Baustelle Landschaftsverbrauch Deutschland wird das 30-Hektar-Ziel verfehlen Von Manuel Waltz [Musik, darüber:] O-Ton Hans-Jörg Vogel Ja, das ist eine kleine Bodensäule, die wurde ausgestochen. Autor Hans-Jörg Vogel betrachtet einen zylindrischen Klumpen, der auf einer Blechschale liegt. Oben auf dem Klumpen wächst Gras, darunter ist Erde. Es ist der Querschnitt ganz normalen Bodens, etwa 20 Zentimeter tief. O-Ton Hans-Jörg Vogel Man sieht es ja schon, wenn man diesen Klotz hier anguckt, dass es unterhalb der Bodenoberfläche einigermaßen heterogen zugeht. Das ist nicht irgendwie eine homogene Masse, sondern da hat es ordentlich viel Struktur drin und diese Struktur ist auch dafür verantwortlich, was Böden alles so für Funktionen erfüllen. Autor Hans-Jörg Vogel ist Professor für Bodenphysik in Halle an der Saale. Er befasst sich mit dem Boden, mit seinen Funktionen und wie er sie erfüllen kann. Denn der Boden muss vieles leisten, auf ihm wachsen Pflanzen wie Getreide, Obst und andere Nahrungsmittel, auch das Futter für die Nutztiere wächst auf der Erde, genauso Bäume und Moose. Außerdem filtert und säubert der Boden das Regenwasser bevor es zu Grundwasser und damit zu unserem Trinkwasser wird und er ist der Lebensraum von unzähligen Lebewesen. O-Ton Hans-Jörg Vogel In diesem Klotz Boden leben mehr Organismen als Menschen auf der Erde, also was die Anzahl angeht. Und der Artenreichtum ist enorm. Also die meisten Arten leben unter der Bodenoberfläche. Autor Boden ist wertvoll, sehr wertvoll, was den Wenigsten bewusst ist. [Musik läuft aus] O-Ton Hans-Jörg Vogel Ein Zentimeter oder ein paar wenige Zentimeter fruchtbarer Boden braucht um die tausend Jahre wenn er sich auf natürlichem Wege entwickeln soll. Und deshalb ist es natürlich auch ein Problem wenn Boden erodiert, wenn er zubetoniert wird, also wenn wir größere Flächen fruchtbaren Boden verlieren, das bildet sich nicht so einfach wieder neu, das dauert unheimlich lange. Musik „moderne Stadt/Baulärm“, darüber: Autor 73 Hektar Land werden jeden Tag in Deutschland zugebaut. Das entspricht etwa 104 Fußballfeldern. Dabei sind 73 Hektar pro Tag schon ein Fortschritt. Vor gut zehn Jahren waren es noch über 120. Damals hat die Bundesregierung das Ziel ausgegeben, den Flächenverbrauch drastisch zu reduzieren. 30 Hektar sollen es im Jahr 2020 sein. Dieses Ziel aber wird Deutschland verfehlen. Zu stark ist der Druck auf freie Flächen: Energiegewinnung, Mobilität, Wohnraum, Nahrungsmittel, Gewerbe und Industrie -alles hängt von der Verfügbarkeit von Flächen ab. [Atmo Wald] O-Ton Nina Schwarz Wir sind hier hochgestiegen, um uns die Stadt ein bisschen von oben anzuschauen, weil wir unten sozusagen den Wald vor lauter Bäumen ja gar nicht sehen können. Autor Nina Schwarz ist einen hohen Turm aus Metall hinaufgestiegen. An der Spitze lehnt sie sich an das Geländer der Aussichtsplattform. Von hier aus kann sie über die Baumkronen hinweg auf Leipzig schauen. O-Ton Nina Schwarz Was wir hier jetzt von oben sehr viel besser sehen können ist, wie groß sich, wie groß eigentlich die Grünfläche ist, in der wir uns befinden. Wir stehen hier im sogenannten Rosenthal, das ist ein Teil des Auwaldes und insgesamt der grünen Lunge der Stadt, die sich vom Nordwesten der Stadt in so einem Halbmond bis in den Süden erstreckt, entlang verschiedener Flüsse, der Pleiße, der Weißen Elster. Autor Nina Schwarz ist Wissenschaftlerin am Leipziger Helmholzzentrum für Umweltforschung kurz UFZ. Sie befasst sich mit dem Stadtklima und damit welchen Einfluss die unterschiedliche