COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Zeitfragen. Forschung und Gesellschaft 21. April 2016, 19.30 Uhr Revolution in Vaterland Männer zwischen Erwerbstätigkeit, Kinderbetreuung und Familienleben Autorinnen: Tabea Grzeszyk und Lotta Wieden Redaktion: Kim Kindermann Atmo 1: zu Hause bei Golo Hm, du kleine Strampel-Pampel-Muse, ja? Wir gehen doch raus, hast du doch vielleicht auch Bock drauf?! Autorin 1 Golo Trieber zieht seinem vier Monate altem Sohn Luc ein Jäckchen über, gleich geht es raus an die Berliner Spree, Spazierenfahren. Atmo 2 Oh, und jetzt kommt das Schlimmste, die Mütze. Das Aller-Aller- Schlimmste! Jetzt wird gleich geschrien. Oh, Fluppe! (Kind weint. Silvie kommt): He, Mäuschen, rebellierst du oder was? (Kind beruhigt sich...) Autorin 2 Es ist ein sonniger Sonntagmorgen in Berlin-Friedrichshain. Lucs Mutter, Silvie Kern, eine rotblonde Frau mit haselnussbraunen Augen, wird sich gleich ebenfalls Richtung Spree aufmachen, mit dem Fahrrad - eine Freundin besuchen. In etwa zwei Stunden, so der Plan, will die junge Familie wieder zusammentreffen - damit Sylvie den kleinen Luc stillen kann. Atmo 3 Silvie: Gehst auf aufregende Reise mit dem Papa, hm? (Kind brabbelt.) Silvie: Ja, ja, die Geschichte kannst du jetzt dem Papa erzählen. Autorin 3 Golo - Sommersprossen, Wangengrübchen, Schiebermütze - hat inzwischen den Kinderwagen aufgebaut, seinen Sohn hineingelegt. Es kann losgehen: Atmo 4: auf der Straße Hm, kleiner Mann, jetzt sind wir draußen, ist doch gar nicht so schlecht ..." Autorin 4 Vater sein! Für Golo Trieber ist es das erste Mal. O-Ton 1 Golo Trieber Auch wenn ich ein großer Freizeitfreund bin, war vorher Arbeit aber schon das, wo man die meiste Energie reinsteckt. Und das ist jetzt einfach nicht mehr wichtig, so richtig. Ich glaube, die Babyzeit ist schon mit die coolste! Autorin 5 Aber, was heißt das eigentlich Vatersein? Woher nehmen junge Männer heute ihre Vorstellungen von Väterlichkeit? Was erhoffen sie für sich und für ihre Kinder? Und woran scheitern sie? Musikakzent, dann Autorin weiter Laut einer aktuellen Studie des Bundesfamilienministeriums geben 70 Prozent der heutigen Väter an, sich stärker als ihre eigenen Väter für ihre Kinder zu engagieren. Fast 80 Prozent wünschen sich mehr Zeit für ihre Familie. Jeder zweite Vater kann sich vorstellen, für mehr Zeit mit Kindern finanzielle Einbußen im Beruf hinzunehmen. 60 Prozent der Eltern mit Kleinkindern fänden es ideal, wenn sich beide Partner gleichermaßen in Beruf und Familie einbringen können. Die Forscher sprechen dabei von einem Paradigmenwechsel, das Bundesfamilienministerium von einer "neue Dynamik". Doch wie kommt es, dass eine partnerschaftliche Aufteilung der Kinderbetreuung in der Praxis die Ausnahme bleibt? Dass, statistisch gesehen, niemand in Deutschland mehr und länger arbeitet als junge Väter? O-Ton 2 Hans Bertram Stellen Sie sich vor, ein Mann sagt, drei Kinder, ich setze jetzt mal für drei Jahre aus. Wenn er das macht und er ist jetzt nicht in einem Handwerksbetrieb beschäftigt, da wird ihm der Chef gleich sagen: Das kannst du vergessen. Autorin 7 Hans Bertram. Er ist emeritierter Soziologe der Berliner Humboldt- Universität und einer der renommiertesten Familien- und Väterforscher in Deutschland. O-Ton 