COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 21. Januar 2012, 19 Uhr 30 Grenzenlos glücklich? Deutsch-französische Paare und ihre Geschichte. Von Susanne von Schenck OT 01 Gudrun Louvet Ein deutscher Mann na klar, der würde eher den Staubsauger in die Hand nehmen als ein Franzose, (Musik) Monsieur, der sitzt vorm Kamin, liest die Zeitung und trinkt seinen Cognac oder so, ne. Musik OT 02 Hervé Gontier Das habe ich öfter von deutschen Frauen gehört: wenn ein Mann sie einlädt, fühlen sie sich in der Pflicht diesem Mann gegenüber. In Frankreich ist es völlig normal, dass der Mann aus Freundlichkeit eine gute Freundin zu einem Kaffee einlädt. Musik OT 04 Luc Duval Wenn ich in eine Kneipe gehe und ich sehe da eine Gruppe von Frauen, die sind da zusammen, das finde ich einfach toll. In Frankreich ist das schon schwieriger zu sehen: Frauen, die einfach so rausgehen zusammen. Musik OT 03 Astrid Guesnet Was mich gestört hat: dass in Frankreich jeder im Widerstand gewesen ist. Und das konnte schlicht nicht wahr sein. Musik Sprecherin Grenzenlos glücklich? Deutsch-französische Paare und ihre Geschichte. Ein Feature von Susanne von Schenck Musik Atmo drehen am Radio OT 05 Adenauer/de Gaulle Es würde kein Europa geben, wenn nicht diese wirkliche Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland vorangegangen wäre.(Atmo)/ Und das Vertrauen, dass ich für Ihr großes Volk, jawohl für das große deutsche Volk hege.... OT 06 Anita Steinert, de Gaulle Adenauer De Gaulle und Adenauer haben bundesweit und frankreichweit dieses Wunder vollbracht, diese beiden Länder wieder zusammenzuführen. Das finde ich toll. Also die beiden: chapeau! OT 07 Wolfgang Steinert Die meisten Leute empfinden den Prozeß als langsam. Aber dass es überhaupt so weit gekommen ist, das finde ich phantastisch. Musik Sprecherin 1963, im dem Jahr, als Konrad Adenauer und Charles de Gaulle den Elysée-Vertrag unterzeichnen, wird ein junger Mann aus Bayern nach Winzenheim im Elsass geschickt, um seine Französischkenntnisse zu verbessern. 08 OT Wolfgang Steinert Wie ich hierhergekommen bin, hatte ich kein Bild von Frankreich. Ich wusste nur, dass ich in der Schule fürchterlich schlecht war, dass das irgendwie helfen sollte. Und da war ich ganz froh. Zum anderen wusste ich, dass hier ein nettes Mädchen lebt. Sprecherin Wolfgang Steinert war damals 17 Jahre alt und das nette Mädchen Anita 15. Es dauerte nicht lange, da wurden sie ein Paar. 09 OT Anita Steinert Wo ich sagte, ich heirate einen Deutschen, haben sie gesagt: und was ist, wenn Krieg ist? Sofort. Und als zweite Reaktion: Du kannst doch den nicht heiraten, wir sind arm und er ist reich. Also Begeisterung war da nicht. Sprecherin Anita und Wolfgang Steinert heirateten trotzdem und zogen in die Nähe von Stuttgart. 10 OT Wolfgang Steinert Ich hab in Deutschland nur über meine Frau und über die Kinder Französisch gelernt, aber das blieb auf einem sehr niedrigen Niveau, und da habe ich gemerkt, dass die Franzosen einfach keinerlei Geduld hatten, um auch nur zwei Minuten zu warten, bis ich das Wort richtig gefunden habe. Sprecherin Er arbeitete, sie war Hausfrau, hatte bald zwei Kinder und wunderte sich über manches in ihrer neuen Heimat. Es wurde zu viel geputzt und zu wenig gekocht, fand sie. 11 OT Anita Steinert Chic, Charme, also da bin ich der Meinung, dass in Deutschland dieses Ökologische bei den Frauen so viel Platz genommen hat, dass es das chic sein total eingegraben hat und dass