DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 09.09.2008 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr "Lange möge es dauern" Porträt einer landwirtschaftlichen Kooperative Von Gerhard Klas URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - O-Ton Anton Haderlap Vielleicht so eine Brise auf Longo Mai, dreißig Jahre Longo Mai im Lobnik. Was heißt der Name Longo Mai? Der kommt aus dem Provencialischen und heißt: Lange möge es dauern. So mancher Eisenkappler hat das in Erinnerung, als 1977 eine Gruppe von jungen, wild aussehenden Leuten mit einer Herde von hundert dunklen Schafen noch dazu angekommen nach einer dreimonatigen Wanderung über die Alpen, man muss sich vorstellen, wie das ganze ausgesehen hat, zudem haben sie die Durchzugsstraße einmalig in Eisenkappel zum ersten Male blockiert, das war dann schon ein kleiner Aufstand, und bis die dann endlich in den Lobnik, in eines der Täler, abzogen. Ansage "Lange möge es dauern" Porträt einer landwirtschaftlichen Kooperative Ein Feature von Gerhard Klas Erzähler Die Gemeinde Eisenkappel in Kärnten erstreckt sich über 200 km². Achtzig Prozent davon sind Wald. Das bergige Grenzgebiet zu Slowenien ist eine der am dünnsten besiedelten Regionen Europas: In Eisenkappel wohnen heute nur etwas mehr als 2000 Einwohner, ein Drittel weniger als noch vor zehn Jahren. Atmo Bachrauschen Erzähler Die meisten Eisenkappler leben verstreut in langgestreckten Taleinschnitten wie dem Lobnik-Graben. Zwischen Fichten, Tannen, Lerchen und Eschen fließt ein Bach dahin. Es war nicht immer so friedlich hier: Während des Zweiten Weltkriegs wurde wie in vielen Regionen Kärntens gekämpft: Partisanen leisteten der deutschen Wehrmacht und Kollaborateuren des Nazi-Regimes erbitterten Widerstand. Wenn man der schmalen Straße durch den Lobnik-Graben hinauf folgt, steht dort nach vier Kilometern ein Holzschild, das den Weg zum Hof Stopar zeigt. Nach weiteren zwei Minuten Fußweg durch einen Wald mit Nadel- und Laubbäumen erreicht man schließlich in 1000 Metern Höhe eine Lichtung mit alten Hofgebäuden. Seit 1977 arbeiten und leben hier Mitglieder der europäischen Kooperative Longo Mai. Atmo Comedia Mundi Erzähler Der Hof Stopar feiert Geburtstag. Auf dem Hofplatz brennt ein großes Lagerfeuer, in dessen Flammenschein die Bäume lange Schatten auf den Berghang werfen. Es riecht nach brennendem Holz und gegrilltem Fleisch. Auf einem langen Spieß röstet ein Lamm. Die Longo-Mai-Musikgruppe Comedia Mundi spielt auf. Mehr als 200 Gäste feiern mit den Hofbewohnern: Bauern und Bäuerinnen aus der Nachbarschaft, Journalisten aus dem ehemaligen Jugoslawien, Studierende der Agrarwissenschaft aus Wien, Historiker, alternative Radiomacher, Mitglieder des slowenischen Kulturvereins Zarja, zwanzig Jugendliche und junge Erwachsene, die im Laufe der Jahre auf dem Hof geboren und aufgewachsen sind: ehemalige Bewohner und vor allem viele Freundinnen und Freunde aus den anderen europäischen Kooperativen von Longo Mai - in Frankreich, der Schweiz, der Ukraine und Deutschland. Atmo Comedia Mundi/Beifall Erzähler Die Festansprache zum 30-jährigen Bestehen hält Zdravko Haderlap. Er ist zugleich Landwirt und Künstler und lebt in der Nachbarschaft. O-Ton Anton Haderlap Was haben die Einheimischen dann gedacht? [..] Die wenigsten Einheimischen haben sich der Leute hier erbarmt. Aus ganz schillernden Ansichten auch, und zwar: Zum einen sind das Fremde, ja da muss man stutzig sein, die anderen haben gesagt das sind Anarchisten, obwohl man nicht so richtig wusste, was das bedeutet, oder aber Kommunismus schon viel mehr. Andere behaupteten, wie auch die Politik, das hat unbedingt was mit terroristischen Aktivitäten in Deutschland, mit der RAF was zu tun und das ist so ein Ableger hier im Lobnik. Na ja, und dabei kamen die hierher, um sich lediglich die Wiederbelebung der Berge auf ihre eigene Fahne zu heften. Atmo Bienen O-Ton Heike Schiebeck Man braucht eigentlich keine Angst zu haben, es sind sehr ruhige Bienen. Es ist ein lokaler Typ, die Karnika. Es wurde hier früher auf allen Höfen geimkert, und es gibt auch noch jetzt etwa 80 Imker in Bad Eisenkappel. O-Ton Heike Schiebeck Ich heiße Heike Schiebeck, [..] ich kümmere mich hier um die Bienen, einen von den zwei Gärten, die Obstbäume, ja ... Also ich stehe recht früh auf im Sommer, [..] so halb sieben, sieben stehe ich auf, ich putze eine Runde durchs Haus so, räum ein bisschen, dann gehe ich, wenn es noch kühl ist, in den Garten oder zu den Bienen, was halt anfällt. Es ist ziemlich viel Arbeit, den ganzen Hof auch zu pflegen, Gemüse zu ernten, zu konservieren, Obst zu ernten, einzukochen, das sind so die Sommerarbeiten .