COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Roma in Göttingen - Von der Abschiebung bedroht - Autor Susanne Schrammar (Beitrag 1 - 3'15") Ita Niehaus (Beitrag 2 - 14'29") Red. Claus Stephan Rehfeld/Claudia Perez Sdg. 19.10.2010 - 13.07 Uhr Länge 20.00 Minuten Moderation (siehe Script Sendung) -folgt Script Sendung- Script Sendung Moderator Es nennt sich "Rückübernahmeabkommen". Abgeschlossen hat es die Bundesregierung vor einem halben Jahr mit dem Kosovo, also noch vor den Äußerungen des französischen Präsidenten Sarkozy, auch Deutschland werde Roma abschieben. Dem "Rückübernahmeabkommen" stimmte die Kosovo-Regierung im April 2010 zu, und zwar aus Dankbarkeit, in der EU aufgenommen worden zu sein. Das kleine Land will Flüchtlinge wieder aufzunehmen. Seitdem droht etwa 12.000 Roma, die in den 90er Jahren aus dem Kosovo nach Deutschland geflohen sind, die Abschiebung. Fast die Hälfte der Betroffenen sind Kinder und Jugendliche, die häufig in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Flüchtlingsorganisationen kritisieren nun, dass die Roma ins Elend abgeschoben würden, denn dort erwarte sie Arbeitslosigkeit und ein Leben in zum Teil menschenunwürdigen Lagern. Wie und ob abgeschoben wird, dies ist in der praktischen Ausführung nun Sache der Bundesländer. Während Nordrhein-Westfalen und Berlin angekündigt haben, nur in Ausnahmefällen abzuschieben, gilt Niedersachsens Abschiebepraxis als besonders rigoros. Dort lebt fast ein Drittel der bundesweit betroffenen Roma. Über die Haltung der Landesregierung in Hannover berichtet Susanne Schrammar. Script Beitrag: Roma in Niedersachsen / Schrammar - 3'15" E 01 (WEBER) "Schünemann drückt nicht nur die Ausländerbehörden, Abschiebungen radikal durchzuführen, sondern lässt sich auch im Einzelfall Akten schicken, fordert Ausländerbehörden auf, in konkreten Einzelfällen schneller und radikaler Abschiebungen durchzuführen und regiert sozusagen bis in die Kommunen hinein - das halten wir für unerträglich." AUT Nicht nur Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat, auch Kirchenvertreter und die Opposition im Landtag kritisieren die Haltung des Landesinnenministers als "inhuman und falsch". Doch Uwe Schünemann, CDU, bleibt hart. Die 4000 Roma, die wegen des Kosovo-Kriegs seit 1999 nach Niedersachsen geflohen waren, sollen in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Dabei beruft sich der Minister auf die Aussagen des auswärtigen Amtes, wonach die Situation vor Ort für die Roma sicher und zumutbar sei. Außerdem, so Schünemann, würden die Abschiebungen der Roma mit Integrations- und Unterstützungsmaßnahmen begleitet. E 02 (SCHÜNEMANN) "Wir haben zusammen mit Nordhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt ein Programm aufgelegt, wo Sozialarbeiter sich konkret um die Einzelfälle kümmern, d.h. wir schieben nicht ab und sagen, anschließend interessiert uns das nicht mehr, wir können nachweisen, dass man sogar einen Arbeitsplatz bekommen hat, dass sogar medizinische Betreuung sicher gestellt ist, wenn es notwendig ist - gerade bei Roma haben wir ja eine besondere Verantwortung und der werden wir wirklich gerecht." AUT Die niedersächsische Landesregierung verschließe die Augen vor der Realität, sagt hingegen Feliz Polat, Sprecherin für Migrations- und Europapolitik der Grünen im niedersächsischen Landtag. Internationale Experten, unter anderem von den Vereinten Nationen