Der Erfinder des modernen Romans Eine Lange Nacht über den englisch-irischen Schriftsteller Laurence Sterne Autor (Sprecherin): Michael Langer Regie: Michael Langer Redaktion: Dr. Monika Künzel SprecherInnen: Claudia Mischke Jonas Baeck Tilman Leher Josef Tratnik Sendetermine: 17. März 2018 Deutschlandfunk Kultur 17./18. März 2018 Deutschlandfunk __________________________________________________________________________ Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - unkorrigiertes Exemplar - insofern zutreffend. 1. Stunde CD / MUSIK / C. F. ABEL (Paolo Pandolfo) Prelude ca. 1´12´´ Sprecher:: Ich kann… mir nicht versagen, folgende Anekdote zu erzählen, die mich selbst und meinen Lehrer betrifft: Letzterer hatte die Decke des Schulzimmers frisch weißen lassen, und die Leiter war stehengeblieben. Eines unglückseligen Tages bestieg ich sie und schrieb mit einem Pinsel in großen Buchstaben LAU. STERNE an die Decke, wofür mich der Schuldiener tüchtig verprügelte. Mein Lehrer war darüber sehr verärgert und sagte in meinem Beisein, daß dieser Name nie getilgt werden sollte, denn ich sei ein Junge von Genie und er davon überzeugt, ich sei zu Höherem bestimmt. Diese Bemerkung ließ mich die Striemen vergessen, die ich abbekommen hatte. Autor (Sprecherin): Diese Anekdote stammt aus den nur sieben Seiten kurzen, anscheinend recht rasch notierten Memoiren, der einzigen autobiographischen Darstellung aus der Feder Laurence Sternes: Lebenserinnerungen, die er im Herbst des Jahres 1767, wenige Monate vor seinem Tod, für sein einziges Kind, für seine innig geliebte Tochter Lydia niedergeschrieben hatte: Sprecher: im Falle, daß sie diese vielleicht später einmal aus Neubegier (sic) oder einem liebenswürdigerem Beweggrund zu erfahren wünscht — Autor (Sprecherin): Der Lehrer, der dem so selbstbewußten Schuljungen eine glänzende Zukunft prophezeit hatte, sollte allerdings Recht behalten - wenn auch erst spät in Sternes Leben stellten sich Ruhm und Ehre dafür umso rascher und geradezu blitzartig ein. Was für ein Debut für einen gänzlich unbekannten Landpfarrer von 46 Jahren! Gleich mit seiner ersten literarischen Veröffentlichung „Life and Opinions of Tristram Shandy, Gent.“ gelang ihm ein überwältigender Erfolg. Und er wurde, wie er es anfangs selbst noch befürchtet hatte, wahrlich nicht nur an Universitäten gelesen, sondern avancierte zum Bestsellerautor und Star der Londoner Gesellschaft. Auch auf dem Kontinent machte sein Name die Runde. In Deutschland, wo seine Wirkung so enorm war wie nirgends sonst, beeindruckte er Lichtenberg gleichermaßen wie Lessing, begeisterte er Philosophen und Dichter wie Jean Paul - und später auch Heine, Schopenhauer und Nietzsche. Selbst Goethe, den von der eigentümlichen ästhetischen Qualität eines Werks zu überzeugen nie leicht war, gestand, wie unendlich viel er Sterne zu verdanken habe. Noch im Jahr 1830 schrieb er: Zitator: Ich habe diese Tage wieder in Sternes Tristram hineingesehen, der, gerade als ich ein unseliges Studentchen war, in Deutschland großes Aufsehen machte. Mit den Jahren nahm und nimmt meine Bewunderung zu; denn wer hat Anno 1759 Pedanterey und Philisterey so trefflich eingesehen und mit solcher Heiterkeit geschildert. Ich kenne noch immer seines Gleichen nicht in dem weiten Bücherkreise. Autor (Sprecherin): Auch heute noch ist dieser Klassiker der Weltliteratur richtungweisend, und sein Verfasser wird (zu recht) als einer der kühnsten Experimentatoren angesehen: als Erfinder des modernen Romans im allgemeinen, des psychologischen im besonderen. Für viele hat er sogar die Postmoderne vorweg-genommen. (Erzählerische Strukturelemente wie der Innere Monolog oder die Stream-of-consciousness-technique werden auf ihn zurückgeführt.) Henry James, Marcel Proust und James Joyce (letzterer vor allem in seinem Finnegan´s Wake) bezogen und beriefen sich auf Sternes Werk, und Virginia Woolfe bezeichnete ihn ausdrücklich als ihren Lehrmeister. Als die gelehrten Literaten im 18. Jahrhundert gerade erst damit beschäftigt waren, den Roman - was immer das sein sollte - poetologisch mit allerlei Gattungstheorien zu bestimmen, da waren es die Leser gewohnt, die Geschichte eines Helden vom Anfang bis zum Ende hin geradewegs zu verfolgen, schnurstracks, ohne Umwege, von Abenteuer zu Abenteuer. Der Roman hatte eine lehrreiche Bedeutung und war - bei aller Unterhaltung - eine moralische Lektion. Autor (Sprecherin): Zu jener Zeit trat nun Sterne auf mit seiner eigenwilligen, radikalen Konzeption: „Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gent“ erschien als Fortsetzungsgeschichte in neun Bänden von 1759 bis 1767. Entgegen der Ankündigung des Titels handelt es sich nicht um eine der damals so beliebten fiktiven Autobiographien. Denn über das Leben des Titelhelden erfährt man so gut wie nichts: Im ersten Buch wird er gezeugt, im dritten erst geboren, im vierten getauft, im sechsten bekommt er sein erstes Paar Hosen. Und viel mehr sei hier vorläufig auch noch nicht verraten. Nur soviel: Wie Tristrams Physiologie in Unordnung und die gesamte Temperamentenlehre von der Antike bis zur Aufklärung ins Wanken gerät, ist eine Geschichte von der herrlichsten Pedanterey, die Sterne als heiteren Ausdruck einer absonderlichen Ideenverknüpfung erzählt, mit der er - ganz auf der Höhe der Philosophie seiner Zeit - gewitzt, aber respektvoll den „scharfsinnigen“ John Locke und die Theorie des Empirismus unterläuft. In einer Art sokratischem Dialog zwischen Autor und Leser werden Meinungen und Ansichten vorgeführt und der Zweifel genährt an eingefahrenen Denk- und Alltagsgewohnheiten - gemäß dem Motto Epiktets: Zitator: Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Ansichten über die Dinge. Autor (Sprecherin): Auf die Chronologie von Ereignissen wird dabei keinerlei Rücksicht genommen. Es ist also durchaus im seinem Sinne, das Pferd - um nicht zu sagen das Steckenpferd - hier nun von hinten aufzuzäumen, wenn sogleich (durch den Privatgelehrten Patrick Wildgust) von Sternes tragischem Ende am 18. März 1768 die Rede ist. AKZENT / O-TON / PATRICK WILDGUST 1 Autor (Sprecherin): Patrick Wildgust ist Kurator des Laurence Sterne Trust und Museumsdirektor von Shandy Hall, Sternes letztem Anwesen in Coxwold, Yorkshire: Patrick Wildgust / O-TON 2 darüber Patrick Wildgust / Sprecher/Tilman Leher: Sterne war ja die meiste Zeit seines Lebens nicht gesund. Schon als Student litt er an Tuberkulose und spuckte Blut. Was ihn 1768 also vor 250 Jahren schließlich umbrachte, war eine Rippenfellentzündung. Er hatte Wasser in der Lunge, er wußte, dass sein Tod kurz bevorstand. Es ist überliefert, wie er entkräftet den Arm hob und sagte, es sei nun soweit. Sterne starb in der Londoner Bond Street, in der Nähe von St. George, Hanover Square, das ist die Kirche, wo übrigens Händel seine Konzerte gab. Dort fand auch Sternes Trauerfeier statt am 22. März und am selben Tag wurde er auf dem dortigen Friedhof beerdigt. Zwei Tage später raubten die berüchtigten „Auferstehungsmänner“ Sternes Leichnam - und der Legende nach auch gleich noch den Wachhund. Sein Körper landete in der Anatomie von Cambridge, um dort vor Studenten seziert zu werden. Einer der Professoren aber erkannte, wen sie da vor sich hatten. Sternes Leichnam, wurde zurückgebracht und wieder begraben. Ende der 1960er Jahre wurde dann der Friedhof verkauft, um Wohn- und Bürohäusern Platz zu machen. Dem Times-Journalisten Phillipp Howard ist es zu verdanken, dass Kenneth Monkman, einer der Gründer des Laurence Sterne Trusts, davon erfuhr und die Erlaubnis bekam, mit einem Chirurgen Sternes Grabstelle auszuheben. Man stieß auf einige Knochen und auf fünf Schädel, die alle mit der von Joseph Nollekens (1766) angefertigen Büste Sternes verglichen wurden. Einer, bei dem die Schädeldecke abgesägt war, passte genau. 1969 wurden Sternes sterbliche Überreste schließlich in einem kleinen Sarg neben dem Kirchenportal in Coxwold bestattet. Autor (Sprecherin): Ach, armer Yorick! Sprecher: Er liegt beerdigt in einem Winkel seines Kirchhofs im Sprengel –––, unter einer schlichten Marmorplatte, die ihm sein Freund Eugenius mit Genehmigung der Testaments­vollstrecker aufs Grab legen ließ, und darauf stehen zur In­schrift nur diese drei Wörter, ihm hingesetzt zugleich als Epitaph und Elegie. Zehnmal des Tages widerfährt Yorick’s Geist die Trö­stung, seine Grabinschrift mit einer Mannigfaltigkeit von Klagetönen verlesen zu hören, die von dem allgemeinen Mitgefühl und der Hochachtung für ihn kündet; –– denn da ein Fußweg dicht an seinem Grabe durch den Kirchhof führt, – kommt keiner dran vorüber, ohne für einen Augen­ blick zu verweilen, –– und im Weitergehen zu seufzen: Ach, armer YORICK ! (O-TON Sterne was the man who with gigantic stride Mow´d down luxuriant follies far and wide) MUSIK / HÄNDEL / (London Baroque / Trio sonate in F) / Adagio ca. 3:00 Zitator: Gern, sagte ein bekannter deutscher Gelehrter, als ich ihm die Nachricht von Sternes Tode brachte, gern hätte ich ihm fünf Jahre von meinem eignen Leben abgetreten, wenn sich das thun liesse, und hätt´ ich auch gewiß gewußt, daß mein ganzer Überrest nur zehn oder acht betrüge. … Mit dem Beding aber, daß er hätte schreiben müssen; gleich viel was, Leben und Meynungen, oder Predigten, oder Reisen… Autor (Sprecherin): Der berühmte Gelehrte, der Sterne einige Jahre des eigenen Lebens schenken wollte, war Gotthold Ephraim Lessing, und der Überbringer der traurigen Nachricht Johann Joachim Christoph Bode, Journalist, Verleger und bedeutender Übersetzer seiner Zeit. Er brachte als einer der beiden ersten Sterne ins Deutsche - auf seine eigenthümliche Weise: „Yoricks Empfindsame Reise“ und den „Gentleman“ - CD / LESSER READS STERNE „LS.. Chapter One… , darüber: Autor (Sprecherin): So also hört sich der Tristram Shandy im englischen Original an, und in der deutschen Übersetzung von Michael Walter, klingt er folgendermaßen: Sprecher: Ich wünschte, entweder mein Vater oder meine Mutter, oder fürwahr alle beide, denn von Rechts wegen oblag die Pflicht ihnen beiden zu gleichen Teilen, hätten bedacht, was sie taten, als sie mich zeugten; hätten sie gebührend in Be­tracht gezogen, wie viel von dem abhing, was sie da gerade trieben; – daß es dabei nicht nur um die Hervorbringung ei­nes vernünftigen Wesens ging, sondern daß womöglich die glückliche Bildung und Beschaffenheit seines Körpers; viel­leicht sein Genie wie auch just die Färbung seines Gemüts; – und gar, denn Gegenteiliges war ihnen nicht bekannt, die Wohlfahrt seines ganzen Hauses ihre Wendung nach den Säften und Dispositionen nehmen könnten, die gerade vor­herrschten: –– Hätten sie all dies gebührend in Erwägung und Betracht gezogen und wären demgemäß verfahren, –– ich bin wahrhaftig überzeugt, ich würde in der Welt eine ganz andere Figur vorgestellt haben, als die, in der mich der Leser wahrscheinlich erblicken wird. – Autor (Sprecherin): Der Leser erblickt mit Tristram Shandy einen herrlichen Text, ein dem Wortsinne nach: aufwendiges Geflecht und erlesenes Gewebe aus vergnüglichen Geschichten: nicht nur eine Handlung gibt es da zu bestaunen, sondern viele Handlungen; wobei der Erzähler gewitzt und nicht selten ironisch den Leser durch seinen Irrgarten führt. Auf die Chronologie der Ereignisse wird, wie gesagt, keine Rücksicht mehr genommen: Vieles wird vom Ende her erzählt, die Anfänge werden nachgeschoben, Vergangenes wird nach dem Zukünftigen gesetzt; Gedanken werden mitten im Satz abgebrochen, nach einigen Kapiteln erst wieder aufgenommen, während einem neuen Einfall Platz gemacht wird, um diesem, solange es nötig erscheint, nachzugehen. Das literarische Salz ist Sternes vielberufene Erzähltechnik der Digression: das ständige Abschweifen in Anekdoten