COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Nachspiel, 6.2.2011 "GARMISCH VOR DER SKI-WM - PROBELAUF FÜR OLYMPIA ?" Autor: Michael Watzke Redakteur: Jörg Degenhardt MANUSKRIPT: ATMO SIRENE Einmal im Monat, Samstagmittags um 12 Uhr, heult in Garmisch-Partenkirchen die Sirene des Katastrophenschutzes. Sie steht gleich neben der großen Skisprungschanze am Gudiberg. Das Echo hallt minutenlang nach, es prallt von der Zugspitzwand zum Kreuzeck und zurück, als suche es verzweifelt einen Ausweg aus dem engen Werdenfelser Talkessel. Die Sirene, scherzt Rechtsanwältin Elisabeth Koch, sei die letzte Stimme, die noch alle 26.000 Einwohner der heillos zerstrittenen Marktgemeinde erreicht. TAKE 1 (ELISABETH KOCH) "Schauen Sie, wenn ich in meinem Büro sitze, habe ich das Glück, dass ich das ganze Wettersteingebirge sehe. Diese Berge prägen unseren Charakter. Absolut. Das heißt nicht, je enger das Tal, desto beschränkter der Horizont seiner Bewohner. Sondern dass diese Berge dazu führen, dass wir ein ganz, ganz tiefes Heimatbewusstsein hier haben. Wir haben eine ganz große Liebe zu unserer Umgebung. Gerade wenn Sie sehen, wie schön es hier ist, achten Sie besonders drauf. Wenn ich auf dem platten Land lebe und nicht jeden Tag dieses Felsmassiv vor mir habe, das sich mit jedem Licht, jeder Witterung verändert, dann kann ich das vielleicht gar nicht so verstehen." TAKE JODEL-LIED 1 Die Touristen vom platten Land stehen an der Talstation der Kreuzeck-Bahn und schütteln ihre Skihelme. Was da nur los ist am Fuße der Zugspitze? Warum zankt sich Garmisch- Partenkirchen so heftig? Warum droht der giftige Streit um Olympia 2018 sogar die Ski-WM zu trüben? Die Gäste aus Hannover und Berlin sehen die Schuld bei jenen Garmischer Grundstücksbesitzern, die ihr Land nicht hergeben. ATMO BERGBAHN TAKE 3 (UMFRAGE TOURISTEN) "Ist leider so in unserer Zeit. Alles hat seinen Preis. Ich glaube, dass die Debatte nur geführt worden ist, um die Preise nach oben zu treiben. / Ich weiß nicht, warum man sich gegen Olympia sperrt, es kann doch für den ganzen Landkreis nichts Besseres geben. Meine Meinung. / Für mich ist das auch nur eine Geldfrage. / In dem Moment, wo die Gemeinde die Grundstücke zu Baugrund erheben würde, sind die binnen eines halben Jahres verkauft. Trotz Landschaftsschutz und all dem dummen Geschwafel." Hinter den Skifahrern, am Steilhang des Kreuzjochs, schlängelt sich durch den verschneiten Bergwald die Kandahar. Eine der legendärsten und gefährlichsten Abfahrtspisten der Alpen. Schon zwei Rennfahrer haben hier ihr Leben gelassen. Zuletzt, vor 17 Jahren, die Österreicherin Ulrike Maier: TAKE (UNFALL ULRIKE MAIER) "Damen-Abfahrtslauf Garmisch-Partenkirchen 1994. Mit 105 Stundenkilometern rast die zweimalige Ski-Weltmeisterin Uli Maier in den Tod. Noch vor dem Rennen hat sie gewarnt, die Strecke sei zu gefährlich. / Uli Maier, sie kommen von der Besichtigung zurück. Wie präsentiert sich diese Strecke heute? / Sehr, sehr glatt, da muss man noch was tun, sonst ist's zu gefährlich. / Die Strecke blieb eisig. Der Damen-Weltcup beklagt seine erste Tote. Die Organisatoren weisen jede Schuld von sich. Im Ziel wartet Ihr größter Fan: Töchterchen Melanie. Vergebens." Die Kandahar 2011. Mit neuem Streckenverlauf und dreifach eingezäunt von roten Fangnetzen und meterdicken Polsterwänden. Geblieben ist der Name. Benannt