die alle nicht nachhaltig sind, etwas damit zu tun haben, dass wir versuchen, als Endliches Wesen unheimlich viel Aktivität in ein Leben zu packen. Also: immer mehr, immer mehr,dass das quasi eine metaphysische Vorstellung von Unendlichkeit ersetzt, nach der sich viele Menschen auch sehnen. S1: Vielleicht ist ja wirklich etwas in den Seelen passiert, als der alte Glaube ? an das ewige Leben, an ein Jenseits, an die Transzendenz ? im Zuge der europäischen Moderne immer stärker abhanden kam. Als wir von "Kindern Gottes" - denen verheißen wurde, im Paradies wären sie alle gleich, und überdies aller materiellen Sorgen ledig - zu "kleinen Sterblichen" wurden. Sprecherin: Das ist ja eine bittere Erkenntnis: ICH muss sterben. Irgendwann werde ICH nicht mehr sein. Und dann kommt nichts mehr. Das ist ein unangenehmer Gedanke für uns, die einzigen Tiere, die von ihrem Ende wissen. Und gegen diesen äußerst peinigenden Gedanken hat die Religion die Menschen Jahrhunderte lang immunisiert, und manche bis heute. S1: Aber als die Versicherungen der Volksreligion über das ewige Leben immer blasser wurden, kam mit dem industriellen Kapitalismus und dem technischen Fortschritt eine starke Verdrängungshilfe in die Welt: Gut, du kannst dem Tod nicht entkommen. Aber du kannst deine Armut überwinden und gut leben. Und du kannst, um den Tod zu vergessen, so viel und so schnell wie möglich so viel Welt wie möglich konsumieren. Und der Stoff, der dir alles dies ermöglicht, der Stoff, der alle Genüsse erschließt, ist das Geld. Das Geld treibt das ewige Wettrennen zwischen Befriedigung und neuem Bedürfnis, zwischen Jobben und Shoppen. Und je mehr du davon hast, desto mehr Optionen auf Weltgenuss hast du. Sprecherin: Geld ist die Eintrittskarte zur Welt. S1: Und: Ich kann mein Geld vermehren, indem ich es zu Kapital mache: Menschen anheuere, Waren herstelle, Märkte erobere. Kapital mobilisiert Menschen und Materie, fügt der Welt etwas hinzu, Sprecherin: - fügt der Welt etwas zu! S 1: Und verwandelt sich wiederum in finanzielle Potenz, in reine Energie. Geld, ursprünglich ein Gleitmittel des Tausches, wird so zum stärksten Hebel der Weltveränderung. 14 O-Ton Sieferle Geld ist qualitätslos, ohne Erinnerung. Niemand weiß wo es herkommt. Geld ist Kredit letztlich, aber er ist entpersonalisiert, ohne Verpflichtung, ohne Erinnerung an den Kreditgeber. Es ist die reine Quantität, und paradox: Geld ist ein Signalgeber für reale ökonomische Entscheidungen, aber auch selbstreferentiell. Das heißt, denjenigen, der Geld verdient, interessiert nur das Geld. Und alles andere, was ihm dazu hilft, dieses Geld zu verdienen das ist nur ein Hilfsmittel, um Geld zu verdienen. Am besten man verdient Geld durch Geld, das ist dann das Finanzsystem. Und damit bekommen wir einerseits diese Steuerungsfunktion einer hochkomplexen Ökonomie, die zugleich das parasitäre Element hat, dass es letztlich den Akteuren nur darum geht, Geld zu verdienen. S1: Dem Käufer mag es nicht egal sein, was er kauft; dem Ingenieur mag es nicht egal sein, was er konstruiert; dem Unternehmer nicht, welches Produkt er herstellt - aber dem Geldbesitzer ist es gleichgültig, womit er Geld macht. Sprecherin: Am besten: Geld mit Geld. S1: Aber auch der ganz normale, "produktive" Spirallauf des Kapitals, der solider ist als der Handel mit "strukturierten Papieren", schafft neben Reichtum notwendig Zerstörung: die reine quantitative, abstrakte Macht des Geldes ist blind gegenüber der Verletzbarkeit der Biosphäre, der Endlichkeit der Ressourcen. Sprecherin: Und sie ist angewiesen auf Millionen von Seelen, die dem Glauben anhängen, das Mehr zwar nicht alles ist. Aber normal. Die Erfüllung in wachsenden Quantitäten finden. Der Konsumdrang nährt den Wachstumszwang. S1: In den Worten des Katholiken und ehemaligen Verfassungsrichters Böckenförde: Zitat Böckenförde "Der Kapitalismus ist nicht auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen ... gerichtet, sondern auf unbegrenzte Ausdehnung seiner selbst, auf Wachstum und Bereicherung. (Er löst sich) von den Gegebenheiten der Realwirtschaft ab und beschädigt diese. Der Kapitalismus krankt nicht allein an seinen Auswüchsen, nicht an der Gier und dem Egoismus von Menschen. Er krankt an seiner Leitidee." S1: An seinem gleichgültigen Unendlichkeitsstreben. Das Geld, das keine Eigenschaften hat, ist der Beweger, der sich selbst nicht bewegt. Sprecherin: Und genau so ? unbewegter Beweger ? nannten die Griechen: Gott Musik S2: SIEBTENS: WER VON ZUKUNFT REDET, MUSS VOM KLIMA SPRECHEN. ODER: WACHSTUM, DAS WIR BRAUCHEN Zitat Altvater: "Wir stehen vor dem "Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen" S1: Das schreibt der Ökonom Elmar Altvater. Aber nicht der Klassenkampf, nicht die Kritik am Materialismus der Geldgesellschaft, nicht die Wirtschaftskrisen, nicht der Niedergang ganzer Kontinente lassen das Ende des kapitalistischen Wachstumsregimes in Sicht kommen. Zitat: "Am Umgang mit der Klimafrage wird es sich entscheiden, ob der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, sich selbst entschärfen kann." 15 O-Ton Nicholas Stern The high carbon growth of the rich countries has been largely responsible..... "Das hohe Wachstum des Kohlenstoffverbrauchs in den reichen Ländern ist zum größten Teil verantwortlich dafür, dass wir die Aufnahmefähigkeit des Planeten fast erschöpft haben. Wir müssen dieses Wachstum anhalten. Was passiert, wenn wir das nicht tun? Dann würde die Welttemperatur in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts, und vielleicht schon in diesem, mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit um 5 Grad steigen. Was heißt das? .Wir wissen es nicht, und zwar deshalb, weil die Erde das letzte Mal vor 30 Millionen Jahren so warm war. Wir können nur sagen, was 5 Prozent weniger bedeutet, denn das hatten wir vor 10 000 Jahren. Damals war London von Eis bedeckt, und Menschen lebten nur näher am Äquator. Ein Klimawechsel in dieser Größenordnung verändert also die Lebensumstände der Menschen radikal. Barcelona würde bei einer solchen Erwärmung in der Wüste liegen, und größere Teile der Erde stünden unter Wasser. Hunderte von Millionen, vielleicht Milliarden von Menschen würden sich auf die Wanderschaft begeben. Es geht hier also nicht um eine kleine Störung, sondern die Landkarte der Erde wird neu gezeichnet werden. Aber wir können durch tatkräftiges Handeln die Wahrscheinlichkeit dieser Veränderung auf 2 bis 3 Prozent minimieren." S1: Lord Nicholas Stern appelliert mit seinem Buch "Der Grüne New Deal" an die Politiker der Weltgesellschaft, im Dezember 2009 in Kopenhagen wirksame Beschlüsse zur Minderung der CO2-Emissionen zu fassen. (Fortsetzung 0-Ton 15) Das ist eine ungeheure Herausforderung, aber indem wir damit anfangen, werden wir merken, wie spannend sie ist. Wir wissen, was zu tun ist: den CO2-Emissionen einen Preis geben, Regulierungen einführen, nachhaltige Technologien subventionieren. Wir haben die technischen Mittel dafür. Und wir kennen die ökonomischen Hebel, die wir einsetzen müssen. Wir werden auf dem Weg dazu lernen. Lernen wie verrückt. Lernen, lernen, lernen. Was fehlt uns noch? Der politische Wille. O-Ton Stern: .....learn along the way. What's left: The political will." S1: Den Welt-Klimagipfel zu Ermutigung des politischen Willens erwartet auch Otmar Edenhofer. Er hat an der TU Berlin den ersten Lehrstuhl für Klimaökonomie in Deutschland inne und arbeitet für den Internationalen Klimarat IPCC. 16 O-Ton Edenhofer Die sogenannte Finanzkrise und die daraus folgende Wirtschaftskrise haben eine Gemeinsamkeit mit dem Klimaproblem . Sie sind beide Krisen Nachhaltigkeitskrisen. Gerade die Wirtschaftskrise ist ein guter