Thema: Sterben ist gar nicht so einfach Manuskript: Von Svenja Pelzel Sendung: DLR Die Reportage Januar 2013 Redaktion Eberhard Schade Autorin Mich hat berührt, wie sehr die Menschen, die ich getroffen habe, am Leben hängen, selbst die, die seit 20 Jahren über Sterbehilfe nachdenken und sogar wild dazu entschlossen sind, sich am Ende umzubringen. Aber dieses Ende, dieser allerletzte Moment ist unglaublich schwer zu finden. Manche verpassen ihn sogar. Moderation Sterben ist gar nicht so einfach ? eine Reportage von Svenja Pelzel Atmo 1 hoch 1?47 Geräusch Luftbefeuchter 0?5 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 1 Heinrich liegt im Sterben. Er ist 74 Jahre alt, hat hellgraues, zerzaustes Haar, das sein abgemagertes, schmales Gesicht auf dem weißen Kopfkissen noch blasser erscheinen lässt. In seiner Nase steckt ein dünner Sauerstoffschlauch, hinter seinem Bett blubbert Tag und Nacht ein Luftbefeuchter. Heinrich hat Krebs im Endstadium. Er kann nicht mehr laufen, sich nicht mehr waschen und selbst versorgen und auch nichts mehr ohne fremde Hilfe essen. Deshalb liegt Heinrich auf der Palliativstation des anthroposophischen Krankenhauses Havelhöhe in Berlin. Seit einer viertel Stunde sitzt sein Arzt, Thomas Jehser, an seinem Bett. Atmo 2 hoch Gespräch Arzt, Patient Blubbern, was können wir denn heute Gutes für sie tun? ? eigentlich nichts ? und uneigentlich? ? Gegessen habe ich, getrunken habe ich auch. 0?15 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 2 Eigentlich will Heinrich überhaupt nichts mehr essen und trinken. Eigentlich will Heinrich nur noch eins: sterben. So schnell wie möglich, zur Not soll einer nachhelfen. Das sagt Heinrich auch seinem Arzt. Während der alte Mann schwerfällig mit Thomas Jehser redet, dazwischen immer wieder lange schweigt, laufen ihm langsam Tränen über die Wangen. Atmo 1 wieder darunter O-Ton 1 0?19 Heinrich Ich weiß, dass das ne Krankheit ist, die nicht reparabel ist und das immer schlimmer wird und unter diesen Umständen ist doch das Weiterleben nicht sinnvoll. Sie können ja nichts machen, sie können nichts entscheiden, sie können nicht Zuhause sein. Autorin 3 Wenn es nach Heinrich ginge, wäre jede Form von Sterbehilfe in Deutschland grundsätzlich erlaubt. O-Ton 2 0?38 Heinrich Auf jeden Fall. So ein Siechtum ist ja furchtbar. Das ist eine Entscheidung, die jeder selbst treffen muss. Es gibt ja viele Leute, die sich aus anderen Gründen umbringen. Aber bei schweren Krankheiten, die nicht mehr heilbar sind, ist das meiner Meinung nach legitim, wenn der einzelne Patient das macht. Dass ich die Möglichkeit bekomme, zu entscheiden, wann ich abtrete, das ist entscheidend. Autorin 4 Doch Thomas Jehser kann Heinrich diesen Wunsch nicht erfüllen. Auf seiner Palliativstation bekommt niemand vom Arzt oder Pfleger eine tödliche Spritze. Das ist aktive Sterbehilfe und in Deutschland grundsätzlich verboten. Lediglich passive und indirekte Sterbehilfe sind erlaubt. Das heißt Ärzte dürfen z.B. die künstliche Beatmung eines Menschen einstellen oder ihm sehr starke Morphiummittel geben, die sein Leben verkürzen. Erlaubt ist auch die Beihilfe zum Selbstmord, d.h. der Arzt besorgt die Medikamente, mit denen der Patient sich selbst das Leben nimmt. Aber auch das kann Thomas Jehser Heinrich auf seine Station nicht anbieten. O-Ton 3 0?34 Thomas Jehser, 1.7. Wir haben häufig Todeswünsche, wir haben auch häufig Wünsche nach aktiver Sterbehilfe. Wir lassen diese Wünsche auch zu, wir sagen den Leuten nicht, so was ist verboten