Das Wissen auf der hohen Kante - Biobanken als Fortschrittsmotor und Kontrollinstrument" (Autoren: Andrea und Justin Westhoff) Regie: Musik (instrumental, spannend, Krimi), darauf: Zit.: "Es gibt keine Geheimnisse mehr, Mama." Sprin: Dass mit diesem Satz ein Mörder seine Tat erklärt, wird erst viel später klar im Kriminalroman "Nordermoor" von Arnaldur Indridason. Zit.: "Ich habe gegen die Vorschriften verstoßen, um den Code zu knacken. Ich wollte wissen, ob diese Krankheit in unserer Familie auftritt." Sprin: Der Krimi spielt in Island und zieht seine Dramatik aus einer realen wissenschaftlichen Entwicklung. Der kleine Staat hatte als einer der ersten eine große, private Datenbank unterstützt, in der die Krankenberichte aller lebenden und verstorbenen Einwohner und zugleich genetisches Material gesammelt und mit den Stammbaumdaten sämtlicher Isländer verglichen werden. Das wichtigste Ziel des Projektes namens DeCode: Herauszufinden, wie sich Krankheiten vererben und Heilungsmöglichkeiten zu suchen. Regie: Musik weg Spr. v.D.: Das Wissen auf der hohen Kante - Biobanken als Fortschrittsmotor und Kontrollinstrument Eine Sendung von Andrea und Justin Westhoff Regie: Atmo vom Anfang OT 01 schon unter Titel anfangen O-Ton 01: Führung Biobank /Teupser 0'18" (mit Atmo: 0'37") Atmo - Die Biobank besteht bei uns aus zwei Räumen, das eine ist ein Probenvorbereitungsraum, ist relativ klein, hat etwa 15 qm, und dann gibt es ein großes Lager, wo die Tanks dann stehen, wo die Proben aufbewahrt werden, das ist dort etwa 100 qm groß, dieses Lager. - Atmo Regie: folgender Spr. schon auf Atmo am Ende von OT 01 Spr.: Ortstermin in Leipzig, Uniklinik. Professor Daniel Teupser führt durch sein Reich: Sieben etwa ein Meter hohe Stickstofftanks, und darauf jeweils eine Werkbank, in deren Öffnungen die Mitarbeiter mit Handschuhen greifen und Proben einsortieren. Eine Maschine fährt diese dann hinab in die Kühltürme. Regie: Atmo von Anfang OT 2 schon unter Spr. O-Ton 02: Führung Biobank /Teupser 0'22" (?: 0'43") Atmo - Wir haben uns hier jetzt für den qualitativ besten Weg entschieden, und zwar einer Lagerung im Flüssigstickstoff, also bei unter minus 140 Grad Celsius. Alternativ und wesentlich häufiger wird eben Lagerung bei minus 80 Grad Celsius verwendet, aber eben je tiefer die Temperatur ist, desto besser ist die Haltbarkeit der Proben über die Zeit. - Atmo Regie: folgender Spr. schon auf Atmo von Ende OT 2 Spr.: Biobanken sind Sammlungen von Proben menschlicher Körpersubstanzen: Zellen, Gewebe, Blut, Urin oder Sperma - "Material", wie es täglich tausendfach bei medizinischen Untersuchungen anfällt. Dazu werden die persönlichen Daten jener Menschen erfasst, von denen die Proben stammen. Wichtige, riesige Werkzeuge für die moderne Forschung also, über die die meisten Menschen allerdings kaum etwas wissen, wie die jüngste europäische Biotechnologie-Umfrage zum Thema Biobanken zeigt. Eine letztlich brisante Ahnungslosigkeit, konstatiert der Nürnberger Theologe Professor Peter Dambrock. O-Ton 03: Dambrock (0'26") Es gibt eine große Unkenntnis und Skepsis. Wenn Sie also fragen in der europäischen Bevölkerung, dann wissen mal grade 17 Prozent überhaupt etwas mit dem Terminus anzufangen und die anderen überhaupt nicht. Es ist ein prekäres Potential, was auch ganz schnell, gerade in diesen Zeiten, wieder umkippen kann in ein Misstrauen. Dieses zeigt zumindest, dass es ein hohes Skandalisierungs- und Problematisierungspotential gibt. Spr.: Die skandinavische Bevölkerung allerdings ist angetan von der Idee Biobanking: des Biobanking und beteiligt sich fleißig daran. Die Isländische engl. ausspr. Firma DeCode Genetics war 1996 zwar Pionier bei der modernen Daten- und Biomaterialsammlung. Sie griff dabei aber auf eine genealogische Datenbank zurück, die in Island längst existierte, und in der jeder Bürger seinen Stammbaum bis ins Mittelalter zurückverfolgen