COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel 22.04.2012 "Spritzen, sprayen, schlucken" - Doping im Freizeit- und Breitensport. Von Anja Schrum Geräusch-take 1 Christian aufgehüpft, Rennräder rollen Sprecherin: Sonntagmorgen, neun Uhr, vor einer Sporthalle in Berlin-Charlottenburg. Gut 200 Radsportler in bunten Trikots schieben ihre Rennräder Richtung Start. Das Klackern ihrer Schuhe hallt durch die schmale Wohnstraße. Autos zwängen sich im Schritttempo vorbei. Die Radler warten auf den Beginn der sogenannten "Havel- Frühlingsrunde". Eine der ersten Jedermann-Veranstaltungen der neuen Saison. Take 1 (Veranstalter) Damit sich keener verfährt, machen wir geführte Truppen, die erste geht jetzt gleich los, das ist eine 120er und könnt ihr praktisch da hinterherfahren, machen wir eine größere Gruppe, das geht leider nicht anders... Sprecherin: Die erste Gruppe schwingt sich auf die Räder. Die Hobby-Sportler können wählen, ob sie 120, 80 oder 42 Kilometer in die Pedale treten wollen. Mitfahren darf jeder, ob vereinsgebundener Breitensportler oder vereinsloser Freizeit-Fahrer. Geräusch-take 2 ruhige Atmo, Vögel, Stimmen Sprecherin: Wenige Meter vom Start entfernt stehen zwei Männer an der geöffneten Heckklappe ihres PKW und streifen sich enge, dunkelblaue Trikots über. Ihre Rennräder lehnen startklar am Auto. Für die beiden Radsportler ist es die erste große Ausfahrt der neuen Saison. Den Winter über haben sie drinnen trainiert. Take 2 (junger Mann) Auch viel im Kraftraum gewesen oder Spinning, diesmal hab ich Spinning ausprobiert, sonst lauf ich auch ganz gerne, aber diesmal viel im Kraftraum, wenig draußen auf dem Fahrrad, wenig auf der Rolle... Sprecherin: Der etwa Zwanzigjährige steckt sich ein paar Müsli-Riegel in die Rückentasche seines Trikots. Für ihn gehören auch Nahrungsergänzungsmittel zur Saison- Vorbereitung: Take 3 (junger Mann) Ich selbst nehme auch Eiweiß-Präparate, also dieses Apothekenzeugs oder Internet, normales Eiweiß... Sprecherin Welche Präparate er kauft, hängt stark vom Preis ab, erzählt der Hobby-Athlet. Ansonsten aber nehme er nichts. Natürlich kennen die beiden aber auch die einschlägigen Tipps, die unter Hobbysportlern kursieren, um etwas lange Etappen besser zu überstehen: Take 4 (Mann) Also ich hab mal gehört, dass so eine halbe Aspirin zum Beispiel helfen soll, dass man das aber nicht vor dem Wettkampf, sondern vorher schon mal ausprobiert haben möchte, damit man weiß, wies bei einem anschlägt. Ich würde es nicht machen! Take 5 (junger Mann) Das ist natürlich die einfachste Art sich noch einen leichten Vorteil zu verschaffen, wenn man den Schmerz unterbindet, na klar, das ist auch schon eine Art Doping natürlich. Sprecherin: Auch wenn Schmerzmittel nicht auf der Verbotsliste der Nationalen-Antidoping- Agentur stehen. Geräusch-take 3 Rennräder, viele Stimmen Sprecherin: Die nächste 120-Kilometer Gruppe macht sich startklar. Zwei Fahrer in engen, knallroten Trikots rücken ihre Sonnenbrillen zurecht. Doping? Hier? - Die beiden lachen. Hier gibt's doch nichts zu gewinnen, finden sie. Aber bei den großen Veranstaltungen, wo tausende Freizeitsportler an den Start gehen? Take 6 (rotes Team) Ist ja Breitensport, der ist ja am Schlimmsten. Lachen laut ... da müssen sie mal Velothon mitfahren oder in Hamburg, was da abgeht, ist ja unglaublich... Na, der Ehrgeiz und dann die alten Leistungssportler, die jahrelang Leistungssportler gewesen sind und denn