Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 04. November 2013, 19 Uhr 30 Herr und Knecht in einer Person Die Endlosschleife der Selbstoptimierung Von Eva Hillebrand Take 1: Joseph Vogl Was man Selbstoptimierung nennt, ist ja zunächst mal ein ganz altes europäisches Projekt, das auftaucht, mit dem, was man die Entstehung des Rechnungswesens nennen könnte. Take 2: Ulrich Bröckling Man kann immer noch verbessern, irgendwo gibt's sicher immer noch kleine Schrauben, an denen man noch etwas drehen kann. Sprecher vom Dienst: Herr und Knecht in einer Person Die Endlosschleife der Selbstoptimierung Ein Feature von Eva Hillebrand Take 3: Werner Bayer Im Grunde genommen kann man mit dieser Methode wirklich fast, ich sag jetzt mal bewusst -fast- jedes Problem lösen. Sprecherin: In dieser Sendung geht es nicht um Schlanksein, Fitness und Körperoptimierung im Allgemeinen, gleichwohl da auch -mit Herr und Schweinehund- zwei in Einem verhandeln. Hier soll es auch nicht um die Transhumanisten gehen, die mit technologischen Mitteln den Menschen optimieren wollen und ebenfalls nicht um die Selbstquantifizierer, die via App ihre Körperfunktionen rund um die Uhr überwachen, um sich dann von Algorithmen Tipps zur Effizienzsteigerung geben zu lassen. Sprecher: Hier geht es um das erwerbstätige, das schaffende Ich. Dieses Ich soll sich selbst professioneller managen, und zum Unternehmen Ich aufsteigen. Take 4:Joseph Vogl Ein erster Selbstoptimierer ist der Kaufmann, der ne doppelte Buchführung einführt. Ein Selbstoptimierer ist der Protestant, der ein Tagebuch führt, und sich täglich Rechenschaft ablegt, was er stundenweise gewissermaßen getan hat. Sprecher: Warum soll das Ich unaufhörlich über sich selbst hinauswachsen? Sprecherin: Weil sich der Einzelne im Wettbewerb behaupten muss und immer mehr Unternehmen ein Interesse daran haben, auch firmenintern Wettbewerbsstrukturen zu etablieren. Das bedeutet, Hierarchien und Managementebenen abzubauen, und die Mitarbeiter zu aktivieren, die Kontrolle von außen weitgehend zu verinnerlichen. Erwerbstätige sollen ihre kreativen Ressourcen selbst verwalten sollen Unternehmer ihrer eigenen Arbeitskraft werden, sei es als Teil einer Firma oder als Selbstständiger. Ulrich Bröckling ist Professor für Kultursoziologie an der Universität Freiburg. 2007 erschien sein Buch über das "Unternehmerische Selbst". Take 5: Ulrich Bröckling Unternehmerisch handeln heißt erst mal handeln auf Märkten ,unter Wettbewerbsbedingungen, das heißt, man handelt als Unternehmer oder Unternehmerin seiner oder ihrer selbst, so, dass man sich verkauft, so, dass man seine Arbeit als Arbeit, am Unternehmen ICH begreift, dass man entsprechend versucht, Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln, und deshalb kreativ, innovativ, flexibel usw. zu sein versucht. Diese Forderung, sich so zu verhalten ist, das ist meine Beobachtung, in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten vermutlich in den meisten westlichen Gesellschaften zu einer sehr dominanten, hegemonialen Forderung geworden. Sprecherin: Industriesoziologen vergleichen die Wucht dieser Umorganisationsprozesse mit dem Übergang von der traditionellen zur Industriegesellschaft. Die Unternehmer ihrer Arbeitskraft sollen selbst dafür sorgen dass ihre Leistungen und Fähigkeiten gebraucht, gekauft und effektiv eingesetzt werden. Fremdzwang wird zu Selbstzwang. Welch genialer Schachzug. Sprecher: Als politisches