Dossier Abteilung Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Red.: Karin Beindorff Etikettenschwindel? Die heile Welt der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen Ein Dossier von Dorothea Brummerloh URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Sendung: 15.04.2016 Musik Zitator: Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen?. Autorin: Auszug aus der UN- Behindertenrechtskonvention, die Deutschland 2007 unterzeichnet hat: O-Ton-Collage: Hier verdienen ich ca.150 Euro? Ich habe Ende des Monats 182 Euro? 290 oder so? Im Bundesdurchschnitt sind es ?nur? 180 ? ? Zitator: Die Vertragsstaaten?. gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen ihre Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte ausüben können? O-Ton- Collage: Es gibt einmal so eine Art Betriebsrat der Behinderten, die ein bestimmtes Mitspracherecht haben. Das beschränkt sich aber meistens darauf, ob da mal Currywurst angeboten wird oder mal nicht? Natürlich will man mitentscheiden und mitsprechen. Zitator: ? um Menschen mit Behinderungen wirksamen Zugang zu Berufsausbildung und Weiterbildung zu ermöglichen O-Ton-Collage: ? Die Bildungspläne werden aufgestellt und der Stand ist eben soweit, dass du ein dreiviertel Jahr danach gar nicht arbeiten kannst, weil du nur produzieren musst ? Wir hatten das damals mal. Aber das gibt?s schon lange nicht mehr. Ansage: Etikettenschwindel? Die heile Welt der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen Ein Dossier von Dorothea Brummerloh Atmo Begrüßung Autorin Freitagmorgen im Martinshof Bremen. Wilfried Hautop ist hier der Geschäftsführer, er nimmt mich mit auf seinen Rundgang. Der Martinshof ist eine von 700 anerkannten Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, die es in Deutschland gibt. Ca. 300.000 Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen werden in diesen Werkstätten beschäftigt. In Bremen sind es fast 2000. Wilfried Hautop sagt, dass sie ganz klassisch im Holzbereich arbeiten, Biertischgarnituren und Bollerwagen herstellen. Die Zeit von Besen, Bürsten, Pinsel ist längst vorbei, meint Hautop. Damit könne man heute keinen Blumentopf mehr gewinnen`. Die Metallwerkstatt ist hell erleuchtet, es ist laut. Atmo Autorin: Was machen Sie denn hier? Arbeiterin: Das ist jetzt ?Löcher vorzentrieren?. Löcher vorbohren ? Autorin: Gewindeschneiden? Ja? Ich mache so was gerne ? Autorin Fertige Teile liegen übereinander gestapelt auf Großraumpaletten. Später sollen sie in einer Aluminiumfirma verarbeitet werden. Wir gehen weiter in eine noch größere Produktionshalle neben der Metallwerkstatt. Dort wird im Auftrag der Autoindustrie gearbeitet. Der örtliche Autohersteller Mercedes-Benz lässt schon seit Jahren im Martinshof u.a. Heckscheiben für seine Sportwagen herstellen. Für die Mitarbeiter sei das etwas ganz besonderes, meint der Geschäftsführer. Bei Freunden oder zu Hause erzählen sie: ?Wir arbeiten bei Mercedes, nicht einfach nur auf dem Martinshof?. Wer hier nicht `für Mercedes arbeitet`, bastele allerdings auch nicht den ganzen Tag, erklärt mir Wilfried Hautop. Die Werkstattbeschäftigten erfüllen Kunden- und Firmenwünsche, erledigen Dienstleistungen für den öffentlichen Dienst der Stadt wie zum Beispiel für die Bremer Polizei. Und es werden auch Produkte aus eigener Herstellung verkauft, etwa aus der Keramikwerkstatt. Atmo: ?Das sind die Stadtmusikanten? in allen Formen, Farben und Variationen? Die Klassiker da oben ? B- Mannschaft ? hier Waldmannschaft? die machen wir wirklich in allen Ausführungen? Autorin: Was ist die B-Mannschaft? Frau: B-Mannschaft sind die hier jetzt ? Hirsch, Schwein, Wolf und da oben die Eule- die laufen bei uns unter B- Mannschaft?Mann ruft: Ulli, das ist ein Fuchs, kein Wolf? Autorin Thomas Söhnholz ist ein junger Mann mit Baseballkappe. Er korrigiert die Keramikmeisterin lachend. Warum er in einer solchen Werkstatt arbeitet, scheint mir auf den ersten Blick nicht klar. O-Ton Söhnholz Ich bin zu 50% eingeschränkt durch Knochenbrüche und von Geburt an hatte ich ein kleines Rückenproblem und einen kleinen Herzfehler habe ich auch und deswegen bin ich auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht voll einsatzfähig? Autorin Auf Grund seiner Einschränkungen war er so fast 10 Jahre arbeitslos, erzählt Thomas Söhnholz. Die Arbeitsagentur riet ihm, sich in der Werkstatt Bremen zu bewerben. Aufgabe einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen ist es, eine Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, sagt Jörg Heyer. Er vertritt die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen, ein eingetragener Verein. O-Ton Heyer Und das können Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen sein. Also wir haben in unseren Mitgliedseinrichtungen knapp 77 % Menschen mit einer geistigen Behinderung, wir haben aber auch inzwischen fast 20 % Menschen mit schweren dauerhaften psychischen Erkrankungen, die in den Werkstätten sind und ungefähr 3 % Menschen mit