auszusprechen, weil deswegen wird es ja trotzdem gedacht. Wir gehen mit diesem Thema auch um, wenn wir uns auch nicht die Aufgaben stellen, aktive Sterbehilfe anzubieten, sondern darüber zu sprechen, wie verzweifelt man sein muss, wenn man keinen anderen Weg weiß. Und wir glauben, dass Wege zu finden sind in so einer schwierigen Situation. Autorin 5 Deshalb nimmt sich Jehser sehr viel Zeit für seine Patienten. Erst nach zwanzig Minuten verabschiedet er sich von Heinrich, geht ein Zimmer weiter Atmo 3 hoch Schritte 0?5 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 6 (Atmo 4 darunter) Die Patientin im nächsten Raum ist ebenfalls schwer krebskrank, atmet durch einen Luftröhrenschnitt, wird künstlich ernährt. Als sie vor ein paar Tagen eingeliefert wurde, litt sie Todesangst und Schmerzen, wollte nicht mehr leben. Jehser hat ihr als erstes eine automatische Morphiumpumpe gegeben, die sie nun um den Hals trägt. Jetzt ist von Selbstmord keine Rede mehr. O-Ton 4 0?16 Jehser Man muss sich vorstellen ein Patient, der so fortgeschritten krank ist, der so viele Fähigkeiten verloren hat, der nicht mehr Treppensteigen kann, der es vielleicht nicht mal bis zur Toilette schafft, der sich nicht waschen kann, nicht gut essen kann, der ist auch vieler Selbstschutzmechanismen beraubt. Autorin 7 (Atmo 5 darunter) Diese grundsätzlichen Dinge wie Essen, Verdauung, Schlafen und Schmerzfreiheit sind oberstes Ziel der Palliativmediziner. Jehser und sein Team bekämpfen die körperlichen Symptome mit starken Medikamenten, die Hilflosigkeit und Ängste mit vielen, langen Gesprächen. Der Betreuungsschlüssel ist dementsprechend hoch: auf 12 Patienten kommen 13 Pflegekräfte und ein Arzt. Das Team trifft sich zudem einmal wöchentlich mit Sozialarbeitern, Psychologen und Seelsorgern und bezieht die Angehörigen stark mit ein. Gemeinsam suchen alle nach einer Lösung, denn die Palliativstation soll nur ein Übergang sein. ?Doch manchmal?, erzählt der Arzt, ?hilft alles nichts?. Der Wunsch nach Sterbehilfe bleibt, so wie bei Heinrich im Nebenzimmer. O-Ton 5 0?13 Jehser Also ich kann das verstehen, dass man das in einer sehr intimen Beziehung, wo man in gutem Einvernehmen so was gemeinsam beschließt, so was dann auch durchführt. Autorin 8 Thomas Jehser darf und macht das nicht. Er kann seinen Patienten aber anders helfen. O-Ton 6 0?36 Thomas Jehser Das ist die so genannte palliative Sedierung, die man anwenden darf, um der Symptomlinderung willen, um der Beschwerdefreiheit oder Beschwerdelinderung willen unter Inkaufnahme von eventuell lebensverkürzenden Nebenwirkungen. Das ist manchmal eine Dosisfrage, manchmal eine Kombinationsfrage, das ist für den Extremfall von schwerster Atemnot, die sich anders nicht behandeln lässt, schwersten Ängsten und Verwirrtheitszuständen, aber auch mal schwersten Schmerzen eine angemessene Therapie. Autorin 9 (Atmo 5 weiterhin) Nach einer dreiviertel Stunde verlässt Thomas Jehser auch den Raum der zweiten Patientin, bespricht mit seinen Pflegekräften, welche Medikamente die Frau in den nächsten Tagen bekommen soll. Atmo 6 hoch Gespräch Arzt-Pflegekräfte Stationsgeräusch . Habt ihr mal gefragt ob dieses Aboavistum Aceris heute mitgeliefert wird? 0?10 frei stehen lassen, dann darüber Autorin 10 Fank Lemme hat an diesem Morgen ebenfall Schicht. Viele Fragen und Bitten richten die Patienten nicht nur an Thomas Jehser, sondern ebenfalls an ihn und seine Kolleginnen und Kollegen. Auch der 46jährige Pfleger wird regelmäßig nach Sterbehilfe gefragt. Manchmal