COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandrundfahrt Eine Welt von Samt und Seide Meyenburg und sein Modemuseum in der Prignitz Von Astrid Kuhlmey Sendung: 22. März 2014, 15.05 Uhr Ton: Alexander Brennecke Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2014 01 MUSIK Titel: Gnossienne no. 1 Komponist: Eric Satie Interpret: Pascal Roge Label: Decca, LC-Nr. 00171 Anfang wenige sec. dann sehr leise unter Text legen Autorin Ein Schloss, das niemand in der spröden Prignitz vermutet, voller Glanz und Glamour: Schloss Meyenburg. Die Pracht und den Prunk bringt das darin untergebrachte Modemuseum. Samt und Seide, glitzernde Pailletten, opulente Hüte, elegante Schirme und erotische Fächer. Dazu Geschichten – von Reichtum und Armut, Verschwendung und Sparsamkeit, von Hochzeiten und anderen Festen. MUSIK noch mal kurz hochkommen lassen Aber geht das? Mode in der Prignitz? Das Fragezeichen ist unüberhörbar. Zu karg hatte Fontane schon genörgelt und bei seinen Brandenburger Wanderungen einen großen Bogen um diese Gegend gemacht. Und doch – in diesem Fall hätte er nicht recht gehabt, denn die spröde Landschaft und die modische Eleganz ergeben eine ganz aparte Paarung. Kennmusik Deutschlandrundfahrt Sprecher vom Dienst: Eine Welt von Samt und Seide Meyenburg und sein Modemuseum in der Prignitz Eine Deutschlandrundfahrt von Astrid Kuhlmey 02 MUSIK Titel: In The Mood Komponist: Joseph Copeland, Andy Razaf Interpret: Orchester Oleg Lundstroem Label: Melodiya, LC-Nr. 06969 von Anfang bis etwa 0:26 Autorin Wie im Hollywoodfilm betritt die Chefin des Modemuseums, Josefine Edle von Krepl, vom Büro im oberen Stockwerk kommend, den Eingangsbereich, rückt hier etwas gerade, schiebt dort etwas zurecht. Sie selber: weite Marlenehosen, ein grünlicher Pulli, der die weiblichen Formen sehr gut zur Geltung bringt, die roten Locken mit kleinen Spangen an der Seite aus dem Gesicht gesteckt, zarter Ohrschmuck – ein offenes Lächeln und ein beherzter Händedruck. 01. O-Ton Josi 1:01 Das war ja mein Lebenstraum – und alle sagten: Meyenburg, äh, wo liegt den Meyenburg? Wo soll das denn sein? Die allermeisten wollten mir abraten und sagten: um Gottes Willen, mach das nicht. Ich war dann in Meyenburg mehrere Male. Glücklicherweise, unglücklicherweise war immer schönes Wetter und es schien die Sonne und es war Herbst und es war alles in goldenen Blätterglanz vor dem Schloss zu sehen. Die Räume waren zu dreiviertel restauriert und ich muss sagen sehr geschmackvoll und auf Anhieb gefiel es mir alles, also nicht überrestauriert, sehr feinfühlig in der Farbgebung. Es war verlockend und ich habe sämtliche Bedenken in den Wind geschlagen und habe gesagt: Da spring ich jetzt rein, wie lange soll ich noch warten – ich mach’s jetzt. Ja und dann bin ich nach Meyenburg Atmo draußen Vogelzwitschern Autorin Eine ganz schön gewagte Idee, wenn man sich in und um Meyenburg umschaut. Der Ort liegt etwa auf halber Strecke zwischen Hamburg und Berlin, eingebettet in die Prignitz. Im äußersten Nordwesten Brandenburgs. Die kleinen Ackerbauernstädte haben in der Regel schnurgerade Straßen, meist zweistöckige Fachwerkhäuser. Dazu Hügel, Sandböden, Kiefern- und Laubwälder, Heideflächen und Wiesen, Seen und Flüsse. Weit und breit eigentlich nichts, „was an Kultur erinnert“. Es ist ein karges, bäuerliches Leben, das die Prignitz prägt – Glanz und Glamour sucht man in der Historie vergeblich. (hier Musik einblenden) Nur Fontane, der Märker für alle Fälle, hat einen guten Rat zur Hand. 03 MUSIK Titel: Gnossienne no. 1 Komponist: Eric Satie Interpret: Pascal Roge Label: Decca, LC-Nr. 00171 unter Zitat ganz leise liegen lassen Zitator / Fontane „Es ist mit der märkischen Natur wie mit manchen Frauen. Auch die hässlichste – sagt das Sprichwort – hat noch sieben Schönheiten. Ganz so ist es mit dem Land zwischen Oder und Elbe; wenige Punkte sind so arm, dass sie nicht auch ihre sieben Schönheiten hätten. Man muss sie nur zu finden verstehen. Wer die Augen dafür hat, der wag es zu reisen.“ MUSIK 03 nochmals kurz hoch und unter folgenden Text legen. Autorin Das Modemuseum liegt in einem idyllischen Park mit Teichen, Bänken und kleinen Holzbrücken. Geschwungene Wege im Stil englischer Gärten, romantische Baumgruppen, Weiden, die sich melancholisch in schmalen Wasserläufen spiegeln. Die roten Backsteine der Schlossfassade schimmern durch das Grün. Schräg gegenüber vom repräsentativen Haupteingang fällt der so genannte Hungerturm auf, der früher als Arrest diente und heute ein kleines Heimatmuseum beherbergt. Atmo Geräusch Autorin Am Eingang des Modemuseums warten Besucher, die sich zu einer Führung angemeldet haben. Unter ihnen die Meyenburgerin Petra Genz. 02. O-Ton Fotografin 0:34 Ich bin hier zur Schule gegangen. Da waren ja erst die ersten Klassen, dann war Hort und Internat. Ich habe ja auch hier gewohnt: Und das Schloss, das ist ja wunderschön zum Fotografieren, aus allen Richtungen, die Bäume rings rum, und wenn dann die Abendsonne rauf scheint oder wenn Gewitterwolken kommen. Es ist ja immer wieder anders. Oder wenn der Nebel so richtig wabert. Wie ein Märchenschloss. Autorin Und in diesem Märchenschloss residiert Josefine Edle von Krepl, Herrscherin über Mode – und was sonst noch dazu gehört. 