COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachspiel 28.6.2009 "Getunte Körper" - Transhumanismus im Sport Von Claudia Fried Schon in naher Zukunft wird sich unsere Vorstellung davon ändern müssen, was der Mensch ist. Institute arbeiten daran, das menschliche Bewusstsein auf Computer zu übertragen. Künstliche Bauteile wie das Kunstherz ersetzen heute schon lebenswichtige Organe im menschlichen Körper. Armprothesen lassen sich mit den Gedanken steuern. Der genetische Code des Menschen ist weitgehend entschlüsselt. Eingriffe in die Evolution rücken in greifbare Nähe. Technologie und Biologie erschaffen gemeinsam die optimierte Version Mensch 2.0. Gesund, leistungsfähig und stark. Das Szenario klingt für viele erschreckend. Für eine kleine Gruppe von Menschen ist es die Vision eines besseren Lebens. Sie nennen sich Transhumanisten. Keine andere Disziplin nutzt die biotechnologischen Möglichkeiten stärker als der Sport. Getunte Athleten stellen immer neue Weltrekorde auf. Häufig auch mit unerlaubten Mitteln, die neueste Spielart - das Gendoping. Der Kampf um die Medaille, zeigt er noch, was im Menschen steckt, oder ist es ein Wettstreit geworden zwischen Medizinern und Biotechnologen, die ihre "Piloten" auf die Piste schicken? In diese Debatte hat sich der "Bladerunner" eingeschaltet. Oscar Pistorius, der beidseitig beinamputierte Sprinter wollte in Peking nicht bei den Paralympics an den Startblock, sondern gegen die gesunden Läufer antreten. Auf 2 künstlichen Karbonfedern, die seine Unterschenkel ersetzen. Pistorius läuft damit nur eine Sekunde langsamer auf 100 Metern als Usaine Bolt, der schnellste Mann der Welt. Sollte dem Prothesenläufer der Weltrekord gelingen, ist er dann die optimierte Version Mensch? Eine Mensch-Maschine? Ein Cyborg in Laufschuhen? O1 O-Ton Biene: Ich hab ja ne Umkehrplastik, das bedeutet, dass ich zur Steuerung des Kniegelenks mein eigenes Fußgelenk benutze. Wenn unterhalb des Knies, der Unterschenkel und der Fuß intakt sind, keine Metastasen, dann kann man quasi körpereigenes Recycling machen. Und das bedeutet, man nimmt den Unterschenkel samt Fuß ganz normal, dreht ihn um 180 Grad, sodass der Fuß jetzt nach hinten schaut und setzt den Unterschenkelknochen an den Oberschenkelknochen. Die beiden werden miteinander verschraubt und die verwachsen zu einem Oberschenkelknochen. Autorin: Claudia Biene nennt sich selbst manchmal im Spaß Cyborg, oder Terminator. Und wenn sie auf Wettkämpfe fährt, hat sie keine Pflaster dabei, sondern einen kleinen Werkzeugkasten und Panzerband, um im Notfall kleine Reparaturen durchzuführen, an ihrem Bein. Die 35-jährige durchquert ihre Parterre-Wohnung im Prenzlauer Berg in Berlin. Ihrem Schritt sieht man in keiner Sekunde an, dass sie auf einer Prothese läuft. So gerade und leicht spaziert sie über die Holzdielen. Die junge Frau hievt zwei Plastiksäcke aus einer Truhe. O3 O-Ton Biene: Atmo kramt "abgelottertes Ding. Ist schon bisschen älter, sieht gar nicht gut aus." Also, das ist meine Alltagsprothese, die verwende ich auch für den Speerwurf und den Diskuswurf. Autorin: Claudia Biene verstaut die Alltagsprothese in einem Sack, und stellt ihn in die Ecke. Heute steht leichtes Lauftraining auf dem Programm. Dafür braucht sie ihre Sprintprothese. Die Atlethin wirft sich den Sack mit dem Bein über die Schulter und zieht los. Sie ist amtierende Weltmeisterin und aktuelle Weltrekordhalterin im Speerwurf der Behinderten. Weitere Disziplinen sind Diskus, und Weitsprung. Bei den nächsten Paralympischen Spielen möchte sie