ist das schwer auszuhalten, sagt Frank Lemme. O-Ton 7 0?36 Frank Lemme Naja, da gibt es zum Glück der Austausch mit dem Team, das ist so was, was immer wieder wichtig ist. Wir machen zwar Bezugspflege, aber wir sind im Grunde nie alleine auf Station, auch nachts sind wir zu zweit. Da ist immer wieder der Austausch untereinander ganz wichtig. Und wenn ich jetzt für den Patienten zuständig bin, machen wir es auch so, wenn es jetzt so eine Situation ist, dass wir dann trotzdem sagen, teilen wir uns das auf. Auch du gehst das nächste Mal, wenn der klingelt. Weil es eine Situation ist, die wir nicht lösen können vielleicht. Und dann spielt man schon so ein bisschen auf Zeit, muss man schon so sagen. Ja Autorin 11 Die Diskussion, inwieweit in Deutschland auch gewerbliche Sterbehilfe wie in der Schweiz erlaubt werden soll, verfolgt Lemme deshalb interessiert. Sich selbst lässt er jedoch von keinem Gesetz oder Patientenwunsch beeinflussen. O-Ton 8 0?14 Frank Lemme Den Druck lass ich mir nicht verpassen. Nö. Da denke ich mir, das ist eine Entscheidung, die kann nur ich treffen, und die muss ich dann auch treffen und ich muss damit umgehen können. Und da lass ich mich von anderen nicht unter Druck setzen. Autorin 12 Heinrich bleibt dieser letzte Weg erspart. Seit er im Krankenhaus liegt, wird er von Tag zu Tag schwächer. Irgendwann kann er überhaupt nichts mehr essen oder trinken, wälzt sich nur noch unruhig hin und her. Mitten in der Nacht, um 0.40 Uhr stirbt er. Atmo 7 hoch 2?34 Abendbrotgeräusche, Standuhr, Geschirrgeklapper 0?5 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 13 Constanze sitzt mit ihrem 11jährigen Sohn in der Küche beim Abendbrot. Sie ist 44 Jahre alt, Radiologin mit eigener Praxis und Heinrichs Tochter. Sie trägt schwarz, die Augen wirken müde, das Gesicht blass. Heinrich hat die letzten elf Jahre mit Constanze und dem Enkel im gleichen Haus gelebt. Von seinem Wunsch sich umzubringen hat Heinrich dennoch nie erzählt. Trotzdem wusste Constanze immer, was ihr Vater, der ebenfalls Arzt war, wirklich wollte. O-Ton 9 0?27 Constanze Wenn er von so Schicksalen aus dem Krankenhaus erzählt hat, das konnte er mit mir als Kollegin ja machen, hat er auch immer gesagt, zum Beispiel bei einer sehr schweren Hirnverletzung oder bei einer Querschnittslähmung von jungen Leuten, dass er das ganz tragisch empfindet und für sich selber ja ausschließen möchte, so zu leiden und auf die Pflege von Fremden angewiesen zu sein. Also diesen Standpunkt kenne ich. Autorin 14 Constanze kennt den Standpunkt ihres Vaters nicht nur, sie teilt ihn auch. O-Ton 10 0?25 Constanze Also ich denke schon, dass jeder Mensch das Recht hat auf ein würdiges Sterben und bestimmte Sachen ? das ist auch sehr subjektiv ? bestimmte Sachen wären für mich auch ganz, ganz furchtbar. Zum Beispiel wenn ich eine hohe Querschnittslähmung hätte, wo die Atmung nur noch mit einer Maschine unterstütz wird und da hätte ich das Bedürfnis vielleicht zu sagen, Mensch ich möchte das vielleicht nicht mehr. Autorin 15 Nicht nur der Tod ihres Vaters, sondern auch die Zeit davor, die ganze Ungewissheit, das Warten, nicht Wissen, wie es weiter geht ? haben Constanze sehr mitgenommen. Wie sie sind viele Angehörige mit der Situation völlig überfordert. O-Ton 11 0?36 Constanze Ich würde mir wünschen, dass es ne Anlaufstelle gibt, wo so was besprochen werden kann, ohne dass der Arzt aus allen Wolken fällt, weil das ein vermeintlich eigenartiges Anliegen ist, was sonst in der normalen Sprechstunde nicht