aus dem Sport ausgeschieden sind und nicht loslassen können und dann den anderen mal zeigen, wie es gemacht wird... Sprecherin Dass mancher dort zu Mittelchen greift, können die beiden zwar nicht mit Sicherheit sagen, schließlich gibt es für die Hobbyfahrer keine Dopingtests, aber... Take 7 (rotes Team) Was da für Geschwindigkeiten gefahren werden - und da sind nicht 3.000 Leistungssportler bei. Auf keinen Fall, ich glaube nicht... Anderer: Ich halt mich da raus. Ich glaube, da werden genug welche was einschmeißen, kannst du glauben... Geräusch-take 4 Rennräder, vereinzelt Stimmen Sprecherin: Die 120-Kilometer-Gruppen sind gestartet. Zwei ältere Radsport-Freunde warten auf die 80er-Runde. Doping? Die beiden schütteln den Kopf: Take 8 (älterer Herr) Alles Hobbysportler und die sind vernünftig, warum sollen die ihren Körper großartig schädigen? Kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich will das nicht ausschließen. Es gibt hier so Extremsportler, die fahren Marathons und Ötztaler und irgendwas und 500 Kilometer und 300 Kilometer, wie die über die Runden kommen? Sprecherin: Er ist schon einmal den Radmarathon Trondheim - Oslo gefahren, erzählt der Rentner. 540 Kilometer am Stück. 24 Stunden lang. 1990 war das und er noch ein junger Mann. Ein Vierteljahr hat er sich darauf vorbereitet. Und trotzdem hinterher 14 Tage gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen: Take 9 (beide) Und daraus schließe ich, dass jemand, der das häufiger macht, seinen Körper irgendwie missbrauchen muss oder anders präparieren muss, um das zu schaffen. Anderer: Na, irgendwo muss ja das Zeug bleiben. Dass ist ja nicht nur, dass die paar Profis, die 500 Profis das verarbeiten, irgendwo muss ja das Zeug bleiben, es wird ja tonnenweise produziert, also muss der Breitensport das ja schlucken, wollen wir uns doch nichts vormachen. Das ist doch mal so, nicht. Sprecherin: Wie viele Freizeit- und Breitensportler zu Substanzen greifen, die auf der Doping- Verbotsliste stehen bzw. sportbedingt Medikamente missbrauchen - darüber gibt es zwar nach wie vor viele Spekulationen, aber nur wenige handfeste Daten. Doping- Kontrollen finden allenfalls im Amateurbereich statt und da auch nur in verschwindend geringer Zahl. Bei den großen Jedermann-Veranstaltungen - sei es nun im Radsport, beim Marathon oder Triathlon - wird nur getestet, wer auf einem der vorderen Plätze landet. Und das sind in der Regel die Leistungssportler. Um auf das Thema "Medikamentenmissbrauch im Freizeit- und Breitensport" aufmerksam zu machen, hatte der Sportausschuss des Deutschen Bundestages bereits im Mai 2009 eine öffentliche Anhörung veranstaltet. Take 10 (Freitag) Ich glaube, es wird im Breitensport eher als Kavaliersdelikt bezeichnet oder auch eingeschätzt, das mag viel damit zu tun haben, dass das dort ja auch im Verborgenen - in der Regel jedenfalls - stattfindet und wenn wir über Doping im Breitensport sprechen, sprechen wir ja auch über vermeintlich ungefährliche Dinge wie zum Beispiel Aspirin. Sprecherin: Die Dimension des Problems werde in der Öffentlichkeit bis heute unterschätzt, ist sich die Ausschuss-Vorsitzende Dagmar Freitag sicher: Take 10 (Freitag) Fragen sie mal Fachleute, wie viele Hobby-Läufer zum Beispiel die entsprechende Dröhnung Aspirin nehmen, damit es im Langstreckenbereich auf den letzten Kilometern nicht mehr so weh tut. Da wird aber kaum einer derjenigen, die das tun, das Wort Doping damit