3 Hans Bertram Nehmen wir an, er ist in einem großen, familienfreundlichen Konzern, der alles für Familien tut. Die Wahrscheinlichkeit, dass wenn der nach drei Jahren zurückkommt, Karriere fortsetzen kann, die halte ich für ziemlich gering. Weil das so ungewöhnlich ist, ein solches Verhalten, dass man davon ausgeht: Der ist nicht wirklich motiviert! Autorin 8 In deutschen Chefetagen herrscht oftmals ein Geist, der mit der gesellschaftlichen Realität nicht Schritt hält - davon ist der Soziologe überzeugt. Viele Väter wollen beides zugleich sein, erfolgreich im Job und fürsorglich zu Hause. Doch wie bei berufstätigen Müttern lässt sich beides kaum unter einen Hut bekommen. "Die überforderte Generation" nennt Hans Bertram die gestressten 30- bis 40jährigen, die sich in einer Phase beruflicher Höchstleistungen für die Gründung einer Familie entscheiden. Atmo 5 Väter toben mit Kindern, darüber: Autorin 9 Natürlich lassen sich Fragen nach männlicher Fürsorge, nach Elternzeit und Karriereplänen nie nur "rein wissenschaftlich" ergründen. Immer spielen auch die eigenen Erfahrungen eine Rolle, Geschichten aus dem Freundes- und Familienkreis. Was sagen die Männer selbst? Wie erleben sie, die junge Väter den Spagat zwischen Familie und Beruf? Atmo 6 Collage/Umfrage Mann 1: Da muss man sich schon anhören, es gibt diese Elternzeit, da können wir nichts gegen machen, aber früher hat's doch auch geklappt. Oder: vorher haben Väter einen Monat genommen und das war's. Mann 2: Aus dem Job quasi auszusteigen, um mehr Zeit mit Kind zu haben, Elternzeit, weniger zu arbeiten, fand ich eine sehr einfache Entscheidung. Umgekehrt aber wieder reinzukommen, fand ich relativ schwierig. Der Schritt, den in der Vergangenheit öfter Frauen hatten. Autorin 10 Der Begriff des Familienvaters geht zurück auf den Terminus "pater familias" im Römischen Reich - er war das uneingeschränkte Oberhaupt der Familie: Er verfügte über den Familienbesitz, herrschte über seine Kinder, seine Frau, seine Sklaven und alle weiteren Familienmitglieder. Er - und nur er - hatte das Recht, Geschäfte abzuschließen, Neugeborene auszusetzen, seine Kinder zu verheiraten und die Familie als Priester gegenüber den Göttern zu vertreten. Autorin 11 Bis in die frühe Neuzeit hinein war die Familie eine religiöse und wirtschaftliche Gemeinschaft, der der Vater als eine Art Stellvertreter Gottes auf Erden vorstand. Oder, wie es der Philosoph Dieter Thomä beschreibt: Gottvater stand im Zentrum der Welt, der Monarch im Zentrum des Staates und der Vater im Zentrum der Familie. O-Ton 4 Dieter Thomä Und dieses Modell war das Modell des Patriarchats: Eine Gewaltgesellschaft, in der ungeheure, brutale Macht ausgeübt wurde. Autorin 12 Mit der Aufklärung wandelt sich das Bild. Der französische Pädagoge und Philosoph Jean-Jaques Rousseau formuliert Mitte des 18. Jahrhunderts neue Erziehungsideale: Das Kind solle sich dem Vater nicht mehr nur unterordnen, sondern - Zitat - "seinen eigenen Charakter in völliger Reinheit entwickeln können". Und schließlich gerät mit der französischen Revolution ab 1789 die Monarchie selbst unter die Räder. Dieter Thomä: O-Ton 5 Dieter Thomä: Der Witz war, dass mit dem Aushebeln der politischen Autorität des Landesvaters dann auch die familiäre Autorität des