körperlichen Behinderungen. Meistens ist es so, dass ein Werkstattbeschäftigter mehrere Behinderungen hat. Autorin Wer in einer solchen Werkstatt arbeiten möchte, wendet sich an das Reha-Team der nächstgelegenen Agentur für Arbeit. In den meisten Fällen finanzieren sie die Qualifizierungsmaßnahme in der Werkstatt, bestehend aus dem Eingangsbereich und Berufsbildungsbereich, zum Beispiel für Absolventen der zahlreichen Förderschulen. Und wer bereits mehr als 180 Beitragsmonate gearbeitet hat - also Rentenansprüche erworben hat - für den ist die Rentenversicherung zuständig; sie berät und zahlt. Hatte der oder die Betroffene einen Arbeitsunfall oder leidet an einer Berufskrankheit, dann ist die Berufsgenossenschaft zuständig. Nur das Reha-Verfahren ist für alle gleich: Zuerst absolviert der Werkstattaspirant ein dreimonatiges Eingangsverfahren. Da wird geprüft, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten der Rehabilitand hat, ob ihm die Werkstatt überhaupt gefällt und ob er hier einen passenden Platz findet. Dann folgt der Bereich der Berufsbildung, der 24 Monate vom jeweils zuständigen Kostenträger gefördert wird. Und was ist das Ziel? Die Werkstatt für behinderte Menschen hat die Aufgabe, ihre Mitarbeiter durch Arbeit so zu qualifizieren, dass sie besser leben und arbeiten können. Diese Maßnahmen sollen eine feste und dauerhafte Beschäftigung in der Werkstatt oder eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich machen. Wilfried Hautop hat schon viele Berufsjahre in der Bremer Werkstatt hinter sich: O-Ton Hautop Man hat früher gesprochen von Rehabilitation. Das war zu den Zeiten- siebziger, achtziger Jahre-, wo wir gesagt haben, jeder Mensch ist durch eine Rehabilitationsmaßnahme wieder hinzukriegen, sag ich jetzt einfach mal so platt. Wir haben inzwischen gelernt, dass Menschen mit psychischen Behinderungen oder mit geistigen Behinderungen lernfähig sind- ja. Aber manchmal auch die Grenzen der Weiterentwicklung auch sichtbar werden. Und darum ist dieses Vorübergehende mit dem Ziel, wieder in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert zu werden, eine ganz schwierige Aufgabe. Und ehrlich gesagt, so gar nicht machbar. Autorin Hautop steht kurz vor der Pensionierung, er ist 65. Rückblickend sagt er: Durch Rehabilitation wieder zurück in den Arbeitsmarkt sei die Theorie, und das hier, in der Werkstatt die Realität. O-Ton Hautop Manche Menschen haben ein Handikap. Und nun ist die Frage: Wie können wir die trotzdem an Arbeit oder Beschäftigung oder Tagesstrukturierung teilhaben lassen? Wenn wir solche Arbeitsplätze in Betrieben nicht zur Verfügung stellen und nicht finanzieren können, dann muss es so eine Einrichtung geben, wie wir hier haben. Autorin Nein, sagt Sigrid Arnade und klopft mit Nachdruck auf den Tisch. Die Zeiten haben sich geändert, wirklich. Vor der 59-Jährigen auf dem Tisch liegt die UN-Behindertenkonvention: Das ?Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen?. Es wurde am 13. Dezember 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen und trat am 3. Mai 2008 in Kraft. In dieser Konvention werden die allgemeinen Menschenrechte für behinderte Menschen noch einmal bekräftigt, aber auch eine Vielzahl spezieller, auf die Lebenssituation behinderter Menschen abgestimmte Regelungen beschrieben. Im März 2009 trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft. Sie ist geltendes deutsches Recht, muss also auch umgesetzt werden. Dass die Konvention nicht bloße Absichtserklärung bleibt, prüft die UNO regelmäßig. Im April 2015 hat sie die Situation in Deutschland zuletzt bewertet. In dem vorgelegten Staatenbericht zeigt sich die UNO besorgt über die Ausgrenzung auf dem Arbeitsmarkt, über finanzielle Fehlanreize und segregierte, abgetrennte Werkstätten für behinderte Menschen. 2012 hat sich die Allianz zur UN-Behindertenrechtskonvention kurz BRK-Allianz gegründet, ein Zusammenschluss von 78 Organisationen der Behindertenhilfe und ? selbsthilfe. Sigrid Arnade ist die Geschäftsführerin der Interessenvertretung ?Selbstbestimmtes Leben in Deutschland?. Und sie hat im Namen der BRK-Allianz gegenüber dem UN-Fachausschuss bei dieser Prüfung auf die Ausgrenzung hingewiesen. O-Ton Arnade Die Werkstätten für behinderte Menschen erfüllen ihren gesetzlichen Auftrag nicht. Sie haben den gesetzlichen Auftrag, Menschen mit Behinderungen fit zu machen für den ersten Arbeitsmarkt und sie darauf zu vermitteln. Und die Übergangsquoten liegen im Promillebereich. Also das sind ganz wenige Menschen, die aus den Werkstätten für behinderte Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt kommen? Autorin Deutschland ist vom UN-Fachausschuss bei dieser Prüfung vor allem für sein aussonderndes System kritisiert worden. Das ist das Problem Nummer eins. Ob nun Förderschulen oder Werkstätten ? Aussonderung ist an der Tagesordnung und Normalität. Das geht im Jahre 2016 nicht mehr, betont Sigrid Arnade mit Nachdruck. O-Ton Arnade ? und da hat der Ausschuss sehr klare