DEUTSCHLANDFUNK -Köln im DeutschlandRadio Redaktion: Hintergrund Kultur / Hörspiel Dossier Sdg. 5. 12. 2008 19.15 Uhr Redaktion: Karin Beindorff Der bäuerliche Weg Ernährungssouveränität statt Weltmarkt Von Gerhard Klas Regie: Karin Beindorff URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio - unkorrigiertes Exemplar - Atmo 1 Collage Hungerrevolten Musik Sprecherin Frühjahr 2008: Revolten gegen Hunger. In Haiti, Markokko, Ägypten, Pakistan, Indonesien. In fast fünfzig Ländern der Welt demonstrieren Menschen gegen erhöhte Nahrungsmittelpreise. Die Ausgaben belasten vor allem die arme Bevölkerung in den Ländern, die hoch verschuldet und auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind. Offizielle Gründe für den Preisanstieg: Gestiegene Konsumerwartungen in Schwellenländern wie China und Indien, bisweilen auch der sogenannte Biosprit, für dessen Herstellung landwirtschaftliche Rohstoffe und Anbauflächen benötigt werden, die bisher der Nahrungsproduktion dienen. Weltweit wächst die Zahl der Hungernden und Unterernährten nach Expertenschätzungen um etwa zehn Prozent auf knapp eine Milliarde Menschen. O-Ton 1 Paul Nicholson worlds hunger is basically rural, and it is basically women. Data is 70 percent of the worlds hunger are farmers, 70 percent of the worlds hunger is basically women. Which are two characteristics, which in history haven't been known. And this are direct results of neoliberal policies. And from VC, we have it very clear: it is not a north-south conflicts, it is a conflicts between models of society, models of economy. Übersetzer 1 Der Hunger ist vor allem ländlich und weiblich. 70 Prozent aller Hungrigen in der Welt sind selbst Landwirte, siebzig Prozent von ihnen sind Frauen. Diese Attribute waren bisher in der Geschichte des Hungers unbekannt. Und sie sind unmittelbare Ergebnisse der neoliberalen Politik. Für uns von der Bauernbewegung La Via Campesina ist völlig klar: das ist kein Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden, sondern ein Konflikt zwischen unterschiedlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodellen. Ansage: Der bäuerliche Weg Ernährungssouveränität statt Weltmarkt Eine Sendung von Gerhard Klas. Erzähler Ernährungssouveränität. Im Gegensatz zur Ernährungssicherheit, die mittlerweile von vielen Regierungen als offizielles Politikziel anerkannt wird, hat Ernährungssouveränität nicht nur die Situation der Konsumenten, sondern auch die der Produzenten im Blick. Mitte der 90er Jahre hat La Via Campesina den Begriff ins Gespräch gebracht. Heute ist er vom politischen Kampfbegriff zum Alternativkonzept avanciert. O-Ton 2 Paul Nicholson I am Paul Nicholson, I am a farmer, I am a farmer from the basque country. I farm in a cooperative, a small cooperative and we produce apple for cider. And in a small - I don't like it myself, but it seems to be very good. We do very good marmelade. It is a local project of food transformation. And I am a member of Via Campesina. Via Campesina is the international small farmers, peasants, landless farmers, indigenous peoples, organisations of women farmers who fight for another agricultural policy, who fight for another society. Übersetzer 1 Ich heiße Paul Nicholson und bin Landwirt im spanischen Baskenland. Ich bin Mitglied einer kleinen Kooperative in der wir Äpfel für den Cidre ernten, außerdem produzieren wir sehr leckere Marmelade, die wir aus unseren Früchten herstellen. Und ich bin Mitglied von Via Campesina, der internationalen Bewegung von Kleinbauern, Landarbeitern, indigenen Völkern und Bäuerinnen, die für eine andere Landwirtschaft, für eine andere Gesellschaft kämpfen. Erzähler Paul Nicholson, Sohn einer Baskin und eines Engländers, ist Koordinator dieser Bauernbewegung in Europa. Neben seiner Arbeit als Landwirt im spanischen Teil des Baskenlandes repräsentiert er die Bewegung auf Seminaren, Kongressen und Demonstrationen. Weltweit gehören La Via Campesina 200 Organisationen an. Der Hauptsitz befindet sich nicht in New York, Washington, London oder Paris, sondern in der indonesischen Hauptstadt Jakarta. Die meisten Anhänger hat die Bewegung in Asien, Lateinamerika und im subsaharischen Afrika. Das ist kein Wunder, denn in Europa und Nordamerika sind weniger als drei Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung im landwirtschaftlichen Sektor beschäftigt. O-Ton 3 Paul Nicholson One minute one family farm disappears, basically in the mountains and marginal areas of Europe, and in Germany, too. Übersetzer 1 Jede Minute verschwindet ein Bauernhof im Familienbesitz, vor allem in den bergigen und abgelegenen Regionen Europas - ja, auch in Deutschland. Erzähler "Wachsen oder Weichen" nennt Heike Schiebeck diesen Vorgang. Sie ist Bergbäuerin in Österreich und Mitglied der internationalen Kommission von La Via Campesina für Artenvielfalt und genetische Ressourcen. O-Ton 4 Heike Schiebeck Die Idee hinter dem Prinzip 'wachsen oder weichen' ist, dass wenige große Höfe in Europa besser die Menschen ernähren können als viele kleine, dass das Kleine unrentabel ist. Und das Kleine weg muss. Es ist eine Politik, die verfolgt wird von der EU seit 30 oder 40 Jahren, ganz offensiv in manchen Ländern wie in Frankreich und weniger offensiv in Ländern wie in Österreich.[..] Der Irrsinn dieser Idee 'wachsen oder weichen', wettbewerbsfähig sein für den Weltmarkt ist, dass man völlig abhängig ist von weiten Transporten, zum Beispiel zu sagen, Thailand ist gut im Reis produzieren, also soll Thailand den Reis für Afrika produzieren. Das haben wir jetzt gesehen, Lebensmittel sind plötzlich knapp geworden, oder es ist auch viel aufgrund der Spekulation, dass die Preise in die Höhe getrieben worden sind und Thailand will auf einmal nicht mehr so viel Reis exportieren und in Afrika gibt es diesen importierten Reis nicht mehr, oder [::] er hat sich verdoppelt oder verdreifacht im Preis und die Menschen können das natürlich nicht bezahlen. AT 02 Unkrautjäten Erzähler Im Gegensatz zu Europa und den USA sind in Indien, China und den meisten Ländern Afrikas noch weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung mit der Produktion von Nahrungsmitteln beschäftigt, die meisten von ihnen als Kleinbauern und Landarbeiter. Doch wenn das westliche Entwicklungsmodell weiter in alle Teile der Welt exportiert wird, wird das nicht so bleiben. Dr. Mangani Rao befürwortet diesen System-Export. Er ist indischer