Vaters zu Hause untergraben worden ist - und dann stand man - konservativ gesprochen - vor einem Schlamassel, fortschrittlich gesprochen vor einer neuen Chance. Autorin 13 Der Chance, die Beziehungen innerhalb der Familien neu zu bestimmen. Genau das aber geschieht nicht. O-Ton 6 Dieter Thomä: Die Französische Revolution hat das alte Patriarchat durch die Brüderlichkeit ersetzt - und Brüder sind ja Männer, das bedeute, dass Männer ganz zufrieden waren, wenn zu Hause das kleine, feine Patriarchat noch erhalten blieb. Autorin 14 Erst mit der Industrialisierung geht ein Wandel der Geschlechterrollen einher: Weil die häuslichen Webereien und Färbereien Mitte des 19. Jahrhunderts unrentabel werden, suchen viele Männer außerhalb der Familie nach Arbeit, ihr Einfluss auf die Erziehung der Kinder schwindet. In den frühen Fabriken aber zählt nicht, woher man kommt, zu welcher Familie man gehört. Hier sind die Männer einfach nur Arbeiter. Ihre Qualitäten werden an ihren beruflichen Erfolgen gemessen - daran, wie viel Geld sie am Monatsende nach Hause bringen. In gewisser Weise ist das bis heute so geblieben. O-Ton 7 Hans Bertram Man muss vielleicht akzeptieren, dass die Männerrolle doch sehr viel stärker über den Berufserfolg definiert wird, als über andere Aktivitäten. Autorin 15 sagt Hans Bertram. O-Ton 8 Hans Bertram Während die Frauenrolle, wenn sie Kinder haben, immer die Möglichkeit hat, zwischen den Rollen zu wechseln. Das hat ein Mann im Grunde genommen in unserer Gesellschaft nicht. Ein Mann, der in unserer Gesellschaft fürsorglich sein will, der hat keinen guten Status. Autorin 16 Die Ursachen dafür sieht der Wissenschaftler in einem grundsätzlichen Missverständnis: Kindergroßziehen ist in unserer Gesellschaft in erster Linie eine private Angelegenheit, die - zumeist von Frauen - kostenlos erledigt wird: O-Ton 9 Hans Bertram Das glaube ich ist das Kernproblem unserer Gesellschaft, dass wir davon ausgehen: Fürsorglichkeit gibt es umsonst, von selbst, darum müssen wir uns nicht kümmern, und ich sage: Es ist ein so knappes Gut, genau so wie ökonomische Arbeit, und wir sollten wirklich viel mehr darüber nachdenken, wie wir diese Fürsorglichkeit in den Lebensverlauf von Menschen einbauen. Autorin 17 Väter sind einen weiten Weg gegangen: Vom nahezu unumschränkten Alleinherrscher in den Familien zur familiären Randfigur, die sich vor allem über ihre beruflichen Erfolge definiert, bis hin zu den so genannten "Neuen Vätern" - junge Männer, die sich mitunter lautstark für mehr Zeit in ihren Familien einsetzen. Mit Erfolg: Nach jahrzehntelangen Bemühungen um die rechtliche Gleichstellung von Frauen - als Ehegattin, Mutter und Arbeitnehmerin, haben die Gesetzgeber nun umgekehrt begonnen, Väter in ihrem Familienengagement zu stärken. Musikakzent Etwa mit Hilfe des 2007 eingeführten einkommensabhängigen Elterngelds. Für gut verdienende Väter sind die finanziellen Einbußen bei einer Babypause seither deutlich besser zu verkraften. Arbeiten Väter und Mütter anschließend in Teilzeit weiter, können sie die Bezugszeit des Elterngelds verlängern: Seit 2015 gibt es für einen Monat Elterngeld zwei Monate lang ElterngeldPlus. Doch trotz allem sind es noch immer die Mütter, die nach der Geburt im Schnitt elf Monate zu Hause bleiben. Während