Empfehlungen gegeben: Nämlich er hat gesagt, die Werkstätten für behinderte Menschen sollen abgebaut werden und es sind unverzüglich ganz konkrete Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Was macht die Bundesregierung? Sie macht das Gegenteil. Im Moment ist ein Gesetzesentwurf in der Arbeit- Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechtes- und darin ist neu eingeführt ein Paragraf, der es öffentlichen Auftraggebern ermöglicht, speziell an Werkstätten für behinderte Menschen Aufträge zu vergeben. Und damit werden Werkstätten für behinderte Menschen für die nächsten Jahrhunderte festgeschrieben. Und das ist genau das Gegenteil von dem, was der Ausschuss empfohlen hat. Autorin Und auch in einem Diskussionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen wird zwar bestätigt, dass die Werkstätten die Anforderungen der UNO nicht umfassend erfüllen, aber: Zitator Auf der anderen Seite muss es eine Option für die Teilhabe am Arbeitsleben für jene behinderten Menschen geben, die wegen ihrer Behinderung dauerhaft keine Chance auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben werden. Wir halten daher die Werkstatt zur Sicherstellung des Auftrages aus Art. 26 UN-BRK für unbedingt erforderlich und auch zukünftig für zweckmäßig und sinnhaft. Autorin Die eindeutigen Aussagen der Konvention und des UN-Fachausschusses würden durch solche Äußerungen ins Gegenteil verkehrt, argumentiert Sigrid Arnade. Atmo (Busverkehr vor Werkstatt) ?. Ich war mir nicht so sicher, ob ich richtig bin? ? Wir haben sie vorne vermutet? Autorin: Ach so, das Navi hat gesagt, ich soll hier hinten herkommen. Hallo. Ich grüße Sie? Autorin Ein ganz normaler Wochentag im Norden der Republik. Es ist halb vier und Arbeitsschluss. Busse, Taxiunternehmen, Fahrdienste fahren geschäftig hin und her, bringen die Werkstattmitarbeiter wieder nach Hause. Ich habe mich mit zwei Mitarbeitern dieser Werkstatt verabredet. Ich nenne die beiden Peter und Hans*. Sie sind bereit mit mir über ihre Arbeit in der Werkstatt zu reden, wollen aber unerkannt bleiben. Sie haben offenbar Angst um ihren Arbeitsplatz. Mir leuchtet das nach einem Blick auf die Statistik sofort ein: Während die allgemeine Arbeitslosenquote bei etwas über sechs Prozent liegt und 2015 weiter sank, ist die Quote für Menschen mit Behinderung mit 13,9 Prozent gut doppelt so hoch. 179.000 Menschen mit Behinderung waren 2015 auf Jobsuche. Offiziell. Die Dunkelziffer jedoch ist nach Schätzungen von Experten viel höher. Atmo Autorin Mit dem Auto fahren wir zu Hans nach Hause. Die jungen Männer erzählen während der Fahrt, dass sie psychisch krank seien: Peter leidet an einer Depression, Hans an einer Psychose. Beide arbeiten seit Jahren in dieser Werkstatt, deren Namen hier nicht genannt werden soll. O-Ton Peter (Stimmverzerrung) Ich mache verschiedene Sachen? im Moment Türdichtungen mache ich und da, wo ich dann gebraucht werde, da gehe ich dann auch hin und unterstütze auch die Leute, wenn so wenig da sind. Die dann ihre Phasen haben mit Depressionen oder Angstzustände oder die sind einfach nur erkältet oder haben Urlaub ? ich bin überall einsetzbar. O-Ton Hans (Stimmverzerrung) Ich bin eigentlich sehr viel ? an Maschinen dran bei mir im Arbeitsbereich. Ich bin auch sehr vielseitig? kann man schon sagen ? einsetzbar. Bloß was mir bei der Arbeit schwer fällt, das sind Arbeiten, wo die Genauigkeit gefragt ist. Aber so wie jetzt Maschinen zum Beispiel, wo ich weiß, die funktionieren so und so, da kann ich mich darauf einstellen... das ist dann in Ordnung für mich. Autorin Hans und Peter arbeiten von Montag bis Freitag für einen börsennotierten deutschen Autohersteller. Sie stehen an Maschinen, fertigen Teile, unterstützen andere Kollegen. Und bekommen dafür - sollte man meinen - einen guten Lohn. Mitnichten. Die Werkstattbeschäftigten gelten nämlich nicht als Arbeitnehmer. Hans und Peter sind in einem sog. `arbeitnehmerähnlichen Beschäftigungsverhältnis` angestellt, erklärt mir Jörg Heyer von der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen. Die hier Arbeitenden erhalten keinen Arbeitslohn, sondern ein Entgelt. O-Ton Heyer Das Entgelt setzt sich so zusammen, dass jeder Werkstattbeschäftigte einen festen Grundbetrag bekommt. Das sind 75 ?, die jeder garantiert bekommt. Dazu kommen 26 ? Arbeitsfördergeld. Das kommt vom Staat. Der legt das obendrauf, so dass jeder Werkstattbeschäftigte eine Garantiesumme von 101 ? hat. Und dann zahlt man so genannte Steigerungsbeträge. Und da kann man dann Leute, die leistungsstärker sind, die mehr arbeiten- denen kann man dann noch ein höheres Entgelt zahlen. Gibt es in jeder Werkstatt - ein Entgeltsystem, wo man in verschiedenen Stufen dann sagt, die Leute, die mehr leisten, die bekommen dann noch mal ein Plus obendrauf auf diese 101 ?. Autorin Im Bundesdurchschnitt sind es, wie mir Jörg Heyer sagt, ganze 180 Euro im Monat, die Beschäftigte wie Hans und Peter als Grundeinkommen verdienen. Und das ist im Sozialgesetzbuch so festgelegt. 