Nutzung der Flächen in einer Stadt auf das Klima hat. Der Auwald ist ein großes zusammenhängendes Waldstück, das für die Lebensqualität in Leipzig von enormer Bedeutung ist. O-Ton Nina Schwarz Grüne Lunge bedeutet, dass diese großen Grünflächen, die wir hier sehen und die die meisten großen Städte auch haben, dass diese Grünflächen sehr wichtige Funktionen haben zum einen für das Stadtklima im Sinne von, dass sie kühlere Luft oder die Temperaturen regulieren in der Stadt und zum anderen auch, dass sie eine gewisse Filterfunktion haben für die Luftqualität ,also in dem Sinne, dass sie Schadstoffe aus der Luft filtern. Was man aber hauptsächlich meint mit der grünen Lunge ist die Klimafunktion, das bedeutet, dass die Wälder oder die Grünflächen die Temperaturen in der Stadt etwas nach unten regulieren. Autor Gerade in Zeiten des Klimawandels wird diese Funktion des Waldes in der Stadt immer wichtiger. Früher gab es keine sogenannten tropischen Nächte in Leipzig, mittlerweile werden sie mehrmals jährlich registriert. Fällt nachts die Temperatur nicht unter 20 Grad Celsius, dann sprechen Meteorologen von einer tropischen Nacht. Viele Menschen leiden unter diesen hohen Temperaturen, können nicht schlafen, haben Probleme mit dem Kreislauf. Tropische Nächte treten in Deutschland fast nur in Städten auf. O-Ton Nina Schwarz Da ist zum einen die Bebauung zu nennen, das bedeutet, dass wir Material verbauen in Städten, das Wärme sehr gut tagsüber speichern kann und nachts dann wieder abgibt, was bedeutet, dass die Temperaturen vor allen Dingen nachts in der Stadt höher sind als im Umland. Das kann so Größenordnungen umfassen bis zu zehn Grad und auch teilweise mehr in großen Städten. Zum anderen haben wir in Städten ja Gebäude, das heißt, wir bauen in die Höhe und tagsüber kann sich da dann auch Wärmestrahlung verfangen, was diesen Effekt noch einmal verstärkt, dass wir tagsüber Wärme speichern, die nachts dann besser abgegeben werden kann. Autor Die Wissenschaftlerin deutet in den Südosten - auf die Innenstadt von Leipzig. Das gesamte Gebiet innerhalb des Innenstadtrings ist sehr eng bebaut. Viel Beton. Grün gibt es kaum. Hier können nur Frischluftschneisen für den Zustrom von kühler Luft sorgen. Eine Frischluftschneise ist beispielsweise das breite Elsterflutbecken, das zwischen dem Turm, auf dem Nina Schwarz gerade steht, und der Innenstadt liegt. Das relativ breite Flussbett verläuft in Hauptwindrichtung. Auf dem Wasser gibt es keine Barrieren, so kann der Wind die kühlere Luft aus dem Umland ungehindert in die Stadt transportieren. Auch Bahngleise oder breite Straßen können als Frischluftschneise dienen. O-Ton Nina Schwarz Der dritte Faktor, der das Stadtklima beeinflusst ist, dass wir im Vergleich zum Umland weniger Vegetation, also Pflanzen in der Stadt haben und Pflanzen kühlen ab auf zwei Arten, das eine ist, dass sie über ihre Wurzeln Wasser aus dem Boden aufnehmen und in ihre Blätter transportieren und dort das Wasser verdunsten lassen. Und über diese Verdunstung entsteht Kühle, das heißt, dass Pflanzen durch ihre Verdunstung oder Transpiration die Temperaturen in ihrer unmittelbarsten Umgebung absenken. Der zweite Effekt von Pflanzen, von großen Pflanzen, sprich Bäumen zum Beispiel ist, dass sie auch Schatten spenden, das heißt, dass Sonneneinstrahlung erst gar nicht den Boden erreichen kann und den Boden dort aufwärmen kann, weil die Sonnenstrahlung dann statt dessen die Baumkrone erwärmt. [Atmo läuft aus] Musik „moderne Stadt/Baulärm“ Autor Leipzig wächst, jedes Jahr um weit mehr als