und Unicef, seien sich einig, dass eine Rückkehr der Roma in Würde und Sicherheit nicht möglich sei. Die humanitäre Lage in den von Roma besiedelten Gebieten des Kosovo stelle sich immer noch als bedrohlich und unmenschlich dar, so Polat. E 03 (POLAT) "Die Situation für Roma ist besonders eklatant, einmal weil sie in Enklaven leben müssen, also in den bekannten Lagern, diese Lager sind bleiverseucht, dort sind mittlerweile auch schon Kinder gestorben, wir haben eine Arbeitslosigkeit, die schwankt zwischen 70 und 90 Prozent und wenn man nicht registriert ist, wie das oft bei den Roma der Fall ist, hat man auch überhaupt keinen Anspruch auf Transferleistungen." AUT Seit April sind in diesem Jahr neun Roma aus Niedersachsen in den Kosovo abgeschoben worden, für vier weitere sei die Rückführung geplant, teilte das Innenministerium mit. SPD, Grüne und Linke im niedersächsischen Landtag werfen der schwarz-gelben Landesregierung vor, Massenabschiebungen zu planen und fordern einen Abschiebestopp für Roma. Niedersachsens Innenminister Schünemann sieht jedoch keine Veranlassung, die Abschiebepraxis für Roma in den Kosovo auf den Prüfstand zu stellen. Bei der nächsten Innenministerkonferenz im Dezember will sich der CDU-Politiker jedoch dafür einsetzen, dass gut integrierte Jugendliche bei Interesse künftig eine Aufenthaltsmöglichkeit bekommen könnten. Für die Eltern der Kinder könnte das bedeuten, dass auch sie vorübergehend bleiben dürften. Fragt sich nur, wie lange, sagt Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. E 04 (WEBER) "Können die Eltern bleiben für 17jährige Kinder, für ein oder zwei Jahre oder müssen sie dann gehen, wenn die Kinder erwachsen sind? Aber es ist zumindest ein Fortschritt darin zu sehen, dass hier erstmals der Gedanke artikuliert wurde, über die Kinder eine neue Perspektive für Familien zu schaffen, für die es bislang keine Perspektive gab." -ENDE Roma in Niedersachsen / Schrammar- Moderator Niedersachsen. Göttingen- Rosenwinkel. Den Göttingern ist diese Adresse ein Begriff. Dort leben seit zum Teil mehr als zehn Jahren rund 100 Roma vor allem aus dem Kosovo. Kriegsflüchtlinge. Beliebt sind sie im Ort nicht, doch die Konflikte halten sich in Grenzen. Die Probleme der Roma sind andere. Ihnen droht die Abschiebung. Deutschland hat ein Rückführungsabkommen mit der Republik Kosovo abgeschlossen, allerdings Massenabschiebungen wie in Frankreich wird es nicht geben. Doch das niedersächsische Innenministerium hat schon vor Wochen eine harte Vorgehensweise angekündigt. Und vor Ort? Rechtlich sind sie nur geduldet, können also jederzeit abgeschoben werden. Ihre Duldung wird häufig immer nur für einige Wochen verlängert. Dies machen viele Roma in Göttingen schon seit mehr als 10 Jahren mit. Und sonst so? Da kümmert sich beispielsweise das Projekt FairBleib um die Roma- Flüchtlinge, hilft bei ihnen bei der Qualifizierung. Und die Ausländerbehörde der Stadt spricht sich vehement dafür aus, dass Projekte wie FairBleib weiter gefördert werden müssen, um die Integrationschancen für Flüchtlinge zu verbessern. Göttingen, die Roma und der Alltag. Uta Niehaus berichtet. LR-l Roma in Göttingen / Niehaus - 14'29" M 01 Atmo Musik "Roma Music Band" (stehen lassen, unter o-ton und Text legen) E 01 (Roma 1) "Ja, wir haben die Musik im Blut. Bei uns ist nur mit Musik." AUT Ein heruntergekommenes ehemaliges Fabrikgelände in der Universitätsstadt