180 ? monatlich - das sind bei durchschnittlich 21 Arbeitstagen rund 8,57 ? - am Tag. Atmo: Nahles zur Einführung des Mindestlohns Autorin Arbeitsministerin Andrea Nahles verkündet in diesem Video die Einführung des von der Großen Koalition beschlossenen Mindestlohns von 8,50 ? pro Stunde ab 1. Januar 2015. Eine Errungenschaft für viele, die trotz Vollzeitarbeit nicht von ihren Einkommen leben konnten. Der Jubel bei den Beschäftigten in den Werkstätten blieb aus. Der medienwirksam eingeführte Mindestlohn gilt eben nur für den ersten Arbeitsmarkt, sagt Wolfgang van de Rydt. O-Ton Van de Rydt Der Gesetzgeber unterscheidet hier tatsächlich, von wem die Arbeit geleistet wird. Wenn sie von jemanden geleistet wird, der nicht behindert ist, dann ist sie mindestens 8,50 ? wert. Dieselbe Arbeit von einem Behinderten ist keine 8,50 ? wert und das ist etwas, was ich ethisch fragwürdig oder eigentlich gar nicht für vertretbar halte. Wir dürfen da nicht auf der einen Seite von Inklusion, Integration und diesem ganzen Pipapo reden und den Menschen aber dann diesen Mindestlohn vorenthalten. Autorin Wolfgang van de Rydt ist eine Art Edward Snowden der Werkstattszene, ein Whistleblower, der seit Jahren vor allem im Netz die Missstände in den Werkstätten anprangert. Und er weiß aus Erfahrung, wovon er redet: Der hagere, hochgewachsene Mann hat selber jahrelang in mehreren Werkstätten als Gruppenleiter und Fachberater gearbeitet. Dieses Entgelt von durchschnittlich 180 Euro erhielten alle Werkstattbeschäftigten, erläutert er mir: einerseits die Leistungsträger, wie Hans und Peter, die überall einsetzbar sind und ?schaffe? wie es seinem Dialekt heißt, aber auch diejenigen, die unter Anleitung nur mit Mühe innerhalb eines Arbeitstages ein paar Schrauben in eine Tüte packen können. Ein Aufschrei würde durch die Republik gehen, wenn das auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblich wäre, schimpft Sigrid Arnade. O-Ton Arnade Da wird eine Solidarität verlangt von den Menschen, die nirgends sonst in der Arbeitswelt verlangt wird. Das würde ja bedeuten? z.B. nehmen wir mal eine Bank?, dass eben der Bankdirektor oder die Aufsichtsratsleute vielleicht maximal das Doppelte vom Pförtner verdienen und dass wir davon weit entfernt sind, das weiß jeder. Autorin Die Werkstätten sind gesetzlich zur Wirtschaftlichkeit verpflichtet, d.h. sie müssen aus dem erzielten Gewinn den Steigerungsbetrag auszahlen, den sie den Beschäftigten zusätzlich zahlen könnten. Wolfgang van de Rydt weiß, dass abhängig vom Arbeitsergebnis und den Regeln der Werkstätten in manchen Einrichtungen Steigerungsbeträge von mehr als 600 Euro ausgezahlt werden können. Können, betont er. Aus Erfahrung weiß er aber, dass gerade diese Beträge häufig missbraucht würden. O-Ton Van de Rydt Oft wurde das nicht mit den tatsächlichen Leistungen gekoppelt, sondern nach dem Verständnis, dass da auch Pädagogik geleistet wird, sondern mit so einer Art Belohnung: Wenn du dies und das lernst, bekommst du noch eine bessere Lohnstufe und das Ganze verknüpft dann noch an irgendein sozial erwünschtes Verhalten, wo es doch eigentlich um die tatsächliche Arbeitsleistung geht ?. Man kann ihm dann halt zur Bedingung machen, du musst noch das und das lernen, das ist so vorgeschrieben, und du musst dich aber auch entsprechend verhalten, sonst kriegst du das nicht. O-Ton Peter (Stimmverzerrung) Sauberkeit, soziale Zusammenarbeiten, ach, was gab?s da noch? ? Fleiß und das gehört alles dazu? Danach gehen sie meistens... Aber sie sagen denn auch, ich gebe dir jetzt noch eine Chance. Du kannst dich ja verbessern? Es liegt ja an dem Gruppenleiter? Autorin Das sei Willkür und Diskriminierung. Laut Artikel 5 der Behindertenrechtskonvention müssen Menschen mit Behinderungen aber genau davor geschützt werden. Mit der Konvention verpflichtet sich Deutschland auch, dass Menschen mit Behinderungen durch Arbeit ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können. Während z. B. in Frankreich entsprechend Beschäftigte ein existenzsicherndes Arbeitsentgelt bekommen, sind hierzulande viele Werkstattbeschäftigte auf die sog. Grundsicherung angewiesen. Allerdings wird diese steuerfinanzierte staatliche Sozialleistung nur unter Anrechnung sämtlichen Einkommens gezahlt. Dazu zählt auch das Entgelt aus den Werkstätten. O-Ton Hans (Stimmverzerrung) Ich denke schon, dass mit dem Mindestlohn den meisten Kollegen in der Werkstatt richtig geholfen wäre, weil wenn doch vom Amt Geld bezogen wird, man hat keine Möglichkeit, sich mehr Geld zu verdienen. Wenn man mehr Lohn bekommen würde, das wird ja gleich wieder angerechnet und bei Mindestlohn wäre es nicht so. Da hat man das wirklich auf der Hand, was man verdient. Das wäre schon eine vernünftige Sache, der Mindestlohn. Autorin Dass Hans und Peter keine Einzelfälle sind, bestätigt mir Karin Müller*. Die Gruppenleiterin aus einer Werkstatt im Osten der Republik will ihren richtigen Namen nicht genannt wissen. Sie darf ihren