Deutschlandradio Kultur Nachspiel 3. Oktober 2012 Stasi am Ball Redakteur/in: Hanns Ostermann Autorin: Dorothea Jung COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. **************************************************************** 01 Atmo Fußballstadion und DDR-Hymne Atmo aufblenden 02 Roland Jahn Erfolg im Fußball heißt eine weltweite Anerkennung eines Staates, deswegen hat die Staatssicherheit ja ganz gezielt versucht, diesen Sport abzusichern und zu steuern. Atmo aufblenden 03 Axel Kruse Ich war in der Jugendnationalmannschaft in der DDR. Und das erste Mal ist die Stasi an mich herangetreten, das war 1986, da war ich 19 Jahre alt, und da war ich geschockt. Atmo aufblenden 04 Jutta Braun Gerade im Fußball identifizierten sich gerade viele junge Fans mit bundesdeutschen Idolen. Und das war der Staatsmacht 'n Dorn im Auge. Atmo aufblenden 1 AUTORIN Der Sport war für die Deutsche Demokratische Republik wichtig. Sehr wichtig. Erfolge im Sport sollten dem SED-Staat Ansehen verschaffen und nach außen den Eindruck staatlicher Macht, Stärke und Effizienz vermitteln. Und die DDR hatte Erfolg im Sport. Dass dabei Doping mit im Spiel war, wussten lange Zeit nur Eingeweihte. Aber im Fußball, der populärsten Sportart des Landes, erfüllten sich die Wünsche der Staatsführung nicht. "Ein Wermutstropfen für die Partei", meint der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn. 06 Roland Jahn Die DDR war insgesamt interessiert, mit dem Sport Politik zu machen. Und Erfolg im Fußball heißt eine weltweite Anerkennung eines Staates; und deswegen hat die Staatssicherheit ganz gezielt versucht, diesen Sport abzusichern und zu steuern. 2 AUTORIN Allen voran Erich Mielke, Chef des Ministeriums für Staatssicherheit, MfS, Armeegeneral, fanatischer Fußball-Freund. Erich Mielke verstand sich im SED-Staat als der Sachwalter einer ideologisch einwandfreien Gesinnung auf sportlichem Terrain. 07 Erich Mielke Wir benötigen mehr denn je Spitzen- und Siegleistungen, um auch künftig die auf Frieden und Entspannung gerichtete sozialistische Außenpolitik wirkungsvoll unterstützen zu können. Nur so wird es auch weiterhin möglich sein, mit den Mitteln unseres Leistungssports dem Imperialismus die Grenzen seiner Macht und Möglichkeiten zu zeigen und ihn in die Schranken zu weisen. 3 AUTORIN Die Akten in der Stasi-Unterlagenbehörde offenbaren, wie das Ministerium für Staatssicherheit versuchte, soweit wie möglich Kontrolle über den Fußball zu erlangen. Es nahm die Vergabe von Posten ins Visier, die Zusammensetzung der Leistungskader, die Stadionbesucher und das Privatleben der Spieler. Sporthistorikerin Jutta Braun vom Zentrum für Deutsche Sportgeschichte in Potsdam: 08 Jutta Braun Ein ganz wichtiger Bereich war es natürlich, die Fußballspieler zu durchleuchten, sogenannte Reisekaderüberprüfungen zu machen, die alle ein einziges Ziel hatten, nämlich sicherzustellen oder vorzubeugen, dass diese Spieler nicht in den Westen abhauten; das war dann jedes Mal doch ein großes Imagedesaster für den SED-Staat. 4 AUTORIN Und so durchzog das Ministerium für Staatssicherheit das Fußballgeschehen der DDR mit einem ausgefeilten Spitzelsystem. Mit allen Mitteln, die der Staatssicherheit zur Verfügung standen, sollten die Leistungskader an ihre Mannschaften gebunden werden, um für den DDR-Fußball politische Erfolge einzufahren. 