nur 33 Prozent aller Väter Elternzeit nehmen, davon 80 Prozent gerade mal für zwei Monate. Warum? Atmo 7 Papa-Laden/Spielplatz O-Ton 10 Eberhard Schäfer Ich würde die Schnittstellen ehrlich gesagt weniger in der Gesellschaft suchen als in der Paarbeziehung. Autorin 18 sagt Eberhard Schäfer vom Väterzentrum Berlin im Prenzlauer Berg, wo Väter nicht nur Beratungen zu Geburt, Elterngeld oder Sorgerecht finden, sondern auch das Papa-Café - geöffnet immer donnerstags von 10-12 Uhr. "Ein Schutzraum für Vater und Kind", - mit Tobe-Matte, Plastikrutsche, Legosteinen und Kaffeemaschine. Eberhard Schäfer sieht die Verantwortung für die mickrige Elternzeit-Bilanz von Vätern nicht nur bei den Arbeitgebern, er verweist auf die Paare selbst: O-Ton 11 Eberhard Schäfer Es ist nicht der Mann alleine, der sagt und entscheidet: ich nehme zwei Monate Elternzeit, sondern es ist ein Paar! Und dann sagen die Frauen in allererster Linie: Das Kind und ich - das ist so eine nahe Beziehung, da gibt's gar keine Alternative dazu! Das nennt man Re- Traditionalisierung: Vorher haben sie es sich vielleicht anders gedacht, aber nachher kommen diese - meines Erachtens nach - sehr archaischen Rollenmuster, die man seit Jahrhunderten kennt und wo auch der Einfluss der eigenen Herkunftsfamilie ein großer ist. Autorin 19 Weshalb das so ist, kann der Familienvater so genau nicht sagen: Aufgefallen ist ihm allerdings, dass Väter häufig schon vor der Geburt marginalisiert würden. O-Ton 12 Eberhard Schäfer Rund um die Geburt: Alles dreht sich um die Frau und ihren Bauch! Und nach der Geburt: dreht sich alles um die frischgebackene Mutter und "ihr" Baby! Und der frischgebackene Vater /darf stolz auf sich sein - aber die Rolle, die ihm zugedacht wird / vor allem auch von seiner eigenen Partnerin, ist die des Helfers und Assistenten: Er darf die Windeln zum Müll bringen und ein bisschen was helfen. Autorin 20 Häufig könne der Vater seine eigene Beziehung zum Kind dabei nur vermittelt - über die Mutter gestalten. Ein Fehler, findet Eberhard Schäfer. O-Ton 13 Schäfer Es gibt Untersuchungen: Wie konstelliert sich die Vater-Mutter-Kind- Beziehung zum Beispiel mit einem vier Monate altem Säugling. Und man hat festgestellt: Väter, die sich von Anfang an wenig Zeit nehmen, wenn die mit ihrem vier Monate alten Säugling in Interaktion treten, dann wendet das Baby den Blick zuerst zur Mutter: Das Baby holt sich quasi ein ok bei der Mutter, ob der Vater jetzt ok ist. Autorin 21 Für diese Kommunikation über Eck benutzen einige Forscher auch den Begriff "maternal gatekeeping". Damit soll eine Art Türwächter-Verhalten von Müttern beschrieben werden, deren mangelndes Vertrauen in die erzieherischen Kompetenzen ihres Partners die Beziehung zwischen Vater und Kind ausbremst oder zumindest belastet. O-Ton 14 Schäfer ... und um das zu vermeiden oder das gar nicht erst zu entstehen zu lassen ist unser klarer Rat an die Väter: Wenn ihr nicht wollt, dass euer Kind sich immer erst das ok von der Mama holen muss, /dann seid von Anfang an in direktem Kontakt, und zwar ein nennenswertes Maß an Zeit: das ist ein Schlüssel zur eigenständigen Vater-Kind- Beziehung. Atmo 8 Hey, kleine Maus ... (Kind weint) Wir sind doch gleich da! ... ja, wir sind gleich da, oh .. hast du