Schlüsseldokument, das in Deutschland die Figur des Unternehmers der eigenen Arbeitskraft erstmals als Leitbild fordert, gilt der Abschlussbericht der "Kommission für Zukunftsfragen Bayern-Sachsen von 1997. Sprecherin: "Die Mehrzahl der Kommissionsempfehlungen setzt Veränderungen individueller Sicht-und Verhaltensweisen, vor allem aber kollektiver Leitbilder in den Bereichen Erwerbsarbeit und Daseinsvorsorge voraus. In dieser Gesellschaft erwartet die große Mehrheit der Erwerbsbevölkerung, dass Dritte, Arbeitsgeber, ihre Arbeitskraft organisieren und vermarkten und ihr so ein Erwerbseinkommen verschaffen... ... Zwar wird in absehbarer Zeit die Mehrheit der Erwerbsbevölkerung ganz oder teilweise beschäftigt sein, doch darf das Leitbild des Arbeitnehmers nicht im bisherigen Umfang bewusstseinsprägend bleiben. Vielmehr ist das Leitbild der Zukunft der Mensch als Unternehmer seiner Arbeitskraft und Daseinsvorsorge." Sprecher: Der Unternehmer seiner Arbeitskraft begreift sich selbst als Projekt, an dem es unaufhörlich zu basteln gilt. Das Ich-Projekt erfordert ein Leben im Entwurfsstadium, Ständig auf der Durchreise, nie am Ziel aber immer standby. Es muss sich verwickeln lassen in permanente Weiterbildung, lebenslanges Lernen, in persönliches Wachstum und aktives Altern, kurz in die Eigendynamik der Selbstoptimierungsschleife. Sprecher und Sprecherin gleichzeitig Herr und Knecht in einer Person Take 6: Joseph Vogl. Deswegen ist man in diesen Punkten nie mehr mit sich allein, erstens, und zweitens niemals mit sich zufrieden und drittens auch nie mehr mit sich irgendwo in Ruhestellung. Sprecherin: Joseph Vogl, Professor für Literaturwissenschaften an der Humboldtuniversität Berlin. Take 7: Joseph Vogl Das ist ganz entscheidend. Das heißt also, man kann sich in Gesprächen mit Freunden genauso optimieren wie bei der Pflege der kranken Großmutter. Man kann sich im Straßenverkehr genauso wie im Fitnessstudio optimieren, Man kann sich im Versuch mit einem Team irgend 'ne Aufgabe lösen genauso optimieren wie beispielsweise zu Hause beim Yogaunterricht. Was heute, glaube ich, wichtig ist, ist der Versuch die Selbstoptimierung in alle möglichen physischen, biologischen aber auch psychischen, spirituellen und intellektuellen Bereiche zu treiben und gewissermaßen eine 360°Evaluierung der eigenen Person abzuliefern. Sprecher: Den Geist der Selbstoptimierung atmen die Stätten der Weiterbildung, Seminare und Workshops. Seine Spur findet sich sowohl in klassischen, wie avantgardistischen Kursen. Take 8: Werner Bayer. Gustav Großmann war ein Rebell. Er hat sich gegen alles, was Unfähigkeit war gewandt. Sprecherin: Arbeit an sich selbst, methodische Selbstoptimierung, um die Ineffizienz aus dem eigenen Leben zu verbannen. Das ist keine Erfindung der Gegenwart, keine Entdeckung der boomenden Ratgeberliteratur. Schon in den zwanziger Jahren legte Gustav Großmann in dem Buch: "Sich selbst rationalisieren" eine Methode zur Lebensplanung vor, die radikaler kaum sein konnte und zugleich wissenschaftliche Fundierung beanspruchte. Für ihn galt sie als das Non plus Ultra der Selbstoptimierung. Take 9: Werner Bayer. Und das ist der Kern auch dieser Großmann- Methode, die Leistungsfähigkeit des Einzelnen zu stärken. Sie können mit der Großmann- Methode im Grunde genommen jede neue oder wichtige Aufgabe durchführbar machen. Und des war damals die erste und meines Wissens auch einzige Methode, die so etwas ermöglicht