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Sprecher vom Dienst: Über die arbeitende Klasse CD: Wer will fleißige Handwerker sehn? Sprecher vom Dienst: Ein Feature von Thomas Klug Musik Autor: Das Plakat fragt: "Nervt der Chef?". Die Antwort hat gefälligst ein lautes "Ja" zu sein, denn als Lösung wird empfohlen: Gründen Sie eine Firma". Solche gedankenschlichten Plakate lässt das Wirtschaftsministerium entwerfen. Neben dem Text ist ein Fotomodell zu sehen, dass in eine Zimmermannsmontur gesteckt wurde. Dieses Handwerkerimitat muss einen roten Hammer halten und grinsen. Eine Werbekampagne. Jeder kann Chef werden - soll sie suggerieren. So stellt man sich das im Wirtschaftsministerium vor. Chef sein - und alles wird gut. Vielleicht sind das die Leistungsträger, wie sie sich Parteien entwerfen, wenn sie volkstümlich sein wollen. Ansonsten tragen die "Leistungsträger" Nadelstreifen. Das sind die, die Jobs schaffen und Steuern zahlen, heißt es. Ein übersichtliches Bild vom Leistungsträger, einer Spezies, die offenbar permanent bedauert werden muss - weil es ihr doch so schlecht geht. Die Leistungsträger das sind die Guten. Und die anderen, die arbeiten ja nur. Oder sind gar arbeitslos, also nicht ganz so gut. Willkommen in einer gut sortierten Welt. CD: Coulter Autor: Leistungsträger? Wer denkt sich so einen Begriff aus? Wer trägt da eine Leistung? Warum? Wohin? Es sind wohl Beamtenseelen, die solche Wörter in Buchstaben gießen. Menschen, in deren Phantasie Leistung getragen genauso wie Sinn gemacht wird. Es sind dieselben, die sich nicht scheuen, Wörter wie "zeitnah" und "zielführend" zu verwenden, ohne vor Scham in Grund und Boden zu versinken. Wer aber ist ein Leistungsträger? CD Coulter Take 01 Thümler Wenn im politischen Raum von Leistungsträgern die Rede ist, ob damit dann immer Menschen wie meine Kolleginnen und Kollegen gemeint sind, das wage ich mal zu bezweifeln. Autor: Sabine Thümler sitzt in der Kantine der Berliner Stadtreinigung. Vormittags zehn Uhr. Um die Zeit sagen sie hier nicht "Guten Morgen". Das würde falsch verstanden. "Guten Morgen" um zehn Uhr - das heißt hier: Ich bin noch nicht lange wach. Ich arbeite etwas ganz anderes als ihr, ich gehöre nicht dazu. Deswegen sagt hier morgens um zehn jeder "Mahlzeit" zu den Männern in Orange. Es ist die Mittagszeit der Müllwerker. Arbeitstage können sehr früh beginnen. Aber wer will das schon wissen? Ist eigentlich Leistungsträger, wer sehr früh aufsteht? Sabine Thümler, Pressesprecherin der Berliner Stadtreinigung: Take 02 Es gibt auch unter Führungskräften Menschen, die Leistungsträger sind und welche, die es vielleicht nicht so sehr sind. Aber ich würde den Begriff schon erweitern, ich glaube, wenn man in so einem Unternehmen arbeitet, dann redet man nicht nur vom Management als Leistungsträger, sondern auch von Kollegen, die sich auch besonders engagieren, die sich bei der Müllabfuhr besonders engagieren, die besonders kundenfreundlich sind, freundlich sind, bei der Straßenreinigung, die eben auch mal ein Stück mehr machen, als sie eigentlich unbedingt müssten. Also, das würde ich dann schon auch als Leistungsträger bezeichnen. Autor: Manche Menschen sind unsichtbar. Sie gehen durch die Straßen. Sie arbeiten. Sie sind nicht da - in den Augen der anderen. Es liegt an dem, was sie tun. Sie leeren Mülltonnen, fegen Bürgersteige. Sie machen den Dreck weg. Mit Dreck will man nichts zu tun haben. Und genauso