03. O-Ton Josi Komplettierung 0:40 Also für mich stand immer fest, wenn ich eine Möglichkeit habe, eine Ausstellung zu machen, dann muss das ganze Drum und Dran mit dabei sein. Einfach, um den Leuten, die sich nicht so sehr für Mode interessieren, klar zu machen, was damals zu einer modischen Frau gehörte. Also: vielleicht kleine Flacons, die ich besitze aus der Zeit, die auf der Frisiertoilette standen, oder der Handspiegel, oder passend zum Kleid die Handtasche oder das Schirmchen und der passende Schmuck. Also so wie ich es zusammen bekam in meiner langen Sammelzeit, so habe ich es dann nach bestem Wissen und Gewissen arrangiert. Atmo Eingangsbereich Autorin Es sind wie zu erwarten zumeist Frauen, die sich zur Führung mit der Chefin des Hauses zusammen gefunden haben – das weibliche Interesse am Thema Mode dominiert eben doch noch, wenngleich im Laufe der Jahre immer mehr Männer ihre Partnerinnen begleiten – aber alleine kommt eigentlich kaum ein Mann. Den meisten Damen ist anzusehen, dass dieser Museumsbesuch auch ihre Kleidungsauswahl beeinflusst hat. So ganz will keine im Glanz der zu erwartenden Schönheit verblassen – denn einige haben vom Modemuseum schon gehört. 04. O-Ton Umfrage Frau 0:06 Uns ist das empfohlen worden von einer Schülerin, die war schon mal hier und die hat gesagt, da müssen wir unbedingt mal hin. 05. O-Ton Göttinger Ehepaar 0:12 Vor Jahren haben wir in Quedlinburg davon gehört und sind leider etwas zu spät gekommen – aber sonst sind wir jedes Jahr hier, weil wir so begeistert sind. Wir kommen von weit aus Göttingen. Wir fahren extra hierher. 06. O-Ton Frau 0:09 Es interessiert einen schon wie die Mode so mal war. Ich finde die Ausstellung hervorragend. Man kennt das ja nur aus den Filmen. Und so sieht man das jetzt mal live 04 MUSIK Titel: Gold und Silber Komponist: Franz Lehar Interpret: Wiener Philharmoniker, Dgt. John Eliot Gardiner Label: Deutsche Grammophon, LC-Nr. 00173 20sec sehen lassen, dann leise unter Text 07. O-Ton Josi Begrüßung 0:18 So meine Damen und Herren, jetzt sind wir hier im Keller. Der Beginn der Museumsausstellung für die Kleider. 1900 sehen Sie hier dekoriert. Die festlichen Damen mit Alltagskleidern, aber auch mit Ballkleidern. MUSIK 04 weiterführen/ ganz leise unter O-Ton 08. O-Ton Josi Rundgang Keller 1:06 Man kann ja auch die alten Mauern sehen, wie dick die sind, die Mittelsäulen zeigen auch die Dicke und Breite der Außenwände – das sind ja hier zwei Tonnengewölbe. Ich finde es besonders schön, weil es mir erlaubt war, eine laufend fortgesetzte Vitrine installieren zu lassen, und die Ausstattung ist hier besonders, weil hier am laufenden Band die Puppen zu sehen sind, also nicht stakkato mäßig Vitrinchen, Vitrinchen – sondern ein großes Schaufenster. Und so habe ich hier auf beiden Seiten Tages- und Nachmittagskleider ausgestellt. Ganz schnell mal, wenn man hier die Damen betrachtet, kann man erkennen, wie die Mode um 1900 war: nämlich bodenlang, schmale lange Ärmel, hochgeschlossen alle Blusen, immer die schmale Taille, das war das Hauptschmuckelement einer Dame um 1900, die schmale Taille. MUSIK 04 weiter, kurz hoch, dann drunter legen 09. O-Ton Josi weiter 1:13 Die Kleider waren ja etwas ganz besonderes damals. Sie waren durchweg Anfertigungen von Schneiderinnen, also etwas Wertvolles. Man hatte nur eine Sommer- und eine Winterausstattung, man konnte dann den Rock, mal die Bluse wechseln. So einen Kleiderschank wie heute kann man sich nicht denken in der Zeit von 1900. Die Damen aus gut situierten Familien und die Adligen wurden schon geschnürt im zarten Alter von 14 Jahren. Da war ein Spielen und Herumtoben gar nicht möglich. Und selbst an heißen Sommertagen bei dreißig Grad Wärme gingen die noblen Herrschaften mit Handschuhen, großen Hüten, hochgeschlossen, mit Schnürstiefelchen und mehreren Unterröcken. Nicht umsonst hatte man immer ein kleines Riechfläschchen dabei, weil man ja gar so oft in Ohnmacht fiel. Klar, die Lungenspitzen waren eingepfercht und verödet – wie oft hörte man das oder las man von den traurigen Geschichten der Tuberkulose, der Schwindsucht, die die Damen erlitten, einfach, weil sie kranke Lungen hatten. 05 MUSIK Titel: La Traviata Komponist: Giuseppe Verdi Interpret: Orchestra Filharmonica della Scala Dgt. Riccardo Muti Label: Sony Classical, LC-Nr. 06868 max 30 sec frei stehen lassen Autorin Schwindsucht, nur um schön zu sein, das kann sich natürlich keine der Besucherinnen vorstellen – wenngleich: Fettabsaugen, Botox, Lifting – das klingt ja auch nicht gerade gesund. Aber schlank muss man für all diese Kleider der Jahrhundertwende auch sein. 05 MUSIK Traviata weiter, max 20 sec Autorin Der Gang durch das Kellergewölbe ist eine geradezu zauberische Passage. Ständiges Ah und Oh – Perlen, Samt, Seide, Spitzen, fließende Stoffe, große Hüte, und zarte Schirme, um den Teint zu schützen, die Knöchel in leichten Stiefeletten, darüber der Rocksaum – kleine Täschchen mit Silberfransen, Fächer aus Federn. 