COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandrundfahrt Das Eldorado der Biobauern Die Warburger Börde in Ostwestfalen Von Elke Vieth Sendung: 29. Juni 2014, 11.05 Uhr Ton: Bernd Friebel Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2014 01 Atmo- Anfang - Mix aus: -Hahn kräht -Schwein grunzt -Bienen summen -Kasse und Papiertüte -Trecker -Kirchglocken -viele Bienen Autorin: Es ist diese unverkennbare ostwestfälische Landschaft: leicht hügelig, von Bächen durchzogen, etwas bewaldet, dünn besiedelt. Die Warburger Börde wird von weiten Ackerflächen bestimmt, der sehr fruchtbare Boden seit jeher landwirtschaftlich genutzt – auch heute – im Kreis Höxter in Orten wie Willebadessen, Eissen und Bellersen trifft man die, die von Bio leben, gut leben. Die, die mit Techno-Musik im Ohr ihre Bio-Schweine mästen, und die, die diese Biowaren deutschlandweit vermarkten. Sie sind jung und entsprechen weder dem klassischen Bauernklischee noch dem verschrobenen Ökotypen. Kennmelodie Sprecher vom Dienst: Das Eldorado der Biobauern Die Warburger Börde in Ostwestfalen Eine Deutschlandrundfahrt von Elke Vieth Musik 1 Titel: Jacqueline Interpret: La Brass Banda Label: Europa, LC-Nr. 00967 01 O-TON: Thomas Philipzen Bördemensch Der Ostwestfale, ja, dem sagt man ja nach, dass er erst dreimal überlegt bevor er was nichts sagt. Der wirkt so latent spontan. Also, so spontan, dass er es selbst nicht merkt. Aber wenn er es merkt, ich sage Ihnen, dann brodelt er, dann gibt es kein Halten mehr, dann lässt er dich nicht mehr los, ist herzlich und feiert, dagegen ist jedes Oktoberfest ein Leichenschmaus. Ja, der Ostwestfale, der überlegt ganz genau, wann er aktiv wird. Ein Psychologe würde wahrscheinlich sagen, er hat ein herzliches Wesen mit introvertiert, hyperaktiven Grundstrukturen. Ja, so ist er, der Ostwestfale. Autorin: Thomas Philipzen, Kabarettist, der die Ostwestfalen kennt. Eissen ist ein typisch ostwestfälisches Dorf in der Warburger Börde. Mit einer Hauptstraße, einer Kirche und mehreren Vereinen. Ein kleines gemütliches Dorf mit 720 Einwohnern. Zwei von ihnen sind Alfons und Markus Rose, Vater und Sohn. Chef und Juniorchef. Alfons Rose kommt aus der bäuerlichen Tradition – in vierter Generation bewirtschaftet er den Hof mitten im Dorf. Auf den ersten Blick zeigt sich fast nichts von der Landwirtschaft – man muss erst hinters Haus gehen, da stehen sie, die fünf großen Hallen, in denen sich der ganze Stolz des 63-Jährigen befindet. Vor knapp 20 Jahren ging‘s los: -1- ATMO Rose in Gasse + Gemurmel -2- O-TON Rose, Anfang Ja, wir haben nicht in der Dorfkneipe zusammen gesessen, aber wir haben zusammen gesessen, wo denn nachgedacht wurde, Kerl, du hast doch leere Gebäude bei dir da oben und wir haben was mit Champignonnachfragen, wollen wir uns nicht mal ne Kopf machen und denn haben wir uns denn wirklich mal intensiv ne Kopf gemacht haben uns auch in Holland einen Betrieb angesehen und haben dann gesagt, Kerl noch mal, die Gebäude ja schön und gut, die alten die da sind, kann man nutzen, aber am Ende wo dann unsere Planung fertig war, haben die Gebäude nicht mehr ausgereicht. Wir haben hier letztendlich zwei neue Hallen erstellt, wo dann über die Jahre die Champignonkulturen dann so gewachsen sind. Autorin: Mittlerweile werden 13 Tonnen Champignons - das sind mehr als 50.000 250 Gramm Schalen - im Jahr geerntet, verteilt auf fünf Anbauhallen. So eine Halle erinnert zum einen an ein Hochregallager und zum anderen an einen Schlafsaal in einer Jugendherberge: Kein Tageslicht, in drei 10-Meter-langen Reihen stehen Hochbetten mit fünf Etagen aus Metall. Und die Bettmatratzen, das sind die Kulturen, auf denen die Champignons wachsen: 25 cm Kompost, darauf eine dicke Schicht torfhaltige Erde, pro Halle sind es 180 Quadratmeter Beetfläche. -2- ATMO- (Tür auf) - „Ja ihr könnt ruhig weiter singen -3- ATMO- (-4- oder 3.1) -3- O-TON Rose, Alfons 132 Und diese Erde ist dazu da, dem Pilz den Halt zu geben, aber auch das Wasser langsam weiter zu geben an die Kultur nach unten, und sie trägt auch nachher den Pilz. Und hier sieht man das weißliche Geflecht, das sogenannte Myzehl, setzt jetzt an und bildet kleine Pünktchen und hier und da ist schon mal so ein kleiner vorwitziger Pilz, der schon ein bisschen größer wird, da sieht man schon den ein oder anderen, der schon den Kopf bildet, das ist jetzt genau das, dass wir absolut gute Klimaführung haben müssen, denn das ist so, wenn wir das weißliche Geflecht hier oben haben, müssen wir viel Frischluft zum richtigen Zeitpunkt in den Raum geben, aber nicht zu extrem, dass sich die Pilze nicht erkälten, also es muss Frischluft kommen, dann zieht sich dieses Myzehl zusammen und bildet Knöpfe, und daraus entstehen dann unsere Champignons. -4- ATMO lautes Geräusch bis zum nächsten O-TON Autorin: Da stecken 18 Jahre Erfahrungen drin – die gibt Alfons Rose an seinen Sohn Markus nach und nach