scheint man es mit den Menschen zu halten, die sich um den Dreck kümmern. Die Berliner Stadtreinigung, die BSR macht seit 1999 mit Plakaten auf sich aufmerksam und darauf, wer den Müll in der Stadt beseitigt. Plakate, auf denen arbeitende Menschen zu sehen sind, gehören seitdem zum Stadtbild. Take 03 Thümler Man wusste, dass es eine BSR gibt, aber was die eigentlich genau machen, welche Aufgaben die haben, dass das Menschen sind wie du und ich, dass das auch ein ganz schön harter Job ist, das wurde so nicht wahrgenommen. Daraufhin haben wir mit der Kampagne angefangen, um erst mal zu sagen: Hallo, es sind Menschen wie du und ich. (ausblenden) Autor: Menschen, die noch mit ihren Händen arbeiten, sind offenbar selten geworden. Auf diese Menschen muss man aufmerksam machen. Take 04 Thümler Dadurch, dass wir das dann dargestellt haben mit all den Motiven, die es da gab: We kehr for you, Saturday night Feger, Dreiwettertough, unsere Frühstücksflocken, die dann eben im Winter die Schneeflocken sind und nicht die Müsliflocken oder Haferflocken. Dadurch hat sich das Bild nach außen geändert, da war dann die Wahrnehmung, Mensch, die machen ja einen wichtigen Job, den machen sie auch für mich, gut, die werden auch bezahlt und ich muss auch meine Gebühren bezahlen. Aber das ist ja schon irgendwie eine ganz tolle Sache. Und das gipfelte dann für mich darin, dass in einer Zeitung in so eine Glosse stand über einen Vater, dessen Sohn in der Schule, so vierzehn Jahre alt, plötzlich nicht mehr so richtig mitzog. Und er meinte dann, was man ja früher sagen konnte, wenn du nicht lernen willst, dann kannste ja zur Müllabfuhr gehen, das zieht natürlich nicht mehr, weil die Männer in Orange und die Frauen in Orange, die haben ein so tolles Image, dass man damit nicht mehr wirklich drohen kann. Autor: Die Wahrnehmung habe sich geändert, sagt Sabine Thümler. Das sagen auch die Müllwerker, die gerade in der Kantine sitzen: Take 05a Heute sprechen doch mehr Leute mit einem. Heute ist das positiver kommt das rüber, von der Öffentlichkeit her. Angesprochen, werde gefragt, was die Plakate machen, die T-Shirts, was da für Sprüche drauf stehen und so was kommt also an. Take 05b Meistenteils sind das ja Sachen: Die wollen informiert werden über Lohnverhältnisse, über krisensichere Jobs. Und dass sie die Kampagne gut finden, dass das mehr Aufklärungsarbeit mittlerweile ist, dass die Bevölkerung besser informiert ist. Das war ja früher nicht an dem gewesen. CD Take 06 Ramme Der Leistungsträger ist in seinem Beruf jemand, der aufgrund seiner Ausbildung und aufgrund seiner Arbeit eben besondere Anstrengungen vollbringt und eben deswegen auch Erfolge hat, auch jemand, der in seinem Privatleben nicht nur dahin vegetiert, sondern auch praktisch sich Ziele steckt eben im privaten Bereich. Archivatmo: Straße - kurz freistehend, dann im Hintergrund Autor: Der Kaiserdamm in Berlin-Charlottenburg, eine vielbefahrene Straße. Alfred Döblin hat hier einmal gewohnt, sozial engagierter Arzt und Schriftsteller. Ein Leistungsträger? Für ihn wäre es sicher kein Maßstab gewesen, den man an Menschen anlegt. Archivatmo: Straße- kurz freistehend, dann im Hintergrund Autor: Die Massagesalons fallen auf. Es sind gleich drei, im Abstand von nur ein paar hundert Metern. An einer Tür warnt ein Zettel: "Keine Erotik". Archivatmo: Straße- kurz freistehend, dann im Hintergrund Autor: Wenige Häuser weiter. Ein paar Stufen führen