in Verbindung bringen. Sprecherin: 61 Prozent aller Läufer, die 2009 beim Bonn-Marathon antraten, hatten vor dem Start ein Schmerzmittel geschluckt. So das Ergebnis einer der wenigen wissenschaftlichen Studien zum Thema. Doch nur 11 Prozent der Läufer hatten wirklich Schmerzen. Ein Jahr später wiederholten die Mediziner ihre Untersuchung. Befragten diesmal noch mehr Freizeitathleten: 4.000 Männer und Frauen. Mit dem gleichen Ergebnis. Und das, obwohl die Sportler vor dem Lauf vom Veranstalter vor einem unkritischen Schmerzmittel-Einsatz gewarnt worden waren. Professor Gerhard Treutlein, Leiter des Heidelberger Zentrums für Dopingprävention, wundert das nicht: Take 11 (Treutlein) Das heißt, die Mentalität geht schon durchaus in die Richtung: Das muss man machen, das gehört einfach dazu. Und dann sind wir bei dem allgemeinen Problem der Medikamentalisierung unserer Gesellschaft. Wir haben heute wesentlich mehr Mittel zur Verfügung und wesentliche geringere Hemmungen zu solchen Mitteln zu greifen als vor 30, 40, 50 Jahren. Sprecherin: Für Treutlein steht fest: Der Trend zum Medikamentenmissbrauch bzw. Doping ist auch im Breiten- und Freizeitsport ungebrochen. Als "Keimzelle" gilt nach wie vor das Fitness-Studio. Take 12 (Treutlein) Ich glaub, dass ist eher schlimmer geworden. Ich mein, wenn man die Untersuchung von Striegel und Simon nimmt, dann verwenden etwa 20 Prozent der Männer in Fitness-Studios, in den Studios, wo sie die Befragung durchgeführt haben, Anabolika. abblenden Sprecherin: Wer wissen will, was geschluckt, gespritzt, gesprayt wird, der muss sich einfach ins Internet begeben. Dort bieten immer mehr, immer aufwendiger und professioneller gestaltete Online-Shops die entsprechenden Medikamente an, Geschenk- Gutscheine inklusive. Ob anabole Steroide, wie Dianabol oder Trenbolon, Wachstumshormone wie Somatropin, Insuline, Anti-Östrogene wie Tamoxifen oder Clomid, Asthma-Mittel, Ephedrin, Potenzmittel wie Viagra oder Cialis - im Angebot ist praktisch alles. In den einschlägigen Foren tauschen sich die Freizeitsportler dann ganz offen über ihre sogenannten "Kuren" aus. Geräusch-take 4 Computer-Tastatur Zitator 1 Hallo Leute, ich habe gestern die Möglichkeit gehabt, Wachstumshormone zu einem erschwinglichen Preis zu kaufen. Ich hatte letztes Jahr fünf Monate lang Hygetropin mit jeweils 8 Einheiten pro Fläschchen, 4 Einheiten pro Tag genommen. Meiner Meinung nach wirken sie gut. Mein Gewicht in der Zeit als ich die Kur abgesetzt hatte war ca. 98 Kilogramm. Und während der Kur war ich 112 Kilogramm. Der Körperfettanteil war bei ca. 22 Prozent aber hatte sehr starke Wassereinlagerungen an Füßen, Händen, Fußgelenken usw. Geräusch-take Computer-Tastatur Zitator 2 Hallo Forum, ich werde in der nächsten Woche meine erste Kur starten, nachdem ich nun fünf Jahre natural am Eisen bin! Habe folgendes geplant: Testo-E 250 Milligramm Frontload! In den ersten 8 Wochen Diana-Bol 10 bis 40 Milligramm! Effe werde ich 4 Wochen nutzen mit 50 bis 100 Milligramm! Ansonsten habe ich mir zum Absetzen schon Clomid besorgt und werde auch noch Tamoxifen in den nächsten Tagen erhalten! Die Kur soll 25 Wochen gehen! Geräusch-take Computer-Tastatur Zitator 1 Wir Röhner 1+2 werden heute maximal Bankdrücken absolvieren. Um 13.30 werden wir beim Training sein, dehnen, Trizeps und Schulter warm machen, dann geht's los. Geboostet wird sublingual und liquid wie folgt: 300 Milligramm Ephedrin. 