[..] wir versuchen, auf dem Hof eine weitgehende Selbstversorgung zu haben mit Lebensmitteln so an Obst, Gemüse und Fleisch. [..] Die Arbeiten im Büro sind bei mir im Sommer ziemlich zurückgesteckt, das sag ich auch immer laut und deutlich. Man kann als Bäuerin nicht acht Stunden am Tag im Büro sitzen. Im Winter mach ich viel Büroarbeit, weil es draußen, besonders, wenn also ein Meter Schnee liegt, nicht viel zu tun gibt und meine politischen Aktivitäten versuch ich immer erst so ab Oktober zu legen. Atmo Mittagessen Erzähler Sechs Erwachsene und drei Kinder leben heute auf dem Hof Stopar. Es waren schon einmal mehr. Aber immerhin musste er nicht aufgegeben werden, wie viele andere Höfe in der Region. Mittags und abends wird gemeinsam gegessen, bei gutem Wetter draußen, bei schlechtem in der guten Stube. Fast alles, was hier auf den fünf Meter langen, massiven Holztisch kommt, haben die Hofbewohner selbst angepflanzt, aufgezogen oder im Wald gesammelt - ohne Gentechnik, ohne Kunstdünger oder Pestizide. Atmo Stopar, Vogelzwitschern, Hahn kräht Erzähler Bevor die Leute von Longo Mai hierher kamen, war der Hof Stopar verfallen. Heute stehen hier ein massives zweistöckiges Bauernhaus mit ausgebautem Dachboden, eine große Scheune, ein Gästehaus, Stallungen, eine Werkstatt und ein hölzernes Lagerhaus. Zehn Hektar Wald und sieben Hektar Wiesen und Weiden gehören zum Hof, außerdem 120 Schafe, dazu Schweine, Ziegen, Hühner, Kaninchen, dreißig Bienenvölker, eine große Katzenfamilie, Obst- und Gemüsegärten. Atmo Hofgeräusche Erzähler Das Wasser sprudelt aus einer Bergquelle, die das Leitungssystem des Hofes speist; die Hackschnitzelheizung brennt mit Holzresten aus dem eigenen Wald. Vier PKW und ein Traktor erleichtern die Arbeit und das Leben in der steilen Bergregion. Aus einer gemeinsamen Kasse nehmen sich alle Hofbewohner, was sie für ihren persönlichen Bedarf brauchen: Geld für Kleidung, Bücher und Zigaretten. Nur größere Anschaffungen und Unternehmungen werden besprochen, etwa Reisen, politische Kampagnen oder Fortbildungen. Atmo Traktor O-Ton Robert Kauer Man kann sagen es ist eine Dreibeinwirtschaft, wenn Du so willst. Erzähler Robert Kauer sitzt auf dem Traktor. Er hat gerade Heu eingefahren. Mit 41 Jahren ist er der jüngste Erwachsene auf dem Hof. Er trägt einen Schnauzbart und raucht gerne Selbstgedrehte. Früher war Kauer Theologe und Tontechniker, jetzt wartet er die Maschinen und den Traktor, hütet die Schafe und verwaltet die Finanzen. O-Ton Robert Kauer Das heißt es ist auf der einen Seite die Selbstversorgung und die Direktvermarktung von den Produkten, die wir herstellen. Auf der zweiten Seite haben wir das Gästehaus, wo regelmäßig Leute Urlaub machen und die damit auch zu dem finanziellen Gelingen beitragen und auf der dritten Seite wird sehr viel, was sich jetzt aus dem Hof selber nicht tragen kann - so wie in allen anderen Kooperativen von Longo Mai, aus Spenden finanziert. [..] insgesamt, sagen wir mal so eine Umsatzsumme, die sich dann irgendwie aufdrittelt, ist bei ca. 80 bis 90 Tausend Euro Gesamtumsatzsumme. [..] Musst einmal dann das alles dazurechnen, was wir selber aus unseren Produkten konsumieren. Und gut, Input ist relativ gering, weil wenn Du intelligent wirtschaftest, zum Beispiel die Schafe haben ihr Futter auf der Wiese, beziehungsweise gut, für den Winter da muss man es natürlich als Heu einbringen. Die Bienen, das zweite große landwirtschaftliche Standbein, sind auch quasi Selbstversorger, und wir sind dann die Nutznießer davon. Erzähler Die Spenden kommen überwiegend aus der Schweiz. Damit bezahlt Longo Mai größere Anschaffungen, vor allem aber das politische Engagement der verschiedenen Kooperativen in Europa. Longo Mai unterstützt Migranten, bekämpft Gentechnik, unterhält ein freies Radio, beteiligt sich an Mobilisierungen, zum Beispiel gegen die G8-Gipfel. Die Bewohner des Stopar in Österreich setzen sich besonders für die Rechte der slowenischen Minderheit in Kärnten und die kleinbäuerliche Landwirtschaft ein. Atmo sensen Erzähler Die Wiesen direkt am Hof sind für einen Traktor zu steil. Heike Schiebeck mäht sie ganz traditionell mit einer Sense. Ihren schmalen, zierlichen Händen sieht man die vielen Jahre harter Arbeit an. Sie haben Narben und Schwielen und sind, wie auch ihr Gesicht, von Sonne und Wind gegerbt. Sie trägt feste Schuhe, eine dunkle Jeans und ein grünes T-Shirt der internationalen Bauernbewegung La Via Campesina. In Englisch steht darauf geschrieben: "Bauern ernähren die Welt". 