weiter. Dieser studiert zur Zeit ökologischen Landbau im hessischen Witzenhausen. Zuvor hat er acht Jahre in der Informatikbranche gearbeitet, das hilft jetzt: -4- O-TON Rose, Markus (Technik) 9:44 Also ich muss schon sagen, dadurch, dass es so viel Technik gibt, ich bin auch öfters schon mal da dran und repariere so ein, zwei Kleinigkeiten selber einfach, das ist schon mal ganz gut, dass wir nicht wegen jeder Kleinigkeit den Fachmann anrufen müssen und wir können viele kleine Probleme auch schon mal selber lösen. Was ich persönlich sehr gut finde. -4- ATMO (hinterer Atmoteil) Autorin: Zurück zu den Champignons - in der Nachbarhalle ist innerhalb einer Woche Unglaubliches passiert, ein kleines Wunder der Natur. Aus den unscheinbar bräunlichen Stecknadelkopf großen Knöpfen sind riesige Pilze herangewachsen. Die werden gerade geerntet. -4- ATMO -5- O-TON Rose Wenn man hier sieht, da sind ja auch welche dabei, die sind im Durchmesser 50- 60 mm und da wird heute geerntet, so weit geerntet, dass die Reifen weg sind, das heißt der, der noch wachsen kann bis morgen, wird dann noch ne bisschen schwerer und dicker, und den werden wir dann morgen ernten. Es muss heute so geerntet werden, dass die Champignons morgen von unten die Häutchen noch nicht offen haben. Das ist immer wichtig, dass unsere Damen das erkennen. Autorin: Mit viel Fingerspitzengefühl schneiden sieben Pflückerinnen die Pilze und sortieren sie nach Größe. Behutsam in Handarbeit. Insgesamt stehen, sitzen oder knien bis zu 14 Frauen in den wohltemperierten Räumen. Sie müssen flexibel sein, denn geerntet wird das ganze Jahr über - auch an Sonn- und Feiertagen. Sie sei stolz, einen Arbeitsplatz im Ort zu haben, sagt Maria Ernst, Pflückerin der ersten Stunde, seit 18 Jahren dabei. -6- O-TON Rose, Frau Ernst Die ersten Pilze habe ich hier ganz alleine gepflückt. (schneiden) Ja gut, man hat ja gedacht, wer weiß, ob es jetzt gut geht, ob es weiterhin, ja ,es war ja neu, neu für den Chef und neu für uns alle. - Nein, ich kannte schon Champignons, aber bis dahin nur aus dem Glas. Frische kannte ich bis dahin nicht, überhaupt frische, hatte ich bis dahin noch nicht gesehen. … Autorin: Markus Rose, der Junior, macht sich Gedanken zur Zukunft seiner Zucht. Denn obwohl der Kreislauf ganz gut funktioniert, gibt es für den 24-Jährigen noch ein ungelöstes Problem. -7- O-TON Rose, Markus 2:15 Das einzige, was hier derzeit noch nicht ganz ökologisch ist, ist leider diese Torferde die hier drauf liegt- die wird in Torfmooren abgebaut, die sich leider nur sehr langsam wieder aufbauen und da würde ich gerne im Zuge der Uni, im Zuge der Wissenschaften erforschen und Alternativen suchen - um ne Alternative für diese Erde zu finden. -5- oder -6- ATMO Radlader …. Autorin: Draußen hebt gerade ein Radlader Erde auf einen Schlepper. Das hängt mit dem zweiten Standbein der Familie zusammen: Sie bauen als Bio-Landwirte auch Getreide und Gemüse an. Beides greift ineinander über. -8-O-TON Rose Das Stroh, was wir auf dem Acker im Sommer abfahren oder pressen, das wird zum Champignonzuchtbetrieb gebracht, der uns da Kompost draus herstellt. (schneiden) Also der Betrieb bringt erst mal in dieses Stroh Hühner und Hähnchenmist, macht Kompost, und darauf wachsen die Champignons, und wenn diese Champignonkultur nach fünf Wochen abgetragen ist, dann bringen wir diesen Kompost auf den Acker zurück, da wo wir das Stroh vorher weggenommen haben, das ist für uns dann auch die Kreislaufwirtschaft – wo wir sagen, wir nehmen Stroh vom Acker und bringen nachher den höherwertigen Kompost- ist ja Hühner- und Hähnchenmist drin- bringen den zurück auf den Acker, und da bauen wir dann intensiv Gemüse, Getreide und Legominosen an. Autorin: Alfons Rose erwirtschaftet allein mit der Champignonzucht einen Jahresumsatz von 750.000 Euro. Es sind vor allem die pfiffigen Ideen, verbunden mit der ostwestfälisch bodenständigen Herangehensweise, die das einträgliche Einkommen bescheren – wie zum Beispiel der Bio-Möhrenanbau. -9- O-TON Rose Möhrenfeld 1:19 Das hier ist zum Beispiel so ein Möhrenfeld, da ist der Kompost drauf gekommen, da sieht man noch nichts- gestern geflemmt, Unkraut, mit heißer Luft dieses Unkraut abgetötet, quasi die Blätter werden so stark erhitzt, dass das nach innen bis in die Wurzel zieht und dann das Stück unkrautfrei ist. (….) Und die Möhre kann jetzt in Ruhe raus kommen und sich entwickeln, und wenn dann das zweite Mal der Unkrautdruck kommt, da ist dann Handarbeit gefragt, und je besser wir vorher arbeiten, je besser wir den Zeitpunkt des Flemmens an den Tag heran bekommen, bevor die Möhre kommt, dann je mehr Chancen haben wir, dass wir weniger Handarbeit haben. Musik 2 Titel: Down by the River Interpret: Milky Chance Komponist: Clemens Rehbein Label: Lichtdicht Records, LC-Nr. 30186 10 O-TON Kabarettist Thomas Philipzen Also Bauer fand ich früher unsexy. Es hatte viel mit Geruch, Dreck und