viele Frauen dann diese Baumwollkleider und Birkenstockschuhe tragen. Und dann auch die Kinder mit Strickjacken anziehen: orange, rot und rosa, Hauptsache, es ist aus Wolle. Dann dieses nicht schminken, kein Tropfen ist auch fast fanatisch schon. Viele deutsche Frauen verzichten drauf aus irgendwelchen Gründen von Natürlichkeit und keine Chemie und keine Fremdstoffe im Gesicht oder am Körper. Musik Sprecherin Vor kurzem ist das Ehepaar Steinert nach Frankreich gezogen, in Anitas elsässisches Heimatdorf. Ihr Mann liebt die französische Lebensart und die deutsche Arbeitsmoral. 12 OT 6b Wolfgang Steinert Ich habe Deutschland ja nicht den Rücken gekehrt, sondern ich bin immer noch Deutscher und voll dabei. Ich interessiere mich dafür und interessiere mich für die Politik hier. Wenn wir das zusammenschmeißen würden, wäre ich sicher der glücklichste Mensch. Sprecherin Und seine Frau stellt fest: 13 OT 7 Anita Steinert Das Deutsch-Französische spielt eine immer größere Rolle, je älter ich werde. Und ich habe den Eindruck, dass mein Mann und ich, ohne es zu wissen zu dieser Freundschaft schon beigetragen haben. Wir hatten überhaupt keine politische Idee und trotzdem weiß ich jetzt, dass wir etwas reparieren wollten was passiert ist. Mein Mann - sein Vater war bei der SS - und ich denke, dass es nicht ein Zufall ist, dass er eine Französin heiraten wollte. Und ich wollte auch meinen Vater rehabilitieren, der nach dem Krieg nie wieder als Ingenieur arbeiten durfte, weil er im Krieg in Berlin war und hat für Telefunken gearbeitet und hat Radios gemacht für Flugzeuge, d.h. er hat für den Krieg gearbeitet. Das heißt im Elsass war er der Spion, und das war so eine demütigende Sache, wir waren die Kinder des Spions in dem Dorf. Das habe ich alles sehr schön verdrängt, aber das sind Dinge, die mir jetzt, nach zehn, fünfzehn Jahren hochgekommen sind. Und dann denke ich, oh, oh. Jetzt weiß ich: wir stricken diese Freundschaft weiter. Musik Atmo Zeitungsblättern (Archiv) (Lachen) Zitator: Liebe in Zeiten der Krise Sie waren kaum füreinander geschaffen. Erst die Euro-Rettung verband Angela Merkel und Nicolas Sarkozy zu Merkozy, dem Traumpaar Europas. Focus 2012 Musik 14 OT Gudrun Louvet Herr Sarkozy hat für mich den typischen Charme eines Franzosen, dieses bisschen Schleimige, mit Küsschen rechts, Küsschen links und so weiter. 15 OT Léo Louvet Jetzt sind Politiker nicht auf derselben Linien, aber ich glaube nicht, dass (die) Freundschaft gefährdet ist. Musik Sprecherin Der Eiffelturm prangt in allen Größen an Wänden, auf Tischen und Regalen. Selbst am Hals von Gudrun Louvet baumelt in zierlicher Silberausführung das Wahrzeichen von Paris. Wenn die Endvierzigerin mit den blond gefärbten Haaren über Frankreich spricht, leuchten ihre Augen. 16 OT Gudrun Louvet Ich sag mir immer, warum soll ich Sekt trinken, wenn ich Champagner haben kann? Frankreich ist ein tolles Land, ja, die Natur, das Ganze, es ist anders. Ich bin in Berlin groß geworden während der Mauer, und in Frankreich hat man das Gefühl, man ist frei. Man konnte gehen, wo man wollte. Ich habe geheult, wenn ich weg musste, und konnte mich hier nicht einfinden. Die ersten Monate hätte ich hier alles an die Wand pfeffern können. Weil ich gedacht habe, hach, diese blöden Deutschen, ich konnte mich damit nicht anfreunden, dieses Sture, Disziplin, Ordnung, nein, in Frankreich ist alles ein bisschen leichter oder so. Sprecherin Die Küche, die Bilder über der dunklen