1978 ist Heike Schiebeck zu Longo Mai gestoßen. O-Ton Heike Schiebeck Ich bin dann dort geblieben mit 19 Jahren und bin bis heute noch da. Ja, meine Eltern waren entsetzt, die wollten natürlich, dass ich studieren gehe, dass aus mir was wird, dass ich wenigstens eine Ausbildung mache und das war also gar nicht in ihrem Vorstellungsbereich möglich, dass ich jetzt da Schafe hüten gehe und Ruinen aufbaue. Das war ja alles recht rudimentär, wir haben in verschiedenen Ländern Europas halt leerstehende Höfe übernommen, gekauft, das Geld dafür gesammelt, um so ein Gemeinschaftsleben eben zu realisieren, so wie wir es uns vorstellen. Erzähler 'Land besetzen' sei das Gebot der Stunde, dachten einige Mitglieder in den Anfangsjahren der Kooperative. Die Mehrheit hielt das, jedenfalls in Europa, für wirklichkeitsfremd. Deshalb legte Longo Mai einen "Landfonds" auf, mit dessen Hilfe Grundstücke gekauft wurden. Die Mitglieder von Longo Mai sind dennoch keine Privateigentümer geworden: Bis heute sind alle Ländereien kollektiver Besitz der selbstverwalteten Kooperative. O-Ton Heike Schiebeck Also wir wollten unsere Gesellschaftskritik [..] in der Weise umsetzten, dass wir etwas anderes aufbauen. Wir wollten nicht auf den Tag X warten, wo alles wunderbar sein wird, weil das war uns zu lang. Wir haben gedacht, na ja, wir haben eine begrenzte Lebenszeit, machen wir doch etwas damit. Atmo Musik "Abschiedslied eines europäischen Bergbauern": "Abschiedslied eines europäischen Bergbauern - wo ist mein Hof, mein Berg geblieben, was hat meinen Sohn in die Stadt getrieben?.... O-Ton Kathi Hahn Ich heiße Kathi Hahn, bin 52 Jahre alt, komme aus Wien, der Hauptstadt von Österreich, bin aus einer halbjüdisch, und ganz kommunistischen Familie, was in Österreich nach dem 2. Weltkrieg eine ziemliche Außenseiter-Position war. [..] Ich gehöre zu den Gründern von Longo Mai. [..] Das ist entstanden aus der Nach-68er Bewegung. [..] in Wien, eine etwas ungewöhnliche Achse, nämlich Österreich- Schweiz, die Gründergruppen von Longo Mai kommen aus diesen Ländern. [..] Mitbegründer war ein Franzose, der im Mai 68 in Frankreich aktiv war und dann im deutschsprachigen Raum umgesehen hat, was tut sich unter den Jugendlichen, [..] in Österreich war ja Mai 68 [..] eigentlich nicht sehr bedeutend und etwas eingeschlafen und aus dem ist dann diese Gruppe hervorgegangen, Spartakus. Das war eine sehr gemischte Gruppe, also mit Lehrlingen, Schülern, Studenten, die dann meistens keine Studenten mehr waren, sondern abgebrochen haben, und die sich einmal umgeschaut haben in allen möglichen Sektoren der Gesellschaft und zusammengelebt haben in einer Stadtwohnung, in einer gemeinsamen. Atmo Schweine Erzähler Kathi Hahn füttert morgens und abends die Schweine mit Küchenresten, und sie kümmert sich um das Gästehaus, ein einfaches Holzhaus mit zehn Betten, zwei Toiletten und einer Dusche. O-Ton Kathi Hahn Wenn ich in der Früh die Schweine füttern geh, und nachher geh ich in mein Büro mit Blick auf die Betzen und dreh den Computer auf und organisiere eine Solidaritätskampagne mit einer LandarbeiterInnengewerkschaft in Südspanien, dann empfind ich das, dass ich drei Mal privilegierter bin als irgendein Mensch von irgendeiner NGO, der das von irgendeinem Büro in der Stadt aus machen muss und sich noch Geld aufstellen muss, um überleben zu können. Atmo "Musik aus Longo Mai" Erzähler Kathi Hahn hat lange, dunkle Haare, in denen sich hier und da graue Strähnen zeigen. Von ihrer Vergangenheit erzählt sie gern. Anders als viele aus ihrer Generation will sie sich von ihrer politischen Geschichte nicht verschämt distanzieren. Die Spartakus-Gruppe aus Wien, der sie sich als 15-Jährige anschloss, machte damals mit dem Kampf gegen die Ausbeutung von Lehrlingen und die Heimunterbringung von Jugendlichen von sich reden. Genau wie die Schwesterorganisation Hydra aus der Schweiz, mit der die Spartakus-Gruppe regen Austausch pflegte. "Wie soll es weiter gehen?", fragten sie sich Anfang der 70er Jahre. O-Ton Kathi Hahn Da war eben genau die Überlegung, ja wenn man Widerstand versucht zu organisieren am Arbeitsplatz oder wenn man in einem Betrieb arbeitet oder eben auch aufmüpfiger Lehrling ist, dann ist ja die Situation so, dass man sehr abhängig ist. Und da ist die Diskussion, was kann man in so einer Situation machen. Wenn man abhängig ist, dann ist man sehr leicht unter Druck zu setzen, von was