10 Atmo DDR Stadion/ Alternativ: Trainingsatmo Atmo blenden 6 AUTORIN Axel Kruse aus Mecklenburg-Vorpommern kam als 12jähriger auf die Rostocker Kinder- und Jugend-Sportschule. Zwischen 1985 und 1989 konnte man ihn im Trikot von Hansa Rostock in 50 Oberligaspielen und insgesamt 89 Pflichtspielen sehen. Schon mit 18 Jahren gab er sein Debüt in der höchsten Liga. 11 Axel Kruse Ich hab ja schon ziemlich jung bei Hansa Rostock in der ersten Männermannschaft gespielt und war in der Jugend-Nationalmannschaft in der DDR. Und das erste Mal ist die Stasi an mich herangetreten, das war 1986, da war ich 19 Jahre alt, und da war ich geschockt. Atmo blenden 7 AUTORIN Ein klarer Herbsttag im Oktober. Axel Kruse hat gerade sein Training begonnen, als der Parteisekretär auf ihn zutritt und ihn anweist, zum Chef zu kommen. Doch statt seines Club-Chefs warten im Hansa-Rostock-Büro zwei Männer, die Axel Kruse zuvor noch nie gesehen hat. 12 Axel Kruse Die haben mir dann 'ne rote Klappkarte hingehalten, haben gesagt Ministerium für Staatssicherheit, kommen Sie mit zur Klärung eines Sachverhalts. Und dann haben die mich mitgenommen. 8 AUTORIN Die Fahrt geht in die Rostocker Innenstadt in eine konspirative Wohnung des MfS. Axel Kruse wird in ein Zimmer vor ein Mikrophon gesetzt und muss dort erst einmal allein auf sein Verhör warten. Schließlich kommt ein Vernehmer der Staatssicherheit, stellt sich vor und spricht ihn höflich an. 13 Axel Kruse Und dann nach zehn Minuten hat er einen eiskalten Blick gekriegt und hat gesagt: 'Dann kommen wir jetzt mal zur Sache. Wir wissen aus sicherer Quelle, dass Sie abhauen wollen, also dass Sie die Republik verlassen wollen'. Nach der Aussage war mein Puls, glaub ich, gefühlt auf 210. Und, ja, und dann hat er mich stundenlang verhört. 9 AUTORIN Der junge Spieler ist geschockt. Er selbst weiß ja ganz sicher, dass er nicht die Absicht hat, die Republik zu verlassen. Doch die Staatssicherheit hält beharrlich an ihrem Verdacht fest, und es scheint Axel Kruse so, als wolle die Befragung niemals enden. Irgendwann am Abend entlassen die Vernehmer ihn zwar aus der Wohnung, und es folgen auch keine weiteren Verhöre, aber trotzdem hat dieses Treffen Folgen für den Fußballer. 14 Axel Kruse Die Konsequenz war die, dass ich von dem Zeitpunkt an in der U-19-Nationalmannschaft, was nachher später natürlich die U-20-Nationalmannschaft war, nicht mehr nominiert wurde. Beziehungsweise: Ich hab 'ne Einladung gekriegt, die hat man mir immer 'ne Woche vorher wieder weggenommen und hat gesagt: 'Ja, du hast keine Freigabe, du bist kein Reisekader, du darfst nicht mehr ins westliche Ausland fahren'. 10 AUTORIN Das Treffen mit der Staatssicherheit war ein tiefer Einschnitt in Axel Kruses Leben. Davor sei er eigentlich ein unpolitischer Mensch gewesen, bekennt er heute. Doch danach sei er nachdenklich geworden. 15 Axel Kruse Mit 19 Jahren, da denkt man an Parties, an hübsche Frauen, an Fußballspielen und nicht unbedingt an die Stasi. Und ich hab dann nur irgendwann gedacht, na ja, die können im Prinzip mit mir machen, was sie wollen. Und von dem Zeitpunkt an hab ich erst mal überlegt, wo, leb ich, was passiert hier eigentlich. Und man ist dann innerhalb von einem Tag erwachsen. 16 Fußball Atmo DDR Stadion blenden 11 AUTORIN Aber auch für die Zuschauer interessierte sich das MfS - vor allem für die leidenschaftlichen Fans. Nach Erkenntnissen von Jutta Braun saß die Stasi immer mit im Stadion. Besonders zahlreich aber, wenn DDR-Clubs auf westdeutsche Vereine trafen, so die Sporthistorikerin. Oder, wenn die bundesdeutsche Nationalmannschaft in sozialistischen Ländern spielte. 