auch im 100- Meter Sprint an den Start. Im Jahn-Sportpark angekommen, packt Claudia Biene ihre Sprintprothese aus. Sie ist schwarz, hat jede Menge Klettverschlüsse, einen Karbonschaft am Oberschenkel, und ein Metall-Gelenk, wo normalerweise das Knie ist. Der Unterschenkel ist eine geschwungene Karbon-Feder. Einen Fuß gibt es nicht. O5 O-Ton Biene: Es kommt hier einfach auf wenig Material an, auf wenig Gewicht. Auf möglichst wenig Arbeit beim Anziehen, sodass ich z.B. den Oberschaft nur aus Karbon und aus einem Lederschaft habe, ganz simpel ganz spartanisch. Autorin: Die Sportlerin setzt sich auf die rote Tartanbahn, schiebt die langen Hosen über ihre Hüften nach unten. Die hautfarbene Prothese am linken Bein kommt zum Vorschein. Claudia Biene öffnet einen Klettverschluss am Oberschenkelschaft der Prothese, und zieht den Rest ihres Beins heraus. Es ist ein sehr dünner Oberschenkel mit einem umgekehrten Fuß, dort wo das Knie normalerweise säße. Die Athletin legt ihr Alltagsbein mit dem Turnschuh daran zur Seite und schlüpft in die Sprintprothese. Karbon, Klettverschlüsse und Metallschienen. O6 O-Ton Biene: Ich war gute 14 als ich den Tumor bekam, ein halbes Jahr vorher hab ich schon aufgehört, weil mir das ganze nicht richtig geheuer war. Ich hab danach alles andere gemacht, aber kein Leichtathletik. Ich konnte in keine Leichtathletik Halle gehen, ich konnte meine Spikes noch nicht mal ankucken, das lag alles fein säuberlich im Keller, da wollte ich nix mit zu tun haben. Und "Gott sei Dank" ist es dann 14 J. später durch nen Zufall dazu gekommen. Autorin: Claudia Bienes Arzt in Münster fragte sie im Alter von 28 Jahren bei einem Routinecheck beiläufig, warum sie nicht wieder Leichtathletik mache. Und stellte den Kontakt zu einer beinamputierten Läuferin her. Danach ging alles sehr schnell, und die junge Frau erfüllte sich den Kindheitstraum "Leistungssportlerin", im zweiten Leben. Sie nennt es "mein Prothesenleben". Autorin: Nach einigen Dehnungsübungen beginnt die Athletin mit einem leichten Jogginglauf über die Tartanbahn, es folgen Hopserlauf und Kniehebelauf. O8 O-Ton Biene: Das womit ich mich jetzt zu beschäftigen habe, ist auf der einen Seite sozusagen der gesamte Ablauf des Körpers ohne Prothese, also die gesamten Bewegungsabläufe, dann hab ich aber noch ein anderes Rechenzentrum im Gehirn, wo ich alles abspeichern muss, was mit der Sprintprothese zu tun hat oder einer anderen Prothese. Das sind ganz unterschiedliche Bewegungsabläufe. Das Tempo der Beine ist unterschiedlich, es gibt unterschiedliche Phasen. Und das ist wirklich anspruchsvoll. Autorin: Jetzt kommt der Sprint. Claudia Bienes Beine fliegen nach vorn. Die Knie schnellen nach oben auf Hüfthöhe. Hätte man nur den Oberkörper im Blick, man würde nicht ahnen, dass die Sportlerin mit einer Prothese läuft. Nur ab und zu hört man ein leichtes Schleifen der Feder. Nach dem Abdrücken vom Boden. Die Leichtathletin kann das Knie nicht weit genug abwinkeln. Es ist ja der um 180 Grad gedrehte Fuß. Aber dieses Problem soll bald eine neue Prothese lösen. O9 O-Ton Biene:. Wir bauen sie im Moment sehr leicht, und da hab ich mir auch ne andere Kniegelenkslösung überlegt. Weil einfach die Stärke für die Kraft meines Fußgelenkes nicht gefällt. Da muss mehr Stabilität und mehr Kraft rein, deswegen versuchen wir das abzuhängen über ein künstliches Gelenk, das wir verlagern. Mal abwarten. Autorin: Bis es soweit ist, muss die alte Prothese noch halten. Claudia Biene hat auf den letzten Metern ein Klappern vernommen. Sie setzt sich auf