zehntausend Menschen. Sie alle brauchen Wohnraum und Infrastruktur wie Straßen, Einkaufsmöglichkeiten, Kindergärten und Schulen für den Nachwuchs, denn es sind vor allem junge Familien die hierher strömen. Dafür braucht die Stadt Flächen. Leipzig wächst erst seit einigen Jahren und hat deshalb innerhalb des Stadtgebiets noch viel Raum zur Verfügung. Außerdem ist die Stadt als solche attraktiv für viele Menschen, sie schätzen das kulturelle Angebot. Zentraler Wohnraum, Infrastruktur und Flair. Damit können nicht alle Gemeinden aufwarten. Sie weisen bisher unbebaute und bewachsene Flächen als Bauland aus, um Gewerbe anzusiedeln oder für das Einfamilienhäuschen im Grünen. So will man für neue Bürger attraktiv sein, sagt Thomas Preuss, der am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin Konzepte zum Flächensparen erarbeitet. O-Ton Thomas Preuss Die Kommunen konkurrieren um Einwohner und auch um Gewerbebetriebe, sie wollen die Ansiedlung von, ja, neuen Familien und Unternehmen erreichen, in dem sie Flächen neu ausweisen. Nicht überall geht diese Rechnung auf. Das heißt, in Regionen, die also erkennbar nicht prosperieren und wo keine Nachfrage nach Flächen besteht, werden im Grunde auch viele neu ausgewiesene Flächen gar nicht besiedelt. Autor Das Absurde: Es sind vor allem die schrumpfenden Gemeinden, die das Gros der zu bebauenden Flächen ausweisen, in der Hoffnung mit billigen Grundstücken neue Unternehmen anzulocken und Arbeitsplätze zu schaffen – um so vielleicht die Abwanderung der jungen Leute zu stoppen. Tatsächlich machen sie damit ihre Lage nur noch schlimmer. Denn neues Bauland zu erschließen kostet viel Geld: O-Ton Thomas Preuss Es ist ganz klar auch ein ökonomisches Problem. Immer wenn wir an den Rändern der Städte neue Flächen ausweisen, dann müssen wir neue Infrastruktur schaffen, wir brauchen technische Infrastruktur, für Wasser, für Abwasser, für die Elektroanbindung und wir brauchen auch neue soziale Infrastruktur. Wir müssen Schulplätze schaffen, Kindergartenplätze und häufig sind diese Entwicklungen an der Peripherie der Städte vollzogen worden. Autor Diesen Teufelskreis will das von der SPD-Politikerin Barbara Hendricks geleitete Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Bau nun durchbrechen. Dort überlegt man, die Kommunen zum sparsamen Umgang mit freier Fläche zu zwingen - mit Hilfe von handelbaren Flächenzertifikaten. Jede Stadt oder Gemeinde bekäme entsprechend ihrer Größe vom Bund Zertifikate zugeteilt. Will sie darüber hinaus neues Bauland ausweisen, muss sie die fehlenden bei anderen Gemeinden zukaufen. Wer die zugeteilte Menge nicht vollständig in Anspruch nimmt, kann die übrigen Zertifikate verkaufen. Für den Bund liegt der Vorteil auf der Hand: Mit der Anzahl an ausgegebenen Zertifikaten kann er genau bestimmen, wie viel freie Fläche jedes Jahr bebaut werden darf. Für Peter Fritsch aus dem Bundesumweltministerium eine verlockende Aussicht. O-Ton Peter Fritsch Der Flächenhandel hat den Charme, dass ähnlich wie beim Wettrüsten, sich alle mal drauf geeinigt haben: Wir halten uns innerhalb des Rahmens. Autor Für die Raumplanung und damit das Flächensparen sind in Deutschland in erster Linie die Bundesländer zuständig. Nordrhein-Westfalen beispielsweise hat sich jüngst ein 5-Hektar Ziel verordnet, Baden-Württemberg will gar keine neuen Flächen mehr verbrauchen. Im Bundesumweltministerium jedoch ist man skeptisch. Vor allem weil manche Bundesländer wie Bayern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, auch die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen keine eigenen Einsparziele formuliert haben. Peter Fritsch: O-Ton Peter Fritsch Und wir haben verstanden, dass beim Flächenverbrauch der Gesellschaft ein bundesweiter Ansatz mit solchen Vorgaben gut tut und jetzt die große Kunst darin besteht, es auf die niedrigste Ebene zu verlagern und ein System zu finden, was von möglichst vielen, am besten allen Beteiligten als gerecht und angemessen empfunden wird. Autor Das wird vermutlich auch nötig sein. Denn es ist noch nicht geklärt, ob die Flächenzertifikate mit dem Grundgesetz und der dort garantierten kommunalen Selbstverwaltung vereinbar sind. Wolfgang Ratzer ist stellvertretender Leiter der Stadtplanung in Esslingen bei Stuttgart. Er bezweifelt, dass ein Bundesgesetz, das seiner Stadt den Einsatz von handelbaren Flächenzertifikaten vorschreibt, vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat. O-Ton Wolfgang Ratzer Wahrscheinlich gar nicht. Eins ist klar, wir haben in dem Planungsrechtsgefüge der Republik Vorgaben für die Kommunen. Die verfassungsrechtlich geschützte kommunale Planungshoheit wird natürlich gelenkt und gesteuert. Ob da jetzt noch ein weiteres Instrument erforderlich ist, da habe ich persönlich meine Zweifel. Autor Um solche Zweifel zu zerstreuen, hat das Umweltbundesamt in einem Planspiel getestet, ob der Flächenhandel funktionieren kann und welche Auswirkungen er hat. Die Auswertung hat laut UBA vor allem positive Ergebnisse gebracht. Man ist zuversichtlich, das Instrument einführen zu können. Ein politischer Wille in der großen Koalition ist derzeit allerdings nicht erkennbar. Für Jutta Kill dagegen läuft die gesamte Diskussion in eine völlig falsche Richtung. Sie arbeitet für die Nichtregierungsorganisation FERN, die sich bei der EU für den Erhalt natürlicher Lebensräume einsetzt. Sie sagt, dass solche Marktinstrumente, die immer stärker im Umweltschutz eingesetzt werden, weniger den Naturverbrauch eindämmen, als vielmehr neue Anlagemöglichkeiten für Investoren darstellen. O-Ton Jutta Kill Natürlich ändert sich auch unser Bild von Natur ganz grundlegend. Wenn wir Natur nur noch in messbaren Einheiten beschreiben, wenn Natur nicht mehr als besonderer Ort an sich gesehen wird, sondern nur noch als eine Fläche, die bestimmten Kriterien entspricht. Autor Sie zweifelt daran, dass das System funktioniert. Auch im Umweltbundesamt hat man bereits eine Schwachstelle ausgemacht. Denn viele Kommunen - vor allem in Ostdeutschland - haben noch riesige, als Bauland ausgewiesene Flächen in ihren Katastern stehen, die heute Wälder oder Wiesen sind. Die Kommunen könnten das Baurecht für diese Flächen zurücknehmen, und damit nur nachvollziehen, was in der Realität bereits Bestand hat. Beim Flächenhandel allerdings erhalten sie dafür sogenannte weiße Zertifikate, die sie dann auf den Markt werfen können. Mit der Folge, so Jutta Kill, dass an anderer Stelle in Deutschland gebaut wird: O-Ton Jutta Kill Wenn ich den Handel erlaube, sei es mit Biodiversität oder mit Fläche und Gutschriften, Zertifikate austeile bis an die Obergrenze, dann bedeutet das, dass mit der Ausgabe dieser Gutschriften ein neues Eigentumsrecht geschaffen wurde, ein neuer Wert geschaffen wurde. Und selbst, wenn ich als Gemeinde nicht vorhatte, die mir zugeschriebene maximale Fläche zu verbauen oder zu verbrauchen, werde ich sie jetzt nicht der Natur überlassen, wie sie war, sondern ich werde mein Recht zu Geld machen. Autor Genau das soll der Handel mit Flächen bewirken - nämlich einen Geldtransfer von den reichen, prosperierenden Städten