konnte. Forschung an menschlichem Material gab es hier ebenfalls - wie im Krimi. Regie: Musik (s.o.), darauf: Sprin: Auch in diesem Punkt ist "Nordermoor" nahe an der Realität. In den bizarren Windungen des Mordfalles stößt der Kommissar auf einen Arzt, der Untersuchungen an Organen Verstorbener machte, die er aus dem "Gläserpalast" einfach mitgenommen hatte. Zit.: Gläserpalast? - Ja, so nannten die Studenten den Saal in der Uni, in dem Glaskrüge mit Organen in Formalin standen. Krankenhäuser hatten das "Material" von Verstorbenen geliefert. Niemand erhob Anspruch auf die Eingeweide, Herzen, Nieren und Gehirne, sie dienten nur noch Medizinstudenten als Unterrichtsmaterial. Und eines Tages wurde der "Gläserpalast" aufgelöst, das Material entsorgt - und manches haben wohl "Sammler" mitgenommen. Regie: Kreuzblende Musik (s.o.) und Atmo von OT 4 schon unter Zit. O-Ton 04: Führung Biobank / Thiery 0'35" (? 0'51") Atmo - Biobanken gibt es seit hunderten von Jahren, der Unterschied ist heute, dass wir die Qualität an eine solche Biobank viel, viel höher setzen, eben nicht der Kühlschrank, in dem man einfach mal so sammelt, und irgendwann hat man dann vergessen, was da drin ist, und dann wird wieder alles weggeworfen, sondern das ist sehr systematisch, sehr genau, auch über einen längeren Zeitraum hinaus, zum Beispiel, es wird ein neuer Tumormarker entdeckt, dass man dann die Möglichkeit hat, dies in einer solchen Probenbank dann auch zu bestätigen. Das heißt, man gewinnt Zeit für unsere Patienten, für die Vorbeugung von Krankheit. - Atmo Regie: Atmo vom Ende OT 4 unter folgendem Spr. wegblenden Spr.: Für Professor Joachim Thiery sind moderne Biobanken wie seine in Leipzig ein Fortschrittsmotor. Grundlegende Kritiker der Biobanking-Idee bezweifeln das. Sie befürchten, die Medizin werde noch mehr in eine "Genetisierung" getrieben - in eine Grundhaltung also, der zufolge alle Krankheiten allein auf das Erbgut zurückgehen. Andere Faktoren wie Lebensweise, Umwelt und vor allem der Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheitszustand würden hingegen vernachlässigt. Allerdings gibt es sehr verschiedene Arten von Biobanken: Solche, mit deren Hilfe, einzelne, insbesondere seltene Krankheiten erforscht werden sollen. Hier liegt ein besonderes Augenmerk auf genetischen Analysen. Depots für die Stammzellforschung, Blutbanken oder DNA-Sammlungen wie die beim Bundeskriminalamt zählen ebenfalls dazu. Zunehmend aber werden Biobanken für bevölkerungsbezogene Studien aufgebaut. Wie etwa die in Leipzig, die zum Forschungsprojekt "LIFE" gehört. Hier geht es um die großen Zivilisationskrankheiten wie Krebs, Allergien, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Demenzen, erklärt Studienleiter Joachim Thiery. Regie: Atmo von OT 05 schon unter Spr. O-Ton 05: Führung Biobank / Thiery 0'43" (? 1'00") Atmo - Mal ganz simpel gesagt: Ein Patient mit einem hohen Blutdruck kann alt werden, er kann aber auch früh einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erleiden. Wir verstehen zu wenig über die Variabilität von Krankheit bei vergleichbarer Belastung. Und was wir versuchen in einem großen Projekt, ist die Schaltkreise zu identifizieren, die den einen Menschen für eine Krankheit empfindlicher machen und den anderen resistent. Und dazu brauche ich zusätzliche Informationen, wie ist das Gewicht dieses Patienten? Wie ist das Alter, wie ist das Geschlecht? Wie sind bestimmte Funktionen in den Zellen beschaffen, bis hin zur molekularen Struktur des Erbmaterials. - Atmo Regie: folgender Spr. schon auf Atmo am Ende von OT 5 Spr.: Vor allem aber soll das Zusammenspiel von genetischen Faktoren mit solchen der individuellen Lebensführung und allgemeinen Umwelt- und Lebensbedingungen untersucht werden. Dazu will man Daten und Material von Patienten und gesunden Probanden vergleichen. Es leuchtet ein, dass aus den Erkenntnissen solcher Biobanken-Forschung