Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 24. Januar 2017, 19 Uhr 30 Die Autobahn GmbH Wer profitiert von der neuen Infrastrukturgesellschaft? Von Johannes Zuber Sprecherin Sie sind laut und stinken, 13.000 Kilometer Asphalt und Beton. Und trotzdem: Die Autobahnen gehören zur deutschen Identität, zur deutschen Kultur. Musik Collage: Truck Stop: Schneesturm auf der Autobahn./Beginner: Fahr'n fahr'n auf der Autobahn. Seit Stunden, seit Tagen seit Jahren./Kraftwerk: Fahr'n fahr'n fahr'n auf der Autobahn... Sprecherin Doch jetzt gibt es Streit: Die Bundesregierung will die Autobahnen in eine GmbH auslagern, die sich um Planung, Bau, Erhalt und Finanzierung kümmern soll. Eine sinnvolle Reform? O-Ton Franz Nauschnigg Ich glaube, es wäre ein gutes Modell, dass wir hier zusätzliche Infrastrukturinvestitionen vornehmen und damit sozusagen das Wachstum ankurbeln. O-Ton Gernot Sieg Die bundesweite Gesellschaft kann besser planen als es bisher möglich war Sprecherin Aber zu welchem Preis? O-Ton Sven Kindler Bei der Autobahngesellschaft besteht die große Gefahr, dass damit den großen Versicherungen und den großen Banken ein Milliardengeschäft gegeben werden soll. Sprecher Um zu verstehen, was hinter den Plänen der Bundesregierung steckt, muss man weit fahren. Quer durch Deutschland und sogar bis nach Wien. Atmo Autotür, Gurt, Motor starten Musik Neonschwarz - On a Journey CUT Sprecher Ausfahrt 1: Münster. Eine Fahrt über Schlaglöcher und baufällige Brücken. Über Straßen, in die viel zu lange viel zu wenig investiert wurde. Und ein kleiner Abstecher in die Vergangenheit, zum Ursprung des deutschen Autobahnnetzes. Sprecherin Die Reise beginnt in Köln. Im Süden der Stadt geht's auf die Autobahn, die A555. Heute sieht man es ihr nicht mehr an, aber sie ist die älteste Autobahn Deutschlands. Die Planungen begannen schon 1926. Musik 3 Großstadtgeflüster LOOP gemischt Sprecher Die Autobahnen sind also nicht wie oft behauptet eine Erfindung der Nazis. Der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer hat die heutige A555 schon vor deren Machtergreifung eröffnet. Die neue Straße sollte die Dörfer zwischen Bonn und Köln entlasten, über deren Kopfsteinpflasterpisten jeden Tag Tausende Autos und Laster rumpelten. Sprecherin Bei der Eröffnung sagte Konrad Adenauer stolz: So werden die Straßen der Zukunft aussehen. Heute sind die Autobahnen aber nichts mehr, womit Politiker angeben können. Und das tun sie auch nicht mehr. O-Ton Sigmar Gabriel In Deutschland haben wir seit geraumer Zeit eine Diskussion über den Rückstand in der öffentlichen Infrastruktur. Viele Menschen erleben das täglich auf den Verkehrswegen. O-Ton Reiner Haseloff Wir haben einen großen Investitionsstau in der Infrastruktur. O-Ton Angela Merkel Und deshalb ist es ein ganz wichtiger Schwerpunkt, dass wir mehr in die Verkehrsinfrastruktur investieren. Nur so werden wir als ein Land im Zentrum Europas überhaupt wettbewerbsfähig sein. Atmo Navi Verkehrswarnung + Autofahrt Sprecherin Der schlechte Zustand zeigt sich schon kurz nach dem Start, auf dem Weg über den Rhein. Die nördliche Kölner Rheinbrücke ist seit über zwei Jahren für schwere LKW gesperrt, damit wenigstens noch PKW über die baufällige Brücke fahren können. Und auch die südliche ist eine Baustelle, Tempo 60. Das sind nur zwei von über 2500 Brückenabschnitten auf Bundesstraßen und Autobahnen, die laut Bundesverkehrsministerium dringend saniert werden müssten. Dazu kommt bröckelnder Belag, fehlende Markierungen, Schlaglöcher. Atmo Nach 400 Metern nächste Ausfahrt