hin zu den schrumpfenden und finanziell klammen Gemeinden, die ihre ungenutzten Zertifikate auf den Markt werfen könnten. Aber heute schon werden diese Kommunen vom Bund und den Ländern unterstützt - mit der Städtebauförderung beispielsweise. Diese finanziellen Hilfen jedoch werden gelenkt und nach politischen Kriterien vergeben. Der Handel mit Zertifikaten hätte ganz andere Regeln befürchtet Jutta Kill. O-Ton Jutta Kill Und damit sind diese Veränderungen hin zu mehr Handel mit Fläche aus meiner Perspektive Instrumente, die uns genau in die falsche Richtung führen. Autor Beim Flächenhandel geht es darum, wer in der Lage ist, am meisten für die Zertifikate und damit für neues Bauland zu zahlen. Jutta Kill glaubt, dass darüber die Diskussion, wie wir mit den Flächen umgehen, weiter ins Hintertreffen gerät. Musik „Landidyll“ & Sommeratmo [Atmo, ein Auto fährt über eine relativ unebene Piste] Dass der Druck der Märkte Böden erheblichen Schaden zufügen kann, das zeigt sich auch in der Landwirtschaft. Der enorme Kostendruck zwingt die Landwirte dazu, das Maximale aus ihrem Acker herauszuholen, mit fatalen Folgen, wie hier in Brandenburg. O-Ton Martin Szaramowicz Also eine Feuchtwiese oder ein Niedermoor ist ja jetzt natürlicherweise keine Fläche, auf der Sie intensiven Getreideanbau machen können, die müssen Sie ja dafür in gewisser Weise trocken legen. Autor Martin Szaramowicz fährt mit seinem geländegängigen Fahrzeug durch das Havelland südlich von Potsdam. Die Fahrt geht vorbei an unzähligen Äckern, auf denen Mais und andere Getreidesorten angebaut werden. Seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird hier intensive Landwirtschaft betrieben. Vorher war es eine Niedermoorlandschaft, die Havel hat die Gegend immer wieder überflutet. O-Ton Martin Szaramowicz Man kann über Gräben, Pumpwerke, Wehre sehr stark regeln, wie Flächen nass oder nicht nass sind und das wollte man im Interesse der Landwirtschaft eben haben und damit hat man vieles an natürlichen Feuchtgebieten trocken gelegt und das ist eines der haupt-ökologischen Probleme in dieser Region. Autor Martin Szaramowicz arbeitet für die Flächenagentur Brandenburg. Immer wenn jemand in Brandenburg eine Fläche versiegelt, mit einem neuen Carport im Garten beispielsweise oder einem neuen Supermarkt mit großem Parkplatz auf der grünen Wiese, immer dann muss der Bauherr einen Ausgleich für diese versiegelten Flächen schaffen. Die Flächenagentur tritt als Dienstleisterin auf. Investoren zahlen ihr Geld damit sie sich um die geforderten Ausgleichsflächen kümmert. So wie hier: Diese Äcker auf ehemaligen Moorlandschaften sind kaputt und stehen kurz vor dem Kollaps. O-Ton Martin Szaramowicz Diese Moorböden sind schon seit vielen Jahren eigentlich zu trocken. Der Torf zerfällt, der zerfallende Torf setzt jede Menge CO2 frei, das ist ein Problem, was erst in den letzten zehn, zwanzig Jahren so richtig ins Bewusstsein gerückt ist. Torf ist ja so ein, mehr oder weniger wie ein Schwamm, der ein hohes Vermögen besitzt Wasser wieder aufzunehmen und frei zu setzen, diese kaputten Niedermoorböden werden dann an ihrem Grund mehr oder weniger wasserundurchlässig, was dann nachher auch für die Nutzung zu großen Problemen führt, weil dann, wenn es zum Beispiel im Frühjahr regnet, stark regnet, das Wasser auf diesen Flächen nicht mehr abläuft, auf diesen undurchdringlichen, geschädigten Niedermoorböden läuft kein Wasser mehr ab. Autor Martin Szaramowicz ist an einer großen hoch bewachsenen Wiese angekommen. Dieser ehemalige Acker wird nicht mehr