Göttingen. In der Kulturfabrik Weststadt proben vier Mitglieder der "Roma Music Band." M 01 Atmo Musik "Roma Music Band" Regie Musik hochziehen, kurz frei & unter Autor legen AUT Es sind ziemlich coole Jungs, lässig bis zum Umfallen, zerrissene Jeans, flotte Sprüche. Junge Leute eben. Es könnte die Probe einer Schülerband sein. E 02 (Roma 2) "Das Problem ist, wir kommen hier, verbringen unsere Zeit hier und das war`s." AUT Geld lässt sich damit nicht verdienen. Aber es hilft gegen die Langeweile und vor allem gegen die Perspektivlosigkeit. Die jungen Roma kommen aus dem Kosovo, leben zum Teil schon seit zehn und mehr Jahren in Deutschland. Die meisten sind nur geduldet, müssen jederzeit mit Abschiebung rechnen. Ihre Namen möchten sie nicht genannt wissen. Spricht man sie auf ihre Zukunft an, werden sie plötzlich sehr ernst. E 03 (Roma 2) "Das ist ganz schwer. Mit Duldung kommt man nicht weiter. Keine Arbeit, keine guten Chancen. Und wir sind alle jung. Und junge Leute wollen ja auch feste Arbeit, wollen alt werden wie manche Bürger in Deutschland tun. Möchten wir natürlich auch machen. " AUT Einen Ausbildungsplatz haben alle vier bisher nicht gefunden. So schwer es für sie ist, eine Lebensperspektive in Deutschland zu entwickeln, so wenig ist es für sie vorstell- bar, in die Republik Kosovo zu gehen. Es wäre ein Weg in die Fremde. E 04 (Roma 2) "Unser Land kennen wir persönlich nicht so gut wie Deutschland, weil wir hier aufgewachsen sind und so. Und in andere Länder fühlen wir uns wie Sklave. Das Problem ist: Nimmt uns keiner an wie Deutschland. Und in Deutschland fühlen wir uns eigentlich wohl. Und deswegen, das wär' wirklich schlimm für uns, wenn wir zurück nach unsere Länder abgeschoben werden. Das wär' ganz schlimm." G 01 Atmo Kinder spielen (unterlegen,kurz frei stehen lassen, unter Text legen) AUT Göttingen. Rosenwinkel. Eine Reihenhaussiedlung aus den 60er Jahren. Spielende Kinder, Grünflächen, Wäscheleinen, Satellitenschüsseln. Eine ganz normale Siedlung? Nicht ganz. Die Hausflure sind verwahrlost, der Putz bröckelt von den Wänden. Die Wohnungen sind klein, aber blitzsauber. Rund 100 Roma vor allem aus dem Kosovo leben hier. Um sie herum: kleine Eigenheime und Wohnblocks, die von Deutschen bewohnt werden. E 05 (Krasnici) "Die Tüte mit Medikamenten, ich zeigen alles" (Atmo Papier rascheln) AUT Im Rosenwinkel lebt auch die Roma-Familie Krasnici, Ibrahim Krasnici mit Frau, sechs Kindern und Eltern. E 06 (Krasnici) "Mein Vater hat zwölf Krankheiten. Mein Vater war ganz gesund gekommen hier in Deutschland. Der war nie krank. Auf Depression, auf Stress, hat versucht, Tabletten zu bekommen. Jetzt 20 Tabletten." AUT Auf die dauernde Unsicherheit, die Angst vor Abschiebung führt Ibrahim Krasnici die schwere Erkrankung seines Vaters zurück. Vor elf Jahren sind die Krasnicis aus dem Kosovo geflohen. Wie viele andere Roma auch standen sie zwischen den Fronten während des Krieges - zwischen den Albanern und den Serben. Familie Krasnici musste ihr Haus verlassen, ein Onkel von Ibrahim wurde erschossen. E 07 (Krasnici) "Das war in unserer Straße. Er war gerade Zigaretten kaufen. Gegen 18.00 Uhr. Und da hatten die Leute ihn in diese Straße gesehen und haben ihn tot gemacht." AUT Bis vor etwa sechs Monaten lebte auch der Bruder von Ibrahim Krasnici mit seiner Familie in Göttingen. Dann kam der Abschiebungsbescheid. E 08 (Krasnici) "Hat die