Hunger? ... (Weint lauter) ... ok weiter fahren!!! Autorin 22 Der kleine Luc ist aufgewacht, eine Stunde zu früh. O-Ton 15 Golo: Könnte doch Hunger sein ... Autorin 23 Golo Trieber schiebt seinen Kinderwagen zügig durch den Görlitzer Park, feine Schweißperlen auf der Stirn. Er will auf kürzestem Weg zu Lucs Mutter. Neben ihm taucht ein Mann mit einem Laubgebläse auf. (Lärm) Egal, nur weiter: O-Ton 16: (Luc schreit, Laubgebläse ist ebenfalls zu hören, dann leiser) Jetzt ist, Hochgeschwindigkeitsschieben angesagt, /der Kleine hat Hunger und das Café ist noch ein Stück weg ... jetzt kann ich nichts mehr machen, rausnehmen ist zu kalt, da würde er sich vielleicht noch mal beruhigen ... wie viel haben wir noch vor uns?? einen Kilometer??? Wir müssen? Eh, nach rechts ... "jetzt kommt der Schwitzmodus, / wo der Kleine schreit und man nichts machen kann ... voll nervig. Autorin 24 Noch 1,5 Kilometer bis zur Mama. Der junge Vater beginnt zu rennen. O-Ton 17 (Luc brüllt.) Oh! (Golo rennt:) "Zum Glück haben wir einen Jogging- kompatiblen Kinderwagen!" (rennt und redet:) "Hey, Hallo, kleiner Mann, wir sind auf dem Weg!!! Autorin 25 Eine eigenständige Vater-Kind-Beziehung. Sie kann das Größte darstellen, was ein Mann in seiner Entwicklung erreichen kann, glaubt Eberhard Schäfer vom Väterzentrum-Berlin. Können Väter ihren Kindern etwas geben, was Mütter nicht auch könnten? Eberhard Schäfer schüttelt den Kopf. O-Ton 18 Eberhard Schäfer Aus meiner bescheidenen Sicht wird der Unterschied zwischen Müttern und Vätern viel größer gemacht als er in Wirklichkeit ist, ich vertrete eher die These, dass sich eine Mutter von einem Vater wenig bis gar nicht voneinander unterscheidet. Väter können mit ihren Kindern toben, Mütter auch - es wird vielleicht weniger gesehen. Aber Väter sind auch mal ganz ruhig mit ihren Kindern oder ganz zärtlich. Ich mach da keinen Unterschied. Autorin 26 Egal wie: Väter sind wichtig, so Eberhard Schäfer. Ihre Aufgabe sei es, die Mutter-Kind-Symbiose aufzubrechen - damit das Kind sich von der Mutter ablösen und eine eigene Identität entwickeln könne. Triangulierung heißt der psychologische Fachbegriff dazu. Tri - wie Drei. Atmo 9 Golo Trieber: Jetzt schreist du nicht mehr, na toll! Jetzt, wo wir da sind! Autorin 27 Golo Trieber ist nach fünf Kilometern endlich am vereinbarten Ort angekommen. 700 Meter vor dem Ziel hat der vier Monate alte Luc aufgehört zu schreien. Still und aufmerksam schaut er vom Kinderwagen aus seinen Vater an. Atmo 10 Golo: "Komm, wir schreien die Mama noch mal an! Los!" (Café- Tür geht auf. Silvies Stimme ist zu hören ... ) Autorin 28 Der Vater öffnet die Tür zum Café - setzt sich erschöpft auf einen Stuhl. Geschafft. O-Ton 19 Victor Chu Das Kind startet ja aus der Mutter-Kind-Symbiose - das ist eine Zweierbeziehung. Autorin 29 Victor Chu. Der Heidelberger Arzt und Psychotherapeut versteht unter einer erfolgreichen Triangulierung eine geglückte Erweiterung: O-Ton 20 Victor Chu Und wenn der Vater dazu kommt, entsteht so was wie ein Dreieck, dann hat das Kind zwei Bezugspersonen zwischen denen es hin und her pendeln kann. Dann ist es nicht nur an die Mutter gebunden, es hat auch die Möglichkeit zu schauen, dass es von der Mutter weggehen kann, weggehen darf und andere Menschen erkundet. Autorin 30 