Zeitpunkt , um über eine Neuorientierung der Investitionen nachzudenken. Ich würde sogar sagen, wenn nicht in einer Wirtschaftskrise, wann eigentlich dann. S1: Warum den Doppelschock der Klimawarnungen von 2007 und der Finanzkrise von 2008 nicht als Chance begreifen - zur Sanierung des Weltfinanzsystems? Sprecherin - Etwa zur Abschöpfung von Spekulationsgewinnen, um die Klimakosten der armen Länder zu finanzieren. S1: Und konsequente Verstaatlichung von Großbanken hätte die Tür zu politischer Investitionslenkung aufgestoßen, um den technologischen Wandel zu beschleunigen. Sprecherin: Aber Klima und Wirtschaft werden immer noch an verschiedenen Orten diskutiert. Dadurch geht Zeit verloren. Die Zeit aber drängt. Das CO2-Budget, das die Weltgesellschaft nicht überschreiten darf, wenn die Temperatur der Erdatmosphäre nicht außer Kontrolle geraten soll, ist 2050 ausgeschöpft. S1: Edenhofer und seine Kollegen fordern daher eine völkerrechtlich festgeschriebene Klimaziele und eine Weltklimabank, die Verschmutzungsrechte zuteilt und darüber wacht, dass die Grenzen eingehalten werden. Es geht um Billionen Investitionen in die Zukunft. Sprecherin: Die haben die Regierungen der Welt gerade in die Sanierung der Banken gesteckt. S1: Und den Vorschlag der Weltklimabank hielt der letzte deutsche Umweltminister für so zukunftsweisend, Sprecherin : - für so undurchsetzbar ? S1: ...dass er das Gutachten darüber gar nicht erst entgegennehmen wollte. Denn solche Vorschläge sind revolutionär. Sie wenden das Nachdenken über Wachstum und Wirtschaft gleichsam um 180 Grad. Zunächst nur im Kopf einiger Ökonomen. Für die sind die Naturgrößen nicht mehr Randbedingungen von Marktmodellen, sondern Ausgangspunkt der Wirtschaftsrechnung. 17 O-Ton Edenhofer Wenn wir das 2-Grad-Ziel mit 75 Prozent Wahrscheinlichkeit erreichen wollen, dann dürfen wir noch ca. 850 Gigatonnen CO2 in der Atmosphäre ablagern, das ist der Deponieraum, der uns zur Verfügung steht. Und daraus bestimmen sie die gesamte Umbaugeschwindigkeit und die Anforderungen an diese Geschwindigkeit. Das ist die Aufgabe, die wir vor uns sehen, um das 2 Grad Ziel zu erreichen. Sprecherin: Zwei Grad Erderwärmung maximal bis 2050. Und wie viel Wachstum wäre dann noch möglich? 17f O-Ton Edenhofer Wenn wir jetzt morgen, übermorgen in der Lage sind, emissionsfreies Wachstum herzustellen, dann können wir uns ganz viel Wachstum erlauben. Und hier kommt ein ganz entscheidender Punkt, den man in seiner Bedeutung gar nicht überschätzen kann, und da kann die Ökonomie tatsächlich nützlich sein, ein wenig Rationalität in die öffentliche Debatte zu bringen. Die Ökonomie fragt: wenn ich vor so einem Problem stehe, dass ich einen begrenzten Deponieraum habe, was muss ich denn dann eigentlich tun? Dann geht's gar nicht um die Frage des Wachstums, denn Wachstum ist eine Geldgröße. Was ich beschränken muss, ist eine physische Größe, nämlich Gigatonnen CO 2, das muss ich beschränken, das ist der Knappheitsfaktor, der Flaschenhals des gesamten Wirtschaftssystems, und dafür muss eine Menge festgelegt werden. Und wenn man in diesem Umfang Emissionszertifikate ausgibt, dann ist klar für alle Investoren und Konsumenten: das ist das, was noch möglich ist. Und dann muss man ihnen zeitliche, regionale Flexibilität geben, damit sie dann die besten Strategien finden, wie sie das vermeiden können. Insofern hängt die Frage, wie viel Wirtschaftswachstum möglich ist ganz entscheidend daran, wie viel technischen Fortschritt wir uns zutrauen. S1: Natürlich spielt der Markt in solchen Überlegungen auch eine Rolle. Sprecherin: Eine der Allgemeinheit dienende. Und das gilt auch für die Wirtschaftswissenschaft: 18 O-Ton Edenhofer Die Ökonomie muss ihre normative Dimension wiedergewinnen. In der Ökonomie heißt das Wohlfahrtstheorie, da haben wir eine glänzende Tradition, die ist aus den