Lärm zu tun. Also wenn so eine Bauer mit einem lauten Lantz um die Ecke getuckert kam, da wusste die Bäuerin oft nicht, kommt Vatern vom Feld oder steht das nächste Nato-Herbstmanöver vor der Tür . Wenn ich heute diese neue Generation der Bauern auf ne Feld beobachte, denke ich immer, wau, die müssen bei Mädels punkten. Ei das sind doch moderne High-Tech Freaks, wie die da in ihre Mähdrescher Cockpit sitzen umringt von Bildschirmen und GPS Signale melden die Wetterdaten, vor dem Mähdrescher fliegt eine Drohne und meldet eine junge schlafende Rehfamilie. Und während der junge Bauer der Drohne folgt, schickt die junge Bäuerin eine e-mail ins Cockpit mit dem Rezept für Biofleisch vom Reh in Bechamel-Sauce. Eh, sach doch mal ein Bauer sein heute wäre unsexy. Autorin: Kabarettist Thomas Philipzen aus Ostwestfalen -7- ATMO Rose Trecker fährt vorbei Autorin: Einen Trecker mit GPS zu haben, darüber freut sich Alfons Rose. Er befindet sich auf dem Weg zu seinem Acker, die sowohl in Eissen als auch drum herum liegen. Das ist häufig in der Warburger Börde ist das so. Viel Ackerland, manchmal von einer Landstraße durchzogen. In der Ferne zeigt sich das Wahrzeichen der Region. Der Desenberg, ein Vulkan aus längst vergangenen Zeiten, oben drauf eine Burgruine. Alfons Rose ist angekommen. Und auf seinem Möhrenacker zeigt sich die Handarbeit. Nebenan hantieren vereinzelt Männer mit Hacken - sie jäten Unkraut. Auf Erdbeerfeldern, die Andreas Engemann gehören. Für den Biolandwirt ist es selbstverständlich. -11- O-TON Engemann, Andreas Das wichtigste ist verantwortungsvolles Handeln in jeder Beziehung- im Umgang mit der Natur, mit dem Boden. Mit den Tieren, mit dem, wo wir in der Landwirtschaft tagtäglich mit zu tun haben, das ist das eine, aber auch einen verantwortungsvollen Umgang mit den Mitarbeitern, den Kunden, den Mitmenschen gegenüber. Ja, ich kann sagen, ich bin aus tiefster Überzeugung Biobauer. Mir macht es einfach sehr große Freude und bringt mir auch eine innere Zufriedenheit mit der Natur und mit den Kreisläufen der Natur zu wirtschaften und zu sehen, dass es dann wächst oder dass dann die Tiere gedeihen. Das ist tiefste Überzeugung und auch tiefste Zufriedenheit. Autorin: Seit 1988 bewirtschaftet Andreas Engemann den väterlichen Hof in Eissen. Auf 65 Hektar baut er Obst, Getreide und Gemüse an. Er, der Ortslandwirt, findet, dass die Vielfalt den Erfolg ausmacht - wie immer im Leben. Es kommt auf die Genauigkeit an: die richtige Sorte, das richtige Pflanzgut, den richtigen Zeitpunkt, die richtige Bodenbearbeitung, die richtige Fruchtfolge. Dann braucht es gutes Wetter und eine gute Portion Zuneigung: -12- O-TON Engemann, Andreas Ich bin ein Junikind und habe immer schon gern Erdbeeren gegessen, und diese Faszination, wie schnell sich eine Pflanze entwickelt. Im Frühjahr, von den ersten Blättern, die grün werden, über die Blüten und Knospen, und dann bis zur reifen Frucht, dass das so schnell gehen kann und auf einmal so gedeiht und gut wächst- das hat mich fasziniert, und da hab ich gesagt, das mache ich auch- dadurch ist die Liebe entstanden. Autorin: „Erdbeeren zum Selberpflücken“ steht auf dem Schild am Hof. Direkt daneben: ein kleines Bio-Lädchen, gerade mal 40 Quadratmeter groß - mit deutlich mehr Produkten als die eigenen Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren. Im Angebot: Klassische Bioprodukte wie Milchwaren, Eier und Wurst, Käse, Marmeladen und Honig, Bionade und Wein, Backwaren und Getreide und eine große Auswahl an Obst und Gemüse. Hinter der Theke: Julia Engemann, die 23-jährige Tochter. ATMO -08- Hofladentür -09- im Gespräch lachen -10- Das wars? Genau 10 Euro- danke schön -13- O-TON Engemann, Julia Hauptsächlich sind es die Leute aus dem Ort, die Nachbarn, die ganzen jungen Mamas mit ihren kleinen Kindern und ja auch aus den umliegenden Dörfern, sind viele Stammkunden, die auch gut einkaufen und regelmäßig auch kommen und dann halt auch ihren Wocheneinkauf hier machen. Autorin: Hier sind auch die Bio-Champignons der Familie Rose von nebenan – 250 Gramm für drei Euro. Nicht nur im Hofladen, sondern auch auf Wochenmärkten in den Nachbarstädten Warburg und Brakel verkauft Julia Engemann. Und dann nimmt sie mich mit nach hinten, durch ein weitläufiges Lager, auf den Hof, und später mit ins Büro: -14-O-TON Engemann, Julia Ja von außen sieht es klein aus, aber wenn man dann mal hinter die Kulissen guckt, ist es schon ganz schön groß, was dahinter steckt. Ja, hinten ist ein Riesenverkauf. Der LKW fährt 5 Mal die Woche - fährt der raus, und ist bis obenhin voll. Es sind im Schnitt fast 40 Bioläden, die wir beliefern, und ja von den kleineren, die bestellen im Schnitt zwei Rollis und die großen, die wir beliefern, die bestellen auch drei Paletten an Ware. -11- ATMO Halle Autorin: Das Büro ist die Schaltzentrale. Hier werden die Anbaumengen der Erzeugergemeinschaft geplant. Und von hier