Agrarwissenschaftler mit internationaler Reputation. Der 80jährige gilt als einer der Väter der sog. "Grünen Revolution" in der indischen Landwirtschaft. Sie begann in den 60er Jahren und sollte den Hunger besiegen, der zusammen mit der britischen Kolonialmacht und der britischen East India Company im 18. Jahrhundert Einzug gehalten hatte. Markenzeichen der "Grünen Revolution" war die Modernisierung der Landwirtschaft mit Hilfe von Pestiziden aus den Chemielabors der Industriestaaten, Kunstdünger, kommerziellem, hochleistungsfähigem Saatgut und Maschinen. AT 03 Pestizidsprüher Erzähler Dr. Rao arbeitet heute für eine niederländisch-indische Biotechnologie-Stiftung in Hyderabad, die mit gentechnisch verändertem Saatgut experimentiert, um damit die sogenannte "Zweite grüne Revolution" zu forcieren. O-Ton 5 M.V. Rao The progress of any country is inversely proportional to the number of people engaged in food production or food gathering. That means the more number of people engaged in agriculture or food production the more backward a country. And western Europe is a classical example. North America is a classical example, in America only 2-3 Prozent of the people are in agriculture. In 3-11 Prozent of the people are in agriculture. The rest are all in other sectors. Now that isn't why you got industrial revolution, you are very developed, because your dependence on, number of people dependent on agriculture, is reduced to other areas industrialization, transportation and service sector, etc. Übersetzer 3 Mit dem Fortschritt eines jeden Landes verhält es sich proportional umgekehrt zum Anteil der Menschen, die mit der Produktion oder dem Sammeln von Nahrungsmitteln beschäftigt sind. Das heißt je mehr Leute in der Agrarwirtschaft tätig sind, um so rückständiger ist ein Land. Westeuropa ist ein gutes Beispiel, ebenso Nordamerika. Das sind entwickelte Regionen. Dort arbeiten nur noch drei Prozent in der Landwirtschaft. Der Rest arbeitet in anderen Sektoren: Industrie, Transport, Dienstleistungen. Erzähler Zum Konzept der agrarindustriellen "Grünen Revolution" gehören heute vier Vorhaben: Erstens der Import von billigen Agrarprodukten. Damit soll die Ernährung der Bevölkerung sichergestellt werden. Zweitens die Landwirte mit agrarindustriellen Produkten wie Gensaatgut, Düngemitteln und Pestiziden zu beliefern, und so die Nahrungsmittelproduktion zu erhöhen. Drittens die sich selbst versorgenden Kleinbauern zur Aufgabe zu bewegen und als industrielle Reservearmee in die Städte zu holen. Viertens das freiwerdende Land an Agrarinvestoren zu verkaufen, um die Produktion von Nahrungsmitteln für den nationalen und den internationalen Markt anzukurbeln. Atmo 01 Nahrungsmittelkrise Erzähler Dieses Konzept bestimmte auch den Umgang mit der Nahrungsmittelkrise im Frühjahr 2008. Auf einer Generalversammlung der Vereinten Nationen im Juni 2008 umriss Ban Ki-Moon, der UN-Generalsekretär, den Hilfeplan der internationalen Gemeinschaft. O-Ton 6 Ban Ki Moon [0:24] UN-Agencies and their partners are shifting resources and mobilizing new funds to ensure that food assistance and nutritional care reach those most in need. And we are supplying small famers in developing countries with seeds, fertilizers and other inputs to grow more crops. That's a start. Übersetzer 3 UN-Organisationen und ihre Partner haben Gelder umverteilt und neues Kapital zur Verfügung gestellt, damit die Nahrungshilfe diejenigen erreicht, die es am bittersten nötig haben. Und wir unterstützen die Kleinbauern in Entwicklungsländern mit Saatgut, Kunstdünger und anderen Mitteln, damit sie mehr ernten können. Das ist ein Anfang. Erzähler UN, US-Regierung, EU-Kommission und Weltbank beschlossen, 12 Milliarden Dollar aufzubringen, um diesen Warenfluss vom Norden in den Süden zu finanzieren. Und die nationalen Regierungen zum Beispiel der Philippinen, Benins, des Senegals und Indonesiens machen mit: Sie unterstützen ihrerseits den Import von kommerziellem Hybridsaatgut, von Kunstdünger und Pestiziden mit Subventionen. Hinzu kommen Gelder von Philantropen wie Bill und Melinda Gates. Mit Hilfe ihrer milliardenschweren Stiftung soll die "Grüne Revolution", einschließlich der Gentechnik, in Afrika befördert werden, also auf einem Kontinent, auf dem bis heute neunzig Prozent der Bauern lokale Sorten auf traditionelle Art und Weise anbauen. AT 02 Unkrautjäten Erzähler Die Kritiker der "Grünen Revolution", wie der baskische Bauer Paul Nicholson, machen genau diese Politik der G8-Staaten und der Weltbank für die aktuelle Nahrungsmittelkrise verantwortlich. Auch in der von der Welthandelsorganisation forcierten Exportorientierung im Agrarsektor sehen sie eine Umverteilung von Ressourcen und von heimischem Arbeitskräftepotential zugunsten der Global Player. O-Ton 7 Paul Nicholsonspan Übersetzer 1 Einer der Hauptgründe für die Krise der Kleinbauern - [..] - ist der massenhafte Import von billigen Lebensmitteln. Sie sind so billig, dass ihr Preis unterhalb der lokalen Produktionskosten liegt. Deshalb können wir unsere Produkte nicht mehr auf den lokalen Märkten verkaufen. Mit diesem Fraß zerstören sie auch unsere lokale Esskultur. Die Privatisierung von Land, Wasser und Saatgut ist ein weiterer Grund. Das alles passiert mit rasanter Geschwindigkeit und hat dramatische Auswirkungen. Heute greifen sich die Multinationalen Konzerne das Land und das Wasser, ja sie privatisieren sogar das Saatgut. Wen repräsentiert die Welthandelsorganisationen, dass sie diese Politik diktieren kann! Wasser und Saatgut gehören doch zum Erbe der Menschheit und dienen dem Gemeinwohl. Sie können nicht einfach zur Ware gemacht werden. Musik Sprecherin Oktober 2008. Gewinnschub für Monsanto. Der weltgrößte Agrarkonzern fuhr im Jahr der Nahrungsmittelkrise einen Rekordgewinn ein, der sich im Vergleich zum Vorjahr auf zwei Milliarden Dollar verdoppelt hat. Und auch künftig sieht sich der Hersteller von Unkrautbekämpfungsmitteln und gentechnisch verändertem Saatgut auf Wachstumskurs: Im laufenden Geschäftsjahr soll der Gewinn noch mal um bis zu 20 Prozent zulegen. Erzähler Monsanto ist einer der Konzerne, die seit Jahrzehnten von der sogenannten "Grünen Revolution" profitieren. Den Bauern aber haben die agrarindustriellen Produkte geschadet, erklärt Paul Nicholson am Rande einer Bauerndemonstration. O-Ton 8 Paul Nicholson The green revolution we understand as a huge failure. [ ... ] It has