nach einer Stadt im Süden Afghanistans. TAKE ERKLÄRUNG KANDAHAR "Kandahar 1880: der englische Feldmarschall Frederick Sleigh Roberts gewinnt in der südafghanischen Steppe eine entscheidende Feldschlacht. Queen Victoria verleiht ihm den Ehrentitel "Graf von Kandahar". Weil Sleigh Roberts begeisterter Skirennfahrer ist, einer der ersten Europas, gründet er den Kandahar Ski Club. Vier Abfahrtspisten in den Alpen erhalten den Beinamen "Kandahar". Die berühmteste ist die in Garmisch. Wenn Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan die Taliban-Hochburg Kandahar beschreiben, sprechen sie vom "Tor zur Hölle". Genauso heißt heute der gefährlichste Streckenabschnitt der Kandahar-Skipiste." Das "Höllentor". Der gefährlichste, aber nicht der spektakulärste Streckenteil. Der liegt im unteren Abschnitt der Kandahar. Die Zuschauer im Zielschuss können ihn von der Tribüne aus sehen. Es ist ein senkrechter Abhang, dessen Name alles verrät: ATMO SKIFAHRER TAKE 4 (UMFRAGE SKIFAHRER) "Das da oben ist der Freie Fall. Ich bin da noch nicht runtergefahren, ist mir zu steil. / Also ich bin Hobbyskifahrerin, keine Abfahrtsrennläuferin. Ich fahr das nicht von oben bis unten durch, das kann ich nicht. / Da darf man nicht denken, das ist einfach nur wow. / Ich krieg erstmal Angst. Wenn Du denkst, haste schon verloren." TAKE JODEL-LIED 1 Nicht weit von der Kandahar entfernt springt Peter Fischer aus seinem Sessel wie ein Skirennläufer aus seinem Starthäuschen. Der Organisator der Ski-WM stellt sich vor ein riesiges Plakat. Es zeigt einen Abfahrer, der sich ins Tal stürzt. Senkrecht. TAKE 5 (PETER FISCHER) "Das ist der Freie Fall. Das ist eine Aufnahme, die wir letztes Jahr gemacht haben, als der Freie Fall eingeweiht worden ist. Das ist die Ausfahrt Freier Fall, wo es dann direkt unten ins Ziel geht. Das steilste Stück im Weltcup-Zirkus. 92 Prozent Gefälle. Ist natürlich schon eine Mords-Herausforderung für den Läufer, vor allem am Schluss der Strecke." Eine Mords-Herausforderung, sagt Peter Fischer. Vor zwei Wochen in Kitzbühel stürzte Skirennfahrer Hansi Grugger fast zu Tode, an einer ähnlich steilen Stelle. Zwei Reporter des österreichischen Fernsehens kommentieren Gruggers dramatischen Absturz aus zehn Metern Höhe: TAKE (STURZ HANSI GRUGGER) "Oh weh. Oh Gott. Oh nein, der hat das Bewusstsein verloren. Oh Himmel." TAKE 6 (PETER FISCHER) "Die Kandahar ist anders als Kitzbühel. Kitzbühel ist teilweise Höchstgeschwindigkeit. Wir haben eine anspruchsvolle Strecke, auf der sich der Läufer sicherlich nicht ausruhen kann, von oben bis unten, das ist richtig. Aber wir haben nicht solche Schnellpassagen. Unsere Strecke ist anspruchsvoll. Es wird nur der kompakteste Fahrer gewinnen." Das könnte bei den Damen am Ende Maria Riesch sein. Die vielseitigste Fahrerin im Skirennzirkus und Weltcup-Führende. Das Duell Maria Riesch gegen die Amerikanerin Lindsay Vonn elektrisiert die Garmisch-Partenkirchener seit Monaten. Denn Riesch ist ein Kind des Ortes. Sie ist in der Wildenauer Straße in Partenkirchen aufgewachsen. Wolfi Hostmann, Präsident des Maria-Riesch-Fanclubs, deutet auf die atemberaubende steil Slalompiste, die geradezu in den Himmel ragt. Direkt vor Rieschs Elternhaus. TAKE 7 (WOLFI HOSTMANN) "Da oben schauen Sie zum Start hoch. Und da geht's los. In den steilen Gudiberg. Den umgebauten Gudiberg, mit neuer