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Spr.: Wolfgang Martynkewicz ist ein Literaturwissenschaftler, der Licht in eines der dunklen Kapitel der jüngeren deutschen Geistesgeschichte gebracht hat. Mit einem Buch, das zeigt: Es ist ein Fehler, Literatur gleichzusetzen mit moralischer Lauterkeit. In akribischer Recherche hat Martynkewicz die Geschichte eines Ortes aufgeschrieben: eines Ortes der Begegnung von Kultur und Barbarei: von einer hochgeistigen, kunstsinnigen Elite und der radikalen Rechten. Dies ist die Geschichte eines tief in die deutsche Historie wirkenden Münchner Salons, in dem schon lange vor der Machtergreifung Feingeister den Führer herbeiredeten, den Heilsbringer, der da eines Tages kommen möge, um die Sehnsucht der ästhetischen Moderne zu stillen: nach Autorität, einer Persönlichkeit, einem starken Mann. Zusp. 2 Martynkewicz: "Ich glaube auch, dass Macht und Geist zusammenkommen, dass gewissermaßen der Geist in ein Bündnis in einen Zusammenhang tritt. Es ist ja zu Anfang so, dass dieser Salon sich als eine Gegenöffentlichkeit begreift, und es ist dann später so, dass viele aus diesem Salon - nicht alle - zu Brückenbauern in den Nationalsozialismus werden und dann der Salon einen völlig anderen Charakter annimmt und ja quasi mit der Politik ein Bündnis eingeht, mit der Macht." MUSIK Spr.: Es ist nur eine Adresse ein München: Karolinenplatz 5. Das Prinz-Georg- Palais. Heute ein Haus, in dem der Bayerische Sparkassen- und Giroverband sitzt. Früher "eine Art fürstlicher Kaufmannsresidenz". Über zwanzig Jahre hinweg, zwischen 1908 und 1931 wohnte hier in der Münchner Maxvorstadt das Verlegerpaar Hugo und Elsa Bruckmann, die jeden Freitagabend um neun zum Jour fixe baten in ihren Salon: Gelehrte, Künstler, Schriftsteller, Maler und Musiker trafen sich hier. Große Namen darunter wie etwa Hugo von Hofmannsthal und Harry Graf Kessler. Oder der Dichter Rainer Maria Rilke, der schon 1914 in einem Brief meinte: Zit.: "Bei Bruckmann's merkte man sehr die Eingriffe der Zeit." Spr.. Es waren aber nicht nur Künstler, die im Salon der Bruckmanns ein und aus gingen: Es waren auch Adolf Hitler, Rudolf Heß und Baldur von Schirach. "Salon Deutschland" hat Wolfgang Martynkewicz sein Buch genannt. Zusp. 3 Martynkewicz: "Das Sendungsbewusstsein Münchens, das ja auch in dem Salon eine große Rolle gespielt hat, dieses Sendungsbewusstsein, was im 19. Jahrhundert ja ganz stark war, in dieser heroischen Periode - dieses Sendungsbewusstsein, das zielte ja nicht auf Lokalität, auf München, auf Bayern, sondern von Anfang an auf war ein größerer Zusammenhang gemeint: Deutschland, die deutsche Kultur. Man hat ja gedacht, die Mission geht von München aus, wie so häufig, auch politisch hat man das ja gedacht, und wir sind die Retter bzw. die Wahrer der deutschen Kultur. Und so ähnlich dachte man das auch im Salon, darum ,Salon Deutschland', - Darum hat dieser Salon ja auch ein ganz heterogenes geistiges Publikum versammelt, es geht nicht um irgendeine provinzielle Geschichte hier. Wir haben einen anderen Anspruch, ein anderes Sendungsbewusstsein. Und das war von Anfang an da drin, diese Hybris war von Anfang an da drin." MUSIKAKZENT Zit.: "Der Führer erzählte, wie er in Bruckmanns Haus alle bedeutenden Männer der nationalen Kreise Münchens kennen gelernt hätte." Spr.: Dass Adolf Hitler sich 1941 im Führerhauptquartier nur wohlwollend an seine Zeit im Münchner Salon Bruckmann erinnern wollte, war kein Zufall. Hier begann in den 20er Jahren sein Aufstieg. Im gediegenen, erlesenen