den Boden, nimmt die Prothese ab. Dann kramt sie aus ihrer Tasche ein Mini-Werkzeugset heraus, zieht die Schrauben nach an ihrem Hightech Bein. Es wird nicht gecremt oder massiert, sondern geschraubt. Die Szene erinnert an den Cyborg aus Star-Trek, der aus der Verschmelzung von Mensch und Maschine entstanden ist. O10 O-Ton Biene: Ich weiß nicht, das ist ne lustige Idee und ich glaube, dass vielleicht heute der Reiz auch darin besteht für den Menschen auszutesten, ob er nicht auch ne Maschine sein kann. Und wenn man Leistungssport macht, ist es natürlich schon manchmal quasi maschinell. Wie ne Maschine. Aber niemals ist es so, dass ich vergesse, dass ich ein Mensch bin. M4 Futuristische Geräusche Bye Bye Butterfly bei 3:12 beginnen Die Brillengläser waren chirurgisch eingesetzt, um die Augenhöhlen zu versiegeln. Die silbernen Linsen wuchsen scheinbar aus der glatten hellen Haut über den Wangen, umrahmt von dunklem, fransig geschnittenem Haar. Die Finger, die sich um die Flechette krümmten, waren schmal und hell, hatten burgunderrot lackierte Nägel, die unecht wirkten. Sie hielt ihm die offenen Hände mit leicht gespreizten Fingern hin. Mit einem kaum hörbaren Klicken schossen zehn zweischneidige, vier Zentimeter lange Skalpellklingen aus ihrem Gehäuse hinter den burgunderfarbenen Nägeln. Sie lächelte, langsam glitten die Klingen zurück. Autorin: 1984 schuf William Gibson in seinem Science-Fiction Roman "Newromancer" eine Welt, in der die Menschen die totale Kontrolle über ihre Physis übernommen haben. Sie gestalten ihre Körper nach praktischen, funktionalen und ästhetischen Gesichtspunkten - je nachdem, welche Auffassung sie vertreten, oder welcher Arbeit sie nachgehen. Manipulierte Gesichter mit Raubtiergebissen sind bei den Punks beliebt. Bei den Straßensamurais, den Söldnern dagegen ist Funktionalität gefragt. Sie besitzen stählerne Körper, die sie in zahlreichen Operationen zu Kampfmaschinen geformt haben. Molly trägt ausfahrbare Skalpelle unter den Fingernägeln und über ihren Augen sitzt eine feste Spiegeloptik, mit Restlichtverstärker. In dieser Zivilisation zieht der Etat die Grenzen der Beherrschbarkeit des Körpers. Nicht biologische oder ethische Momente. O11 O-Ton Potthast: Der einseitig Amputiere hat eine vollständig andere Art sich zu bewegen. Das haben wir in der Studie mit Oscar Pistorius gelernt. Das sind drei untersch. Arten sich zu bewegen. (...) Beim normalen gesunden Sprinter, ich sag das jetzt mal plakativ, da kann man ungefähr davon ausgehen, dass über die 3 Gelenke, also Fuß- Kniegelenk ungefähr die Arbeit gleichmäßig verteilt ist, also ungefähr 30%. Beim Pistorius war das ganz anders. Da war fast der gesamte Anteil der Arbeit die verrichtet wurde, also Energie, die bereitgestellt wurde, die kam aus dem Sprunggelenk, also aus der Feder, er hat ja kein Sprunggelenk mehr, aus dieser Prothese. Beim einseitig amputierten Sprinter ist das Verhältnis vollständig umgedreht. Beim gesunden und amputierten Bein. Ein ganz anderes Muster. Autorin: Wolfgang Potthast ist Biomechaniker an der Deutschen Sporthochschule Köln. Unter seinem Bürofenster im 12. Stockwerk spannt sich der weitläufige Campus der Universität. Sporthallen, Fußballplätze, rote Tartanbahnen. Dort unten hat der promovierte Sportwissenschaftler und Physiker unter der Leitung seines Chefs Professor Brüggemann Oscar Pistorius "vermessen", und im Auftrag des Internationalen Leichtathletikverbands eine Studie zur Sprintmechanik des Prothesenläufers erstellt. O12 O-Ton Potthast: ... und zwar in der Phase seiner