rechts fahren Sprecherin Auf der anderen Seite des Autobahngeflechts im Ruhrgebiet liegt die beschauliche Fahrradstadt Münster. Atmo rechts fahren Sprecherin Hier an der Uni arbeitet Gernot Sieg; schlank, randlose Brille. Er leitet das Institut für Verkehrswissenschaft und ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundesverkehrsministers. O-Ton Gernot Sieg In der Vergangenheit wurde zu wenig investiert, es wurde zu wenig repariert, es gab einen Reparaturstau. In erster Linie eben weil die Finanzmittel fehlten. Sprecherin Und diese fehlenden Investitionen der Vergangenheit werden heute deutlich. O-Ton Gernot Sieg Schlaglöcher auf Autobahnen sind der erste Schritt, der zweite Schritt sind Geschwindigkeitsbegrenzungen, um die Straßen zu schützen. Und wenn ganze Brücken gesperrt werden, wie es in Köln passiert, dann sieht man, was schlecht gelaufen ist. Sprecherin LKW müssen weite Umwege fahren, der Schaden für Speditionen und umliegende Unternehmen beträgt schon viele Millionen Euro, schätzt der Verband Logistik und Spedition NRW. Dabei ist derzeit eigentlich genug Geld da, um Straßen und Brücken zu sanieren. Aber Geld ist eben nicht alles, sagt Gernot Sieg. O-Ton Gernot Sieg Dann müssen die Kapazitäten vorhanden sein, um die Projekte zu planen, auszuschreiben und dann auch umzusetzen. Und diese Kapazitäten wurden in der Vergangenheit auch reduziert und sind nicht schnell wieder aufzubauen. Sprecherin Der Engpass ist inzwischen also nicht mehr das Geld, sondern eher die Planungskapazität in den Ländern. Vereinfacht gesagt: Geld ist da, nur leider niemand, der es ausgeben will. Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt - und heißt Auftragsverwaltung. Musik Großstadtgeflüster LOOP gemischt Sprecher Die Autobahnen gehören dem Bund. Er darf also bestimmen, welche Strecke wo gebaut oder ausgebaut wird. Und dafür bezahlt er auch. Aber umsetzen müssen es die Länder: Sie planen, schreiben Aufträge aus und kümmern sich darum, dass alles auch so klappt wie geplant. Vorausgesetzt, sie haben die Kapazitäten dafür. Sprecherin Allein der Landesbetrieb Straßen.NRW hat 2016 über 100 Stellen für Ingenieure ausgeschrieben. Davon sind viele immer noch nicht besetzt. O-Ton Gernot Sieg Und wenn die Länder nicht genug Planungsmittel haben, dann zeigt es sich, dass einige Länder mehr Projekte initiiert haben als andere. Und dann ging der Netzausbau asymmetrisch voran. In einigen Bundesländern wurde das Netz stärker ausgebildet, in anderen weniger. Sprecherin Ganz vorne - wie so oft: Bayern und Baden-Württemberg. NRW zum Beispiel steht deutlich schlechter da. Die meisten Politiker und Experten sind sich daher einig: Die bisherige Auftragsverwaltung funktioniert nicht gut. Eine bessere Organisation muss her. Darüber wurde lange diskutiert. Musik 3 Großstadtgeflüster LOOP gemischt Sprecher Schon im Jahr 2000 empfahl eine Expertenkommission, eine Bundesautobahngesellschaft zu gründen. 2005 wollte Peer Steinbrück die Autobahnen sogar verkaufen. Und 2015 empfahl schließlich eine neue Kommission ein ähnliches Modell wie die erste. Als Teil eines großen Plans für mehr Investitionen in Deutschland. O-Ton Marcel Fratzscher Der fünfte Punkt dieses Zehn-Punkte-Plans geht um die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft für Bundesfernstraßen. Sprecherin Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin und Leiter der Kommission, stellte die Ergebnisse im Frühjahr 2015 vor. O-Ton Marcel Fratzscher Diese Verkehrsinfrastrukturgesellschaft würde so effizienter handeln können, also aus