Kreis von lauter Privatgelehrten und Professoren, in einem lange schon eingeführten Salon, zu dessen Geselligkeiten 1899 zum ersten Mal eingeladen wurde. Zit.: "Hugo und Elsa Bruckmann sind Freitag Abend nach 9 Uhr zu Hause und würden sich freuen, Sie recht oft begrüßen zu dürfen. Karolinenplatz 5, Tel. 22433." Spr.: Solche Kärtchen wurden in der Zeit der vorvergangenen Jahrhundertwende verschickt. Der Herr des Hauses, Hugo Bruckmann, war Verleger von Kunstbüchern und Zeitschriften. Zeitgleich mit der Geburtsstunde des Salons Bruckmann war im Verlag Bruckmann ein Buch erschienen, das sich über 100.000 Mal verkaufen und über Elsa Bruckmann, eine frühe Anhängerin der nationalsozialistischen Bewegung, den Weg zu Hitler finden sollte. Es war ein antisemitisches, antiliberales Manifest, ein gewaltiger Wälzer von 1100 Seiten, verfasst von Houston Stewart Chamberlain, einem Briten, der sich zum Praeceptor Germaniae aufschwang und eine Schwäche für die Musik Richard Wagners hatte: "Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts". Eine ressentimentgeladene Schrift - und das Buch für das Bildungsbürgertum des beginnenden 20. Jahrhunderts. Zusp. 4 Martynkewicz: "Die Bildungsbürger kamen sich in einer Defensive vor, weil diese Gesellschaft offenbar alles nivelliert, was ihnen wichtig war. Und nun kommt Chamberlain und sagt mit seinem Begriff der ,Rasse': Rasse bedeutet Ungleichheit und Hierarchie. Es gibt eine Hierarchie, und das ist ganz entscheidend, weil das ja Begriffe sind, die in der Gesellschaft gar keine Rolle mehr gespielt haben. Hierarchie wurde nivelliert, Familie hatte nicht mehr die Bedeutung usw. und der Chamberlain kommt jetzt und sagt: Es gibt noch etwas, was dies alles beinhaltet. Und das hat er in den Begriff der Rasse gepackt. Man muss ihn ja erst mal positiv verstehen, als einen ausgrenzenden Begriff. Es gibt eine Rasse, die ein Selbstbewusstsein verkörpert, eine Empfindung, und ausgegrenzt wird eine andere Gruppe, ein Feindbild. Spr.: Chamberlain wurde damit zum ideologischen Stichwortgeber der Nazis, "aus Schlaf und Schlendrian", so Hitler später, habe Chamberlain die Deutschen erweckt. Das Feindbild war ,der Jude'. Degeneriert, erschlafft sei die Kultur, befand Chamberlain und warb für eine "Erneuerung der Kultur" im Zeichen der germanischen Rasse. Zusp. 5 Martynkewicz: "[Und] beim Freud heißt es mal: Das funktioniert immer am besten. Man kann Leute binden, man muss da nur andere haben, die sich zum Feindbild eignen. Und dann wäre so ein kultureller Zusammenhang möglich. Genau das hat Chamberlain fertiggebracht, und er hat mit diesem Rassebegriff den Bildungsbürgern gesagt: Das ist eine Empfindung, das ist euer Selbstbewusstsein. Und der entscheidende Punkt ist ja, dass er gesagt hat: Man kann Rasse herstellen. Der neue Mensch - wir können den neuen Menschen - über diese Rasse - ich sag's mal in Anführungszeichen -: züchten." Spr.: Der neue Mensch war das Gegenmodell zur verhassten Zivilisation. Stand die Zivilisation doch für all das, was man ablehnte: die parlamentarische Demokratie, Vernunft, Technik. Kultur hingegen: für Tiefe, Innerlichkeit, und heroische Haltung. Zusp. 6 Martynkewicz: "Man hat ja zu Anfang gedacht, was die kulturellen Eliten anging, dass diese kulturelle Eliten versagt haben. Es ist aber so, wenn man die Tradition verfolgt - und das ist ja auch gemacht worden bis ins 19. Jahrhundert herein, dass schon sehr früh aus der Tradition der Eliten zu sehen ist, dass solche Figuren wie Erlöserfiguren, Herrscherfiguren eine ganz große Rolle