und Satiren, in philosophische Dispute und Essays, die Fülle der weitschweifigen, aber umso erkenntnisreicheren Alltagsbetrachtungen Sprecher: Digressionen sind unbestreitbar der Sonnenschein; - sie sind das Leben, die Seele des Lesens; --- nähmt Ihr sie zum Beispiel aus diesem Buch; -- Ihr dürftet mir gleich das ganze Buch mitnehmen; - kalter, ewiger Winter würde auf jeder seiner Seiten regieren; man erstatte sie dem Verfasser zurück; ---- und er wandert einher wie ein Bräutigam, - wünscht allseits Glück; beschert Abwechslung und verhütet, dass einem der Appetit vergeht. Autor (Sprecherin): Aber nicht nur was gesagt wird, sondern wie es aussieht, wenn´s geschrieben steht, hat in diesem Klassiker große Bedeutung. Sterne macht den Text auch zum typographischen Ereignis: überlange Gedankenstriche, Fußnoten, allerlei Asterikse als Auslassungs-zeichen - falls es zu unanständig wird und darüber hinaus: Klammern und Hinweishändchen als Querverweise, verschlungen gezeichnete Linien, eine schwarze und eine marmorierte Seite als „buntscheckiges Sinnbild des Werks“ - all das führt durch die Kapitel, von denen mehrere nur aus einem Satz bestehen, andere wiederum völlig ausgelassen, doch dadurch zur bedeutsamen Leerstelle werden: Sprecher: - - - Ganz recht, Sir - hier fehlt ein ganzes Kapitel - - und im Buch ist eine Lücke entstanden - doch weder ist der Buchbinder ein Narr, ein Schlitzohr oder Gimpel - noch ist das Buch deswegen um ein Jota weniger vollkommen (wenigstens in dieser Hinsicht) - sondern im Gegenteil, das Buch ist ohne das Kapitel vollkommener und vollständiger, als es das mit ihm wäre… Autor (Sprecherin): Schon die Drucklegung des Buches, das Arrangement und die Aufteilung der Seiten sind wichtig, handelt es sich doch nicht um die beliebige äußere Form irgend einer Drucksache. Sterne gedachte, das Buch selbst und dessen Gestaltung miteinzubeziehen in seine ureigenste Poetik: Sprecher: Aus diesem Grund freut’s mich auch recht, daß ich die Geschichte mei­nes Lebens so und nicht anders begonnen und weiterhin je­dem Ding darin, wie Horaz sagt, ab Ovo nachspüren kann. Horaz, ich weiß es wohl, rät von dieser Methode strikt ab: Doch dieser Gentleman meint hier nur das epische Ge­ dicht oder die Tragödie; – (was nun von beidem, hab’ ich vergessen) – verhielte es sich freilich anders, so möchte ich Herrn Horaz um Verzeihung bitten; – denn bei dem, was ich mir zu schreiben vorgesetzt, werde ich mich weder nach seinen Regeln noch nach den Regeln irgendeines anderen Menschen richten, der jemals gelebt. Denjenigen indes, denen es nicht paßt, in diesen Din­gen so weit zurückzugreifen, kann ich allemal keinen bes­sern Rat geben, als das restliche Kapitel zu überschlagen; denn ich erkläre vorderhand, ’s ist nur geschrieben für die Beflissenen und Wißbegierigen. ——————— Tür zu —————— Autor (Sprecherin): Und damit wären wir nicht nur ab-, sondern endlich auch wieder hingeschweift zu Mutter und Vater Shandys Pflichten. Sprecher: Die Anekdote verdanke ich meinem Onkel, Mr. Toby Shandy, bei dem mein Vater, ein exzellenter Naturforscher mit einer ausgeprägten Neigung, den kleinsten Dingen gründlich nachzusinnen, oft und schwer über den Tort geklagt hat. Autor (Sprecherin): Tristrams Vorsatz, den Erzähl-Stoff allein seiner Vorstellung nach zu gestalten, gelingt ihm so spielerisch schräg, wie es die Art war, in der er als Kind seinen Kreisel ganz windschief aufstellte; ein Umstand, der seinem Vater Walter Shandy großen Kummer machte, da er darin nur die anormale Entwicklung seines Jungen sah. Sprecher: :––Aber ach! fuhr er fort, schüttelte den Kopf ein zweites Mal und wischte sich eine Träne fort, die ihm die Wang’ hinunterrann, Meines Tristram’s Unglück begann ja schon neun Monate bevor er überhaupt zur Welt kam. –– Meine Mutter, die dabeisaß, blickte auf, – aber sie wußte ebensowenig wie ihre Kehrseite, was mein Vater meinte, ­­ doch mein Onkel, Mr. Toby Shandy, dem die Affaire oft hinterbracht worden war, – verstand ihn sehr wohl. Autor (Sprecherin): In jener Nacht im März 1718 wird (nämlich) die gesamte Temperamentenlehre Aufklärung auf den Kopf gestellt: Tristrams Physiologie & Lebenssäfte geraten in die wildeste Unordnung, das Chaos ist programmiert, obwohl der Vater in jeder Lebenslage einer der regelmäßigsten Menschen war. Sprecher: Um nur ein Pröbchen seiner ungemeinen Pünktlichkeit zu geben, deren Sklave er in Wahrheit war, – so hatte er’s sich seit vielen Lebensjahren zur Regel gemacht, – am ersten Sonntagabend eines jeden Monats im Jahr, – so gewiss wie dieser Sonntagabend kam, –– mit eigener Hand eine große Hausuhr aufzuziehen, die wir auf dem oberen Absatz der Hinterstiege stehen hatten: – Und da er zu der Zeit, von der ich gesprochen habe, von den Fünfzig auf die Sechzig zusteuerte, – hatte er allmählich gewisse andere Familienobliegenheiten gleichfalls auf diesen Termin geschoben, um sie, wie er meinem Onkel Toby oft zu sagen pflog, alle in einem Aufwasch zu erledigen und den Rest des Mo­nats über nicht weiter damit geplagt und geplackt zu sein. (Sprecher:) ….Ei, mein Guter, sprach meine Mutter, hast du auch dran gedacht, die Uhr aufzuziehen? –– Grundgütiger! rief mein Vater im Eifer, indes zugleich bemüht, die Stimme zu dämpfen, –– Hat wohl jemals seit der Erschaffung der Welt eine Frau einen Mann mit einer so dummen Frage unterbrochen? Autor (Sprecherin): Es war eine ganz und gar unzeitige Frage, just in dem Moment: versprengte und zerstreute sie die Lebensgeister, Sprecher: deren Aufgabe es gewesen wäre, den Homunculus zu eskortieren, ihn bei der Hand zu neh­men und ihm sicheres Geleit an den Ort zu geben, der zu seinem Empfang bestimmt war. Autor (Sprecherin): Eine kleine Mißgeschickllichkeit… Sprecher: , die in großem Maß auf mich niederschlug und an deren Auswirkungen ich wohl leider bis an mein Grab werde zu schleppen haben; nämlich, daß es, durch eine unglückselige Verknüpfung von Ideen, zwischen denen der Natur nach keinerlei Zusammenhang besteht, schließlich dahinkam, daß meine arme Mutter nie das Aufziehen besagter Uhr hören konnte, – ohne daß ihr dabei unweigerlich der Gedanke an gewisse andere Dinge in den Kopf fuhr, – & vice versa: – eine jener absonderlichen Ideenverknüpfungen, von denen der scharfsinnige Locke, der die Natur solcher Dinge gewißlich besser verstand als die meisten Menschen, behauptet, sie hätten mehr verquere Handlungen erzeugt, als alle ande­ren möglichen Quellen des Vorurteils zusammen. Autor (Sprecherin): Ganz auf der Höhe der Zeit und im Sinne John Locke´s - damals gerade viel diskutiertem - „Essay Concerning Human Understanding“ knüpft Tristram die Assoziationenketten und verbindet allerlei Ideen miteinander, nicht ohne die Theorie des Empirismus zuweilen gewitzt zu unterlaufen, indem er etwa die verschiedenen Charaktere eingehend dabei beobachtet, wie sie ihre Steckenpferde (aus)reiten. Sterne ist hier als Erster mit einer für das 18. Jahrhundert erstaunlich scharfen psychologische Sichtweise den menschlichen „Eigenheiten“ auf der Spur, von denen Goethe - voller Bewunderung für diese schriftstellerische Entdeckung des Themas - sagte, sie seien das, was das Individuum konstituiere. Und keiner bleibt von den Grillen verschont, welche die menschlichen Schwächen herausbilden. Sprecher: Ich gesteh’s, nie hab’ ich Didius diese Grillen neiden können: – Allein, Jeder nach seiner Façon. – Fand nicht Dr. Kunastrokius, dieser große Mann, das allerhöchste Vergnügen daran, in seinen Mußestunden Eselsschwänze zu strählen und die abgestorbenen Haare mit den Zähnen auszurupfen, obwohl er beständig Zängelchen in der Tasche trug ? Nein, was das betrifft, Sir, hatten nicht zu allen Zeiten die weise­sten Männer, Salomo selbst nicht ausgenommen, – hatten sie denn etwa nicht ihre Steckenpferde; – ihre Rennpferdchen, – ihre Münzen und Müschelchen, ihre Trom­meln und Trompeten, ihre Fiedeln und Paletten, –– ihre Grillen und Schmetterlinge? – und solange ein Mann sein Steckenpferd friedlich und still auf des Königs Heer­straße reitet und weder Euch noch mich zwingt, hintaufzusitzen, –– bitt’ Euch, Sir, was schert’s Euch oder mich? (– De gustibus non est disputandum;) Autor (Sprecherin): Das Steckenpferd - das ist zu allen Zeiten ein beliebtes Spielzeug gewesen, und noch immer ist der Stecken mit dem nachgebildeten Pferdekopf daran, dasjenige Zeug, mit dem sich aufs Phantasievollste ausreiten (und spielen) läßt. Daß wir heute von Hobbies reden und Steckenpferd ein willkommener Ausdruck für unsere jeweilige Lieblingsbeschäftigung ist, haben wir Laurence Sternes „Tristram Shandy“ zu verdanken, mit dessen deutscher Übersetzung im 18. Jahrhundert diese Begriffe und Bedeutungen bei uns Einzug hielten. Autor (Sprecherin): Unser „Hobby“ kommt also vom „Hobby Horse“, was in der englischen Umgangssprache wiederum seit dem Ende des 16. und das ganze 17. Jahrhundert hindurch - nicht zuletzt durch Shakespeare („Viel Lärm um Nichts“) überliefert - allerdings auch ein anderes Wort für „Prostituierte“ oder „Geliebte“ ist. Und mit dieser anzüglichen Mehrdeutigkeit treibt Sterne nur zu gern seine Späße. Ein Umstand der den Dichter und Theologen Johann Gottfried Herder (den Kulturphilosophen der Weimarer Klassik) aufschnaufen ließ. Herder hatte Sterne bereits im Original gelesen und einerseits durchaus gelobt für seine Empfindsamkeit und Philantropie; andererseits war er außerordentlich bestürzt: Zitator: über seine verfluchten Säuereien und Zweideutigkeiten, die das Buch wenigerer Empfehlung fähig machen, als es verdient. Sprecher: (KAP. VIII.) – De gustibus non est disputandum; – auf deutsch, gegen Steckenpferde gibt’s keine Einwände; und ich meinesteils erhebe selten welche; könnt’ es auch wohl kaum mit ei­nigem Anstand, selbst wenn ich ihnen durchaus spinnefeind wäre; denn da ich zu gewissen Zeiten und Mondwechseln sowohl geige als den Pinsel schwinge, wenn mich der Haber sticht: ­­­ So sei es Euch kundgetan, daß ich mir selbst ein paar solche Gäule halte, auf denen ich abwechselnd und (es ist mir schnurz, ob man das weiß) häufig aus-­ und spazierenreite; – wiewohl ich zu meiner Schande gestehen muß, daß ich bisweilen länger im Sattel bleibe, als es ein kluger Mann für ratsam halten möchte. ­­­­ Doch die Wahrheit zu sagen, ­­­ Ich bin kein kluger Mann; –– und überdies ein Sterblicher von so geringer Bedeutung in der Welt, daß wenig daran liegt, was ich tue; also echauffiere ich mich auch nur selten darüber: Noch stört es mir die Ruhe sehr, wenn ich so große Lords und hohe Standespersonen, wie hienach aufgeführt; ­­­ - - - - als da sind Mylord A, B, C, D, E, F, G, H, I, K, L, M, N, O, P, Q und so weiter, alle in einer Reihe hoch auf ihren diversen Pferdchen sehe; ­­ manche kommen mit langen Steigbügeln und in gesetztem und besonn’nem Schritt daher; ­­­­ andere hingegen haben die Knie ans Kinn hinaufgezogen, die Peitsche quer im Maul und stieben und stürmen drauflos wie lauter kunterbunte Teufel, die auf Hy­potheken reiten, –– und grad’ so, als sei der eine oder andre (Sprecher:) recht resolviert, sich das Genick zu brechen. – Um so bes­ser – sag’ ich mir; – denn sollte es zum Ärgsten kommen, so wird sich die Welt schon ausgezeichnet ohne sie zu behelfen wissen; – und im übrigen, ­­­­ ei, ­­­­ Gott befohlen, ­­­­ laßt sie nur immer hübsch weiterreiten, meinen Segen haben sie; denn würden Ihre Lordschaften noch heute Abend abgeworfen, –– ’s steht zehn zu eins, daß viele von ihnen noch vor der Morgenfrühe um die Hälfte schlechter beritten wä­ren. (Von diesen Umständen kann mir also keiner die Ruhe stören. – Einen freilich gibt’s, der mich, es sei gestanden, um alle Fassung bringt, wenn ich nämlich einen sehe, der zu großen Taten geboren ist und den, was ihm noch mehr zur Ehre gereicht, die eigene Natur beständig zu guten Taten treibt; ­­­­ wenn ich sehe, wie ein Mann wie Ihr selbst, Mylord, dessen Grundsätze und Betragen so edel und fein sind wie sein Blut und den diese korrupte Welt deshalb auch keinen Augenblick entbehren kann; – wenn ich also sehe, Mylord, daß so einer auch nur eine Minute länger reitet, als ihm meine Liebe zu meinem Vaterland verordnet hat und mein Eifer für seinen Ruhm es wünscht, – dann, Mylord, ist’s mit dem Philosophen Essig, und ich wünsche in der ersten Wal­lung redlicher Ungeduld das Steckenpferd mit seiner ganzen Sippschaft zum Teufel. ) CD / MUSIK / C. F. ABEL (Susanne Heinrich) / Viola da Gamba / Allegro / Vivace Zitator: Auch heute noch (…) gilt von Lawrence (sic!) Sterne ’The life and opinions von Tristram Shandy, Gent.