destroyed biodiversity in the issue of seeds, it is generating a huge problem of water, because the green revolution demands are massive use of water and on top of that the areas in the world which have been under the model of the green revolution today are having huge problems of erosion, and mineral imbalances. And the whole question of soil erosion, salt and mineral imbalances which are making fertile lands, which used to be 40 years ago, today are barren and cannot be cultivated. So no, the green revolution is not a solution. Übersetzer 1 Für uns ist die Grüne Revolution ein riesiger Fehlschlag. Sie hat die Artenvielfalt zerstört, vor allem beim Saatgut, sie verursacht Wasserknappheit, denn sie basiert auf künstlicher Bewässerung, sie führt zur Erosion und zum Ungleichgewicht der Mineralstoffe im Boden. Äcker, die vor 40 Jahren noch fruchtbar waren, sind völlig verbraucht und liegen brach. Die Grüne Revolution ist wirklich keine Lösung. Erzähler Auch als in Europa das Zeitalter der Industrialisierung anbrach und Maschinen in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, mussten Millionen von Bauern aufgeben. Aber die Zeiten haben sich geändert: Selbst wenn das Wirtschaftswachstum in China und Indien anhalten sollte, gibt es dort weder im Dienstleistungssektor noch im industriellen Sektor genügend Arbeitsplätze, die einen Lohn abwerfen, von dem die ehemaligen Bauern leben könnten. Denn allein in diesen beiden Ländern wären es mindestens eine Milliarde Menschen, die ihre Existenz in der Landwirtschaft aufgeben müssten, wenn die Entwicklung hin zum westlichen Modell weiter verfolgt wird. Und anders als damals gibt es auch keine "Neue Welt", in die sie auswandern könnten. O-Ton 9 Paul Nicholson Todays migration, [..] is from village to the city. And it is not a voluntary migration, it is the expulsion, it is the social exclusion of the rural communities towards the city. And it is clear for all, that the migrations currents we see today are just the beginning of something which is getting worse in the measure, that the neoliberal policies are taking further impact. Übersetzer 1 Die heutige Migration ist eine vom Dorf in die Stadt. Es ist keine freiwillige Migration, es ist eine Vertreibung, es ist der soziale Ausschluss der ländlichen Kommunen. Und diese Migrationsbewegungen sind erst der Anfang. Sie werden anwachsen, wenn die neoliberale Politik sich weiter auswirkt. Musik Sprecherin Oktober 2008. Kommunistische Partei Chinas beschließt Landreform. In China ist grundsätzlich der Staat Eigentümer des Landes, die Bauern konnten Flächen bislang lediglich für einen Zeitraum von 30 Jahren pachten. Ab jetzt dürfen sie Kredite auf ihr Land aufnehmen oder es weiterverpachten. Damit kommt die Regierung einer Auflage der Welthandelsorganisation nach. AT 04 Verkehrlärm Hyderabad Erzähler Überall auf der Welt, vor allem in Asien, Lateinamerika und Afrika, flüchten Millionen von Menschen in die Städte und Mega-Citys. Die meisten von ihnen landen in den wuchernden Slums. Sie flüchten, weil sie als Landarbeiter keine Arbeit mehr finden oder als Bauern nicht mehr überleben können. Viele kämpfen bis zuletzt um ihr Stück Land, oft weniger als ein Hektar. Sie leihen sich Geld, das sie allerdings nur bekommen, wenn sie sogenannte Cash-Crops anbauen, also Sorten, die auf dem Weltmarkt gefragt sind, die verkauft werden können und nicht der Selbstversorgung dienen. Zum Schluss sind sie hoch verschuldet, müssen schließlich ihr Land und ihr Vieh verkaufen. Paul Nicholson fallen dazu viele Beispiele ein, unter anderem eines aus Mali. O-Ton 10 Paul Nicholson In Mali the government eight years ago promoted milk production in the country and they became self-sufficient in milk-production. They had a state cooperative, which is a public cooperative of milk transformation, where they pasteurize and make long-life-mild. The world bank forced the Mali-government to privatize, they privatized, it was bought by a multinational lebanese company and the first decision was to buy European milk because it was at half price. And not only it was milk, but it was powder mild, i.e. the rejects of European milk. That destroyed the whole production culture of a milk-production in Mali. All the milk- producers went out of the market and all milk was imported from Europe at half price, but the consumer does not see the benefits either. Because obviously the milk-price for consumers remained exactly the same. It was big business. Übersetzer 1 Ende der 90er Jahre hatte die Regierung in Mali die Milchproduktion gefördert. Eine staatliche Kooperative wurde gegründet, die Milch pasteurisierte und lange haltbar machte. Das Land war nach kurzer Zeit in der Lage, seinen eigenen Milchbedarf komplett zu decken. Dann zwang die Weltbank die Regierung in Mali, die Kooperative zu privatisieren. Eine libanesische Firma bekam den Zuschlag. Ihre erste Entscheidung war, künftig die nur halb so teure Milch aus Europa zu kaufen. Genauer: Milchpulver. Damit haben sie die ganze Milchproduktion in Mali zerstört. Die Milchbauern verschwanden. Nicht einmal die Verbraucher haben davon profitiert, denn die Verkaufspreise blieben so hoch wie zuvor. Das war "big business". Erzähler Aus der Kritik an den Konzepten der Agrarindustrie und den bisherigen Erfahrungen ihrer landwirtschaftlichen Entwicklungsprogramme haben Bauernorganisationen in aller Welt praktische Konsequenzen gezogen und gehen einen anderen Weg. Musik Sprecherin 16.Oktober 2007, Andhra Pradesh, Indien. Der Medak-Distrikt feiert den Welternährungstag" Mehrere hundert Frauen und Männer sind ins Dorf Machnoor gekommen. Sie singen, tanzen und ehren die Dörfer, ehren Frauen und Männer, die sich um den Erhalt der traditionellen Landwirtschaft und der Artenvielfalt besonders verdient gemacht haben. AT 05 Song Erzähler Die Landwirte, die sich hier versammelt haben, pflanzen keinen Reis, keine Baumwolle oder andere Agrarprodukte für Verkauf und Export. Die sogenannten Cash-Crops brauchen zu viel Wasser, Kunstdünger und Pestizide. Den harschen Klimabedingungen sind sie kaum gewachsen. Schon gar nicht wachsen sie auf dem roten Boden, den die kastenlosen indischen Bäuerinnen hier beackern. Er gilt im Vergleich zu schwarzem Boden als minderwertig. Obwohl der Medak einer der ärmsten Distrikte in Indien ist, gibt es hier keinen Hunger. 