zu denen, die als Leistungsträger gelten. Der Deutsche Führungskräfteverband teilt sich ein Haus mit einer Aktiengesellschaft, einem Führungskräfte-Institut, einer Wirtschaftsberatung. Drinnen sitzt Hauptgeschäftsführer Ludger Felix Ramme und sinniert über etwas, was er Selbstführung nennt. Leistungsträger würden darüber verfügen, meint er. Take 07 Ramme Selbstführung heißt im Grunde genommen, dass man sich ständig reflektiert und guckt, wo stehe ich gerade, was ist meine Aufgabe, was möchte ich für Ziele erreichen, wie gut bin ich selbst in der Erreichung dieser Ziele und muss ich mich selbst korrigieren. Das ist im Prinzip etwas ähnliches, wie man in der demokratischen Entwicklung sehen kann. Ich will mal das Wort des mündigen Bürgers benutzen. Früher waren ja die Untertanen, als sie noch so gesehen wurden und keine demokratische Mitsprache hatten, ja noch Befehlsempfänger. Die Demokratisierung hat ja dazu geführt, dass das Idealbild des Staatsbürgers das des mündigen Bürgers wurde. Und darüber freuen wir uns ja alle. Und in der Arbeitswelt sehe ich eine ähnliche Entwicklung, dass der Arbeitnehmer vom reinen Befehlsempfänger immer stärker dazu motiviert und auch befähigt wird, sich selbst zu führen und selber zu gucken, wie er arbeitet und wie er selber, den Erfolg, den man ja gemeinsam mit dem Arbeitgeber haben möchte, Wirklichkeit werden lässt. Autor: Selbstführung. Doch wie geht das, wenn man Kassiererin ist oder Sekretärin? Take Ramme Das ist ja klar, sie kann jetzt nicht plötzlich völlig andere Dinge tun, als das, was sie als Sekretärin tun soll. Aber sie kann natürlich mitdenken, sie kann vorausschauend Dinge erledigen. Sie kann sich so verhalten, dass sie nicht nur darauf wartet, was ich ihr sage, was sie tun soll, sondern sie kann sich auch eigene Gedanken machen und sich mit mir darüber abstimmen. Das ist auch so, dass natürlich klar ist, die Möglichkeit zur Eigenmotivation und auch zur Kreativität nimmt natürlich mit der Komplexität einer Aufgabe zu. Als Sekretärin hat man natürlich relativ beschränkte Möglichkeiten, durch Eigenmotivation die Leistung zu erhöhen. Wenn Sie aber in Fach- und Führungspositionen hinein kommen, dann, die Schere geht dann auf. Je höher, je komplexer ihre Aufgabe ist, desto mehr Raum bietet sich für Kreativität und eben die von mir genannte Eigenmotivation. Musik Take 08 Höfer Es wurde dann immer mehr verlangt von mir. Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn du selbst nicht imstande bist, die Leistung zu erbringen oder die Leistung zu bringen, die man von dir gewohnt ist, dann wirst du kritisiert. Autor: "Cafe Hoffnung". Der Schriftzug an der Fensterscheibe ist noch geblieben. Atmo: Kleinstadt-Atmo - Archiv Autor: Das Café ist leergeräumt, die Hoffnung geschlossen. Das fällt nicht auf, nicht hier. Greiz in Thüringen. Einst war die Stadt ein Zentrum der Textilindustrie. Davon könnten die Älteren noch erzählen. Aber wer sollte ihnen zuhören? Es leben nur noch halb so viele Menschen hier wie früher. Take 09 Höfer Ich bin ein ganz normaler Arbeiter, habe in der Landwirtschaft gelernt. Habe der Landwirtschaft den Rücken gekehrt und arbeite auch in anderen Berufen. Autor: Gunter Höfer hat noch nie darüber nachgedacht, ob er Leistungsträger ist. Er nennt sich Arbeiter. Mal normaler Arbeiter. Mal einfacher Arbeiter. Leistungsträger - er denkt, mit ihm hat das nichts zu tun. Und darüber redet er nicht - eigentlich. Was soll