Couchgarnitur, die Sprache, das Auto - fast alles ist hier französisch. Und natürlich auch der Mann. 17 OT Léo Louvet Ich bin Léo Emmanuel Louvet, 57 Jahre alt und geboren in der Bourgogne. Von Beruf bin ich Hufschmied geworden. Früher war ich Landwirtschaftsmeister. Sprecherin Wahrscheinlich wäre Léo Louvet auf dem Familienhof im Burgund geblieben, wäre da nicht die Armee gewesen: Militärdienst in Berlin. Geschützt von einem französischen Umfeld wagte er sich Schritt für Schritt in die deutsche Gesellschaft. Seine Frau lernte er in einem Cafe kennen, ihretwegen blieb er, gründete ein Familie. Nun fährt er über Land, um Pferde zu beschlagen. 18 OT Léo Louvet In Frankreich halten sie die Tiere als Tier, und hier nehmen sie ihre Pferde mehr als Kind. Manchmal ist eindeutig zu sehen, wie manche Frauen mit ihren Pferden sprechen. In Frankreich habe ich das noch nie erlebt. Die sprechen mit dem Tier, aber nicht wie mit einem Mensch. Die sagen: Mein gutes Pferd, mein braves Pferd, aber nicht: Mein kleines Baby, mein Schatz, mein Liebling usw.. In Frankreich hört man so was nicht. Sprecherin In Frankreich, sagt der stämmige Mann etwas wehmütig, hätte er sich im Gemeinderat engagiert, wie schon sein Vater und sein Bruder. Und hier? Keine Zeit. Wirklich nicht? 19 OT Léo Louvet Engagement Hier will ich mich nicht einmischen in die deutsche Politik. Es reichen mir die Pferde, die Arbeit. Nein, nein, hier traue ich mich nicht. Ist nicht mein Land, ich will auch nicht diktieren hier, was sie machen sollen. Sie sollen selber entscheiden. Es klappt sehr gut, und ich bin auch sehr glücklich so. Sprecherin Gudrun, seine Frau, scheint es auch zu sein. Sie wollte unbedingt einen Franzosen heiraten. Deutsche Männer sind wohl nicht gut genug - Sätze wie diesen musste sie sich oft anhören. 20 OT Gudrun Louvet Ein Franzose ist ein bisschen was anderes, weil die Leute vielleicht auch denken: Ha, das ist ein Charmeur, was hat sie sich für einen ausgesucht. Sie denken ja auch immer: l'amour bei den Franzosen ist das Größte. Ich kann's jetzt nicht sagen, ob jetzt ein deutscher Mann im Bett jetzt besser ist. Ich habe keine deutschen Freunde gehabt, hab immer nur französische Freunde gehabt. Sprecherin Mit einem von ihnen holt die Vergangenheit, die so viele Jahre das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich belastet hatte, auch die frankophile Gudrun Louvet ein. Denn als der junge Franzose sie seiner Familie in Paris vorstellen möchte, weigert sich der Großvater, gemeinsam mit einer Deutschen am Tisch zu sitzen. La guerre, vous comprenenz. Der Krieg, Sie verstehen? Sie verstand. Sie ging. Musik Atmo Zeitungsblättern Zitator: Eine moderne Ehe - Es war einmal ein Paar, das seinesgleichen in der Welt suchte. Hatten sich seine Väter und Großväter bei jeder Gelegenheit die Köpfe eingeschlagen, so schlugen die versöhnten Nachbarn am Rhein Brücken, wo immer es ging. Wurden ein Herz und eine Seele. Die Welt, März 2002. Musik 21 OT Astrid Geusnet Ich meine, es könnte lebendiger sein. Ich meine, dass vor allen Dingen dieses Europa eine größere Selbstverständlichkeit haben sollte. Und da sind unsere beiden Länder einfach wichtig in ihren Äußerungen und Stellungnahmen und vor allen Dingen Engagement, dass dieses Europa zusammengehört. Musik Sprecherin Astrid Guesnet, 82 Jahre alt, kam 1945 als Flüchtlingskind aus Pommern nach Westdeutschland. Als sie von dort ins Ausland, nach Frankreich zieht, birgt das auch die Chance, sich neu zu erfinden, die bleierne Atmosphäre im Nachkriegsdeutschland hinter sich zu lassen. 