hat. Also 'ne komplexe Aufgabe so zu bearbeiten, dass ein positives Ergebnis herausgekommen ist. Sprecher: Werner Bayer, Vorstand der Helfrecht AG. Nach Großmanns Tod 1978, erwarb Manfred Helfrecht die Rechte an der Methodik, und damit auch an deren Vermarktung. Der gelernte Dachdecker modernisierte sie, transformierte den ursprünglichen Fernlehrgang in mehrtägige Planungsseminare, die heute im Unternehmerzentrum in Bad Alexandersbad angeboten werden. Die Methode besteht aus zwei großen Phasen: die erste Phase dient der Zielfindung, die zweite der Zielverwirklichung. Take 10: Werner Bayer Die Basis ist so ein Regelkreis.Das beginnt immer mit 'ner Analyse. Was ist der Ausgangssituation, wo steh ich? Der nächste Schritt ist dann die daraus entstehenden Ziel: wo will ich hin, was will ich erreichen,? Dann kommt die Vorgehensplanung, die Wie -Plantechnik. Wie komm ich jetzt, ich steh ja immer noch da, wo ich steh, dorthin, wo ich hin möchte, möglichst ohne große Umwege, ohne große Pannen, das ist die Vorgehensplanung und dann erst bin ich in der Umsetzung, wenn sie so wollen, im Zeitmanagement. Und wenn man diesen Regelkreis einhält, dann kann mans fast nicht verhindern, dass man sicher ankommt und Erfolge hat. Ja. Sprecherin: Während der Zielplanung entstehen die einzelnen Kapitel des Drehbuchs der eigenen Biografie. Dieser Film mit sich selbst in der Hauptrolle soll gelebt und endlos fort geschrieben werden. Take 11: Werner Bayer: Und wir haben so als Credo bei uns: Du musst schreiben, damit du zu Ergebnissen kommst. Sie wissen ja, viele denken über Vieles nach und beim Denken kann man sich schnell verzetteln, und deshalb propagieren wir so wahnsinnig das Thema schreiben. Ich will fast sagen: Man programmiert sich auf seine eigenen Ziele und wenn Sie Ziele haben, kommt Ihnen wahnsinnig viel entgegen. Und so saugt man auch systematisch alle Informationen auf, die den eigenen Zielen Nähe geben. Wo man sagt, das ist wertvoll für mich, das saugt man instinktiv auf. Sprecher: Durch das Niederschreiben von Zielen und die dauernde Überprüfung der Etappen auf dem Weg dorthin, gehen die Großmannjünger eine Vereinbarung mit sich selbst, beziehungsweise ihrem Drehbuch ein. Das ist der Grundgedanke. Gustav Großmans Selbstüberprüfung ging so weit, sich für jeden Tag eine Zensur zu erteilen. Dem gleichen Ritual übrigens unterzog sich auch sein Freund, der Schriftsteller Ernst Jünger. Take 13: Werner Bayer Diese Selbstoptimierung, die man immer wieder leisten muss, ist auch erst mal ne ganz große Frage der Eigendisziplin. Wenn ich das mal so sagen darf, es ist im Grunde genommen, wenn man das richtig macht, wirklich ne phantastische Methode, weil ich alles Wichtige bedenke, und versuche, soweit man das überhaupt kann, Dinge auszuschließen. Aber im Grunde genommen kann man mit dieser Methode wirklich fast, ich sag jetzt mal bewusst -fast- jedes Problem lösen. Sprecherin: Die Planungstage des Helfrechtunternehmens richten sich an Führungskräfte, an Mitarbeiterteams, aber auch an einzelne Mitarbeiter. Ein Tagestraining kostet 480,- die fünf Planungstage knapp 3000 Euro. Take 14: Roman Römer Erstaunlich war wirklich, meinen Schwächen nahezukommen bei diesen Planungstagen, in der Analyse. Sprecher: Es war sein Chef, der Roman Römer das Helfrecht-Seminar empfohlen hat. Der junge Raumausstatter wollte sein Leben zielbewusster organisieren und das hieß vor allem, sich im Rahmen der Selbstanalyse Rechenschaft