einer Hand. Es sollte zum größten Teil, idealerweise ausschließlich, durch Nutzerentgelte, also Mauteinnahmen, finanziert werden können. Diese Institution könnte eine eigene Kreditaufnahmekapazität haben. Und, nochmals zu betonen, es geht dabei nicht um eine Privatisierung öffentlicher Infrastruktur. Diese Gesellschaft würde also entweder ausschließlich oder zumindest mehrheitlich in öffentlicher Hand bleiben. Sprecherin Damit war die Vorlage auf dem Tisch. Und die Bundesregierung machte sich an die Arbeit, die Vorschläge umzusetzen. O-Ton Angela Merkel Ja meine Damen und Herren, ich darf Ihnen berichten, dass wir uns geeinigt haben... Sprecherin Das sagte Angela Merkel sichtlich erleichtert auf der Pressekonferenz nach einem Verhandlungsmarathon zwischen Bundesregierung und Ländern, anderthalb Jahre nachdem Marcel Fratzscher die Vorschläge seiner Kommission vorgestellt hatte, also im Oktober 2016. Musik Baker Marlo - So cool Sprecher Geeinigt hatte man sich auf eine ganz große Reform; nämlich wie die Finanzen zwischen Bund und Ländern in Zukunft aufgeteilt werden. Die Autobahngesellschaft hat die Regierung dabei geschickterweise gleich mitverhandelt. Denn dafür muss das Grundgesetz geändert werden. Das bedeutet: neben dem Bundestag muss auch der Bundesrat mit zwei Drittel Mehrheit zustimmen. Und so eine große Mehrheit ist nicht umsonst zu haben. Die Länder wollten mehr Geld. Das bekommen sie jetzt - knapp zehn Milliarden Euro mehr im Jahr, dafür geben sie Kompetenzen an den Bund ab, darunter die komplette Hoheit über die Autobahnen. Der Bund lagert die Autobahnen dann in eine Gesellschaft aus. Statt des bisherigen Modells - der Bund zahlt, die Länder bauen - kümmert sich diese Gesellschaft also um alles. Sprecherin Vorbild für diese Konstruktion ist Österreich. Dort wurde eine ähnliche Gesellschaft schon vor 20 Jahren gegründet. Musik 2 Neonschwarz - On a Journey CUT Sprecher Ausfahrt 2: Wien. Besuch bei einem der Väter der Asfinag, der Autobahnen und Schnellstraßen- Finanzierungs-Aktiengesellschaft. Es geht um effiziente Verwaltung, die Maut und um versteckte Staatsschulden. Atmo Collage Verkehrsnachrichten Sprecherin Durch NRW, Hessen und Bayern bis an die österreichische Grenze. Ab hier geht es nicht mehr kostenlos weiter. Atmo Pickerl kaufen (anhalten, Autotür,...) Sprecherin Wer in Österreich über die Autobahn fahren will, muss eine Vignette an die Scheibe kleben. Die gibt es für verschiedene Zeiträume. Atmo Kunde: Kleiner als zehn Tage gibt's nicht? Verkäufer: Gibt's nicht. Sprecherin 9 Euro für zehn Tage, oder knapp 90 für ein Jahr. Atmo Verkehrsnachrichten: Es läuft gar nicht so schlecht auf Österreichs Straßen Sprecherin Bis Wien kein Stau, kaum Baustellen, guter Fahrbahnbelag. Verantwortlich dafür: die Asfinag und ihre Erfinder. Einer von ihnen - freundliches Lächeln, Dreitagebart - arbeitet heute in der österreichischen Nationalbank. O-Ton Franz Nauschnigg Mein Name ist Franz Nauschnigg, ich war als wirtschaftspolitischer Berater im Kabinett des Finanzministers auch zuständig für die Asfinag, die wir '96 in Österreich gemacht haben, um die Infrastruktur ordentlich durchzufinanzieren und langfristig auf sichere Beine zu stellen. Sprecherin Franz Nauschnigg ist einer der Väter der Asfinag. Und war in dieser Rolle als Gast in der Expertenkommission von Marcel Fratzscher, die das Modell nun auch für Deutschland empfiehlt. Kein Wunder, schließlich werden die Fernstraßen in Deutschland heute so verwaltet wie in Österreich vor 20 Jahren. O-Ton Franz Nauschnigg Der Bund hat es