neue Strategien zur Behandlung erwachsen können. Aber manche wissenschaftliche Fragestellung wird sich erst in Zukunft ergeben. Deshalb bringen Biobanken ein neues Datenschutzproblem und ethische Fragen mit sich: Nach geltendem Recht muss jeder Proband bei der Forschung am Menschen seine Einwilligung geben, nachdem er über Vor- und Nachteile lückenlos informiert wurde. Regine Kollek, Professorin für Technologiefolgenabschätzung aus Hamburg: O-Ton 06: Kollek (0'21") Also das ganze Konzept dieser informierten Einwilligung, auf dem die heutige biomedizinische Forschung und die ganze klinische Forschung zentral beruht, das greift nicht mehr bei den Biobanken. Wir sind immer mit diesem Problem konfrontiert: wie kann der Spender überhaupt seine Einwilligung geben vor dem Hintergrund, dass die zukünftigen Forschungszwecke einfach nicht bekannt sind. Spr.: Der Wortteil -"banken" deutet nämlich darauf hin, dass hier die Schätze aufbewahrt werden - und zwar sicher. Der Deutsche Ethikrat, in dem Regine Kollek zum Thema Biotechnik maßgeblich mitarbeitet, hat Mitte 2010 eine Stellungnahme zum Thema "Biobanking" abgegeben. Das Gremium schlägt vor, dass Menschen nun eine "globale Einwilligung" für die Forschung mit ihrem Biomaterial geben können. Im Gegenzug soll ein "Biobankgeheimnis" dafür sorgen, dass die sensiblen Patientendaten auch wirklich vertraulich und innerhalb der Forschung bleiben. Weitere Säulen im Modell des Ethikrates: Die Spender können einschränken, wozu ihr Material genutzt oder nicht genutzt werden darf, Ethikkommissionen sollen darüber wachen, dass alles mit rechten Dingen zugeht, die Qualität der Forschung soll unabhängig kontrolliert werden, und die Biobanken sollen offenlegen, was sie tun. O-Ton 07: Kollek (0'14") Was wir gemacht haben, ist, hier zusätzliche Maßnahmen für den Schutz der Spender einzurichten, die aber dann wiederum nicht so geartet sind, dass sie unserer Meinung nach die Forschung behindern. Ganz im Gegenteil: Sie eröffnen auch Freiräume für die Forschung. Spr.: Das "Fünf-Säulen-Modell" des Ethikrates wurde im April 2011 bei einer Veranstaltung mit Naturwissenschaftlern, Bioethikern, Politikern, Datenschützern und Patientenvertretern zur Debatte gestellt. Im Zentrum stand das Biobankgeheimnis: Biobanken enthalten meist sehr umfangreiche Informationen über die Proben-Spender: Krankengeschichte, Lebensgewohnheiten und Gesundheitsgefährdendes Verhalten, Arbeitsstelle, Religionszugehörigkeit, ethnische Herkunft oder auch sexuelle Orientierung. Der Ethikrat empfiehlt daher dringend eine Schweigepflicht - ähnlich der ärztlichen - für alle, die in einer Biobank arbeiten. Insbesondere dürften keine Daten etwa an Arbeitgeber oder Versicherungen weitergegeben werden. Diskutiert wurde zudem, wie man die Daten vor dem staatlichen Zugriff schützen kann, etwa durch ein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber Polizei und Behörden und ein Beschlagnahme-Verbot. O-Ton 08: Kollek (1'01") (kürzbar 0'25"/OC) Weil wir ja auch heute schon sehen, welche nachteiligen Folgen aus dieser Freigabe von Daten auch folgen können, die Stigmatisierung von Personen im Internet, die ist ja hinreichend bekannt, und gerade das wollen wir natürlich vermeiden vor allem in einem Bereich, wo es um noch sensiblere Daten geht wie Gesundheits- und Krankheitsdaten, Lebensstildaten und so weiter, denn der Umfang der Informationen in Biobanken kann ja sehr hoch sein. Und wir wollen auch vermeiden, dass die Strafverfolgungsbehörden oder auch andere Zugriffe im Zusammenhang mit Strafprävention und so weiter hier erfolgen dürfen. Spr.: Manch ein Wissenschaftler hingegen befürchtet, dass eine zu strenge Beschränkung die deutsche Forschung behindern und international abhängen könnte. So auch Professor Erich Wichmann von der Populationsbiobank in München. O-Ton 09: Wichmann (0'35") Ich schildere nur 'mal, wie ich das aus der Praxis her