Beschäftigten nach einem ausgeklügelten System Zusatzpunkte geben, die sich dann in einem Steigerungsbetrag niederschlagen. O-Ton Müller* (Stimmverzerrung) Das ist ganz kurios: Ich hatte eine Beschäftigte bei mir in der Gruppe, die wohnte im Wohnheim und ist eine sehr starke Beschäftigte. Der habe ich natürlich auch eine gewisse Anzahl von Punkten gegeben? und am Ende des Jahres muss diese starke Beschäftigte beim Sozialamt alles einreichen: ihren Verdienst, ihren Lohn und das wird dann entgegengesetzt mit der Grundsicherung und entsprechend war ihr Anspruch an Taschengeld? Autorin Seit Jahren fordern Behindertenverbände, die Sozialhilfe bzw. die Eingliederungshilfe unabhängig von anderem Arbeitseinkommen oder Vermögen zu zahlen. Seit 1973 wird diese Reform des Wiedereingliederungsgesetzes immer und immer wieder verschoben. Nun endlich plant die Bundesregierung ein Gesetz: das Bundesteilhabegesetz. Sigrid Arnade bezweifelt allerdings, dass gerade der kostenintensive Bereich reformiert würde. O-Ton Arnade Unser Sozialhilfesystem - das geht auf Bismarck zurück? ist dieses Denken, wenn jemand aus eigener Kraft nicht kann, dann muss erst einmal die Familie einspringen und wenn die am Ende ist, dann kommt der Staat und das Ganze ist gedacht für eine Übergangsfrist. Behinderung ist nichts Vorübergehendes, sondern das bleibt. Und es kann nicht sein, dass Behinderung arm macht. Und das ist bei uns der Fall. Und wir müssten wirklich, wenn es ernst ist damit, dass es aus der Sozialhilfe und aus dem Sozialhilfegedanken rauskommt, dann muss es ein steuerfinanziertes System geben, dass eben behinderungsbedingte Leistungen als Nachteilsausgleich gewährt wird. Autorin Auf der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales kann man dazu lesen, dass das Teilhabe-Gesetz die bisherige Eingliederungshilfe im Sozialgesetzbuch IX reformieren und die Lebenssituation behinderter Menschen verbessern soll. Dort steht unter anderem: Zitator: Die Neuorganisation der Ausgestaltung der Teilhabe zugunsten der Menschen mit Behinderung wird so geregelt, dass daraus keine neue Ausgabendynamik entsteht. Autorin Das heißt im Klartext: Es darf nichts kosten! Atmo: Kaffeemaschine mahlt Kaffee Autorin Karin Müller ist seit mehr als 20 Jahren Erzieherin in ein und derselben Einrichtung. In Werkstätten wie dieser werde schon lange nicht mehr Holzspielzeug bunt angemalt, sagt die 57-Jährige. In ihren Hochglanzprospekten stellen die Betreiber die Werkstätten oft als ?Unternehmen? dar, die Arbeit im Bereich von Dienstleistungen oder Industrie anbieten: Gemeint sind etwa Verpackung, Wäscherei oder Großküche. Frau Müllers Gruppe konfektioniert, wie es so schön heißt, also verpackt Schokolade - im Akkord: 2014 waren das eine Million Stück, 2015 wurden es dann doppelt so viel. O-Ton Müller (Stimmverzerrung) Der Trend in den Behindertenwerkstätten ist jetzt so, dass es eigentlich gar nicht mehr um die Pädagogik an sich geht, sondern jetzt wirklich nur noch das Geld - ist das A und O ? und in den Teamberatungen kriegen wir immer wieder vorgehalten? ja, der Bereich hat das erwirtschaftet, der Bereich hat das erwirtschaftet. Es geht nur noch darum, dass so viel wie möglich erwirtschaftet wird. Autorin Die Werkstattbeschäftigten arbeiten für große Konzerne, für Unternehmen, die mit Hilfe ihrer Arbeit Gewinne machen, können aber von ihrem Entgelt nicht leben. Deshalb bekommen sie zusätzlich Sozialleistungen, die aus Steuern finanziert werden. Die Werkstätten haben allerdings Steuervergünstigungen, zum Beispiel den ermäßigten Umsatzsteuersatz von nur 7%. So können sie ihre Produkte billiger und damit konkurrenzfähiger anbieten. Und trotzdem zahlen sie keinen Mindestlohn. Ihr Argument: Wenn sie den Mindestlohn zahlen müssten, gäben die Betriebe ihnen keine Aufträge mehr. Die Unternehmen aber sparen auch noch die Ausgleichsabgabe, wenn sie Aufträge an Werkstätten geben. Diese Ausgleichsabgabe müssen Arbeitgeber bezahlen, wenn sie über mindestens 20 Arbeitsplätze verfügen und weniger als 5 Prozent dieser Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzt haben. Kommt ein Unternehmen dieser Beschäftigungspflicht nicht nach, werden für jeden nicht besetzten Platz jeden Monat bis zu 290 ? fällig. Trotzdem gibt in Deutschland über 30.000 Unternehmen, die beschäftigungspflichtig sind und trotzdem keinen Menschen mit Handicap eingestellt haben. O-Ton Arnade Das ist eine Sauerei, dass der Staat letztlich damit über die Werkstätten dann auch mal wieder unsere Unternehmen subventioniert. Also auch da unterstützt der Staat die Unternehmen. Autorin Einen Gewinn zu erwirtschaften, der dann per Gesetz zu 70% an die Beschäftigten ausgezahlt werden muss, ist für Karin Müller in Ordnung. Es rege auch an, nicht am Markt vorbei zu produzieren, meint sie. Gerade Sozialpädagogen werde ja oft vorgeworfen, sie pflegten eine Art ?Behindertenromantik?, lebten in einem ?Wolkenkuckucksheim? und ignorierten die Wirtschaftlichkeit. Doch die Arbeit dürfe, sagt