Kinder mitgenommen und wir wissen jetzt nicht, wo er steckt, ob Kosovo oder noch in Deutschland versteckt. Wir haben ja keinen Kontakt." AUT Regelmäßige Arbeit findet der Roma nicht. Allenfalls Gelegenheitsjobs. Wechselt ein Flüchtling wie Ibrahim Krasnici die Wohnung, muss er dies der Behörde sofort mitteilen. Andernfalls drohen Sanktionen. Möchte er Niedersachsen verlassen, um Verwandte und Bekannte zu besuchen, muss er einen Antrag stellen. Es ist ein Leben mit kurzfristigem Denken. Und das überträgt sich auch auf die Kinder. E 09 (Krasnici) "Meine Tochter ganze Zeit sagt, was ich hier gehe in Schule. Ich muss gucken, wo sollen wir uns verstecken, brauche ich keine Schule hier. Ich hab zwei, drei Wochen Verlängerung kriegen. Deswegen wollen sie keine Schule machen." AUT Und in der Schule wird seine Tochter ständig von den anderen Schülern und Schüler- innen auf das Thema Abschiebung angesprochen, erzählt Ibrahim Krasnici. Trotzdem will er bleiben, möchte er eine Zukunft in Deutschland haben. E 10 (Krasnici) "Wir sagen: Danke für die Stadt Göttingen. Er helft meine Vater mit Krankheit, mit Arzt, mit allem. Nur ... Soll uns bitte Aufenthalt geben. Dann bleiben wir in Deutschland ruhig, so haben wir keinerlei Stress. Wir sind echt zufrieden mit deutsche Leute, mit Nachbarn, schon zehn Jahre in Deutschland haben wir kein Ärger gehabt." E 11 (Krickau) "Also die Nachbarn, so weit wir das wissen, erleben die Roma als laut, störend, dadurch, dass sie eben draußen sind, dass also die Kinder spielen. Es wird ihnen unterstellt, dass auch Diebstähle passieren, dass andere Mitbewohner angegangen werden. Ein großer Konflikt besteht sicher darin, dass die Leute sich nicht kennen, dass es keine interkulturelle Vermittlung zwischen Deutschen und Roma gibt." AUT Ortrud Krickau, Ethnologin und Mitarbeiterin des Projektes Fairbleib, besucht regel- mäßig die Roma-Familien. G 02 (Atmo Gespräch) (Krickau) "Kemal muss was machen, der ist von der Schule geflogen. Deswegen müssen wir wirklich überlegen, was wir tun. (Roma Frau) Kaffee, Tee, Wasser, reden ein bisschen, sprechen von Arbeit." AUT Das Projekt Fairbleib soll zum Beispiel Flüchtlingen wie den Roma helfen, eine Arbeit zu finden. Geduldete Jugendliche dürfen erst seit noch nicht einmal zwei Jahren eine Aus- bildung machen. Es kommt also nun vor allem darauf an, erfolgreich die Schule abzu- schließen und dann einen Ausbildungsplatz zu finden. Keine einfache Aufgabe, aber es gibt erste Erfolge. E 12 (Krickau) "Wir haben ein junges Mädel, das arbeitet in einer Eisdiele, junge Leute, die werden einen Job aufnehmen in der Systemgastronomie, wir konnten aber auch für Erwachsene was tun, häufig über Zeitarbeitsfirmen, aber auch Zeitarbeitsfirmen sind Einstiegsmöglichkeiten in berufliche Perspektiven." AUT Es geht aber auch darum, die Roma, die aus einer ganz anderen Kultur kommen und zum größten Teil jahrelang arbeitslos sind, auf den deutschen Arbeitsmarkt vorzube- reiten. E 13 (Krickau) "Indem zum Beispiel wir viele Gespräche mit den Roma selbst führen. Im Rahmen dieser Kompetenzerfassung versuchen wir, zu erklären, was ist wichtig. Also Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, sich an Absprachen zu halten, zu versuchen, seine Sachen zusammen zu haben in der Schule. Die Kinder in die Schule zu schicken, um Fehltage zu vermeiden." G 03 Atmo Sprachkurs AUT Zu den Angeboten, die FairBleib macht, gehört