maximalen Laufgeschwindigkeit. Und dort haben wir einen deutlichen Unterschied in der Mechanik des Laufens von P. vergl. mit den gesunden 400-Meter Sprintern, den besten 400-Meter Sprintern in Deutschland festgestellt. Wir haben nämlich gefunden, dass fast sein gesamter Energiebeitrag aus der unteren Extremität aus dieser Feder kommt, sobald er eine gewisse Geschw. hat. Und rel. wenig aus Knie und Hüfte generiert wird. Und dass er in dieser Feder einen Energieverlust von vielleicht 5-8% zu verzeichnen hat. Autorin: Im Vergleich dazu werden bei einem gesunden Sprinter in der Stützphase etwa 30% dieser Arbeit am Sprunggelenk verrichtet. Davon gehen etwa 20% verloren. Bei Pistorius, der unterhalb der Knie amputiert ist, übernehmen anstelle der Sprunggelenke die Karbonfedern diese Arbeit. Und haben einen kleineren Energieverlust als die natürlichen menschlichen Gelenke. Ein Vorteil für den "behinderten" Sprinter gegenüber seinen gesunden Kollegen. O14 O-Ton Potthast: In diesem Bestandteil hat P. sicher einen mechanischen Vorteil. In diesem Zus.hang. Wir haben sehr deutlich zeigen können, und das hat auch niemand in Frage gestellt, dass die Sprintbewegung von einem normalen gesunden Sprinter vollständig anders ist, als die Sprintbewegung .... von Oscar Pistorius. Autorin: Oscar Pistorius hat sich durchgesetzt. Er darf in Zukunft bei Wettkämpfen für gesunde Sprinter teilnehmen. Die Qualifikation zur Teilnahme am 400-Meter Lauf der Männer bei den olympischen Spielen in Peking hat er nicht geschafft. Aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit, so sagt er, die ihm nach dem langen Rechtsstreit noch blieb. In jedem Fall war der juristische Erfolg ein Meilenstein in vielerlei Hinsicht. Zum einen hat er den paralympischen Sport ins Rampenlicht gerückt, und gezeigt, zu welch außergewöhnlichen Leistungen Behinderte in der Lage sind. Zum anderen führt er der Welt vielleicht den Menschen 2.0 vor Augen. Der bis auf die Knochen getunte Leistungssportler, der Maschinen-Mensch: O16 O-Ton Potthast: Wenn man die gesunden Sprinter mit unveränderten oder nur sehr wenig veränderten, natürlichen unteren Extremitäten mit solchen Sprintern vergleichen will, kann ich mir sehr gut vorstellen, vor allem, wenn wir darüber nachdenken, dass solche Prothesen, die wir momentan bei paralympischen Spielen sehen, möglicherweise in irgendeiner Form Aktuatoren beinhalten, d.h. Motoren, oder möglicherweise nur die Steifigkeit dieser Prothesen sich verändern kann im Laufe des Rennens. Dann kann ich mir sehr gut vorstellen, dass in nicht allzu langer Zeit Sprinter mit solchen technischen Hilfsmitteln schneller sind als diejenigen ohne. Futuristische Geräusche M5 Wireless Fantasy schon unter dem letzten O-Ton beginnen hier bei 0:25 ankommen und nach kurzer Pause unter den lit. Text blenden Er erwachte und stellte fest, dass sie im Dunkeln neben ihm lag. Sein Hals war spröde wie Reisig. Durch seine Wirbelsäule pulsierte von der Mitte abwärts anhaltender Schmerz. "Ich kann im Dunkeln sehen, Case. Integrierter Bildverstärker in den Linsen. "Mein Rücken tut weh." "Da haben sie deinen Liquor ausgetauscht. Auch dein Blut haben sie gewechselt. Das Blut, weil du obendrein eine neue Bauchspeicheldrüse gekriegt hat. Und die Leber haben sie mit frischem Gewebe geflickt. Mit der Nervensache weiß ich nicht bescheid." Sie legte sich wieder neben ihn. "Es ist 2:43:12 Uhr, Case. Hab nen Anzeigenchip am Sehnerv." Autorin: Die getunten Körper von Molly und Case sind Science-Fiction- Visionen, vor 25 Jahren