2003, während einer Dürreperiode, wollte die Regierung Reis in der Region verteilen, um eine Hungersnot zu verhindern. Die Frauen aus den Sanghams, den dörflichen Frauenräten, haben dankend abgelehnt. O-Ton 11 Shobaran Telugu Übersetzerin 4 Die lokalen Saatgut-Sorten sind der Schlüssel zu unserer Ernährungssouveränität. Die Frauenräte der Deccan Development Society haben 80 Saatgut-Banken in unseren Dörfern eingerichtet. Jedes Jahr lagern wir dort mehr als 50 verschiedene Sorten ein. Erzähler In einen Sari gehüllt, selbstbewusst und mit einem Mikrofon in der Hand, berichtet die Kleinbäuerin Shobaran von den Saatgut-Banken, dem Rückgrat hiesiger Landwirte und von ihrer Unabhängigkeit. Das Saatgut wird nicht verkauft, sondern verschenkt oder getauscht. So war es schon immer und so soll es auch bleiben. Anschließend porträtiert ein Film eine Kleinbäuerin. AT 06 Film (mit Musik) Erzähler Sie hat auf ihrem halben Hektar Land insgesamt 20 verschiedene Sorten angebaut, darunter Hirse, Linsen, Bohnen, Sorgum und Chili. Und sie hat sie ausschließlich mit organischem Dünger aufgezogen. Als Preis erhält die Bäuerin eine Solarlampe und einen Teppich, den sie auf das nächste Treffen ihres Frauenrates mitnehmen will. AT 06 Film O-Ton 12 Satheesh In rural India [..] agriculture can be converted into more and more ecological agriculture, Übersetzer 2 Im ländlichen Indien kann die Landwirtschaft sukzessive ökologisch umgestellt werden. Erzähler Peryapatna Satheesh ist einer der Mitbegründer der Deccan Development Society, einer Mischung aus Bauernorganisation und Nichtregierungsorganisation. O-Ton 12 Satheesh weiter From the time we started the d.. society about 22 years till today, I think we have been able to advance the frontiers of ecological agriculture. We can talk about biodiversity and practice biodiversity. And more than that, in a kind of political sense we have started talking and we have also been able to bring about a complete change in consciousness among the people, about the issue of food, about the issue of seed, about the issue of a cycle of autonomies they can have and they need to have. And to a large extent these concepts have also been concretised in our work. To sort of, rough and ready figures, I would say in 100 communities we can see food sovereignty at work. That means the communities have started producing for themselves, storing within themselves and helping their own non-landed people, the weak, the poor, the destitutes with food and other kind of support systems. Übersetzer 2 weiter In den mehr als 20 Jahren, die wir zum Beispiel im Medak District als Deccan Development Society arbeiten, haben wir bereits viel erreicht. Wir sprechen nicht nur von Artenvielfalt, wir praktizieren sie auch. Das politische Bewusstsein vieler Menschen hier in der Region hat sich sehr verändert. Vor allem in Fragen der Ernährung und des Saatgutes ist uns die Selbstversorgung sehr wichtig geworden. Etwa einhundert Dorfgemeinschaften praktizieren heute Ernährungssouveränität. Das heißt, sie produzieren ihre eigene Nahrung, haben entsprechende Lagermöglichkeiten und helfen den Landlosen, den Schwachen, den Armen und Mittellosen in ihren Gemeinschaften mit Lebensmitteln und anderen Dingen aus. Musik Sprecherin Februar 2007, Sélingué, Mali. Erstes Internationales Forum zur Ernährungssouveränität. Mehr als 500 Vertreterinnen und Vertreter von Kleinbauern- und Landlosen-Organisationen, indigenen Völkern, Fischer-Vereinigungen, Hirtenvölkern und einigen Umwelt-Organisationen aus 80 Ländern sind gekommen, um Strategien für eine andere globale Landwirtschaft zu entwerfen. Erzähler Das Dorf Sélingué liegt im Süden Malis. Es ist noch nicht lange her, dass die Bauern des westafrikanischen Landes zwei Drittel der Devisen Malis erwirtschafteten: Mit Baumwolle. Doch die Zeiten sind vorbei. Seit Ende der 90er Jahre fällt der Weltmarktpreis. Immer mehr Kleinbauern stellen ihre Produktion auf Hirse um, die zwar kaum Geld bringt, aber die Ernährung sichert. Der Vorteil: Sie wächst ohne künstliche Bewässerung, braucht weder Kunstdünger noch Pestizide und ist sehr nahrhaft. Der US-amerikanische Saatgutkonzern Monsanto versucht dagegen, den Kleinbauern sein gentechnisch verändertes Baumwoll-Saatgut als neues Wundermittel zu verkaufen. Bisher mit wenig Erfolg, denn viele Bauern im Süden Malis haben sich dagegen gewehrt. AT 07 Mali Erzähler Deshalb fiel die Entscheidung auf das Dorf Sélingué, als es darum ging, wo das internationale Forum über Ernährungssouveränität auszurichten sei. Die Teilnehmer des Forums kritisierten gentechnisch verändertes, kommerzielles Saatgut als eine weitere Enteignung der Bauern von ihren Produktionsmitteln. Die sogenannte "grüne Gentechnik" treibe die Bauern in eine völlige Abhängigkeit von der Industrie. Mittels Lizenzgebühren und Patentrecht sicherten sich Konzerne die Eigentumsrechte am Saatgut, für das Bauern dann teuer bezahlen müssten. AT 07 Mali Erzähler Auch Peryapatna Satheesh von der Deccan Development Society aus Indien, Paul Nicholson und Heike Schiebeck von La Via Campesina sind nach Mali gekommen. Zusammen mit den anderen Teilnehmern haben sie eine Deklaration verabschiedet, die künftig als Richtschnur im Kampf um Ernährungssouveränität dienen soll. Übersetzer 3 und Übersetzerin 4 im Wechsel Wir sind bereit, fähig und willens, alle Menschen der Welt zu ernähren. Unser kulturelles Erbe als Produzenten von Nahrung wird über die Zukunft der Menschheit entscheiden. Insbesondere Frauen und indigene Völker haben im Laufe der Jahrtausende Erfahrung und Wissen über Landwirtschaft und Ernährung vermehrt. Ihre Leistungen werden jedoch gering geschätzt. Neoliberalismus und der globale Kapitalismus bedrohen und untergraben zunehmend dieses Erbe und unsere Fähigkeiten, gute, gesunde und ausreichende Lebensmittel zu produzieren. Ernährungssouveränität gibt uns Hoffnung und Macht, unser Wissen und unsere Fähigkeiten [..] zu bewahren, wiederzugewinnen und zu entwickeln. Ernährungssouveränität ist das Recht der Völker auf gesunde und kulturell angepasste Nahrung, nachhaltig und unter Achtung der Umwelt hergestellt. [..] Sie ist das Recht der Bevölkerung, ihre Ernährung und Landwirtschaft selbst zu bestimmen. Ernährungssouveränität stellt die Menschen, die Lebensmittel erzeugen, verteilen und konsumieren, ins Zentrum der Nahrungsmittelsysteme, nicht die Interessen der Märkte und der transnationalen Konzerne. Atmo 08 Chavez Grußbotschaft Erzähler Auch Regierungschefs