400 Milligramm Coffein. Taurin. 70 Millgramm Halo tab. Kickstarter 3 Milliliter entsprechend 150 Milligramm Oximetholon, 150 Milligramm Dianabol. 60 Milligramm Stanozolol liquid. Werden gegen 15 Uhr berichten, was ging, haben seit neun Uhr nix mehr im Magen. Geräusch-take 5 Aufzug Sprecherin: Mit dem Aufzug geht es in das oberste Stockwerk eines Mietshauses. Ein sportlicher Mann um die 40 öffnet die Wohnungstür. Er trägt Trainingshose und ein blau-weißes T-Shirt, dessen kurze Ärmel sich über einem kräftigen Bizeps spannen. Der Mann - nennen wir ihn Uwe, denn er möchte anonym bleiben - bittet ins Wohnzimmer. Sitzecke, riesiger Flachbildschirm, Couchtisch. Darauf liegen zwei Bücher. Das eine grün und dünn mit dem Titel "Anabole Steroide" aus dem Jahr 1994. Das andere ein dicker, dunkler Wälzer mit dem Titel: "Das Schwarze Buch 2010 - Anabole Steroide". Allein diese beiden Bücher verdeutlichen die Entwicklung, sagt Uwe: Take 13 (Uwe) Es sind viel mehr Präparate aufgenommen worden, es sind Neupräparate, gerade im Bereich Wachstumshormone hat sich doch einiges getan. Also erst mal waren es ja die Steroide, die durch die Studios liefen, ich würde mal sagen seit zehn Jahren jetzt intensiviert gerade in den letzten Jahren ist aber der Konsum von Wachstumshormonen inzwischen genau so gesellschaftsfähig geworden, also unter der Gesellschaft, die ohnehin konsumiert, wie eben anabole Steroide. Sprecherin: Uwe selbst hat gut zehn Jahre lang "gestofft", wie es im Bodybuilding-Slang heißt, dann aber aufgehört. Heute arbeitet er im Bereich Fitness-Sport und beobachtet, was abgeht. Gerade dort, wo die Jüngeren trainieren, die zwischen 16 und 30 Jahren. Take 14 (Uwe) Ich denke mal, dass heute in den preiswerten Studios, ohne Namen nennen zu müssen und zu wollen, schon auf jeden Fall 60 bis 80 Prozent irgendwann ans Doping ran kommen, wobei man da auch unterscheiden muss, wer dopt das ganze Jahr durch, wer setzt also nicht ab und wer macht mal eine sog. Kur, vielleicht zwei bis drei Mal im Jahr a sechs bis 10 Wochen. Sprecherin: Uwe selbst hat zunächst ohne Hilfsmittel trainiert. Diszipliniert, zwei Jahre lang, mehrmals die Woche. Er sei "gut unterwegs gewesen" erzählt er, habe schnell Muskeln auf- und Fett abgebaut. Das bemerkte auch ein alter Studio-Hase: Take 15 (Uwe) Ich wurde also angesprochen im Sportstudio, ob ich schon mal was probiert hätte, weil die Erfolge ja auch relativ schnell kamen, aufgrund der Veranlagung und habe dann praktisch auch mit jemandem, der Anabolika verkauft hat, im Studio Kontakt bekommen - und dann fing es erst mit ein paar Tabletten an und dann später auch mit Spritzen. Sprecherin: Und dann ging es ab, erinnert sich Uwe. Er sucht nach Worten, um den unglaublichen Kraftzuwachs, die beschleunigte Regenerationsphase zu beschreiben. Vorher und nachher - das könne man einfach nicht miteinander vergleichen, sagt er. Und man ahnt die Faszination, aber auch die Gefahr, die von dem Zeug ausgeht. Take 16 (Uwe) Ich hab dann schon über mehrere Jahre weg konsumiert ohne wirkliche Pausen zu machen. Das ist dann ja auch so, man nimmt Anabolika, in dieser Zeit hat man eben mehr Kraft, mehr Wassereinlagerungen, wie auch immer, dann kommt wieder eine Phase, wo man - meistens ja im Sommer - wo man mehr definieren möchte, da sind dann wieder andere Pharmazeutika gefragt, also andere Anabolika-Sorten, also so richtig zum Absetzen ist man im Grunde nicht gekommen, weil dann wenn praktisch abgesetzt