Liftanlage, da ist wirklich viel passiert. Puh, hoffentlich haben wir Glück. Ich krieg ne Gänsehaut bei dem Gedanken." Hostmann tritt ins Clublokal "Leiner's Bistro", der Fanclub-Basis. Vorbei an Regalen mit Maria-Riesch-Mützen, Schals, Kaffeetassen. Und einem großen Bildschirm. ATMO LEINER'S BISTRO TAKE 10 (WOLFI HOSTMANN) "Im Clublokal ist immer Public Viewing, auf neudeutsch, wenn die Mädels fahren. Und da ist immer der Teil des Fanclubs vertreten, der nicht vor Ort vertreten ist. Aber wir sind fast bei jedem Rennen in Europa live dabei." Auf den Schaufenstern der Kneipe grinst eine zwei Meter große Maria Riesch aus Klebefolie. Ich Lachen ist draufgängerisch. Daneben Susanne Riesch, Marias jüngere Schwester, ebenfalls Skirennläuferin. Sie grinst ein bisschen schüchterner Richtung Gudiberg. Die echte Susanne lächelt noch verhaltener. Sie hat gerade Trainingspause und schaut der älteren Schwester Maria im Fernsehen beim Abfahrtsrennen zu. Sie gönnt Maria den Erfolg, sagt sie. ATMO LEINER'S BISTRO TAKE 8 (SUSANNE RIESCH) "Man sieht's ja auch schon an der Zahl der Fanclub-Mitglieder von der Maria, wie viel sind's? Fast 700! Die sind natürlich verstreut auf ganz Deutschland, kommen aber doch häufig am Wochenende hierher, wenn sie nicht zum Weltcup reisen können. Und feuern halt die Maria an. Man könnte auch gemütlich zu Hause sitzen bleiben, aber nein, die Leute kommen hierher und wollen untereinander sein. Das macht schon stolz." Susanne Riesch fährt derzeit der Weltspitze hinterher. Sie spürt den Druck, den diese Ski-WM aufbaut. Eine WM nicht nur im eigenen Land, nicht nur im eigenen Dorf, sondern vor der Haustür, vor den Nachbarn. Die wollen Medaillen sehen. Susanne Riesch weiß, dass die Leistungen der Lokalmatadoren viel Einfluss auf die Stimmung bei der WM haben. Dass die Garmischer von Natur aus nicht gerade überschwänglich sind, ist sogar dem Kabarettisten Josef Hader aufgefallen: TAKE (JOSEF HADER) "Es gibt Kulturen ohne Applaus, da ist Applaus unüblich, fast schon tabuisiert. Ich war vor Jahren in Garmisch-Partenkirchen... [Lachen]." Werden die Garmischer bei dieser Ski-WM über ihren Schatten springen? Viel hängt von den Riesch-Schwestern ab und von Felix Neureuther, dem Sohn von Rosi Mittermaier und Christian Neureuther. Auch er ein einheimischer Partenkirchner. Der allerdings nur selten zuhause sein kann. Selbst seine Mutter Rosi verbringt wegen der Olympia-Bewerbung immer mehr Zeit in München. TAKE (ROSI MITTERMAIER) "Es ist ja ganz nah. Es sind ja nur dreißig Minuten Fahrzeit, von Autobahnende bis Anfang. Also ist uns München sehr, sehr nah. Wir sind oft in München." Manche in Partenkirchen nehmen Rosi Mittermaier das übel. Diese Nähe zu München. Münchner gelten im Werdenfelser Land schnell als arrogante Schnösel. Das Paradebeispiel ist Willy Bogner, der Mode- und Filmproduzent, der auch mal Chef der Olympia- Bewerbergesellschaft war. Bis er zurückgetreten wurde. Wer sich als Münchner in Garmischer Angelegenheiten einmischt, muss sich warm anziehen. TAKE (ELISABETH KOCH) "Wie kommt ein Herr Rummenigge eigentlich dazu, unsere Befindlichkeiten zu beurteilen? Wie kommt ein Oberbürgermeister von München dazu? Dessen vordringlichste Aufgabe es ist, Olympia für seine Stadt zu sichern? Mitglieder des Juniorpartners von oben herab zu diffamieren - wie kommt dieser Mann dazu? Elisabeth