‘ , daß es zu den 10 größten Büchern gehöre, die bisher in englischer Sprache geschrieben worden sind. Und ehe es auch nur in die nächst-tiefere Dekade rückt, dürften vermutlich noch einmal 1000 Jahre vergehen: ein Ergebnis, zu dessen Erreichung schon einiges in einem Buche (und im Schädel seines Verfassers) zusammenkommen muß. Autor (Sprecherin): Es war der (Bargfelder Bote, der) Schriftsteller Arno Schmidt, der mit seiner unnachahmlichen philologischen Stimme den Tristram Shandy in den Literaturhimmel hob und gewohnt apodiktisch zugleich die vielen deutschen Übersetzungen dieses Klassikers verdammte. Daß es im Deutschen keine dem Original angemessene Übersetzung gab (bei allem Respekt für die kanonisierten Übertragungen von Johann Joachim Christoph Bode und Adolf Friedrich Seubert), wurde über die Jahrhunderte immer wieder bedauert: von Madame de Stael angefangen über Arthur Schopenhauer bis hin zu Arno Schmidt, der noch in den 1960er Jahren klagte: wer als Deutscher wissen wolle, was der „Tristram Shandy“ sei, der müsse noch immer die englische Ausgabe zur Hand nehmen: Zitator: Soweit sind wir vorgebliches Volk der Mitte … immerhin gekommen, daß man es aussprechen kann, wie schön es wäre, wenn der „Tristram Shandy“ endlich einmal ins Deutsche übersetzt würde! - Autor (Sprecherin): Dass dem mittlerweile aber schon längst so ist, darüber sind sich Fachleute und Publikum gleichermaßen einig. Bereits 1989 erhielt der in München lebende Übersetzer Michael Walter den Johann-Heinrich-Voß-Preis für seine fabelhafte Shandy-Übertragung, die er über die Jahre in verschiedenen Neuausgaben immer weiter verfeinern konnte. Hören Sie dazu - auch weil Horaz davon abrät, aber Sterne es nachgerade empfiehlt: ab ovo Michael Walter: O-TON / MICHAEL WALTER 1 ca. 3´00´´ „Sterne hab ich…entdeckt… über Arno Schmidt… Haffmanns… format… Ton gefunden… experimentiert… über die Jahre… einheitlich wird.“ Autor (Sprecherin): Es gab schon viele Editionen von Sternes beiden berühmten literarischen Büchern, (- dem Shandy und der Empfindsamen Reise -) aber bislang noch keine einzige Ausgabe seiner Gesammelten Werke. Zu seinem 250. Todestag ist im Verlag Galiani-Berlin nun endlich die allererste deutsche Werkausgabe erschienen mit vielen Neu- und Erstübertragungen aus der Feder des mit dem Europäischen-Übersetzer-Preis 2018 ausgezeichneten Michael Walter. So werden dem deutschen Leser auch die bisher kaum bekannten Nebenwerke zugänglich, wie etwa „A Political Romance“, das „Fragment in der Art des Rabelais oder das „Journal für Eliza“ sowie sämtliche, mitunter erst kürzlich entdeckte Briefe des englischen Schriftstellers, die er teilweise mit großem literarischem Ehrgeiz verfasste. Alles in allem handelt es sich bei dieser verdienstvollen Werkausgabe um knapp 2000 Seiten in drei schön ausgestatteten Bänden im Schuber nebst einem umfangreichen Anmerkungsapparat und höchst kenntnisreichen Nachworten des leidenschaftlichen Verlegers und Programmchefs von Galiani Wolfgang Hörner. O-TON / WOLFGANG HÖRNER 1 / AKZENT (über sein liebe zu sterne) Autor (Sprecherin): Dass Michael Walter für diese Edition seine bisherigen Übersetzungen erneut überarbeitet hat, findet er ganz passend zu den Arbeiten eines Laurence Sterne. Wolfgang Hörner: WOLFGANG HÖRNER 2 ca. 4´30 (über work in progress, walters arbeitsweise, …., lektorat) Autor (Sprecherin): Wolfgang Hörner kennt und schätzt Michael Walter schon seit Studententagen: HÖRNER 3 / ca. 3´00 (über witz, sprachliche qualität, wortschatz, sternes mündlichkeit, ansprache des lesers) Sprecher: KAP. V. Am fünften Tag des November 1718, was, von dem bewußten denkwürdigen Ereignis an gerechnet, neun Kalendermonate so gut vollmachte, als dies irgendein Ehemann nur rechtens hätte erwarten können, – kam ich, Tristram Shandy, Gentleman, in diese unsere spottschlecht-kummervolle Welt. – Ich wünschte, ich wäre auf dem Mond geboren oder auf irgendeinem der Planeten, (ausgenommen Jupiter oder Saturn, weil kaltes Wetter hab’ ich nie vertragen) denn es hätte mir wohl auf keinem schlimmer ergehen können (allenfalls für die Venus möchte ich nicht einstehn) als auf diesem garstigen Unflatspfuhl von einem Planeten, – von dem ich, auf Ehr’ und Gewissen, mit Verlaub gesagt, glaube, er ist aus dem Hächsel und Hader der übrigen zusammengebacken; –– (( nicht daß der Planet an sich nicht leidlich gut wäre, gesetzt, ein Mann würde mit einem großen Titel oder einem großen Besitz darauf gebo­ren; oder möchte es irgendwie bewerkstelligen, in ööffentliche ÄÄmter und in würdige oder einflussreiche Stellungen berufen zu werden; – doch so ist’s um mein’ Sach’ nicht bestellt; ­­­­ und ergo wird ein jeder gerade so vom Jahrmarkt reden, wie er mit seiner eigenen Bude dort reüssieret; – was mir Anlaß schafft , abermals zu behaupten, daß es eine der allernichtswürdigsten Welten ist, die je fabriziert wurden; ­­­ denn ich darf getrost sagen, daß ich von der ersten Stunde, da ich Luft schnappte, bis zu der jetzigen, wo ich fast gar keine mehr bekomme, wegen eines Asthmas, das ich mir in Flandern durch eine gegen den Wind gelaufene Schlittschuhpartie erwarb; ­­ beständig der Spielball der von der Welt sogenannten Dame Fortuna gewesen bin; und wenn ich ihr auch nicht das Unrecht tun und nachsagen will, sie habe mir jemals irgendein großes oder außerordentliches Unglücks aufgebürdet; ­­­ so muß ich ihr doch bei aller Lammfrommheit von der Welt das Zeugnis ausstellen, daß mir diese ungnädige Dame in jeder Lage meines Lebens, an jeder Biegung und in jedem Winkel, wo sie mich nur erwi­schen konnte, einen solchen Packen von erbärmlichen Mißgeschicken und Widerwärtigkeiten an den Hals geworfen hat, als nur je ein kleiner Held erdulden mußte. )) O-TON / PATRICK WILDGUST 2 / AKZENT / Autor (Sprecherin): Das ist - noch einmal - Patrick Wildgust, Direktor von Shandy Hall, Kurator des Laurence Sterne Trust: Patrick Wildgust 2 weiter, 1´05´´ , darüber Sprecher/Tilman Leher: Ich glaube, die Leute mögen Sterne und seinen Tristram Shandy, zum einen, weil er sie dazu ermuntert, ihre eigene Vorstellungskraft zu bemühen und mitzudenken, das fordert er ja geradezu heraus. Und zum anderen ist er halt ziemlich lustig. Aber sein Humor, so scheint es mir, wird manches mal vergessen, weil die Eigenart und das besondere seines so unkonventionellen Buches im Vordergrund steht: ein Buch das mit allem spielt, mit der Linearität, der Chronologie, der Zeit, mit den Figuren und: den Vorstellungen des Lesers; deshalb ist der eigene Beitrag zu diesem Buch so wichtig; Sterne vertraut seinen Lesern, ihn auf dieser Reise, bei dieser Geschichte zu begleiten. Und Sie erinnern sich vielleicht, wie er sagt: verlieren Sie bloß ihre Ihre gute Laune nicht! O-Ton hoch. Sprecher: KAP. VI. Am Eingang des letzten Kapitels habe ich Euch akkurat mitgeteilt, wann ich geboren wurde; – indes nicht wie. Nein; das Detail blieb aufgespart für ein ganz eigenes Kapitel; – überdies, Sir, da Ihr und ich einander gleichsam völlig fremd sind, so hätte es sich nicht geziemt, Euch in allzu viele mich betreffende Verhältnisse auf einmal einzuweihen. – Ihr müßt schon ein wenig Geduld üben. Bedenkt, ich hab’s mir vorgesetzt, nicht allein mein Leben, sondern ebenso meine Ansichten zu Papier zu bringen; in der Hoffnung und Erwartung, Ihr bekämet durch die Kenntnis meines Wesens und die Einsicht, zu welcher Sorte Mensch ich zähle, deren Ihr ja durch das Eine teilhaftig werdet, mehr Geschmack van dem Anderen: Wenn Ihr denn weiter mit mir voranschreitet, wird die tüchtige Bekanntschaft, die sich eben zwischen uns angesponnen hat, zur Vertrautheit gedeihen; und diese wiederum, es sei denn, einer von uns irrte ab, mit Freundschaft schließen. –– O diem praeclarum! –– dann wird nichts von dem, was mich betroffen hat, für gering an sich, noch in der Art der Schilderung als langweilig gelten. Soll­tet Ihr, mein teurer Freund und Weggenoß’, also der Mei­nung sein, ich käme auf unserem ersten Ausflug mit meiner Erzählung nur spärlich vom Fleck, – so habt Geduld mit mir, – und laßt mich fortfahren und meine Geschichte auf meine Weise erzählen: –– oder sollte es Euch bedünken, als trödelte ich zuzeiten unterwegs –– oder sollte ich mir bisweilen für ein, zwei Augenblicke im Vorbeigehen eine Narrenkappe samt der Schellen überstülpen, ­­geratet drob nur nicht in Harnisch, – sondern billigt mir lieber hübsch artig ein Gran mehr Weisheit zu, als es nach meinem Äußeren den Anschein hat; – und indes wir so dahinzockeln, lacht mit mir und über mich, oder kurzum, macht was Ihr wollt, –– nur bleibt bei guter Laune. CD/ MUSIK / Avison, Boyce oder Erskine / Trio-Sonate, London Baroque ca. 5´00 2. Stunde CD / MUSIK / C. F. ABEL (S. Heinrich) Allegro ca. 1´15´´ Zitator:: Ich gestehe, daß Sterne beinahe der einzige Autor in der Welt ist, den ich mit einer Art ehrfurchtsvoller Bewunderung ansehe. Ich werde sein Buch studieren, so lange ich lebe, und es doch nicht genug studiert haben. Ich kenne keines, worin so viel echte Sokratische Weisheit, eine so tiefe Kenntnis des Menschen, ein so feines Gefühl des Schönen und Guten, eine so große Menge neuer und feiner moralischer Bemerkungen, so viel gesunde Beurteilung mit so viel Witz und Genie verbunden wären. Autor (Sprecherin): Es war Christoph Martin Wieland, der große Dichter der Aufklärung, der Sterne so bewunderte und trefflich bemerkte, dass man bei seinen Büchern im Grunde genommen an kein Ende kommt. Ähnlich geht es den geneigten Lesern noch heute, wie auch dem Sterne-Verleger Wolfgang Hörner: HÖRNER 0:40 (über seine lesegeschichte und das immer neue bei sterne/shandy) Autor (Sprecherin): Wolfgang Hörner ist Programm-Chef beim Verlag Galiani (Berlin), wo die allererste deutsche Werkausgabe des britischen Klassikers erscheint, der zu recht als Erfinder des modernen Romans gelten darf: HÖRNER 1:45 (warum und wie es sterne schafft schon damals das individuum ernst zu nehmen und bewußtseinszustände zu schildern / post-moderne / experimentelles / aufregend, leser ist gebannt) Autor (Sprecherin): Spannend und lehrreich ist Sternes Literatur, denn wie sonst könnte es sein, dass der gefeierte Übersetzer Michael Walter sich seit über 35 Jahren, wenn auch mit Unterbrechungen, immer wieder eingehend mit diesem Werk beschäftigt? Außerdem ist es die Menschenfreundlichkeit des Autors, die ihm gut gefällt. Michael Walter: WALTER 1:05 (es geht um familie und alltäglichen wahnwitz, so lebensnah, keine ausgedachten figuren, selbsterlebtes, nicht künstlich, man mach fenster auf und guckt ins shandy-haus hinein - so spannend) Sprecher: Freilich, um meinen Vater nun vollends nach dem Leben abzuschildern; er war rein unwiderstehlich, im Reden, wie im Disputieren; - er war der geborne Redner; - Theodidaktos – Überzeugungskraft haftete seine Lippen an, und die Elemente der Logik und Rhetorik waren dergestalt in ihm gemengt, - und zugleich besaß er ein so scharfsinniges Gespür für die Schwächen und Leidenschaften seines Respondenten, - dass die NATUR selbst hätte aufstehen und sagen mögen, - „Dieser Mann ist beredt.