spielten. Das war ja immer auch das Gegengewicht zur Moderne. Zit.: "Der Künstler ist uns wieder wie den Alten ein Seher; er ist der Künder unseres Ichs." (Harry Graf Kessler, Tagebuch 1892-1897) Zusp. 7 Martynkewicz: "Das kennzeichnet die Situation, dass sie sich einerseits als Moderne begriffen haben, als eine bestimmte Ausprägung der Moderne, zum anderen aber etwas wollten, was dieser Moderne Festigkeit gibt, dieser Moderne wieder eine Verbindlichkeit gibt, eine Ordnung gibt. Das haben sie vermisst. Damit geraten sie natürlich in eine Aporie: Moderne bedeutet das Neue, der Wechsel. Und der wird als Bedrohung empfunden. Und wenn man so bizarre Verbindungen anschaut wie die von Richard Wagner und Ludwig II.: eine ständische Ordnung sollte aufgebaut werden und an der Spitze stehen Ludwig II., der den Titel eines Erlösers tragen sollte. Also diese Ideen waren lange vorbereitet." Spr.: Für Wolfgang Martynkewicz, der als erster die Hinterlassenschaften des Salons Bruckmanns sichtete, steht fest: Autoren der Jahrhundertwende lieferten ein gedankliches und begriffliches Arsenal, dessen Tragweite bis heute unterschätzt wird. Der genialische Staatskünstler mit Zügen eines Messias: eine Kopfgeburt von Intellektuellen, die bei einem gescheiterten Kunstmaler auf fruchtbaren Boden fiel. Zusp. 8 Martynkewicz: "Hitler wollte eine Kunst - und Kunst zählte ja bei den Nationalsozialisten, aber auch bei den Bildungsbürgern, das war ja ein ganz wichtiger Begriff, nicht nur im engeren Sinn, wie man zunächst denken mag, sondern Kunst sollte ja - Hitler sagt es in seinen kunstpolitischen Reden ,das Allerhöchste' sein. Und Kunst sollte - man kann sich da nur noch wundern - eine Führungsmacht, eine Lebensmacht sein. Ähnlich groß dachte man ja auch im Bürgertum des 19. Jahrhunderts über die Kunst. Das hatte ja kunstreligiöse Züge. Und Hitler formuliert es nun so, dass er eine Kunst will, die Ewigkeitswert hat, die also nicht der Mode unterworfen ist, die keinen Stil ausbildet usw., denn Stil ist etwas, was endlich und vergänglich ist, und Kunst sollte unvergänglich sein. Das ist genau die Auffassung, die um 1900 entsteht innerhalb dieser Schichten, die wollten eine Kunst, die jetzt ins Leben einwandert. Es gibt schöne Beschreibungen von Rilke in seinen Münchner Kunstbriefen, wo er sagt: Es geht darum, dass Kunst zum allgemeinen Erzieher wird. Aber nicht, indem die Kunst nun den Einzelnen erzieht, sondern es geht darum, dass Kunst von Anfang an im Leben ist und dieses Leben orientiert." Zit.: "Dies kann aber nur in einer Zeit geschehen, in welcher nicht der Einzelne zur Kunst erzogen werden muss, sondern da die Kunst selbst mit allen ihren Mitteln erziehlich auf das Individuum einwirkt und deshalb von vornherein nicht als etwas vom Leben Verschiedenes und Fremdes, sondern als natürliche Steigerung [...] desselben empfunden wird." (Rilke, Münchner Kunstbrief, 1897) Zusp. 9 Martynkewicz: "Also da stecken schon Ideen drin - Rilke nennt das ganzheitlich, eine Einheitsidee, die die Kunst ausbilden soll - da stecken schon Ideen drin, wie sie damals auch artikuliert worden sind: Kunst als eine Hygiene des Lebens, als etwas, das das Leben reformieren soll. Und das war auch das Projekt der Nationalsozialisten, das war anschlussfähig." MUSIKAKZENT Spr.: Es muss eine seltsame Gesellschaft gewesen sein, die sich da ab 1899 im Salon Bruckmann allwöchentlich versammelte und auf bequemen Ledersesseln niederließ. Der Soziologe Georg Simmel schaute vorbei, Rainer Maria Rilke machte, wenn er über München reiste, stets