soll man überleben. Und so ist, [..] die Idee von Longo Mai geboren worden. Erzähler Gemeinsam schrieben Spartakus und Hydra Anfang der 70er Jahre den Text "Die Krise - ein Angriff". Bis heute gilt er vielen der 200 Bewohner in den neun europäischen Longo-Mai-Kooperativen als politischer Leitfaden. Atmo sensen Zitatorin Europas nahe Zukunft ist klar: Eine leere Hülse, riesige, moderne Industriezentren, hochqualifizierte Arbeiter und Techniker - belagert von einem Heer ungelernter Arbeitskräfte, umgeben von ausgestorbenen Gebieten ohne eigene Rohstoffe [..] Wie sollen Millionen Menschen ernährt werden?....... Das heißt für die europäische Bevölkerung: Europa wird abhängig von der industriellen Nahrungsmittelproduktion. [..] Erzähler Die damalige Analyse klingt gerade heute bemerkenswert aktuell, angesichts der Probleme industrieller Landwirtschaft und weltweit steigender Lebensmittelpreise. Atmo Hühner gackern, Hahn kräht O-Ton Philippe Midrouillet "Der Hahn ist blöd, böse und blöd. Und wir wollen eine Hahn essen. Regardez, das ist ein Kämpfer. Er ist sehr aggressiv. (Hahn kräht) - und er bleibt eine ganze Nacht in eine Weinsauce und morgen ist für Mittag" Atmo Hühner gackern, Hahn kräht Erzähler Philippe Midrouillet ist unüberhörbar Franzose. Schon 1973 war er zur südfranzösischen Longo-Mai Kooperative in Forcalquier gestoßen. Damals gab es noch das Rotationsprinzip: Alle Mitglieder von Longo Mai mussten irgendwann einmal in allen Kooperativen gearbeitet haben. Heute ist das jedem selbst überlassen. Aber Philippe Midrouillet kommt immer noch mindestens einmal im Jahr für mehrere Wochen nach Kärnten. Der hagere Franzose hält in der rechten Hand einen Stock, in der linken ein scharfes Küchenmesser. An das Ende des Stockes hat er eine Seilschlinge gebunden. Sie zieht sich zu, als er sie dem Hahn um den Kopf legt. Er zieht ihn heran. Ein Schnitt mit dem Messer. Atmo Flattern des Hahns, Philippe: "C'est bon". O-Ton Philippe Midrouillet Ich bin geboren Burgund, in Nièvre, nicht weit von Loire-Gebiet. Ein schön Gebiet mit Wein und alles. Und ich bin jetzt 55 Jahre alt. Ich war in Longo Mai mit 19, ungefähr, am Anfang. Atmo Philippe Gitarre Erzähler Wenn ihm die Arbeit Zeit lässt, schnappt er sich seine Gitarre und spielt gerne die alten Lieder von George Brassens O-Ton Philippe Midrouillet Wir waren hundert Leute, das war viel, viel Leute, das war sehr rustikal Kondition, der Haus war nicht fertig renoviert, es war viel zu machen, aber wir waren viel Leute, wir haben weniger Geld, weniger zu essen, schlecht, das war nicht schlecht, nicht Komfort für Schlafen.[..] aber wir waren jung, das war kein Problem. (Lacht) [..] Das war in Forcalquier, in der Nähe, in der Gemeinde Limans. Eine kleine Stadt ist Forcalquier, das ist in eine Berg, [..] wir haben ungefähr 200 Hektar, mit drei verschiedene prinzipiell alte Haus. Ein war ungefähr mit einem Dach, und die zwei andere war total Ruin. Und wir haben alles wieder renoviert, konstruiert, und jetzt heute, wenn Du kommst, das ist schön. Es gibt viel Leben, viel Kinder, und immer viel Leute, aber weniger, ungefähr 60 Leute leben da und arbeit. Erzähler Die Kooperative in Forcalquier in der Provence ist die größte und älteste von Longo Mai. Sie ist längst Teil des Dorflebens geworden. Zwei ihrer Mitglieder sitzen im Gemeinderat. Vor allem diesem Hof galten schon diverse Pressekampagnen und Polizeiaktionen: Im Gründungsjahr dieser allerersten Kooperative, 1973, wies der damalige Innenminister Raymond Marcellin acht Gründungsmitglieder aus Frankreich aus. Ende der 70er Jahre lancierten dann verschiedene Zeitungen das Gerücht, Longo Mai sei eine Sekte und beute Jugendliche aus. Fast 20 Jahre später, 1996 rehabilitierte ein Gericht die Kooperative. Atmo Gitarrre Erzähler Mit seiner Gitarre sitzt Philippe Midrouillet in der guten Stube des Bauernhauses auf dem Stopar. Ein riesiger Kachelofen füllt sie zu einem Viertel aus. In den kalten Wintern spendet er die nötige Wärme. O-Ton Philippe Midrouillet Ich war am Anfang hier, [..] Das war unsere Spezialität, kaputte Haus renovier und wieder Leben machen. Das war im Jahr 1977. [..] Wir waren hier im Hof, um alles parat zu machen, und die anderen kommen mit Schafen, [..] ja, das war auch symbolsich, das war die alte Spartakus Leute von Wien, die kommen zurück nach Österreich, aber mit Schafe.... Atmo Schafe blöken O-Ton Heike Schiebeck Wir haben schwarze Schafe. Das passt vielleicht zu uns. Weil, wir sind natürlich immer gegen den Strom geschwommen und das schwarze