über sein suboptimales Planungsvermögen abzulegen. Take 14: Roman Römer Es waren Fragen zum Leben und Schwächen, die einen sozusagen beeinflusst haben. Und die sollte man sich bewusst werden und aufschreiben. Das war ne Erfahrung, die sehr geholfen hat. Also uns wurde auch gesagt, dass die gestandenen Männer auch schon mal geheult haben. Mir lief auch schon 'ne Träne, muss ich sagen. Auch wenn's vorher schon bewusst war, welche Schwächen ich habe. Es war schon sehr sentimental. Muss ich schon sagen. Sprecherin: Roman war ausgelastet damit, die Ergebnisse seiner Selbstanalyse zu verarbeiten. An der Zielplanung nahm er noch nicht teil. Das Drehbuch seines Lebens folgte einer eigenen Dramaturgie. Take 15: Roman Römer Und natürlich, der berufliche Erfolg, das ist alles noch in Arbeit. Also dieses Ziel zu verwirklichen, zur Vollkommenheit führen. Und private Ziele, da bin ich im Moment so glücklich, dass ich nicht wirklich Ziele erreichen möchte, weil ich bis jetzt erst mal alles habe. Sprecher: Roman und seine Lebensgefährtin haben einen zweijährigen Sohn, das zweite Kind ist unterwegs. Die glücklichen Umstände sind der Selbstoptimierung gewissermaßen in die Quere gekommen. Zugleich plagt den jungen Mann sein schlechtes Gewissen, wenn er daran denkt, dass er das im Seminar Gelernte nicht konsequent weiter eingeübt hat. Take 16: Roman Römer Und diese Analyse, die soll man sich natürlich auch noch mal zur Hand nehmen und durchlesen und ergänzen natürlich. Sprecherin: Die Selbstoptimierungsschleife, einmal in Gang gesetzt, will in Bewegung bleiben, sonst funktioniert das System nicht mehr. Take 16A: Also ich muss auch dazu sagen, leider, weil ich bin denn schnell rausgekommen, durch Arbeit natürlich und durchs Kind, das hat mich so rausgeworfen, dass denn Wochen vergangen sind und denn wollt ich mich mal wieder hinsetzen, und denn hab ichs auch wieder nicht geschafft, in diese Materie wieder 'reinzukommen, dieses ganze Empfinden, was man aufbaut in der Analyse, des ist jetzt alles weg. Aber ich denke, dass ein nachträgliches Seminar mir auch helfen würde, um wieder reinzukommen. Da ist dann der Optimismus wieder da. Diese Stimmung. Aber um diesen Schritt dann wieder zu gehen, muss ich mir auch bewusst sein, dass ich ihn wieder gehen möchte, weil zurzeit ist einfach Zeitmangel, obwohl Helfrecht ja diesen Zeitmangel beheben sollte. Das ist natürlich die Ironie dabei. Aber ich würd es dann auch wirklich voll und ganz leben. Sprecher: Die Methode von Gustav Großmann erfordert offenbar den dauerhaften Einsatz des ganzen Menschen, damit sich der versprochene Erfolg einstellt. Wer die nötige Disziplin nicht aufbringt, oder vom Glauben an die totale Planbarkeit abfällt - ist selber schuld. Gustav Großmann war der Meinung, dass jeder, unabhängig von seiner Herkunft, für sein Leben, seinen Lebenslauf, seinen Erfolg oder sein Scheitern selbst verantwortlich ist. Take 17: Roman Römer Aber nicht jeder Mensch kriegt die gleichen Chancen. Und diese Chancen zu bekommen, ist 'n wichtiger Aspekt für mich. Also ich habe viele Chancen bekommen, habe auch viele Chancen verwirkt. Aber die Chancen, die ich jetzt genommen habe, hab ich jetzt zu meinem Vorteil genommen, ja und das ist eben für mich das Wichtige. Dass Chancengleichheit besteht. Sprecherin: Wie Aufstiegschancen und soziale Herkunft tatsächlich miteinander zusammenhängen ist bekannt. Unabhängig davon zeichnet sich ein Leitbild für alle immer