intensiv genutzt. Er wird selten gemäht und nicht mehr entwässert, das Feld steht viele Tage des Jahres im Wasser. Szaramowicz und seine Kollegen versuchen hier Natur wieder herzustellen, als Ausgleich für zerstörte Natur an einer anderen Stelle. (Atmo anhalten und Türen öffnen, aussteigen, Laufen im Gras] Autor Ein Moor wieder herzustellen dauert zwar Jahrhunderte, aber auch in kurzer Zeit gibt es Erfolge zu vermelden: Vögel haben sich bereits wieder angesiedelt – Kiebitze beispielsweise. O-Ton Martin Szaramowicz Und wenn Sie jetzt in diesem ökologischen Denken sind, der verschiedenen Funktionen, dann sagen Sie: Der Supermarktparkplatz, der nimmt ja dem Boden jegliche Funktion. Da war vorher offener Boden, jetzt ist da Beton. Und deswegen ist es zum Beispiel so, dass Sie für einen Quadratmeter Versiegelung von Ihrem Supermarktparkplatz jetzt nicht einen Quadratmeter von dieser Fläche bräuchten, weil da könnte man ja sagen: Zwar wird es ja jetzt hier zwar besser aber bei dem anderen ist ja so viel schlechter geworden, wie soll das denn Kompensation sein? So und dass man dann sagt: So, jetzt braucht man dann eben zwei Quadratmeter. Aber natürlich ist grundsätzlich immer die Frage: Der Verlust von Fläche, dadurch dass man sie wirklich versiegelt ist im Grunde nicht kompensierbar, Fläche ist ja auch nicht vermehrbar. [Atmo auslaufen lassen] Autor Man verrechnet also den einen Eingriff in die Umwelt mit dem anderen und nutzt als Faktor die Schwere dieses Eingriffs. Leidtragende ist allerdings die Landwirtschaft, denn die verliert einerseits Böden an den Supermarkt, der auf der grünen Wiese, meist auf einem ehemaligen Acker gebaut wird. Und sie verliert Böden bei der Kompensation, wenn landwirtschaftliche Flächen renaturiert werden. Die intensive Landwirtschaft führt allerdings auch andernorts, also nicht nur in ehemaligen Mooren dazu, dass die Böden immer weiter verdichten und damit immer schlechter werden, das kritisiert der Bodenphysiker Hans-Jörg Vogel aus Halle. Die immer größeren Traktoren drücken die Erde zusammen und verdichten den Boden unterhalb der Pflugtiefe immer weiter. O-Ton Hans-Jörg Vogel Das heißt die Wurzeln beschränken sich auf die oberen paar Zentimeter oder Dezimeter und haben damit weniger Wurzelraum und weniger Nährstoffe. Deshalb ist eine Reaktion, um dem entgegenzuwirken, einfach mehr düngen. Dann kann man wieder mit schwereren Maschinen drauf und so kommt ein Kreislauf zustande, der dem Boden nicht unbedingt guttut. Weil, der Landwirt kann eventuell seine geringeren Ernten kompensieren durch die höhere Düngung aber die anderen Effekte, die durch die Verdichtung der Böden ausgelöst werden, die werden damit nicht kompensiert. Autor Bauern, so der Wissenschaftler aus Halle, denen die Äcker selbst gehören, achteten eher darauf, dass diese nachhaltig Erträge bringen und nicht weiter Schaden nehmen. Tatsächlich aber nimmt die Zahl der kleinen Höfe mit eigenen Feldern immer weiter ab. Der Trend geht zu großen Agrar-Konzernen, die ihre Ländereien meist pachten. Die, so Hans-Jörg Vogel, hätten weniger ein Interesse daran, die Leistungsfähigkeit des Bodens langfristig zu sichern, sie verfolgten vielmehr kurzfristige Gewinn-Interessen, indem sie mehr Dünger und größere Maschinen einsetzten und die Erde immer weiter verfestigen. O-Ton Hans-Jörg Vogel Und diese Effekte sind, die Wasserleitfähigkeit nimmt ab, das heißt es infiltriert nicht so viel Wasser in die Tiefe, also der Speicher, der Wasserspeicher nimmt ab, das ist eine andere Funktion von Böden, also die letzten Jahre