17 Jutta Braun Gerade im Fußball identifizierten sich viele junge Fans mit bundesdeutschen Idolen. Und das war der Staatsmacht 'n Dorn im Auge. Hier hat die Staatssicherheit immer versucht, darauf zu achten, dass es keine zu deutlichen Manifestationen gibt zugunsten der bundesdeutschen Teams durch DDR-Bürger, die DDR wollte eine sozialistische separate Nation sein und mit der Bundesrepublik nicht in irgendeiner Form identifiziert werden. 18 Atmo BRD gegen VR-Polen 1971 blenden 12 AUTORIN Warschau, 10. Oktober 1971. Europameisterschafts-Qualifikationsspiel Bundesrepublik Deutschland gegen die Volksrepublik Polen. Beobachter schätzen, dass fast 5000 DDR-Bürger der westdeutschen Elf zujubeln. Unter ihnen Hans-Christian Maaß, 21 Jahre, Student der Agrarwissenschaften aus Berlin - sowie zwei seiner Kommilitonen. Die drei sind glücklich. Denn sie haben sich ihre Karten zuvor im DFB-Mannschafts-Hotel abgeholt und dabei mit westdeutschen Spielern sprechen können; haben Autogramme von ihren Idolen Beckenbauer, Netzer und Gerd Müller in der Tasche. Und sie haben super Plätze. 19 Hans-Christian Maaß Neben uns saß die B-Nationalmannschaft mit einigen Spielern, die wir natürlich auch kannten. Und wir haben dann wirklich dieses Spiel, das 3:1 für die Bundesrepublik ausging, gesehen; während des Spiels ist es zu keinen Euphorien besonderer Art gekommen, dass wir da rumgeschrien hätten oder irgendwas, sondern wir haben eigentlich als Fans dieses Spiel genossen. Atmo aufblenden 13 AUTORIN Was Hans-Christian Maaß und seine Freunde nicht wissen: Erich Mielkes Spione sitzen auch hier im Stadion. Die Spitzel werden später namentlich mehr als 1000 Zuschauer identifiziert haben. In einem Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit vom 5. November 1971 steht: 20 Sprecher "Unter den 1.162 Besuchern aus der DDR befanden sich nach den Ermittlungen des MfS 106 Personen, die in verschiedene Art und Weise für die westdeutsche Mannschaft auftraten. Außerdem wurden 41 DDR-Bürger ermittelt, die für die westdeutsche Nationalmannschaft und für den westdeutschen Fußballsport demonstrative Handlungen begingen; z. B. mit Losungen wie: * Chemnitz grüßt die Deutsche Nationalelf und den Kaiser Franz. * Leipzig grüßt Kaiser Franz & Co. * Guben grüßt die deutsche Elf." 14 AUTORIN Nach dem Spiel in Warschau ordnete Erich Mielke "umfangreiche politisch-operative Maßnahmen zur allseitigen umfassenden Aufklärung und Bearbeitung von Personen" an. Was das bedeutet, bekommen Hans-Christian Maaß und seine beiden Kameraden ein paar Wochen später zu spüren. Ihre gesamte Seminargruppe an der Humboldt-Universität wird vom FDJ-Sekretär und der Fakultätsleitung einbestellt. 21 Hans-Christian Maaß Es wurde also dieser Gruppe nunmehr erklärt, dass wir drei uns bei diesem Fußballspiel aufgehalten hätten, und dass wir natürlich einseitig für die Mannschaft der imperialistischen BRD Beifall geklatscht hätten und nicht für die Mannschaft der sozialistischen Volksrepublik Polen, und dies sei völlig gegen das Absolventenbild eines sozialistischen Absolventen einer sozialistischen Universität. 15 AUTORIN Alle Studenten des Seminars werden aufgefordert, die sozialistische Haltung von Hans-Christian Maaß und seinen Freunden zu bewerten. Kommilitonen, die ein positives Votum abgeben, erhalten die Drohung, von der Hauptprüfung ausgeschlossen zu werden. Die Folge: Die politische Beurteilung für die drei Fußballfreunde fällt so schlecht aus, dass sie exmatrikuliert werden. Hans-Christian Maaß, der heute die Berliner VW-Repräsentanz leitet, kann sich noch gut an seine damalige Fassungslosigkeit erinnern. 