auch ein berufsbezogener Sprachkurs für Frauen. G 04 (Atmo / Sprachkurs) "Geschirrspülmaschine ... Was macht die Maschine? ... Geschirrspülmaschine." AUT Berufschancen gibt es nämlich für Roma-Frauen vor allem in der Gastronomie, in Kantinen und Großküchen. Auch die 30-jährige Shemsije Amsic, Mutter von sechs Kindern, macht mit beim Sprachkurs. E 14 (Amsic) "Meine Kinder gehen in Kindergarten, in die Schule, ich bin allein zu hause. Ich mache sauber, ich gehe in deutsche Kurs, ich will lernen Deutsch und schreiben, ich wollen arbeiten gehen." E 15 (Krickau) "Ihr Schicksal ist deswegen typisch, weil sie eine Fluchtgeschichte hat, und was an ihr wirklich bemerkenswert ist, dass sie in dieser Situation immer noch ein fröhlicher Mensch geblieben ist und versucht, für ihre Kinder das Beste zu tun." AUT Und es gibt einen Hoffnungsschimmer. Ein erstes Bewerbungsgespräch als Küchenhilfe ist gut verlaufen. G 05 Atmo Roma-Kinder spielen AUT Insgesamt herrscht unter den Roma im Göttinger Rosenwinkel eine bedrückte Stimmung. Auch wenn die Kinder fröhlich wirken, sie sind es nicht. E 16 (Krickau) "Die Leute haben Angst und die Kinder haben natürlich Verhaltensauf- fälligkeiten. Und wenn ich dann durch den Rosenwinkel gehe und ein knapp zehn- jähriges Mädchen hinter mir her läuft und mich fragt "Hast Du Arbeit für mich? Ich muss arbeiten, damit ich hier bleiben kann.", dann muss ich sagen, schockt mich das schon ganz ungemein." M 02 Atmo Orgelmusik und Gesang Gottesdienst AUT Gottesdienst in der Reformierten Gemeinde in der Göttinger Innenstadt. Die Gemeinde- mitglieder feiern das Erntedankfest. M 02 Atmo Orgelmusik und Gesang Gottesdienst AUT Direkt unter ihnen, in den Kellerräumen, leben seit mehr als drei Wochen die jungen Roma Jetmir und Ramadan Kryeziu. 19 und 22 Jahre sind die beiden Brüder alt. Sie sind ins Kirchenasyl geflüchtet, weil sie Angst vor Abschiebung haben. Schon seit fast vier Monaten leben sie im Kirchenasyl. Die reformierte Gemeinde in Göttingen ist nur eine von mehreren Stationen. Als nächstes geht es nach Nörten-Hardenberg. E 17 (Jetmir) "Wir sind psychisch, auch physisch im Arsch, kaputt. " AUT Sagt Jetmir. Man sieht ihnen die Strapazen an. Beide sind durch trainiert und sportlich, aber ihre Gesichter sind blass. Sie sind krank, erschöpft. E 18 (Ramadan) "Es ist anstrengend, eingesperrt zu sein, nicht frei zu sein, sehr anstrengend. Wir dürfen nicht raus, wir wollen frei sein. Wir haben alles schwarz auf weiß, wir haben Papiere, Arbeit, Leute, die für uns bürgen, haben wir auch sogar da. Ich weiß nicht, was die wollen, wir leben nicht vom Staat. Ich habe denen einmal auch gesagt, wenn ich rübergehe, dann nur als Leiche." AUT Jetmir und Ramadan sind in Deutschland aufgewachsen. Jetmir will den Realschul- abschluss machen, Ramadan hat eine Lehrstelle als Heizungsbauer, die er nun nicht antreten kann. Aber sein Arbeitgeber hält die Stelle für ihn frei. Die reformierte Gemeinde kümmert sich intensiv um die jungen Roma. Sie bekommen Bücher und regelmäßig Unterricht. Sportgeräte sind da und ein Fernsehgerät. Doch Esther Lauer, Pastor Michael Ebener und Brigitte Beinlich spüren jeden Tag, unter welchem Druck die beiden Brüder stehen. E 19 (Lauer) "Also am Anfang hat man sehr stark die Angst gespürt, als sie neu hier waren. Die haben kaum schlafen können, weil sie einfach Angst hatten, dass nachts eine Räumung stattfinden könnte, haben immer