wurde, ist halt nach spätestens acht Wochen der Pump auch weggegangen, man ist halt schmaler geworden. Sprecherin: Das Aussehen, die Körper-Optik - das ist für den Kraftsportler mindestens genauso wichtig wie die Athletik. Auch wenn er nicht an Wettkämpfen teilnimmt und niemals seinen Körper posend auf einer Bühne zur Schau stellt. Take 17 (Uwe) Wenn natürlich dann das Umfeld auch sagt: Mensch, du bist ja schmal geworden. Wenn beim Training nicht mehr die Gewichte geschafft werden, dann ist man wieder in so einem Kreislauf drin. Sprecherin: Uwe beschreibt seinen Anabolika -Konsum als eine Art Sucht. Er experimentiert herum, erhöht die Dosen, senkt sie dann wieder. Probiert auch mal Wachstumshormone. Bedenken hat er keine, zumal akute Nebenwirkungen ausbleiben. Steroid-Akne, Glatzenbildung, Schrumpfhoden oder das Anschwellen der Brustdrüsen, die sog. Gynäkomastie - all das sieht er bei den anderen. Er selbst bleibt verschont. Schluckt und spritzt weiter. Wenn er im Studio auf seine Muskelberge angesprochen wird, stellt er klar, dass die nicht allein mit Eiweiß und Haferflocken wachsen. "Ich wollte mich nicht mit fremden Federn schmücken", sagt er heute. Doch betrügt man sich nicht in erster Linie selbst? Take 18 (Uwe) Ob man sich selbst betrügt - ist ne gute Frage. Selbstverständlich! Aber wo betrügen wir uns hier in unserer Gesellschaft heute nicht gerne und wo sind wir nicht auch bereit, uns auch zu betrügen und schneller, höher, breiter, alles ist wichtig heut in der Gesellschaft und ich glaube, da gibt's genug andere Sachen, mit denen man sich jetzt auch - ohne das jetzt zu Legitimieren, diesen Konsum - in dem man sich doch auch mal bescheißt und ich glaube, das gehört inzwischen leider auch zum Handwerk dazu, dass man in dieser Hochdruckgesellschaft dann eben auch zu dem einen oder anderen Mittel greift. Sprecherin: Und zwar in allen gesellschaftlichen Schichten. Und längst nicht nur aus sportlichen Gründen. Da ist sich Uwe sicher. Die Bodybuilder werden nur immer wieder zitiert, weil es bei ihnen am offensichtlichsten ist, glaubt er. Geräusch-take 6 Zitator 1 Auch im Jedermann-Bereich wird gedopt, was das Zeug hält. Ich bin heuer zum 3. Mal die Tour-Transalp mitgefahren und wurde endgültig bekehrt. In den letzten Jahren habe ich immer noch an das Gute geglaubt, aber heuer wurden mir endgültig die Augen geöffnet. Es wird großflächig gedopt "bis unter die Haarspitzen". Mir persönlich wurde sogar von einem anderen Teammitglied angeboten, ich könnte von ihm verschiedene Mittelchen bekommen - Grund war, mir ging's am 3. Tag nicht besonders gut und der wollte meine Regeneration beschleunigen. Hab mich selbst aber wieder gut erholt. Geräusch-take 6 Zitator 2 Auch ich beobachte die Seniorenszene mit Argwohn, was Doping betrifft. Da gibt es Leistungssteigerungen von Fahrern welcher nach meiner Auffassung nur durch Chemie erklärbar sind. Und dies geschieht zum Teil auf der untersten Ebene, d.h. bei total unbedeutenden Rennen und meist bei Zeitfahren. Geräusch-take 7 Kongress-Atmo Sprecherin: Gut 70 Vereins- und Verbandsvertreter sitzen Ende Februar im Hörsaal des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses Hamburg. "Saubere Leistung - kein Doping" heißt die Veranstaltung, zu der der Landessportbund Hamburg geladen hat. Am Redner-Pult steht Kai Gräber und klickt sich durch seinen Powerpoint- Vortrag. Auf der Leinwand erscheint groß die Fotografie zweier Hoden, links ein