vermarkten sie deutschlandweit die Waren. Dieses Handelsgeschäft lernt Julia Engemann von ihrem Onkel Klaus, der hat sich darauf spezialisiert: -15- O-TON Engemann, Klaus Wir haben einen Handelsbetrieb und bündeln hier in Eissen die Ware von den Landwirten aus Ostwestfalen Lippe- also OWL ist unser Einzugsgebiet, wo wir mit vielen Landwirten zusammenarbeiten, und hier in Eissen fassen wir die Produkte zusammen, um sie dann dem Naturkostgroßhandel, der bundesweit verkauft, anzubieten. Als wir angefangen haben, Ende der 80er Jahre, gab es einige Betriebe, die biologische Landwirtschaft gemacht haben, aber nicht so viele, die biologische Produkte gehandelt haben. Es war über viele Jahre das Problem des Ökolandbaus, dass die Endverbraucher, dass die Wege zum Kunden entwickelt werden mussten. Das ging am Anfang über die Direktvermarktung, früher gab es nur Hofläden und Wochenmarktstände, in der heutigen Handelslandschaft hat sich das deutlich verändert. So dass es jetzt mehr gibt. Autorin: Über diesen Handelsweg werden übrigens auch die Bio-Champignons vermarktet und kommen in ganz Deutschland in die Bioläden. Trotz des bundesweiten Handels bleibt der Hofladen ein unverzichtbares Standbein mit der Nähe zum Endkunden. Denn kurze Wege bedeuten größtmögliche Frische. MUSIK 3 Titel: Sky und Sand Interpret: Paul Kalkbrenner Komponist: Fritz & Paul Kalkbrenner Label: EMM, LC-Nr. 10794 16 O-TON Thomas Philipzen OWL Bauer Also, der ostwestfälische Bauer gilt ja politisch betrachtet nicht unbedingt als flexibel. Er ist konservativ, was man hat, das hat man und fertig. Die CDU hat hier manchmal Ergebnisse eingefahren, die kennt man sonst nur aus der Volkskammerwahl in der DDR. Ne sozialistisches Plädoyer hier in nem Stadtrat zu halten, da kannst du dich ja gleich mit nem Biene Maja Kostüm in ne Schalkekurve stellen. Auf der anderen Seite heißt das nicht, dass wenn so ne junge Bäuerin zum alten Bauer kommt und sacht, ich mache mal in Bio - dass der dann sofort schreiend durchs Dorf läuft und schreit: „Hilfe, meine Tochter ist eine Salatistin - ne, da sacht er dann auch, jau, mach mal. Weil, für so einen ostwestfälischen Bauern ist die Natur fast so erhaltenswert wie die CDU. Was man hat, dass hat man, sacht er dann, so ist es und fertich. Autorin: Kabarettist Thomas Philipzen aus Ostwestfalen -12- ATMO- Hühnerstall 17 O-TON Fehring Marke Eigenbau. Den haben wir quasi selbst zusammen gebastelt - sollte eine günstige Lösung sein und den Hühnern geht’s hier gut, die haben ihre Sitzspangen, ihre Legenester, ihr Futter, Wasser und ab halb zehn kommen sie dann auch raus - und von daher haben sie alles, was sie brauchen. Wir halten auf einem Quadratmeter sechs Hühner- also das ist die Biovorschrift. Autorin: Ein Anblick wie in einem Kinderbuch, wie bei Petterson und Findus oder in Bullerbü. Idyllisches Hühnerleben. Ganz unaufgeregt, aber interessiert zeigen sich die 150 braun gefiederten Hühner - laufen auf Stroh, können sich frei bewegen, scharren und picken, fressen, und heißen alle Hilde. -13- ATMO Hühner und krähender Hahn Autorin: Herrscherin über das Hühnervolk ist die 24-jährige Anna-Sophie Fehring, großgeworden im ostwestfälischen Eissen und die jüngste Tochter eines CDU-Landtagsabgeordneten. Seit drei Jahren managt sie ihren eigenen Hof - betreibt ökologischen Ackerbau und artgerechte Tierhaltung 30 Kilometer entfernt auf einem Aussiedlerhof, auf einer Anhöhe an der Landstraße zwischen Brakel und Höxter – in Ostwestfalen. -14-Atmo – über den Hof gehen Autorin: Auf dem Weg in den Pferdestall verrät Anna-Sophie Fehring, dass sie einmal vier Kinder haben möchte – den Mann dazu gibt es bereits. Kinder gehören einfach auf den Wildhäuser Hof. Es ist der Hof ihrer Großeltern mütterlicherseits. Sie hat ihn von ihrer Mutter gepachtet, mit der sie übrigens täglich telefoniert. Die Mutter ist selbst Landwirtschaftsmeisterin und hat immer dafür gesorgt, dass der Betrieb hier in Brakel in Ordnung gehalten wurde, zum Leidwesen ihrer Kinder: 18 O-TON Fehring -2- Also Brakel war immer Arbeiten. Die ganzen Gebäude, wir haben auch einen Teil abgerissen, dann musste das Dach abgedeckt werden, ich habe noch drei Geschwister, wir saßen alle in der Reihe und haben uns die Dachziegeln angegeben, also hier war immer ziemlich viel Arbeit, immer viel zu tun, das ist so meine Kindheitserinnerung, aber ich fand das damals schon immer toll und ich habe dann schon immer geplant, ich will nen Ponyhof machen und hier kommen so Boxen hin und das war so meine erste Idee, die ich hatte, eigentlich wollte ich immer hier hochziehen, das war schon immer klar- irgendwie. Autorin: Aus dem Ponyhof ist ein Bio-Hof geworden. 