bezahlt und die Länder haben die Bauhöfe für die Erhaltung und Planung, Winterdienst und anderes gehabt. Sprecherin Das alles regelt heute die Asfinag. Einfach nur die Aufgaben auf eine zentrale Gesellschaft zu übertragen, ist aber gar nicht so einfach. Es gibt viele Punkte, die bei einem solchen Schritt umstritten sind. Klingt alles ziemlich technisch und trocken. Aber dahinter steckt die Frage, wozu die Gesellschaft überhaupt da ist - und wer am Ende von ihr profitiert. Sprecher Wem gehört die Asfinag? Sprecherin Sie ist zwar eine privatrechtliche AG, aber zu 100 Prozent im Besitz des Bundes. Macht sie Gewinne, fließen diese nicht an private Aktionäre, sondern an den Bund. O-Ton Franz Nauschnigg Es hat auch bei uns Druck gegeben, dass Banken und Versicherungen gesagt haben, das wäre ein gutes langfristiges Investment. Wir haben uns dann aber dagegen entschieden, weil wir gesagt haben: Die Autofahrer sollen nicht sozusagen die Gewinne der Banken und Versicherungen bezahlen. Sprecher Warum ist die Asfinag dann überhaupt eine AG? Sprecherin Die Gründer der Asfinag haben sich bewusst für eine privatrechtliche Gesellschaft entschieden. Franz Nauschnigg sieht darin mehrere Vorteile. O-Ton Franz Nauschnigg Und zwar die Effizienz des Privatsektors verbunden mit den niedrigen Finanzierungskosten des öffentlichen Sektors. Daher, weil sozusagen eine Aktiengesellschaft wesentlich flexibler agieren kann als eine Anstalt öffentlichen Rechts oder auch als eine Bürokratie. Es ist dann immer abhängig davon, wie viel gerade zur Verfügung steht, Geld im Budget. Wie viel gebaut wird, nicht wo die Finanzierungserfordernisse liegen, wie die Verkehrsströme laufen. Also die langfristige Planung ist dadurch besser gewährleistet. Die Asfinag hat dadurch, dass sie eine Bundesgarantie hat, genauso niedrige Finanzierungskosten wie der Bund, also wir kombinieren die Vorteile des privaten Sektors mit denen des öffentlichen Sektors. Sprecher Woher bekommt die AG ihr Geld? Sprecherin Mit Gründung der Asfinag änderte sich in Österreich auch die Art und Weise, wie die Autobahnen finanziert werden. Statt aus dem Bundeshaushalt kommt das Geld heute von Auto- und LKW- Fahrern. Nutzerfinanzierung heißt das. O-Ton Franz Nauschnigg Es wurde im Zuge der Gründung unmittelbar eingeführt die Vignette. Und anschließend- nach einiger Vorlaufzeit, aber ohne Probleme - durch die Asfinag die LKW-Maut eingeführt. Die Asfinag finanziert sich etwa zwei Drittel durch die LKW-Maut, ein Drittel durch die Vignette und zu einem ganz kleinen Teil auch durch Sondermauten für besonders teure alpenquerende Strecken. Sprecherin Aus diesen Einnahmen werden nicht nur neue Straßenabschnitte und Reparaturen bezahlt. Die Asfinag investiert knapp eine Milliarde Euro jedes Jahr. Auch die Schulden für bereits gebaute Autobahnen werden aus den Maut-Einnahmen abbezahlt. Die Asfinag kann nämlich auch eigene Kredite aufnehmen, um schnell an viel Geld zu kommen. Die Schulden betragen inzwischen mehr als zehn Milliarden Euro, also das zehnfache der jährlichen Investitionen. Auch weil alte Schulden des Bundes auf die Gesellschaft übertragen wurden. Und das ist vielleicht der wichtigste Punkt. Denn Effizienz hin oder her - am Ende hatte die Österreichische Regierung vor allem ein Motiv. O-Ton Franz Nauschnigg Der Auslöser war eigentlich, dass wir gesagt haben: Wir müssen die Maastricht-Kriterien erfüllen. Sprecherin Es ging in erster Linie also nicht um Straßen, um Brücken, um Autofahrer. Es ging um den Bundeshaushalt. Die Maastricht-Kriterien setzen den Regierungen