deutlicher ab: Die Forderung nach lebenslangem, nach lebenslänglichem Lernen im Hamsterrad der Selbstoptimierung. Der Startschuss fiel vor Jahrhunderten. Ulrich Bröckling Take 18: Ulrich Bröckling Eine erste Form wäre die, die man Perfektionierung nennen könnte. Das hat seine historischen Wurzeln in der Aufklärung, in der Vorstellung, man müsse, die gegebene Natur, die man hat durch Bildungsanstrengungen, in diesem Sinne Selbstoptimierung zur Perfektion bringen. Das Ziel ist hier gewissermaßen ein Fixstern, den man anstreben soll, den man aber letztlich nie erreicht. Sprecher: Dem menschlichen Schicksal, bislang ausgeliefert den Mächten von Tradition und Religion, eröffnete sich plötzlich die Möglichkeit, sich eine eigene Biografie zu schaffen. Die ehemalige Erwartung auf Erlösung im Himmel wurde abgelöst durch die Flucht nach vorn in die Maximierung der endlichen irdischen Lebensspanne hin zum Menschen der unbegrenzten Möglichkeiten. Diese Leistung ist geschichtlich einzigartig. Heaven on earth, der Himmel auf Erden. Doch es will so scheinen, als ob der daraus resultierende Fortschritt, insbesondere die steigende Lebensdauer, einhergehen mit dem Gefühl immer weniger Zeit zu haben. Sprecherin: Auch in der Romantik - die sich doch von der Aufklärung eher kritisch distanzierte, gab es den Kampf gegen die Zufälligkeiten der Natur. "Der Mensch", postulierte Novalis 1799, "soll ein vollkommnes und totales Selbstwerckzeug seyn", also gleichermaßen Konstrukteur und Konstrukt seiner selbst. Sprecher und Sprecherin zusammen: Herr und Knecht in einer Person Take 19: Ulrich Bröckling Eine zweite Form wäre die der kontinuierlichen Steigerung, das ist etwa das, was in der Arbeitswelt, in den Logiken des Fließbands, des Akkords historisch seinen Platz hatte. Man kann immer noch verbessern, irgendwo gibt's sicher immer noch kleine Schrauben, an denen man noch etwas drehen kann, hier und da noch Zeit einzusparen, oder noch effizienter zu sein. Permanente Steigerung als Optimierung. Hier ist Optimierung gleichbedeutend mit Orientierung am Wettbewerb. Während man bei der Perfektionierung und bei der Steigerung eigentlich wusste, wo es lang geht, ist hier das Ziel immer neu zu bestimmen, weil das Ziel heißt, ich muss mich von den Konkurrenten im Wettbewerb abheben. Das bedeutet, bei diesem Optimierungsmodus, man ist permanent damit beschäftigt, sich zu vergleichen, sich abzusetzen, wieder etwas Neues zu beginnen. Man hat also keine Sicherheit, keinen Erfahrungsschatz, keine Tradition, kein Leitbild, an dem man sich festhalten könnte. Sprecher: Welches Ziel ist das Beste, wenn man sich angesichts endloser Möglichkeiten doch nur suboptimal entscheiden kann? Da könnte man die Wahl des Optimalen doch gleich einem Wettbüro oder professionellen Spekulanten übergeben. Oder multioptional abwarten. Sich für Stabilität zu entscheiden kann für den Einzelnen allerdings genauso riskant sein. Flexibilität wird zur Schlüsselqualifikation. Joseph Vogl. Take 21:Joseph Vogl Es geht heute nicht mehr darum, Leute zur Erfüllung bestimmter Routinen zu dressieren, sondern umgekehrt, Leute von der Fixierung an Routinen wegzubringen.ich-Schwächen zu erzeugen. Dafür sind bestimmte Operationen nötig, und dafür sind eben auch, wenn sie so wollen, die Freisetzung bestimmter kreativer Potentiale gefragt. Die Subjekte werden darauf verpflichtet, etwas weniger ichstark und etwas mehr flexibel zu sein. Sie werden darauf verpflichtet, etwas