210 Schweine leben im ehemaligen Kuhstall. In sieben Gruppen a 30 Schweine. Ihre langen Ringelschwänze fallen sofort auf. Die Schweine wühlen im Stroh, fressen, wann sie möchten, spielen herum, rennen raus und rein, machen einen sympathischen Eindruck, sicher auch, weil dieser sonst so durchdringende Schweinegeruch nicht da ist. Es sind Mastschweine, mit 28 Kilo kommen sie auf dem Hof an, werden auf 110 Kilo gemästet und verlassen ihn nach gut vier Monaten wieder. -15- ATMO Schweinestall 19 O-TON Fehring -3- Die werden in Fulda geschlachtet. Das ist ne bisschen weiter weg, das war aber damals so, als ich angefangen hab da, viele hatten Bioschweine und die hatten keinen Absatz. Ohne Vertrag beim Schlachthof war es manchmal so, dass man da mit seinen 50 fertigen Schweinen stand und keiner hat sie genommen, musste teilweise dann konventionell verkauft werden und ich hatte das Glück, dass ich so einen Vertrag übernommen habe beim Schlachthof in Fulda und ja seitdem gehen die da hin, ja, das ist schon ein bisschen weiter weg, aber ich war froh, dass ich sie los wurde. Da wird zu 90 Prozent Wurst draus gemacht. Autorin: Bio-Schweine dürfen nur einmal in ihrem Leben mit Antibiotika behandelt werden – so schreibt es die Bioland-Richtlinie vor. Müsste zweimal Antibiotika verabreicht werden, zum Beispiel wegen einer Lungenentzündung, würde aus dem Bio-Schwein ein konventionelles Schwein werden. Dadurch sinkt der Kilopreis rapide - für ein Bioschwein erzielt Anna-Sophie Fehring doppelt so viel wie für ein konventionelles. -16-,17,18,19,ATMO Schweine und Hühner Autorin: Auf dem Weg zurück in den Hühnerstall zeigt die staatlich geprüfte Agrarbetriebswirtin noch schnell den Schweine-Auslauf – es gibt für jede Gruppe einen: 30 Schweine teilen sich also 40 Quadratmeter Innenstall, und die gleiche Größe noch mal draußen. Eigentlich ist der Freilauf für ihre Tiere eine Selbstverständlichkeit – aber manchmal mehr Fluch als Segen. 20 O-TON Fehring Wir hatten gestern den Fuchs hier, der hat uns vier Hühner tot gemacht oder vier habe ich im Auslauf gefunden, die liegen noch da auf dem Strohballen. Vier geht noch, aber wir hatten jetzt, als wir die Hühner gerade neu hatten gerade angefangen hatte richtig schön zu legen da hatten wir einmal schon den Fuchs da und der hat 25 Stück- ja- irgendwie auch 11 mitgenommen, ich weiß nicht ob der mit ner ganzen Gang da war- ja das ist schon ein herber Verlust. Ja auch irgendwie finanziell- so ne Huhn kostet 10 Euro und die hatte ich gerade erst gekauft, war ne bisschen ärgerlich und die Eier, die natürlich dann fehlten. Und dann hat er uns noch mal 25 Stück geholt und dann hatte ich nachher nur noch 100 Hühner und dann haben wir noch mal 50 alte Hennen dazu gekauft und dann ging es ja. Autorin: Zum ersten Mal in meinem Leben esse und genieße ich ein Hühnerpopo warmes Frühstücks-Ei - selbstgeholt und richtig frisch - Genuss pur!! Ein Huhn legt jeden Tag ein Ei und dadurch, dass dieses immer weggenommen wird, legt es am nächsten Tag ein neues. -20- ATMO Ei in blubberndes Wasser Autorin: Dass ein frisches Ei bei Zimmertemperatur 18 Tage haltbar ist und gekühlt 28 Tage, erfahre ich noch – in der Küche, beim Frühstück. Das Wohnhaus hat Anna-Sophie Fehring komplett kernsaniert und renoviert. Da hat die Mutter viel geholfen - -21- ATMO Telefonat mit der Mutter Autorin: und der Papa hat ihr das Wirtschaften mit auf den Weg in die Selbständigkeit gegeben. -22- O-TON Fehring Man sollte auch das, was man macht, auch überdenken und durchrechnen, ja man kann jetzt nicht sagen, ach ich habe jetzt Lust, hier ne paar Schweine und, weil ich da so toll finde, weil ich die so niedlich finde, wenn man damit kein Geld verdient, dann ist das schlecht, also ehrlich da. Er legt da vielleicht ein bisschen mehr Wert drauf und sagt dann, dass die ganze Arbeit, die man in so ein Produkt rein steckt, dass man auch das Geld dann wieder sieht und er ist da vielleicht ein bisschen mehr Geschäftsmann und hätte vielleicht auch manches anders gemacht wie ich es jetzt gemacht hätte aber gut, vielleicht ist es auch mein jugendlicher Leichtsinn noch. Ich bin halt jung und ich will das selber ausprobieren und gucken, was geht und was geht nicht. Und mach halt so meine Erfahrung. -22- ATMO draußen Autorin: Zur Zeit geht sehr viel. Anna-Sophie Fehring versorgt den Haushalt und die Tiere, renoviert ihre Gebäude, überlegt und tüftelt, erntet, fährt in der Erntezeit für einen Lohnunternehmer den Mähdrescher. Zudem baut sie mit ihrem Freund aus einem alten LKW-Auflieger ein Hühnermobil. Und sie verkauft ihre Eier von ihrem Wildhäuser-Hof – in einem kleinen Zimmer mit grünen Wänden, darin ein Tisch mit Tischdecke, darauf die Eier, daneben leere Eierkartons, eine kleine Geldkassette und ein Büchlein. Man nimmt sich einfach die Eier, trägt die Anzahl ins Buch ein und zahlt - 30 Cent pro Ei - garantiert frisch. MUSIK 4 Titel: Blur – Country house Interpret: Blur Komponist: Albern Damon Label: Parlophone, LC-Nr. 00299 22 O-TON Thomas Philipzen Ich erinnere mich z.B. noch an ein Mädchen in meiner Klasse – immer wenn wir Jungen so sagten, ja, ich werde Nachfolger von Wolfgang Overat vom 