dort Station. Obwohl die Bruckmanns einen erklärten Antisemiten wie Houston Stewart Chamberlain hofierten, waren sie befreundet mit den jüdischen Wolfskehls, dem Privatgelehrten Karl und seiner Frau Hanna. Und Hanna Wolfskehl, die wusste, welche Werke der Bruckmann Verlag herausbrachte, sprach trotzdem 1913 enthusiasmiert vom Salon Bruckmann als dem "größten officiellen Salon für Kunst!". Auch Thomas Mann, dessen Schwiegereltern Hedwig und Alfred Pringsheim selbst einen berühmten Salon führten, gehörte zu den Habitués - allerdings nur so lange, wie er sich noch nicht zum Verfechter des Republikanismus gewandelt hatte. Zusp. 10 Martynkewicz: "Beim Thomas Mann taucht' s ja auch auf, in seinem Aufsatz ,Bruder Hitler', wo er ja ganz erschreckt zitiert, dass es da Verbindungslinien gibt, dass der Despot, siehe Hitler, sich als Künstlerexistenz geriert und im Künstler - da kommt er ja auf seine eigene Geschichte zu sprechen - auch etwas Despotisches steckt." Zit.: "Ein Bruder ... ein etwas unangenehmer und beschämender Bruder; er geht einem auf die Nerven, es ist eine reichlich peinliche Verwandtschaft. Ich will trotzdem die Augen nicht davor schließen, denn [...] besser, aufrichtiger, heiterer und produktiver als der Haß ist das Sich-Wiedererkennen [...] Muß man nicht in dem Phänomen eine Erscheinungsform des Künstlertums wiedererkennen? Es ist, auf eine gewisse beschämende Weise, alles da: die ,Schwierigkeit', Faulheit, und klägliche Undefinierbarkeit der Frühe, [...] das halb blöde Hinvegetieren in tiefster sozialer und seelischer Bohème, das im Grunde hochmütige, im Grunde sich für zu gut haltende Abweisen jeder vernünftigen und ehrenwerten Tätigkeit - auf Grund wovon? Auf Grund einer dumpfen Ahnung, vorbehalten zu sein für etwas ganz Unbestimmbares, bei dessen Nennung, wenn es zu nennen wäre, die Menschen in Gelächter ausbrechen würden." (Thomas Mann, Bruder Hitler, 1939) Zusp. 11 Martynkewicz: "Wenn der Künstler nichts Despotisches hätte, schafft er auch nichts Originelles. Und wichtig: das Antizivilisatorische. Er darf nicht aus der Zivilisation kommen. Und Kunst war ja auch etwas, was außerhalb der Zivilisation angesiedelt worden ist. Also diese Wendung gegen die moderne, technische Zivilisation." Spr.: Kunst als der große Synthesenbildner, der die zerrissene Gesellschaft wieder einigen könnte, auch darin drückt sich für Wolfgang Martynkewicz der Wahn der Zeit aus - der Wahn von der "wahren Kunst". Zusp. 12 Martynkewicz: "Einerseits wahre Kunst, die wahre deutsche Kunst, und auf der anderen Seite tauchen ganz früh Begriffe auf wie ,Entartung', wie ,eine minderwertige Kunst', und dagegen wird polemisiert schon sehr früh. Und es ist so, dass die Nazis sich ja von Anfang an als Retter gesehen haben, als Retter der deutschen Kunst. Die waren ja genauso besessen von diesem Projekt. Und der Salon, die bürgerliche Intelligenz, die hatte genau dieses Projekt: Retter der Kunst zu sein, der wahren deutschen Kunst zu sein." Spr.: Einer, der sich auch als Retter der deutschen Kunst verstand, war ein junger Mann, den die kinderlose Salonnière Elsa Bruckmann wie ihren Sohn behandelte. Tatsächlich war er ihr Neffe: Norbert von Hellingrath. Ein Philologe, der, entflammt für Friedrich Hölderlin, dessen Poesie zu seinem Thema im Salon Bruckmann machte: "Hölderlin und die Deutschen", "Hölderlins Wahnsinn" hießen Hellingraths Vorträge, in denen er ins "geheime Reich" dieses Dichters, bis zu dessen "göttlichem Glutkern" vorzustoßen meinte - und doch nur Salonlöwenlyrik fabrizierte. Die