weniger an Kontinuitäten, denn an Diskontinuitäten festzuhalten. Sprecherin: Flexibilität, Mobilität, Kreativität. Das sind Fetische einer Beschleunigungs- gesellschaft, die dem Projekt huldigt. Flache Hierarchien, eigenverantwortliche Projektsteuerung, freie Einteilung der Arbeitszeit. Die Auftraggeber werden gut bedient. Dass sich die Intensität der Belastung für die Projektteilnehmer dabei potentiell ins Unendliche steigert -damit müssen sie selbst klar kommen. Und da ein Projekt zeitlich stets limitiert ist, muss Flexibilität durch eine weitere Schlüsselqualifikation ergänzt werden: Halt und Sinn in ständiger Veränderung zu finden. Video Filmsprecher auf Filmmusik: Vieles bleibt verschieden, aber eins eint die Menschen über alle Zeiten und Kulturen hinweg: Es ist die Einsicht in den Verlauf des Wandels. Sprecher: "Innovationsdramaturgie nach dem Heldenprinzip" so heißt die Weiterbildung, die Selbstvertrauen und Balance in dynamischen Zeiten vermitteln will. Zuallererst richtet sie sich an Führungskräfte, Personalmanager und Berater, die diese Methode weiter verbreiten sollen. Video-Filmsprecher auf Filmmusik: Denn ob real oder fiktiv, Mann oder Frau, Individuum, Gruppe oder Unternehmen, ein Entwicklungs- und Veränderungsprozess vollzieht sich stets in einer typischen Schrittfolge. Diese immer ähnliche Grundstruktur ist in den Heldenmythen der Welt verdichtet. Sprecherin: Das Heldenprinzip oder das Motiv der Heldenreise gehen zurück auf den amerikanischen Mythenforscher Joseph Campbell und sein 1949 erschienenes Buch "Der Heros in tausend Gestalten". Es bietet die Grundstruktur für zahllose Romane und Drehbücher, so zum Beispiel für den Film "Starwars" von George Lucas. Auch Fernsehserien wie der "Tatort" und "Rosamunde Pilcher" funktionieren oft nach dem dramaturgischen Prinzip dieser Bibel für Filmemacher. Sprecher: "Innovationsdramaturgie nach dem Heldenprinzip" ist angesiedelt an der Universität der Künste in Berlin, ein Forschungsprojekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Europäischen Sozialfonds gefördert wurde. Anfang 2014 beginnt der erste Basiskurs. 4 Wochenenden à 3 Tage kosten 3500 Euro. Nina Trobisch ist eine der Initiatorinnen des Projektes. Take 22: Nina Trobisch Also, es geht vor allem darum, die Kompetenz zu erwerben, mit Unsicherheit umgehen zu lernen, nicht Unsicherheit zu vermeiden, und noch mehr Planung zu organisieren, damit das alles eher abgepuffert wird, und das Heldenprinzip ist für mich eine Möglichkeit, das Ungewisse zu managen, obwohl das ja fast schon wieder so´n Paradoxon ist, das heißt mit diesen Akten 'nen Orientierungsrahmen, also Kompass, wie wir sagen für Innovation und Wandel. Auf der einen Seite das Orientierungsmuster durch diese Struktur, auf der andern Seite immer wieder die Öffnung in den neuen Erfahrungsraum. Sprecherin: Im Verlaufe der einzelnen Szenen sollen die Teilnehmer schreiben, zeichnen und malen. Aus Kunststoff, Filz, Pappe und Ton werden Skulpturen geformt und Requisiten gebastelt. Die Helden erarbeiten dramaturgische Szenen, die sie anschließend spielen. Sie krabbeln durch selbstgebaute Tunnel aus Möbeln und versuchen mittels einer öffentlichen Aktion Aufmerksamkeit für ein nachhaltiges Thema zu wecken. Sprecher: Arne Broy hat ein Jahr lang am Forschungsprojekt zum Heldenprinzip teilgenommen. Take 23: Arne Broy Ich hab vorher schon viele Weiterbildungen erlebt, die auch immer wieder angeknüpft haben an den