Victor Chu, selbst vierfacher Vater, hat viele Bücher geschrieben: über Liebe, Treue, Scham, Familiengeheimnisse und das Elternsein. In seinem neusten Buch "Vaterliebe" beschreibt er etwas, das viele Papa-Ratgeber zwar behaupten, aber selten begründen: warum genau Väter denn eigentlich so wichtig sind für die Entwicklung ihrer Kinder. O-Ton 21 Victor Chu Der Vater gibt dem Kind Schutz, Sicherheit. Dann gibt der Vater dem Kind Orientierung. Und das dritte: Identifikation - wer bist du, woher kommst du und wohin gehst du? Und wenn ich noch was hinzufügen darf, dann ist das Beziehungsfähigkeit: Also wie es ist, Partnerschaft zu leben und später eine Familie zu bilden. Autorin 31 All das kann ein Kind natürlich auch von einem Stief- oder Adoptivvater lernen oder von der lesbischen Partnerin der Mutter. Gänzlich austauschbar oder gar verzichtbar ist der Vater für Victor Chu dennoch nicht: O-Ton 22 Victor Chu Jeder Mensch stammt von einem Vater und einer Mutter ab. Das heißt, ich muss Vater und Mutter kennen, damit ich Ganz sein kann. Autorin 32 Denn, so Victor Chu, egal in welchen Verhältnissen ein Kind aufwächst, irgendwann will es wissen, wer seine leiblichen Eltern sind. Der Blick eines Vaters auf sein Kind - mag er ablehnend, liebevoll oder auch nur billigend sein - ist gewichtig. Wie bei der Mutter gilt: Man trägt ihn in sich, sein Leben lang. Musik: R. Reiser: "Ich will nicht werden, was mein Alter ist" Autorin 33 Umfragen zeigen: Die meisten jungen Väter wollen heute andere Väter sein. Vor allem wollen sie mehr Zeit mit ihrem Nachwuchs verbringen als sie es bei ihren eigenen Vätern erlebt haben. Wie aber wird man ein besserer Vater? O-Ton 23 Victor Chu Als ich zum ersten Mal Vater wurde, da wollte ich alles besser machen als mein Vater. Autorin 34 erzählt Victor Chu. O-Ton 24 Victor Chu Und wo bin ich gelandet? Ich war genauso viel weg von zu Hause, ich war genauso wie mein Vater. Und da hab ich gemerkt: Man lernt einfach vom Vorbild und man wiederholt das, leider! Autorin 35 Männer, die es wirklich besser oder zumindest nicht genauso machen wollen wie ihre eigene Väter, finden heute viele Anregungen: Es gibt stapelweise Väter-Ratgeber, Geburtsvorbereitungskurse nur für Männer, Papa-Cafés, Vater-und-Kind-Reisen und hier und da auch schon mal verständnisvolle Arbeitgeber. Das alles aber, sagt Victor Chu, könne höchstens unterstützen. Entscheidend sei etwas anderes: O-Ton 25 Victor Chu Wenn ich wirklich ein anderer Vater sein will, ein besserer Vater, der mehr für die Kinder da ist, ist es eben wichtig, dass ich mich mit meinem Vater auseinandersetzte, herausbekomme, warum er so wenig da war. Und wenn ich das analysiert habe und mich erkannt habe, dann kann ich die Bedingungen für mich selber wie ich Vater sein will, besser regulieren. Atmo 11: ein alter Vater singt: "And I will always love you" auf der Bühne Autorin 36 Wie schwer solche Auseinandersetzungen mitunter sind, zeigte das siebenköpfige Künstlerkollektiv "She She Pop" als es vor einigen Jahren die eigenen Väter auf die Bühne holte - und einem Abend nach Shakespeares Stück "König Lear" gestaltete. Die echten, die eigenen Väter sollten auf die Bühne kommen und das Erbe an ihre Kinder verteilen - zu Lebzeiten und vor Publikum: Wut, Enttäuschung und