10. O-Ton Umfrage Mann 0:16 Wenn man das sieht, wie aufwendig das war damals, das alles herzustellen. Also ich glaube, wenn man das heute sich mit diesen Materialien sich etwas machen lassen wollte, das würde sehr viel Geld kosten. Das sind wirklich Kunstwerke. Autorin Überall möchte man sich Anregungen notieren: diese glänzende Knopfleiste an einem schlichten Rock – ginge doch eigentlich auch heute noch ganz wunderbar, dort schwarze und weiße Spitze zu einem dramatischen Auftritt kombiniert oder die zahlreichen Accessoires, die dem düsteren Schwarz der Kleider plötzlich ein herrliches Strahlen geben. Seidene Blusen mit besonders raffinierten Manschetten und koketten Kragen. 06 MUSIK Titel: Erst kamen die Blusen und Kleider Komponist: Rudolf Nelson, Willi Rolff Interpret: Bully Buhlan Label: Bear Family Records, LC-Nr. 05197 Autorin Bianca Schmitt, die schon seit sieben Jahren im Haus arbeitet, begleitet ihre Chefin häufiger, weil sie dadurch immer wieder auf neue Details aufmerksam wird. Sie hat wirklich Spaß an der Arbeit – nicht zuletzt, weil die Arbeitslosenquote in der dünn besiedelten Gegend über zwölf Prozent liegt. 11. O-Ton Bianca 0:48 Ich selber habe mal Textilfacharbeiter gelernt. Das war ja nicht mein Traumberuf. Dann bin ich hier 2007 in dieses Haus gekommen. Anfangs, als es noch schlecht mit Arbeit war, anfangs als Ein-Euro- Job, da habe ich ein halbes Jahr gearbeitet, und dann habe ich schon nach zwei, drei Monaten Führungen gelernt. Bin dann mit Frau von Krepl mitgegangen, habe es mir angehört, habe es aufgeschrieben, viele Dinge gelernt. Also ich arbeite hier sehr gerne im Modemuseum und mache auch gerne Führungen. Mittlerweile kennt man viele Dinge, die ich mir angeeignet habe. Frau von Krepl erzählt immer so kleine Geschichten am Rande, wenn man mal zusammen sitzt oder so. Autorin Die Einser-Abiturientin Josefine sollte eigentlich Medizin studieren. Aber die Immatrikulation landete im Papierkorb und Josi studierte lieber Mode, was für damalige Zeiten so eine Art sozialer Abstieg war. Aber sie konnte dem Drang einfach nicht widerstehen, sich dauerhaft mit Schönheit und Eleganz zu umgeben. Etwas, was schon früh und nachdrücklich ihr Leben bestimmte. 07 MUSIK Titel: An der schönen blauen Donau Komponist: Johann Strauss Interpret: Berliner Philharmoniker Dgt. Herbert von Karajan Label: EMI Classics, LC-Nr. 06646 12. O-Ton Josi Mutter war Wienerin/ Affinität zu schönen Dingen 0:33 Meine Mutter war eine Wienerin wie es im Buch stand: charmant und freundlich. Sie war eine schöne Frau und als Kind stand ich bewundernd vor ihr. Ich griff manchmal, wenn meine Mutter nicht da war, blind in den Kleiderschrank und fühlte irgendwo ein Kleid und einen Stoff und nachher mache ich den Schrank auf und gucke was es war. Also, so hatte ich früh die Affinität zu schönen Dingen. 07 MUSIK weiter 13. O-Ton Josi Beginn des Sammelns 0:52 Mit 13 Jahren hatte ich gesehen, wie meine Großmutter ein Kleid wegwerfen wollte. Es war ein Kunstseidenkleid aus den frühen 30er Jahren, glänzend – stumpfer Seide im Wechsel, vorne lange Knopfreihe, schmale Ärmel und ich sage: was machst du denn damit? Ach, das haue ich weg, das ist schon so alt und ich ziehe es eh nicht mehr an. Und dann habe ich gesagt, nein, gib es mir doch. Und ich habe das Kleid dann gewaschen und habe es dann angezogen. Alle haben sich natürlich sehr gewundert über mich. Und ich habe gesagt: das ist doch ein tolles Kleid aus den 30er Jahren, kann man doch anziehen. Durch diese Wertschätzung von diesem ersten Kleid bin ich dann dazu gekommen, andere Dinge zu finden. 07 MUSIK weiter ganz kurz hochziehen Autorin Josephine könnte noch viel über ihre Sammelleidenschaft erzählen: Von den Tausenden von Kleidern im Depot zum Beispiel, die gerade archiviert und für das Museum aufbereitet werden. Aber es geht weiter durch die Ausstellung. 14. O-Ton Josi Broschen , Ketten, Longnong 0:31 Die hochgeschlossenen Blusen eignen sich natürlich wunderbar dazu, Schmuckwerk anzubringen, also hatten die Frauen immer eine Brosche angesteckt, Sie sehen da ein Beispiel aus Porzellan, bemalt oder hier aus Golddublee mit Glassteinen, aber auch kleinen Edelsteinen und zusätzlich dann immer noch eine Kette, wie aus Elfenbein, aus Ebenholz oder dort eine lange Kette mit dem typischen Longnon dran. GERÄUSCH/ FÜHRUNG Autorin Die Besucherinnen und Besucher schlendern nicht einfach an den Vitrinen vorbei, sondern gehen mitunter noch mal zu einem bestimmten Ensemble zurück, drücken sich fast die Nase platt, um alle Feinheiten der Handwerkskunst zu bewundern oder die Beigaben zu bestaunen. Hier ein Kerzenleuchter aus Eisenguss, dort ein alter, holzverkleideter Fotoapparat, ein fein gedrechselter Stuhl oder ein besonders schöner Bilderrahmen – alles Dinge, die der Kleiderpräsentation einen besonders intimen Raum verschaffen, eine Atmosphäre vielleicht wie in den Salons des 19. Jahrhunderts, wo sich die mondäne Gastgeberin für einen genussvollen Abend zurechtmacht. 