22 OT Astrid Geusnet Die Heimat war verloren, das Familienzentrum war weg, Westdeutschland war fremd und da war das ganz egal ob Westdeutschland oder Frankreich, es spielte keine Rolle. Die Sache mit der Sprache ist natürlich ganz entscheidend. Plötzlich merkt man, dass man was anderes sagt, wenn man es in der anderen Sprache sagt. Der Denkhintergrund ist anders. Man sagt nie genau das gleiche. Auch nachher mit meinem Mann - wir haben uns auf Deutsch kennengelernt - sprach ich immer deutsch zusammen. Aber während der sechs Jahre in Frankreich wusste ich genau, welche Themen ich lieber auf Französisch mit ihm besprach. Ich glaube, wenn ich etwas nicht so grundsätzlich haben wollte, dann sagte ich das auf Französisch. Musik Sprecherin Astrid Guesnet ist noch mitten in der Ausbildung zur Goldschmiedin, als sie 1953 auf dem Kölner Karneval einen jungen Franzosen im Matrosenkostüm kennenlernt. Daraus wird bald mehr. Sie überlegen zu heiraten: Dass Astrid aus Deutschland kam, störte die künftige Schwiegerfamilie nicht, wohl aber, das sie nicht katholisch ist. Louis Guesnet ist katholisch, Astrid kommt aus einem protestantischen Elternhaus und möchte nicht konvertieren. Ihr Mann ist tolerant, aber seine Familie tut sich schwer. 23 OT Astrid Guesnet Dann haben wir die evangelische Hochzeit vorbereitet, und es gibt einen rührenden Brief meiner Schwiegermutter, wo sie ihrem Sohn schreibt, wie sie ihren Mann über- reden möchte, ihn dazu zu bringen, dass er mit in die Kirche geht. Denn er hatte größte Bedenken. Sie sind beide in der Kirche gewesen und eine der Schwestern meines Mannes auch. Das Einzige, was mir klar war: wenn unser erstes Kind geboren wird, muss ich sehr schnell taufen lassen, damit die Eltern beruhigt sind. Sprecherin Das erste Kind kommt auch bald, die kleine Familiel lebt anfangs in Paris. 24 OT 17 Astrid Guesnet Als ich diese jungen Frauen sah in Paris, die berufstätig waren, hatte ich auch das Gefühl: ja du liebe Zeit, kümmern die sich denn nicht um ihre Kinder. Und da sagte mein Mann: sehr einfach, in Frankreich schätzt man die Intelligenz der Frauen höher ein. Also, die Kinder werden sofort, wenn man das möchte, vernünftig und gut unter- gebracht, niemand meint, dass da Betreuungsgeld nötig wäre, damit sie zuhause bleiben, und die Mütter können arbeiten. Diese Mütterverherrlichung ist einfach blödsinnig. Sprecherin Von Paris zieht die Familie bald ins westfranzösische Chateaubriand. Louis Guesnet ist dort im Landmaschinenbau tätig, Astrid kümmert sich um die wachsende Kinderschar. Ressentiments auf Grund des Krieges erlebt sie nicht. 25 OT Astrid Guesnet Ich bin sehr oft in Frankreich angesprochen worden: Vous êtes si discipliné et vous êtes musicien en Allemagne. Gut, also diszipliniert und musikalisch seien wir in Deutschland. Das hatte ich in dem Maße eigentlich selber so nie empfunden. (Lachen) Autorin 1961 zieht die die Familie nach Deutschland ins Bergische Land, wo Astrid Guesnet auch heute lebt. Vier Kinder sind schon da, zwei weitere kommen bald noch dazu. Die Reaktion der Deutschen auf die große Familie ist ein Schock für die junge Mutter: die Franzosen hat sie sehr viel kinderfreundlicher erlebt. 