erdacht. Schönheitsoperationen, Körpertuning für bessere Leistungen, Hacker im Cyberspace. Computer-Gehirn-Interfaces. Das ist heute keine Zukunftsmusik mehr, sondern bare Wirklichkeit. Nur zwei Dinge haben die Menschen bisher nicht erreicht. Die Eroberung des Kosmos und das unendliche Leben. Bausteine des Repertoires einer kleinen Gruppe von Menschen. Sie nennen sich Transhumanisten. O17 O-Ton Nahm: Also was ich schon gemacht habe, ist ein Kryonik Vertrag abgeschlossen, dass wenn ich jetzt plötzlich sterben sollte, ich dann tiefgekühlt konserviert werde in der Hoffnung dann in der Zukunft wiederbelebt zu werden. Autorin: Torsten Nahm ist nicht nur Transhumanist, sondern er sorgt als Vize- Präsident der Deutschen Gesellschaft für Angewandte Biostase dafür, dass die Körper seiner Mitglieder unmittelbar nach ihrem Tod eingefroren werden. Zentrales Motiv ist der Glaube an den technologischen Fortschritt. Daran, dass die Medizin Mittel finden wird, Gehirne wiederzubeleben, und Krankheiten zu heilen, an der diese Menschen gestorben ist. Torsten Nahm wird nur sein bestes Stück einfrieren lassen, den Kopf. Er ist Mathematiker. Autorin: Transhumanisten wollen aber nicht nur länger oder gar unendlich leben, sondern ihre Fähigkeiten erweitern. Für sie ist die Evolution ein Prozess, in den sie aktiv eingreifen wollen. Mithilfe von biotechnologischen Methoden. Sie sprechen von Enhancement, was soviel heißt wie Verbesserung. Das klassische Body-Enhancement arbeitet wider die Muskelschwäche und den Nasenschiefstand. Hierhin gehört die Entwicklung von Prothesen, die einmal menschliche Originalteile in den Schatten stellen werden. Das genetische Enhancement basiert auf Genmanipulation. Dabei könnte man beispielsweise das Auge zu einem Nachtsichtgerät transformieren oder Lungen erschaffen, die unter Wasser atmen. Und beim Mind-Enhancement sorgen so genannte "smart Drugs" für die Steigerung der Aufmerksamkeit oder der Gedächtnisleistung. Für Torsten Nahm kommt die plastische Chirurgie nicht in Frage. Aber seine mentalen Fähigkeiten würde der Mathematiker gern verbessern. O19 O-Ton Nahm: Ich höre immer wieder Kaffee und Zucker würden so die geistige Leistung steigern, aber das ist ja nun schon Jahrhunderte alt. Also wie gesagt, die neuen Drogen scheinen schon gut zu funktionieren. Also Ritalin, oder Provigil, hat für einige den Effekt, dass sie Stunden am Stück konzentriert arbeiten können, in den Flow Zustand reinkommen, wo sie dann voll in der Arbeit aufgehen, ich denke die Möglichkeiten gibt's schon, aber mir ist es noch zu riskant. Autorin: Amerikanische Studenten sind in der Beziehung mutiger. Gehirndoping ist in der Prüfungsvorbereitung weit verbreitet. Kaffee und Cola war letztes Jahrhundert, heute heißt das Wundermittel Ritalin. Ein Medikament, das für hyperaktive Kinder entwickelt wurde, und auf diese beruhigend wirkt. Bei gesunden Menschen steigert es die Konzentrationsfähigkeit wie Kokain oder andere Amphetamine. Fördert Wachheit, Euphorie und die körperliche Leistungsfähigkeit. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber Schätzungen zufolge verwendet jeder Fünfte College Student diesen Brain-Booster. Die Gefahren gibt es gratis dazu: erhöhter Blutdruck, Wachstumsstörungen, und Depressionen. Der Bürger der Leistungsgesellschaft hat dem Sportler nichts voraus. Für Spitzenleistungen wird gedopt. Koste es was es wolle. O21 O-Ton Müller: Das geht bis in die Antike zurück. Da gab es echte Dopingversuche, die mehr Wunsch waren als Realität. Und auf der anderen Seite gibt es selbst sagenhafte