1. FC Köln und dann sagte sie immer, und ich werde Herrscherin über mehrere Völker sein, das war immer spuki. Das war Hensels Maria. Von uns ist keiner Overats Nachfolger geworden, aber sie ist wirklich Herrin über mehrere Völker. Das war ne ganz friedliche als Imkerin. Ich finde ja immer - Bienen und Ostwestfalen passen gut zusammen, beide sind vom Aussterben bedroht, aber bis dahin sehr fleißig. Autorin: Kabarettist Thomas Philipzen aus Ostwestfalen -23-ATMO Bienen Autorin: Sehr fleißig scheinen sie zu sein, die Hensels – eine Imkerfamilie, zu der Maria gehört, die auch der Kabarettist Thomas Philipzen kennt; aber das nur nebenbei. Maria Hensel ist die Schwester des Chefs. Zur Zeit herrscht Hochsaison, ein Arbeitstag hat 16 bis 18 Stunden. Sechs Imker und zwei Auszubildende kümmern sich um 360 Bienenvölker. -24- ATMO BIENEN Autorin: Welch eine Idylle! Ein kleines grünes Schild weist den Weg über eine enge Straße. Links und rechts Felder und Wiesen. Auf einer kleinen Anhöhe liegt die Imkerei: mit großem Doppelhaus, einer riesigen, neu gebauten Scheune, vor der ein LKW, zwei Bullis und mehrere PKW parken. Hier leben und arbeiten die „Honigmacher“ – insgesamt zwölf Personen unter einem Dach. Ringsherum ein 2000 Quadratmeter großer, buntblühender Blumengarten - für die Bienen. -23- O-TON Hensel, Ulrike Dann haben wir noch einen Hektar Streuobstwiese und ein Hektar Buschland, wo wilde Blumen wachsen können, wo Ziegen laufen, und seitdem die Ziegen da laufen, wachsen die wilden Blumen da auch und mit Büschen, wo die Bienen dann auch stehen. Die Büsche schützen dann die Bienen und die Vögel natürlich auch. Und n Hektar Acker, wo auch Blumen wachsen können. Aber die Bienen selber, die stehen natürlich im 20 Kilometer Radius überall im Wald verteilt auf 30 Bienenständen. -25- Atmo Wiese Autorin: Ulrike Lahmann-Hensel ist die Chefin. Sie und ihr Mann lernten sich auf der Berufsschule vor 30 Jahren kennen und lieben: -24- O-TON Hensel, Ulrike Ich komme selber so richtungsmäßig eher aus dem Naturschutz, und wir hatten schon einen Biologischen Landwirt - vor 30 Jahren in der Nachbarschaft, und ich wollte dann aber gerne was für die Artenvielfalt tun und da bieten sich die Bienen natürlich an, weil die Bienen dafür sorgen, dass wilde Blumen weiterhin existieren können und dementsprechend auch die wilden Tiere, die von den Pflanzen leben, weiterhin existieren. Bienen sind eben ein ganz besonders wichtiges Bindeglied in der Natur und auch damals vor 30 Jahren war klar, die Hobbyimker werden immer weniger, es gibt immer weniger Bienen und aus dem Grunde bin ich Imker geworden und habe mir auch schon während der Schulzeit Bienen angeschafft. -26- ATMO Wiese Autorin: Ihr Mann Oswald Hensel ist von klein auf Imker aus Leidenschaft: -25- O-TON Hensel, Oswald Ja, das Schöne ist, in der Natur zu leben und mit der Natur zu leben. Also mit zehn Jahren, wo mein Vater sich selbständig gemacht hat, da war ich dermaßen stolz auf meinen Vater, dass er als kleiner Tischler sich da selbständig machen kann und von den Bienen leben kann. Und wenn man dann zu den Bienen hinkommt und sieht, was die an Honig gebracht haben, was die für ne Leistung bringen- für ein Glas Honig müssen die Bienen 5-8 Millionen Blüten anfliegen und wenn man dann da hin kommt und die haben 20 Kilo im Honigraum an Honig gebracht und der auch noch super lecker ist, dann, allein durch den guten Geschmack kommt dann die Begeisterung. -27- ATMO Bienen Autorin: Oswald Hensel arbeitet gerade auf seiner Streuobstwiese, mit einer Auszubildenden und einer Praktikantin, an den Bienen – ganz in Ruhe. Hunderte Bienen schwirren herum, aber niemand stört sich an ihnen, erstaunlich – dieses Gesumme beruhigt eher, als dass es ängstigt. -28- Atmo Bienen Autorin: Sie wollen Ableger, also ein Jungvolk, aus diesem Bienenvolk entnehmen. Dafür steht ein neues Bienenhochhaus bereit - drei Mal so groß wie das deutsche Normalmaß. Hochhäuser quasi im Baukastensystem: Mit Deckel, Brutraum, Holzrahmen, Honigraum, ein von Oswald Hensel selbst ausgeklügeltes System. Darauf ist er stolz. Er baut sie selbst, im Winter - in seiner Tischlerwerkstatt: -26- O-TON Hensel , Oswald Der ganze Kasten, allein im Honigraum- 3-4000 Bienen, die hier am Honigeindicken sind. Wenn die Bienen, die holen ja Nektar von den Blumen, und der hat so um die 60% Feuchtigkeit, und die Bienen dicken den ein auf etwas 16% Wassergehalt. Und Nektar ist ja nicht gleich Honig, da kommen erst noch körpereigene Stoffe von den Bienen dazu, und das wird eingedickt - da gibt eine Biene der anderen einen großen Tropfen Honig – man kann sich das vorstellen, wenn zwei Menschen sich gegenüber stehen und ne Tropfen an Honig von der Größe eines dicken Luftballons ist zwischen den beiden und dann fächeln die noch mit ihren Flügeln und dabei trocknet dieser Tropfen an Honig und wird erst zu dem Genuss, was er ist. Autorin: Wichtig bei der