26 OT Astrid Guesnet Jedes Kind wurde mit Begeisterung begrüßt und mit so viel Freundlichkeit und so viel Selbstverständlichkeit. In Köln hatten wir amerikanische Nachbarn, er sagte, jetzt müssen wir mal die Kinder im Kaufhof alle photographieren. Dann alle ins Auto, alle sechs, nach Köln in den Kaufhof zum Kinder photographieren. Und hinterher kaufe ich denen ein Eis, und da steht die Eisverkäuferin und sagt: Sind die all Ihnen? Na, herzliches Beileid. Und das war vormittags und am Abend, der Martin, mein Ältester war neun, sagte: Hast du gehört, was die Frau gesagt hat? Das hat das Kerlchen den ganzen Tag beschäftigt. Sprecherin Louis Guesnet ist gerade 41 Jahre alt, als er bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Seine Frau bleibt mit sechs Kindern zurück. Zwei von ihnen leben heute in Frankreich, ein Sohn in London, drei in Deutschland. Musik Atmo Zeitungsblättern Zitator Mehr Notwendigkeit als Liebe In den - übrigens seltener gewordenen - Betrachtungen über das deutsch- französische Verhältnis wird immer wieder das Bild einer Ehe bemüht, die nun in die Jahre gekommen und leidenschaftsloser geworden sei. Berliner Zeitung 1999 Musik 27 OT Mona Freese Das deutsch-französische Paar als Metapher ist für mich eigentlich ziemlich leer, aber ich kann mit vorstellen in der Generation meiner Großeltern zum Beispiel hat das eine viel stärkere Rolle gespielt. Ich denke, es ist von der Zeit so ein bisschen abgelaufen. Musik 1 hoch 28 OT Mona Freese Mein Name ist Mona Freese, ich bin 29 Jahre alt und bin selbständige Kunsttherapeutin, arbeite im Moment als solche noch, allerdings bin ich in ein paar Wochen im Mutterschutz. Sprecherin Denn vor einem Jahr lernte sie Hérvé Gontier kennen, den Vater des Kindes. Der junge Mann, der in der Windkraftbranche arbeitet, kam vor acht Jahren aus Westfrankreich nach Ostdeutschland. 29 OT Hervé Gontier Natürlich stellt man sich vor, dass alle Deutschen Wurst zum Frühstück und Bier jeden Tag haben, was auch nicht stimmt, aber das sind die Klischees, die hartnäckig sind und die die meisten Franzosen auch haben. Die hatte ich als Kind und Jugendlicher auch. Sprecherin Überrascht stellte er fest: dass er als Franzose in Deutschland so positiv aufgenommen wird. Dass deutsche Frauen nicht flirten können. Dass die Esskultur verbesserungswürdig ist. Dass die Deutschen sich aufgrund ihrer Geschichte nicht so zu ihrem Land bekennen können wie die Franzosen. Musik Chanson 30 OT 27 Hervé Gontier In meiner Generation ist die chanson francaise schon ziemlich wichtig, es ist auf jeden Fall eine Musik, die einem gefällt, die einen geprägt hat und die man gern hört immer wieder. Ich finde, dass es das in Deutschland gar nicht gibt, was ich sehr schade finde. Es gibt zwar Schlagermusik, aber so Chansons gibt es in dem Sinne nicht. Es gibt keine deutsche Musik, worauf sich ganze Generationen von Deutschen beziehen können. Musik Sprecherin Hervé Gontier kommt aus einer traditionellen Großfamilie, während Mona Freese in einer Patchworkfamilie in Schleswig-Holstein aufwuchs. 31 OT Hervé Gontier Ihre Eltern sind geschieden und meine nicht, deshalb das ist das schon mal ein anderes Familienbild. Viele meiner Freunde haben geschiedene Eltern, und ohne das von der Statistik her belegen zu können, habe ich den Eindruck, dass das Familienbild in Frankreich, wenn nicht fester, dann heiliger ist. Ich weiß nicht, ob das vom Katholizismus kommt, dass die französische Gesellschaft davon geprägt ist. Auch was die französische Frau angeht, finde ich zum Beispiel, dass die französische Frau sich auf eine Familie mehr einlassen würde als eine deutsche Frau. Sprecherin Dass viele deutsche Frauen so lang wie möglich bei ihren Kindern bleiben, während Französinnen nach kürzester Zeit wieder arbeiten ist ein kultureller Unterschied, an dem sich schon mehrere Generationen aufgerieben haben. Am Bild der Frau und an den Familienstrukturen scheiden sich oft die Geister. 