08 MUSIK Titel: Ballsirenen Komponist: Franz Lehar Interpret: Wiener Philharmoniker, Dgt. John Eliot Gardiner Label: Deutsche Grammophon, LC-Nr. 00173 unter folgendem O-Ton leise stehen lasen Autorin Auch Josephine von Krepl fühlt sich bei ihren Führungen immer als Gastgeberin, die sich gerne auch über eigene modische Vorlieben oder Erinnerungen ausfragen lässt. Oft, sehr wird sie gefragt ob sie sich denn an ihr allererstes Kleid erinnern kann. 15. O-Ton Josis erstes Kleid 0:42 Also das Kleid, das am längsten zurück liegt, kann ich mich erinnern, das war ein hellgrünes Kleid, Kunstseide mit Blumen drauf, kleine Puffärmelchen, ne hohe Passe und war so leicht angeriehen. Und das war mein erstes Kleid, fand ich wunderschön. Und da gibt es auch ein Foto davon. Da hatte ich leider den Kopf kahl geschoren. Das muss kurz nach Kriegsende gewesen sein. Ich hatte tausende Locken, und als ich eben Läuse hatte und viele Nissen, da hat meine Mutter kurzer Hand mir ne Glatze geschoren. Autorin Es ist ganz eigenartig. Fragt man eine Frau nach einem wichtigen Ereignis in ihrem Leben, dann weiß sie häufig auch exakt, was sie dabei getragen hat. Bei einem Mann kommt in der Regel: Hmm, öhh, tja…. Also nichts. Diese Art der Kulturtechnik ist Männern eher fremd. Aber bei Frauen sprudelt es nur so. 16. O-Ton Zeitzeugin Katarina 0:37 .Es gab ein Kleid, das so genannte Topflappenkleid genannt. Häkellook war ja absolut in. Und das war wirklich sehr bunt .Also Grundfarbe blau, in der Taille schmal, Glockenrock, natürlich mini, dann diese Zipfel am Ärmel, die so ein bisschen trompetig waren. Ich habe dieses Kleid geliebt. In meinem ganzen Leben bin ich zweimal auf der Straße von einem Mann angesprochen worden, auf der Straße – einmal in diesem Kleid und das war dann auch noch ein Dokfilmregisseur, ein ziemlich bekannter – also hat es sich gelohnt. (Lachen) 17. O-Ton Zeitzeugin Karin 0:34 Man hatte fast ein körperliches Gefühl regelrecht – von der Weichheit und der Zartheit der Stoffe. Sie konnten blumig sein oder sie konnten einem das Gefühl vermitteln, dass man den Stoff eigentlich anfassen möchte, an die Wange drücken möchte. Und ich habe immer wieder gedacht: ach Gott, wenn du jetzt hundert Jahre früher gelebt hättest, das hätte dir gut gefallen, das hätte dir bestimmt gut gestanden. Dann fing man an zu fantasieren, was man dazu tragen könnte, welche Schuhe, welchen Schal, welche Kopfbedeckung. 20. O-Ton Josi ohne Hut nicht aus dem Haus 0:49 Und zu den Hüten kann man sagen: das war ja mit ein Hauptbekleidungsstück auch bei den Damen. Es gab keinen Ausgang ohne Hut. Das war ungeschrieben das Gesetz – aber eine Dame, die sich auf die Straße begab, die Handschuhe dabei, eine kleine Handtasche, kleine zierliche, hübsche Täschchen und dann gab es immer den Hut. In der Jahrhundertwende waren die Hüte ja oft mit sehr breiter Krempe wunderbar drapiert mit Federn, Blumengestecken – wenig davon ist erhalten geblieben, der Zahn der Zeit nagt. Aber es war unmöglich eine Dame auf der Straße zu sehen ohne Hut. 09 MUSIK Titel: Haben sie den neuen Hut von Fräulein Molli schon gesehen Komponist: Leo Leux, Hans Hannes Interpret: Theo Lingen, Rosita Serrano Label: Ariola, LC-Nr. 00116 Autorin Wir sind inzwischen weiter gegangen und nähern uns dem ersten Jahrzehnt nach 1900. Die Stoffe werden heller, alles wirkt viel duftiger, weniger streng. Weiße und cremfarbene Chiffons, Seiden oder Musselin dominieren das Bild. Die Frauen beginnen, etwas mehr Luft zu bekommen. 19..O-Ton KDW Kleide 1:35 Kleider von 1910.Und der aufmerksame Besucher wird sofort feststellen: andere Silhouette, die Taille rückte nach oben, sogenannter Empirestil. Da gibt es auch eine tolle Geschichte, nämlich dieses Kleid gehörte Frau Pretorius aus Kulmbach, das liegt in der fränkischen Schweiz. Und ich habe dieses Kleid von der Urenkelin geschenkt bekommen. Also Frau Pretorius heiratete auch 1907 – und um diese Zeit war es üblich, dass man auf Hochzeitsreise ging. Beide fuhren, weil sie ja aus ländlicher Gegend kamen, in die Großstadt. Wohin? Nach Berlin. Da war mächtig was los um diese Zeit. Pferdebahn und Theater öffneten und man ging in die Operette, also Saus und Braus, Berliner Stadtleben, aber auch ein Novum: Kaufhäuser öffneten. Und es öffnete das KDW. Beide rein, frischgebackener, glücklicher Ehemann hat natürlich Spendierhosen an, kauft seiner Frau dieses Kleid im KDW, der Beweis ist hinten dieses kleine Label aus der Anfangszeit des KDW, und da bin ich natürlich besonders glücklich darüber, es ist Seide, völlig erhalten, ganz ohne Makel. Das Kleid habe ich bekommen vor ungefähr sieben Jahren 10 MUSIK Titel: Hochzeitsmarsch Komponist: Felix Mendelssohn-Bartholdy Interpret: London Symphony Orchestra Dgt. André Previn Label: Emi, LC-Nr. 00542 Autorin Hochzeitsreise ist das eine – Hochzeitskleider das andere. 