er auch sagen? Take 10 Höfer Der kleine Arbeiter ist eigentlich in der breiten Gesellschaft gar nicht interessant oder wird in den Medien kaum erwähnt. In den Medien werden erwähnt Manager, Politiker, wirtschaftliche Leute. Von dem kleinen Mann hört man nur, wenn eine Firma in Konkurs gegangen ist, eine große Firma - eine Autofirma, eine Baufirma oder sonst was, wie viele Leute dann arbeitslos werden. Aber vom kleinen Mann selber erfährt man nichts. Man hört nur etwas von ihm, wenn der kleine Arbeiter nach mehr Lohn schreit zum Beispiel. Autor: Manchmal sieht Gunter Höfer im Fernsehen die Sprücheklopfer und Wortgewaltigen. Sie interessieren ihn nicht. Beim Reden sind die ihm sowieso immer ein paar Nasenlängen voraus. Vielleicht liegt es daran, dass er stottert. Vielleicht daran, dass sie mit seinem Leben so gar nichts gemein haben. Wenn die dann von Leistungsträgern reden, hört er schon lange nicht mehr zu: Take 11 Höfer Eigentlich müsste ich mich da angesprochen fühlen. ...Jeder Arbeiter ist für sich und die Gesellschaft ein Leistungsträger. Aber als Leistungsträger wird kein Arbeiter, der eine Dienstleistung oder eine Produktion erbringt gesehen in dieser Gesellschaft, sondern als Leistungsträger werden solche angesehen, die auf einen höheren Level stehen. Manager. Die genießen ein höheres Ansehen. Autor: Ansehen und Leistung - vor ein paar Jahren hat Gunter Höfer begriffen, dass das nichts miteinander zu tun haben muss. Take 12 a Höfer Ein Arbeitskollege selbständig gemacht und da habe ich dann angefangen,. habe ich dann Container ausgefahren, Abfallcontainer. ... Das habe ich fast 12 Jahre gemacht und habe mich bemüht die Firma zum Laufen zu bringen. ... Und dann irgendwann dachte ich, es wird vielleicht doch ein bisschen viel, weil einen Tag ohne Überstunden, den gab es fast nie. Und durch das ich ein ziemlich ehrgeiziger Mensch bin, wollte ich mir nicht nachsagen lassen, du hast das oder das nicht geschafft. Und da habe ich immer versucht mein Bestes zu geben. Teilweise auf Pausen verzichtet. ... und dachte immer, wenn die Firma dann sesshaft wird, dann hast du dein Auskommen bis zur Rente. Autor: Doch es kam anders - scheinbar plötzlich. Take 12 b Ich hatte so ein ganz komisches Gefühl, das hat mir richtig Angst eingejagt. Meine Frau sagte leg dich hin, du bist käseweiß, das Herz hat gerast. Ich wusste nicht, was mit mir passiert war. Ich sagte heute setzt du dich nicht rauf auf den LKW und das war dann auch der Anfang vom Ende meiner Kraftfahrerkarriere. Autor: Viel mehr machen als verlangt. Das könnte doch der Weg zum "Leistungsträger" sein. Es könnte auch der Weg sein, um krank zu werden. In vielen Interviews sagen die Manager, dass sie jede Woche 50 oder 60 Stunden arbeiten. Dass der Druck so groß sei. Dass es Arbeiter gibt, die auch so ein Pensum abarbeiten, sagen sie nicht. Und dass die deutlich weniger Geld dafür erhalten, sagen sie auch nicht. Kraftfahrer Gunter Höfer litt schließlich an dem, was manche die Managerkrankheit nennen: Burnout. CD: Take 13 Petras Wenn Sie mich fragen, was ist für mich ein Leistungsträger, was ist für die Gesellschaft ein Leistungsträger ist, das ist natürlich klar, das sind Banker, das sind Manager, das sind Spitzensportler, das sind Politiker, zwei oder drei Künstler, die einen Namen haben, besser gesagt, die ihre Werke besonders gut verkaufen können. Und Feierabend. Autor: Armin Petras steht an der Kaffeemaschine. Was sollte