22 Hans-Christian Maaß Wir haben das als ein ganz großes Unrecht angesehen, eine ganz furchtbar uns betreffende Misshandlung, als wir uns darüber klar wurden, dass in der DDR für uns keinerlei berufliche Perspektive mehr da ist. Mit diesem Brandzeichen sind wir also ein für alle Mal als Leitungskader sowieso völlig unmöglich und können unsere berufliche Karriere an den Haken hängen. 23 Atmo Hertha blenden 16 AUTORIN Ähnlich erging es dem Ostberliner Ralf Klopfleisch, der zusammen mit seinem Vater Helmut versuchte, möglichst viele Spiele der Bundesliga in der DDR zu besuchen. Vater und Sohn - zwei glühende Fans von Hertha BSC und Bayern München. 24 Ralf Klopfleisch Wir haben jede Chance ausgenutzt, um Bundesligamannschaften zu sehen, die im Ausland gespielt haben, im Ostblock. Und die Stasi wurde auf uns aufmerksam, weil in diesen Fan-Gruppen Spione mitgefahren waren, inoffizielle Mitarbeiter von der Staatssicherheit, die fotografiert haben, die Aufnahmen gemacht haben. 17 AUTORIN Anfang der 80er Jahre muss der damals 12jährige Ralf einen Schulaufsatz verfassen. Thema: 'Mein Vorbild'. Begeistert schreibt der Schüler eine Lobeshymne auf sein großes Idol Karl-Heinz Rummenigge. Doch auch im Lehrerkollektiv sitzen Stasi-Spitzel. Ein IM berichtet dem MfS von dem Schüleraufsatz. Und Familie Klopfleisch bekommt Besuch von der Stasi. Es sollte nicht der einzige bleiben. 25 Ralf Klopfleisch Meinem Vater wurde der Ausweis abgenommen; das heißt: durften Sie also die Stadt auch nicht mehr verlassen und man durfte nicht mehr ins Ausland reisen. Der Ausweis wurde eingezogen mit der Begründung: wir sind im sozialistischen Freundesland aufgefallen als Fußballfans - negativ. 18 AUTORIN Vater Hellmut Klopfleisch erhielt vom Ministerium des Innern stattdessen Ersatzpapiere, einen sogenannten PM-Ausweis. Der erleichterte Mielkes Team die Arbeit. 26 Hellmut Klopfleisch Die haben laufend Kontrollen gemacht, im Osten, früher. Man wurde laufend nach dem Ausweis gefragt. Und wenn ich den vorgezeigt habe, dann haben sie mich sofort mitgenommen. Darauf haben die das auch angelegt. Die haben mich - ich weiß nicht - dreißig, vierzig, fuffzig Mal - ich weiß nicht, die ersten Jahre immer mitgenommen. Also, das war nicht mehr auszuhalten.“ 19 AUTORIN Gewundert hat sich Hellmut Klopfleisch nicht über das Interesse der Staatssicherheit an ihm und seinem Sohn. Denn mit seinem offensiven Bekenntnis zu westdeutschen Fußballvereinen wollte der Elektriker die Obrigkeit des SED-Staates durchaus ein wenig provozieren. Doch mit einem so massiven Eingriff des Geheimdienstes in sein Leben hatte er nicht gerechnet. 27 Hellmut Klopfleisch Irgendwie waren die sauer, dass man eben als Ostanhänger dort zum Westverein fährt. Man hat richtig den Hass in den Augen gesehen. Das war 'nen Staatsverbrechen. Die haben mir auch ganz klar später bei den Verhören denn gesagt, was ich mir denn einbilde, dem Klassenfeind Glückwünsche zu übersenden. Das ist so lächerlich, aber so war es. 20 AUTORIN Ralf und Helmut Klopfleisch werden aufgefordert, als inoffizielle Mitarbeiter für die Stasi zu arbeiten. Sie lehnen ab. Daraufhin erklärt das MfS den Vater zum Sicherheitsrisiko bei öffentlichen Bauprojekten. Helmut Klopfleisch darf nicht mehr als Elektriker arbeiten und hat sich fortan als Gebäudereiniger durchs Leben zu schlagen. 29 Atmo BFC-Dynamo-Rufe blenden 21 AUTORIN Die sogenannten Trägerorgane der inneren Sicherheit in der DDR - also Volkspolizei, Zollverwaltung und MfS - hatten ihre eigene Sportorganisation: die Sportvereinigung Dynamo. Die SV Dynamo galt als tragende Säule des Leistungssports im SED-Staat. Den Vorsitz führte Erich Mielke. Angegliedert waren die Dynamo-Fußballclubs; darunter auch der Berliner FC Dynamo, kurz BFC. Hier war der Stasichef Ehrenvorsitzender. Jutta Braun zufolge hat Erich Mielke den Hauptstadtclub BFC mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, protegiert. 