Frau Müller, nicht etwa zu Lasten der Lehr- und Bildungspläne für die behinderten Menschen gehen. Dafür gibt es Werkstattfachkonzepte, und darin sind für Rehabilitanden individuelle Bildungspläne, Betriebspraktika auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, aber auch Weiterbildungsangebote vorgeschrieben. Wie steht es mit diesem verbindlichen Konzept in der Praxis, will ich von Wolfgang van de Rydt wissen. O-Ton Van de Rydt Ich war selber zwei Jahre als Bildungskoordinator im rheinland-pfälzischen Modellprojekt der Werkstätten für behinderte Menschen, so wie es korrekt hieß, tätig. Ich habe zum Beispiel solche Gruppen eingeführt ?soziales Lernen? und die Leistungsträger ? die wollte man mir aber während der Arbeitszeit nicht so gerne überlassen, obwohl das eben vorgeschrieben ist, dass die Leute Anrecht haben auf soundso viele Fördermaßnahmen ? Das ist nicht die einzige Werkstatt gewesen. Ich habe insgesamt in drei verschiedenen Werkstätten gearbeitet, sehr viele Häuser auch besucht durch meine Fortbildungstätigkeit. Die Problematik ist im Prinzip überall dieselbe. Dass es einmal einen hohen Produktionsdruck gibt durch die Auftraggeber und man hat nur so und so viele Leistungsträger, tatsächliche die wirklich mitarbeiten können und diese Arbeiten auch schaffen? Autorin Und was wird im Alltag aus den Bildungsplänen, die die individuelle Förderung im Blick haben? O-Ton Müller (Stimmverzerrung) Die Bildungspläne werden aufgestellt. Und der Stand - nicht nur bei mir, sondern auch bei unseren Kollegen ? ist eben soweit, dass du ein dreiviertel Jahr danach gar nicht arbeiten kannst, weil du keine Zeit hast, weil du nur produzieren musst und dass du dich dann, kurz bevor du zum Sozialdienst musst, dass du dir dann etwas einfallen lässt, was du dann reinschreibst. Du füllst das dann eben alles aus, so wie es das Sozialamt möchte und überlegst dir, das was du eben dann auf dem Sozialamt sagen kannst, wie du ihn gefördert hast in dem Jahr und was du gemacht hast? Autorin Warum werden solche Werkstätten nicht besser kontrolliert? O-Ton Van de Rydt Eine richtige Kontrolle von dem, was dort wirklich geschieht, die findet in der Form nicht statt. Dafür haben wir eigentlich die Case-Manager und die gesetzlichen Betreuer ? die hätten die Verantwortung. Wenn man weiß, dass die Berufsbetreuer meistens sehr wenig Zeit haben, sich um die Angelegenheiten der von ihnen Betreuten wahrnehmen zu können ? die bekommen einen Stundensatz von 55 Euro pro Stunde und die haben oft 60-70 Betreute ? die können nicht jeden Tag in der Werkstatt auflaufen?. Und bei Angehörigen ist es ähnlich. Die sind ja froh, dass ihre Kinder, wenn sie erwachsen sind, in der Werkstatt betreut werden. In der Regel sind die Leute selber berufstätig und haben gar nicht die Zeit, sich darum zu kümmern. Man kann sich nur auf das verlassen, was man vom Personal wieder gegeben bekommt. O-Ton Arnade Und dort arbeiten Menschen mit Behinderungen zu einen Dumping-Lohn und der gesetzliche Auftrag wird nicht erfüllt und niemanden kümmert es. Und das finde ich die Katastrophe an der ganzen Geschichte? Eigentlich ist es eine Form von Sklavenarbeit, was die behinderten Menschen dort machen. Autorin Wenn in einem Betrieb solche Missstände auftreten, wenn das Personal sich ungerecht behandelt fühlt, ruft das den Betriebsrat auf den Plan- das wissen Hans und Peter noch aus der Zeit vor ihrer Krankheit. Sie haben erlebt, was ein Betriebsrat durchsetzen kann. In den Werkstätten gibt es etwas Ähnliches: den Werkstattrat. Peter ist im Werkstattrat, wurde von seinen Kollegen als ihr Vertreter gewählt. O-Ton Peter (Stimmverzerrung) Dieser Werkstattrat ist eigentlich ein Witz. Für mich ist das ein Witz, weil ich da schon so viele Sachen besprochen habe und versucht habe, zu ändern ?. Wie kann man was verbessern in der Werkstatt? Natürlich will man immer mitentscheiden und mitsprechen. Aber wenn mal ein guter Vorschlag dabei ist, wird man gleich wieder zurück gestoßen? Ich finde das eigentlich schade, dass man nicht mit der Geschäftsführung zusammenarbeitet, weil das eigentlich sehr wichtig ist. Autorin Bei der Entscheidung etwa über neue Arbeitskleidung, sagt Peter, wurde der Werkstattrat nicht gefragt. Das Ergebnis: Die Sachen passten nicht oder waren wegen des Materials nicht tragbar. Entmutigen lassen sich er und seine Kollegen vom Werkstattrat dadurch nicht. Stolz erzählt der 33-Jährige, dass sie durchgeboxt haben, dass wieder eine Psychologin für die Belange der Beschäftigten eingestellt wurde. Oft hat der Werkstattrat aber nur eine Alibifunktion, meint Wolfgang van de Rydt und kaum Entscheidungskompetenz. O-Ton Van de Rydt Das beschränkt sich in den Werkstätten aber meistens darauf, dass sie Einfluss haben auf die Speisekarte, ob da mal Currywurst angeboten wird oder mal nicht. Wenn es um wirklich interessante Sachen geht, sind die oftmals eben auch überfordert. Autorin Mit der Ernennung zum Werkstattrat habe man nicht per se auch die Kompetenz, man