Deutschen seien nicht länger das "Volk Goethes", so Hellingrath 1915, sie seien das "Volk Hölderlins". Zusp. 13 Martynkewicz: "Der Gedanke war, dass Goethe jemand war, der für Hellingrath das Weltbürgertum verkörperte in seinen Schriften. Und im Grunde genommen, er sagt das an einer Stelle: ja, Goethe ist eigentlich für jeden Franzosen, für jeden Engländer verständlich. Auch in seinem Anspruch, was Bildung angeht, was Wissen angeht, ist der völlig verständlich für jede andere Nation. In Hölderlin haben wir einen ganz anderen Typus vor uns. Vieles von dem, was Hölderlin geschrieben hätte, sei im Prinzip für eine andere Nation nicht verständlich, nur für die Deutschen. Und sie hätten da einen ganz anderen Zugang zu. Denn die Wahrheit, die Hölderlin verkörpert, würde viel tiefer gehen. Da spielt Hölderlin dann als jemand, der eine spezifische deutsche Sendung verkörpert, eine ganz andere Rolle. Er ist oder müsste sein der Prophet des Deutschen." MUSIKAKZENT Spr.: Dass zum 100. Todestag Hölderlins am 7. Juni 1943 trotz kriegsbedingter Papierknappheit ein Hölderlin-Gedenkbuch mit lauter Aufsätzen des schon längst gefallenen Norbert von Hellingrath erschien, und zwar "auf Befehl des Führers", wäre nie geschehen, hätte nicht Hellingraths Tante Elsa Bruckmann sich dafür eingesetzt. Als "Vertraute des Führers", als mütterliche Freundin Adolf Hitlers, die ihm "Treue bis zum letzten Atemzug" geschworen hatte, verfügte sie über exzellente Verbindungen ins Führerhauptquartier. Schon in der Festungshaft in Landsberg am Lech hatte sie Hitler besucht, gemeinsam mit ihrem Mann Hugo "Mein Kampf" lektoriert. Ein Foto zeigt Elsa Bruckmann und Hitler 1927 im Münchner Circus Krone. Sie genoss als eine der wenigen das Privileg, ihn "Wolf" nennen zu dürfen. Bis in die späten 30er Jahre hinein war er Gast ihres Salons. Die gegenseitige Zuneigung ging soweit, dass ihr Hitler noch 1945 zum 80. Geburtstag ein Paket aus dem zerbombten Berlin zukommen ließ. Sein erster Auftritt dort im Salon Bruckmann allerdings dürfte der denkwürdigste gewesen sein. Hitler betrat den Salon am 23. Dezember 1924 mit Reitpeitsche, Velourshout und Trenchcoat, im Gürtel trug er einen Revolver. Zusp. 14 Martynkewicz: "Ja, man kann sich im Grunde nur wundern, weil vom Typus her, vom Auftreten her widerspricht er ja diametral dem Bild dieser distinguierten bürgerlichen Klasse und dem Ganzen, was er da sieht. Das ist die eine Seite und die andere ist, dass die von diesem Typus ja so fasziniert waren. Wie kommt das zustande? Wenn man jetzt diesen Bericht von Elsa und Hugo Bruckmann liest, das erste Auftreten, dann merkt man zwei Seiten, die da, glaube ich, wichtig waren. Die eine Seite: Hitler waren offenbar nicht jemand, der zu ihnen gehörte, der von außen kam - ganz wichtig, sie haben ja alle, man kann die Diskussionen im George-Kreis verfolgen, man kann die Diskussionen im Salon verfolgen, Hofmannsthal-Reden verfolgen, sie haben den Erlöser, den sie wollten, den sie früh gesehen haben, als einen gesehen, der nicht aus ihrer Schicht kam, der kann nur von außen kommen, und der sollte auch nach Möglichkeit nicht durch die Kultur - ja, ich sag's jetzt mal - verdorben sein. Also einmal dieses Urwüchsige, und die andere Geschichte ist, dass er, als er dann Bruckmanns besuchte, den Salon besuchte, offenbar sofort begeistert war von der Kunst und klargemacht hat: Das ist mein Projekt. Spr.: Mit Hitler kamen andere: Alfred Rosenberg etwa, der spätere Chefideologe der Nationalsozialisten. Auf wen Hitler dort im Salon stieß, ist nicht