wie der venezolanische Präsident Hugo Chavez, der sich per Video mit einer Solidaritätserklärung an die Teilnehmer des Forums wandte, versprechen das Anliegen der Kleinbauern zu unterstützen. Venezuela, Ekuador, Bolivien, Nepal, Mali und Nikaragua haben die Ernährungssouveränität in ihre Verfassungen eingearbeitet. In Deutschland diskutieren seit einiger Zeit Bauern- und Nichtregierungsorganisationen über Ernährungssouveränität, u. a. der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, die Katholische Landjungendbewegung, Greenpeace, die Globalisierungskritiker von ATTAC sowie Entwicklungspolitische Organisationen wie FIAN und Inkota. An erster Stelle ist natürlich die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - kurz AbL - zu nennen, die selbst Mitglied der Bauernbewegung La Via Campesina ist. Musik Sprecherin 16. November 2008 Ruhstorf, Niederbayern, Wohnort des Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner. Die AbL hat zu Protesten gegen den industriefreundlichen Bauernverband aufgerufen. 2000 Bauern sind gekommen, um für eine Produktionsbeschränkung der Milchmenge zu demonstrieren und damit gegen den Preisverfall des Grundnahrungsmittels. Erzähler Der Deutsche Bauernverband gehört dem Weltbauernverband an, der auf eine exportorientierte und intensive Agrarwirtschaft setzt. Sowohl bei der Welthandelsorganisation als auch bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, der FAO, können die Delegationen des Weltbauernverbandes ihren Einfluss geltend machen und blockieren den nötigen Wandel in der Landwirtschaftspolitik. Insgesamt zählt der Weltbauernverband 119 Organisationen als Mitglieder, sein Hauptsitz ist in Paris. Viele Bauernorganisationen aus den sogenannten Entwicklungsländern sind allerdings Mitglieder zweiter Klasse, weil sie sich die hohen Verbandsgebühren nicht leisten können. Sie dürfen nicht einmal den Sitzungen des höchsten Gremiums, des Exekutivkomitees, beiwohnen. Bei La Via Campesina gibt es einen Unvereinbarkeitsbeschluss: Eine Organisation, die dem Weltbauernverband angehört, erzählt Heike Schiebeck, kann nicht Mitglied werden. O-Ton 14 Heike Schiebeck Wir haben jetzt einen Prozess begonnen vor anderthalb Jahren unsere Organisation zu vergrößern, zu erweitern, weil es einige Organisationen, ... gibt, die bis jetzt sozusagen dem rechten Dachverband angehören, die von dieser Linie auch abweichen, weil sie merken, dass sie die Verlierer sind. Und da haben wir zum Beispiel den großen Dachverband in Spanien, die COAC mit 40 Prozent der Bauern, die dort organisiert sind, jetzt dazu gewonnen [..]Es ist auch dazu gekommen: Der italienische Biobauernverband EAP und eine türkische Bauernorganisation neu, eine griechische Bauernorganisation. Erzähler Ernährungssouveränität in Europa? Paul Nicholson hat auf dem Alternativkongress gegen das Treffen der G8 in Rostock-Heiligendamm 2007 dargestellt, was das praktisch heißen würde: O-Ton 15 Paul Nicholson We have got to regionalize our products. We have got to generate markets much closer between producer and consumer, maintain European diversity, maintain the cultural value of food. For Europe to have the legitimacy to develop a Food sovereignty for its citizens and for Europe itself, we need a solidarian policy. A policy which respects the development of other countries and today European agricultural policies main ?? is export. There should be no direct or indirect subsidies for export. We should favour our local production and short circles, we should have price policies, which respect a decent - not decent - a sustainable mode of production. Today the agricultural policies supports basically the industrial, intensive production. So it is with these conditions then Europe can say: Look, we have to protect our food production, we have to protect our farmers, we are not destroying other peoples agriculture, [..] Well with that, dankeschön, thank you very much. (Beifall) Übersetzer 1 Wir müssen unsere Produktion regionalisieren. Wir müssen Märkte schaffen, die Konsumenten und Produzenten näher zusammenbringen, wir müssen die europäische Artenvielfalt und die Esskultur erhalten. In Europa kann Ernährungssouveränität für seine Bürger nur bedeuten, eine solidarische Politik zu entwickeln, die auch die Entwicklung anderer Länder respektiert. Heute konzentriert sich die EU-Agrarpolitik auf den Export. Aber wir lehnen alle direkten oder indirekten Subventionen für den Export von Agrarprodukten ab. Wir brauchen stattdessen eine Preispolitik, die einen nachhaltigen Anbau fördert. Heute fördert die Agrarpolitik vor allem die industrielle, intensive Produktion. Aber wir wollen, das Europa seine eigene Agrarproduktion sowie seine Bauern schützt und dabei nicht die Landwirtschaft anderer Völker zerstört. Musik Sprecherin Mai 2008, Bonn. Zur UN-Artenschutzkonferenz sind 5000 Teilnehmer gekommen. Es geht um den Schutz der Artenvielfalt, um die nachhaltige Nutzung der Natur, und um die Zugangsregelungen und den gerechten Ausgleich von Vorteilen, die aus der Nutzung genetischer Ressourcen entstehen. Kleinbauern, indigene Völker und unabhängige Wissenschaftler sehen die Artenvielfalt unter anderem durch Gentechnik, den Anbau von Energiepflanzen und die Privatisierung von biologischen Wirkstoffen und Gensequenzen mit Hilfe von Patenten und Lizenzen bedroht. AT 09 Food for people, not for cars Erzähler Nahrungsmittel für Menschen, nicht für Autos, skandieren vor den Portalen des Bonner Maritim-Hotels einige Kleinbauern von La Via Campesina, die eigens aus Asien, Lateinamerika und Europa angereist sind. Währenddessen beraten Wissenschaftler, Politiker und Konzernvertreter in den Konferenzsälen des Luxushotels. Bayer, Monsanto oder Syngenta geht es um den gesicherten Zugang zu Wirkstoffen, traditionellem Wissen und genetischen Ressourcen. Um diese weltweit nutzen zu können, sollen Ausgleichszahlungen an die Staaten fließen, aus denen das biologische Material stammt. In Fachkreisen heißt das "Access and Benefit Sharing", kurz ABS. Gefördert wird das ABS u. a. vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Mit ABS, so verlautet es aus dem Ministerium, könne die Armut in den Entwicklungsländern bekämpft werden. So entstünden neue Geschäftschancen gleichermaßen für die Konzerne im Norden und die Staaten im Süden. O-Ton 16 Nicholson Because it accepts the patents on life. It accepts the patents of all forms of life. Now