32 OT 19 Mona Freese Bei uns war die Mutter die, die immer da war, die für alles die Verantwortung getragen hat auch finanziell die stärkere Kraft war. Das ist bei Hervé in der Familie ganz anders gewesen. Die Mutter hat sich entschieden, zuhause zu blieben bei den Kindern, und der Vater war einer, der durchaus hart durchgegriffen hat. Es war halt schwierig, weil es für ihn selbstverständlich ist, und ich mich immer gefragt habe, hä, und nach meinem Verständnis muss man das in Frage stellen. Sprecherin Hervé Gontier hat unlängst die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Die französische wird er behalten. Er möchte in Deutschland bleiben. Vor kurzem feierte er hier seinen 30. Geburtstag mit einem großen Essen. 33 OT Hervé Gontier Nach der Hauptspeise haben sich die Leute gewundert, dass eine Käseplatte auf dem Tisch steht, und nach der Käseplatte haben sie sich gewundert, dass Nachtisch vorgesehen war. Es war sicher alles gesund, was wir da alles gegessen haben, aber darum ging es nicht, auch nicht darum, wie viel es gekostet hat, wie manche Leute nachfragen: Ach, das muss aber teuer gewesen sein. Es ist überhaupt nicht der Grund, sondern weil ich zu meinem Geburtstag meine Freunde verwöhnen wollte. 34 OT Mona Freese Es ist schon dieses deutsch Geizige, jeder zahlt aus seinem Topf und ist darauf auch noch stolz. Meine Mutter rief mich letzten Sonntag an und erzählte, sie würde mit meinem Bruder noch zum Italiener gehen und jeder würde für sich selbst zahlen. Da dachte ich: das ist ja absurd. Im Grunde finde ich das französische Modell, das Freizügige, sehr viel angenehmer. Sprecherin Die deutsch-französischen Beziehungen? Kein Thema mehr, sagt die frankophile Mona Freese, in Zeiten des geeinten Europa und der Globalisierung sei das vorbei. Geschichte spielt auch für Hervé Gontier keine große Rolle. Der Elysée-Vertrag? Ja, da war doch was. Aber es liegt so lange zurück. Immerhin, sagt er dann, ohne diesen Vertrag wäre er möglicherweise gar nicht in Deutschland. Musik Atmo drehen am Radio 35 OT Merkel, Hollande Es lebe die deutsch-französische Freundschaft! Vive l'amitié franco-allemande!/ Junge Damen, jungen Herren aus Deutschland, aus Frankreich, aus ganz Europa. Ihre Rolle ist es nun, den europäischen Traum Wirklichkeit und Zukunft zu verleihen. Es lebe die deutsch-französische Freundschaft. Musik 36 OT Caroline Duval Hollande, er wirkt nicht auf mich, als ob er sehr interessiert wäre, die Freundschaft nach außen hin zumindest zu zeigen. 37 OT Luc Duval Das ist wichtig, dass man nicht vergisst, was unsere zwei Länder erlebt haben und was unsere zwei Länder gebaut haben. Sprecherin Eine gute halbe Stunde fährt Luc Duval jeden Abend von Köln nach Roisdorf, ein kleiner Ort im Vorgebirge nahe Bonn. Seine Frau Caroline hat mit Tochter Julie schon das Essen zubereitet. 38 OT Caroline Duval Wir haben einen eigenen Garten mit Gemüseanbau. Da würde ich nicht sagen, ich wäre jemand, der nur aus den Dosen lebt. Wenn ich sehe, was meine Schwiegermutter kocht, kochen wir nicht so anders. Ich koche wesentlich salzarmer als früher oder keine Saucen. Meine Mutter hat an alles Bechamelsaucen gemacht, die Sahnesößchen oder sonst was. Das mögen die Franzosen nicht, dieses Schwimmen in der Sauce. Ein Gewinn, die französische Küche zu kennen. Sprecherin: Durch eine Brieffreundschaft lernten sich Caroline und Luc Duval, beide Mitte vierzig, kennen. Wenige Jahre darauf zog der Tischler aus den Ardennen ins Rheinland. 