belegt. Henri Nannen vielleicht, den späteren Macher des "Stern", der damals für den Bruckmann- Verlag arbeitete? Möglich, dass er im Salon Hugo von Hofmannsthal begegnete. Der schrieb seinerzeit am Drama "Der Turm", in dem aus dem Munde des Herrschers Sigismund Worte fallen, die Hitlers Selbstverständnis recht präzise wiedergeben: Zit.: "Aber damit wir uns recht verstehen! Ich nehme mir heraus, dass ich beides in diesem Dasein vereine: zu ordnen und aus der alten Ordnung herauszutreten. Und dazu bedarf ich eurer: Einwilligung ist das Teil, das ich von euch verlange, Einwilligung, die da mehr ist als Unterwerfung!" Zusp. 15 Martynkewicz: "Es ist ja so, dass in den 20er Jahren ein Mann wie Hofmannsthal, der von dieser Verbindung ja wusste - jetzt Bruckmann-Hitler -, und wahrscheinlich wurde darüber auch diskutiert, aber der war noch bis 1926 das letzte Mal im Salon. Ob er Hitler dort auch getroffen hat - ich weiß es nicht. Es lassen sich keine Nachweise finden, aber es war für ihn jetzt kein Grund zu sagen: Da geht ich nicht mehr hin." Spr.: Hin ging auf jeden Fall nach wie vor ein alter Freund Elsa Bruckmanns: der Tausendsassa Ludwig Klages, seines Zeichens Psychologe, Ökologe und Graphologe. Auf Geheiß der Hausherrin las er die Handschriften der Gäste, der "Intimen" wie der weniger Vertrauten und deutete sie aus. Elsa Bruckmann nannte Klages ihren "Seelenführer", der anhand von graphologischen Gutachten die "Gesinnungsfestigkeit" derjenigen prüfte, mit denen man im Salon verkehrte. Zusp. 16 Martynkewicz: "Ein Salon ist ja klassischerweise oder sollte klassischerweise nicht auf ein Ziel ausgerichtet sein und keine Handlungsziele verfolgen. Alles das verändert sich jetzt. Die Einladungskarten zeigen das: Themen, die nun in ganz direkter Weise mit Weimarer Republik, mit dieser Kultur, mit Berlin zusammenhängen. Da hat man zu eingeladen, Leute aus dem Bekanntenkreis, und es kamen sechzig Leute zusammen, die diese Vorträge angehört haben. Der Charakter hat sich auch insoweit geändert, als es zu einem Vortrag kam und zu keiner Diskussion. Diskussion war nicht erlaubt." Spr.: Diskutiert werden musste auch nicht mehr. War der Salon vorher auch gelegentlich ein Forum für Kontroversen gewesen, für ein ,Miteinander des Verschiedenen", so war er nunmehr: reiner Kontakthof. Jetzt ging es nur noch darum, Netzwerke zu knüpfen: So lernt Hitler im Salon Bruckmann 1930 den Architekten Paul Ludwig Troost kennen, den späteren Baumeister des "Hauses der deutschen Kunst". Der Historiker Karl Alexander von Müller, zu dessen Schülern Rudolf Heß und Baldur von Schirach zählten, erlebte Hitlers Auftritte im Salon bis 1939. Zit.: "Der Ablauf der Abende war, sooft wir zugegen waren, ziemlich genau derselbe. Ein bestimmter Gesprächs Gegenstand wurde aufgeworfen; es gab zuerst ein kurzes Hin und Wider der Diskussion, dann hatte er [Hitler] mit eins, man wusste nicht wie, das Wort an sich genommen und sprach, dozierte, perorierte allein weiter. [...] Oft, wenn er begann, hatte ich auch hier den Eindruck, er wisse selbst noch nicht, wohin die Flut ihn tragen würde, der er sich überließ, er schien bewusstlos oder halbbewußt auf den Wellen zu schwimmen, die ihm aus der jeweiligen Zuhörerschaft zuströmten: und dann redete ,es' weiter aus ihm." MUSIKAKZENT Spr.: Hugo Bruckmann ging 1932 in den Reichstag für die NSDAP, wurde später Reichskultursenator, verantwortlich für Literatur und Presse und verlegte von Beginn des Zweiten Weltkriegs an bis zu seinem Tod 1941 Propagandaschriften unter dem Titel "Unser