müsse erstmal geschult werden, sagt Sigrid Arnade. Veränderungen in diesem System stoßen auf enorme Widerstände, resümiert Wolfgang van de Rydt. O-Ton Rydt Eigentlich war mal die Maßgabe, diese großen Institutionen, die sollen immer kleiner werden. Und man erlebt eigentlich so das Gegenteil und dieses ganze Gefüge zu reformieren, in diesen gewachsenen Strukturen, halte ich für völlig absurd. Und mit neuen Konzepten von neuen Trägern, geht ja auch viel auf private Initiative, was ich von vielen Betroffenen gehört habe, wären halt nicht nur leichter zu finanzieren, sondern?. machen eben auch den Schritt in ein wirklich selbstständigeres Leben für alle Betroffenen möglicher. Atmo Autorin Ich fahre in die sächsische Kleinstadt Freiberg ins ?Regenbogenhotel?. Vor 15 Jahren entstand dieses Hotel zwischen Dresden und Chemnitz als so genannter Integrationsbetrieb, erzählt mir der Geschäftsführer Johannes Kretzer. O-Ton Kretzer Das bedeutet, dass mindestens 25 % der Beschäftigten, die einen Arbeitsvertrag mit uns haben, Schwerbehinderte oder ihnen Gleichgestellte sind. Maximal sollen es etwa 50 % sein. Wir liegen über 50 % zurzeit. Autorin Solche Integrationsbetriebe finanzieren sich anders als Werkstätten. Sie müssen nach einer Zeit von 5 Jahren aus eigener Kraft am Markt bestehen können. Finanziert werden sie zunächst aus Mitteln der Ausgleichsabgabe. Das Bundesland Sachsen unterstützt Betriebe, die Menschen mit Handicap fest einstellen, zusätzlich: Vom sächsischen Kommunalverband gibt es eine Unterstützung von jeweils bis zu 400 Euro im Monat, wenn diese einen bisher in der Werkstatt für behinderte Menschen Beschäftigten sozialversicherungspflichtig einstellen. Das soll beim Wechsel auf den ersten Arbeitsmarkt helfen. Atmo (Flaschen werden ein-, ausgeräumt) ?Das sind jetzt die Mix- Getränke und die alkoholischen Getränke werden dann hier reingestellt.? Autorin Cornelia Stolzenburg arbeitet als Servicekraft im Hotelrestaurant. Die 36-Jährige ist mit dem ?Persönlichen Budget? hier ins Hotel gekommen. Wieviel Geld man bekommt, wird für jeden Einzelnen ausgehandelt. Die behinderten Menschen verwalten ihr Geld selbst und kaufen sich damit Leistungen wie zum Beispiel Hilfskräfte in einer eigenen Wohnung, eine Qualifizierung in einem Integrationsbetrieb, Assistenz für den Arbeitsplatz oder sie subventionieren den Arbeitsplatz selbst. Cornelia Stolzenburg hat sich für eine Qualifizierung im Verein ?Regenbogenhotel? entschieden. Diese Ausbildung ähnle dem Bildungsbereich in den Werkstätten, erklärt Johannes Kretzer. Auch hier lautet das Ziel: fit machen für den allgemeinen Arbeitsmarkt. O-Ton Kretzer Und das tun wir auch. Wir sind anerkannt von der Bundesagentur für Arbeit, dass bei uns ein solcher Berufsbildungsbereich realisiert wird?. Es ist so, dass wir gemeinsam mit unserem Trägerverein einen Berufsbildungsbereich gestalten, so wie das in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen der Fall ist. Wir empfehlen dann denjenigen und den Eltern oder Betreuern bei der Agentur für Arbeit einen Antrag auf ein persönliches Budget - Teilhabe am Arbeitsleben-zu beantragen. O-Ton Stolzenburg ? und dann habe ich dann hier die zweieinhalb Jahre erst einmal gelernt und dann haben sie, wo ich denn hier bestanden hatte, habe ich dann Helfer im Gastgewerbe noch gemacht. Autorin Cornelia Stolzenburg hat im Regenbogenhotel sogar noch einen Berufsabschluss gemacht. Das ist eine Besonderheit dieses Integrationsunternehmens. In den Werksstätten für behinderte Menschen können die Beschäftigten zum Beispiel einen Gabelstaplerschein machen. Für den ersten Arbeitsmarkt reicht der Schein jedoch nicht. Mit einem von der Industrie- und Handelskammer anerkannten Abschluss sähen die Chancen dagegen viel besser aus, sagt Johannes Kretzer. O-Ton Kretzer Wir haben die Möglichkeit, das gestattet uns die IHK Chemnitz, dass wir in dieser beruflichen Qualifizierung mithilfe des Persönlichen Budgets unsere Teilnehmer einen Qualifizierungsbaustein erwerben können. Sie können also einen erwerben in der Küche, im Service, also im Restaurant, und in den Hausdiensten. Und diese Module, wie wir sagen, orientieren sich an dem Berufsbild ?Helfer im Gastgewerbe?. Gibt es bestimmte Bedingungen, die dann die IHK uns vorgibt: dass wir bestimmte Anzahl von Ausbildungsstunden nachweisen müssen, Ausbildungsinhalte vermitteln müssen und das machen wir. Und wenn Sie also dann dieses Programm absolviert haben, steht am Ende im Prinzip eine praktische Prüfung. Autorin Sieben junge Menschen haben diese Prüfung zum ?Helfer im Gastgewerbe? bisher bestanden. Nach Auskunft der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen ist es eine große Herausforderung, Industrie- und Handwerkskammern zu finden, die offen für solche Teilausbildungen sind. Und noch etwas spricht für ein solches Integrationsunternehmen: O-Ton Kretzer Wir haben bisher von den elf jungen Menschen, die bei uns diese berufliche Qualifizierung erfolgreich absolviert haben, alle