Schaf ist ja auch irgendwie so der Außenseiter [..] Atmo Schafblöken Erzähler Longo Mai hat sich aber nicht nur wegen der symbolischen Bedeutung für die schwarzen Schafe entschieden, erzählt Heike Schiebeck. O-Ton Heike Schiebeck Die schwarzen Schafe gab es früher überall, also es waren auch die rustikalen Rassen. Farbige [..] Wolle [..] war dann später nicht mehr erwünscht, weil die Wolle homogen weiß sein sollte, damit man sie färben kann. Die schwarze Wolle kann man natürlich nicht färben. Und so wurde im Zuge der Industrialisierung und der Rationalisierung und der größeren Produktionseinheiten in den Spinnereien ... wurden die schwarzen Schafe sozusagen ausgerottet, [..] Longo Mai hat dann ja angefangen, die Wolle wieder zu verarbeiten. Weil wir eben sagen, wir wollen nicht nur unsere eigenen Nahrungsmittel herstellen, wir wollen auch z. T. unsere Kleidung herstellen. [..] Longo Mai hat dann in Frankreich auch eine Wollspinnerei [..] aufgemacht [..] Also, diese ganze Diversität an Schafrassen ist ja auch stark zurückgegangen und da sind wir halt auch dabei, dass wir solche Rassen erhalten. [..] wir sind mit den Schafen gewandert, wir sind mit ihnen auf Almen gegangen bis auf 3.000 m und das kann ich nicht mit einem holländischen Flachlandschaf, ja. Das kriegt dort einen Herzinfarkt, ja. Atmo Schafe treiben Erzähler Anfangs war Heike Schiebeck jedes Jahr mehrere Monate mit den Wanderschafen unterwegs. Bald war die Herde auf 600 Tiere angewachsen. O-Ton Heike Schiebeck Wir haben uns immer abgewechselt. Also ich habe viel Zeit dort verbracht ja. Auf den Almen, die Wanderung, oder über Winter dann in der Umgebung von Wien. Und viel draußen gelebt. Also ein sehr nomadisches Leben. Es kam mir irgendwie sehr gut so, nachdem eher verstädterten Leben in Deutschland, also hat mir das sehr gefallen, das wirklich ganz urtümliche Leben. Draußen schlafen mit dem Sternenhimmel als Dach. So und sich durchschlagen mit 3, 4 Freunden durch dick und dünn. Das hat auch unsere Vertrauensbeziehungen sehr gefestigt. Atmo Schafe O-Ton Pfarrer Leopold Zunder Es gab dauernd ein Kommen und Gehen. Und wenn dann so jugendliche Menschen durch den Ort gehen, mit langen Haaren, mit einem Bart, eben anders aussehend, das ist immer Konflikt verbunden mit den Einzelnen, die sich da fragen, was sind denn das für Leut. Und damals waren halt alle diese Dinge noch aktuell. Baader- Meinhof usw. Erzähler Dorfpfarrer Leopold Zunder betreut seit über 30 Jahren die Gemeinde Bad Eisenkappel. Er kann sich an die anfänglichen Konflikte noch gut erinnern. Genährt wurde die ablehnende Haltung vieler Dorfbewohner durch inszenierte Hetzkampagnen. O-Ton Heike Schiebeck Es hat dann 79 und 1980 regelrechte Pressekampagnen gegen uns gegeben. Die kamen von der rechten Seite, es gibt hier den Kärntner Heimatdienst, das ist so eine heimattreue, nazibelastete Vereinigung, die immer vor der slawischen Gefahr warnt, noch immer den Abwehrkampf gegen die Slawen führt, und auch die FPÖ mit Jörg Haider haben also massiv Verleumdungen ausgestreut und das kam in den Zeitungen, und Longo Mai ist zuerst einmal darüber bekannt geworden, ja. Also, sie [..] haben behauptet, wir wollten [..].Kärnten an Jugoslawien anschließen und wir wurden immer als Wölfe im Schafspelz bezeichnet, weil wir ja Schafe hierhergebracht haben, [..] Da gab es auch mal einen Bombenanschlag auf ein Heimatmuseum und da wurde auch dann behauptet, dass wir damit in Verbindung sind. Erzähler Dorfpfarrer Zunder hatte wenig Berührungsängste mit den Bewohnern vom Hof Stopar. Er ist fußballbegeistert, Fahrer eines schwarzen Sportwagens und Liebhaber der guten Küche. O-Ton Pfarrer Leopold Zunder Sie haben immer auf einer Pfarrwiese geweidet ihre Schafe, und ich war dann sogar der Adressat [..] eines guten Schaffleisches. Erzähler In einer Zeit, in der die lange sesshaften Bauern in den Gräben anfingen, ihre Landwirtschaft zu mechanisieren und ums Überleben der bäuerlichen Landwirtschaft rangen, gab es zunächst wenig Verständnis für das Nomadentum der Bewohner vom Stopar. O-Ton Pfarrer Leopold Zunder Man ist ja hier angetreten, auf das kann ich mich irgendwo noch erinnern, um den Bauern zu zeigen, wie man auch aus diesen ganz Berggegenden noch sehr Fruchtbares machen kann. So ungefähr hat es damals geheißen. Und da hab ich mir gedacht, mein Gott, liebe Freunde, wartet ein bisschen ab. Ihr werdet wahrscheinlich sehr viel investieren müssen, um auf diese Stufe zu kommen, die unsere schon beherrschen. Erzähler Eine Wollspinnerei sollte das erste