“ Kurzum, mein Vater mocht im Recht oder Unrecht sein, s’ war allemal gewagt, sich mit ihm anzulegen. Autor (Sprecherin): Wir bekommen also tiefe Einblicke ins kuriose Familienleben einer seltsamen Verwandtschaft, erfahren alles über ihre Grillen und Steckenpferde: Der pedantische Hausvater Walter Shandy ist ständig mit allen möglichen Hypothesen- und Theoriebildungen beschäftigt. Auf die Wissenschaft des Zeitalters der Aufklärung bauend und voll mit eklektizistischem Gedankengut, zimmert er seine Deduktionen und gelangt mitunter in Bocksprüngen vom Besonderen zum Allgemeinen. Er hat den Drang übers Metaphysische, Natur- oder Moralphilosophische zu räsonieren. Doch weder mit einem argumentum ad hominem noch mit einem argumentum ad ignorantiam vermag er seinen Bruder zu begeistern, denn dieser Onkel Toby Shandy kann wegen seiner verschrobenen Liebe zum Militärhandwerk Gesprächen nur dann noch folgen, wenn für ihn militärische Begriffe auszumachen sind. Autor (Sprecherin): Captain Toby Shandy ist dienstuntauglich, seit ihm im Jahre 1713 bei der Belagerung von Namur durch eine herabfallende Mauerzinne eine folgenschwere Verletzung an der Schamleiste beigebracht wurde. Zusammen mit seinem ebenfalls kriegsversehrtem Diener, dem Korporal Trim, bewältigt er das traumatische Erlebnis, indem er seine Schlachten en miniature im Sandkasten nachspielt. Mit Eifer und Genauigkeit zieht er die Gräben und schlägt er die Brücken von Dünkirchen auf seinem Bowling Green im Garten. Hier kann er, was er im Krieg nicht durfte: die Truppen befehligen. Er ist ein Virtuose des Reenactment und restlos der Wissenschaft von der Fortifikation verfallen; er wird zum Meister des Festungsbaus, selbst seine Liebeshändel mit der Witwe Wadman können ihm nur die Belagerung der „Feste Wadman“ bedeuten. Dazu pfeift er gern, aber bei allzu öden Gesprächen und Reden pfeift er eben auch darauf - nämlich seinen Lillibullero - jenes vormals beliebte protestantische Spottlied auf die katholischen Rebellen. MUSIK / AKZENT / LILLIBULLERO / ca. 0:45 Sprecher: Als Korporal Trim die beiden Mörser zustande gebracht hatte, da entzückte ihn das Werk seiner Hände über die Maßen; und weil er wußte, welches Vergnügen es seinem Herrn bereiten würde, sie zu sehen, konnte er dem Verlangen, sie sogleich ins Wohnzimmer zu bringen, nicht widerstehen. … Ei was? Wer da? rief mein Vater, der in dem Augenblick erwachte, als die Tür zu quietschen begann - ´S ist weiter nichts, mit Verlaub, euer Gnaden, sagte Trim, ich bringe da eben nur zwei Mörser. - - Man soll damit hier keinen Radau machen, rief mein Vater heftig, - wenn Dr. Slop Arzneien stoßen will, so mag er das in der Küche tun. - - Mit Euer Gnaden Wohlnehmen, rief Trim, – es sind zwei Bombenmörser für eine Belagerung im nächsten Sommer, die ich aus einem Paar Stulpenstiefel gemacht, die Euer Gnaden, wie mir Obadiah sagte, abgelegt haben. –– Donnerlüttchen! rief mein Vater und sprang beim Flu­chen von seinem Sessel auf, – unter den Ausrüstungsstücken, die mir gehören, ist kein Stück, auf das ich so großen Wert lege wie auf eben diese Stulpenstiefel, –– sie gehörten unserem Urgroßvater, Bruder Toby, –– es waren Erbstücke. Sprecher: Dann, fürchte ich, sprach mein Onkel Toby, hat Trim die Erbfolge abgeschnitten. – – Ich habe bloß die Stulpen abge­schnitten, mit Verlaub, Euer Gnaden, rief Trim. – – Unveräußerliches Erbgut ist mir so unausstehlich wie jedem an­deren, rief mein Vater, –– aber diese Stulpenstiefel…. sind seit den Bürgerkriegen in der Familie; –– Sir Roger Shandy trug sie in der Schlacht von Marston-Moor. – Sie wären mir fürwahr nicht um zehn Pfund feil gewesen. –– Die will ich dir bezahlen, Bruder Shandy, sprach mein Onkel Toby, in­dem er mit unendlichem Vergnügen auf die beiden Mörser schaute… –– Bruder Toby, erwiderte mein Vater und schlug einen anderen Ton an, es schert dich nicht, wieviel Geld du ver­schwendest und verschleuderst, wenn’s nur einer Belage­rung zugutekommt. – Hab’ ich denn nicht jährlich ein­ hundertundzwanzig Pfund und meinen Halbsold dazu? rief mein Onkel Toby. –– Was ist das schon, versetzte mein Va­ter heftig, – wenn du zehn Pfund für ein Paar Stulpenstie­fel ausgibst? ––; glaube mir, lieber Bruder Toby, fuhr mein Vater fort und nahm ihn dabei freundlich bei der Hand, – diese militärischen Operationen überstei­gen deine Kräfte; – du meinst es gut, doch sie stürzen dich in größere Ausgaben, als du anfangs gedacht hast, – und mein Wort darauf, –– lieber Toby, sie werden dich zuletzt dein ganzes Vermögen kosten und noch an den Bettelstab bringen. –– Sei’s drum, Bruder, entgegnete mein Onkel Toby, solange wir nur wissen, daß es zum Besten der Nation geschieht. – Mein Vater mochte wollen oder nicht, er mußte lächeln; – sein Zorn war ohnedies im schlimmsten Fall nur Knall­pulver, – und der Eifer und die Einfalt von Trim, –– und die edelmütige (wenn auch steckenpferdische) Ritterlichkeit meines Onkels Toby söhnten ihn sogleich wieder vollends mit ihnen aus. Edelmütige Seelen! – Gott befördre Euch und Eure Bombenmörser dazu, sprach mein Vater bei sich. MUSIK / LILLIBULLERO / Arr. Purcell 0:55 Autor (Sprecherin): Wo nun im Sinne Onkel Tobys alles zum Besten der Nation geschieht, geht für den kleinen Tristram doch so manches schief: Bei der Geburt wird ihm vom ungeschickten Dr. Slop mit der Geburtszange die Nase eingedrückt. Vater Shandy bleibt da zum Trost die Dissertation über das in der Familientradition wurzelnde Dogma vom Vorzug langer Nasen. Eine Doppeldeutigkeit, die in „stringenten Büchern von strikter Moral“ selbst gewissenlosen ironischen Geistern bedenklich erscheint - weshalb: Sprecher: deshalb definiere ich eine Nase wie folgt, –– wobei ich vorderhand meine Leser, männliche wie weibliche, welchen Alters, Temperaments und Standes sie auch immer sein mögen, um der Liebe Gottes und ihrer eigenen Seelen willen ersuche und beschwöre, vor den Ver­suchungen und Einflüsterungen des Teufels auf der Hut zu sein und nicht zu leiden, daß er ihnen durch List und Tücke irgendwelche anderen Ideen in den Kopf setze als die, welche ich in meiner Definition niederlege. –– Denn was das Wort Nase hier in diesem langen Nasenkapitel und an jeder anderen Stelle meines Werkes, wo das Wort Nase auftaucht, anlangt, – so erkläre ich, daß ich mit diesem Wort eine Nase meine und nichts mehr oder weniger. Autor (Sprecherin): Die eindeutigen Zweideutigkeiten, die sich durchs Sterne´s Bücher ziehen, konnte keiner missverstehen. Die sexuellen Anspielungen sorgten nicht nur für Heiterkeit, sondern erregten auch die Gemüter - und der Verfasser machte sich einen Spaß daraus: Erschien ihm eine Metapher zu deftig, dann bediente er sich seiner Sternchen, mit denen er die (allzu) ausgelassenen Buchstaben ersetzte, oder er brach mit der rhetorischen Figur der Aposiopesis den Satz einfach ab, um die folgende Leerstelle eigens zu betonen und dem Lesern die Ergänzung des Verschwiegenen zu überlassen. Was den Lesern natürlich nie schwer fiel. Sternes Buch war und ist ein graphisches (!) Vergnügen: Auslassungszeichen, Hinweishändchen, allerlei Kritzeleien und geschwungene Linien, und besonders die schwarzen und marmorierten Seiten waren eine Herausforderung für die Buchhersteller aller Zeiten. Dem ist noch heute so. Der Lektor und Verleger Wolfgang Hörner: W. HÖRNER 2:45 (über die geschichte der sterne-editionen, die schwierigkeiten der buchherstellung,…) (Zitator: ´s kost´ aber nur wohlfeile 19.99) AKZENT / Sprecher: (KAP. XXXVI.) Unter all den Abhandlungen, welche sich mein Vater zur Stützung seiner Hypothese mit Mühe zu verschaf­fen wußte und studierte, gab es keine, die ihn anfangs grau­samer enttäuschte als der berühmte Dialog zwischen Pamphagus und Codes, aus der keuschen Feder des großen und venerablen Erasmus, handelnd vom diversen Nutzen und schicklichen Gebrauch langer Nasen. –– Nun gib aber acht, mein liebes Mädchen, wenn sich’s irgendwie machen läßt, daß sich der Satan in diesem Kapitel nicht irgendeine Anhöhe zunutze macht, um deine Imagination zu besteigen; oder sollte er dennoch so fix sein draufzuschlüpfen, –– so bitt’ ich dich, wie ein unbestiegnes Füllen zu hüpfen, zu trippeln, zu springen, hochzusteigen, zu bocken, – und mit langen und kurzen Tritten auszukeilen, bis du wie Butzelmann’s Kobel einen Schwanzriemen oder einen Gurt sprengst und den Junker in den Dreck wirfst. ––– Gleich totzumachen brauchst du ihn nicht. –– ––Bitt’ Euch, aber wer war Butzelmann’s Kobel? – das ist grad so eine ehrenrührige und ungelehrte Frage, Sir, als hättet Ihr gefragt, in welchem Jahr denn (ab urb. con.) der Zweite Punische Krieg ausgebrochen sei. – Wer Butzelmann’s Kobel war! – Lies, lies, lies, lies, mein unge­bildeter Leser! lies, – bei der Gelehrsamkeit des großen hei­ligen Paraleipomenon – sonst rat’ ich dir vorderhand, du tä­test besser daran, dieses Buch sogleich hinzuwerfen; denn ohne große Belesenheit, worunter ich, wie Ew. Ehrwürden wissen, große Gelehrsamkeit verstehe, wirst du ebensowenig imstande sein, die Moral der nächsten marmorierten Seite (buntscheckiges Sinnbild meines Werkes!) zu ergründen, als die Welt mit all ihrem ganzen Scharfsinn imstande ge­wesen ist, die vielen Ansichten, Transaktionen und Wahr­heiten zu enthüllen, die noch immer unter dem dunklen Schleier der schwarzen mystisch verborgen liegen. Autor (Sprecherin): Egal ob gebildet oder belesen — ein jeder und freilich auch eine jede steht (dennoch) so manches Mal vor einem Rätsel, was wohl gemeint sei und worauf da angespielt wird. In der ersten Werkausgabe (die im Frühjahr 2018 erschienen ist) hat der vielfach ausgezeichnete Übersetzer Michael Walter auch einen derart ausführlichen Anmerkungsapparat erstellt, daß, so mag es mir scheinen, keine Fragen offen bleiben. Mit Gelehrsamkeit und großer Genauigkeit erörtert er darin noch die entlegensten Details des kulturellen Wissens jener Zeit. Um also zu erfahren, was es mit diesem Butzelmann und seiner Kobel auf sich hat, schlagen wir nach unter der Anmerkung 262: Zitator: Butzelmann’s Kobel: Im englischen Text steht hier ›Tickle-toby’s mare‹; dies wiederum ist Urquharts Übersetzung für ›Tappecoue’s fille‹; dieser Tappecoue nun figuriert in Rabelais’ »Gargantua«, Buch IV, Kap. 13; dort heißt es von ihm: ›Am Sonnabend darauf erfuhr Villon, daß Tappecoue auf der Klosterjungfrau – so nannten sie eine noch unbesprungene Stute – zum Einsammeln von Almosen nach Saint-Liguaire geritten sei ...