der EU-Staaten enge Grenzen, was deren Schuldenstand und die Neuverschuldung angeht. Und da Straßen viel Geld kosten, erscheint es naheliegend, die Finanzierung außerhalb des offiziellen Budgets zu regeln. Genau das tut Österreich mithilfe der Asfinag. Denn sie gehört offiziell nicht zum öffentlichen Sektor. O-Ton Franz Nauschnigg Das ist ein Vorteil, weil sie wird dem Privatsektor zugerechnet, weil die Asfinag sozusagen damit nicht in diese Budgetkriterien hinein kann. Sprecherin Konkret heißt das: Die Schulden der Asfinag tauchen nicht mehr im Bundeshaushalt auf, sondern in der Bilanz der privaten AG Asfinag. Ein Modell, das auch für die deutsche Bundesregierung attraktiv ist. Und viele Gegner hat. Musik Neonschwarz - On a Journey CUT Sprecher Ausfahrt 3: Berlin. Termin im Bundestag. Besuch bei einem der schärfsten Kritiker der geplanten Gesellschaft. Es geht um heimliche Privatisierung, fehlende Kontrolle und mögliche Milliardengeschenke an Unternehmen. Sprecherin Der junge Politiker ist dunkelblond und glattrasiert, spielt gerne Fußball und hört die Ärzte. O-Ton Sven Kindler (lacht) Sven-Christian Kindler, 31 Jahre alt, Betriebswirt und haushaltspolitischer Sprecher von Bündnis 90 die Grünen im Bundestag. Sprecherin Sven-Christian Kindler kommt aus Hannover und ist 2009 als einer der jüngsten Abgeordneten in den Bundestag eingezogen. Inzwischen gehört er zu den wichtigsten Finanzexperten seiner Partei. O-Ton Sven Kindler Der ursprüngliche Plan bei Gründung dieser Gesellschaft war, das außerhalb der Schuldenbremse und außerhalb der Maastricht-Kriterien zu organisieren. Das hat das Bundesfinanzministerium noch vor wenigen Wochen im Haushaltsausschuss gegenüber uns bestätigt. Es ist ein Ziel von Wolfgang Schäuble gewesen, möglichst damit Staatsschulden zu senken und außerhalb der Schuldenbremse eben Schulden zu machen. Sprecherin Das Bundesfinanzministerium widerspricht dieser Aussage auf Anfrage. Ja, es sei ursprünglich eine AG nach Vorbild der Asfinag geplant gewesen. Deren Schulden wären dann natürlich auch nicht im Bundeshaushalt aufgetaucht. Aber es sei nie das Ziel des Finanzministers gewesen, Schulden zu verstecken. So etwas sei sogar ein "Sündenfall", sagt ein Sprecher des Ministeriums. Die im Moment geplante GmbH soll nach Meinung des Finanzministeriums keine eigenen Schulden aufnehmen dürfen, also könne sie die Schuldenbremse auch nicht umgehen. Verkehrs- und Wirtschaftsministerium sind aber dafür. Es ist also noch längst nicht klar, ob die GmbH eigene Schulden machen darf oder nicht. Unabhängig von der Schuldenfrage hat Sven- Christian Kindler aber noch andere Kritikpunkte. Zum Beispiel was die Kontrolle des Parlaments betrifft. O-Ton Sven Kindler Diese Gesellschaft soll als GmbH gegründet werden in privater Rechtsform. Das ist eine funktionale Privatisierung. Und das führt dazu, dass nachher der Bundestag sehr eingeschränkte Kontrollmöglichkeiten hat, weil er das nur über das Bundesbeteiligungsgremium, in dem ich der einzige grüne Vertreter meiner Fraktion momentan bin, kontrollieren kann. Und das nur unter Geheimhaltungsgründen. Das heißt, ich kann mit niemandem darüber sprechen, was wir über diese Gesellschaft nachher wissen werden. Und wir haben extrem schlechte Erfahrungen mit der Deutschen Bahn, die als Aktiengesellschaft organisiert ist, weil sie sich immer darauf zurückziehen wird auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, wenn es um heikle Fragen geht, und wir deshalb nachher parlamentarisch aber auch für die Öffentlichkeit so eine Gesellschaft