if we accept that, what we are accepting is that life in itself goes into the hands of the transnationals, and the transnationals will speculate on life. Übersetzer 1 ABS funktioniert nur, wenn man Patente auf Leben akzeptiert, auf alle Formen des Lebens. Wenn wir das durchgehen lassen, dann wird das Leben selbst zum Spekulationsobjekt für die transnationalen Konzerne. AT 10 Traktoren auf der Großdemo Erzähler Mehr als ein Dutzend Traktoren fährt an der Spitze der Demonstration für den Erhalt der Artenvielfalt in Bonn. Auch für die Ökobauern hierzulande sind Traktoren wichtig. Für die aus Indien angereisten Bäuerinnen der Deccan Development Society sind Traktoren Aushängeschild der industriellen Landwirtschaft und werden abgelehnt. Denn in ihren Dörfern ersetzt ein Traktor mehr als ein Dutzend Arbeitskräfte, die dann kein Einkommen mehr haben. Die meisten Landwirte des Südens arbeiten ausschließlich mit der Hacke. Einige hundert Millionen haben Zugtiere und nur etwa 30 Millionen bewirtschaften ihre Äcker mit Traktoren. Den allgemeinen Vorwurf der Technikfeindlichkeit, oft angeführt von den Protagonisten der "Grünen Gentechnik", weist Perypatna Satheesh jedoch von sich. O-Ton 17 Satheesh We are against all technologies which erode our resources, which demand huge resources. I think they are completely detrimental to our agriculture, our landscapes, our soil capacities. So we completely reject it. The genetic engineering is one such technology, green revolution was in the previous years, was one such technology which demanded a lot from our soils, our waters. [..] are we not using modern technologies? I would say we are using modern technologies, which are not this kind of technologies that I described. F.e. in our are people grow a lot of millets. Millets are very small grains, and they are coated with a very difficult husk and to break that h.. it takes a lot of time. Once upon a time women would sit almost through the night to grind a couple of kilos of the grain. We found that in today's environment it may be a great tragedy to do something like this. So the community went to some of the engineering firms and asked them, we want this kind of .. can you produce? When they started producing it they tested it at every step and finally came up with a machine which can huddle their millets. This is a participated technology, this is something which derives out of a need of the people and the industry delivers this need. We have nothing against it. Übersetzer 2 Wir sind gegen alle Technologien, die unsere Ressourcen verbrauchen. Das schadet unserer Landwirtschaft und unserem Boden. Die Gentechnik ist eine solche Technologie, die Grüne Revolution war es früher. Sie hat unseren Böden und dem Wasser viel abverlangt. Brauchen wir als Kleinbauern keine moderne Technologie? Doch, natürlich. Aber andere. Zum Beispiel pflanzen die Leute bei uns viel Hirse an. Das Korn ist sehr klein, und umgeben von einer Hülse, die nur schwer aufzubrechen ist. Es gab einmal eine Zeit, da brauchten mehrere Frauen eine ganze Nacht lang, um einige Kilo Hirse mühsam herauszupulen. Würden sie das heute noch so machen, käme das einer Tragödie gleich. Aber in diesem Fall waren es die Bäuerinnen und Bauern, die auf Ingenieure und Industrielle zugingen und für dieses konkrete Problem nach einer Lösung fragten. In der Entwicklungsphase haben Bauern diese Maschine getestet , bis sie schließlich ihre Schälmaschine für Hirse hatten. Das ist eine Technologie, an deren Entwicklung die Bauern beteiligt waren. Die Industrie fertigt heute eine Maschine, die ihren Bedürfnissen entspricht. Gegen solche Technologien haben wir nichts. Erzähler Ernährungssouveränität, so erläutert Peryapatna Satheesh, knüpft in Indien an die Errungenschaften der traditionellen Landwirtschaft an. Ist sie deshalb auch ein Weg zurück in feudale Gesellschaftsstrukturen? O-Ton 18 Satheesh So food sovereignty on the one hand talks about the food and seed systems, food and seed cultures, food and farming futures 41:45 of the villages. And in a sense it also is working towards relieving the world of the corporate hegemony, but also within their own village societies. 41:57 It is also trying to seek ending the feudal hegemony which was there in the past. So it is a mixture of tradition and modern, it brings from the tradition the issue of ecological agriculture, the issue of biodiversity, the issue of multiple seeds, the issue of control over seeds and agriculture, from the newer thinking, modern thinking post-feudal thinking, it also brings the issue of equity, 42:27 the issue of gender, the issue of personal dignity for the poor. And it is so for us it is a kind of a folcrum, which stands there both against the injustices of the past and tremendous injustices of the present. The corporate feudalism we are seeing today, the neoliberal feudalism of the present, where the individual is an atomized 42:56 person, the individual has no dignity. She or he is a small ... in this huge corporate whale and they all work like small machines to produce the wealth for the corporates and not dignity for themselves. So we are addressing both this problems. Übersetzer 2 Ernährungssouveränität beschäftigt sich mit Ernährungs- und Saatgutsystemen, mit Esskultur und der Zukunft der Landwirtschaft in den Dörfern. Es geht darum, die Welt von der Vorherrschaft der Konzerne zu befreien. Aber es geht auch darum, mit den Resten feudaler Vorherrschaft in den dörflichen Gesellschaften zu brechen. Ernährungssouveränität hat ein modernes und ein traditionelles Element - die ökologische Landwirtschaft, die Fruchtfolgen, der Umgang mit dem Saatgut, sie entsprechen der Tradition. Gleichheit, Frauenrechte und individuelle Würde sind Ausdruck der postfeudalen Moderne. Wir stehen also gegen die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit und die der Gegenwart. Heute leben wir im Zeitalter des Konzern- Feudalismus, in dem der Mensch ein atomisiertes Individuum ist, ohne jede Würde. In dieser Konzernwelt sind alle dazu verurteilt, wie kleine Maschinen zu arbeiten, für den Profit der Konzerne und nicht für ihr eigenes Wohlergehen. Sprecherin 3. Juni 2007, Rostock. G8-Gegner für andere Landwirtschaft. Knapp zehntausend Menschen ziehen durch die Hafenstadt, um gegen Gentechnik und für Ernährungssouveränität zu demonstrieren. AT 11 Demo Rostock Erzähler Etwa 40 Mitglieder von La Via Campesina