Kampf". Er und Elsa erhielten die zweistelligen Parteimitgliedsnummern 91 und 92, die den besonders Engagierten vorbehalten waren. Und doch muss diese überzeugten Nazis ein gewisses Unbehagen überkommen haben Anfang der 30er Jahre, als sie vom Münchner Karolinenplatz 5 fortzogen in Richtung Leopoldstraße. Zusp. 17 Martynkewicz: "Also ich habe jetzt nichts in den Archiven gefunden, aber ich habe das jetzt so interpretiert, dass dieser ganze Platz und das ganze Viertel hat sich ja ungeheuer gewandelt. Hat sich gewandelt mit dem Braunen Haus, und die Nazis haben dann ja systematisch Häuser aufgekauft, Grundstücke aufgekauft. Und dieser ganze Bereich um den Karolinenplatz wurde dann ja von den Nazis in Besitz genommen, es entstanden ganz bestimmte Parteizentren, die dort ihren Sitz hatten, und es war dann zuletzt so, dass die Bruckmanns fast nur noch alleine dieses Haus da waren. Sie waren quasi umgeben von lauter Nazi-Zentralen. Und es gibt ja auch eine spätere Äußerung von Elsa Bruckmann, da schreibt sie, das ist dann allerdings schon in den 30er Jahren, sie könne diese ewigen Fahnen, die da durch München gehen würden, irgendwie nicht mehr ertragen. Also, wenn das in einer bestimmten Distanz abläuft: okay. Aber man sollte der Geschichte nicht zu nahe kommen." Spr.: So wie man es schon 1919 gehalten hatte, als in den Wirren der Räterepublik 21 Menschen, vermeintlich Spartakisten, im Hof des Bruckmannschen Hauses zu Tode geprügelt und gefoltert worden waren, von Freikorps-Verbänden, die ungehindert vor den Augen der Bruckmanns ein Massaker veranstalteten. Zusp. 18 Martynkewicz: "Ja, ich glaube, das war, wie überhaupt die ganze Räterepublik eine alptraumhafte Geschichte. Bei den Bruckmanns ganz entscheidend: sie waren bei dem Ereignis ja direkt einbezogen, Ich würde das parallelisieren mit einer anderen Geschichte, nämlich: 30er Jahre. Das Ganze ging doch so lange gut, so lange Dachau noch relativ weit weg war. Aber es sind ja auch nur zehn Kilometer oder so, und als dann Mitte und Ende der 30er Jahre diese Gewalt auf den Straßen sichtbar wurde, da wurde es zu einem Problem. Da hat man zum Salonfenster herausgeschaut und hat dann auch die Berichte aus Dachau gehört und gesagt: Das ist kaum zu ertragen." Spr.: Schwer zu ertragen auch, wenn man erkennen muss, was aus der Vorstellung vom "höchsten Menschen" wurde, die am Beginn des Salons Bruckmann stand. Elsa Bruckmann blieb bis zuletzt ihrem Führer verbunden. Vermutlich wird sie sich, als sie kurz nach Kriegsende 1946 in Garmisch-Partenkirchen starb, noch nicht einmal auf ihrem Totenbett gefragt haben, welcher Illusion sie einst mit vielen anderen aufgesessen war, als man meinte, es müsste doch bestimmt möglich sein, diese Salon-Züchtung Adolf Hitler zu zähmen. Lange Zeit glaubte man in diesen Kreisen, den Führer führen zu können - für Wolfgang Martynkewicz, den Chronisten und profunden Analytiker des Salons Deutschlands, ein aberwitziger, fataler Irrglaube. Zusp. 19 Martynkewicz: "Im Grunde genommen sieht man an dieser Auffassung, dass sie etwas bewundert haben, was sie nachher irgendwo in den Griff bekommen wollten. Nämlich dieses ,Unzivilisierte', Urwüchsige usw. Genau das, hatten sie die Illusion, werden wir kultivieren. Und dann ist es möglich, dass wir diese Figur - ich sage jetzt nicht: wie eine Marionette - aber doch so beeinflussen können, dass unsere Linie vollführt wird. Und dieses Projekt musste natürlich zum Scheitern verurteilt sein, weil man da in dieser Hinsicht Hitler völlig unterschätzt hat." MUSIK AUF SCHLUSS 12