‹ ›Tickletoby‹ ist ein Slangausdruck für den Penis, und in Luthers »Liber vagatorum« steht für den Penis eben der ›Butzelmann‹. Das Wort ›Kobel‹ nun ist laut dem »Grimmschen Wörterbuch« ›ein merkwürdiges Wort‹. Es bedeutet: Stute, aber auch schlechtes Pferd, equus deterior. Autor (Sprecherin): Es lohnt sich, noch etwas bei Michael Walters Arbeit zu bleiben, bei seiner preisgekrönten Übersetzung der gesammelten Werke von Laurence Sterne. Keine Übertragung sei, da ist sich die Fachwelt einig, je besser gewesen. Es ist eine moderne Übersetzung auf der Höhe der damaligen Zeit. Michael Walter: O-TON / MICHAEL WALTER 1 0:20 „…. ich wollte, daß es so klingt, als hätte Jean Paul es geschrieben…“ Autor (Sprecherin): Mit dem sicheren Gespür für Zwischentöne führt Walter denn auch seine deutsche Übertragung dorthin, wo das englische Original herkommt: zur Musikalität des Textes. Michael Walter gibt uns ein Beispiel aus seiner Übersetzer-Werkstatt: M. WALTER 2 / ca. 2:50 über die Szene „Tod Le Fevers“ Vokale… Rhythmen… Wortschatz engl. Original und seine Lösung / Musikalität… Autor (Sprecherin): Dieses Kapitel hat einen interessanten großen Komponisten jener Zeit beeinflusst und inspiriert: den deutschen Carl Friedrich Abel, einen Virtuosen auf der Viola da Gamba. Abel machte in England seinen Weg, und es ist durchaus möglich, dass Sterne ihm begegnete und bei einem seiner Konzerte war. Man weiß es nicht. Sicher ist aber, dass Carl Friedrich Abel von Sterne begeistert war und über dessen Texte improvisierte. Der Musikwissenschaftler Peter Holman zitiert in seinem Essay zu Susanne Heinrichs wunderbaren Abel-Interpretationen aus (einem anonymen nachruf) der St. James Chronicle: Zitator: (Abel) wurde zu Recht bewundert; in den Genuss seiner besonderen musikalischen Fähigkeiten kamen aber nur ein paar seiner engsten Freunde in privaten Augenblicken, zu denen eine Flasche roten Burgunders, oder zwei, vor ihm und seine Viola da Gamba in Reichweite nötig waren. In solch´ einem Moment brachten seine Freunde das Thema menschlicher Leidenschaften zur Sprache, und Abel, der seine Gefühle auf Englisch nicht sehr gut ausdrücken konnte, griff nach seiner Viola da Gamba und erzählte dann die Geschichte von Lefevre, bis er seine Hörer zu Tränen rührte. — Empfindsamkeit ist das vorherrschende und schöne Kennzeichen seiner Kompositionen. - Er war der Sterne der Musik - Der eine schrieb, der andere komponierte für die Seele. MUSIK / C. F. ABEL adagio ca. 4.00 Autor (Sprecherin): Laurence Sterne spielte übrigens auch selber die Viola da Gamba. Es war eines seiner bevorzugten Steckenpferde, und er soll es glänzend beherrscht haben. Für Lieblingsbeschäftigungen hatte er ja, wie wir wissen, jedes Verständnis, weshalb er seine liebenswerten Figuren in dieser Hinsicht auch so mitreißend schildern konnte. Wo gäbe es schönere Grillen als im Hause Shandy? Nach seiner Abhandlung über Nasen wendet sich Vater Walter einer fragmentarischen Abhandlung über Namen zu. Denn was seinem Jungen widerfuhr - bei der zeugung die Lebensgeister versprengt, bei der Geburt die Nase gequetscht -, das könne mit dem richtigen Namen durchaus noch wettgemacht werden. Von allen Namen ist ihm Tristram der widerwärtigste, weil er rein gar nicht Heldenhaftes erwarten lasse, sondern allenfalls Jammervolles bewirke. Ergo helfe nur der griechische Name Trismegistus der den ägyptischen Gott der Weisheit, der Wissenschaft und der Künste bezeichne (Zitator: und den der Ingenieure, sagt Onkel Toby) Bis aber der Träger erst unter dem Einfluss des Namens steht, passiert so viel, wie dem Buch immer neue Digressionen erwachsen Sprecher: So reich Sie mir doch die Hosen vom Stuhl, sagte mein Vater zu Susannah – Zum Anziehen ist keine Zeit mehr, Sir, rief Susannah – das Kind ist so schwarz im Gesicht wie meine – Wie Ihre was? sagte mein Vater, der wie alle Rhetoriker leidenschaftlich gern Vergleichen nach­ spürte. – Herrjemine, Sir, das Kind hat Krämpfe – Und wo ist Mr. Yorick – Nimmer wo er sein sollte, sagte Susannah, aber sein Kurat ist im Besuchszimmer und hat das Kind auf dem Arm und wartet auf den Namen –– und meine Herrin trug mir auf, so geschwind wie möglich hierherzulaufen und zu fragen, wo Capitän Shandy doch der Gevatter ist, ob’s nicht nach ihm heißen soll. Wenn man gewiß wüßte, sagte mein Vater bei sich und kratzte sich die Braue, daß das Kind stürbe, so könnte man meinem Bruder Toby die Liebe wohl tun – und in dem Fall wär’s sogar Jammer und Schade, einen so großmächtigen Namen wie Trismegistus daran zu vergeuden – Immerhin, es mag sich erholen. (Sprecher:) Nein, nein, – sagte mein Vater zu Susannah, ich werde aufstehen –– Dazu ist keine Zeit, rief Susannah, das Kind ist so schwarz wie meine Schuh’. Trismegistus, sagte mein Vater – Doch halt – Sie ist ein löchriges Gefäß, Susannah, fügte mein Vater hinzu; kann Sie wohl Trismegistus die Galerie entlang unzerstreut im Kopf behalten – Und ob! rief Susannah und warf trotzig die Türe zu – Ich laß’ mich totschießen, wenn sie’s behält, sagte mein Vater, sprang im Finstern aus dem Bett und tappte nach den Hosen. Susannah sputete sich, schleunigst über die Galerie zu laufen. Mein Vater sputete sich, möglichst schleunigst seine Hosen zu finden. Susannah gewann den Vorsprung und behielt ihn – ’s ist Tris – Dingsbums, rief Susannah – Es gibt auf der Welt kei­nen Vornamen, sagte der Kurat, der anfängt mit Tris – außer Tristram. Dann ist’s Tristram-gistus, sprach Susannah. – Nichts mit gistus, dumme Pute! – so heiß’ ich selber, erwiderte der Kurat und tauchte beim Sprechen die Hand ins Becken – Tristram ! sagte er, &c. &c. &c. &c. so ward ich Tristram geheißen, und Tristram werd’ ich bis an mein selig Ende bleiben. Autor (Sprecherin): Worum es auch immer geht, um Geburtshilfe und Medizin, um die Möglichkeit einer neuen Taufe, ums Kirchenrecht und seine Exkommmunikationsformeln, um Brüste und Bärte, um Ehe- und Erbschaftsverträge - oder auch „nur“ ums Wesen der Philosophie: Sterne collagiert ähnlich wie postmoderne Autoren im 20. Jahrhundert die unterschiedlichsten Texte und Textsorten, bis hin zum bewußten Zitat, was ihm seinerzeit den Vorwurf einbrachte, ein Plagiator zu sein. Heute dagegen gilt auch das, wie selbstverständlich, als legitimer Kunstgriff. Durch die Kontrastierung von Amts- und Wissenschaftssprache mit der Sprache des Alltags schlägt er poetische Funken. Mit allen sprachlichen Fertigkeiten hat er seinen Anti-helden Tristram ausgestattet, damit der sein Steckenpferd, die Schriftstellerei, bestens betreiben kann: im Stil eines Cervantes oder eines Rabelais ist er dabei scharfsinnig und liebenswürdig zugleich. Genauestens beobachtet er die ihn umgebenden Figuren, die im Grunde genommen die tragenden Säulen seiner fatalen traumatischen Sozialisation sind - wie sie auch alle heißen mit ihren Schwächen: Mama, Papa, Slop, Susannah, Obadiah, Toby, Trim. Auf indirektem, erzählerischem Weg hat Sterne damit als einer der ersten auch das Problem der Erziehung zum literarischen Thema erhoben, ein Thema, das die Aufklärung noch nachhaltig beschäftigen sollte. (Autor (Sprecherin):) Aber sei solch´ ein Kaleidoskop der Ansichten und Meinungen auch noch so faszinierend, früher oder später gilt die Neugier der Leser denn doch der Biographie des Dichters. Selbst der fiktive Autor Tristram ist sich dessen bewußt: Sprecher: Ich weiß, es gibt Leser auf der Welt, und ebenso auch viele andere gute Leute, die durchaus keine Leser sind, - die fühlen sich durchaus nich wohl in ihrer Haut, solange sie nicht von A - Z in alles eingeweiht wurden, was des Autors Person angeht. Autor (Sprecherin): (Alsdenn:) Laurence Sterne wurde am 24. November 1713 in Clonmel / Tipperary im Süden Irlands geboren. Es war die Zeit des Spanischen Erbfolgekriegs, einem Weltkrieg unter Englands finanzkräftiger Beteiligung gegen Frankreich, der 1713 mit dem Frieden von Utrecht zu Ende ging. Erst wenige Tage vor Sternes Geburt waren seine Eltern aus Dünkirchen zurückgekommen. Der Vater Roger Sterne, ein schlecht bezahlter englischer Soldat, war wie viele andere Offiziere mittellos. Die Mutter Agnes war die Tochter eines Marketenders. Mit zwei Kindern war man auf sich allein gestellt, führte ein entbehrungsreiches Leben in Armut, war ständig unterwegs zwischen Irland und England, zu immer neuen Garnisonsstädten, je nachdem wo das Regiment des Vaters stand. Vier von Sternes sechs Geschwistern starben noch im Kindesalter vor Schwäche oder an den Pocken. Als das Regiment nach Übersee beordert wurde, gab der Vater den zehnjährigen Laurence in die Lateinschule von Halifax. Dort lebte er fortan beim Schulleiter und wurde von wohlhabenden Verwandten unterstützt. Seinen Vater, der am Tropenfieber auf Jamaica starb, sah er nicht wieder; von der Mutter, die ihn ohnehin vernachlässigte, blieb er getrennt. Sein Onkel ermöglichte ihm auch noch das Studium am Jesus College der Universität Cambridge. Die hierfür angefallenen Schulden verfolgten Laurence Sterne Jahrzehnte lang, bis er alles auf Heller und Pfennig zurückzahlen konnte. Wie einige seiner Vorfahren hatte er sich für den sicheren geistlichen Beruf entschieden. Gewiß nicht die schlechteste Wahl. Jean Paul, als Sternes Geistes- und Seelenverwandter, wußte wie echter Humor entsteht: Zitator: ja der Ernst beweiset als Bedingung des Scherzes sich sogar an Individuen. Der ernste geistliche Stand hatte die größten Komiker, Rabelais, Swift, Sterne… Autor (Sprecherin): Sternes Onkel Jacques half ihm erneut und verschaffte ihm eine Pfarrstelle in Sutton-on-the-forest. Durch die Heirat mit der Pfarrerstochter Elizabeth Lumely, um die er zwei Jahre lang geworben hatte, fiel ihm 1741 die Pfarre in Stillington zu. Es war keine Vernunftehe, sondern eine Liebesheirat, und doch lebte man sich im Laufe der Zeit auseinander. Mrs. Sterne war eine Frau von Prinzpien und äußerst tugendhaft, Mr. Sterne dagegen ein lebenslustiger und kein besonders treuer Ehemann (wenn man der einzigen auf deutsch erschienenen Biographie von David Thomson glauben darf). Auf „Crazy Castle“, im Haus seines engsten Freundes John Hall-Stevenson, den er schon aus Studententagen kannte, traf man sich in einem Zirkel Gleichgesinnter. Bei Musik, Gesang und reichlich Burgunder feierte man rabelaisische Feste - wovon der Gastgeber Hall-Stevenson ein Lied zu singen wußte:: Zitator: Eine lustigere Gesellschaft hat es nie gegeben, weder vor noch nach der Sintflut. Autor (Sprecherin): Sterne hatte den Ruf eines Exzentrikers, der leidenschaftlich seinen Lieblingsbeschäftigungen nachging: dem Spielen der Viola da Gamba, der Malerei, der Lektüre entlegener Schriften und auch der Jagd. Seinen Beruf nahm er ernst, wenn auch ohne übertriebene Frömmigkeit und Pedanterie. Zitator: Man erzählte sich, daß er eines Sonntags auf dem Weg über die Felder ist, um in Stillington zu predigen; da stöbert sein Hund eine Schar Rebhühner auf, worauf Sterne sofort nach Hause umkehrt, seine Flinte holt - und seine Schäfchen in der Kirche vergißt. Autor (Sprecherin): Wenn Sterne aber Predigten hielt, dann sorgte er für wahre Massenansammlungen, auch im Münster zu York. Er muß ein begeisternder Rhetor gewesen sein. Den Dienst seiner spitzen Feder sicherte sich frühzeitig Onkel Jacques. Laurence fühlte sich zunächst noch verpflichtet, für des Onkels Interessen einzutreten. Später aber bricht er in offenem Streit mit seinem ehemaligen Gönner. Vom erbärmlichen Postengeschacher und unerfreulicher Kirchenpolitik legt Sternes „A Political Romance“ Zeugnis ab, auf deutsch ist dieses „Politische Mährlein“ in besagter allererster bei Galiani erschienen Werkausgabe nachzulesen. AKZENT / From The Pulpit Autor (Sprecherin): Im Jahr 1750 hielt Sterne seine berühmte, noch von Voltaire gelobte Predigt „Über den Mißbrauch des Gewissens“ Patrick Wildgust / PULPIT kurzer Ausschnitt, engl. Orig. Lesung, darüber: Sprecher: ——— Denn wir getrösten uns deß, daß wir ein gut Gewissen haben. — - Wahrhaftig, wenn es etwas in diesem Leben gibt, worauf sich derMensch verlassen darf und zu dessen Kenntnis er mit der untrüglichsten Gewißheit gelangen kann, so it es dies, - ob er ein gutes Gewissen hat oder nicht. Autor (Sprecherin): Sterne nahm diese seine Predigt zehn Jahre später in den zweiten Band seines Tristram Shandy auf, um Hausvater Walter, Onkel Toby, Korporal Trim und Dr. Slop über die Angelegenheit aus den verschiedenen Blickwinkeln der Konfessionen disputieren zu lassen. Umso interessanter war es, daß er diese Predigt seinem unkonventionellen Pfarrer Yorick zuschrieb. Im Jahr 1760, als der „Tristram Shandy“ in der Londoner Gesellschaft die Runde machte, veröffentlichte Sterne auch die beiden ersten Bände seiner gesammelten Predigten unter dem Titel „The sermons of Mr. Yorick“. Nicht genug damit, so empörten sich Kritiker, daß ausgerechnet ein Landpfarrer sich über erotische Fragen ausließ und seine Freude an sexuellen Anspielungen nicht zügelte. (Sprecher: Wagen Sie das Sexuelle so wichtig zu nehmen, wie