30 Jutta Braun Man kann schon sagen, dass er den BFC Dynamo als sein Kleinkönigreich betrachtete und ausbaute und privilegierte durch Spielerdelegierung, durch bevorzugte Ausstattung, und das hatte nun auch den entsprechenden Erfolg. Der BFC Dynamo war zehn Jahre lang Rekordmeister der DDR, von '79 bis '88, und das wurde natürlich als ein glänzendes Aushängeschild auch des Sozialismus verkauft. 31 Atmo Pfiffe gegen BFC blenden 22 AUTORIN Doch das steigerte die Beliebtheit des BFC-Dynamo nur in Maßen. Der BFC verfügte über sehr gute Fußballspieler, und natürlich hatte der Club auch seine Fans. Aber bei vielen DDR-Bürgern war die Elf als Stasi-Club verschrien. Als 1986 bei einem Spiel gegen Lokomotive Leipzig Schiedsrichter Bernd Stumpf dem BFC Dynamo noch in der 94. Spielminute einen zweifelhaften Strafstoß zubilligte, sprach die ganze DDR von 'Schandelfmeter', und das Volk brüllte 'Schiebemeister'. Bernd Stumpf musste in die zweite Reihe zurücktreten. Aber auch wenn heute bewiesen ist, dass der Elfmeter zu Recht bewilligt wurde, bleibt der Vorwurf, dass Bernd Stumpf das Spiel längst hätte abpfeifen müssen. Als dann nach der Wende herauskam, dass die Stasi ihn als IM führte, wunderte das niemanden. Allerdings haben nach Ansicht von Roland Jahn DDR-Schiedsrichter auch ohne Verpflichtungserklärung den BFC bei seinen Spielen bevorzugt. 32 Roland Jahn Die Schiedsrichter, die mussten gar nicht bei der Stasi sein, die mussten gar nicht Mielkes Befehl bekommen, die Spiele zu verpfeifen, die haben schon aus Angst, Nachteile zu bekommen, die Spiele verpfiffen und so oft kurz vor Ende noch einen Elfmeter für den BFC Dynamo gegeben. 23 AUTORIN Eine weitere Ursache für die Unbeliebtheit des BFC Dynamo war die Kartenvergabe-Praxis des MfS. In den Stasi-Unterlagen kann man Stadion-Pläne einsehen. Sie zeigen, dass Staatssicherheitsbeamten und SED-Funktionären Sitzplätze im Voraus zugewiesen wurden. 33 Roland Jahn Es wurde ja richtige Tribünenreihen und die Reihen im Stadion so sortiert, dass sichergestellt wird, dass es keine Gegenaktionen gab, die Fans, die selbstständig kommen wollten, die wurden unter Kontrolle gehalten oder bekamen gar keine Karten. Also die Stasi hat richtig Zuschauerbewegung organisiert. 34 Atmo 34 beginnt mit BFC-Fan-Rufen blenden 24 AUTORIN Fußballbegeisterte in Berlin, die sich selbst als parteifern oder regime-kritisch definierten, schenkten ihre Leidenschaft denn auch weniger dem BFC, als viel mehr einem anderen Hauptstadtclub: dem 1. FC Union. Atmo aufblenden bei 'Eisern Union' 25 AUTORIN Offiziell kümmerte die Kritik am BFC Dynamo Erich Mielke nur wenig. Und auch intern, in Sitzungen der SV Dynamo, zeigte er sich unbeeindruckt. Stattdessen beschwor er seine Mitarbeiter, die Fußballclubs als Instrument zur Massenmobilisierung nicht zu unterschätzen. 35 Erich Mielke Die ganze Kritik, die man an uns übt, Mensch, ist für mich, man kann sagen, im Grunde genommen ein Scheißdreck! Entschuldigen Sie, dass ich so grob bin. Weil: Die Frage ist, was macht Dynamo? Die Hauptfrage ist doch: außerordentlich auf 100tausende Einfluss nehmen! Das ist doch das Entscheidende, ne Frage, die kann man doch nicht einfach ignorieren. Das ist doch das Wichtigste für die Republik. 