sind aus dem Ausland gekommen. Für mehr hat das Geld der Bauernbewegung nicht gereicht. Bei Demonstrationen in Asien, Afrika oder Lateinamerika bringt La Via Campesina leicht mehrere tausend Menschen auf die Strasse. O-Ton 19 Paul Nicholson People tend to think that the peasants are the stupid ones of the world, but no. On the issues of globalization we have shown that we are capable to mobilize, to organize, capable of making alliances, of drawing the interest of consumers, of citizens to our cause. Übersetzer 1 Viele denken, die Bauern der Welt wären dumm und rückständig. Aber das stimmt nicht. Wir können organisieren und mobilisieren, wir schmieden Bündnisse und Allianzen und können auch das Interesse von Verbrauchern und Bürgern für die Ernährungssouveränität wecken. Erzähler Einer ihrer wichtigsten Fürsprecher ist der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Nahrung, der Schweizer Jean Ziegler. Für ihn schließt Ernährungssouveränität das Recht einzelner Staaten ein, ihre Wirtschaft durch protektionistische Maßnahmen zu schützen. O-Ton 20 Jean Ziegler It is one of the big demands, fighting demands, of José Bové and many, Via Campesina, very strongly. Food sovereignty means, that no state must accept the normative dictates of the World trade Organisation, if the food autosufficiency is not garanteed before. Which means for instance now: Senegal, if their food sovereignty would be accepted as a principal of international law, Senegal could say: We close our frontier against French legume - vegetables, against italien fruits and so on, before our peasants do not have their own market, their own existential minimum. We want food sovereignty, and if we are not autosufficient, which is absolutely possible in many countries, then we lower our taxes and we import, as in the international commercial exchange. But first there is the own food sovereingnty and assure the vitality of their own agriculture. And this food sovereignty is absolutely refused by World Trade Organisation, it is refused by the Worldbank, it is refused by the World Monetary founds. It is refused, they say: Market first. Übersetzer 3 Ernährungssouveränität ist eine der großen kämpferischen Forderungen unserer Zeit, von Leuten wie dem französischen Aktivisten José Bové oder von Via Campesina. Es bedeutet, dass kein Staat dem Diktat der Welthandelsorganisation nachkommen muss, bevor nicht die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln sicher gestellt ist. Zum Beispiel im Senegal: Würde deren Ernährungssouveränität als prinzipieller Bestandteil des internationalen Rechts betrachtet, könnte die Regierung die Grenzen für französisches Gemüse und italienische Früchte dicht machen, so lange die Bauern im Senegal keine sichere Existenzgrundlage hätten. Also: Erst wenn wir die Selbstversorgung, die in vielen Ländern tatsächlich möglich wäre, sicher gestellt haben, senken wir unsere Zölle. Aber die Ernährungssouveränität wird von der Welthandelsorganisation, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds völlig abgelehnt. Sie sagen: Zuerst kommt der Markt. Sprecherin 15. April 2008, Paris. Welt-Agrarrat legt ersten Welt-Landwirtschaftsbericht vor. 400 Wissenschaftler haben mitgewirkt, 60 Staaten haben ihn unterzeichnet. Um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein, bedürfe es eines radikalen Wandels der Landwirtschaft, so der 2002 gegründete Welt-Agrarrat. Weg von der Agrar-Industrie, hin zu kleinbäuerlichen Strukturen. Sie müssten gezielt gefördert werden, denn sie seien der beste Garant für Ernährungssouveränität. Die Agro- Chemiefirmen Monsanto, Syngenta und BASF, die zunächst an der Ausarbeitung des Berichtes beteiligt waren, beendeten vorzeitig ihre Mitarbeit. Ihnen missfiel, dass der Bericht eine skeptische Haltung gegenüber der Gentechnik einnahm. Die USA, Kanada und Australien haben den Schlussbericht wegen seiner Kritik am Primat der Marktöffnung nicht unterzeichnet. O-Ton 22 Robert Watson Many poor people in developing countries do not have access to the food they need. But as we look for over the fifty or so years, we will need to increase production and productivity. At the same time, as do it in a way that is more environmentally friendly in the past and is also more socially inclusive. We have got to make sure that the footprint of agriculture on climate is less, we have to make sure that we don't degrade our soils, we don't degrade the water, we don't have adverse effects on biodiversity. So there are some major challenges. But we believe that combining local and traditional knowledge with formal knowledge we can meet that challenge. Übersetzer 3 Viele arme Menschen in Entwicklungsländern können ihren Bedarf an Lebensmitteln nicht decken. In den nächsten 50 Jahren müssen wir die Produktion und die Produktivität erhöhen. Aber gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass dies in einer sozialeren und ökologischeren Art und Weise geschieht als in der Vergangenheit. Wir müssen sicherstellen, dass die Landwirtschaft weniger Auswirkungen auf das Klima hat. Wir müssen sicherstellen, dass weder die Qualität des Bodens noch die des Wassers beeinträchtigt wird und die Artenvielfalt erhalten bleibt. Das ist eine große Herausforderung. Aber wenn wir das lokale und traditionelle Wissen mit dem offiziellen Fachwissen kombinieren, dann können wir diese Herausforderungen meistern. Erzähler Robert Watson, Direktor des Weltagrarrates, war zuvor Direktor des Weltklimarates IPCC. 2002 wurde er auf Druck der USA abgewählt. Damals hatte Watson die Macht der Konzerne zu spüren bekommen. Der Erdölkonzern ExxonMobile hatte sich in einem vertraulichem Fax vom 6. Februar 2001 an das Weiße Haus über Watson und seine, wie es hieß, "aggressive Agenda" beschwert. Sprecherin Mai 2007, Rom. Erste FAO-Konferenz über "Ökologische Landwirtschaft und Welternährung". Der Einladung einer Unterorganisation der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, FAO, sind 350 Teilnehmer aus 80 Ländern gefolgt, darunter Wissenschaftler, Vertreter von Nichtregierungs- und Bauern-Organisationen. Zum ersten Mal gibt es eine offizielle Stellungnahme einer FAO-Unterorganisation, die davon spricht, dass mit ökologischer Landwirtschaft die Weltbevölkerung ernährt werden kann. Erzähler Ganz anders die Protagonisten der industriellen Landwirtschaft. Norman Ernest Borlaug, US-amerikanischer Agrarwissenschaftler