20. O-Ton Josi Brautkleid 0:43 Also ich habe hier noch ein schönes Brautkleid in der Jahrhundertwende Ausstellung. Das gehörte Fräulein Marie Willlebald trug, 1907, und das ist fast das einzige Kleid, das ich hier aus der Stadt habe, authentisch eben hier getragen wurde zur Eheschließung. Die Familie war vermögend oder sie haben lange gespart für dieses Hochzeitskleid, denn es ist ein Kleid mit langer weißer Schleppe, oder cremefarbend ist es ja, mit viel Seide und es zeigt , dass dieses Kleid nur einmal getragen wurde – am Hochzeitstagtag. Danach wurde das Kleid genommen und in den Schrank gehängt. MUSIK 10 etwa 10 sec hoch 21. O-Ton Josi Schwarzes Hochzeitskleid 1:14 Im Gegensatz dazu daneben ein Hochzeitskleid in schwarz. Das war die andere Variante. Man ist sehr häufig in schwarz zur Hochzeit gegangen. Das konnte drei Gründe haben. Einmal aus zweckmäßigen Gründen, weil man nicht genug Geld hatte ein Kleid für einen Tag nur nähen zu lassen und es dann weg zu hängen. Also hat man in schwarz die Hochzeit zelebriert und konnte dann später bei Bällen, festlichen Anlässen – ich sage aber immer auch zum Ableben des Gatten – immer noch das Kleid tragen. Ein zweiter Grund war, dass Frauen schon vor der Hochzeit ein Kind hatten und die gingen dann auch schwarz zur Hochzeit, auch mit einem offenen Kranz auf dem Kopf, aber auch Damen, die schon einmal verheiratet waren und der Gatte ist gestorben, die gingen dann auch in schwarz. Sah man eine Braut in schwarz konnte man vermuten: aha, entweder, arm oder Kind oder Witwe. 11 MUSIK Titel: Crazy words, crazy tune Komponist: Milton Ager Interpret: Marek Weber Orchester Label: JUBE, LC-Nr. 02582 Autorin Die Zeiten ändern sich. Nicht mehr die Dame prägt das angesagte Modebild sondern der frech-frivole Mädchentyp, der Bars und Kabaretts bevölkert, der morgens ins Büro oder als Verkäuferin in eines der zahllosen großen Kaufhäuser eilt, der Zigaretten raucht, auch schon mal eine Linie Koks zieht oder die neuen kessen Tänze mit Hingabe bis spät in die Nacht hinein tanzt. – Das alles wird im Meyenburger Modemuseum wieder lebendig. 22. O-Ton Josi 20er Jahre 0:18 Die Damen in den 20ern, wenn sie keine schönen Beine hatten, waren natürlich übel dran, weil von der Figur sah man herzlich wenig, die waren ja in einem sackartigen Gewand verkleidet, haben sich sogar die Brüste flach gebunden, dass man möglichst androgyn aussah. 12 MUSIK Titel: Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt‘ Komponist: Karl Farkas Interpret: Siegfried Arno und das Marek Weber Orchester Label: ZYX-Records, LC-Nr. 06350 23. O- Ton Zeitzeugin Katarina 0:23 Und gerade in die Kleider der 20er Jahre würde ich sofort hinein hüpfen. Und schwarz, und Strass und Glitzer auf einfachen Kleidern, die wahrscheinlich beim Laufen unheimlich gut aussehen. Also man kennt das als Frau: in Hosen läuft man ganz anders als in Kleidern. Und ich denke, die hätte ich gerne mal angezogen. MUSIK 12 kurz hoch - Instrumentalteil Autorin So wie die Kleider bei Besucherinnen wie Katarina Kölbel immer wieder Erinnerungen an ihr Leben aufleuchten lassen, so kann auch die Chefin des Modemuseums Meyenburg viele Geschichten erzählen. Gerade stehen die Besucherinnen vor einer Schaufensterpuppe, die anders als heute üblich, ein aufgemaltes Gesicht hat, dessen dezentes Lächeln so gar nichts mit dem Dominablick heutiger Modells zu tun hat. 24. O- Ton Josi Schaufensterpuppe 0:23 Ich hatte die damals in meinem Antikmodeladen am Kollwitzplatz im Schaufenster. Und da kam eine Dame vorbei in einem eleganten grauen Kostüm und sagte: nicht wahr junge Frau, diese Schaufensterpuppe trägt auf dem Bauch einen Stempel aus Berlin. Und da sagte ich: Ja, woher wissen Sie das? Und da sagte sie: Als ich jung war, hat mein Verlobter, der Bildhauer war, diese Köpfe für die Berliner Firma modelliert nach meinem Abbild. 13. MUSIK Titel: Milonga Triste Komponist: Sebastian Piana Interpret: Hugo Diaz Label: Sony Classical, LC-Nr. 06868 25. O-Ton Umfrage /Frau 0:06 Sie hat im Müllcontainer ein Stück Spitze gefunden. Wir hätten gesagt: och, ein Stück Gardine, weg damit. Und sie hat das raus geholt. Und was ist das für ein Kleid? 26.O-Ton Josi Undinekleid 0:40 Das Kleid habe ich gekauft bei einem Lumpenhändler, das war völlig verdorben, weil es zum Fasching sicher angezogen wurde, es fehlten ganz viele Perlen. Na ja, ich habe gesehen, dass das ein zauberhaftes Tanzkleid gewesen sein muss aus den 20ern und dann habe ich es gekauft und in die Urform gebracht. … 14. MUSIK Titel: Typewriter Song Komponist: Leroy Anderson Interpret: Leroy Anderson & His Concert Orchestra Label: Ganser & Hanke Media, LC-Nr. 01622 Autorin Die Dreißiger: die Frivole wird sportlich, die Blasse lässt sich durch Höhensonne bräunen, die Dunkelhaarige bekommt durch immer raffinierter werdende Blondierungsmittel den nordischen Touch – noch steckt kein ideologisches Gerüst hinter diesen Trends. 27. O-Ton Josi Nachmittagskleider 0:47 So, hier haben wir zwei so genannte Nachmittagskleider, Die emanzipierte Frau in den 30ern, wenn sie Zeit und Geld hatte, setzte sich ins Cafe und rauchte, blätterte in den Journalen, hatte ein Rendezvous, wie auch immer, und da zog man dann schon mal so ein Kleid an. Diese beiden kniebedeckten Kleider sind aus Wollgeorgette. Und jetzt schauen Sie bitte mal auf die Stickereien, das sind klitzekleine Perlen, die alle mit der Hand im Stile des art deco, diese abstrahierten Blütenmotive in Stickarbeit. Ich denke jetzt mal gar nicht an die Stickarbeit. Ich denke nur an das Einfädeln der Nadel. Also das ist Wahnsinn. Und die sind auch beide total erhalten. Tiptop. 