er auch sonst tun. Er ist Intendant des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin, in drei Stunden ist Premiere. Es ist die Zeit, in der man nur noch darauf warten kann, dass sich der Vorhang hebt. In der man die Schritte zwischen Bühne und Büro zählen kann. Oder reden. Take 14 Petras Jetzt werden wir ein schwieriges Interview haben. Ich bin ja nicht nur Intendant und Regisseur, sondern mit der tiefsten Leidenschaft Hobbyautor und kümmere mich um Sprache. Und mit der modernen Politsoziowirtschaftssprache habe ich extreme Probleme. Autor: Die Sprache der Politik ist nicht die Sprache der Bühne. Die Sprache des Alltags ist sie sowieso nicht. Schafft es aber die Bühne das Leben jenseits der Nadelstreifenanzüge abzubilden? Die Bühne versucht es - manchmal. Take 15 Petras Wir haben Stücke wo Arbeiter vorkommen, wir haben zum Beispiel den Rummelplatz gemacht, da geht es um die Wismut in den frühen fünfziger, sechziger Jahren. Wir haben ein Riesenprojekt gemacht, wo hinter Ihnen gerade ein Plakat hängt, Überleben im Umbruch. Das war ein großes Projekt über ein ganzes Jahr, wo wir gezeigt haben, was ist im Osten passiert in den letzten zwanzig Jahren, wie leben Leute heute, die vor 20 Jahren alle in der Industriearbeit waren, was machen die heute, in welche Nischen haben die sich zurückgezogen. Insofern ist unser Theater noch eine relative Ausnahme, weil wir uns als soziales und politisches Theater verstehen. Aber im Großen und Ganzen ist es auch da völlig richtig, dass dieses Theater natürlich vom Bürgertum bezahlt wird und fürs Bürgertum gemacht wird. Und dass es im Großen und Ganzen um Repräsentationstheater geht. Autor: Eine Wollmütze verdeckt die Glatze von Armin Petras. Es ist warm, er sitzt in seinem Intendantenbüro. Brasilien bewegt ihn, die Gegenden der Welt, in der Arm und Reich richtig getrennt sind - durch hohe Zäune. Hier ist es nicht soweit, sagt er. Er baut in den Satz sorgfältig ein "noch" ein. Aber es tut sich was in diese Richtung. Vielleicht geht er deswegen immer wieder zu den Menschen, die nicht zu ihm ins Theater kommen. Er will wissen, wie sie leben, wie sie arbeiten. Schließlich ist Petras auch Autor. Dafür hat er sich den Namen Fritz Kater gegeben. Take 16 Petras Man denkt ja immer an unseren großen Kollegen Wallraff, der da im Deckmäntelchen hinläuft um etwas zu enttarnen. Das ist ja heute gar nicht mehr so. Es gibt ja gar nichts zu enttarnen, weil dass das alles nicht mehr den Ideen einer linken Sozialdemokratie sozusagen entspricht, das wissen wir alle. Im Prinzip geht es darum, kriegt man neun Euro oder kriegt man sechs Euro. Das sind die einzigen Fragen, die da ernsthaft gestellt werden. Auf der anderen Seite ist es so, da muss man auch nichts sagen, wenn man heutzutage mit 23 fünf Jahre in Cambridge studiert hat, kriegt man auch einen Super-Job. Es gibt nicht nur diese eine Seite. Es gibt auch die andere Seite. Die Frage ist, wie kommt man dahin. Autor: Die eigene Verantwortung für das Leben. Und die Verantwortung der Gesellschaft für jeden Einzelnen. Das ist vielleicht ein Widerspruch. Take 17 Petras Natürlich ist jeder an seinem Leben selber schuld. Aber auch nicht. Will sagen: Meine soziale Herkunft, meine genetische Strukturierung und die Chancen, die Bildungschancen, die ich in meinem Leben hatte, sind natürlich entscheidend darüber, was ich tue und was ich lasse. Ich habe Freunde, die sind Architekten, die sagen ganz deutlich, sie