befürchte: Nehmen wir an, wir haben einen Kollegen in Paris, der eine Studie koordiniert, wo aus verschiedenen Ländern Bioproben benötigt werden, und der möchte meine Proben haben, dann bin ich verpflichtet, ihn darauf hinzuweisen, dass er sich an die in Deutschland hierfür geltenden Regeln hält. Und obwohl gar kein Risiko damit verbunden ist und er nur pseudonymisierte Daten hat, könnte es sehr schnell passieren, dass wir hier einen Verwaltungsaufwand bekommen, wo er sagt, 'weißte Junge, behalt deine Proben, ich hab einen Freund in England, bei dem geht das schneller'. O-Ton 10: Taupitz (0'07") Es wird immer gefragt: Ja sind wir denn in Deutschland dann alleine auf der Welt, wenn wir ein solches Biobankgeheimnis etablieren? Nee, nee, das ist keineswegs der Fall. Spr.: ... widerspricht der Jurist Professor Jochen Taupitz, Mitglied des Ethikrates, und nennt ein Beispiel ... O-Ton 11: Taupitz (0'20") Es gibt in Amerika etwas Vergleichbares. Man kann dort als Forscher nämlich ein Zertifikat der Vertraulichkeit beantragen bei staatlichen Behörden, das Zertifikat wird allerdings grundsätzlich nur für ein einzelnes, genau definiertes Forschungsprojekt vergeben, jedenfalls nicht so global, wie wir das für die Biobankszene in Deutschland fordern. Spr.: Die Forderung nach einem umfassenden Biobankgeheimnis beruht auch auf der Sorge: Was, wenn ein Forscher - quasi von innen heraus - seine Kenntnisse für sachfremde, unethische Zwecke missbraucht? Regie: Musik (s.o.), darauf: Sprin: Der Täter im Krimi "Nordermoor" ist Forscher. Er hatte herausgefunden, dass sein angeblicher Vater eben nicht sein Erzeuger sein konnte. Daraufhin gestand ihm seine Mutter, dass sie vor seiner Geburt vergewaltigt worden war. Seine Tätigkeit in der isländischen Gen-Datenbank nutzte er nun, um seinen leiblichen Vater zu finden. Im Genforschungszentrum erfährt der Kommissar, wie das geschehen konnte. Zit.: Er hat ein Forschungsprojekt eingerichtet, er gab vor, dass das Unternehmen an den Vererbungslinien einer Tumorkrankheit arbeitete, die in Island in einigen Familien zu finden ist. Er hat gelogen, betrogen und getäuscht, aber deswegen ist es auch herausgekommen. Sprin: ... aber erst, nachdem der Mann den Vergewaltiger seiner Mutter, seinen Vater, gefunden und ihn ermordet hatte. Regie: Musik weg Spr.: Zurück in die heutige Realität. Der Kieler Medizinstatistiker Professor Michael Krawczak erzählte während der Tagung des Ethikrates von seinem Versuch, im Internet Fälle zu finden, in denen Biobanken missbraucht worden sind. O-Ton 12: Krawczak (0'25") Das ist mir nicht gelungen. Wenn man dort googelt: "missuse, Missbrauch, Biobanking", wie auch immer, dann kriegt man eine Parade von Konjunktiven: Da steht also: "Datenmissbrauch möglich", "dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet" - und ich bin fest davon überzeugt, wenn es das gäbe, würde man es finden, einen klar definierten Missbrauchsfall, wo Proben oder Daten in irgendeiner Art und Weise missbraucht worden wären, die diese Diskussion jetzt wirklich befeuern könnten. Spr.: Offenkundig werden in der Wissenschaft viele notwendige Regeln längst umgesetzt, Kontrollmechanismen greifen. Professor Wolfgang Hoffmann aus Greifswald, Herz-Kreislauf-Forscher mit einer großen Biobank: O-Ton 13: Hoffmann (0'25") Bitte teilen! Da gibt's Standards und wer das nicht erfüllt, der ist spätestens bei der übernächsten Bewilligung auch nicht mehr dabei. Spr.: Hoffmann verweist beispielhaft auf zwei große Wissenschafts-Förderer, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Bundesforschungsministerium als Kontrollinstanzen. O-Ton 13a: Hoffmann ff Die DFG guckt sehr streng, das BMBF guckt sehr streng, der zweite Punkt ist die Langfristigkeit, die Studie hat keinen Sinn, wenn ein Gerücht aufkommt, dass ich da Schindluder treiben würde oder jemand anders, das bestreite ich überhaupt nicht, es besteht theoretisch die