größer, rechts ein kleiner. "Hodenatrophie", also: Schrumpfhoden, kommentiert Gräber trocken. Take 20 (Gräber) Rechts der Hoden eines Bodybuilders, der Anabolika-Missbrauch getrieben hat. Einfacher Grund: Es werden ja viel Testosteron-Präparate zu sich genommen, dadurch wird die körpereigene Testosteron-Produktion zurückgefahren. Der Hoden muss nichts mehr leisten und verkümmert dann auf diese Art und Weise. Sprecherin: Gräber ist nicht etwa Mediziner, sondern Jurist. Genauer: Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft München. Dort leitet er die bundesweit erste Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Sachen Doping. Sie wurde 2009 in Folge der anhaltenden Doping-Debatte ins Leben gerufen. Seit Frühjahr 2011 ist die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Teil der Abteilung "Organisierte Kriminalität". Kai Gräber zeigt Fotos aus abgeschlossenen Ermittlungsverfahren. Take 21 (Gräber) Das ist also hier eine Sicherstellung mit einem Haufen Kisten. Sprecherin: Das Bild eines weißen Kombis. Im Fahrzeugheck stapeln sich Pappkartons voller Anabolika.: Take 22 (Gräber) Das ist etwa das 4.900 fache, was strafbar ist. Also das 4.900 fache der normalen Strafbarkeit ist das, was der Mann hier in seinem Auto rumtransportiert. Sprecherin: Der "Besitz nicht geringer Mengen von Dopingmitteln" ist seit einer Änderung des Arzneimittelgesetzes 2007 strafbar. Gräber zeigt Bilder einer Sicherstellung bei einem Händler. Diverse Handys und SIM-Karten sind zu sehen, Tütchen voller Pillen, Kästen voller Ampullen. Unten rechts liegt ein riesiger Stapel Geld. Einer der Zuhörer meldet sich. Take 23 (Frager) Was denken Sie denn, was für ein Verkaufswert hatte die Menge, die auf dem Tisch liegt? Wie viel würd ich auf dem Schwarzmarkt verdienen. Gräber: Schon so 100, bis 150.000 Euro Sprecherin: Ein lukratives Geschäft, mit Gewinnspannen von denen herkömmliche Drogen- Dealer träumen. Das nächste Bild zeigt, wo die Doping-Mittel zusammengemischt werden: In sogenannten Untergrundlaboren. Zum Beispiel im Kellerraum eines Einfamilienhaus: Take 24 (Gräber) Von einzelnen Personen - Gemurmel - in solchen Kammern, wenn sie sehen, das ist ein Hobby-Raum. Da hat man links den Rasenmäher, rechts die Werkzeugbank und da auf diesen Tischen - da sehen sie noch, das ist ein kleiner Block, da hat der Mann ein Rezept aus dem Internet abgeschrieben. Und hat dann seine Sachen gemischt. Sprecherin: Wohlgemerkt: Hier werden Substanzen zusammengemischt und in Ampullen abgefüllt, die sich die Hobby-Sportler später injizieren. Die Anzahl der Fälle, die große Menge der Sicherstellungen, aber auch die Qualität der Verfahren, also kurz: die Dimension des Problems, habe ihn schon überrascht, gesteht der erfahrene Oberstaatsanwalt. Im ersten Jahr habe man nur gegen 171 Personen ermittelt. Take 25 (Gräber) Und richtig explodiert ist es letztes Jahr mit 478 Verfahren, also ein Vielfaches dessen, was wir 2009 hatten und ich hatte ja auch berichtet von dieser Durchsuchungsaktion, wo auf dem Laptop eines Beschuldigten über 1.000 Abnehmer aufgetaucht sind, sodass auch dieses Jahr jedenfalls keine Verringerung der Verfahren zu erwarten sein wird. Sprecherin: Bei den Verfahren spielt der Bereich Leistungssport nur eine untergeordnete Rolle. Etwa 80 bis 85 Prozent aller Ermittlungen sind im Bereich Freizeit- und Breitensport angesiedelt und hier wiederum besonders im Fokus: Der Kraftsport: Take 26 (Gräber) Kraftsport, das