26 AUTORIN In Wirklichkeit wurmte es den Stasi-Chef, dass sich die Massen in den Stadien nicht vorschreiben ließen, wem sie zujubeln sollen. Nicht selten mussten sich junge Fans vor der Staatssicherheit für ihr Verhalten auf den Zuschauerrängen rechtfertigen, berichtet der Berliner Publizist Frank Willmann. 35 Frank Willmann Das war so 'n kleiner Freiraum, der Fußballplatz. Wobei das gar nicht unbedingt wirklich politisch gemeint war, das waren so einfach junge Leute, Lust an Provokation, Grenzen austesten, aber trotzdem, aus diesen Mücken sind dann riesige Elefanten gebastelt worden. 27 AUTORIN Der Experte für das Fanwesen in der DDR ist sicher: Auf diese Weise vermehrte die Stasi die Zahl der Regimegegner. Frank Willmann selbst wurde als jugendlicher Fan ebenfalls von der Stasi verhört. 37 Frank Willmann Für mich war das ein prägendes Erlebnis, weil ich mir spätestens danach dann doch ernsthafte Gedanken gemacht habe, was das denn für Land ist, in dem ich lebe. Mich hat das zum Nachdenken angeregt, insofern bin ich den Leuten von der Stasi sogar fast dankbar, dass sie mich dann angestupst haben. 28 AUTORIN 1984 stellte Frank Willmann einen Ausreiseantrag und konnte in den Westen aussiedeln. Auch Axel Kruse, Stammspieler von Hansa Rostock, kam erst durch das Verhalten der Staatssicherheit auf die Idee, die Republik zu verlassen. Ganz allmählich reifte in ihm ein Fluchtplan. Ende der 80er Jahre nahm er Kontakt zu einem Fluchthelfer auf. Hintergrund: Sein Trainer wollte, dass er wieder als Reisekader geführt wird. Kontinuierlich machte die Vereinsführung deswegen Eingaben beim Ministerium des Innern. Und Axel Kruse war sicher: Wenn er die Chance zum Auslandsspiel bekommt, dann wird er sie zur Flucht nutzen. Schließlich, im Sommer '89, erhielt der Fußballer die Erlaubnis, an einem Hansa-Rostock-Spiel in Kopenhagen teilzunehmen. 38 Axel Kruse Man hat ja immer in seinem Leben, wenn man große Entscheidungen fällt, hat man ja einen Plan. Nur der Plan, wenn die Aktion dann losgeht, ist der Plan für die Tonne, weil das meistens nie so funktioniert, wie man das gerne hätte. 29 AUTORIN erinnert sich Axel Kruse. Er hatte seinem Fluchthelfer eine Karte geschickt. Darauf stand vereinbarungsgemäß: 'Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag wünscht Herr Jakob'. Das bedeutete: Der Fluchthelfer musste jetzt nur noch herausfinden, in welchem Hotel die Hansa-Rostock-Mannschaft absteigt und Herrn Jakob alias Axel Kruse von der Rezeption ausrufen lassen. 39 Axel Kruse Jetzt kamen wir in Kopenhagen an, das Hotel war klein, da war nichts mit Ausrufen, Und der Plan war natürlich dann, dass ich zur Rezeption dann hingehe, und dann bupp raus ins Taxi und weg. Ich hab meinen Fluchthelfer schon vor der Tür gesehen, und jetzt hab ich gedacht, ich muss hier irgendwie weg. 30 AUTORIN Axel Kruse schließt sich zwei Mitspielern an, die einen Stadtbummel machen wollen, und der Fluchthelfer folgt den Spielern im Taxi in die Kopenhagener City. Dann: ein unbeobachteter Moment. Axel Kruse kann ins Taxi steigen. 40 Axel Kruse Im Taxi mit dem Fluchthelfer zusammen, ich hab gezittert am ganzen Körper. Ich hab's, ich hab's nicht geschafft, das Feuer zur Zigarette zu führen, weil ich war mit den Nerven natürlich völlig fertig Und als wir von der Fähre 'runtergefahren sind, da hab ich meinen Fluchthelfer umarmt, da hab ich mich denn wirklich frei und in Sicherheit gefühlt. 