Sie es in Wirklichkeit tun) Außerdem hatte er in seinem Roman Predigt-Texte neben satirische gestellt. Und jetzt folgten auch noch seine eigenen ernsten moralischen Predigten mit dem Namen eines rebellischen Pfarrers und Hofnarren als Verfasser!: Yorick - das war der aus Hamlet bekannte Spaßmacher vom dänischen Königshof. Und schon bei Shakespeare war Yorick „A Man of Infinite Jest“. Sterne aber war gewappnet (- mit Humor und Ironie) gegen jedwede Kritik. Einem ehemaligen Gönner, der zum erklärten Gegner geworden war, Dr. Warburton dem Bischof von Gloucester, antwortete er auf dessen Ratschlag hin, sich in seinen Büchern zu mäßigen.: Sprecher: Seien Sie versichert, Mylord, daß ich nie mit Wissen oder Willen irgend einen Sterblichen durch irgend etwas, was in meinen Augen nach der kleinsten Verletzung des Anstands und der guten Sitten aussieht, beleidigen möchte; aber trotz aller Vorsicht eines Herzes, das frei ist von Ärgernis und von der Absicht, Ärgernis zu geben, fällt es mir beim Schreiben eines Buches, wie es der Tristram Shandy ist, zuweilen schwer, alles in ihm so stark zu verstümmeln, daß es der prüden gemütsverfassung eines jeden kleinlichen menschen gefällt. ixch werde jedoch mein Bestes tun — aber lachen, Mylord, will ich, und zwar so laut ich kann… AKZENT / Patrick Wildgust „Yes… …laughter“ Autor (Sprecherin): Mit Frohsinn den Widrigkeiten des Lebens zu trotzen - das war seine Maxime, und das Lachen war für Sterne, wie er es gleichfalls seinen Lesern empfahl, das köstlichste Lebenselexier auch bei den tragischsten Vorfällen, von denen er erzählt. Bis 1765 waren bereits acht Bände des Shandy erschienen, und dem kleinen Helden ist zwischen den Buchdeckeln kein noch so absonderliches Abenteuer erspart geblieben. Sprecher: ´S war nichts, – keine zwei Tropfen Blut hab’ ich dabei verloren –– es lohnte nicht, nach dem Wundarzt zu schicken, und hätte er nebenan gewohnt –– Tausende erleiden freiwillig, was mir zufällig widerfuhr. –– Doktor Slop machte zehnmal mehr Aufhebens davon als nötig: –– man­che Leute steigen durch die Kunst empor, große Gewichte an dünne Drähte zu hängen, – und noch heute (den 10ten August 1761) muß ich den Ruhm dieses Mannes teilweise mitbezahlen. –– O zum Steinerweichen ist’s, wie es hienie­den zugeht! –– Die Kammerjungfer hatte keinen ********* unters Bett gestellt: Autor (Sprecherin): Sterne´s hinlänglich bekannte Auslassungszeichen ergänzt der phantasievolle Leser mit chamber pot Zitator: Nachttopf Sprecher: Sie hatte keinen unters Bett gestellt: –– Könnt’s mein Junker wohl einrich­ten, sprach Susannah, indem sie unterm Reden mit einer Hand das Schiebefenster in die Höhe drückte und mir mit der anderen aufs Fensterbrett half, – könntest du nicht, mein Herzchen, dies eine Mal nur *** *** ******* ****** ? Ich war fünf Jahre alt. –– Susannah bedachte nicht, daß nichts in unserer Familie gutbestückt war, –– und schnapp! fuhr das Fenster wie der Blitz auf uns herab; – Nichts bleibt übrig, – rief Susannah, – nichts bleibt mir übrig – als daß ich nun in die Fremde gehe. –– ( Meines Onkel Toby’s Haus war indes eine freundlichere Freistatt; und also floh Susannah dieser zu. ) Autor (Sprecherin): Man lebt im Zeitalter Newtons, die Gravitation und die Fallgesetze sind allseits bekannt. Ob nun die herabstürzende Mauerzinne auf Onkel Tobys Schamleiste fällt oder das Fenster zu Tristrams Beschneidung - Gleichviel, auch die Gravität gewisser Leser hat es wieder einmal erwischt, nicht aber Sternes Gravitationslinie, jene von ihm so bezeichnete Komposition der Themen im digressiven Zick-Zack-Kurs, der niemals Ähnlichlichkeit besitzt mit den Lineal des Schreiblehrers: Sprecher: Die gerade Linie - der Pfad, den Christen einherwandeln sollen, Zitator: sagen die Geistlichen Sprecher: - - Das Sinnbild moralischer Rechtschaffenheit, Zitator: sagt Cicero - - Sprecher: - Die beste Linie, Zitator: sagen die Kohlrübenstecker, Sprecher: ist die kürzeste Linie, Zitator: sagt Archimedes, Sprecher: die von einem gegebenen Punkt zum andern gezogen werden kann. Zitator: - - Welch´ eine Tour - ! AKZENT / LILLIBULLERO (Pfeifen) Sprecher: Schade, Trim, sagte mein Onkel Toby und stützte sich mit der Hand auf des Korporals Schulter, als sie selbander ihre Festungswerke prüften, – daß wir nicht ein paar Feldgeschütze haben, um sie in der Kehle der neuen Redoute zu montieren; –– damit wären alle Linien dort gedeckt und die Schlagkraft auf dieser Seite so recht komplettiert; –– laß Er mir ein Paar gießen, Trim. Euer Gnaden sollen sie haben, versetzte Trim, noch vor morgen früh. Autor (Sprecherin): Dem Korporal Trim ist es eine Herzensfreude und Vergnügen: das Rasierbecken aus Zinn einzuschmelzen, die bleiernen Dachharfen abzumeißeln und noch allerlei andere Reservestückchen zu finden, Sprecher: ; und weil sich ihm keine bessere Acquisitionsquelle bot, so hatte er die beiden Bleigewichte vom Fenster des Kinderzimmers genommen: und da die Schiebefensterrollen nun einmal nutzlos waren, nachdem die Bleigewichte fehlten, so hatte er sie gleichfalls mitgehen heißen, um für eine der Lafetten ein Paar Räder drauszumachen. (Längst schon hatte er alle Schiebefenster in meines Onkel Toby´s Haus in gleicher Weise demontiert, – wenn auch nicht immer in der gleichen Reihenfolge; denn zuweilen waren die Rollen gefragt und nicht das Blei, – alsdann begann er mit den Rollen, – und waren die Rollen einmal entfernt, so ward das Blei nutzlos, – und dann mußte das Blei auch an den Tanz. –– Hieraus ließe sich artig eine prächtige Moral ziehen, allein ich habe nicht die Zeit – es genügt, wenn ich sage, einerlei wo die Zerstörung begann, für das Schiebefenster war’s gleich verhängnisvoll.) –– Ich wollte, sagte Trim…., ich hätte statt der Fenstergewichte die Speiröhren der Kirche abgezwackt, wie ich’s schon einmal willens war. – - Du hast genug Röhren abgezwackt, versetzte Yorick. –– MUSIK / finis 3. Stunde AKZENT / WILDGUST 1 MUSIK / Robert Coyne „Whiskers“ / 3:00 Autor (Sprecherin): „Whiskers“ von Robert Coyne - Er wußte hier ein Lied zu singen von Tristram Shandys berühmten Aufsatz über berüchtigte Bärte: Sprecher: Über Knebelbärte. Ich bedauere, es gegeben zu haben –– es war ein so leicht­fertiges Versprechen, als es einem Manne je eingekommen –– Ein Kapitel über Knebelbärte! ach! die Welt wird’s nicht leiden –– die Welt ist empfindlich – … so gewiß als Nasen immer noch Nasen und Knebelbärte im­mer noch Knebelbärte sind… Autor (Sprecherin): Robert Coyne schrieb seinen Laurence-Sterne-Song „Whiskers“ eigens für die Shandy-Hörspielinszenierung von Karl Bruckmaier, der für diese Produktion des Bayerischen Rundfunks im Jahr 2015 noch einen Erzähler erfand, den es im Buch gar nicht gibt - und den es so auch nur im Hörspiel geben kann:) Hörspiel 2 Ausschnitt kurz 0:30 ja, laß sie immer nur hübsch weiterreiten, meinen Segen haben sie / „Erzähler“ jagt - wie ein steckenpferd - durch die Kapitel / (Ach, armer Yorick) BRUCKMAIER 1 1:25 Über Sternes Bruch mit Konventionen, seine Hörspieldramaturgie, Literatur und die Mittel des Radios.. Hörspiel 3 Atmo / Saal-akustik / „Shandy“ spricht… es gibt Leser… 0:25 BRUCKMAIER 2 0:25 Das sind bewußte Anachronismen, … Brecht… Verfremdung,… hier wird etwas aufgeführt, ältere Auffassung, Romantheorie… Hörspiel 4 / 0:30 Erzähler / Bitt ich Euch Yorick, wie aber ist die sache mit unserem tristram von den gelehrten herren zu guter letzt entschieden worden? (Zitator: na so) Autor (Sprecherin): Am schönsten ist es noch immer, den Tristram selber zu lesen. Die eigene Sterne-Lektüre ist durch nichts zu ersetzen. Doch nicht zuletzt als flankierende Maßnahme - um mit Onkel Toby zu sprechen - ist dieses Hörbuch unbedingt zu empfehlen. Schon wegen der Songs lohnt es sich: Robert Forster singt „Good-Bye Yorick“, Chris Cutler intoniert „Uncle Toby and the fly“, und der Singer-Songwriter Robert Coyne ist längst auch kein Unbekannter mehr: BRUCKMAIER 3 1:10 Robert Coyne ist der Sohn von Kevin Coyne… …alle songs kann man beim BR Hörspiel runterladen. Hörspiel 1 / weiter AKZENT 0:05 Autor (Sprecherin): In Kapitel Zwölf schreibt der junge Shandy über Onkel Tobys allumfassendes Wohl­wollen, und daß er die eine Hälfte seiner Philanthropie diesem einen zufälligen Eindruck zu verdanken habe. Zitator: • Das diene Eltern und Erziehern statt eines ganzen Buches über dies Thema. Sprecher: –Geh, ­­­ sagt’ er eines Tages beim Dinner zu einem dicken Brummer, der ihm die ganze Mahlzeit über um die Nase geschwirrt und entsetzlich zur Plage geworden war, – und den er nach endlosen Versuchen schließlich im Vorbeifliegen erhascht; ­­­ ich will dir nichts zuleide tun, sagt’ mein Onkel Toby, steht vom Stuhl auf und geht mit der Fliege in der Hand durchs Zimmer, ­­­ ich will dir kein Härchen krümmen: ­­­ Geh, sagt’ er, schiebt das Fenster hoch und öffnet unterm Reden die Hand, damit sie entfleuchen kann; – geh, armes Ding, mach dich von hinnen, weshalb sollte ich dir ein Leids tun?­­­­ Die Welt hat sicherlich doch Raum genug für dich und mich. MUSIK / CHRIS CUTLER / Uncle Toby and The Fly 2:00 Sprecher: Sagt mir doch, Ihr Gelehrten, sollen wir denn immer nur neue Bücher machen grad wie die Apotheker neue Mixturen, indem wir aus einem Ge­fäß in ein andres gießen? Sollen wir denn immer nur die Masse so sehr mehren – und den Gehalt so wenig ? Müssen wir denn immer nur denselben Strang drehen und aufdröseln? immer nur im selben Gang – immer nur im gleichen Trott ? Sollen wir denn bis in alle Ewigkeit, festtags so gut wie werkeltags, dazu bestimmt sein, die Reliquien der Gelehrsamkeit vorzuzeigen als wie die Mönche die Reliquien ihrer Heiligen – ohne auch nur ein – ein einziges Wunder damit zu wirken? n. n. - Muß es denn immer so weitergehen…? Zitator: In Frankreich - verstehen Sie die Sache besser Hörspiel -AKZENT 1952 / kurz 0.15 Bearbeitung: Wolfgang Nied, Regie: Peter Ebert. 1952 SWR (P) Sie waren in Frankreich!?! LESSER READING / SENTIMENTAL JOURNEY / AKZENT 1 0:20 Sprecher: • In Frankreich, sagt´ ich, greift man die Chose besser an -- Ihr wart in Frankreich? fuhr mein Gentleman mit dem artigsten Triumph der Welt rasch gegen mich los. – Seltsam! sprach ich, dieweil ich die Sache erwog, daß eine Seereise von einundzwanzig Meilen zu Schiffe, denn weiter ist’s schlechterdings nicht von Dover nach Calais, einem Manne solche Vorteile schafft – LESSER READING / SENTIMENTAL JOURNEY / AKZENT 2 0:16 Autor (Sprecherin): Wagen Sie empfindsam - …. Sprecher: …die schüchterne Freimütigkeit, womit sie mir die Hand reichte, verriet, so glaubte ich, ihre gute Erziehung und ihren feinen Takt; und wie ich sie geleitete, spürte ich eine liebliche Fügsamkeit, welche mein ganzes Gemüt mit heiterer Gelassenheit erfüllte – M. WALTER 1 / AKZENT 0.06 „Als die sentimental j. erscheint… Übersetzung.“ Autor (Sprecherin): Der preisgekrönte Übersetzer Michael Walter über die Sentimental Journey des Laurence Sterne M. WALTER 2 / 0.36 Er hatte ärger bekommen wegen der zoten im shandy, …neues buch, neuer ruf, .. erotik versteckter… der erfolg gab ihm recht, es hat sich wunderbar verkauft. (Zitator: Am Remisentor. Calais. ) Sprecher: Ich hatte ihre Hand über die ganze Zeit nicht losgelassen; und so lange gehalten, daß es unziemlich gewesen wäre, sie freizugeben, ohne sie zuvor an meine Lippen zu drücken: Blut und Lebensgeister der Dame, welche gleichsam aus ihr gewichen, kehrten zurück, da ich’s tat. Autor (Sprecherin): Als Johann Joachim Bode die 1768 erschiene Sentimental Journey ins Deutsche übertrug, hatte er seine liebe Müh´ mit dem Wort sentimental. Allen möglichen Ausdrücke und Umschreibungen hatte er ausprobiert, doch erst sein Freund und Ratgeber Lessing prägte schließlich das Epoche machende Wort. In der Einleitung zu seiner Übersetzung zitiert Bode Gotthold Ephraim Lessing: Zitator: „Hier sind seine eigenen Worte: „Es kömmt heute darauf an, Wort durch Wort zu übersetzen; nicht eines durch mehrere zu umschreiben. Bemerken Sie sodann, daß sentimental ein neues Wort ist. War es Sternen erlaubt, sich ein neues Wort zu bilden: so muß es eben darum auch seinem Übersetzer erlaubt seyn. Die Engländer hatten gar kein Adjectivum von Sentiment: wir haben von Empfindung mehr als eines. Empfindlich, empfindbar, empfindungsreich: aber diese sagen alle etwas anderes. Wagen Sie empfindsam! Wenn eine mühsame Reise eine Reise heißt, bey der viel Mühe is; so kann ja auch eine empfindsame Reise eine Reise heissen, bey der viel Empfindung war.