Darstellungen, wenn sie wollen, selbst das Bestreben von Siegfried sich unverwundbar zu machen im geschmolzenen Panzer des Drachens sich gebadet hat, das sind solche Dinge. Wo man von außen noch Möglichkeiten sucht, sie zu ergreifen versucht, seine Leistungsfähigkeit, seine Unverwundbarkeit oder was auch immer zu steigern. Autorin: Was sich über die Jahrhunderte geändert hat, sind die Methoden. Und mit ihnen wächst deren gesellschaftliche Akzeptanz. Schönheitsoperationen gelten heute nicht mehr als anstößig. Red Bull verleiht jedem Autofahrer Flügel. Und ein paar Lines Kokain hat man weder Christoph Daum noch Michel Friedman langfristig übel genommen. Nur im Leistungssport sieht es anders aus. Doping gilt hier als Betrug, der geahndet wird. Prof. Dr. Rudhard Klaus Müller schlägt sich sein ganzes Berufsleben lang mit unerlaubten Substanzen herum. Er ist emeritierter Professor für Forensische Toxikologie der Uni Leipzig und leitete von 1992 bis 2006 das Institut für Dopinganalytik Dresden in Kreischa. Er hat beispielsweise den Läufer Dieter Baumann überführt. Heute sitzt er im Vorstand der Nationalen Anti Doping Agentur. Die am häufigsten nachgewiesenen Dopingmethoden summiert er unter zwei Hauptkategorien. Einmal die Anabolika, die den Muskelaufbau fördern und damit die Kraft-Leistung, Schnelligkeit und Kraftentfaltung steigern. Und zum anderen Hormone, die die Neubildung von roten Blutkörperchen und Hämoglobin fördern, die dann mehr Sauerstoff in das Gewebe und die Muskulatur des Athleten transportieren: In der Folge steigt die Ausdauerleistung. O22 O-Ton Müller: Etwas Drittes, was u. U. alsbald eine Rolle spielen kann, nach unseren Erkenntnissen im Moment noch nicht, das ist das sog. Gendoping. Wo man also mit der Veränderung der Erbsubstanz ganz allgem. gesagt höhere Leistungen erzielen will. Das steht dann nat. wieder in der Nähe von anderen Methoden beisp. Chirurg. Eingriffen, die die Leistung steigern sollen. Autorin: Beim Gendoping werden keine Medikamente von außen zugeführt, sondern das Erbmaterial wird so manipuliert, dass der Körper aus eigenem Antrieb stärkere Muskeln bildet oder mehr rote Blutkörperchen. An solchen Methoden arbeiten Forscher seit vielen Jahren. Allerdings erst im Tierversuch, sagt Müller: O23 O-Ton Müller: Da kann man vieles machen, da kann man Mäuse mit Supermuskulatur züchten, kann man Mäuse züchten, die vor roten Blutkörperchen schon fast explodieren, um es ganz drastisch zu schildern. Aber die Übertragung auf den Menschen ist in fast allen Fällen erfolglos geblieben oder hat enttäuscht. Und zwar deswegen, weil es 1. Ganz schwierig ist, das dann auch noch beim Menschen zu kontrollieren. Ganz einfach ausgedrückt. Wenn eine Versuchsmaus stirbt, ist das kein großes Problem, aber wenn man beim Menschen einen solchen Prozess wie beim Zauberlehrling nicht wieder rückgängig machen kann, nicht wieder stoppen kann, dann stirbt er daran. Und insofern ist das nicht anwendbar. Autorin: Die Erkenntnisse aus den Tierversuchen, so der Dopinganalytiker, seien bisher nicht auf den Menschen übertragbar. Das betreffe leider auch die Gentherapie, bei der genetische Defekte quasi "repariert" werden sollen. Wenn es überhaupt irgendeinen Erfolg gebe, seien meist die Nebenwirkungen derart dramatisch, dass sie die Anwendbarkeit der Methoden vereiteln. O24 O-Ton Müller: Wir sind aber überzeugt, dass sobald so etwas gelingt, was für die Therapie von best. Krankheiten dringend zu hoffen ist, und was auch intensiv beforscht wird, dass es dann auch alsbald missbraucht wird. Wenn es