31 AUTORIN Als sich Fußball-Fan Hans-Christian Maaß zur Flucht entschließt, ist seit dem verhängnisvollen Besuch im Warschauer Stadion rund ein Jahr vergangen. Der von der Humboldt-Universität gewiesene Student sieht für sich in der DDR keine berufliche Perspektive mehr. Zusammen mit einem ehemaligen Kampfschwimmer bereitet er eine Flucht über die Ostsee vor. 41 Hans-Christian Maaß Wir sind über einen Binnenbodden erst mal rübergerudert, haben das Boot in die Hand genommen und sind dann, also 300 Meter zu Fuß, und sind dann wieder in das offene Meer eigentlich rein. Und sind dann gefahren bis zum nächsten Abend 18.00 Uhr in das Inter-nationale Gewässer mitten in der Ostsee, haben alle Grenzschiffe umfahren, kein Scheinwerfer hat uns erwischt. Wir sind nach 25 Stunden mit unserer kleinen Nussschale einem norwegischen Frachter, in der DDR gebaut mit DDR-Besatzung auf Probefahrt, direkt in die Arme fahren. 32 AUTORIN Der Kapitän des Frachters befürchtet, seinen Job zu verlieren, wenn er die Flüchtlinge in Dänemark an Land setzt und liefert sie in Warnemünde den Sicherheitsbehörden aus. Hans-Christian Maaß macht Erfahrungen als Untersuchungshäftling. 42 Hans-Christian Maaß Das fing dann so an, dass wir, also erst mal komplett ausziehen, ja, Arschbacken auseinander, Vorhaut hin und zurück, und dann irgendwelche Trainingsanzüge mit irgendwelchen Latschen, und dann haben die uns noch die ganze Nacht verhört, ich weiß nicht mehr, wie lange die uns, ich bin eingeschlafen. Und irgendwann wurden wir dann ins das Untersuchungsgefängnis nach Potsdam gebracht, und da hab ich denn die nächsten drei Monate zugebracht. 33 AUTORIN Hans-Christian Maaß kommt nach einigen Monaten Haft im Rahmen einer Amnestie auf freien Fuß. Später stellt er einen Ausreiseantrag und kann die DDR verlassen. Wenn er heute an seine Zeit als Häftling denkt, ist ihm vor allem der Schock in Erinnerung, als ihm klar wurde: Die Stasi hat ihn seit dem Besuch des Fußballspiels in Warschau lückenlos überwacht. Sie hat seine Studentenbude verwanzt, das dörfliche Pfarrhaus seines Vaters abgehört und in seinen Universitätsveranstaltungen Spitzel platziert. Eine verstörende Erfahrung - die auch Axel Kruse macht, als er nach der Wende seine Stasi-Unterlagen einsieht.. 43 Axel Kruse Wenn man in so 'ner Fußballmannschaft spielt, vertraut man sich untereinander, und das Schlimmste war eigentlich, dass aus meiner Mannschaft Leute mich bespitzelt haben, und dass sogar einer, mit dem ich sehr, sehr gut befreundet war, wenn jemand vor der Tür steht und sagt, Mann, hallo, wollt dich mal besuchen, und der kommt nicht zufällig, sondern wurde von der Stasi geschickt. Das ist natürlich dann besonders bitter. Ja, Namen nenn' ich jetzt nicht. 34 AUTORIN Axel Kruse hatte Glück: Er flüchtete erst kurz vor dem Mauerfall. Deswegen konnten die Westspione der Staatssicherheit seine Bespitzelung in der Bundesrepublik nicht mehr erfolgreich fortsetzen. Ganz anders ging es da Jörg Berger. Dem vor zwei Jahren verstorbenen Fußball-Coach war es 1979 geglückt, aus der DDR zu fliehen. Jörg Berger hatte eine DDR-Nachwuchs-Elf trainiert und ein Spiel in Jugoslawien zur Flucht in die Bundesrepublik genutzt. Anschließend gelang ihm im Westen eine erfolgreiche Trainer-Karriere. Jörg Berger wusste, dass Mielkes Leute ihn auch in der Bundesrepublik im Visier hatten. Er vermutete sogar, dass die Stasi für eine schwere Bleivergiftung verantwortlich war, die ihn in den 80er Jahren fast das Leben gekostet hatte. Als er seine Stasi-Unterlagen las, war er dennoch erschüttert. 44 Jörg Berger Sie wussten, wo mein Wohnzimmer ist, sie wussten meine Fahrtstrecke zur Arbeit, sie wussten, wie schnell ich an welcher Straße fahre, und sie wussten eigentlich über mein Privatleben bestens Bescheid. Also das zeigt, dass ich immer gefährdet war. Das andere, was mich schwer enttäuscht hat, dass zwei gute Freunde für die Stasi gearbeitet haben und auch mich bearbeitet haben. Und das Dritte sicher ist dieser große Apparat, den ich in diesem Ausmaße und auch mit dieser kriminellen Energie nicht vermutet hatte. 