“ (Ich will nicht sagen, daß Sie die Analogie ganz auf ihrer Seite haben dürften. Aber was die Leser vors erste bey dem Worte noch nicht denken, mögen sie sich nach und nach dabey zu denken gewöhnen.)“ Sprecher: Wie nun die beiden Reisenden, so im Kutschenhof mit mir parlieret, just in diesem kritischen Augenblick von ungefähr vorbeipassierten und unsern vertrauten Umgang merkten, so setzten sie’s sich freilich in den Kopf, wir müßten zum wenigsten Gatte und Gattin sein; sobald sie denn vor das Remisentor kamen, verweilten sie, und der Eine, der wißbegierige Reisende nämlich, befragte uns, ob wir den nächsten Morgen wohl nach Paris abgingen? – Ich könne allein für mich einstehen, sagte ich; und die Dame setzte hinzu, sie wolle nach Amiens. M. WALTER 3 / 1:05 Dieses buch.. epoche gemacht… einfluss auf die deutsche literatur ungleich größer als beim shandy…. Yorick-manie.. deutsche seele… aber nicht gemerkt, dass sj genauso erotisch ist wie ts, … motive eingeschmuggelt Sprecher: – Ei, was könnte es groß schaden, sagte ich mir, die betrübte Dame zu bitten, meine Chaise mit mir zu teilen? – und welch gewaltiges Unheil sollte daraus denn schon erwachsen? Jede gemeine Leidenschaft und üble Neigung in meinem Wesen schlugen Alarm auf, als ich dies in Vorschlag brachte. – Du wirst genötigt sein, ein drittes Pferd zu mieten, sagte der GEIZ, und das wird dir 20 Livre aus dem Beutel locken. – Weder weißt Du, wer sie ist, mahnte der ARGWOHN – noch in welche Patsche Dich dieser Handel bringen könnte, flüsterte die FEIGHEIT – Des sei gewiß, Yorick! sagte die KLUGHEIT, man wird es ausschreien, Du seiest mit einer Maitresse auf und davon und dieserhalb zum Stelldichein nach Calais gekommen – – Du kannst hernach nimmermehr, rief laut die HEUCHELEI, dein Antlitz frei vor aller Welt zeigen – oder, sprach die SCHÄBIGKEIT, in der Kirche avancieren – oder etwas anderes darinne sein, sagte der STOLZ, denn ein lausiger Präbendar. – Doch artig ist es allemal, sagte ich – und da ich gemeiniglich meinem ersten Antriebe gehorche und darum selten dieser Kabalen achte, welche, meines Wissens, zu nichts anderem taugen, als das Herz mit einer demantenen Rinde zu umwallen – so drehte ich mich alsogleich nach der Dame um – – Allein sie war unvermerkt entschwebt, …. W. HÖRNER 1 / AKZENT 0.05 „Ja, das ist halt so, als Sternianer reitet man seine Steckenpferde…“ Autor (Sprecherin): Das ist der Verleger und wahlweise Shandyianer oder auch Shandyist Wolfgang Hörner, der in der ersten deutschen Werkausgabe mehrere Aufsätze über Sterne geschrieben und insbesondere auch über die Sentimental Journey und ihre Folgen ein kenntnisreiches Nachwort verfasst hat: W. HÖRNER 2 / 1:33 „ganz Deutschland schrieb Briefe wie er, über die Sterne-Manie, den Kult,…“ Sprecher: Dies bringt mich … sowohl zu den Beweg- als zu den Zweckursachen des Reisens – und zu einer anderen Sorte Gentlemen, die ich kenntlich machen werde mit der Bezeichnung Einfache Reisende. Sonach reduzieret sich der ganze Zirkel der Reisenden auf folgende Rubriken. Müßige Reisende, Wissbegierige Reisende, Lügnerische Reisende, Dünkelhafte Reisende, Eitle Reisende, Milzsüchtige Reisende. Alsdann folgen die Reisenden aus Notwendigkeit. Der pflichtvergessene und schurkische Reisende, Der unglückliche und unschuldige Reisende, Der einfache Reisende, Und endlich (mit Verlaub) Der Empfindsame Reisende (worunter ich meine eigene Wenigkeit verstehe) als welcher gereiset ist, worüber Rechenschaft abzulegen ich mich nunmehr niedersetze – – ebenso sehr aus Notwendigkeit und besoin de Voyager wie jeder andere dieser Klasse. (Ich weiß dabei recht wohl, daß sich meine Reisen so gut wie meine Betrachtungen als gänzlich anderer Wurf erzeigen werden als die diejenigen meiner sämtlichen Vorgänger.) (Ich weiß dabei recht wohl, daß, dieweil sich meine Reisen so gut wie meine Betrachtungen als gänzlich anderer Wurf erzeigen werden als die diejenigen meiner sämtlichen Vorgänger, ich eine gesonderte Nische ganz für mich allein hätte beanspruchen dürfen – jedoch käme ich dem Eitlen Reisenden ins Gehege, wollte ich die Aufmerksamkeit auf mich lenken, eh’ ich keine bessere Begründung dafür vorweisen könnte als die schiere Neuartigkeit meines Vehikels.) M. WALTER 4 / 0:45 „Sterne meint mit empfindsam… ein Album.“ ***evtl. na eliza / hörner (Zitator: DIE SCHNUPFTABAKDOSE. CALAIS. ) Sprecher: Just als mir der Gedanke in den Sinn geriet, war aber der gute alte Mönch zu uns gelangt; und da er gerade eine hörnerne Schnupftabakdose in der Hand hielt, streckte er sie mir geöffnet hin – Ihr sollt meinen versuchen – sagte ich, indem ich meine Dose zückte (die klein war und von Schildkrot) und ihm in die Hand gab – Ein erlesenes Stück, sagte der Mönch; so erweist mir die Gunst, versetzte ich, die Dose anzunehmen, wie sie eben ist, und zwickt Ihr eine Prise daraus, so entsinnt Euch zuweilen, daß es die Versöhnungsgabe eines Mannes gewesen, welcher Euch einmal unfreundlich begegnete, doch nicht von Herzen. Der arme Mönch ward blutrot. Mon Dieu! sagte er und preßte die Hände aneinander – nie noch seid Ihr mir unfreundlich begegnet. – W. HÖRNER 3 / 2:30 Über die Gebr. Jacobi und ihre Lorenzo-Dosen, Empfindsamkeitskult II Sprecher: Ich bewahre diese Dose wie die äußeren Andachtsmittel meiner Religion, um meinen Geist zum Bessern zu fördern: und verlasse auch wahrhaft selten das Haus ohne sie; Eine gewisse Verzagtheit befällt mich, da ich nun hinzufügen muß, daß mir in Calais bei meiner letzten Durchreise auf meine Erkundigung nach dem Vater Lorenzo die Auskunft zuteil ward, er sei vor beinah drei Monaten verstorben und liege nicht in seinem Kloster begraben, sondern seinem Wunsche gemäß auf einem anhangenden kleinen Kirchhof gegen sechs Meilen entfernt: Ich verspürte ein starkes Verlangen, zu sehen, wo sie ihn hingebettet hatten – als ich mit seiner kleinen Horndose in der Hand an seinem Grabe saß und zu seinen Häupten ein paar Nesseln ausraufte, die dort gänzlich fehl am Platze schienen, so verursachte mir dieses alles zusammen eine so gewaltige Gemütsbewegung, daß ich in eine Flut von Tränen ausbrach – aber ich bin weich wie ein Weib; und ich bitte die Welt, nicht zu lächeln, sondern mich zu bedauern. MUSIK / ABEL / GAMBE ca. 3.00 Autor (Sprecherin): Im Herbst des Jahres 1767, einige Monate vor dem berauschenden Erfolg seiner Empfindsamen Reise des Mr. Yorick verfasste Laurence Sterne, der schon von seiner Krankheit gezeichnet war, ein Memorandum, eine Selber-Lebensbeschreibung für und an seine Tochter Lydia: Sprecher: – Im Jahr 1760 mietete ich in York ein Haus für Deine Mutter und Dich und ging nach London, um die ersten beiden Bände meines Shandy herauszugeben. Im nämlichen Jahr präsentierte mich Lord (F)auconberg für die Unterpfarre in Coxwold – ein reizender abgeschiedener Winkel verglichen mit Sutton. 1762 reiste ich noch vor dem Friedensschluß nach Frankreich, und Ihr zwei beide folgtet mir nach. –– Ich ließ Euch beide in Frankreich zurück, und zwei Jahre später reiste ich zur Wiederherstellung meiner Gesundheit nach Italien –– und als ich Euch besuchte, bemühte ich mich, Deine Mutter dazu zu bewegen, mit mir nach England zurückzukehren – sie und Du, ihr seid nun endlich gekommen –– und mir wird die unaussprechliche Freude zuteil, an meinem Mädchen jede Eigenschaft zu finden, die ich ihm gewünscht habe. Autor (Sprecherin): In Coxwold, in besagter Unterpfarre, etwa 30 Kilometer nördlich von York gelegen, verlebte Sterne noch einige schöne Jahre. Er fühlte sich dort besonders wohl und taufte das Pfarrhaus ›Shandy Hall‹. Es wurde ihm zum Refugium, „zum köstlichen Zufluchtsort“ seiner letzten Jahre. Sprecher: In Coxwold bin ich glücklich wie ein Prinz Autor (Sprecherin): Heute zählt dieses Dorf 150 Seelen, und Shandy Hall ist ein dem Autor gewidmetes Museum, in dem der Kurator Patrick Wildgust lebt und (tagaus, tagein) bei Sterne zu Hause ist: (Zitator: In Coxwold verstehen sie die Sache besser) PW / Patrick WILDGUST 2 / 3:10 darüber: Sprecher/Tilman Leher: > Shandy Hall ist ein anerkanntes Museum, das man zu bestimmten Zeiten für etwas Eintrittsgeld besuchen kann, oder auch nach Terminvereinbarung. Es beherbergt Laurence Sternes Werke, seine Briefe und seine Predigten. Das ist nun nicht gerade viel, um besonders was herzumachen. Aber, immerhin! Die Bibliothek stammt größtenteils von Kenneth Monkman, der den Laurence Sterne Trust mit begründete. Außerdem gibt es Gemälde, Drucke und auch sonst noch Einiges, was unmittelbar mit Sterne zu tun hat. Und wir haben Werke von zeitgenössischen Künstlern. Wir sind offen für Künstler, die sich von Sterne beflügeln lassen wollen. Als ich hier anfing, waren es sogar weniger die Schriftsteller, die sich Sterne verpflichtet fühlten, als vielmehr Bildende Künstler, die nach Shandy Hall kamen. Das ist insofern interessant, als es noch einmal zeigt, dass der Tristram Shandy auch etwas Visuelles hat, ein visuelles Buch ist. Aber seine ganzen Kniffe und Erzählstrategien sind halt außergewöhnlich. Sterne treibt seine Spielchen. (Und) Wir sind seinem spielerischen Geist verpflichtet, gerade auch im Umgang mit unseren Besuchern. Also, ich lebe ja auch in dem Haus, es gibt da keine festgelegte Führung, wir kommen auch ohne Hinweistäfelchen oder beschriftete Vitrinen aus. Also, wie soll ich sagen: Es läuft bei uns - immer wieder aufs Neue. (Fluid experience) Schön ist außerdem, dass wir mitten im Naturschutzgebiet leben, und unser Dorf hat auch noch ein bisschen was von vergangenen Zeiten. So hoffen wir´s also im Geiste Sternes und machen unverdrossen weiter. < O-Ton hoch AKZENT Autor (Sprecherin): Das Programm in Shandy Hall und die Unternehmungen des Laurence Sterne Trust sind vielfältig und interdisziplinär. Es gibt workshops für Schüler und Studierende. Man arbeitet mit den unterschiedlichsten Künstlern zusammen, z. B. mit dem Zeichner Martin Rowson - der schon den Tristram Shandy in eine Graphic Novel verwandelt hatte und das jetzt auch mit der Sentimental Journey macht. Roger Marsh und das Hilliard Ensemble widmeten sich im Lauf der Jahre „Poor Yorick“, außerdem gab es Re-enactment-Abende mit Susanne Heinrich, die Carl Friedrich Abel auf der Viola da Gamba spielte. Patrick Wildgust selber las in der St. Michael´s Church von Coxwold Sternes Predigten begleitet vom Organisten Jim Inglis. Auf den Internetseiten von Shandy Hall ist vieles dokumentiert, so auch die Vorbereitungen zur Jubiläums-Komposition von David Owen Norris. (:) - „Sterne was the man“ - (Zitator: „Sterne was the man“ -) SHANDY HALL CHANNEL / MINI-REVUE / Sterne was the Man! ca. 1.15 WILDGUST 3 / 2:00, voice over, darüber: Sprecher/Tilman Leher: Shandy Hall steht unter Denkmalschutz, nicht nur weil es alt ist und diese literarische Bedeutung hat, sondern auch weil es dort mittelalterliche Wandmalereien gibt. Der ganze Bau ist es wert, erhalten zu bleiben. Wie lebt es sich nun hier? Also, im Sommer sagen uns die Leute immer, wie glücklich wir doch wohl sein müssen, hier zu wohnen. Das stimmt, wir sind´s. ****** Chris, meine