Koch, CSU-Gemeinderätin, kann sich über viele Münchner Funktionäre echauffieren. Uli Hoeness etwa sollte Vorsicht walten lassen, wenn er in Garmisch zufälligerweise auf Elisabeth Koch treffen sollte. TAKE JODEL-LIED 2 Wolfi Hostmann vom Maria-Riesch-Fanclub setzt sich eine blaue Strickmütze auf. Er hat Fanartikel für 6000 Euro produzieren lassen - allein schon deshalb muss die Ski-WM ein Erfolg werden. Hostmann glaubt, dass eine gelungene Weltmeisterschaft mit ausgelassener Stimmung ein Zeichen für die Olympia-Bewerbung setzt: TAKE 9 (WOLFI HOSTMANN) "Der Ort profitiert, finde ich, schon davon. Wir nennen uns heute immer noch Olympia-Ort. Obwohl das 1936 war. Die letzten Ski-Weltmeisterschaften waren 1978. Alles lange her. Wird Zeit, dass mal wieder was passiert. / Es gibt schon ein paar Stimmen, die dagegen sprechen, leider, aus Garmisch. Das ist traurig, aber ich glaube, die Marktgemeinde tut jetzt alles, um diese bösen Zungen, sag ich jetzt mal, die sich noch dagegen wehren, umzustimmen. Und dann wird das auf jeden Fall eine gute Bewerbung." Mit den "bösen Zungen" meint Susanne Riesch jene Bürger, die sich bei NOlympia engagieren. Dem Verein gegen die Olympischen Spiele 2018 in München und Garmisch- Partenkirchen. Menschen wie Axel Döring. TAKE 11 (AXEL DÖRING) "Kommen Sie doch mal mit bitte auf den Balkon, dann zeig ich Ihnen was." Axel Döring ist Vorsitzender des örtlichen Vereins "Bund Naturschutz". TAKE 11 (AXEL DÖRING) "Da sehen Sie jetzt die Schneekanonen. Wir haben ja heute echt schönes Wetter, aber was die für Luftfeuchtigkeit in die Luft bringen! Und was auch ist: wir sind ja hier mitten im Ort, aber man hört das mit 43 Dezibel in der Nacht. Die heulen wirklich deutlich. Häufig ist es so, dass man entlang der Berge eine richtige Nebelbank sieht. Das heißt, die Luftfeuchtigkeit der Schneekanonen bringt wahnsinnig viel Nebel." Axel Döring hat Unterschriften gegen Olympia gesammelt. Zehntausende Werdenfelser haben mitgemacht, sagt er und präsentiert einen dicken Stapel unterschriebener Erklärungen. Die Unterschriften hätten locker ausgereicht, ein Bürgerbegehren gegen Olympia zu beantragen. Doch das hat sich Döring bisher nicht getraut: TAKE 13 (AXEL DÖRING) "Ein Bürgerbegehren hat den großen Nachteil, dass von Anfang an die Bewerbergesellschaft und die Gemeinde Verträge abgeschlossen haben, teilweise so richtige Ringelpitz-Verträge, wo man sich untereinander alles garantiert hat, die dann gelten. Du darfst mit einem Bürgerbegehren nicht zum Vertragsbruch aufrufen." Gäbe es heute einen Bürgerentscheid, würden die Olympia-Befürworter knapp gewinnen, sagen Umfragen. Die Ski-WM wird die Olympia-Begeisterung voraussichtlich noch steigern. Olympia-Gegner wirken im kollektiven Jubel schnell wie Spielverderber. TAKE 26 (AXEL DÖRING) "Mir ist schon klar, dass herrliches Wetter und viele Medaillen nicht unbedingt Wasser auf den Mühlen der Olympia-Gegner sind. Aber das ist auch nur die eine Seite dieser Bühne. Die hat auch eine Rückseite. Auf der stehen zum Beispiel die Grundeigentümer, stehen viele Menschen in Garmisch-Partenkirchen, die die Ski-WM absolut befürwortet haben." Döring war anfangs auch nicht gegen die Ski-WM. Er hatte bei der Vorbereitung der Weltmeisterschaften sogar kooperiert, weil er möglichst viel Umweltschutz durchsetzen wollte. TAKE 12 (AXEL DÖRING) "Wir haben wirklich gedacht, wir könnten