Möglichkeit des Missbrauchs, sie ist aber extrem klein, und wir haben sehr effektive Mechanismen, um das zu verhindern. Spr.: Forscher argumentieren zudem mit dem Unterschied zwischen allgemein skeptischer Stimmung und der Praxis: Wenn eine Klinik zur Beteiligung an einer Studie aufruft, sind bis zu 90 Prozent der Angesprochenen bereit dazu. Das Vertrauen in den Datenschutz bei der medizinischen Forschung ist vorhanden. O-Ton 14: Taupitz (0'09") Aber das kann sich sehr schnell ändern, und wir als Ethikrat meinen, dass die Gesellschaft hier vorbeugend dazu beitragen soll, dass die Spenderbereitschaft auch in der Zukunft aufrechterhalten wird. Spr.: ... mahnt der Medizinrechtsexperte Jochen Taupitz. Und Fälle, in denen Dritte auf Biobank-Daten zurückgegriffen haben, gab es durchaus schon. In Schweden zum Beispiel werden - mit Einwilligung der Eltern - alle Neugeborenen auf eine bestimmte Krankheit untersucht, und die Blutproben und Personendaten bleiben gespeichert. Dieses Register wurde 2003 nach dem Mord an der Außenministerin Anna Lindh durchforstet, um dem Täter auf die Spur zu kommen. Später wurde diese Biobank noch einmal genutzt, um die schwedischen Opfer der Tsunami-Katastrophe in Thailand zu identifizieren. Das schwedische Biobank-Gesetz, das dieses Vorgehen verbot, wurde dazu kurzerhand geändert. Und eine besondere Volte: Bei der Suche nach einem Sexualstraftäter schließlich konzentrierte sich die Polizei zunächst auf genau jene Leute, die ihre Daten nach dem von ihnen so empfundenen "Vertrauensbruch" hatten löschen lassen. O-Ton 15: Hoffmann (0'19") Mein Petitum wäre - kein Ausnahme! Grundsätzlich Schutz, auch wenn's - Terrorismus und Atombomben ist, es wäre besser und klarer und deutlicher, das sind Daten für die Forschung und da hat keiner was mit zu tun außer dem Proband und dem Forscher - ob wir den Mut haben, weiß ich nicht, wir leben ja in dieser kollektiven Terrorsorge und so weiter. Spr.: ... plädiert aufgrund der Erfahrungen unter anderem in Schweden der Greifswalder Biobank-Forscher Wolfgang Hoffmann. Doch der Jurist Jochen Taupitz winkt gleich ab: O-Ton 16: Taupitz (0'20") Ich halte es für relativ ausgeschlossen, dass die Gefahrenabwehr völlig unterbunden wird. Also wenn konkret Leib und Leben von Menschen bedroht sind und wenn man die Chance hat, durch Zugriff auf eine Biobank Leib und Leben von Menschen zu retten, dann müssen aus meiner Sicht die Interessen der Spender am Schutz ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und so weiter zurücktreten. Spr.: Der Ethikrat hat sich in seiner Empfehlung an die Politik bemüht, den Schutz der "Biomaterial- und Daten-Spender" so stark wie möglich zu machen - was manchmal etwas den Blick verengt, fürchtet der Patientenvertreter Andreas Reimann: O-Ton 17: Reimann (0'33") Natürlich ist Datenschutz ein wichtiger Teil der Diskussion, nur wir müssen, wenn man die Patientensicht sieht, erstmal die Hoffnungen sehen, die Erwartungen, die Patienten natürlich haben, in dem Fall eben chronisch erkrankte Menschen, die sich von Forschung häufig ganz viel erwarten, häufig unrealistisch viel erwarten, das ist auch die Verantwortung von Wissenschaft, deutlich zu machen, was ist möglich und was nicht, und das muss man auch immer sagen, dass Forschung nicht "Ergebnisse" bedeutet im Sinne von Heilung. Und auf der anderen Seite gibt es natürlich Ängste, wir müssen also Schutz und Nutzen miteinander in Beziehung setzen. Spr.: Wer zum Beispiel an einer Krebs-Studie teilnimmt, hofft womöglich auch, selbst von den Ergebnissen zu profitieren. Einen Nutzen hat der einzelne Spender aber nur mittelbar, gibt Joachim Thiery vom Leipziger LIFE-Projekt zu: O-Ton 18: Biobank/Thiery (0'32" / ? 