häufig erlebt: Hochwasser durch zu wenig oder unterstützt durch zu wenig porösen Boden, der in der Lage ist, das Wasser zu speichern. Es nimmt der Oberflächenabfluss zu, wenn die Wasserleitfähigkeit kleiner wird. Ne, es regnet stark, das Wasser kann nicht mehr infiltrieren, es läuft oberflächlich weg und gerade die wertvolle obere Bodenschicht wird wegerodiert. Autor Wenn dieser Fall eintritt, dann ist dieser Acker erst einmal nicht mehr zu nutzen und muss aufwändig wieder hergestellt werden, denn die Feldpflanzen benötigen vor allem diese oberen Schichten. Aber dies hat noch einen weiteren fatalen Effekt, darauf weist Christian Korndörfer hin. Er ist der Leiter des Umweltamtes in Dresden. Die Stadt hatte in den vergangenen Jahren mit zwei Jahrhundert-Hochwassern zu kämpfen. O-Ton Christian Korndörfer Und diese Böden, die verhalten sich, als wären sie betoniert. Und dann kommt nicht bloß Wasser, sondern die Feinerde wird mit abgeschwemmt und dann kriegt man Schlammlawinen in Größenordnungen. Autor Auch bei den Überschwemmungen im Frühjahr in Bayern war insbesondere der Schlamm für die Bewohner fatal. Er stammt auch von den Feldern der Umgebung und floss mit dem Hochwasser in die Stadt, in die Häuser und in die Keller und verursachte enorme Schäden. Auch Dresden hatte nach den beiden Jahrhundertfluten riesige Schäden zu beklagen, die in die Milliarden gingen. Danach hat die Stadt viel Geld investiert, um so etwas künftig zu vermeiden. Gerade durch den Klimawandel stößt aber jede Maßnahme an ihre Grenzen, das weiß auch Christian Korndörfer. O-Ton Christian Korndörfer Also was Sie jetzt in Bayern gesehen haben war dieselbe Wettersituation wie 2013 bei uns hier. Die hatten in einer Stunde hundert Millimeter Niederschlag. Also ich kann sagen, meine Gewässer halten hier aus in Größenordnungen 40 Millimeter, maximal 50 Millimeter Niederschlag in einer Stunde. Aber bei hundert Millimeter Niederschlag bricht auch bei uns die Fähigkeit, sage ich mal, das zu bewältigen, zusammen. Autor Die Stadt kann aber dafür sorgen, dass in solchen Katastrophen-Szenarien die Schäden so gering wie möglich ausfallen. O-Ton Christian Korndörfer Da haben wir ein Konzept entwickelt, das heißt kompakte Stadt. Wir wollen also die Siedlungskerne, die wir haben, eher nachverdichten, aber einbetten in ein Netz von Freiräumen in das sogenannte ökologische Netz, das viele Funktionen hat. Unter anderem Wasser zu versickern aber auch, weil - das Gerüst bilden unsere Gewässer - auch dem Wasser Raum zu geben für Überflutungen. Und wir lenken sogar jetzt in bestimmten Kanalabschnitten, wo wir wissen, da kann es Überstau geben, lenken in diese Grünräume dann den Überstau aus der Kanalisation. Autor Dresden hat überbaute Bäche und Flussabschnitte wieder freigelegt, hat neue Grünflächen geschaffen, Brachen aufgekauft und zurückgebaut, um Freiräume für das Wasser zu schaffen. Das kostet viel Geld, das die Stadt angesichts der verheerenden Schäden in den vergangenen Jahren aufbringen musste. Allerdings hat es auch private Bauherren in die Pflicht genommen, um die Maßnahmen umzusetzen. O-Ton Christian Korndörfer Viele Städte wachsen jetzt, die und damit einher geht natürlich auch Bautätigkeit. Und wer baut greift ein in den Naturhaushalt und muss Kompensation leisten und wir behalten diese Kompensationsleistung in der Stadt und nutzen die für solche Zwecke. Die Möglichkeit haben die Kommunen und den Mut müssen sie halt aufbringen. Autor Mut müssen nicht nur die Kommunen aufbringen, denn noch immer ist das gesamte Steuersystem nicht darauf