würden sehr gerne als Architekten arbeiten, aber da müssten sie einen Vati und eine Mutti haben, die ihnen erst mal 500 000 Euro für ein Architekturbüro ausgeben - unter dem ist es gar nicht zu machen. Das heißt, diese Mär von anständig studieren und dann wird das schon von alleine - das funktioniert so auch nicht. Autor: Studenten und die ewigen Praktikanten - immerhin begeben sie sich auf einen Weg, der in Richtung Leistungsträger führt. Führen könnte. Doch Leistungsträger wird man nicht automatisch durch Leistung. Denn die erbringen auch andere. Diejenigen, die statt Nadelstreifen Handwerkerkluft oder Schwesternkittel tragen. Blaumann oder Kittelschürze. Doch auch sie sind kaum sichtbar. Das liegt daran, dass sie als leicht ersetzbar gelten. Ihnen wird Dankbarkeit abverlangt, überhaupt noch arbeiten zu dürfen. Sie sind die, die gerade noch davor gerettet wurden, zum Ballast zu werden. Das passiert, wenn Menschen ausschließlich als Kostenfaktor wahrgenommen werden. Take 18 Petras Das hat damit zu tun, dass die Wertschätzung dieser Gruppe von Menschen seit der Mitte der 70er Jahre extrem verliert. Es hat was mit dem Verlust von festen Arbeitsplätzen zu tun, es hat aber auch was mit der Degradierung der Gewerkschaften zu tun, mit den Machtverlust der Gewerkschaften zu tun. Es hat was mit dem Bild dieser Gruppe von Menschen in der Öffentlichkeit zu tun und hat aber auch schlichtweg mit dem technischen Knowhow dieser Gruppe von Menschen zu tun. Was ich damit sagen will: Es gibt nach wie vor noch Stahlarbeiter und nach wie vor einige Leute, die in einer Autofabrik stehen, aber der größte Teil - und da ist Berlin natürlich ein wunderbares Beispiel dafür - sind Leute, die in Dienstleistungsbetrieben arbeiten, Leute, die Service machen. Und dieser Service- Bereich gilt ja gar nicht mehr als reale Arbeit. Sondern der gilt als Niedriglohnbereich, ist es ganz real auch, wo sich kein ständisches oder Klassenbewusstsein mehr ausbilden kann. Autor: Stahlarbeiter. Bergarbeiter. Handwerker - ihre Arbeitsplätze werden weniger. Ihre Leistungen können im Ausland viel billiger erbracht werden - so geht die alte Leier. Oft wiederholt und scheinbar schon ein Naturgesetz. Engstirnige Buchhalter haben die Macht über die Arbeitswelt übernommen. Alles muss sich rechnen. Und ganz besonders der Mensch. Als ließe sich jede Leistung in Geld aufwiegen, als wäre es normal ein gelebtes Leben in eine Kosten-Nutzen- Analyse zu pressen. Take 19 Petras Ich habe im Sommer fünf Tage in einem Demenzheim verbracht, um zu schreiben. Da kann ich sagen, das ist einer der härtesten Jobs, den es gibt. Es gibt auch kaum Deutsche, die diesen Job überhaupt machen, zumindest da, wo ich war, wo es noch mal verrückter wird, aber das sind trotzdem die Menschen, die ich als Leistungsträger dieser Gesellschaft empfinde. Musik Take 20 Anonym Der Chef braucht mich nur bezahlen, wenn er Umsatz macht. Heißt also, wenn nicht, hat er nur die Nebenkosten des Gewerbes, aber mich halt nicht. Und wenn ich etwas verkaufe, muss er mich bezahlen, sonst nicht. Autor: Es klingt bizarr: Der Ladenbesitzer gibt regelmäßig Geld aus, für die Miete des Ladens beispielsweise. Nie käme er auf die Idee, die Mietzahlungen vom Umsatz abhängig zu machen. Und der Angestellte? Der bekommt nur Geld, wenn er etwas verkauft hat. Take 21 Anonym Beispiel Urlaubszeit. Wenn ich aus dem Urlaub wieder komme, ist die Zeit, bis ein Kunde neu kommt und die