Lebensgefährtin, pflegt und bestellt den Garten, der übrigens auch für Besucher geöffnet ist. In der Hauptsache aber geht es bei uns darum, daß Sternes Geist lebendig bleibt! Er zählt ja bei uns nicht gerade zu den viel gelesenen Autoren. Im Schulunterricht spielt er kaum eine Rolle. An Universitäten beschäftigt man sich allerdings in jüngster Zeit wieder mehr mit ihm, weil er für das Verständnis moderner Kunst und Literatur eben doch entscheidend ist. Außerdem ist er auch einer fürs Internetzeitalter. Das hat mit seiner Nähe zu Hypertext zu tun - Sie wissen schon: Sie springen von link zu link, fangen irgendwo mittendrin an, folgen keinem festgelegten Pfad, sondern gehen immer der Nase nach.. WILDGUST (3) / hoch auf Ende Autor (Sprecherin): Für Patrick Wildgust hat das Surfen im Internet durchaus etwas von Sternes Digressionen. In der Sterne-Lektüre mag man zweifellos versinken, im Netz aber verliert man sich - auch im Tristram-Sterne-Kosmos auf den verzweigten Webseiten vom Laurence Sterne Trust und Yoricks Shandy Hall… SHANDY HALL / MIX 2 / 0:35 evtl. from the PULPIT / o. LETTERS TO ELIZA, Blende (Sterne is inviting you to take part in making an understanding what it´s like to be alive) Sprecher/Tilman Leher: Sterne lädt Sie dazu ein, dabei zu sein, wenn es heißt: wir leben! Sterne lädt Sie dazu ein, mit ihm herauszukriegen, was es heisst: zu leben! (Und) Das ist schon was! SHANDY HALL / MIX 2 / weiter. Autor (Sprecherin): Ein Fragment in Rabelais´scher Manier, Ein politisches Mährlein, frühe Satiren - es gibt (noch) viel zu entdecken in der ersten deutschen Werkausgabe (die bei Galiani Berlin erschienen ist): Das Tagebuch des Brahmanen, die Briefe an Eliza und überhaupt : sämtliche Briefe Laurence Sternes. Die sind hier - erstmalig - gut dokumentiert. Noch einmal (der Verleger) Wolfgang Hörner: W. HÖRNER 4 / DIE BRIEFE 3:30 Über die Briefe und ihre Editionsgeschichte, Stilist Sterne als Briefschreiber… ungewöhnlich für seine Zeit Autor (Sprecherin): Zu den vielleicht wichtigsten Briefen, die Sterne auch als politischen Kopf der Aufklärung zeigen, gehört sein Antwortschreiben an einen gewissen Ignatius Sancho. Zitator: Über die ersten Jahre des Adressaten gibt es keine gesicherten Angaben, IGNATIUS SANCHO wurde wohl um 1729 auf einem Sklavenschiff geboren. Im Alter von zwei Jahren kam er als Waise und Sklave nach London, zu drei unverheirateten Schwestern, die ihm – damit er fügsam bliebe – keine Bildung ermöglichten. Doch ein Nachbar, JOHN, 2. DUKE OF MONTAGU, wurde auf ihn aufmerksam und ließ ihn unterrichten. Nach Montagus Tod nahm dessen Witwe Sancho unter ihre Fittiche… später trat er in die Dienste von Montagus Schwiegersohn George… (den) 4. Earl of Cardigan. Etwa (/ Erst) sechs Jahre nach Sternes Tod kam Sancho frei und eröffnete ein Viktualiengeschäft in der Nähe des Par­laments in Westminster. Er komponierte zudem und ließ einige seiner Stücke drucken. Bald war er eine bekannte Persönlichkeit, Abolitio­nisten führten ihn als Beispiel dafür an, daß auch Schwarze denkende und fühlende Menschen waren. Seine Korrespondenz wurde posthum 1782 unter dem Titel » The Letters of the late Ignatius Sancho, An Af­rican« veröffentlicht. Sancho war der erste Afrikaner, von dem man weiß, daß er bei einer britischen Wahl seine Stimme abgab, und der er­ste, der einen Nachruf in der Presse erhielt – er starb 1780. Autor (Sprecherin): Im Jahr 1766 hatte er Sterne, der über seine Frau entfernt mit dem Duke of Montagu verwandt war, geschrieben und sich folgendermaßen vorgestellt: »Ich bin einer von denen, die von ordinären und engstirnigen Leuten ›Negurs‹ genannt werden«. Sancho erklärte, Sternes Predigten hätten sein Herz tief berührt, besonders eine, in der Sterne auch auf die Leiden der Ver­sklavten eingegangen war, und bat den bewunderten Autor nun, noch einmal eine halbe Stunde für die Sklaven auf den westindischen Inseln zu erübrigen. Sprecher: 182. An Ignatius Sancho Coxwold bei York, [Sonntag,] 27. Juli 1766. In den kleinen, (wie in den großen) Begebenheiten dieser Welt, Sancho, treffen die Dinge so wundersam zusammen: denn ich hatte eben eine zärtliche Geschichte vom Leiden eines freundlosen, armen Negermädchens geschrieben; und meine brennenden Tränen waren kaum versiegt, da erreichte mich Euer Empfehlungsschreiben zugunsten so vieler ihrer Brüder und Schwestern –– aber warum denn ihrer Brüder? –– oder Eurer, Sancho! und nicht ebenso meiner? Über die feinsten Tinten und unmerklichsten Abtönungen geht die Natur vom blassesten Teint von St. James bis zur rußschwärzesten Hautfarbe in Afrika über: und bei welcher dieser Tinten sollten wohl die Blutsbande enden? und wie viele Schattierungen müssen wir auf dieser Skala noch weiter hinabsteigen, ehe die Barmherzigkeit mit ihnen verschwindet? –– Es ist aber nichts Ungewöhnliches, mein guter Sancho, daß die eine Hälfte der Welt die andere wie Tiere behandelt und sich dann bemüht, sie zu solchen zu machen. Ich, meines Teils, blicke (wenigstens in schwermütiger Stimmung) nie nach Westen, ohne an die Bürde zu denken, die unsere Brüder & Schwestern dort tragen – & könnte ich auch nur eine Unze von ihren Schultern nehmen, so versichere ich, diese Stunde noch wollte ich zu ihrem Heil eine Wallfahrt gen Mekka antreten – was nebenher bemerkt, Sancho, Euren zehn Meilen weiten Gang ungefähr ebenso stark übertrifft, wie ein Besuch aus Menschenfreundlichkeit eine bloß förmliche Visite überträfe –– hättet Ihr sie aber vielmehr meinem Onkel Toby machen wollen –– so stehet er in Eurer Schuld. Kann ich die Geschichte, welche ich geschrieben, dem Werk, woran ich bin, einverweben – so dient es den Bedrängten – und einer noch größeren Sache; denn in allem Ernste und mit aller Wahrheit gesprochen, es wir einen düsteren Schatten auf die Welt, daß ein so großer Teil von ihr so lange in Ketten der Finsternis & in Ketten des Elends gefesselt gewesen und noch jetzt gefesselt ist; & ich kann Euch nur ehren & beglückwünschen, daß Ihr mit soviel rühmlichen Fleiß jene zerbrochen habt – & daß die Vorsehung, indem sie Euch einer so guten und mitleidvollen Familie zuführte, Euch von diesen befreite. Und hiemit, gutherziger Sancho! Adieu! & seid versichert, ich werde Euren Brief nicht vergessen. Euer L Sterne MUSIK / ABEL (kurz) Absage Der Erfinder des modernen Romans Eine Lange Nacht über Laurence Sterne, , von Michael Langer, Mit Michael Walter Walter, Patrick Wildgust, Wolfgang Hörner und Karl Bruckmaier Es sprachen Claudia Mischke, Jonas Baeck, Tilman Leher und Josef Tratnik Zitiert wurde aus der dreibändigen Werkausgabe Laurence Sterne, erschienen bei Galiani, Berlin Musik von Carl Friedrich Abel, Georg Friedrich Händel, William Boyce, Thomas Erskine, Robert Coyne und Chris Cutler Regie: der Autor Redaktion: Monika Künzel Sprecher: Und nun, da Ihr soeben ans Ende ge­langt seid –– so ist das Ding, das ich zu fragen habe, wie befinden sich Dero Köpfe? ( - mein eigner schmerzt mich elend – was Dero Gesundheit anlangt, da weiß ich, ihr ist recht aufgeholfen –– Echter Shandyismus, man mag dagegen haben, was man will, weitet Herz und Lunge und zwingt, wie alle Affektionen seiner Art, das Blut und die anderen Lebenssäfte des Körpers, ungehemmt durch dessen Kanäle zu strömen, und läßt das Rad des Lebens lang und munter umgehen. - ) ( - Dürfte ich mir gleich Sancho Pança mein Königreich wählen, es sollte keine Seemacht sein – auch keine Negernation, um einen Penny draus zu schlagen –– nein, es sollte ein Königreich sein von herzlich lachenden Untertanen: Und da, wie ich sehe, die galligen und melancholischeren Leidenschaften, durch die Unordnung, die sie im Blut und in den Säften stiften, einen ebenso argen Einfluß auf den politischen wie auf den natürlichen Körper üben – und nur eingefleischte Tugend diese Leidenschaften gänzlich zu regieren und der Vernunft Untertan zu machen vermag – so möchte ich meiner Bitte hinzufügen – daß Gott meinen Untertanen die Gnade verleihen wolle, ebenso weise als fröhlich zu sein; alsdann wäre ich der glücklichste Mo­narch und sie das glücklichste Völkchen unter der Sonne – ) Und mit dieser Moral nehme ich denn, mit Ew. Gestrengen und Ew. Ehrwürden Wohlnehmen, für diesmal von Euch Abschied bis heute übers Jahr, wo ich dann (so mich dieser nichtswürdige Husten nicht in die Grube bringt) neuerlich Dero Bärte raufen und der Welt eine Geschichte eröffnen will, von der Ihr Euch schwerlich träumen laßt. MUSIK Musikliste 1. Stunde Titel: aus: Suite für Viola da Gamba solo Nr. 2 D-Dur, (9) (Prélude) Länge: 00:54 Solist: Paolo Pandolfo (Bass Viola da Gamba) Komponist: Carl Friedrich Abel Label: GLOSSA Best.-Nr: GCD 920410 Titel: aus: Sonata in D Major, op. 5 No. 2 / HWV 397, Adagio Länge: 01:05 Orchester: London Baroque Dirigent: Charles Medlam Komponist: Georg Friedrich Händel Label: BIS Records Best.-Nr: 7 31890 017654 Titel: Allegro für Viola da gamba solo, WKO 212 Länge: 01:24 Solist: Susanne Heinrich (Vdg) Komponist: Carl Friedrich Abel Label: Hyperion Best.-Nr: CDA 67628 Titel: [Allegro] für Viola da gamba solo, WKO 192 Länge: 04:27 Solist: Susanne Heinrich (Vdg) Komponist: Carl Friedrich Abel Label: Hyperion Best.-Nr: CDA 67628 Titel: Tempo minuetto für Viola da gamba solo, WKO 154 Länge: 02:59 Solist: Susanne Heinrich (Vdg) Komponist: Carl Friedrich Abel Label: Hyperion Best.-Nr: CDA 67628 2. Stunde Titel: aus: Suite für Viola da Gamba solo Nr. 2 D-Dur, (21 (Petit Prélude) Länge: 00:22 Solist: Paolo Pandolfo (Bass Viola da Gamba) Komponist: Carl Friedrich Abel Label: GLOSSA Best.-Nr: GCD 920410 Titel: aus: Suite für Viola da Gamba solo Nr. 2 D-Dur, (3) Tempo di Minuet Länge: 02:33 Solist: Paolo Pandolfo (Bass Viola da Gamba) Komponist: Carl Friedrich Abel Label: GLOSSA Best.-Nr: GCD 920410 Titel: Lilliburiero Länge: 02:03 Interpret: The Regimental Band and The Massed Pipers of the Scots Guards Komponist: Traditional Label: Emi Best.-Nr: 24347 44962 Plattentitel: The Best Military Bands Album, CD 1-2 Titel: Lilliburiero Länge: 01:03 Interpret: The Fine Arts Brass Ensemble Komponist: Traditional Label: Nimbus Best.-Nr: 0710357 554 629 Plattentitel: Musi form the English Courts - Händel, Purcell and Locke Titel: Adagio für Viola da gamba, WKO 209 Länge: 03:36 Solist: Susanne Heinrich (Viola da gamba) Komponist: Carl Friedrich Abel Label: Hyperion Best.-Nr: CDA 67628 Titel: Organ Interlude Länge: 02:35 Interpret und Komponist: Jim Inglis Label: ohne Best.-Nr: YO61 4AD Plattentitel: Voice from the Pulpit, CD 1 - 2 Titel: [Allegro] für Viola da gamba solo, WKO 195 Länge: 03:00 Solist: Susanne Heinrich (Vdg) Komponist: Carl Friedrich Abel Label: Hyperion Best.-Nr: CDA 67628 Titel: [Andante] für Viola da gamba solo, WKO 199 Länge: 02:26 Solist: Susanne Heinrich (Vdg) Komponist: Carl Friedrich Abel Label: Hyperion Best.-Nr: CDA 67628 3. Stunde Titel: Whiskers Länge: 03:05 Interpret und Komponist: Robert Coyne Label: der hörverlag Best.-Nr: 9 783844 519433 Plattentitel: Laurence Sterne, leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman Titel: Uncle Toby and the fly Länge: 02:10 Interpret und Komponist: Chris Cutler Label: der hörverlag Best.-Nr: 9 783844 519433 Plattentitel: Laurence Sterne, Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman Titel: Adagio für Viola da gamba, WKO 189 Länge: 01:57 Solist: Susanne Heinrich (Viola da gamba) Komponist: Carl Friedrich Abel Label: Hyperion Best.-Nr: CDA 67628 Titel: aus: Suite für Viola da Gamba solo Nr. 1 D-Dur, (8) (Minuetto) Länge: 01:15 Solist: Paolo Pandolfo (Bass Viola da Gamba) Komponist: Carl Friedrich Abel Label: GLOSSA Best.-Nr: GCD 920410 Titel: Vivace für Viola da gamba, WKO 190 Länge: 04:46 Solist: Susanne Heinrich (Viola da gamba) Komponist: Carl Friedrich Abel Label: Hyperion Best.-Nr: CDA 67628