15. MUSIK Titel: The satisfy Komponist: Harry Warren, Johnny Mercer Interpret: Gene Krupa & His Orchestra Label: DA Records, LC-Nr. 08744 28. O-Ton Josi 30er Jahre 0:48 Hier bei den Dreißigern eine totale Wandlung. Das Weibliche wird betont. Wir haben lange schwingende Kleider, Taillenbetonung, große wunderbare Dekolletees. Bei diesem ersten Kleid hier vorne aus Tüllspitze durchwoben von diesem Goldfaden, ganz schön, sehen Sie – das Kleid ist wie eine zweite Haut, ganz eng anliegend, das Material wurde schräg geschnitten, so dass es wirklich die Figur nachzeichnet und unter solchen Kleidern trug man dann ein Unterkleid , aber keine Wäsche. Weil jede Querrieglung, Schlüpfergummi oder eine Naht eines BHs oder wie auch immer, hätte sich abgezeichnet. Und so ist ganz klassisch die Linie im Kleid zu sehen ohne Störung. Die Dame hatte keine Unterhose an? NEIN. 16 MUSIK Titel: Kinder heut Abend, da such ich mir was aus Komponist: Friedrich Holländer, Robert Liebmann Interpret: Marlene Dietrich Label: ZYX Records, LC-Nr. 06350 Autorin Ganz und gar ernst wurde in den 30er Jahren die Zerstörung und Vertreibung der großen jüdischen Konfektionsbetriebe und Warenhäuser. 1935 wurde in Frankfurt am Main eine „Modezentrale“ gegründet, der es oblag zu prüfen, ob die Modelle nach deutschen Ideen, mit deutschen Materialien und von deutschen Herstellern angefertigt worden waren. Diese Normierung wurde jedoch, wo es nur ging, umgangen, weil die meisten Moderenner der internationalen Konfektion kopiert wurden und vor allem über das junge, blühende Medium Film in die Schneiderstuben und die Herzen der Frauen gelangten. 17 MUSIK Titel: Irgendwo auf der Welt Komponist: Werner Friedrich Heymann, Robert Gilbert Interpret: Comedian Harmonists Label: ZYX Records, LC-Nr. 06350 Autorin Die große Welt stand in Flammen, die kleine Welt in Meyenburg blieb davon nicht verschont. Junge Männer aus dem Ort mussten in den Krieg – eine Bombe traf die Flakstellung auf dem Rutenberg – die gefallenen Soldaten waren gerade 20 Jahre alt. Heute erinnert eine kleine Gedenkstätte an sie. Der letzte Schlossherr war schon zu Beginn des I. Weltkrieges gefallen. Seit 1933 war das Schloss eine SA Sportschule, danach zog der Reichsarbeitsdienst ein. Nach dem Krieg kamen Flüchtlinge, dann zogen Schule, Hort und Kindergarten ein, und es wurden Lehrerwohnungen eingebaut. Erst 1992 wurde das Schloss umfassend restauriert. Annegret Hahn – eine ehemalige Lehrerin aus Meyenburg – ist der Stolz auf diese bauliche Perle der Prignitz regelrecht anzusehen. 32. O-Ton Annegret Hahn 1:16 Der erste Herr von Rohr hat hier geherrscht von 1364 gibt es eine Urkunde, die besagt: Ahlert von Rohr besitzt Hus und Stadt Meyenburg. Was die meisten Gäste gar nicht wissen, dass in dem Schloss zwei alte feste Burghäuser stecken. Sie sehen hier rechts dieser verputzte Teil ist ein altes Burghaus aus dem 14. Jahrhundert. Man erkennt sehrschön den Eingang mit diesem Terracottaschmuck umrandet von einem Tauernstab und noch einmal umrandet und verziert mit kleinen Terrakotten, die Teufelsköpfen darstellen und floralen Elementen bemalt.. Also ein sicheres Zeichen des Alters dieses Hauses. Dagegen der linke Teil des Schlosses im Backsteinstil ist hundert Jahre später gebaut worden. Also entstanden im 15. Jahrhundert. So wie Sie dieses Schloss jetzt vor sich sehen ist es erst 1865/ 66 erbaut worden, dass es einfach imposant erscheint….. Autorin Nicht nur die Familie Rohr wird anhand von Dokumenten, Gemälden und Artefakten im Heimatmuseum von Meyenburg vorgestellt, auch das des Bauern Willi Runge. Alte Gerätschaften für die Arbeit auf dem Feld, seine Uniform, Haushaltsgegenstände, der Bauauftrag für sein Elternhaus, der geflochtene Kinderwagen – von Generation zu Generation weiter gegeben. Ein einfaches Leben – und ein typisches Leben für die Prignitz . Diese Form der Sparsamkeit wurde in den vierziger Jahren allgemein notwendig. Darum vermutet man auch, dass diese Jahre – gekennzeichnet durch Krieg, Bomben und Nachkriegsmangel – über Mode wenig zu sagen haben. Aber das ist keineswegs so. Frau von Krepl kommt beinahe ins Schwärmen über die arme, aber kreative Mode. 30. O-Ton Josi Mode der 40er Jahre 1:17 Ich muss sagen, die Kleider liebe ich besonders. Warum? Die Frauen hatten ja wahrlich etwas anderes zu tun als sich um Mode zu kümmern in den Kriegsjahren oder danach. Da war das blanke Überleben das wichtigste. Aber doch gab es Frauen, viele Frauen, die sich selber was genäht haben, Handschuhchen sich gehäkelt haben, Hüter umgepresst haben, die waren von den Männern übrig geblieben. Die sich schick gemacht haben, für eine Geburtstagsnachmittag, für einen Spaziergang, die haben wirklich aus Resten, aus Flicken, die sie noch übrig hatten, aus alter Kleidung, die sie getrennt haben, sich neue Kleider genäht und das finde ich so rührend und man hat eigentlich, man hat das Überlebensgefühl mit unterstützt durch das Tragen eines neuen Kleides oder eines neuen Hutes oder einer flachen Tasche, die man sich aus Pappe zusammen geklebt hat und mit