eigenen Ressourcen, aber die letztlich losgelöst waren von diesem Veränderungsgedanken. Im Wesentlichen waren das Stärkungselemente. Also entweder technisch, oder soziale, kommunikative, also da gings immer darum, die Potenzen zu fördern. Darum geht's in der Heldenreise gar nicht. Es gibt keine Anforderung, dass die Heldenreise in einer bestimmten Art und Weise zu Ende geht. Viele Helden erreichen die andere Welt gar nicht wieder. Sondern in jeder der Stationen kann man versacken, stranden. Die Heldenreise ist kein Muss. Sprecherin: Also kein Imperativ zur Veränderung. Eher schafft die Heldenreise so etwas wie eine innere Landkarte für Veränderungen, an denen man sich später orientieren kann. Video Filmsprecher auf Filmmusik Grundsätzlich teilt sich ein Entwicklungszyklus, wie ihn das Heldenprinzip zeigt, in zwei Sphären: Die bekannte Welt: vertrautes Terrain, dessen Muster und Gewohnheiten geläufig sind. Und die unbekannte Welt: Gefilde, die fremd und nicht überschaubar sind. Diese zwei Welten sind getrennt durch eine Schwelle Take 24: Nina Trobisch: Es geht nicht um eine Übung, sondern um 'nen Prozess, der stattfindet. Wenn wir jetzt einen Ausschnitt nehmen, Überwindung der ersten Schwelle: Was heißt Schwelle? Ich gehe aus dem Vertrauten, Bekannten ins Unbekannte, was hält mich zurück? Meistens, dass ich nicht weiß, was da ist, meistens meine alten Muster , wie es zu sein hat, und Veränderung heißt ja immer: ich geh in was, von dem ich nicht weiß, wie es ist. Also muss ich mich mit dem auseinandersetzen, was mich festhält. Sprecher: Dafür findet ein Stellvertreterritual ähnlich dem der Familienaufstellung statt: Der Held selbst spielt den Part des Schwellenhüters, der den Helden mit seinen Ängsten konfrontieren und seinen Mut zur Veränderung prüfen soll. Ein anderer Teilnehmer übernimmt unterdessen die Heldenrolle. Take 25: Arne Broy Die Hinführung zu dieser Schwelle, die Konzentration letztlich von Fragen, die man sammelt, die man aufschreibt und die man dem andern dann mitgibt, als Stellvertreter in die Hand oder in den Mund gibt, muss man eher sagen, und sich dann selbst reden hört, indem man dieser Schwelle immer näher kommt. Also diese andere Person ist wirklich nur´n Medium. Der Prozess vorher, der führt schon dazu, dass man sich selbst darin erkennt. In diesen Fragen. Take 26: Nina Trobisch Neben ihm war die ganze Gruppe mit Masken, das war so etwas wie ein antiker Chor, die das verstärkt haben, diese Argumentation vom Schwellenhüter, und der Stellvertreter für den Helden, der ging auf diesen Schwellenhüter zu und der Schwellenhüter hat dann immer praktisch all das, was ihn zurückschubsen soll, ihm vor den Latz geknallt, würde ich jetzt mal fast sagen. Und der Chor hats wiederholt, das heißt, der muss gegen einen massiven Widerstand immer näher an diesen Schwellenhüter rankommen. Sprecher: Nicht nur im Schwellenhüterritual werden Ängste vor Veränderung ins Bewusstsein gerufen und bearbeitet. Der Wandlungsimpuls, der dem gesamten Kursus zugrunde liegt, korrespondiert durchaus mit dem realen Leben der temporären Helden Take 27: Arne Broy Und von den 12 Teilnehmern gibt es immer ein oder zwei, die grade in dieser Situation auch sich befunden haben. Direkt synchron ist das natürlich bei niemandem gelaufen, aber beispielsweise habe ich während der dritten Station dieser Heldenreise meinen Beruf gewechselt, und war mit vielen neuen Situationen konfrontiert, die man auch durch