nicht kontrollieren können. Und meine große Sorge ist, dass damit ein unkontrollierbarer Schattenhaushalt entsteht, der nachher losgelöst vom Parlament agieren kann. Sprecherin Ein Gutachten im Auftrag der baden-württembergischen Landesregierung empfiehlt deshalb, statt einer privatrechtlichen GmbH lieber eine Anstalt des öffentlichen Rechts zu gründen. Auch einige Bundestagsabgeordnete der SPD sind dafür. Dadurch hätte der Bundestag bessere Kontrollmöglichkeiten. Die Rechtsform soll nach drei Jahren ohnehin überprüft und gegebenenfalls verändert werden. Dann könnte die Gesellschaft von einer GmbH in eine Anstalt öffentlichen Rechts umgeformt werden. Aber auch in eine AG, so wie es die Fratzscher-Kommission und Wolfgang Schäuble ursprünglich wollten. So steht es im Gesetzesentwurf. Und noch etwas steht darin: Sprecher "Private Investitionen sollen auf Projektebene mit der Maßgabe der Wirtschaftlichkeit mobilisiert werden können." Sprecherin Dahinter stecken zum Beispiel so genannte öffentlich-private Partnerschaften, kurz ÖPPs. Dabei werden Teilstrecken auf private Unternehmen übertragen. Diese kümmern sich 30 Jahre lang um Ausbau und Erhalt - und finanzieren das alles selbst, meist über Kredite. Im Gegenzug erhalten sie die Mauteinnahmen für diese Strecke. Solche ÖPPs gibt es auch schon heute, die geplante Autobahngesellschaft könnte sie aber verstärkt einsetzen und auch größere Teile des Autobahnnetzes an private Unternehmen übertragen. O-Ton Sven Kindler Die große Gefahr besteht jetzt, dass für große Teile des Autobahnnetzes gebündelte Netz-ÖPPs geschaffen werden und das wird eben teuer nachher für den Steuerzahler und für den Autofahrer. Weil die Renditen für die privaten Unternehmen sie bezahlen müssen. Sprecherin Öffentlich-private Partnerschaften haben in Deutschland keinen allzu guten Ruf. Der Bundesrechnungshof hat einige der bisherigen Autobahn-ÖPP-Projekte untersucht und als unwirtschaftlich bezeichnet. Vor allem, weil sich private Unternehmen nur zu deutlich höheren Zinsen Geld leihen können, als das der Staat kann. Viele Experten lehnen ÖPPs deshalb ab. Und selbst kleine und mittlere Bauunternehmen halten nichts von ÖPP, weil diese vor allem Großkonzernen nutzen. Trotzdem sollen ÖPPs auch in Zukunft eingesetzt werden. Musik Baker Marlo - So cool Sprecherin Dabei lohnt der Blick ins Ausland. Denn auch andere Länder haben schlechte Erfahrungen mit der Beteiligung privater Unternehmen am Autobahnnetz gemacht. Zum Beispiel Portugal. Sprecher Der portugiesische Staat hat den Autobahnbau in ÖPPs ausgelagert - und leidet heute unter den Kosten, weil er den Baufirmen hohe Renditen garantiert hat. Inzwischen hat Portugal mehrere Milliarden Euro Schulden durch den Autobahnbau. Sprecherin Beispiel Spanien Sprecher Einige Maut-Autobahnen sind inzwischen bankrott, weil zu wenige Autofahrer sie benutzen. Nun muss der spanische Staat sie zurückkaufen. Kosten: Mehrere Milliarden Euro. Profitieren tun davon einige Großbanken und Bauunternehmen. Sprecherin Beispiel Frankreich Sprecher Ein großer Teil des französischen Streckennetzes wurde de facto privatisiert. Die neuen Betreiber erzielen Umsatzrenditen von über 20 Prozent. Bezahlen müssen die Autofahrer - mit stark gestiegenen Mautgebühren. Die knapp 1000 Kilometer von Nizza nach Paris beispielsweise kosten inzwischen 75 Euro. Sprecherin Österreich hat deshalb bewusst auf die Beteiligung privater Unternehmen verzichtet. Die Asfinag behält alles in der eigenen Hand. Also auch die Finanzierung. Für ihre Schulden zahlt sie zwar etwas