thematisiert wird. Und ich finde es ganz wichtig, dass ein Patient, der den Wunsch hat, nicht so eine Art Sterbehilfetourismus machen muss in andere Länder, wo das anders geregelt ist. Weil ich finde es unter aller Würde, wenn ein todkranker Mensch ins Ausland reisen muss, um dort seinen Wunsch erfüllen zu können. Autorin 16 Eines jedoch wundert Constanze: als ihr Vater noch nicht in der Klinik, sondern Zuhause war, hätte er sich jederzeit umbringen können und hat es dann doch nicht getan. O-Ton 12 0?18 Constanze Ich hatte ja immer so die Befürchtung oder die Angst, dass er diesen Schritt hier geht Zuhause und ich wusste genau mit welchen medizinischen Sachen, die einfach vorrätig sind ? als Diabetiker hat er eben sein Insulin dort ? und er hat es nicht gemacht. Er hat eben sehr an seinem Leben gehangen. Autorin 17 Das ist bei allen Menschen so, sagt Uwe Christian Arnold. Er muss es wissen. Über 250 Mal hat Arnold schwerkranken Männer und Frauen beim Sterben geholfen. Atmo 8 hoch 0?40 Telefongespräch. Klingelgeräusch - Arnold. Grüße Sie. 0?5 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 18 Uwe Christian Arnold ist 69 Jahre alt, pensionierter Urologe und einer der wenigen Ärzte in Deutschland, der offen zugibt, Sterbehilfe zu leisten. Seit er das auch im Ersten Deutschen Fernsehen gesagt hat, steht sein Telefon nicht mehr still. O-Ton 13 0?16 Telefonat Ja, Können wir gerne machen. Wo sind Sie? Ach hier in Berlin. Passen Sie mal auf, ich würde vorschlagen, ich glaube ich sehe ihre Nummer, die haben sie nicht verdeckt. Dann rufe ich sie nachher noch mal an, so in einer Stunde, dann ruf ich sie noch mal an. Dann machen wir mal einen Termin. Gut Danke. Tschüss. Autorin 19 (Atmo 8 darunter) Arnold legt auf, widmet sich wieder seinen E-mails. Seit ein paar Stunden schon sitzt der schmale, drahtige, grauhaarige Mann an diesem Vormittag an seinem Schreibtisch. Vor ihm an der Wand hängen Fotos seiner zwölf Enkel. Geduldig beantwortet Arnold Anrufe und Mails, die ihn von kranken Menschen oder deren Angehörige aus ganz Deutschland erreichen. Die meisten haben eine lange Leidensgeschichte hinter sich. O-Ton 14 0?31 Arnold Diese Menschen sind in Not und ich bin der letzte Anker sozusagen, der letzte Halt, an den sie sich klammern wollen. Und ich kann ihnen als Arzt vieles sagen. Und ich merke, dass mindestens 50 Prozent dieser Anrufe Hilfe suchend sind, die eigentlich in eine andere Richtung gehen. Entweder sind die Leute schlecht schmerzversorgt oder sie sind bisher therapeutisch nicht gut betreut worden, mit ihren Ärzten kommen sie nicht klar, die haben keine Zeit. Die sind einfach verzweifelt und wissen nicht mit wem sie sprechen können. Autorin 20 Vielen Menschen in ganz Deutschland hat Arnold bereits bei ihrem Selbstmord assistiert. Er darf das. Selbstmord ist in Deutschland nicht verboten, ebenso wenig die Beihilfe dazu - im Fachjargon auch assistierter Suizid genannt. Ärger könnte Arnold lediglich wegen unterlassener Hilfeleistung bekommen oder wegen der Ärztekammer. ? Ich regle Punkt eins? erzählt Arnold, ?indem ich mir zur Sicherheit immer eine Patientenverfügung unterschreiben lasse?. Darin erklärt der Sterbende ausdrücklich, dass er keine Wiederbelebung wünscht. Punkt zwei ist komplizierter. Die Landesärztekammer Berlin wollte Arnold den assistierten Suizid untersagen. Gegen diese Anordnung hat er geklagt und Recht bekommen. Als Arnold das Urteil aus seinen Unterlagen hervorkramt, bekommt sein Gesicht einen Ausdruck diebischer Freude. O-Ton 