35 AUTORIN 20 Fußballsportler haben zwischen 1959 und 1989 der DDR den Rücken gekehrt. Darunter auch BFC-Dynamo-Spieler. Lutz Eigendorf zum Beispiel, genannt 'Eisenfuß', der sich '79 in den Westen absetzte und vier Jahre später bei einem Autounfall starb. Bis heute besteht der Verdacht, dass die Stasi dabei ihre Hand im Spiel hatte. Lückenlos überwacht wurden auch Falko Götz und Dirk Schlegel überwacht, die 1983 geflohen waren; ihre Freunde und Verwandte in der DDR wurden ebenfalls unter Druck gesetzt. "'Operativ-Vorgang Sportverräter' hießen derartige Einsätze", sagt Stasibehördenchef Roland Jahn. 45 Roland Jahn Die Sportler hatten eine gute Ausbildung, sie wurden gut unterstützt, sie hatten Privilegien, und man wollte den ewigen Dank, man wollte, dass sie die Erfolge holen für die Politik der DDR. Wer da nicht mehr mitgespielt hat, der war ein Verräter. 36 AUTORIN Die Geschichte der innigen Verbindung von Staatssicherheit und Fußballsport ist bis heute nicht gründlich erforscht. Viele Fragen sind noch immer offen. Zum Beispiel: Welche Sportlerkarrieren wurden behindert, welche Fanbiografien gebrochen? Wer hat seine Kameraden verraten, und wer hat dem Werben der Stasi widerstanden? Hat die obrigkeitshörige Mentalität in den ostdeutschen Vereinen überlebt? Und was haben westdeutsche Vereinsfunktionäre unter den Teppich gekehrt, als sie die Ost-Talente für sich und ihre Clubs nutzen konnten? DDR-Fußballfan-Experte Frank Willmann ist skeptisch, dass sich der Deutsche Fußballbund für derartige Fragen interessiert. 46 Frank Willmann Der Deutsche Fußballbund ist nicht unbedingt dafür bekannt, dass er sich intensiv mit seiner Geschichte beschäftigt. Es hat sehr lang gedauert, bis man sich überhaupt die Zeit des Nationalsozialismus vorgenommen hat. Es sieht so aus, dass also auch gerade auf dem Gebiet der ehemaligen DDR noch sehr viele alte DFV-Funktionäre in Amt und Würden sind. Ich glaub einfach nicht, dass da irgendjemand ein großes Interesse hat, diese Sachen aufzuarbeiten. 37 AUTORIN Der einstige Direktor des Bundesinstituts für Sportwissenschaft in Bonn ist zuversichtlicher. Auf einer Veranstaltung der Jahnbehörde gab Martin-Peter Büch in diesem Sommer bekannt, dass er beim Deutschen Fußballbund die 'Arbeitsgruppe Wissenschaft' für das Thema gewonnen habe. 47 Martin Peter Büch (O-Ton Aus der Veranstaltung 'Stasi am Ball') Wir sind dabei, die Aufarbeitung des DDR-Fußballs voranzutreiben. Wir haben bereits eine kleine Arbeitsgruppe, mit der wir derzeit planen, einen Experten-Workshop für Ende des Jahres mit dem Ziel, dass wir Projekte isolieren, mit denen wir dann den Fußball aufarbeiten wollen 48 Leise Fußballatmo Kinder kicken blenden 38 AUTORIN Für den einstigen Republikflüchtling Hans-Christian Maaß enthält das Thema Fußball und Stasi aber auch die Botschaft von der Unabhängigkeit und Eigenwilligkeit des Fußballs. Qualitäten, die der SED-Staat eben nicht in sein politisches System zwingen konnte. 49 Hans-Christian Maaß Dass sie ausgerechnet in dieser emotionalen Schlüsselsportart nicht geschafft haben, das kann ich einfach nur dadurch erklären, dass Fußball eben doch etwas mit Freiheit zu tun hat, mit Individualität, ja, mit Explosivität, mit, mit Kreativität, und das sind alles Eigenschaften, die in einer totalitären Gesellschaft unterdrückt werden. 1