ausgelegt, sparsam mit Flächen umzugehen, im Gegenteil. Die Pendlerpauschale beispielsweise ist nach wie vor ein Anreiz, auf das Land oder an den Stadtrand zu ziehen, da hier das Bauland günstig ist. Thomas Preuss vom Institut für Urbanistik mahnt aber vor allem eine Reform der Grundsteuer an. O-Ton Thomas Preuss Das wäre sicherlich die wirksamste Variante, um die Flächeninanspruchnahme zu reduzieren, indem man wirklich die Grundstückskomponente, also die Größe des Grundstücks im Grund empfindlich besteuert. Autor Derzeit wird der Wert eines Grundstücks samt dem darauf stehenden Haus besteuert, die Größe ist nicht relevant. Würde die Bundesregierung solche steuerlichen Fehlanreize beseitigen, dann wäre das ein wirksamer Schritt in Richtung des 30-Hektar-Ziels, so Preuss. Allerdings traut sich die große Koalition in Berlin nicht an diese Themen heran. Dafür nimmt sie in Kauf, das 30 Hektar Ziel im Jahr 2020 zu verfehlen. O-Ton Thomas Preuss Im jetzigen Grundsteuerniveau ist also die Belastung für den Hauseigentümer eher gering und der Anreiz, ein kleineres Grundstück zu erwerben ist eben auch sehr klein. Autor Pendlerpauschale und niedrige Grundsteuer, daran haben sich die Bürger gewöhnt. Und das zu ändern, ist extrem schwierig. Genauso haben viele nach wie vor das Ziel, einmal im Eigenheim im Grünen zu leben. Solche Gewohnheiten ändern sich nur sehr langsam. Ähnlich schwierig ist es, eine falsche Nutzung von Böden zu ändern. Die ehemaligen Moorböden in Brandenburg gehören heute Landwirten, die wollen sie so einfach nicht aufgeben und wieder der Natur überlassen. [Atmo draußen am Fluss, möglicherweise noch kombiniert mit Vogelgezwitscher] Autor Auch im Auwald, der grünen Lunge von Leipzig, haben die Jahrzehnte intensiver menschlicher Nutzung Fakten geschaffen. Dagmar Hase ist Professorin für Landschaftsbiologie, sie steht auf einem Damm, er trennt die Weiße Elster hinter ihr vom Auwald, auf den sie gerade blickt. O-Ton Dagmar Haase Und diese Auenbäume sind eine ständige Überflutung nicht mehr wirklich gewöhnt. Das heißt also auch unsere Baumartenzusammensetzung hat sich von einer ständig überfluteten und Grundwasser nahen Aue ein bisschen entfernt, deswegen haben wir diesen wunderbaren Hartholz-Auenwald aber da steht eben zum Beispiel relativ viel Ahorn mittlerweile und der verträgt eine Überstauung länger als elf Tage eben nicht. Autor Eigentlich wäre der Auwald ein ideales Überschwemmungsgebiet und könnte die Stadt vor möglichen Hochwassern schützen. Weil der Wald aber so lange Zeit durch den Damm vor Überschwemmungen geschützt war, ist es kein echter Auwald mehr. Auch hier geraten die Ansprüche an die Grünflächen in Konflikt, denn der Wald ist eines der wichtigsten Erholungsgebiete der Stadt. Verschiedene Funktionen, die die Fläche erfüllen kann, konkurrieren miteinander und sind nur bedingt vereinbar. O-Ton Dagmar Haase Und dann muss man auch den Stadtförster verstehen, das Stadtforstamt, wenn die eben sagen, naja, dann können wir die Erholungsfunktion nicht mehr garantieren, die Bäume stürzen uns um, das sind Gefahren. Musik, darüber: Autor Zwischen den einzelnen Funktionen einer Fläche abzuwägen, das ist die Aufgabe der Umweltämter. Sie müssen wie hier im Auwald beispielsweise zwischen Erholungsraum für die Bürger und Hochwasserschutz abwägen. Die größte Aufgabe ist es aber, solche Grünflächen und Freiräume, die erst einmal keinen kommerziellen Nutzen haben, gerade in einer wachsenden Stadt gegen kurzfristige ökonomische Interessen zu schützen. Musik, steht frei bis Titelende. 1