Stoff überzogen hat und dann unter den Arm geklemmt hat. Und das ist so toll. Man hat nicht aufgegeben und Mut für die Zukunft geschöpft, indem man sich schick gemacht hat. 18. MUSIK Titel: Und über uns der Himmel Komponist: Theo Mackeben, Michael Freytag Interpret: Hans Albers Label: ZYX Records, LC-Nr. 06350 31. O-Ton Josi Krieg vorbei – alles bunt 0:24 Es ist so, die Leute waren froh, die 40er Jahre los zu sein. Endlich war Frieden und darum war auch die völlige Umkehrung in den Fünfzigern: romantisch helle Farben, Blumendruck, kaum mehr einfarbige Kleider. Das war bunt und man wollte den Überfluss nun auch genießen, indem man die weiten Röcke hatte. Das war ja in den 40er Jahren alles gar nicht möglich 19. MUSIK Titel: Chanson vom Wirtschaftswunder Komponist: Franz Grothe, Günter Neumann Interpret: Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller Label: Conträr, LC-Nr. 04664 32. O-Ton Josi Perlonkleider in den 50ern 1:03 Hier sind wir in dem kleinen Raum mit den wunderbaren Perlonkleidern. Das war ja die Erfindung der Zeit. Waschen, anziehen, waschen, ohne große Bügelarbeiten. Und die hatten alle weiten Röcke und darunter gab es dann den berüchtigten, berühmten Petticoats. Die ersten Petticoats waren aus Baumwolle und das war natürlich Fleißarbeit. Die wurden gestärkt mit Zuckerwasser oder Kartoffelstärke. Bügeln, bügeln hieß es da und mit hinsetzen war da nicht viel, weil, da wurde er ja gleich wieder knautschig. Dazu trug man flache Ballerinaschuhe, Pferdeschwanz, ein lockeres Tuch rein gebunden, ein V-förmig ausgeschnittenes Oberteil, ärmellos oder mit schmalen Ärmeln und dazu dann den Gummigürtel oder einen Gürtel aus Eloxal, das war so ein Metallgürtel. Ja, das waren die 50er Jahre und dann ging es los auf den Tanzboden, also zur Party. Discos gab es noch nicht. Das waren ja alles Privatfeste dann. 20. MUSIK Titel: Jailhouse Rock Komponist: Jerry Leiber, Mike Stoller Interpret: Elvis Presley Label: RCA Records, LC-Nr. 00316 33.O-Ton Umfrage /Frau Alle meine Freundinnen, die hier waren, sagen weißt du noch? So etwas hatte ich doch auch. Es ist schön, die Erinnerung wach zu rufen –und auch zu wissen: ja, ich war auch mal so schlank und ich stand auch so stolz da. Das sind so ganz schöne Empfindungen. Autorin In der Prignitz machten die Menschen diesen modischen Schnick-Schnack nur zögernd oder eher gar nicht mit. Nierentische und Petticoats passten einfach nicht hierher. Der junge Tischler Reinhard Hahn baute eher kompakte Küchentische und massive Kleiderschränke – die wurden nämlich wirklich gebraucht. Heute aber gönnt er sich einen anderen Luxus: er kümmert sich mit seiner Frau um das Heimatmuseum und ist Sponsor des Modemuseums. 34. O-Ton Sponsor 0:52 Ja, ich gehöre zu diesen Leuten, die sich gefreut haben, dass unser Schloss kulturell genutzt wird und überhaupt gerettet wurde durch die Wende. Das ist für mich das Allergrößte und da habe ich mir ganz fest vorgenommen alles zu tun, um für die Nutzung des Schlosses auch beizutragen. Darum habe ich auch selbst ein Museum eingerichtet und bin darüber auch sehr glücklich, macht natürlich auch alles sehr viel Arbeit. Aber diese Arbeit macht man doch auch sehr gerne, wenn man möchte, dass so ein Kulturerbe auch erhalten bleibt. Frage: Kohle rüber reichen ? Ja nicht nur, sondern auch Hand anlegen, Hand anlegen ist sehr wichtig zu helfen, denn Fördermittel sind ja jetzt auch knapp oder gar nicht mehr da, mitzuhelfen zu bewahren, was wieder entstanden ist. Wenn etwas gut dargestellt wird, muss eben auch mal eine gute Vitrine, guter Ablagetisch gebaut werden und da bin ich gern bereit das unentgeltlich zu machen. Autorin Neben dem Fuhrunternehmer, dem Dachdeckermeister, dem großen Hotel am Ort, der Möbel GmbH, der Sparkasse gibt es noch einige Sponsoren. Doch Tischlermeister Reinhardt Hahn ist dem Modemuseum in ganz besonderer Weise verbunden, weil er ja mit seiner Frau auch das Heimatmuseum aufgebaut hat, das ebenfalls im Schloss beherbergt ist. 21. MUSIK Titel: Help Komponist: John Lennon, Paul McCartney Interpret: The Beatles Label: Parlophon, LC-Nr. 00299 35. O- Ton historischer Ton zum Minirock 0:52 Der Mini ist keine Designerkreation. Wenn ich ihn nicht entworfen hätte, sagt Mary Quant, hätten die Mädchen von der Straße in Chelsea selbst die Schere gezückt. Also wenn ich schlank und schön wäre, würde ich ihn sofort anziehen. Scheußlich. – Ne, sowat finde ich nicht schön, (….) also ne, ne, ne .Ne, also wissen Sie ne. Meistens tragen die, die gar nicht mal so schöne Beine haben so ganz kurze Röcke. ( MUSIK) Von der Themse an die Elbe kamen die Mannequins von Mary Quant, der Schöpferin des Minirocks. Sie zeigten heute Nachmittag in der Galerie Neuendorf wie man den kürzesten Rock des Jahrhunderts trägt und vor allem was man darunter trägt – passende Wäsche, sportlich, kess und jugendlich. (Musik) Autorin Es ist wirklich unglaublich, welche Wellen der Minirock schlug. Der Ausschnitt aus der historischen Radioreportage, die in den 60ern gesendet wurde, schildert gleichzeitig Abscheu und Begehren nach dem Kleidungsstück der 60er. Lehrer warnten ihre Schülerinnen