Supervision und durch betriebliche Instrumente gar nicht lösen kann, weil man da viel zu sehr gefangen ist in den Strukturen, und da war das Coaching durch die andern Teilnehmer 'ne enorme Hilfestellung. Sprecher: Die Innovationsdramaturgie nach dem Heldenprinzip verortet sich selbst in einem transrationalen Kosmos und unterscheidet sich damit grundsätzlich von der rational orientierten Methode Gustav Großmanns. Gleichwohl zielen beide Seminare darauf ab, verhaltensoptimierende innere Filme im Teilnehmer entstehen zu lassen. Im ersten Fall sollen sie Wirklichkeit werden, im zweiten Orientierung im Wandel bieten. Take 28: Nina Trobisch Nachdem wir ja nun in der Kognition super gut zugange sind, unseren Verstand, und unsere technischen Möglichkeiten schulen ohne Ende, dass es darum geht, diese andern Potentiale, die wir haben, die uns im Laufe der Jahre verschüttet werden, dass wir die, ja nicht ausgraben, aber Sie haben vorhin gesagt, dass wir die wecken, dass wir den ganzen Menschen nutzen, wirklich alle Quellen nutzen, um einzelne und gemeinschaftliche und teilweise ja auch gesellschaftliche Veränderungsprozesse wirklich stemmen zu können. Sprecher: Die Übertragung des Heldenprinzips auf die Arbeitswelt ist nicht unproblematisch. Könnte es doch eine Strategie sein, an Ressourcen von Mitarbeitern zu gelangen, die mit herkömmlichen Techniken nicht mehr zu erschließen sind. Auch wenn den Initiatoren des Seminars solches Denken fremd sein mag. Noch steht die Bewährungsprobe aus, ob es statt des erhofften Kulturwandels in Firmen zu einer noch raffinierteren Manipulation der Mitarbeiter im Dienste der Marktkräfte kommt. Sprecherin: Schließlich kann niemand aus einem Menschen so viel herausholen wie dieser selbst: Kreativität, Phantasie, Begeisterungsfähigkeit, der Wille zur ultimativen Leistung. Take 29: Ulrich Bröckling Wieso machen wir das, wieso sind die Menschen überhaupt bereit, sich dieser Zumutung auszusetzen. Meiner Wahrnehmung nach sind viele dieser Werte, der Ziele, die so mit Chiffre 68 und den anschließenden sozialen Bewegungen verbunden sind, also etwa die Vorstellung, dass man Leben und Arbeit miteinander verbinden soll, im Idealfall Leben und Arbeiten eins werden sollen. Das ist etwas, was heute genau die Logik in Startups, in projektförmigen Arbeitswelten darstellt. Es ist ja eine paradoxe Figur, das man von mir fordert, viele Instanzen von mir fordern, mich zu optimieren. Mir wird gesagt, ich soll mir nichts sagen lassen, sondern selber bestimmen, was ich tue, und in dieser Paradoxie von Fremdbestimmung, die Selbstbestimmung fordert, steht dieses gesamte Programm des Lebens als Unternehmers oder der Unternehmerin seiner oder ihrer selbst. Take 31: Joseph Vogl Ich glaub man muss schlichtweg konstatieren, dass der Markt und insbesondere der vom Kapitalismus erzeugte Markt einer ist, der selbst alle möglichen Widerstandsresiduen irrsinnig schnell besetzen kann. Das macht die Intelligenz dieser Wirtschaftsform aus, das macht die Intelligenz ihrer Protagonisten aus und das macht die Intelligenz natürlich auch entsprechender geschäftlicher Operationen aus. Sprecher und Sprecherin: Herr und Knecht in einer Person Sprecher: Wer soll da noch gegen wen auf die Straße gehen? Sprecher vom Dienst: Die Endlosschleife der Selbstoptimierung Ein Feature von Eva Hillebrand. Es sprachen: Robert Frank und Simone Kabst Ton: Bernd Friebel Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 1