höhere Zinsen als der Bund, sagt Franz Nauschnigg, O-Ton Franz Nauschnigg aber wenn Sie das vergleichen mit dem Aufschlag, der bei den deutschen öffentlich-privaten Partnerschaften ist, ist dieser Aufschlag - naja, einige sagen - das 50-fache. Also damit können wir gut leben: Wir sind 50 Mal so effizient wie die öffentlich-privaten Partnerschaften in Deutschland. Sprecherin Der Unterschied ist deshalb so groß, weil die Asfinag für ihre Schulden eine Staatsgarantie bekommt. Das senkt die Zinsen und damit die Kosten für den Autobahnbau. Und damit indirekt die Mautgebühren der Autofahrer und Speditionen. Also eigentlich absolut sinnvoll. Findet auch der Grünen-Politiker Sven-Christian Kindler. Vorausgesetzt natürlich, die in Deutschland geplante GmbH darf überhaupt eigene Schulden machen. O-Ton Sven Kindler Es gibt keinen logischen Grund, die Staatsgarantie zu verweigern. Die Autobahnen sind zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes, diese Gesellschaft ist zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes. Es ist eine staatliche Gesellschaft, die einen staatlichen Auftrag erfüllt, deswegen braucht es ja auch eine Staatsgarantie. Sprecherin Trotzdem ist eine solche Staatsgarantie in Deutschland umstritten. Der Bankenverband etwa ist dagegen. Und er hat Einfluss. Der damalige Vorsitzende des Verbands Jürgen Fitschen, gleichzeitig Co-Chef der Deutschen Bank, saß in der Expertenkommission unter Leitung von Marcel Fratzscher. In deren Abschlussbericht sprechen sich die meisten Mitglieder dann auch gegen eine Staatsgarantie aus. Lediglich die Vertreter der Gewerkschaften waren dafür. Im Gesetzesentwurf schließlich ist keine Staatsgarantie vorgesehen. Das passt zu dem, was Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei der Veröffentlichung des Fratzscher-Berichts gesagt hat. O-Ton Sigmar Gabriel An Geld, an privaten Vermögen und institutionellen Anleger mangelt es nicht in Deutschland, aber an Mitteln und Wegen, an guter Praxis und guter Erfahrung, dieses private Kapital für öffentliche Infrastruktur zu nutzen, daran mangelt es sehr. Sprecherin Und das soll sich aus Sicht von Sigmar Gabriel schleunigst ändern. O-Ton Sigmar Gabriel Privates Kapital kann und muss in Zukunft mithelfen, die Infrastruktur zu modernisieren. Sprecherin Und dazu sind die großen Anleger auch bereit. Zum Beispiel die Allianz-Versicherung, die genau wie die Deutsche Bank in der Fratzscher-Kommission vertreten war. Ihre Tochtergesellschaft Allianz Capital Partners will in Zukunft deutlich stärker in Infrastruktur investieren und möglichst schnell in die erste Liga aufsteigen. Vor allem Flughäfen und Straßen stehen auf dem Einkaufszettel. Musik Sprecher Ein erster Schritt in diese Richtung war 2015 der Kauf von Tank und Rast, einer ehemals staatlichen Gesellschaft, die die deutschen Autobahn-Raststätten betreibt. Zu Tank und Rast gehört auch der Toilettenbetreiber Sanifair. 70 Cent kostet es inzwischen, an einer Raststätte aufs Klo zu gehen. Ein Geschäft, das sich lohnt. Für die Allianz. Sprecherin Vor allem weil andere Geldanlagen dank der niedrigen Zinsen unattraktiv sind. Allen voran Bundesanleihen. Denn der Bund verschuldet sich im Moment praktisch kostenlos - und das wäre auch bei der Autobahn GmbH ähnlich. Allerdings nur, wenn der Bund für die Schulden der Gesellschaft haftet. Ohne eine solche Staatsgarantie wären Kredite an die Autobahn GmbH allerdings ein gutes Geschäft. Für die Anleger. O-Ton Gernot Sieg Die Versicherungen und Banken oder die finanziellen Kapitalgesellschaften würden