gemeinsame Projekt mit Eisenkappler Bauern werden. Vorbild war auch hier die französische Schwesterkooperative. O-Ton Pfarrer Leopold Zunder Da wurde oben ein Bauernhof ... der ganze, das ganze Wirtschaftsgebäude wurde umgebaut. Ich weiß noch, derjenige lebt heute nicht mehr, er ist in der Zwischenzeit gestorben, er war ganz begeistert. Und hat das alles, ich hab das nicht mit eigenen Augen gesehen, jedenfalls war er voll engagiert und auf einmal kam dann das Aus und ich weiß aus seinem Munde habe ich es gehört, wie er dann eben sich komplett negativ geäußert hat, hat gesagt, ich möchte von denen nichts mehr wissen. Erzähler Das Aus kam, weil Johannes Bastiak, der Besitzer des Bauernhofes, einige Dorfbewohner und Longo Mai völlig unterschiedliche Erwartungen mit der Spinnerei verknüpften. Und sich vorher darüber nicht einmal verständigt hatten. O-Ton Robert Kauer Alle waren Feuer und Flamme, Erzähler Robert Kauer O-Ton Robert Kauer die einen haben sich gedacht, ja wir machen da ein super selbstverwaltetes Projekt, die anderen haben gedacht, oh fein, da gibt's neue Arbeitsplätze in Eisenkappel, da können wir zuhause arbeiten, müssen nicht pendeln, bis die Spinnerei mehr oder weniger fertig dagestanden ist und sich dann die Frage gestellt hat, so, jetzt soll das aber ein selbstverwalteter Betrieb werden. Da haben dann die beteiligten Partner, Partnerinnen in Eisenkappel gesagt, ne, das wollen wir eigentlich nicht. Wir wollen [..], dass Ihr uns da anstellt und Ihr uns unser Gehalt überweist und wir arbeiten dann da in der Spinnerei, die steht ja da schon. Atmo Lotte/ Kneipe, Akkordeon Erzähler Lotte, die Marktstube in Bad Eisenkappel. Die Möbel sind rustikal, die Wände holzvertäfelt. Serviert wird Hausmannskost, zubereitet aus heimischen Zutaten. Jahre nach der gescheiterten Wollspinnerei wurde hier der Streit beigelegt - nach einigen Krügen Bier. O-Ton Robert Kauer Es wurde auch prozessiert, mit wechselndem Ergebnis, so lang bis der Jotschi, also der Vater der Familie Bastiak, mich dann einmal nach einer Chorprobe getroffen hat in dem Lokal, wo alle Leppener und Lobniker Bauern hingehen und wir dort eine längere Diskussion bis in die Morgenstunden gehabt haben, wo er dann gesagt hat, so Robert, jetzt singst Du in meinem Kulturverein, ich glaube, es wird Zeit, dass wir die Gräben wieder zuschütten. Atmo Chor Erzähler Der Chor des slowenischen Kulturvereins Zarja feierte 2007 sein hundertjähriges Bestehen. Atmo Chor O-Ton Robert Kauer Ich hab vorher kein Wort Slowenisch gesprochen, genauso wenig, wie ich kein Wort Französisch gesprochen hab, bevor ich zu Longo Mai gekommen bin. Aber so, wie ich Französisch gelernt hab in Longo Mai, nachdem das unsere Umgangssprache ist, die eigentlich jeder, der länger dabei ist, beherrscht, zumindest in groben Zügen, hab ich auch hier Slowenisch gelernt. [..] Wie ich da angefangen hab, im slowenischen Chor mitzusingen und das wart halt dann jede Woche eine Stunde ... ein Abend rein auf Slowenisch. Atmo Chor Erzähler 38 Prozent der Bevölkerung in Bad Eisenkappel sind Kärntner mit slowenischen Wurzeln. Bis zum sog. Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland 1938 genossen sie Minderheitenrechte. Danach wurden sie gezielt verfolgt. "Kärntner sprich deutsch - Die Sprache ist Ausdruck deiner Gesinnung", lautete eine der Nazi-Parolen. O-Ton Ulrichsbergtreffen "Wer keine Vergangenheit hat, wer keine Heimat hat, wer keine Tradition hat, der hat letztendlich auch keine Zukunft." Erzähler Auf Druck der Alliierten gibt es seit dem Zweiten Weltkrieg zwei Amtssprachen in Kärnten: Deutsch und Slowenisch. Bis heute kommt es allerdings immer wieder zum Streit um die Einführung der zweiten Amtssprache. Einflussreiche Traditionsverbände wie der Heimatdienst und der Abwehrkämpferbund interpretieren jede Forderung in diese Richtung als slowenische Übernahme Kärntens. Atmo Radio: "Sie hören das erste Mal - 'Das andere Kärnten'" - anschließend auf slowenisch Erzähler "Kärnten, Kärnten über alles" hieß der erste kritische Dokumentarfilm über das Ulrichsbergtreffen, bei dem sich die Kriegsveteranen aus dem Zweiten Weltkrieg, Kärntner Traditionsverbände und auch ehemalige Mitglieder der Waffen SS versammeln. Den Film hatten Mitglieder von Longo Mai bereits Ende der 70er Jahre gedreht. Sie zeigten ihn in Dörfern und Städten, die sie auf ihren Wanderungen mit den Schafen durchquerten. Und im März 1989, kurz vor der Landtagswahl, bei der Jörg Haider erstmals zum Landeshauptmann in Kärnten gewählt wurde, gingen sie mit Radio