einigermaßen mitgestalten. Schlimmes verhüten. Und in dem Moment, als die den Zuschlag hatten, hat's geheißen, ganz kurz drauf: Ja, wir brauchen doch zwei Abfahrten. Und das hat natürlich für spätere Bewerbungen, wie jetzt Olympia, unsere Haltung ganz stark beeinflusst. Weil: zweimal lassen wir uns nicht aufs Kreuz legen." Für die Ski-WM kündigt Döring moderate Protestaktionen an. Die NOlympia-Aktivisten würden nicht miesepetrig am Rande der Piste demonstrieren, sagt er. Man arbeite an alternativen, zündenden Ideen. Im nahegelegen Murnau rüstet sich die Polizei schon gegen Ausschreitungen. Doch Döring beteuert, man werde gewaltfrei agieren. Wichtiger als die Ski- WM sei ohnehin der Besuch des IOC Ende Februar. Wenn die sogenannte Evaluierungskommission vor Ort das Bidbook überprüft, also die 400seitige Bewerbungsmappe aus München. TAKE 14 (AXEL DÖRING) "Wir werden von der Evaluierungskommission des IOC fordern, dass sie uns anhört. Und ich geh davon aus, dass sie das tut, wenn sie das Interesse hat, tatsächlich den Inhalt und die Wahrheit des Bid Books zu evaluieren." Bisher hat das IOC weder den Umweltschützern noch den Grundbesitzern ein Gespräch angeboten. Die Olympia-Bewerbergesellschaft dagegen bereitet sich schon seit Wochen auf ihr entscheidendes Treffen mit der Evaluierungskommission vor. ATMO FOTOSESSION Fototermin mit Katharina Witt. Eine Blaskapelle spielt, der Himmel leuchtet blau, Kati Witt lächelt. Die Eiskunstlauf-Olympiasiegerin aus Sachsen ist mehr als das hübsche Gesicht der Münchner Bewerbung. Vor Ort in Garmisch-Partenkirchen bereitet sie sich darauf vor, jede heikle Frage zum Bidbook genau zu beantworten. TAKE 15 (KATI WITT) "Und dann kommt ja Ende Februar, Anfang März die evaluation commission, die ja dann all das aufgreifen wird, was im bid book beschrieben ist. Die zu allen Themenkomplexen Fragen stellen wird, alles prüft, die Strecken abfährt. Ob das auch wirklich so ist, wie wir das im bid book versprechen." Noch ist nicht alles so, wie es das Bid Book verspricht. Für mindestens zwei zentrale Sportstätten fehlen den Bewerbern bisher gültige Grundstücksverträge. Für die Zieleinfahrt der Kandahar-Abfahrtspiste und die Snowboard-Halfpipe. Sechs Unterschriften, sagt ein Insider, brauchen die Bewerber noch. Vier davon könne man mit etwas Aufwand ersetzen, die zwei anderen nicht. Kati Witt hat gelernt, über solche Einwände lächelnd hinweg zu gehen. Aber diesmal, kurz vor der Ski-WM, wird es selbst ihr zu viel. TAKE 16 (KATI WITT) "Jetzt habe ich ein bisschen ihre Frage verloren. Das irritiert mich jetzt total, weil die Mikrofone direkt vor den Augen sind irgendwie. Und jetzt auch noch Fotos machen - das ist ein bisschen viel!" Kati Witt wirkt dünnhäutig in Garmisch. Bei den Oberbayern ist sie längst nicht so beliebt wie im Rest Deutschlands. Witt ist aus dem Osten, viele Einheimische belächeln sie. Auch die Kabarettistin Monika Gruber. TAKE 27 (MONIKA GRUBER) "Diese Ossi-Pritschn. Kufen-Kathie. [Lachen.] Wie sollst Du dieses sozialistische Monument auf Kurs bringen? Freilich, Kati, oide Eislauf-Mutti, weilst a so a scheens D-Körbchen host, derfst die Landschaft übern Haufen schieben und ein olympisches Dorf bauen, das mir danach wieder abreißen, wenn die ganze Doping-Bagage weg ist." TAKE 27 (KATI WITT) "Der Sport ist natürlich ein weites Feld. Und dann muss man natürlich