15 0?10 Arnold Geraschel. Das Verfahren wird eingestellt, sobald die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt betrachtet haben. Autorin 21 Das Urteil gibt Arnold schlicht Recht und legt fest, dass keine Standesvertretung wie die Ärztekammer über dem Gewissen eines einzelnen Arztes steht. O-Ton 16 0?26 Arnold Wir sind ja in einer pluralistischen Gesellschaft, da muss man auch Minderheitenmeinungen respektieren. Und bei dem Schwangerschaftsabbruch ist es ja so. Es ist ja nicht so, dass alle Frauenärzte Schwangerschaftsabbrüche machen oder machen müssen. Um Gottes Willen! Natürlich müssen sie es nicht. Es macht auch dort nur ein Teil dieser Ärzteschaft. Und dann können sie sich vorstellen, wie viel aus der anderen Ärzteschaft noch dagegen sind. Es ist ganz klar ein Minderheitenvotum und das ist auch in Ordnung so. Und es sollte bei der Sterbehilfe genauso sein, bzw. beim ärztlich assistierten Suizid. Autorin 22 Auch wenn seine Gegner ihm genau das vorwerfen, Arnold macht sich diese Gewissensentscheidung nicht leicht. Vielen Anrufern und Mailschreibern, die ihn an diesem Morgen erreichen, wird er nicht beim Sterben, sondern beim Leben helfen. Arnold kümmert sich um geeignete Pflegeeinrichtungen, Hospize, gibt Tipps bei der Arztsuche und ambulanten Palliativversorgung. Manchmal, erzählt er, und lacht dabei wieder ein wenig schelmisch, meckert seine Frau schon, weil er mit seinen 69 Jahren so viel für andere mache und so wenig mit ihr. Atmo 10 hoch 1?46 Vorbereitung Ärztetasche 0?5 frei stehen lassen, dann darüber Autorin 23 Arnold hat jetzt alle seine Mails beantwortet, überprüft seinen Arztkoffer. Morgen will er zu einem Patienten fahren, den er schon lange kennt. Ein Routinebesuch. Wenn es seine letzte Visite wäre, der Sterbetag seines Patienten, dann wäre Arnold heute nicht so entspannt, sondern sehr nervös. O-Ton 17 0?37 Arnold Naja, nun das ist ja eine wesentliche Entscheidung, die da bevorsteht. Man überlegt sich, ob das auch alles stimmig war, ob auch alles richtig ist, ob man auch alles bedacht hat und wie wird der sein am nächsten Tag der Mensch. Und meistens empfangen die einen ausgeglichener als man selber ist, freuen sich, dass man kommt und empfangen einen mit geradezu teilweise absurden Bemerkungen: Herr Doktor heute ist der schönste Tag meines Lebens. Das habe ich schon mehrfach gehört. Das ist immer hart für mich, denn ich kann eigentlich nicht nachvollziehen, dass der Todestag der schönste Tag ist. Das kann man überhaupt nur verstehen, wenn man sich vorstellt, was müssen die Leute vorher gelitten haben. Autorin 24 Wenn sich ein Mensch mit seiner Hilfe das Leben nimmt, ist Arnold immer mit dabei, meist auch die Angehörigen. Alle kennen sich schon lange, liegen sich hinterher manchmal lachend und weinend in den Armen, erleichtert, dass der Patient endlich von seinem Leid erlöst ist. O-Ton 18 0?23 Arnold Das finden die Patienten sehr gut und bitten sogar darum. Das finde ich auch, für mich ist es selbstverständlich eigentlich. Vor allen Dingen auch, es könnte ja doch sein, im letzten Moment doch eine Willensänderung erfolgt, was ich noch nie erlebt habe. Dann kann der Arzt, er ist ja derjenige, der dann schnellstens die Maßnahmen ergreifen kann, um die Sache rückgängig zu machen. Autorin 25 Das hat Arnold in den letzten 25 Jahren allerdings kein einziges Mal erlebt. Wer diesen letzten, schweren Entschluss einmal fasst, hat in der Regel vorher sehr lange darüber nachgedacht und will, dass es unbedingt klappt. Deshalb findet Arnold