ist nicht nur Bodybuilding alleine, sondern irgendwelche Kraft-Drei- Kämpfer, die wirklich auch Wettkämpfe - nicht nur Posen auf irgendwelchen Bühnen, sondern tatsächlich Sachen bewegen, wie LKWs ziehen oder Steine lupfen, wie man in Bayern sagt. Wir haben aber auch im Kampfsportbereich den einen oder anderen Fall im Breitensport. Aber das wesentliche bleibt nach wie vor der Bodybuilding- Bereich. Geräusch-take 8 Computer-Tastatur Zitator 1 Moin Jungs! Hab folgendes Problem! Hab am 17.12.2011 mit erster Injektion 250 Milligramm Testo angefangen! Am nächsten Tag die nächsten 250 Milligramm. Dann, am 23.12.2012 die letzten 250 Milligramm Testo. Am 24.12. fingen meine Nippel an empfindlich und schmerzhaft zu werden. Jetzt meine Frage: Einfach Testo weglassen und Tamoxifen nehmen? Wenn Tamoxi wieviel und wie lange? Bitte antwortet mir schnell, brauche euren Rat! Ach ja, war meine erste Kur! Take 27 (Kläber) Ich hab das Beispiel eines Users, der an Hodenkrebs erkrankte, er verlor dann auch im Krankheitsverlauf einen Hoden, er schwor sich damals, nie wieder Anabolika und ähnliche Präparate zu nehmen, er hat es noch nicht mal ein halbes Jahr geschafft. Sprecherin: Zitiert Dr. Mischa Kläber, Sportwissenschaftler an der TU Darmstadt, aus seiner Doktorarbeit zum Thema "Doping im Fitness-Studio", die er 2010 veröffentlichte. Und in der erstmals Verhalten, Einstellungen und Motivationen dopender Freizeitsportler ausführlich untersucht werden: Take 28 (Kläber) Und das zeigt sehr schön, dass dieser Konsum von Dopingpräparaten durchaus auch ein hohes Suchtpotential in sich birgt. Und viele Athleten machen daraus auch gar kein Geheimnis, man ist letztendlich dazu genötigt, wenn man sich auf dieses teuflische Spiel des Anabolika-Gebrauchs einlässt, immer höhere Dosierungen einzunehmen. Man muss verschiedene Präparate miteinander mixen, um weiterhin so gute Erfolge zu verbuchen, man muss immer stärkere Mittel einnehmen, vielleicht auch Wachstumshormone. Sprecherin Mischa Kläber hat Sportler kommerzieller Fitness-Studios interviewt, aber auch Studio-Betreiber, Trainer, Ärzte. Gelungen ist ihm das nur, weil er selbst lange Jahre als Trainer in Fitness-Studios gearbeitet hat. Für seine Untersuchung hat er die Biographien von 20 Dopingmittel-Konsumenten mit denen von 20 Non-Usern, wie er es nennt, verglichen. Wobei es für ihn schwierig war, Bodybuilder zu finden, die viele Jahre ihren Sport betreiben, ohne je etwas genommen zu haben. Für Doper wie Nicht-Doper gilt, so Kläber: Take 29 (Kläber) Die betreiben so eine Art Identitätsaufbau über ihre Körperoptik, d.h. für die sind Erfolge im beruflichen Bereich oder vielleicht auch im Bereich des sozialen Engagements, die sind weniger wichtig diese Erfolge als die sportlichen Leistungen. Und Bodybuilding oder generell Körpermodellierung - da macht sich die sportliche Leistung immer an der Körperoptik fest. D.h. man kann die sportliche Leistung jeden Tag zur Schau stellen und das 24 Stunden lang, das macht natürlich einen Doping- Gebrauch in diesem Bereich besonders wahrscheinlich, um es mal vorsichtig auszudrücken. Sprecherin: Voraussetzung für eine erfolgreiche Körpermodellierung ist tägliches, bis an die Schmerzgrenze gehendes Training und ein ausgeklügelter, sehr einseitiger Ernährungsplan. Wer zeigt, dass er diszipliniert an seinen Sport herangeht, der wird - in der Regel - von Doping-erfahrenen Kollegen angesprochen: Take 30 (Kläber) Und