vor der Gefahr, sich mit einem Minirock auf der Straße sehen zu lassen, Schülerinnen wurden von der Schule verwiesen, eine Moderatorin, die sich positiv über das super kurze Röckchen ausließ, wurde gefeuert. Doch der Siegeszug des sparsamen Kleidungsstücks war nicht mehr aufzuhalten – übrigens in West und in Ost. 22. MUSIK Titel: I can’t get no Satisfaction Komponist: Mick Jagger, Keith Richards Interpret: The Rolling Stones Label: Decca, LC-Nr. 00171 36. O- Ton Josi 60er Jahre Kleider 0:36 Ja und dann kommen wir zu den typischen 60er Jahre Kleidern. Und da kann man ganz schnell sehen, dass es mit der Romantik vorbei ist, weil die Kleider zweifarbig oft sind a la Courrege mit Quer – und Längsbetonung und mit den vielen grafischen Mustern. Pepita war ganz modern, Glancheck wurde gern getragen aber dann auch diese Muster in Op Art – nicht nur in der Malerei gab es das – auch als Druck auf den Kleidern gab es das zu sehen. Man konnte gar nicht so lange hingucken, da wurde man ganz meschugge im Kopf. Man hatte solche Drucke auf Röcken, Kleidern und Blusen. 37. O-Ton Zeitzeugin Katarina 0:22 Ich hatte mir aus Stofffetze nvon einer Tante ein Kleid machen lassen a la Courrege. Oben weißer Einsatz, dann leicht ausgestellt und natürlich Mini. Ich musste ihr sagen, dass das ein Faschingskostüm wäre, sonst hätte sie es mir nicht genäht An das Kleid erinnere ich mich richtig gerne. Autorin Erinnerungen wie die der Besucherin Katarina Kölbel werden immer häufiger lebendig, je näher man der Gegenwart kommt. Übrigens: Courrege, der damalige Lieblingsdesigner vieler junger Frauen, passte wunderbar in dieses Zeitalter der Technik und des Fortschrittsglaubens. Er war ja eigentlich Brückenbauer und Pilot – und nun „baute“ er eben Kleider, die in aller Welt nachgeschneidert wurden. 23 . MUSIK Titel: San Francisco Komponist: John E. Phillips Interpret: Scott McKenzie Label: Polystar, LC-Nr. 04324 38. O-Ton Josi 70er 1:03 So, den Klängen nach können wir uns nicht irren, wir sind in den 70ern, und die 70er waren ja eine ganz eigene Zeit, ziemlich verrückt, man sagte ja Flower-Power- Zeit. Das schwappte natürlich auch in die östlichen Länder. Also Männchen und Weibchen gingen fast ähnlich angezogen, mit langem lockigen Haar, Männer hatten kleiderähnliche Gewänder im Sommer an und manchmal konnte man von hinten gar nicht unterscheiden ob männlich oder weiblich. Ketten wurden getragen en masse, man bastelte sich damals Schmuck, Man sah einfach alles. Vor allem bestechend war die Farbigkeit bunt und knallig. Nicht immer geschmackvoll, aber es war eine fröhliche Mode. 24. MUSIK Titel: What A Wonderful World Komponist: George David Weiss, George Douglas Interpret: Louis Armstrong Label: Universal, LC-Nr. 01846 Autorin Mit den 70er Jahren endet die Zeitreise im Modemuseum Meyenburg. Warum? Die Antwort von Josephine von Krepl ist überraschend, aber einleuchtend. 39. O-Ton Josi - warum bei den 70ern Schluss 0:23 Aus ganz eigener Entscheidung, weil ich selber die 80er erlebt habe, und ich fand die so grässlich, das war so fürchterlich und dann habe ich gesagt: eventuell gibt es ja junge Leute, die weiter sammeln in den Jahrzehnten, und ich entscheide mich für die Zeit 1900 bis 1970. 25. MUSIK Titel: Thank you for the Music Komponist: Benny Andersson, Björn Ulvaeus Interpret: Abba Label: Polydor, LC-Nr. 00309 O-Ton 40. Josi Verabschiedung 0:14 Ja, im Großen und Ganzen war das ein Schnellritt durch ein Jahrhundert Mode. Auf jeden Fall, wenn es Ihnen gefallen hat, sollten Sie es weiter erzählen, dass vielleicht noch ein paar mehr wissen von dieser Ausstellung. Und vielleicht kommen Sie ja nochmal wieder mit der Familie oder Freunden – es würde mich freuen. Atmo draußen Vogelzwitschern / Eingangsbereich Autorin Der Rausch der Modewelt klingt langsam ab, die Prignitz mit ihrer spröden Kargheit hat uns wieder. Und es ist, als ob diese zwei Welten, die am Anfang der Reise so unvereinbar schienen, sich gegenseitig bedingen. Wie Spiegelbilder. Als ob Glamour und Glanz der einen Welt erst durch den schroffen und rauen Anblick der anderen ihre flirrende Verführungskunst entfalten können. Wie sagte doch Theodor Fontane bei seinen Brandenburger Wanderungen? 26. MUSIK Titel: Gnossienne no. 1 Komponist: Eric Satie Interpret: Pascal Roge Label: Decca, LC-Nr. 00171 unter Zitat ganz leise liegen lassen Zitator / Fontane „Es ist mit der märkischen Natur wie mit manchen Frauen. Auch die hässlichste – sagt das Sprichwort – hat noch sieben Schönheiten. Ganz so ist es mit dem Land zwischen Oder und Elbe; wenige Punkte sind so arm, dass sie nicht auch ihre sieben Schönheiten hätten. Man muss sie nur zu finden verstehen. Wer die Augen dafür hat, der wag es zu reisen.“ 26. MUSIK kurz hoch und in die Kennmusik überblenden Kennmusik Sprecher vom Dienst: Eine Welt von Samt und Seide Meyenburg und sein Modemuseum in der Prignitz Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Astrid Kuhlmey Ton: Alexander Brennecke Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2014. Manuskript und das Audio der Sendung finden Sie im Internet unter www.deutschlandradiokultur.de 1