Curricula raus genommen, ist ja interessant, dass gerade im Zusammenhang mit dem Klimawandel, die alten wohlfahrtstheoretischen Fragestellung ebenso wie moralische Fragestellungen wieder ins Blickfeld geraten ist. Es ist ein ganz großes Missverständnis, dass Ökonomie auf Markt und Geld fixiert ist. Das ist überraschend, weil die Ökonomen sich ganz anders Darstellen. Es geht zunächst der Ökonomie immer darum, wie kann man bestimmte Ziele erreichen. Aber am Ende geht es um Werte. Was ist ein Wert, Werte messen sich an gesellschaftlichen Zielen. Was ist der Wert der Gesundheit, der Natur...Und wir haben einen Corpus , der fragt: was passiert, wenn die gesellschaftlichen Werte abweichen, von dem, was die Märkte hervorbringen? Dann gibt es eine Legitimation, um in diese dezentralen Märkte einzugreifen. Dann braucht s den Staat, dann geht's um kollektives Handeln. S1: Eine solche Wirtschaftswissenschaft fände den Weg zurück zu ihrem eigentlichen Beruf, eine Oi-konomie zu sein, Sprecherin: eine Lehre vom Haushalten. Unter dem Druck der Probleme kommen die Hirne, wenn auch noch nicht die Strukturen, in Bewegung. S1: In Paris forderte Präsident Sarkozy, sekundiert von Koryphäen der Wirtschaftswissenschaft, einen neuen Maßstab für Wachstum und Wohlstand, der die abstrakte Fetischgröße "Sozialprodukt", Sprecherin: -die nur Einnahmen beziffert und nicht deren Herkunft, S1: ....der die abstrakte Größe "Sozialprodukt" ersetzen soll. Deshalb müsse es, so sagten die Nobelpreisträger Stiglitz und Sen, neue Bewertungsverfahren geben, die neben den Geldströmen und den Produktionsleistungen der Länder auch die Sozialsysteme, Sprecherin: die Beschäftigungspolitik, S1: die Gesundheit, die Lebenserwartung, Sprecherin: Umweltverbrauch und Bildungsstand S1: die Durchschnittslöhne messen. Eine wissenschaftliche Adelung anderer Maßstäbe als das Bruttosozialprodukt könnte die öffentliche Diskussion über Wohlstand, über die Qualität von Politik und Wirtschaft nachhaltig anregen. Sprecherin: Die Verrechnung der Umweltschäden gegen die Einkommen könnte zum Beispiel zeigen, dass es "unwirtschaftliches Wachstum" gibt. S1: Und so, wie die Klimaökonomen zuerst das objektiv erträgliche Maß von Emissionen festlegen, dann die dazu notwendigen Mittel und erst dann das wirtschaftliche Wachstum ausrechnen .... Sprecherin: ...genau so könnte man ja, nur so zum Beispiel, die Obergrenze der Arbeitslosigkeit festlegen, die eine Gesellschaft ihren Bürgern zumuten will, und dann errechnen, wie man das unter den Bedingungen eines schrumpfenden Wachstums organisieren müsste. Statt umgekehrt immer nur vorzurechnen, was "der Markt nicht hergibt". S1: Frieden, Kooperation, Gesundheit, soziale Vernetzung, Arbeitszufriedenheit und Sicherheit - solche gesellschaftlichen Werte sind nicht so zu berechnen wie die Obergrenze von Emissionen. Und die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen, auch nicht. Darüber können nur die Bürger entscheiden. Sprecherin: Wir, die Bürger. S1: Aber die Ökonomen des 21. Jahrhunderts können die Methoden entwickeln, die kalkulieren, was uns diese Entscheidungen kosten. Ob wir sie uns leisten können, was wir dafür lassen müssen, wie wir sie am wirtschaftlichsten verwirklichen. Sprecherin: Da hätten sie immer noch genug zu rechnen. S2: WIRTSCHAFT OHNE WACHSTUM? Auf der Suche nach einer politischen Ökonomie für das 21. Jahrhundert Sie hörten eine Sendung von Mathias Greffrath Merkel: Unsere Schulden sind gestiegen, unser Wachstum kommt nicht richtig in Schwung Es sprachen: Jochen Langner, Ulrike Schwabe, Volker Risch, Reinhart Firchow, Gregor Höppner und Folker Banik A1 Merkel Wir wollen die Voraussetzungen schaffen, dass Deutschland in 10 Jahren wieder zu den ersten drei in Europa gehört. Ton und Technik: Eva Pöpplein und Jana Brandt Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2009 5