Agora, dem ersten zweisprachigen Programm, auf Sendung. Atmo Radio: "Wir buhlen nicht um Stimmen, wir erheben die Stimme", anschließend slowenisch Erzähler Bis heute geht auch der Rechts-Außen Politiker Jörg Haider immer wieder mit Anti- slowenischen Ressentiments erfolgreich auf Stimmenfang. Atmo Radio Partisanenlied Erzähler Natürlich spielte Radio Agora auch slowenische Partisanenlieder. Atmo Radio Partisanenlied O-Ton Gabi Peissl Also mit Longo Mai sich anzulegen, das war immer insofern ein bisschen riskant, weil die haben eine große Klappe und die haben viele Verbindungen. Erzähler Gabi Peissl ist als Kind einer Mainzer Arbeiterfamilie aufgewachsen. Anfang der 70er Jahre brach sie ihre Winzerlehre ab, um sich Longo Mai anzuschließen. O-Ton Gabi Peissl Wir haben oft so die internationale Karte gespielt, und zum Beispiel wie der Prozess gelaufen ist wegen dem Leni-Buch, wie [..] eben die Herausgabe verhindert werden sollte, da war dann der Gerichtssaal voll und da waren ganz viele deutsche Rechtsanwälte und da waren Leute aus der Schweiz, und da waren Leute aus den Niederlanden und wir haben das immer sehr bewusst eingesetzt, wenn hier irgendwas läuft, wir krakeelen das in die ganze Welt raus. Und da war natürlich ein enormer Vorteil, dass wir die Kooperativen in den andern Ländern hatten und sehr viele Freunde, Atmo Radio Partisanenlied Erzähler Als der Stopar bezogen wurde, trafen dessen Bewohner auf Leni, auf Helena Kucher, eine alte Slowenin und Partisanin, die früher auf dem Hof als Magd gearbeitet hatte. Sie brachte den Stadtkindern auf dem Stopar die Landwirtschaft bei. Die neuen Hofbewohner nahmen die Geschichte von Helena Kucher auf Tonband auf. Die Veröffentlichung ihrer Autobiographie wirbelte in Kärnten viel Staub auf. Atmo Radio Partisanenlied O-Ton Valentin Miklau Ich bin der Miklau Valentin, bin aus Leppen, bin Bergbauer [..] muttersprachlich ist meine slowenisch, und ja, sicherlich war es interessant, dass do Leit daherkummen, die was sich do für die Sache interessiert haben und eigentlich mehr oder weniger auf unseren Seiten waren. [..] Longo Mai hat immer gute Kontakte zur slowenischen Minderheit gehobt. Und jo, dass hat eigentlich immer gepasst. Atmo Stopar/ ruhig, Grillenzirpen O-Ton Heike Schiebeck Man sagt hier, Du bist nicht akzeptiert in einem Dorf, wenn nicht der erste Tote auf dem Friedhof liegt und bei uns war's der Brand. Dass es gebrannt hat und wir haben durchgehalten und weitergemacht. Damit waren wir dann schlussendlich auch wirklich akzeptiert. Atmo Mittagessen Erzähler 1994 vernichtete ein Brand beinahe das ganze Wohnhaus. Und er brachte eine Wende: Die Bewohner des Stopar wurden sesshaft - für ihre Verhältnisse. Heike Schiebeck studierte Geographie in Klagenfurt, Gabi Peissl bildete sich als Heilmasseurin aus, ihr Mann Helmut Peissl war viele Jahre Obmann der freien Radios in Österreich und die Hofkinder besuchten die Schule am Ort. O-Ton Heike Schiebeck Schon allein, dass wir die Wanderschaftsherde aufgegeben haben, hat natürlich dazu geführt, dass wir hier im Dorf viel präsenter sind... In dem Moment, wo man wirklich eigentlich sesshaft geworden sind, [..] haben wir natürlich ganz andere Engagements im Dorf übernommen, wie eben die Koppla Kasa mit aufzubauen, die Kulturarbeit von Robert. Atmo Kartoffelschälen Erzähler Den Bergbauernverein Koppla Kasa gibt es seit 1995. Knapp die Hälfte der 120 Eisenkappeler Bauern sind Mitglied im Verein. Übersetzt bedeutet der aus dem slowenischen und dem lokalen Dialekt zusammengesetzte Begriff "Eisenkappler Getreidekammer". Zum Verein gehört eine regionale Waldwirtschaftsgemeinschaft, die versucht, bessere Preise auf dem österreichischen Holzmarkt zu erzielen, der derzeit von zwei Monopolisten kontrolliert wird. Atmo Käse machen Erzähler Die Koppla Kasa betreibt außerdem die Verarbeitung der auf den Höfen produzierten Nahrungsmittel und ihre Direktvermarktung: Käse, Schinken, Honig, Marmelade, Salami, Fleisch, Kartoffeln, verschiedene Liköre und Edelbrände, sowie Tees und Cremes aus heimischen Kräutern. Alle Produkte sind "bio", ohne dass sie zertifiziert wären, Kunstdünger und Pestizide benutzt niemand. O-Ton Heike Schiebeck Österreich ist im Januar 1995 der EU beigetreten. [..] Das hat natürlich unglaubliche Ängste ausgelöst bei den Bauern und Bäuerinnen, weil in der EU im Großen und Ganzen - in der EU der 15, sagen wir mal, ungefähr 2 Prozent der Beschäftigten noch in der Landwirtschaft arbeitet und in Österreich waren es doch noch 5 oder 6 Prozent, ja. [..] Und