elf auf dem ersten Arbeitsmarkt untergebracht. Wir haben also Mitarbeiter in einem anderen Hotel, wir haben bei der AWO in der Tagespflege, wir haben im Bio- Laden in Döbeln eine Mitarbeiterin, wir haben hier bei der Service-Gesellschaft der Seniorenheime ist eine beschäftigt - also wir sind in einer ganz breiten Palette von Arbeitsmöglichkeiten haben wir gefunden. Autorin Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde hat ebenfalls aufschlussreiche Zahlen zur Rückkehr auf den ersten Arbeitsmarkt veröffentlicht: von Menschen mit psychischen Erkrankungen, die mit Betreuung und Unterstützung an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren, bleiben 61% auf Dauer am ersten Arbeitsmarkt. Bei Menschen, die in den verschiedensten Bildungswerken und Trainingszentren der Werkstätten arbeiten, sind es dagegen nur 0,11%. O-Ton Arnade Und es gibt diesen Spruch: In ?ne Werkstatt gibt?s einen Eingang, aber keinen Ausgang. Also man kommt leicht rein, aber nie wieder raus, wenn man einmal in den Fängen da drin ist. Autorin Es gibt eine ganze Reihe von Unterstützungsleistungen, die eine Rückkehr auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen. Doch es gibt kaum bundeseinheitliche Regelungen. In Niedersachsen zum Beispiel gibt es das so genannte ?Budget für Arbeit? für Menschen mit Behinderungen, die in einer Werkstatt arbeiten und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wollen. Die ca. 1000,- Euro monatlich, die für einen Werkstattplatz bezahlt werden, bekommen die Betroffenen selbst in die Hand. Sie entscheiden, wie sie es verwenden: zum Beispiel für die Subvention des Einkommens oder als notwendige Assistenz am Arbeitsplatz oder eine Mischung zwischen beidem. Mittlerweile haben weitere Länder die Grundprinzipien des ?Budgets für Arbeit? übernommen, etwa Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Andere Bundesländer bieten so genannte ?innerbetriebliche Qualifizierung? oder ?unterstützte Beschäftigung? an, gefördert durch die Agentur für Arbeit, die örtlichen Sozialhilfeträger oder über Mittel aus der Ausgleichsabgabe. Eine republikweit einheitliche Regelung soll demnächst das Bundesteilhabegesetz bieten. Oft fehlt allerdings schlicht das Geld für die Maßnahmen. In Bremerhaven z.B. gibt es nur 15 Plätze im Rahmen der unterstützten Beschäftigung. Und diese Platzzahl ist, sagt die Arbeitsagentur, u.a. auch abhängig von den zur Verfügung stehenden Geldmitteln. Fast 31.000 Unternehmen zahlen keine Ausgleichsabgabe, obwohl sie beschäftigungspflichtig sind. Da gibt es durchaus noch Ressourcen, meint Sigrid Arnade. Und: Die Abgabe müsste drastisch erhöht werden, 290 Euro seien doch nur Peanuts. O-Ton Arnade Es gibt aber außerdem die Bußgeldvorschrift, d.h. wenn Arbeitgeber sich dauerhaft weigern behinderte Menschen einzustellen, könnte staatlicherseits auch von dieser Bußgeldvorschrift Gebrauch gemacht werden, dass gesagt wird: Also ich habe auf eine Ausschreibung zehn qualifizierte behinderte Leute geschickt und du hast keinen einzigen genommen. Ich belege dich jetzt mit einem Bußgeld. Und wenn das dann auch noch drastisch ausfallen würde und durch die Zeitung gehen würde, würde sich vielleicht etwas ändern. Von dieser Möglichkeit, dem rechtlichen Instrument des Bußgeldes, ist noch nie Gebrauch gemacht worden. Autorin Deutschland ist von der UN-Kontrollkommission ermahnt worden, bestehende Gesetze zu überprüfen, Fehlentwicklungen zu ändern und finanzielle Fehlanreize abzuschaffen. Es stünden zu wenige Arbeitsplätze als Alternative zur Werkstatt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung. Problematisch sei auch, dass Werkstattbeschäftigte nur nach 20 Jahren durchgehender Beschäftigung in einer Werkstatt Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung erwerben. Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen als geltendes deutsches Recht umzusetzen bedeute: Keine Aussonderung mehr, sagt Sigrid Arnade. Abschaffung der Sonderwelten. O-Ton Arnade Mit der Behindertenrechtskonvention ist ein ganz entscheidender Perspektivenwechsel vollzogen worden und in Gesetzestext geronnen sozusagen. Und zwar geht es nicht darum, dass Menschen mit Behinderungen jetzt irgendwie medizinisch behandelt werden sollen, es geht auch nicht primär darum, ihnen irgendwelche sozialen Errungenschaften oder Vorteile zu verschaffen, sondern es geht darum, dass es Rechtssubjekte sind. Dass Menschen mit Behinderungen dieselben Rechte, dieselben Menschenrechte und alle anderen Rechte haben, wie alle anderen Menschen auch, eben dass sie Trägerinnen und Träger unveräußerlicher Rechte sind, die eben realisiert werden müssen. Musik Absage: Etikettenschwindel? Die heile Welt der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen Ein Dossier von Dorothea Brummerloh Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2016. Es sprachen: Marietta Bürger und Hendrik Stickan Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Roman Weingardt Regie und Redaktion: Karin Beindorff 1 1