39 OT Luc Duval Es gibt zuerst einen kleinen Abstand, weil man merkt, dass man nicht richtig deutsch spricht, das heißt, der Kunde hat Angst, dass man nicht richtig versteht, aber dieser Abstand geht sehr schnell weg. Als Franzose hat man immer Glück, als Türke schon weniger. Ich lebe seit zwanzig Jahren hier und hatte niemals irgendwelche rassistischen Wörter gehört zu mir. Sprecherin Luc Duval beobachtet die beiden Länder aufmerksam. Zwar stören ihn die rheinländischen Schützenvereine, und die französische Küche fehlt ihm auch hin und wieder. Aber Frankreich müßte endlich Reformen durchführen. 40 OT Luc Duval Frankreich hat immer Schwierigkeiten gehabt mit Reformen, es ist manchmal stolz drauf, aber irgendwann muss man härter arbeiten. Das ist eine Kultur, die man in Deutschland hat. Das letzte Beispiel ist die Krankenkasse: die haben hier ein Plus, in Frankreich ein großes Loch. Ich finde Frankreich auf einem schlechten Weg. Sie werden es nicht schaffen, so wie es ist. Sprecherin Seine Frau Caroline ist Erzieherin. Sie versteht zwar gut französisch, spricht es aber wenig. Für ihren Mann war das anfangs schwierig. In den Ferien fährt die Familie immer nach Frankreich. Tochter Julie, zweisprachig, versteht sich gut mit der Verwandtschaft, und auch Caroline Duval hat sich mit der großen Schwiegerfamilie angefreundet. 41 OT Caroline Duval Als ich das erste Mal zu meinem Mann und seiner Familie fuhr, standen alle Spalier an der Straße, einschließlich Hund. Da wäre ich am liebsten mit dem Auto vorbeigefahren, weil ich dachte, O je, was mag das geben. Die Sprache war ein Hinderungsgrund, es ist doch sehr anstrengend in der großen Familie, immer zuzuhören und dann nicht so viel zu verstehen. 42 OT Luc Duval Wenn wir uns treffen, sagen sie: na wie geht's in Deutschland. Und ich sage: Wir in Deutschland machen das so und so. Eher als Spaß. Aber keiner hat mich je danach gefragt, nach so vielen Jahren, wie ich mich hier fühle. Sprecherin Kein Einzelfall. Möchte die Familie, die zurückbleibt, nicht über Befindlichkeiten sprechen? Luc Duval ist von diesem Desinteresse enttäuscht. Nach Frankreich möchte er nicht zurück. Seine Heimat, sagt der Tischler, sei inzwischen Deutschland. Musik 43 OT Mona Freese Wir sprechen deutsch zusammen, aber ich bin immer wieder überrascht und erfreut, dadurch, dass er ne ganz andere Art hat, Sachen zu formulieren. Das ist was sehr Erfrischendes und Schönes. 44 OT Anita Steinert Die deutschen Männer tun mir ein bisschen leid, weil die unwahrscheinlich viel machen müssen, und dann noch ein guter Papa für die Kinder sein, und dann noch zum Elternabend gehen, soviel wie die Mutter. 45 OT Leo Louvet Hier sehe ich viele deutsche Familien, wo die Kinder ein, zweimal im Jahr zu den Großeltern gehen. Bei uns war es jede Woche. 46 OT Wolfgang Steinert Warum ich meine Frau geheiratet habe - weil es ein anderes Klima war als ich zuhause kennengelernt habe. Musik Sprecherin: Grenzenlos glücklich? Deutsch-französische Paare und ihre Geschichte. Ein Feature von Susanne von Schenck Es sprachen: Bettina Kurth und Mark Waschke Ton: Barbara Zwirner Regie: Friederike Wigger Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 1