ja, die Bauern und Bäuerinnen haben gesagt, ja was ist jetzt? Werden wir jetzt alle aufhören müssen, unseren Hof zu bewirtschaften? [..] Und deswegen war dann die Motivation da, wir müssen uns zusammenschließen, wir müssen zusammenarbeiten und versuchen, auch neue Produkte zu finden und zu vermarkten, um andere Standbeine auf dem Hof zu finden. Und so haben wir hier den Verein Koppla Kasa gegründet 1995 und Longo Mai hat daran mitgewirkt. Wir haben immer aufgepasst, uns nicht zu sehr in den Vordergrund zu stellen und wirklich die Initiative von den Anderen kommen zu lassen, weil, wir haben schon Erfahrungen gemacht vorher, wenn wir zu sehr unsere Ideen nach vorne stellen, dann können wir bloß alles alleine machen. Atmo Demo CBD Bonn Erzähler Heike Schiebeck engagiert sich auch im österreichischen Bergbauernverein, der Mitglied der internationalen Bauernvereinigung La Via Campesina ist. Dort wiederum arbeitet sie mit in der internationalen Kommission für Artenvielfalt und genetische Ressourcen. Sie reist nach Hongkong, um gegen die Welthandelsorganisation zu demonstrieren, oder nach Mali, um dort mit anderen Bäuerinnen und Bauern aus Asien, Lateinamerika und Afrika zu diskutieren, wie die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu bewahren ist. Heike Schiebeck spricht nicht als Funktionärin, wenn sie auf einer Kundgebung das Mikrofon ergreift - wie zum Beispiel in Bonn anlässlich der UN-Artenschutzkonferenz. O-Ton Heike Schiebeck (Demo Bonn) Vielfalt wird nicht erhalten in Genbanken, und Vielfalt wird nicht erhalten in Naturschutzgebieten, Vielfalt wird erhalten durch die Arbeit der Bauern und Bäuerinnen weltweit (Beifall), und es sind auch Bauern, Bäuerinnen, indigene Gemeinschaften und Gärtnerinnen, die über Jahrtausende diese Vielfalt geschaffen haben, in tagtäglicher Arbeit, Vielfalt an Tieren, an Nutztieren und kultivierte Pflanzenvielfalt. Und heute soll all das von einigen wenigen, multinationalen Konzernen privatisiert werden, und wir sagen dazu: Privatisierung von Saatgut ist Diebstahl! Atmo Telefon Elisabeth Miklau O-Ton Elisabeth Miklau Die Heike ist für uns eigentlich wie ein Radiosender. Erzähler: Elisabeth Miklau ist Obfrau von Koppla Kasa. O-Ton Elisabeth Miklau Sie bringt uns alles aus der weiten weiten Welt ins kleine Eisenkappel und erzählt sehr viel und ich muss sagen, wenn die Heike ihren Mund aufmacht und erzählt, was sie alles so in der Welt sieht, dann sind alle mucksmäuschenstill und hören ihr gerne zu. [..] wir schenken ihr sehr viel Glauben, fast so wie unserem Pfarrer. Erzähler Auf dem Stopar haben die meisten die 50 bereits überschritten. Von den 20 Kindern, die auf dem Hof das Licht der Welt erblickt haben, kommen zwar viele gerne zu Besuch - aber leben möchte niemand von ihnen in dieser abgeschiedenen Region. O-Ton Anna Covelli Ich hatte ursprünglich im Kopf, in Italien weiter Kooperativen zu suchen, und dann dachte ich, hei, das macht keinen Sinn, weil es gibt schon Leute, die dieselben Ideen haben, was ich habe, die auch einen politischen Ansatz haben und nicht nur, ja zurück auf dem Land, wie schön es ist, guck mal wir haben hier die Berge und die Bäume und alles ist schön wunderbar. So ist es nicht. Atmo Stopar/ Bienen, Stimme Heike & Anna Erzähler Jedes Jahr im Sommer kommen Dutzende junge Leute, die auf dem Hof mitarbeiten. Die Italienerin Anna Covelli ist Mitte 20, Politikwissenschaftlerin und lebt in Berlin. Zum zweiten Mal ist sie für einige Monate auf dem Hof Stopar. Sie lässt sich von der Imker-Meisterin Heike Schiebeck die Aufzucht und Pflege von Bienenvölkern zeigen. O-Ton Anna Covelli Und es sind alle Leute, die sehr politisch aktiv sind, die sehr weltnah sind. Sie haben sich nicht hier irgendwie isoliert, sie machen entweder mit Via Campesina oder mit freie Radio oder mit Flüchtlingsarbeit, sie machen ganz viel. Und sie sind sehr aktiv und sie haben unheimlich viele Kontakte. Und da hab ich wirklich gedacht, ok, dann ist es auch möglich. Ich muss nicht auf dem Land gehen und mich einfach dahinschließen, ich kann wirklich Kontakte halten durch ganz Europa, die ganze Welt und auch was bewirken auf die Gesellschaft, was mir nicht gefällt. Atmo Comedia Mundi Absage "Lange möge es dauern" Porträt einer landwirtschaftlichen Kooperative Ein Feature von Gerhard Klas Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks, 2008. Es sprachen: Josef Tratnik und Anne Esser Ton und Technik: Alexander Dorniak und Gaby Traichel Regie: Susanne Krings Redaktion: Karin Beindorff Atmo Comedia Mundi 23