0'35") Atmo nur kurz - Wir werden nicht und wir können auch nicht auf den einzelnen Patienten oder Probanden am Ende wieder zurückgehen. Sie werden dadurch den Nutzen ziehen, dass insgesamt das Wissen in die Medizin kommt. Der Nutzen zeigt sich sehr schnell, weil es geht ja um Alltagskrankheiten, Übergewicht, um den Herzinfarkt um Demenzstörungen, auch Erkrankungen, die mit dem Altern zu tun haben, und ich glaube schon, dass, wenn ich bei so einer Untersuchung mitmache, dann tue ich auch im weitesten Sinne etwas zur Vorbeugung meiner eigenen Krankheit. - Atmo nur kurz Spr.: Immerhin bekommt jeder Proband einen kostenlosen Gesund-heitscheck bei seiner Teilnahme am Leipziger LIFE-Projekt und kann die Untersuchungsergebnisse mit zum Hausarzt nehmen. Die Frage, wer eigentlich Nutzen aus der Biobankforschung zieht, ziehen darf, ist insgesamt kompliziert: Der rechtliche Status des Körpers ist in fast allen Ländern ungeklärt. Klar ist nur, dass Menschen zwar die Kontrolle über ihren Körper haben müssen - einerseits - dass sie ihn aber andererseits nicht kommerziell nutzen dürfen. Das soll unter anderem verhindern, dass arme Menschen sich gezwungen sehen, Teile ihres Körpers zu verkaufen. Doch unter Umständen verdienen nun Dritte daran - wissen-schaftliche Anerkennung oder viel Geld. Der Genforscher Michael Krawczak: O-Ton 19: Krawczak (0'41") Da ist ein unglaubliches Terrain verbrannt worden in den vergangenen Jahren durch die Art und Weise, wie insbesondere die amerikanischen Kollegen da zu Werke gegangen sind. Hier haben wir in den Biobanken Mechanismen der Aufklärung, der Einwilligung, der Einbettung in einen klinischen Kontext, es ist ganz was anderes als diese unsägliche Praxis, die es in den 70er, 80er Jahren gegeben hat, dass Forscher irgendwo in Südamerika in den Dschungel gefahren sind, haben sich die DNA abgeholt, die Leute haben nichts davon gehabt. Da - muss ich ganz ehrlich sagen - hat man auch zu Recht Kritik geübt, diese Sichtweise auf die Verfügbarkeit solcher genetischer Informationen ist bei vielen Populationsgenetikern außerhalb des klinischen Kontextes immer noch weit verbreitet. Spr.: Wirklich nur da und nicht in der anwendungsnahen medizinischen Wissenschaft? Biobanken sind in Deutschland zumeist staatlich finanziert, aber sie sind teuer. Projektgebundene Zuwendungen von Pharmafirmen könnten da willkommen sein - von dem Medikament, das daraus entsteht, hat der "Bio-Spender" dann nichts. Immerhin will der Ethikrat festschreiben, dass Menschen die Verwendung ihrer Spende für bestimmte Forschungszwecke ablehnen oder ihre Zustimmung widerrufen können. Regine Kollek berichtet von einem Beispiel: O-Ton 20: Kollek (0'29") Ich war in Israel und habe einen Vortrag gehalten und da hat sich eine Frau gemeldet, die sagte, sie würde ja auch schon sehr gerne für Biobanken spenden, aber sie würde auf gar keinen Fall wollen, dass diese Spenden in irgendeiner Weise an deutsche Firmen weiter gegeben werden, weil ihr Vater als Zwangsarbeiter verpflichtet worden ist von einer deutschen Firma, die heute auch im Pharmabereich tätig ist. Und von daher muss der Spender natürlich auch eine gewisse Kontrolle über den Verbleib und die Verwendung seiner Probe behalten. Spr.: Diese Kontrolle soll künftig leichter werden durch ein Biobanken-Register, das derzeit mit Unterstützung des Bundesforschungs-ministeriums aufgebaut wird. Bisher sind darin 26 Biobanken erfasst. Sie alle wollen darüber informieren, was dort aktuell erforscht wird - und zwar im Internet, also für jeden Interessierten zugänglich. So lassen sich auch unnötige Doppelversuche vermeiden. Das Register soll zudem dazu beitragen, einheitliche Qualitätsstandards für Biobanken festzulegen. Auch das sei ein wichtiges Thema für die Spender, betont Andreas Reimann als Vertreter von Patienteninteressen: O-Ton 21: Reimann (0'15") Zur Qualität gehört die Qualität der Lagerung, der Haltung, der Dokumentation - wer hat in seinem Labor noch nicht erlebt, dass Proben nicht richtig gelagert wurden, dass sie nicht richtig verarbeitet wurden, das ist auch unethisch, da legen wir außerordentlichen Wert drauf. Spr.: Die Qualität hat auch in der Leipziger Biobank im Ambulanzlabor der Uni-Klinik Leipzig Vorrang, betont Daniel Teupser. Nachdem den Probanden Blut abgenommen wurde, wandert es in die Apparate zur Portionierung der Proben, um sie zu lagern. Das Material wird in winzige Strohhalme gezogen, jeweils mit einem Barcode bedruckt und verschweißt. Regie: Atmo von Anfang OT 22 schon unter Spr. O-Ton 22: Führung Biobank/ Teupser 0'23" (? 