Vorwürfe auf beiden Seiten kamen zur Sprache, und vielleicht zeigte sich hier am deutlichsten, dass über Jahre aufgestaute Missverständnisse zwischen Vater und Kind - selbst im "Spiel", das Theater ja ist, kaum versöhnlich zu verhandeln sind. Atmo 12: She She PoP "Ich verzeih dir, dass ich auf den stundenlangen Super8-Filmen nur drei Minuten zu sehen bin.... dass du, ..., (wird immer wütender) .... Denn ich bin sicher, du hast alles so gut gemacht wie du konntest" Autorin 37 Lohnen kann sich eine Aussprache mit dem eigenen Vater trotzdem, besonders für Männer. O-Ton 26 Victor Chu Gerade wenn ich als Mann dastehe, und als Vater, dann brauch ich meinen Vater und meine Vorväter im Rücken, damit ich wirklich Vater sein kann. Also ich kann nicht im luftleeren Raum hier und heute in der Postmoderne ein Vater sein ohne irgendein Vorbild von Väterlichkeit. Ich muss also einerseits mit der Tradition meiner Väter und Vorväter auseinandersetzen, damit ich weitergehen kann. Atmo 13 Kita abholen, darüber: O-Ton 27 Fabian Soethof Alle Väter meiner Generation sind sich einig, dass sie nicht mehr klassische Rollenaufteilungen wollen, wie es in der Generation unserer Eltern war. Vater geht arbeiten, 50,60 Stunden und sieht die Kinder nur am Wochenende. Das soll's nicht sein. Autorin 38 fasst Fabian Soethof es zusammen, als er seinen zweieinhalbjährigen Sohn von der Kita im Berliner Bezirk Neukölln abholt. O-Ton 28 Fabian Soethof Aber wie man einen Mittelweg schafft, ist echt ein Problem, weil die Leute in der Praxis Probleme mit Arbeitgebern haben, dass die mit der Elternzeit nicht so flexibel sein wollen, wie sie zwar müssen, aber es noch nicht so recht einsehen, weil es ja früher anders war. Atmo 15 Spielplatz, Wo ist der Hubschrauber? Hinter dir ist ein Müllauto, das hörst du, auf der anderen Seite, geh mal da gucken! Autorin 40 Für Fabian Soethof ist selbstverständlich, dass er beim Kindergroßziehen ebenso gefordert ist wie seine Frau. Diese Einstellung teilen die meisten in seinem Umfeld, erzählt der Berliner, der einen Väterblog namens "NewKidandtheBlog" betreibt. Eine unterhaltsame Zusammenstellung mit Porträts von Kiezvätern, Infos rund ums Kinderkriegen und Schnappschüssen wie einem "Punk is Dad"-Graffiti, das auf einer Autogarage prangt: Punk ist nicht tod, Punk ist mein Daddy! Ton 30 Fabian Soethof Ich versuche mir zu verbieten, irgendwelche Tipps zu geben. Es gibt auch so ein paar Väterblogs, mit dem Claim: Tipps, wie du der perfekte Vater wirst, das finde ich ganz schrecklich. Ich wollte unterhalten. Musik darüber: Autorin 41 Der Väterblog ist ein Hobby neben dem Beruf, Fabian Soethof und seine Frau sind Akademiker, fest angestellt. Beide möchten in Zukunft ihre Arbeitsstunden zeitweise reduzieren, das Elterngeld macht's möglich. Ein Haushalt mit Doppelverdienern in Teilzeit - das ist der Garant dafür, es anders zu machen als die eigenen Eltern. Bei den Soethofs ist der Kulturwandel angekommen, doch wie repräsentativ ist die Familie für ganz Deutschland? Gibt es ein Gefälle zwischen Doppelverdienern und prekär beschäftigten Geringverdienern? O-Ton 31 Volker Baisch Bei vielen Paaren wird am Küchentisch ganz genau gerechnet und dann geschaut, was können wir uns leisten und was können wir uns nicht leisten. Es ist oft ein