irgendwann versuchen, das Gespräch in unsere Richtung zu lenken. Das erfordert schon manchmal Diplomatie. Man kann ja nicht mit der Tür ins Haus fallen. Man merkt aber schon, dass Interesse da ist und dass auch direkte Fragen gestellt werden. Aber man muss sich natürlich den Fragen stellen." TAKE JODEL-LIED 3 Wenn es ganz dumm gelaufen wäre, dann hätte der Garmisch-Partenkirchner Bürgermeister die Ski-WM 2011 vor vier Wochen absagen müssen. Denn vor vier Wochen hatte die Marktgemeinde noch nicht alle erforderlichen Grundstücks-Verträge für die Ski-WM. Vor allem fehlte ein fußballplatzgroßes Flurstück im Zieleinlauf der Kandahar-Abfahrt. Eigentümer Max Buchwieser, ein Garmischer Nebenerwerbsbauer, hatte sich lange gesträubt, den Veranstaltern dieses Grundstück zu überlassen. Dabei ist Buchwieser ein begeisterter Skifahrer - er war sogar mal Vize-Präsident des Skiclubs. Aber Buchwieser sollte einen Grundstücks-Vertrag für Ski-WM und Olympia unterzeichnen. Er weigerte sich. Erst als der Garmischer Bürgermeister die Verträge trennte, stimmte Buchwieser der Ski-WM auf seinem Grundstück zu. Er und seine Mitstreiter wollen nur Olympia verhindern, sagt ihr Münchner Anwalt Ludwig Seitz: TAKE 17 (LUDWIG SEITZ) "Wir, also meine Mandanten, sind nicht das Fähnchen im Wind. Wir verhalten uns ganz konsequent. Ich muss noch mal sagen: das ist wohlüberlegt, und die Entscheidung ist fest gegründet. Es gibt da keine Alternative. Die Eigentümer, meine Mandanten, haben ja fast alle diese Grundstücke schon seit Jahrhunderten im Familienbesitz, das ist größtenteils bäuerlicher Familiensitz, der wird von einer Generation auf die nächste übergeben und vererbt. Und dieses Erbe wollen die Eigentümer bewahren." In Garmisch-Partenkirchen lebt kein Bauer mehr ausschließlich von der Landwirtschaft. Beim Streit um die Grundstücke für Olympia geht es also nicht um die materielle Existenzgrundlage. Am Fuße der Zugspitze leben zwei Arten von Nebenerwerbsbauern, die gegen Olympia sind. Zum einen die eher grün eingestellten Landwirte, für die Umwelt- und Heimatschutz an erster Stelle steht. Veronika Bartl zum Beispiel: TAKE VERONIKA BARTL Und dann gibt es Bauern wie Ignaz Streitel, der im Trachtenverein den Spitznamen "Hafner Nazi" trägt. Auch für Streitel ist der Schutz der Heimat wichtig. Aber es kommt noch etwas hinzu - und das merkt man erst, wenn man lange mit dem 80jährigen Landwirt telefoniert. Es ist eine seelische Verletzung. Streitel will keine Olympischen Spiele... TAKE IGNAZ STREITEL Auch Max Buchwieser ist CSU-Mitglied. Der Eigentümer des alles entscheidenden Grundstücks an der Kandahar. Ohne ihn gibt es kein Olympia in Garmisch. Es sei denn, er knickt ein. Aus welchen Gründen auch immer. Oder die Staatsregierung enteignet ihn. Aber das hat Bayerns CSU-Staatskanzleichef Siegfried Schneider mehrfach ausgeschlossen: TAKE 18 (SIEGFRIED SCHNEIDER) "Wir sagen zu, dass wir keinen einzigen Landwirt, der nicht sein Grundstück hergeben will, dazu zwingen werden oder versuchen, ihn zu überzeugen. Es geht darum, dass wir die Menschen mitnehmen und nicht über die Köpfe entscheiden." Andererseits erfährt man aus dem Umfeld der Staatskanzlei, die bayerische Staatsregierung wolle das Olympiagesetz ergänzen. Um einen Enteignungs-Artikel. Bisher regelt Artikel 25 des Bayrischen Landschaftsschutzgesetzes, wann Enteignungen zulässig