0'45") Atmo - es kann also keine Flüssigkeit entweichen oder verdampfen oder so etwas, was eben aus Qualitätsgründen von sehr großer Bedeutung ist. Und wenn dann am Ende die Probe später mal nach Jahren oder Jahrzehnten vielleicht untersucht wird, dann ist sie immer noch in der gleichen Menge verfügbar, und die Konzentrationen sind dann eben nicht verändert von den Sachen, die man bestimmen möchte. - Atmo Regie: Atmo von Ende OT 22 und Anfang OT 23 unter folgendem Spr. mischen Spr.: Die Proben kommen in gefrorenem Zustand, auf Trockeneis, an und werden dann in den Vorraum gebracht. O-Ton 23: Führung Biobank / Teupser 0'27" (? 0'44") Atmo - Hier gibt es so eine große - wie eine Badewanne sieht das aus - die man unten mit Stickstoff füllen kann, und dort eben mit gefrorenen Proben arbeiten, Kryowerkbank nennt man so was, und wenn die dann entsprechend sortiert sind, können die in Behälter verbracht werden, die ebenfalls mit Stickstoff gefüllt sind, so dass man eine Kühlkette gewährleisten kann, und in diesem kleineren Behälter werden sie dann in die eigentliche Biobank verbracht. Regie: Atmo ausblenden Spr.: Biobanken als große "Werkzeuge der Forschung" können einen unbestreitbaren Nutzen haben - gleichzeitig aber müssen die ebenfalls unbestreitbaren Risiken minimiert werden. Soweit waren sich alle einig und auch darin, dass es ein Biobankgeheimnis geben müsse. Diskutiert wird nur der Weg dahin. O-Ton 24: Kollek (0'06") Wir meinen, dass ein solches Biobankgeheimnis nur durch eine gesetzliche Regelung einzuführen ist. Spr.: So wie es der Ethikrat vorgeschlagen hat, will auch die Partei der Grünen eine klare politisch-juristische Lösung. Deren Vertreterin, die Biologin Sabine Riewenherm, während der Podiumdiskussion im Rahmen der Ethikrat-Veranstaltung im April 2011: O-Ton 25: Riewenherm (0'27") Wir setzen uns schon sehr lange für eine gesetzliche Regelung in dem Bereich ein, auch die Grünen, auch wenn manchmal gerne sozusagen die Grüne Position als der Feind der Forschung, der natürliche Feind, gesehen wird, in diesem Fall Biobanken sind, glaub ich, alle sich einig: Wir wollen auf jeden Fall Erleichterung für die Forschung, wir wollen sie nicht behindern in dem Bereich, aber wir sehen natürlich auch den wichtigen Bereich des Probandenschutzes, dass Vertrauen in der Öffentlichkeit nicht verspielt wird dadurch, dass es zu wenig Regelung gibt. Spr.: Für die CDU/CSU legte Thomas Feist, Bundestagsmitglied aus Sachsen, eine andere Sichtweise dar. O-Ton 26: Feist (0'30") Was sich dahinter verbirgt, ist ein bestimmtes Bild von Forschung. Misstraue ich der Forschung und versuche, sie an den Zügel zu legen, dass sie keine Dummheiten macht mit den Daten, die sie hat, oder sage ich: Die Forschung arbeitet verantwortungsvoll, und wir können ihr das überlassen, dass sie im Rahmen der jetzigen gesetzlichen Regelung das Vernünftige tun wird. Letzen Endes muss man abwägen, was ist im Interesse nicht nur des eigenen Selbst sondern auch der Allgemeinheit? Und dann ist natürlich die Frage, brauchen wir dazu ein Gesetz, was die Wissenschaft an die Zügel nimmt - und ich bin dieser Meinung nicht. Spr.: Der SPD-Vertreter René Röspel, unter anderem Vorsitzender der Bundestags-Enquêtekommission "Ethik und Recht der modernen Medizin", meint, bisher sei zwar noch nichts passiert, aber: O-Ton 27: Röspel (0'29") Die Frage ist, wenn, aus welchen Fehlern oder vorsätzlichem Missbrauch, den ich erstmal nicht vermute, es mal nicht