vom Betreuerkreis die Menschen gebeten, die Nächte bei ihnen unten zur verbringen, dass es jemand wissen würde, falls sie dort rausgerissen würden und in den nächsten Flieger ins Kosovo gesetzt würden." E 20 (Ebener) "Auf der anderen Seite ist auch Kirchenasyl eine Form von Gefangen sein." E 21 (Beinlich) "Trotz aller Liebe, die wir Ihnen zukommen lassen, und aller Freundlichkeit bleibt der Zustand, der eigentlich unerträglich ist, der schon läuft seit dem Sommer, also auch wenn es weiter jetzt noch Kirchenasyl gibt, bleibt es, ich sag es mal drastisch, ein Stück psychische Folter." AUT Jetmir und Ramada Kryeziu können nicht nachvollziehen, warum sie abgeschoben werden sollen. E 22 (Jetmir) "Ich bin Deutscher, wir sind Deutsche, wir bleiben in Deutschland." E 23 (Ramadan) "Bildung, so was will man doch in Deutschland sehen, Bildung, Schule, Bildung, Schule, Schule, Bildung, alles schwarz auf weiß, haben wir. Ich versteh´s ein- fach nicht. Alles da. Ich hab mein ganzes Leben Schule hier in Deutschland gemacht. Lesen Schreiben. Ich weiß nicht einmal, wie der Präsident vom Kosovo heißt. Ich kann nicht mal meine eine Muttersprache lesen und schreiben. Wohin wollen sie uns schicken? Wohin?" E 24 (Jetmir) "Ich habe keine Vorstellung für dieses Land, und wie ich schon gehört hab, wie dort alles abläuft, ist schrecklich. Da leben sehr viele Arme. Also wir Schwarzköpfe, die behandeln die dort, also die Albaner, die behandeln die, wie die wollen geschlagen, beleidigt, dort gehen die Kinder nicht mal zur Schule." G 06 Atmo Verkehrslärm AUT Göttingen. Hiroshimaplatz 1. Das neue Göttinger Rathaus. Ein moderner Büroturm. Hier ist auch die Ausländerbehörde und hier wird entschieden, wer bleibt, wer gehen muss. E 25 (Munke) "Nach dem Gesetz her ist es so: Alle, die geduldet werden, die also kein Aufenthaltsrecht haben, sind abzuschieben. Von daher können wir jetzt nicht sagen: Wenn du dich aber jetzt gut integrierst, können wir Ausnahmen machen - das geht vom Gesetz her nicht." AUT Sagt Regina Munke, Sachbearbeiterin in der Ausländerbehörde. Wozu dann aber solche Projekte wie Fairbleib? Flüchtlinge können dauerhaft bleiben, wenn sie sich und ihre Familie selbst ernähren können, also nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. E 26 (Munke) "Die größte Chance ist natürlich, dass unsere Projekte, die mit der Bleiberechtsregelung in Gang gesetzt worden sind, weiterhin aufrecht erhalten bleiben, weil es sind sehr gute Anfänge gemacht worden. Die Menschen fühlen sich dort jetzt aufgehoben. Es hat ja auch eine gewisse Zeit gedauert, ehe sie Vertrauen gefasst haben. Von daher müssen diese Projekte, aus meiner Sicht, weiterlaufen, damit die Chancen weiterhin so gut sind, um diese Menschen nachhaltig zu integrieren." E 27 (Krickau) "Ja, wenn sie einen gesicherten Aufenthalt hätten, wo sie sozusagen durchatmen könnten und Zeit investieren für Deutschkurse, für Integrationskurse, wenn sie auch Zugangsmöglichkeiten hätten über die sozialen Möglichkeiten, die es hier so gibt, dann hätten die jede Chance, sich zu integrieren. Aber sie müssen erst einmal eine Chance bekommen. Sie müssen erst einmal das Gefühl haben, dass sie gewollt sind. Und dieses Gefühl haben sie noch nicht. Und es wird natürlich auch nicht unterstützt jetzt, auch speziell hier in Niedersachsen, durch die Bleiberechtspolitik bezüglich der Roma." -ENDE Roma Göttingen/Niehaus & Ende Sendung-