sind. Für kommerzielle Veranstaltungen auf Zeit - wie etwa Olympia - sieht die Rechtslage eher düster aus. Das könnte der Gesetzgeber aber ändern. Thomas Schmid, der Bürgermeister von Garmisch-Partenkirchen, hat bereits mit Enteignung gedroht - und diese Drohung trickreich mit dem Breitensport begründet. TAKE 19 (THOMAS SCHMID) "Das war ein Sicherheitsproblem, weil sie auf der Kandahar 3,6 Kilometer präparierte Piste haben, und dann kommen sie plötzlich als touristischer Skifahrer in den Tiefschnee, das ist wirklich ein Gefährdungspotential, da mussten wir reagieren. Und dann haben wir mehr oder weniger mit einem Einweisungsverfahren gedroht. Wir sind uns dann auch rechtzeitig einig geworden. Aber da stand weder Olympia noch die WM, sondern unsere Verpflichtungen im touristischen Breitensport im Vordergrund. Das ist jetzt geregelt, deshalb gehe ich davon aus, dass das Thema auch für Olympia keines ist." Aber wie soll das gehen? Wenn der eine nicht verhandeln und der andere nicht enteignen will? Die Situation, sagt ein Insider, erinnere an das Spiel "Beamten-Mikado": wer sich zuerst bewegt, hat verloren. TAKE JODEL-LIED 3 Aus Kreisen der CSU heißt es, man sei sich sicher, Max Buchwieser noch zu überzeugen. Der sei schließlich CSU-Mitglied. Manche munkeln, man müsse dem Buchwieser-Max nur weit genug entgegenkommen. Buchwiesers Sohn werde bald heiraten und wolle die Garage des Elternhauses umbauen, um sie als Wohnraum zu nutzen. Dummerweise steht das Haus in einem Landschaftsschutzgebiet. Aber wenn Buchwieser die erforderlichen Baugenehmigungen bekomme, dann sei auch die Olympia-Bewerbung unter Dach und Fach. Anwalt Ludwig Seitz weist das vehement zurück: TAKE 20 (LUDWIG SEITZ) "Wer diese verleumderischen Behauptungen in die Welt setzt, bekommt von uns die Aufforderung, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Denn das entspricht schlicht nicht den Tatsachen. Es ist grob ehrenrührig. Und ich möchte noch mal betonen, dass unser Mandant Buchwieser in einer völlig unverantwortlichen Weise durch den Bürgermeister des Marktes Garmisch-Partenkirchen an den Pranger gestellt wurde." Verleumdung, ehrenrührig, strafbewehrt. Schwere Geschütze. Anwalt Ludwig Seitz war in den 80er Jahren Sprecher des früheren CSU-Innenministers Gerold Tandler. Eine politische Karriere gelang ihm damals nicht. Mancher spekuliert, Seitz wolle nun alte Rechnungen begleichen. Doch der lächelt milde, wenn man ihn auf die Gerüchte anspricht. Seitz hat einen Brief an das IOC geschrieben - mit der Bitte um einen Gesprächstermin, wenn die Evaluierungs-Kommission nach Garmisch kommt. TAKE 21 (LUDWIG SEITZ) "Wir wollen verhindern, dass dem IOC hier ein Potemkinsches Dorf gezeigt wird. Dass die Fakten verschwiegen werden. Mit anderen Worten: die Funktionsfähigkeit sämtlicher drei Sportstätten in Garmisch ist nicht gewährleistet. Das haben wir auch nachgewiesen. Das wird bislang abgestritten, wahrheitswidrig. Und wir werden den Weg suchen zum IOC, um diesen Standpunkt noch mal untermauern zu können." Das IOC hat nicht geantwortet. Die Herren der Ringe mauern. Denen ist es vollkommen wurscht, sagt ein Kenner des IOC, wie die Grundstücke beschafft werden. Hauptsache sie werden beschafft. Wie sonst hätte es Winterspiele im russischen Sotschi geben können? Elisabeth Koch, die CSU-Fraktionschefin im Garmisch-Partenkirchener Gemeinderat, behauptet