sich freuen, wie andere Leute sich zu Weihnachten auch freuen würden, wenn sie ein Geschenk bekommen. Weil ihnen ermöglicht wird, in dem Bereich hohe Renditen für relativ sichere Anlagen zu erzielen. Sprecherin Der Verkehrswissenschaftler Gernot Sieg. O-Ton Gernot Sieg Der politische Hintergrund ist dann, dass in Zeiten von Niedrigzinsphasen die Kapitalsammelgesellschaften oder Versicherungen und Banken natürlich Probleme bekommen und man mit solch sicheren Anlagen einen Teil ihrer Probleme nehmen könnte. Aber auch das auf Kosten der Autofahrer. Und einen ökonomischen Sinn dafür, dass die Autofahrer die Banken retten sollen, sehe ich nicht. Sprecherin Denn am Ende sollen die Autofahrer einen Teil der Kosten für die Autobahnen tragen. Durch die PKW-Maut. Sie soll kommen. Und mit ihr der Umstieg von der Steuer- auf die Nutzerfinanzierung der Autobahnen. Sprich: Wer darauf fährt, soll auch dafür bezahlen. Nur so lässt sich eine unabhängige Finanzierung der neuen Autobahn GmbH gewährleisten. Wie genau sie aussehen wird und wer am Ende wie viel zahlt, wird sich erst noch zeigen. Bislang sehen die Pläne von Verkehrsminister Alexander Dobrindt so aus: Musik 3 Großstadtgeflüster LOOP gemischt Sprecher Keine streckenabhängige Maut wie in Frankreich oder Italien, sondern eine Vignette wie in Österreich. Also keine Kilometerpauschale sondern eine Flatrate: Einmal zahlen, unbegrenzt fahren. Da deutsche Autofahrer im Gegenzug weniger Kfz-Steuer zahlen sollen, überlegen Nachbarländer wie die Niederlande und Österreich gegen die Mautpläne zu klagen. Sprecherin Und auch in Deutschland sind die Pläne umstritten. Der Grüne Sven-Christian Kindler ist zwar prinzipiell dafür, Autofahrer an den Kosten für die Straßen zu beteiligen... O-Ton Sven Kindler aber wichtig ist, dass das nachher effizient geschieht und dass das vor allen Dingen auch ökologisch sinnvoll passiert. Die geplante PKW-Maut der Bundesregierung ist ökologisch völlig verheerend, weil sie nicht über das Fahrverhalten geht. Sprecherin Eine strecken- und fahrzeugabhängige Maut wäre aber erstens nur mit einer strengen Überwachung aller Autofahrer zu machen: Die Autobahngesellschaft wüsste ganz genau, wer wann wo mit welchem Auto gefahren ist. Und zweitens wäre ein solches System extrem teuer. Es bleibt also erstmal bei der geplanten Vignette. Musik Neonschwarz - On a Journey CUT Sprecher Ausfahrt 4: Zurück in Köln. Atmo Navi: Sie sind am Ziel. Sprecherin Bis Ende März wollen Bundestag und Bundesrat das Grundgesetz ändern und das dazugehörige Gesetz beschließen. Dann ist der Weg frei für die Infrastrukturgesellschaft. O-Ton Verkehrsmeldungen Sprecherin Bleibt noch eine ganz zentrale Frage: Angenommen die Autobahn GmbH kommt, die Straßen werden effizient und preiswert saniert und ausgebaut, alles klappt wie geplant. Werden die Deutschen dann in Zukunft weniger im Stau stehen? O-Ton Gernot Sieg Die Staus bleiben die gleichen. Sprecherin Der Verkehrswissenschaftler Gernot Sieg. O-Ton Gernot Sieg Gerade wenn man repariert und wenn man neu baut, gibt es Staus schon allein in der Phase, dass man baut. Sprecherin Und auch danach werden sie nicht weniger. Denn gute Straßen bedeuten auch: Sie werden wieder attraktiver, der Verkehr nimmt weiter zu. Musik 2 Neonschwarz - On a Journey CUT Sprecher Am 6. August 2032, also in gut 15 Jahren feiert die A 555, die erste Deutsche Autobahn ihren 100. Geburtstag. Sprecherin Vielleicht fahren Autofahrer dann auf gut ausgebauten, schlaglochfreien Strecken. Sprecher Vielleicht aber auch einfach nur auf ziemlich teuren.