Zeit, bis er ein Produkt kauft, also die Findungsphase sozusagen, ist ja bei Möbeln nicht von heute auf morgen, sondern etwas länger. Und es ist dann immer eine schwierige Zeit, weil man dann immer gut überbrücken muss und etwas Geld vorher gespart haben sollte. Autor: Seinen Namen will er nicht im Radio hören. Das geht nicht. Er ist einer der modernen Angestellten. Modern, weil sie nur für Erfolg bezahlt werden. Ausschließlich. Take 22 Anonym Die Planung, sagen wir mal, vielleicht zwei oder drei von zehn Kunden sind halt umsonst. Das liegt vielleicht an mir, bessere Verkäufer haben vielleicht eine geringere Quote, wo die abspringen, muss, mal halt verkäuferbezogen schauen und auch auf das Produkt. Autor: Er verkauft Möbel, er plant die Einrichtungen von Wohnungen. Geld verdient er nur, wenn der Planung ein Auftrag der Kunden folgt: Take 23 Anonym Der Geschäftsführer wird sagen, wenn ich umsonst arbeite, ist das mein Problem, ich kann ja den Kunden auch zu mir ziehen, wie auch immer. Der Geschäftsführer sieht ja nur, dass einer kommt und nicht kauft. Aber er weiß ja nicht, warum er nicht kauft. Es gibt ja auch Kunden, die sagen, ok, Sie sind mir nicht angenehm, das Produkt ist das falsche, was er aber erst festgestellt hat, wenn er bei mir war oder es spricht ihm einfach nicht an. In dem Fall ist es schon so, dass ich ein Viertel oder die Hälfte des Tages umsonst arbeite. Oder eine Woche, von einem Monat vielleicht eine Woche arbeiten umsonst mache. Oder um Erfahrung zu sammeln, um es mal positiv auszudrücken. CD: Take 24 Schwerk Viele würden intuitiv auch sagen mit einem leicht ökonomischen Background, Leistungsträger sind die Leute, die Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen - könnte man ja so sehen. Da könnte man aber relativ schnell einwenden, naja, Arbeitsplätze schaffen allein ist es vielleicht nicht, denn wir wissen ja aus vielen Zeitungsberichten mittlerweile, dass es auch viele Arbeitsplätze gibt in Ländern wie Bangladesch oder Indonesien, aber auch europäischen Ländern wie Spanien, die nicht die Bedingungen haben, die man sich als Arbeitnehmer wünscht. Das ist vielleicht als Definition nicht unbedingt ausreichend. Autor: Es ist Kunst. Sonst hätte es die Universität nicht in ihr Zimmer gehängt. Es ist bunt. Rot, orange und kobaltblau. Und es hängt richtig herum. Die Signatur verrät es. Irgendein Programm, das junge Künstler unterstützt, brachte das Bild in das Gebäude nahe am Hackeschen Markt. Fünfzehn Jahre hängt es schon da - hinter dem Schreibtisch von Dr. Anja Schwerk vom Institut für Management der Humboldt- Universität zu Berlin. Take 25 Schwerk Dieser Begriff Leistungsträger ist ja auch so ein stark polarisierender Begriff, weil er in sich ja immer die Gefahr einer Zweiklassengesellschaft bürgt. Da haben wir auf der einen Seite die Leistungsträger, also die Guten. Und da sind dann die Leistungsempfänger, das sind die Schlechten. Ich glaube, viele würden auch sagen, Leistungsträger sind Führungskräfte, aber ich glaube, es ist sehr viel sinnvoller zu sagen, Leistungsträger können in allen Berufsklassen und in allen Berufsebenen vorkommen, also sowohl als Führungskraft, als Angestellter, als Selbständiger. Und ganz charmant finde ich eigentlich die Definition, die da heißt: Leistungsträger sind die, die der Gesellschaft mehr geben, als sie verbrauchen. Autor: Leistung nicht als Selbstzweck oder Egoismus. Leistung mit gesellschaftlicher