sogar: TAKE 22 (ELISABETH KOCH) "Es wird nirgends so viel gelogen wie im bid book. Ich gehe davon aus, dass das jetzt genauso ist. Wenn jetzt das Grundstück z.B. für die Halfpipe nicht zur Verfügung gestellt wird, dann ist das das gute Recht des Grundstücksbesitzers. Einfach sein gutes Recht. Und dann sollen sie halt die Halfpipe nach München bringen. An den Olympiaberg. Da war jetzt erst vor kurzem ein Ski-Weltcup-Parallelslalom. Eine hervorragende Veranstaltung mit einer ungeheuren Präsenz in der Stadt. Warum denn eigentlich nicht?" Elisabeth Koch und Bürgermeister Thomas Schmid tragen in Garmisch-Partenkirchen eine Art Privatfehde aus. Er nennt sie hinter vorgehaltener Hand "Die Prawda". Was sie über ihn sagt, ist nicht zitierfähig. Koch ist in der CSU, Schmid im CSB, einer CSU-Abspaltung. Demnächst hat der Bürgermeister Geburtstag - Koch wird ihm ein Machiavelli-Hörbuch schenken. Dabei waren die beiden noch vor vier Jahren Parteifreunde - bis sie sich hoffnungslos überwarfen. Auch wegen Olympia. Fast alle Grundstückseigentümer, die nun gegen Olympia kämpfen, sind in der CSU. Peter Fischer, der Ski-WM-Organisator, hat manches Mal unter dieser Privatfehde gelitten: TAKE 23 (PETER FISCHER) "Diese Probleme, die da aufgetaucht sind, das waren hausgemachte Probleme. Die man so nicht hätte machen müssen. Das ist es, was mich ärgert. Das andere, dass es bei Großveranstaltung immer mal auf und ab geht, das ist normal. Aber dieser Streit ist größtenteils hausgemacht gewesen." Natürlich ist eine gute Ski-WM ein Aushängeschild für Olympia, sagt Fischer. Aber wichtiger ist ihm, dass die Weltmeisterschaften in Garmisch-Partenkirchen Wunden heilen. Wunden, die die Olympia-Bewerbung geschlagen hat. TAKE 24 (PETER FISCHER) "Die WM ist von allen gewünscht, die wird überall positiv aufgenommen. Wenn wir eine erfolgreiche WM hinbringen - Festspiele im Schnee ist unser Motto - dann könnten diese Risswunden, die es im Vorfeld gegeben hat, die könnte man mit Begeisterung zukitten. Da muss man Glück haben. Da gehören viele Faktoren dazu, die wir nicht beeinflussen können. Aber dann ist die Begeisterung da, und vieles wird zugedeckt, was vorher vielleicht aufgerissen worden ist." Der Garmischer Fischer springt aus seinem Sessel und deutet auf Ga und Pa. Die Maskottchen der Ski-WM. Zwei dicke, grinsende Schneebälle mit bunten Mützen und zerbrechlich dünnen Beinchen: TAKE 25 (PETER FISCHER) "Der eine ist männlich, die andere ist weiblich. Sind Partner, gibt's nie alleine, immer zu zweit. Sie geben sich die Hand. Der Bindestrich zwischen Garmisch und Partenkirchen." Vor ein paar Monaten noch hatten Olympia-Gegner den beiden Maskottchen am Ortseingang Hitler-Bärtchen angemalt. Die wurden aber schnell abrasiert und sind längst vergessen, sagt Fischer. In ein paar Tagen, prophezeit der WM-Organisator, werden die Menschen mit Ga und Pa begeistert durch den Schnee tanzen. Spätestens, wenn Maria Riesch eine Goldmedaille holt. Und die will danach - zusammen mit Katarina Witt - auch noch Olympia holen: TAKE (MARIA RIESCH) Das andere - das ist Garmisch-Partenkirchen, Maria Rieschs Heimat. Einer Gold-Marie ist am Fuße der Zugspitze tatsächlich einiges zuzutrauen. Ende verwendete Musik: "Thumbnails", Interpret : Morcheeba, der 3. Track vom Album "Dive Deep", Komponist: Ross Godfrey. Labelcode: 7800. Erschienen: 2008. 2