Erfolge verspräche im Sport. Autorin: Das belegt der Fall Springstein. Der wegen Dopings einer Minderjährigen verurteilte Trainer schrieb mit einer E-Mail Sportgeschichte. Er tauschte sich darin mit einem spanischen Dopingarzt über die Verfügbarkeit des Mittels Repoxygen aus. Ein Produkt, das zur Behandlung von Blutarmut entwickelt wurde. Es setzt am körpereigenen EPO-Gen an, und stimuliert die Produktion von roten Blutkörperchen. Allerdings soll es über die Phase des Tierversuchs nie hinausgekommen sein. Prof. Müller bestreitet die Existenz von Gendoping. Aber dass er und seine Kollegen bereits über entsprechende Analyseverfahren nachdenken, ist ein untrügliches Zeichen. Dafür, dass wir nur einen Schritt entfernt sind von einer neuen Ära des Körpertunings. Das lange Ende der Möglichkeiten von Genmanipulation ist noch unkalkulierbar. Doch die Horrorvision schon sichtbar am Horizont: Der geklonte Mensch. M6 Apocalypse Part2, 1:14 Newromancer S. 242 Ich bin alt Molly, über 200 Jahre alt, wenn man die Kälte mitrechnet. Die Kälte. (...) "Schlechtes Timing, wirklich. 8Jean ist grade drunten in Melbourne, und nur unsere süße 3Jane schmeißt hier den Laden. Er hustete feucht und krampfhaft, spuckte auf den Teppich neben seinen bloßen Füßen. Aber bald ist Schluss damit. Ich ließ eine Jane auftauen, als ich aufwachte. Seltsam alle paar Jahrzehnte bei der Frau zu liegen, die in rechtlichem Sinn die eigene Tochter ist. Die Augen von Marie-France, sagte er schwach und lächelte. O25 O-Ton Hetzer: Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass ich in einer Gesellschaft lebe, wo die eine Nachbarin zur anderen sagt, ich möchte lieber einen der Spitzensportler ist, Hirn braucht er nicht, und die andere sagt, ich möchte lieber einen Einstein haben, und der kann zu Hause hocken. Was ist daran sündig? Autorin: Das Klonen von Menschen ist für die einen ein Angriff auf die Menschenwürde. Für Prof. Hetzer eine denkbare und positive Zukunftsvision. Der Leiter des Deutschen Herzzentrums in Berlin hat hunderte von Patienten in seiner Kartei, die auf ein Spenderherz warten. Die meisten vergeblich. Sie sterben bevor das passende Herz verfügbar ist. Weil es zu wenige Menschen gibt, die ihre Organe spenden. Geklonte Menschen wären für solche Zwecke ideale Ersatzteillager. O26 O-Ton Hetzer: Das ist grundsätzlich eine Möglichkeit, aber das widerstrebt unseren gegenwärtigen Ethikvorstellungen. Ich sage bewusst unseren gegenwärtigen Ethikvorstellungen. Ich weiß nicht, ob das in fernerer Zukunft auch noch so sein wird. Und ich könnte mir auch vorstellen, dass wenn das nicht mehr so wäre, dass trotzdem mit den Menschen mit Anstand umgegangen werden kann. M5 Wireless Fantasy unterlegen, bei 2:33 beginnen, mit orchestralem Klang am Ende enden Autorin: Die Ethik läuft der unvermeidlichen Entwicklung hinterher, ohne diese wirksam zu verhindern. Was möglich ist, das wird gemacht. Wenn nicht legal, dann illegal. Künstliche Herzen sind heute schon im Einsatz, und sie werden besser. Beinprothesen sind fast so schnell wie echte Beine, das hat Oscar Pistorius gezeigt. Getunte Athleten mit aufgemotzten Muskeln, genetisch mit Sauerstoff angereichertes Blut. 32 Porzellanzähne. Künstliche Ersatzteile werden immer besser. Bald übertreffen sie möglicherweise die menschlichen Originale. Dann könnten Sportler so aussehen wie Claudia Biene oder Oskar Pistorius. Mit dem Unterschied, dass der Amputation keine Krankheit vorausging. Sondern der schlichte Wunsch, der schnellste Mensch auf Erden zu sein. Der Spitzensportler 2.0. 1