Entscheidungskriterium entweder für eine längere Elternzeit oder eine kürzere Elternzeit. Autorin 42 Der Unternehmensberater Volker Baisch hat 2010 eine gemeinnützige "Väter GmbH" für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus Vätersicht gegründet. O-Ton 32 Volker Baisch Wir wissen zum Beispiel auch, dass die Wahrscheinlichkeit eines Vaters, der eine Partnerin hat, die mindestens genauso viel verdient wie er, um 150 Prozent steigt, dass er längere Elternzeit nimmt, als wenn er eine Partnerin hat, die weniger verdient. Autorin 43 So paradox es auch klingt: Väterförderung und Frauenförderung hängen zusammen. Das Ideal der Partnerschaftlichkeit setzt voraus, dass Väter und Mütter ähnlich viel verdienen. Noch deutlicher formuliert es der Familienforscher und Soziologe Hans Bertram: O-Ton 33 Hans Bertram Solange Sie nicht sicherstellen, dass die Frau auf beiden Beinen ihre eigenen Lebensentscheidungen so treffen kann, wie sie das selbst will, werden Sie auch nie einen selbstständigen Vater bekommen. Die beiden Rollen sind ja so eng miteinander verwoben, dass beide Rollen so organisiert sein müssen, dass sie in beiden Lebensbereichen auf Augenhöhe sind. Musik darüber: Autorin 44 Doch genau das ist in Deutschland nur die Ausnahme. Im Schnitt verdienen Männer zwanzig Prozent mehr als Frauen. Der Unternehmensberater Volker Baisch macht sich keine Illusionen: Eine partnerschaftliche Aufteilung der Kindererziehung ist in Deutschland eine Frage des Geldbeutels. O-Ton 34 Volker Baisch Natürlich, man muss sich Partnerschaftlichkeit leisten können. So wie wir es im Moment finanzieren, von der Lohnersatzleistung über das Elterngeld oder über die Partnerschaftsmonate, können sich das im Prinzip wirklich nur Gutverdiener leisten. Atmo 16 Collage/Umfrage Frau 1: Das erleben wir auch in unserem Freundeskreis bei ganz vielen, dass die Mütter ganz lange zu Hause bleiben, weil die Väter voll durcharbeiten, das hat mich persönlich überrascht bei Freunden. Mann 1: Es gibt im Bekanntenkreis genug, wo der Besserverdiener keine Elternzeit nimmt, weil sich das dann finanziell weniger stark niederschlägt. Frau 2: Das ist, glaube ich, in vielen Fällen einfach nicht gegeben, Elternzeit zu nehmen; das hat oft praktische Gründe, es ist schwierig zu organisieren für den Arbeitgeber und ungewohnt. Es fehlt auch in der Gesellschaft an role models! O-Ton 36 Hans Bertram Wir haben in unserer Gesellschaft noch daran zu arbeiten, dass Fürsorglichkeit von Vätern Teil ihrer Lebensrolle sein kann. Solange das nicht der Fall ist, bin ich mir eben nicht sicher, ob nicht die Identifikation mit dem Beruf eine stärkere Bedeutung für die Männer hat als bei den Frauen. Und das ist sicherlich noch ein langer Weg, bis sich das ändert. Atmo 19 Aufstehen am Küchentisch Autorin 46 Was heißt, langer Weg? Fünf Jahre? Zehn Jahre? - Draußen ist es inzwischen dunkel geworden. Die Kinder müssen ins Bett, unsere Küchentisch-Runde löst sich auf. Die Pioniere unter den Vätern - sie sind längst da. Es wird Zeit für eine Massenbewegung! Atmo 20 Frau zu Kind: Und, läufts du jetzt nach Hause? Kind: Tragen, Papi! Vater: Ich trage dich, wenn ich dich auch ins Bett bringen darf, versprochen? Kind: Nein, du! - Mutter: nein, Papa! Alle (am Küchentisch): Papa, Papa, Papa! 1