Imkerei ist, immer dafür zu sorgen, dass die emsigen Bienen neue Blüten finden, also neues Sammelgebiet. Nach der Rapsblüte werden die Bienenvölker an andere Orte gebracht – per LKW - an die Oder in die Akazienblüte und zur Kornblumenblüte in den Müritz-Nationalpark. Große Gebiete ohne Umweltbelastungen zu finden wird immer schwieriger, meint Bio-Imkerin Ulrike Lahrmann-Hensel. -27- O-TON Hensel, Ulrike Es ist natürlich so, wenn keine Bienen, weder die wilden Solitärbienen noch unsere Honigbienen, die zahlenmäßig wesentlich mehr sind, wenn jetzt keine Insekten mehr die Blumen bestäuben, weil sie z.B. durch Pestizide in der Landwirtschaft dezimiert oder irgendwie weg sind, wie es in China schon ist, dann können wir natürlich mit einem Pinsel unsere Kulturpflanzen bestäuben, aber an und für sich können wir dann von Gräsern und Nüssen leben, was die Pflanzen sind, die nicht auf Bienenbestäubung angewiesen sind, und das ist ja schon ein bisschen wenig und nicht so nahrhaft - nur Gräser und Nüsse und Getreide, fände ich persönlich schon etwas arg wenig. -29- Atmo Bienen Autorin: In nur 50 Jahren nahmen durch die intensive Landwirtschaft Wiesenblumen wie das Wiesenschaumkraut oder die Kuckuckslichtnelke und Ackerkräuter um 95 Prozent ab. Jede noch so kleine Ecke, die früher stillgelegt war, wird umgepflügt, und größtenteils für den Maisanbau genutzt. Pestizide von den konventionell behandelten landwirtschaftlichen Flächen benebeln auch die Bio-Felder drumherum. -27- O-TON Hensel, Ulrike Wenn die Biene jetzt was abbekommt und sich auf ne gespritzte Blüte setzt – oder direkt, manche Bauern dürfen zwar nicht in die Blüte spritzen, aber es passiert trotzdem, dann riecht die anders, und nun gibt es am Flugloch keine Gesichtskontrolle, sondern eine Geruchskontrolle. Da sind Wächterbienen, die kontrollieren jede einzelne Biene auf ihren Geruch, ob das vielleicht ne Nachbarbiene ist, die Honig klauen will. Das ist der biologische Grund. Aber wenn sie jetzt ne Spritzmittel abbekommen hat, riecht die anders, und wir sehen diese Spritzschäden an abgestochenen Bienen am Flugloch, und das kommt leider oft vor. Autorin: Dennoch, ein Problem bleibt: Die vor rund 30 Jahren eingeführte Varroamilbe, die als Parasit an Honigbienen lebt. Da muss gehandelt werden und dies bedeutet, Sauberkeit und Mehrarbeit für Bioqualität. -30- Atmo draußen Autorin: Sie verkaufen ihren Honig am Hof, auf den Wochenmärkten in Paderborn, Brakel und Hameln und auf Bauernmärkten. Zudem bieten 13 Supermärkte der Umgebung regionale Produkte an - auch den Honig der Familie Hensel. Und im Bioladen in Eissen kann man ihn auch kaufen. -31-ATMO abfüllen Autorin: Nachfolger Lucas Hensel steht an der Abfüllanlage – Honig wird hier meist frisch abgefüllt: Frühlingsblüten, Linden, Raps, Akazien und Sommerblütenhonig. Das 500 Gramm-Glas für 5,50 bis 10 Euro. -32- ATMO Schleudermaschine Schleudermaschine piepst - Schleudergang bei 60 Umdrehungen pro Minute durch die Zentrifugalkraft Autorin: Der Schleuderraum – gekachelt, hygienisch sauber, wie die Vorschrift es verlangt. Lucas Hensel ist in seinem Element. Er ist Imker und der Mann der Maschinen. Nach der Schule machte er zuerst eine KFZ-Ausbildung. So kann das Familienunternehmen Geld sparen, denn anfallende Reparaturen an den Maschinen und am Fuhrpark erledigt der Junior selbst. Er ist der Unternehmer der Zukunft - mit klarem Ziel: -28- O-TON Hensel, Lucas Man kann alles noch ne Tucken besser machen, bisschen größer, aber auch ein bisschen mehr Freizeit, dass man mal den Rücken ausruhen kann. Ich möchte schon irgendwann mal auf 400 vielleicht 450 Bienenvölker kommen und noch ne kleine Halle daneben, nen Gesellen, vielleicht noch nen Auszubildenden mehr- jetzt haben wir zwei. Autorin: Hört sich nicht so an, als ob er dem Imker-Motto folgen will: Ne Biene und ein Schaf ernähren den Herrn im Schlaf. Musik 5 Titel: Calm after the storm Interpret u. Komponist: The Common Linnets Label: Universal, LC-Nr. 01846 -33- ATMO Fahren Auto Autorin: Nach so viel Bio in Reinform brauche ich eine Art „Genuss pur“ – auf ostwestfälisch. Über kleine Landstraßen, an historischen Türmen und Herrenhäusern vorbei, komme ich in Willebadessen an. Das Schild „alte Waldmühle“ weist mir den Weg. Orts auswärts, etwas bergauf, Richtung Wald – und da zeigt sich der verwunschene Eingang: ein riesiges Gusseisernes Tor mit langer Lärchenallee dahinter. -34- ATMO gehen Autorin: Vogelgezwitscher, überall Laternen: an den Bäumen, zwischen den Bäumen, und - es kommt immer näher – dieses Geräusch. -35- ATMO– Wasserrad Autorin: Es ist das Wasserrad der Waldmühle. Acht Meter im Durchmesser, damit wird Strom erzeugt. Gegenüber Forellen-Teiche, hier und da unter den majestätischen Bäumen verschnörkelte Bänke, Tischchen und Stühle. Und dort wartet die Besitzerin: Keine Landfrau, eher eine Adelige – doch der Eindruck trügt. Sie ist „nur“ eine Zugezogene aus