und Friedensnobelpreisträger behauptet, mit einer Umstellung auf ökologische Landwirtschaft würden zusätzliche Anbauflächen von 1100 Millionen Hektar benötigt. Weiterer Regenwald müsste abgeholzt werden, das Klima würde sich weiter erwärmen. In den vergangenen Jahren sind jedoch mehrere Studien erschienen, die zu ganz anderen Ergebnissen kommen. So wertete 2007 ein Forscherteam der Universität von Michigan 293 Studien aus. Bei einer Umstellung auf ökologische Landwirtschaft, so ihr Ergebnis, würde zwar in den Industrieländern vorübergehend nur noch 92 Prozent des Ertrags erzielt, in den sogenannten Entwicklungsländern sei jedoch eine Ertragssteigerung auf 174 Prozent im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft möglich. Die FAO- Konferenz über "Ökologische Landwirtschaft und Welternährung" hatte ihre Empfehlung auf solche Studien gestützt. Nur ein halbes Jahr später ruderte ihr Generaldirektor allerdings zurück. Sprecherin 10. Dezember 2007, Rom. Öko-Landbau kann Weltbevölkerung nicht ernähren. Der FAO Generaldirektor tritt Pressemeldungen entgegen, die den Eindruck erwecken, seine Organisation sähe den Öko-Landbau in der Lage, die Welternährung zu sichern und den Hunger weltweit zu besiegen. Generaldirektor Jacques Diouf sagte, die Landwirtschaft sei nicht in der Lage, ohne fachgerechten Einsatz von Mineraldüngern und Agrarchemikalien die heute sechs Milliarden Menschen weltweit und die voraussichtlich neun Milliarden Menschen im Jahr 2050 ausreichend zu ernähren. O-Ton 23 Heike Schiebeck Wir haben schon Kontakte in der FAO, die auch uns zuhören und unserer Meinung sind, aber die sind offensichtlich total in der Minderheit. Erzähler Heike Schiebeck denkt auch an die Unterstützung vergangener Zeiten: Einst galt die FAO als die Stimme der Kleinbauern, als die Stimme des Südens. Das ist lange vorbei. Sprecherin 3.Juni 2008, Rom. Nahrungsmittelkrise: Regierungsdelegationen aus der ganzen Welt treffen sich zum Sondergipfel der FAO. Kleinbauern, Fischer und Landarbeiter dürfen nicht mit entscheiden. AT 12 PN FAO Konferenz Erzähler In einer Reihe stehen zehn Aktivisten vor dem Presseraum im Konferenzgebäude, auf ihren Plakaten die Gewinnmargen der Agrarkonzerne seit dem Ausbruch der Nahrungsmittelkrise. In der Mitte steht Paul Nicholson von La Via Campesina. Sein Plakat: ?Die Zahl derer, die hungern". Dahinter eine neunstellige Zahl. Auf dem Plakat seiner Nachbarin steht: "Beendet die Kontrolle der Konzerne über unsere Nahrung". Mehrere Kamerateams und Journalisten interessieren sich für den Auftritt. Atmo 13 "What is your name by the way? 1:22 Paul Nicholson" (anschließend Geräusche, Plakate werden vom Sicherheitspersonal heruntergerissen.) Erzähler Die Aktion dauert nicht lange. Angehörige eines Sicherheitsdienstes reißen den Protestierenden die Plakate aus den Händen und drängen sie ab. Atmo 14 1:40 italienisch: "continuate, continuate" "Que bella figura televisione" Erzähler Paul Nicholson, der stämmige Bauer aus dem Baskenland, bleibt mit erhobenen Händen stehen und antwortet auf die Frage eines Journalisten, warum der Sicherheitsdienst so gewalttätig gegen sie vorgehe. O-Ton 24 Nicholson We are trying to express the reality of 100, of thousands, of millions of small farmers all over the world, and this is an expression of what is happening. Today transnational corporations are here, trying to make money (wird unterbrochen, Journalisten werden mit Gewalt abgedrängt vom Sicherheitspersonal "grazie, grazie?, werden weggedrängt). Übersetzer 1 Wir wollen der Realität von hunderten, tausenden, ja Millionen von Kleinbauern überall in der Welt Ausdruck verleihen. Was hier gerade passiert ist bezeichnend. Die Vertreter der transnationalen Konzerne sind in den Sitzungssälen, wollen Geld machen.... Erzähler ...während wir nicht einmal angehört werden, wollte Nicholson seinen Satz beenden. Aber dazu kommt er nicht mehr. Diesmal gehen die Sicherheitsleute direkt gegen die Kameraleute und Journalisten vor. Atmo 15 Saal FAO Erzähler Der Einsatz von La Via Campesina für Ernährungssouveräntiät hat wenig Freunde in der großen Politik. Die EU-Kommission plant, mit einer Werbekampagne den Widerstand gegen die Gentechnik in Europa aufzuweichen, berichteten britische und deutsche Tageszeitungen im November 2008. Ein Freihandelsabkommen der EU mit den Ländern Afrikas - beschönigend "Economic Partnership Agreement - Wirtschafts-Partnerschafts-Abkommen" genannt - wird noch über die Bestimmungen der Welthandelsorganisation hinausgehen, die Landwirtschaft in diesen Ländern völlig der Billigkonkurrenz aussetzen und damit ruinieren. Peryapatna Satheesh: O-Ton 25 Satheesh The enemy has the capacity and power to purchase the governments, so not too long ago we used to think that our national governments are there to protect us. And protect the small and keep a kind of a democratic process up, but I think our experience for the last 10, 15 years from the time the globalization began we understand and we see very clearly that the democratic structures have failed completely. And therefore we cannot depend upon the representational democracy that we have been used to. It is over in a sense. So we have to look for other forms of democracy, such deliberative democracy. Where we give the voice to the voiceless we give voice to the excluded. Übersetzer 2 Unsere Feinde haben die Macht und können es sich leisten, die Regierungen zu kaufen. Vor nicht allzu langer Zeit waren wir noch der Meinung, unsere nationalen Regierungen wären da, um uns, die kleinen Leute, zu schützen und zumindest Ansätze eines demokratischen Prozesses zu wahren. Aber mit der Erfahrung der letzten 10, 15 Jahre, also seit es losging mit der Globalisierung, können wir nur noch das völlige Versagen der Demokratie beobachten. Wir können uns nicht mehr wie früher auf die repräsentative Demokratie verlassen, das ist vorbei. Wir brauchen so etwas wie Beteiligungsdemokratie, in der diejenigen, die heute keine Stimme haben, also die Ausgegrenzten und Ausgeschlossenen, wieder eine Rolle spielen. Absage: Der bäuerliche Weg. Ernährungssouveränität statt Weltmarkt Eine Sendung von Gerhard Klas Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2008 Es sprachen: Hendrik Stickan, Marietta Bürger, Josef Tratnik, Rainer Delventhal, Axel Gottschick und Claudia Mischke Ton und Technik: Michael Neubert und Beate Braun Regie und Redaktion: Karin Beindorff 26 26