das ist ein ganz wichtiger Punkt in meiner Arbeit, auch Doping im Freizeit-Sport ist maßgeblich durch soziale Bedingungen, durchs soziale Umfeld, durch biographische Dynamiken determiniert und sog gesehen muss man davon Abschied nehmen, diese Doping-Thematik immer so strikt zu personalisieren, wie das (...) oftmals üblich ist. Man muss sehen, (...) man wird systematisch angelernt, man wird systematisch in die Welt des Dopings eingeführt und bekommt alles beigebracht. Sprecherin: Der Sportwissenschaftler ist sich sicher: Das Problem betrifft nicht nur einige unbelehrbare, ihre Gesundheit und ihr Leben riskierende Bodybuilder, sondern strahlt in andere Sport-Bereiche aus: Take 31 (Kläber) Die Doping-Thematik bzw,. sportbedingter Medikamentenmissbrauch reduziert sich wirklich nicht nur auf ein bestimmtes Milieu wie beispielsweise das der Bodybuilder. Im zunehmenden Maße haben auch junge Mädchen im Bereich des Aerobic-Sports entdeckt, dass sie bestimmte Präparate nehmen können, um eben ihre Traumfigur besser, leichter zu erreichen. Sprecherin: Mit Hilfe von Asthma- oder Aufputschmittel zum Beispiel, die dafür sorgen, dass bei gleicher körperlicher Leistung mehr Kalorien verbrannt werden. Außerdem gibt es starke Überschneidungen zum traditionellen Breitensport. Viele Fitness-Studio- Besucher spielen zum Beispiel Handball oder Fußball im Verein. Kläber berichtet von einem User, der im Studio mit Ephedrin in Berührung kam. Er brachte das Aufputschmittel seinem Kumpel mit. Der Hobby-Kicker probierte das Mittel zunächst selbst. Schließlich versorgte er - vor wichtigen Spielen - seine komplette Fußball- Mannschaft damit. Take 32 (Freitag) Also, da wir in dem Bereich mit Doping-Kontrollen nicht erfolgreich sein können, weil es einfach keine gesetzliche Handhabe gibt, muss das ganz große Ziel - und ich nenne es - es muss ein Ziel der Gesellschaft sein, muss die Aufklärung ganz groß in den Vordergrund gerückt werden. Sprecherin: Sagt Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, und fordert eine öffentliche, gesamtgesellschaftliche Debatte zum Thema "Leistungssteigerung und Medikamente". Take 33 (Freitag) Für mich wäre es ganz entscheidend, dass wir Jugendliche erreichen, denn Medikamentenmissbrauch erleben wir auch bei Jugendlichen. Jetzt nicht im Kontext mit Doping im sportlichen Zusammenhang, sondern wie fitt werde ich durch Medikamente für die Schule? Es muss auf die gesundheitliche Dimension hingewiesen werden, die ein missbräuchlicher Einsatz von Medikamenten nach sich ziehen kann. Und ich glaube, dann werden wir zumindest diejenigen, denen ihr Körper, ihre Gesundheit im positiven Sinne wichtig ist, erreichen können. Sprecherin: Freitag schließt aber auch eine weitere Verschärfung des Arzneimittelgesetzes nicht aus. Zur Zeiten der Großen Koalition war das Gesetz geändert worden. Damals hatte man den Besitz "nicht geringer Mengen" von Dopingmitteln unter Strafe gestellt, um so den Handel zu unterbinden. Take 34 (Freitag) Die Evaluierung wird in diesem Jahr abgeschlossen sein, dieser Gesetzesänderung und ich bin der festen Überzeugung, dass wir weitergehen müssen als bisher, denn wir brauchen einfach noch mehr Handhabe, einmal gegen die, die vertreiben, aber natürlich auch gegen die, die konsumieren und da sehe ich zur Zeit noch große Lücken, denn es gilt der Grundsatz, jeder ist für seine Gesundheit selbst verantwortlich und jeder darf sich auch schädigen so lange er möchte. 1