es so wichtig, dass beim Suizid schwerkranker Menschen ein Arzt anwesend ist. Zwar sind die tödlichen Medikamente in jeder Apotheke erhältlich, aber nicht jeder verträgt das gleiche in der gleichen Dosis. Auch reicht es nicht aus, einfach alle Morphium- und starken Schlafmittel, die man findet, wahllos zu schlucken. O-Ton 19 0?25 Arnold Machen ja viele Menschen, dass sie ihre stark wirksamen Medikamente für den Fall des Suizids sammeln. Und dann haben sie Zuhause so und so viele Ampullen Morphium und das und das und das und dann rufen sie mich manchmal an und sagen, kann ich das machen? Und dann sage ich, nein, lassen sie es sein, es hat keinen Zweck. Dann sind die ganz traurig, sie haben doch extra gesammelt. Aber das ist der Punkt. Man kann nicht einfach irgendwas sammeln und dann in Überdosis nehmen. Das gibt meistens ne Katastrophe. Atmo 11 hoch Autobahn 0?5 stehen lassen, dann darüber Autorin 26 Der nächste Morgen. Arnold ist auf der Autobahn zu seinem Patienten unterwegs. Obwohl er schon lange in Rente ist, macht Arnold weiter. Zum Glück rufen immer häufiger junge Kollegen bei ihm an, erzählt er und schiebt seine Lieblingsmusik ? Rheingold von Richard Wagner - in den CD-Player. (Atmo 10 kurz hoch) Viele Ärzte wollen von ihm Tipps, was sie im Extremfall tun sollen. Arnold hofft, dass dadurch langsam ein Umdenken unter Medizinern einsetzt, dass Sterbehilfe irgendwann auch in der Gesellschaft akzeptiert wird. Auch wünscht er sich, dass sich für todkranke Menschen das Thema Schweiz dann endgültig erledigt hat. O-Ton 20 0?16 Arnold Das wird immer so dargestellt, man kann dann ich die Schweiz fahren und mal schnell sterben. Das ist alles Quatsch. Die Auflagen sind hoch, so hoch, dass viele Leute sogar Abstand nehmen, weil sie die Unterlagen gar nicht zusammen bekommen von Arztbriefen bis Geburtsurkunden. Das ist nun mal in der Schweiz so. Autorin 27 Für sich hat Arnold bereits vor Jahren ein tödliches Medikament aus Mexiko mitgebracht. Seit ein paar Wochen denkt er häufiger über dieses Mittel nach. Arnold hat Krebs. Was er macht, wenn es keine Therapie mehr gibt, er die Schmerzen nicht mehr aushält? ? Wahrscheinlich Selbstmord begehen. Wahrscheinlich! So geht es vielen seiner Patienten. Atmo 12 hoch 4?00 Tischabdecken, Wohnzimmer Möchtest Du nicht noch das Stückchen Weißbrot essen? ? Ja das kann ich nachher machen. Geschirrgeklapper. 0?8 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 28 In Lüneburg ist ein altes Ehepaar gerade mit dem Kaffee fertig. Die beiden möchten ihren Namen lieber nicht nennen, haben schon zu viel Ablehnung erlebt. Die wenigsten ihrer Freunde verstehen es, dass sie sich lieber selbst umbringen möchten als lange zu leiden. Deshalb heißen sie hier Margarethe und Alex. Ihren Arzt Uwe-Christian Arnold haben Margarethe und Alex über die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben kennen gelernt. Diesem Verein sind sie bereits vor 20 Jahren beigetreten, damals waren beide noch gesund. Jetzt sind Margarethe und Alex schwer krank. Er hat Parkinson, eine künstliche Herzklappe und Lähmungserscheinungen, sie regelmäßig starke Rückenschmerzen. Die beiden alten Menschen leben seit 32 Jahren in ihrem kleinen Reihenhaus mit Garten, jetzt können sie sich immer schlechter alleine versorgen. Das Kaffeegeschirr zum Beispiel trägt Margarete nur mühsam, mit zitternden Händen zum Abwaschen in die Küche. Trotzdem weisen beide den geplanten Selbstmord im Moment noch weit von sich. O-Ton 21 0?31 Margarethe 2.6. Ich habe schon Angst