mehr gut geht, dann glaub ich, kann der Schaden sehr groß sein, und uns geht es, darum, eben zu verhindern, dass ausdrücklich eine Situation entsteht, in der ein Kredit der Forschung verspielt wird. Und ich habe den Eindruck, das ist über eine gesetzliche Regelung vielleicht besser zu dokumentieren, dass mit diesen Daten vernünftig umgegangen wird und dass auch nicht mit bester Begründung dann Dritte auf sie Zugriff haben. Spr.: Die Biobank-Forscher sind bis jetzt mehrheitlich eher gegen ein gesetzliches Biobankgeheimnis. Der Bonner Humangenetiker Professor Markus Nöthen, der über seltene Krankheiten forscht, betont praktische Fragen auch im Sinne von Patienten. O-Ton 30: Nöthen (0'36") Es wird immer das Patienteninteresse als Datenschutzinteresse deklariert und das wissenschaftliche Interesse als L'art pour L'art dargestellt, aber letztendlich ist natürlich das Patienteninteresse, dass wir als Wissenschaftler Krankheitsursachen aufklären. Wir haben das Beispiel der Mukoviszidose, da ist der Gendefekt seit langem bekannt, die Proben werden jetzt sehr wertvoll, weil man nach modifizierenden Genen sucht, mit diesen Proben. Die wären vernichtet worden, wenn solche Reglementierungen in Kraft treten würden. Ich halte das für verheerend, das ist im Einzelfall Forschungsverhinderung. Spr.: Patientenvertreter Dr. Andreas Reimann findet seinerseits, dass eine strikte Regelung unter Umständen sehr hilfreich für Forscher sein könnte: O-Ton 31: Reimann (0'16") Stellen sich mal vor, kommt jetzt die Staatsanwaltschaft und sagt, "also pass auf, wir haben hier einen Kinderschänder, der hat die DNA und jetzt wollen wir mal bei dir reinschauen." Sie stellen sich hin und sagen, nein ich verweigere das. Das halten sie 48 Stunden lang aus, bis dann eine große Zeitung schreibt: dieser Professor will Kinderschänder schützen. Regie: Atmo von Anfang OT 32 schon unter Spr. Spr.: Zurück in Leipzig: Körpersubstanzen und die dazugehörigen Daten über die Spender, wie sie zum Beispiel Joachim Thiery in der Biobank des LIFE-Projektes zur Verfügung stehen, werden gelegentlich bereits als "Gold des 21. Jahrhunderts" bezeichnet. O-Ton 32: Führung Biobank / Thiery (Text: 0'23 / 0'41") Atmo - Damit wir hier in Deutschland überhaupt in einem internationalen Wettbewerb mitreden können, ist es dringend notwendig, dass solche gut strukturierten, hochaktiven, hochsicheren Biobanken da sind, wir wollen in Deutschland ja auch wissenschaftlich am Ende auch wirtschaftlich vorne stehen in der besten Medizin weltweit, dazu braucht man heute solche großen Infrastrukturen wie eine Biobank. - Atmo Regie: Atmo von Ende OT 32 unter folgendem Spr. wegziehen Spr.: Das "Gold des 21. Jahrhunderts" muss aber sicher verwahrt werden. Und bei Biobanken gilt derselbe Grundsatz wie bei anderen Banken auch: "Die wichtigste Währung ist das Vertrauen". Damit sich die Hoffnungen überhaupt erfüllen können, dass die Medizin damit neue Erkenntnisse über Krankheitsursachen und möglicherweise Therapien findet, braucht es viele Spender. Und die kommen auf Dauer nur, wenn die Risiken mindestens überschaubar bleiben. Regie: Musik (s.o.) Sprin: Der Fall ist gelöst im Island-Krimi "Nordermoor". Aber das Schaudern angesichts der Vision, der Mensch werde vollständig dekodiert, gläsern - es bleibt. Am Schluss sinniert der Kommissar: Zit.: Und ihr bewahrt alle diese Geheimnisse auf, alte Familiengeheimnisse, Tragik, Trauer und Tod, alles ordentlich registriert in den Computern. Familiengeschichten und Geschichten von Individuen, Geschichten von dir und mir. Bewahrt alle Geheimnisse auf und könnt sie abrufen, wenn es euch passt. Ein Gläserpalast für die ganze Nation. Regie: Musik abblenden und Ende (noch unter Absage stehen lassen?) Andrea und Justin Westhoff, DLR Zeitfragen / Biobanken / Erstsendung: 9. Mai 2011 Seite: 15 __________________________________________________________________________________________