Relevanz. Zur Profitmaximierung kommt Nachhaltigkeit, zur Selbstverwirklichung Nutzen für die Gesellschaft. Take 26 Schwerk Es ist ja so, dass man auch sagen kann, Hausfrauen sind Leistungsträger oder Hausmänner, weil sie nämlich dafür sorgen, dass es der Familie gut geht, dass die Familie sich gut entwickelt. Da haben Sie gleich das erste Problem: Im Bruttoinlandsprodukt tauchen Hausfrauen oder Hausmänner gar nicht auf, sie werden gar nicht gemessen, ihre Leistung. Im Endeffekt ist entscheidend: Was ist Leistung und wie wird Leistung gemessen. Noch ein anderes Beispiel: Wenn Sie eine Leistung zu einem Zeitpunkt messen, dann sieht sie auch anders aus, als wenn sie sie langfristig betrachten. Da sind wir bei diesen sehr häufig bemühten Begriff der Nachhaltigkeit, dass Sie eben heutzutage auch etwas zu leisten, ohne zukünftige Generationen zu gefährden. Und im Endeffekt hat damit Leistung und auch der Begriff Leistungsträger auch viel mit Solidarität zu tun und mit einem gewissen ethischen Verhalten und einer langfristigen Sichtweise. Autor: Wer von Leistungsträgern spricht, müsste auch sagen, ab welcher Höhe des Jahreseinkommens man denn dazu gehört. Leistung erbringen auch jene, die täglich ihrer Arbeit nachgehen, ohne dafür gewürdigt und ohne fürstlich entlohnt zu werden. Und Leistungsträger werden sie auch nicht genannt. Sie arbeiten. Take 27 Schwerk Medial kommt der arbeitende Mensch sehr häufig vor, wenn es um schlechte Arbeitsbedingungen in Bangladesch oder sonst wo geht. Der arbeitende Mensch kommt vor, wenn es um Abbau von Arbeitsplätzen geht häufig, als leidtragend. Autor: Der Begriff des Arbeiters ist verschwunden, weil es scheinbar Arbeiter nicht mehr gibt - nur noch als "Leiharbeiter", jemand also der nach Gutdünken geliehen und verliehen wird. Ein erstaunlicher Begriff in einer Zeit, die nicht einmal mehr von Studenten, sondern von Studierenden, nicht mehr von Lehrlingen, sondern von Auszubildenden sprechen möchte. Leistungsträger - von Leistungsträgerinnen hört man übrigens auch nichts - ist nicht nur ein sprachlicher Missgriff. Wer von Leistungsträgern spricht, sortiert Menschen in diejenigen, die tatsächlich oder angeblich etwas leisten - und diejenigen, die dies vermeintlich nicht tun, also irgendwie entbehrlich sind, überflüssig gar. Doch wer will sagen, wer überflüssig ist? Irgendwie könnte sich die Erkenntnis durchsetzen, dass alle gebraucht werden: Take 28 Schwerk Vielleicht gibt es jetzt so eine gewisse Trendwende durch die Diskussion um Nachhaltigkeit, um den großen Bereich der Pflege, alternde Bevölkerung, dass so was doch wieder mehr wertgeschätzt wird. Ich bin da eher optimistisch, weil wir das nämlich brauchen. Eine Gesellschaft braucht Menschen, die sich einsetzen, gerade im Pflegebereich, aber auch in anderen Bereichen. Das ist zwar verloren gegangen im Laufe der Jahrzehnte, aber ich glaube, es wird wiederkommen. Autor: Wenn sich Leistung wieder lohnen soll, dann aber die Leistung aller. Und ganz nebenbei: Leistung muss nicht getragen werden, sondern erbracht. Sprecher vom Dienst: Leistungsträger CD: Wer will fleißige Handwerker sehn? Sprecher vom Dienst: Über die arbeitende Klasse Autor: Ach so: Vielleicht ist Leistungsträger nur ein Komparativ: leistungsträge, leistungsträger, am leistungsträgsten. Sprecher vom Dienst: Ein Feature von Thomas Klug Es sprach: der Autor Ton: Inge Görgner Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2011 1