davor, weil ich weiß, wie viel Mut ich dazu brauche. Denn noch finde ich mein Leben ja nicht so wegwerf-mäßig. Ich bin zwar im Moment nervlich labil, aufgrund der vielen Schmerzen, aber wenn die nicht da sind, dann will ich ja gerne noch weiter machen. Aber wenn es dann nicht mehr geht, dann möchte ich auch da Butter bei die Fische machen mit Doktor Arnold. Ich muss dies Sicherheitsgefühl haben, dass wenn ich das möchte, dann muss es da sein. Das ist ein ganz gutes Gefühl. Da kann man viel besser mit weiter leben. Autorin 29 Beim Abwaschen erzählt Margarethe, dass sie und Alex deshalb auch ihre Tochter in die Pläne eingeweiht haben. O-Ton 22 0?31 Margarete Unsere Tochter weiß das und die hat es uns insofern ein bisschen schwer gemacht, indem wir dann gesagt haben, wenn das so ist, dann möchte ich es aber wissen, ich möchte vorher hoch kommen aus Frankfurt. Das ist ja auch wieder ein Weg. Jetzt haben sie das vor, rufen ihr Kind an und sagen, Du musst hoch kommen, ich hab das vor für die nächste Woche, ich kann nicht mehr oder so ungefähr. Poah, das muss ich erst mal wieder mit ihr noch mal wieder besprechen, wie ich damit umgehen soll. Ich glaube, das kann ich nicht. Autorin 30 Seit eine gute Freundin der Familie vor 20 Jahren schmerzvoll und langsam an Krebs starb, beschäftigen sich Alex und Margarethe mit ihrem eigenen Tod. Auf keinen Fall wollen sie so enden wie die Freundin. Deshalb trägt Alex immer seinen Mitgliedsausweis der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben im Portmonee, hat seine Patientenverfügung und alle dazugehörigen Dokumente bei einem Notar hinterlegt. O-Ton 23 0?30 Alex Ich bin mir immer darüber klar gewesen, dass das wirklich das absolut Letzte ist, weil es unwiderruflich ist, das ist ja logisch. Habe aber immer mehr Sicherheit bekommen durch die Informationen, die ich im Internet bekommen habe. Ich bin eigentlich so entspannt, dass ich es schon schön finde, dass ich endlich am Ziel bin. Ich habe ja nun 20 Jahre gebraucht, um da hin zu kommen, die Sicherheit zu haben, wenn es so weit ist, dann hab ich was. Autorin 31 Das geplante Gesetz, mit dem gewerbliche Sterbehilfe in Deutschland verboten werden soll, findet Alex deshalb nicht gut. Sein schmales, blasses Gesicht, dem man die vielen Krankheiten ansieht, wird für einen Moment richtig rosig, als Alex anfängt, sich aufzuregen. O-Ton 24 0?30 Alex Wir sollten doch mündige Bürger sein und dann müssen wir doch verdammt noch mal die Entscheidung alleine treffen dürfen. Die meisten sind doch sicherlich die, die mit ihrem Leben und mit ihrer Gesundheit doch verantwortungsvoll umgehen, aber dann auch nicht mehr sein möchten oder gequält werden möchten, nur weil irgendwelche Leute das verbieten. Ich spreche der Politik das Recht ab, darüber zu entscheiden, wie ich mein Ende erleben werde. Autorin 32 Margarete ist mit dem Abwaschen fertig, setzt sich wieder in das helle Wohnzimmer an den Tisch neben ihren Mann. Schon oft haben die beiden so gesessen und über das Sterben geredet. Was aber wirklich in diesem allerletzten Moment sein wird ? auch sie wissen es nicht. O-Ton 25 0?25 Margarete Nein, nein, das macht man nicht so fupp. Nein, da sind tausend Gedanken, die dann kommen. Dann geht es mir nicht mehr um das ? was bleibt hier zurück ? das ist mir dann egal. Und dass dieser letzte Weg ein schwerer ist, darüber bin ich mir vollkommen drüber im Klaren. Ja. Das ist nicht einfach trink ne Tasse Tee und iss ein Butterbrot. Lacht. Nee, das ist kein leichter Weg. Nee, nee. 4 1