Paderborn. Gabriele Mersch und ihr Mann sind Waldliebhaber, Café-Betreiber und Waldmühlen-Besitzer – seit zwölf Jahren: -29- O-TON Waldmühle Eigentlich war das Objekt zu groß für uns, viel zu groß, weil wir eine Kleinfamilie waren. Ja, und dann haben wir uns fürchterlich verliebt in das Grundstück, die alten Bäume, diese riesigen alten Bäume die wir zu Lebzeiten nicht mehr anpflanzen konnten, haben uns einfach wirklich in den Bann gezogen. Mein Mann und ich, wir wurden immer ruhiger, das ist ein schlechtes Zeichen, normalerweise reden wir immer sehr viel. Und wir wussten, unser Herz, das Grundstück war es einfach. Das war auch der ausschlaggebende Grund, warum wir uns mit dem Objekt weiter beschäftigt haben. Für uns in der damaligen Zeit einfach utopisch, weil – ganz ehrlich- weil, es für uns über unsere Verhältnisse gegangen. Normalerweise. Autorin: Und dann erzählt sie, dass sie alles, was sie bis zu diesem Zeitpunkt erwirtschaftet hatten, verkauften und sich auf dieses Lebensabenteuer einließen: 6,5 Hektar sich selbst überlassener Mischwald, mit einer völlig verbauten, 300 Jahre alten Wassermühle: -30- O-TON Waldmühle Wir sind von einer Bude zur anderen gezogen, wir hatten noch nicht mal ein richtiges Badezimmer. In der Küche habe ich gleich zu meinem Mann gesagt, werde ich niemals einen Kaffee kochen. Also wir haben wirklich eine provisorische Küche erst mal eingebaut, wir haben Wände rausgerissen, wir haben alles von den Wänden gerissen -- man kann sich das nicht vorstellen, wir sind mit einer Matratze von einem Raum zum anderen gewandert- je nach dem. Autorin: Wo gerade im Haus ein Plätzchen frei war. Welch eine Unternehmung – und sie hat sich tatsächlich ausgezahlt! Im ehemaligen Schwimmbad betreibt Gabriele Mersch das vielbesuchte Sonntags-Café: im Landhausstil, einem Jagd-Ambiente in braun-grün, mit vielen Wandspiegeln, überall Moos-Deko, frische Blumen, Kerzen und Silbergefäße. Und die Spezialität: Torten á la Gabriele Mersch: Vanille-Rahmtorte mit Sauerkirschen, Mohntorte, Apfel-Eierlikörtorte, Waldmühlenkirschtorte und ständig kommt eine neue Kreation hinzu. -31- O-TON Waldmühle Aufgebaut wird es eigentlich immer am Geschmack: Wenn ich eine Praline esse, habe ich vielleicht ne Kombination aus irgendeiner Frucht oder vielleicht irgendeinen anderen Geschmack, den ich spannend finde in der Kombination und dann fange ich an: welcher Teig passt dazu, ein dunkler oder ein heller? So geht es dann los, denn man beginnt immer mit dem Teig und dann überlege ich so, was mache ich daraus jetzt, arbeite ich mit einem dritten Produkt noch dazu - sein es Mandeln oder ne andere Frucht oder seis auch Alkohol. Ich bin da sehr sehr experimentell und bei mir ist wichtig, alles relativ Zucker reduziert. Die Sahne. Definitiv nie Zucker, .. Bei mir soll die Sahne nur leicht und schluffig sein. Sie soll eigentlich den Geschmack nur unterstützen, denn die Sahne bekommt nie einen Eigengeschmack, die Sahne bekommt nie Zucker bei mir. Ich nehme sehr hochwertige Sahne. Das heißt, sie unterstützt eigentlich nur noch mal den Geschmack der Torte als solche. Autorin: Alle Torten entstehen in der Familienküche: Dienstags ist Backtag, Mittwochs ist frei, Donnerstags und Freitags werden die Böden bestrichen und Samstags ist Sahnetag, da erhalten sie ihr End-out-fit. Der Café-Betrieb findet mitunter in den Privaträumen statt: Die Gäste sitzen im Büro und im Kaminzimmer - um dorthin zu kommen, geht es immer an der offenen Küche vorbei. Da bedient meistens Josef Mersch die Kaffeemaschine. Und das größte Kompliment, das hat Kabarettist Thomas Philipzen aufgeschnappt: 32 O-TON Thomas Philipzen Also in den meisten Haushalten meiner Heimat da wird ja sonntags noch selbst Kuchen gebacken. Es gilt Satz: „Mutters Kuchen in der beste.“ Das ist ein absolut unumstößliches Gesetz. Festgelegt von Mutter. Selten, aber manchmal begibt sich die ostwestfälische Hausfrau mit ihrem Mann auf Kuchensafari. Das fängt meist mit den Satz an: „Und haben wir Wetter?“ Soll heißen, raus gehen, Kaffee trinken. Und dann sitzen sich die beiden im Café gegenüber – meist reservierter als die Tische drumherum. Bis zu dem Moment im dem die Kellnerin fragt: „Hat der Kuchen geschmeckt?“ Dann nämlich wird es richtig ostwestfälisch dann schaut er nicht die fragende Kellnerin sondern seine Frau an: „Ja, so einen könntest du auch mal backen.“ Für ihn hat das zwei Wochen bei Wasser und Brot zur Folge. Für die Inhaberin aber ist es das schönste Kompliment, das man von einem Ostwestfalen bekommen kann. Kennmelodie Sprecher vom Dienst: Im Eldorado der Bio-Bauern Die Warburger Börde in Ostwestfalen Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Elke Vieth Es sprachen: Kabarettist Thomas Philipzen und die Autorin Ton: Bernd Friebel Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2014. Manuskript und das Audio zur Sendung finden Sie im Internet unter deutschlandradiokultur.de 1